Von den Einrichtungen der Klöster

Von Cassian (430-35)

Einleitung.

Wenn wir es mit der Hilfe Gottes unternehmen, über die Einrichtungen und Regeln der Klöster zu reden, so beginnen wir am zweckmäßigsten mit der Kleidung der Mönche. Die innerliche Lebensweise derselben werden wir dann der Reihenfolge nach darlegen können, wenn wir erst ihre äussere Ausstattung vor die Augen geführt haben.

Der Gürtel.

Der Mönch soll als Streiter Christi stets mit der Kriegsrüstung angethan sein und darum allezeit mit gegürteten Lenden einhergehen. Die heilige Schrift bezeugt, daß auch jene Männer schon so gekleidet gewesen seien, welche im alten Bunde den Grund zu dem klösterlichen Leben gelegt haben, nämlich Elias und Elisäus; und ebenso wissen wir auch von den Fürsten und Vätern des neuen Bundes, von Johannes. Petrus und Paulus und den übrigen Männern dieser Art. daß sie sich desselben Kleidungsstückes bedient haben. Elias, der bereits im alten Bunde die Jungfräulichkeit pflegte und als ein herrliches Vorbild der Keuschheit und Enthaltsamkeit dasteht, wurde einst vom Herrn beauftragt, gegen die Abgesandten des gottesräuberischen Königs Ochozias von Israel zu eifern, weil dieser in einer Krankheit beschlossen batte, Beelzebub, den Gott von Aklaron, über sein Aufkommen um Rath zu fragen. Als nun der Prophet diesen entgegenging und ihnen sagte, daß der König von dem Lager, auf welches er gesunken war, nicht mehr aufstehen werde, da erkannte ihn der Kranke aus der Beschreibung seiner Kleidung. Er fragte nämlich die zurückgekehrten Gesandten, welche ihm des Propheten Urtheil verkündeten, wie die Gestalt und die Kleidung des Mannes gewesen, der ihnen begegnet sei und solches gesagt habe; und sie gaben zur Antwort: Es war ein haariqer Mann mit einem härenen Gürtel um die Lenden. Aus dieser Schilderung schloß der König sogleich auf den Mann Gottes und sprach: „Es ist Elias, der Thesbite.” Der Gürtel und der vernachläßigte Körper waren ihm Zeichen, an welchen er den Propheten Gottes unzweifelhaft erkannte, und zwar deßwegen, weil demselben, der doch unter so vielen Tausenden Israeliten lebte. Dieß gleichsam als ein besonderes Kennzeichen feiner Lebensweise beständig anhaftete.

Auch von Johannes, der zwischen dem alten und neuen Bunde gleichsam als geheiligte Grenzscheide, als Anfang und Ende dasteht, wissen wir aus der Erzählung des Evangelisten Aehnliches: „Johannes aber hatte ein Kleid von Kameel-haaren und einen härenen Gürtel um seine Lenden.” Dem Petrus, welcher von Herodes ins. Gefängniß geworfen worden war, und der am folgenden Tage zum Tode geführt werden sollte, wird von dem Engel geboten: „Umgürte dich und ziehe deine Schuhe an!” Hiezu hätte ihn der Engel Gottes gewiß nicht aufgefordert, wenn er nicht gesehen halte, daß der Apostel, um die nächtliche Ruhe zu genießen, die müden Glieder von der gewohnten Umgürtung ein wenig befreit hatte. Als Paulus nach Jerusalem reiste, wo ihn die Juden in Fesseln legen sollten, traf ihn der Prophet Agabus zu Cäsarea, nahm den Gürtel desselben, band ihm die Hände und Füße damit, um anzudeuten, welche Unbilden ihm widerfahren würden und sagte: „Dieß spricht der heilige Geist: Den Mann, welchem dieser Gürtel gehört, werden die Juden zu Jerusalem also binden und in die Hände der Heiden überliefern.” Dieß hätte der Prophet sicherlich nicht aussprechen und namentlich hätte er die Worte nicht gebrauchen können: „der Mann, welchem dieser Gürtel gehört”, wenn nicht Paulus die Gewohnheit gehabt hätte, einen solchen zu tragen.

Das Mönchsgewand.

Die Kleidung eines Mönches sei der Art, daß sie bloß den Körper deckt, die beschämende Nacktheit bekleidet und die quälende Kälte entfernt, nicht aber diene sie der Eitelkeit und Ueberhebung. Deßhalb mahnt der Apostel: „Wenn ihr Nahrung und Bedeckung habt, so seid zufrieden!” Er sagt „Bedeckung”, nicht „Gewänder”, wie in einigen lateinischen Exemplaren nicht ausdrücklich enthalten ist, und meint damit Kleider, welche den Leib bedecken, ohne durch ihre Schönheit zu schmeicheln, so werthlos, daß sie weder durch auffallende Farben noch durch kunstvollen Schnitt vor denen der übrigen Männer dieses Berufes sich auszeichnen, einerseits fern von besonderer Sorgfalt, anderseits aber auch wieder nicht verunstaltet durch Schmutz, der wie aus anscheinender Sorglosigkeit zur Schau getragen wird. Schließlich sollen sich die Kleider der Mönche darin von denen der Weltleute unterscheiden, daß sie in ihrer Form stets unverändert bleiben, und daß sie bei dem Einen genau dieselben sind wie bei den Anderen. Denn was immer unter den Dienern Gottes Einer oder Wenige sich herausnehmen, was nicht allgemein in der ganzen Genossenschaft festgehalten wird, das ist entweder überflüssig oder übermütig und darum für schädlich zu erachten, indem es mehr das Aussehen der Eitelkeit als der Tugend hat. Und deßhalb müssen wir all diejenigen Einzelheiten als überflüssig und unnütz ausscheiden, welche weder von jenen heiligen Alten auf uns gekommen sind, die den Grund zum Klosterleben gelegt, noch von den Vätern unserer Zeit, welche die Einrichtungen jener in getreuer Ueberlieferung jetzt noch befolgen. So haben sie das härene Bußgewand, wenn es Allen sichtbar und offen getragen wurde, durchaus mißbilligt, weil es auf diese Welse dem Geiste nicht nur keinen Vortheil bringen, sondern sogar der eitlen Überhebung zur Nahrung dienen kann, und weil es ferner für die Ausübung der nothwendigen Handarbeit, zu welcher der Mönch stets bereit und ungehindert sein muß, untauglich und unschicklich ist. Wenn wir dennoch hören, daß Einzelne sich dieses Gewandes bedient haben, ohne Mißbilligung zu erfahren, so dürfen wir daraus keine Regel für die Klöster herleiten noch viel weniger an den alten Einrichtungen der Väter rütteln wollen, weil wir glauben, einzelne Männer, welche besonderer Tugendübung wegen sich Dieß herausnahmen, deßhalb nicht tadeln zu sollen, weil sie nicht nach der allgemein giltigen Regel gehandelt haben. Denn einer allgemeinen, für Alle geltenden Vorschrift darf die Ansicht Weniger nicht vorgezogen werten. Jenen Einrichtungen und Regeln müssen wir mit unbedingtem Vertrauen und unerschütterlichem Gehorsame in allen Stücken anhangen, nicht welche der Wille Weniger eingeführt, sondern welche durch die Länge der Zeit geheiligt und von so vielen heiligen Vätern übereinstimmend bis in die Gegenwart festgehalten worden sind. Sicherlich darf das für uns im gewöhnlichen Leben nicht maßgebend sein, wenn erzählt wird, daß ein gottloser König von Israel, von den Schaaren der Feinde umlagert, ein härenes Gewand auf seinem Leibe habe sichtbar werden lassen, als er seine Kleider zerriß, oder daß die Niniviten sich in raube Bußgewänder hüllten, um das göttliche Strafgericht abzuwenden, das der Prophet ihnen verkündigt hatte; denn es ist offenbar, daß jener es verborgen unter seinen Kleidern trug, so daß es von Niemand hätte gesehen werden können, wenn er sein Obergewand nicht zerrissen hätte; diese aber trugen das Bußkleid zu einer Zeit offen, als Alle insgesammt über den bevorstehenden Untergang der Stadt trauerten, und darum konnte Niemand auffällig erscheinen, indem Alle dasselbe Gewand trugen. Das Aussergewöhnliche erregt nämlich nur dann Anstoß, wenn es aus Ueberhebung hervorgeht.

Die Kapuze (cucullus) der Ägyptier.

Die Kleidung der ägyptischen Mönche hat einige Eigenthümlichkeiten, welche weniger die Sorge für den Körper bezwecken, als vielmehr Spiegelbilder der Sitten sein sollen, um so die Einfalt und Unschuld ihrer Lebensweise auch in der Kleidung beständig Tag und Nacht festzuhalten. Sie tragen nämlich ganz kleine bis zum Nacken reichende Kapuzen, die nur das Haupt bedecken. Dieß thun sie, damit, während sie die Kleidung der Kinder nachahmen, sie stets daran denken sollen, auch die Unschuld und Einfalt der Kinder zu bewahren. Darum singen sie, zur Kindheit, die Christus verlangt, zurückgekehrt, zu allen Stunden mit Inbrunst und Andacht: „Herr! Nicht ist mein Herz stolz, noch sind meine Augen erhoben, noch habe ich gewandelt in Großem und Wunderbarem, was über mir ist: fürwahr, demüthig ist mein Sinnen, und meine Seele erbeb‘ ich nicht, wie das entwöhnte Kind ist bei der Mutter.”

Das Untergewand der ägyptischen Mönche.

Sie ziehen ein leinenes Untergewand (colobium) mit Ärmeln an, welche kaum bis zu den Ellenbogen herabreicken; im Übrigen lassen sie die Arme unbedeckt. Der Umstand. daß ihnen die Aermel gleichsam abgeschnitten sind, soll sie mahnen, für immer von den Händeln und Wellen dieser Welt losgerissen zu bleiben; und das Linnengewand, das sie umhüllt, soll sie erinnern, daß sie von allem irdischen Verkehr abgeschnitten sind, und auf diese Weise sollen sie täglich auf den Apostel hören, der ihnen sagt: „Tödtet euere Glieder, welche über der Erde sind!” Ferner soll ihnen diese Kleidung zurufen: „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen in Christo.” Und wiederum: „Ich lebe zwar, aber nicht ich, es lebt aber in mir Christus; denn mir ist die Welt gekreuzigt, und ich der Welt.”

Die Armschnüren (rebrachiatoria).

Sie tragen auch zweifache Schnüren aus wollenem Faden gewoben, welche die Griechen „ἀναβολαί”, wir aber Schurzgürtel oder Schlingen zum Aufziehen der Gewänder nennen können. Dieselben laufen oben vom Nacken herab und am Halse nach den Seiten hin getheilt schlingen sie sich um beide Hüften, schürzen die weiten und langen Gewänder herauf und schließen dieselben enger an den Körper. Auf diese Weise werden die Arme frei, und die Mönche können ungehindert ihre Handarbeit verrichten, wozu sie der Apostel mit den Worten ermahnt: „Nicht bloß mir, sondern auch Denen, welche bei mir sind, haben diese Hände gedient, und wir haben von Niemand Brod umsonst gegessen, sondern in Mühe und Beschwerde haben wir Tag und Nacht gearbeitet, um Keinem zur Last zu fallen;” und: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.”

Das Schultergewand (mafors).

Sodann bedecken sie Hals und Schultern mit einem engen Mäntelchen, welches in unserer wie in ihrer Sprache „mafors” heißt. Sie thun Dieß sowohl aus Bescheidenheit in der Kleidung als aus Sparsamkeit; denn sie sparen hier durch die Ausgaben für die weiten und theuren Mäntel und halten eben darum auch die Eitelkeit von sich fern.

Das Ziegenfell.

Als letztes Kleidungsstück ist zu erwähnen das Ziegenfell, welches „melotes vel pera“ genannt wird, und ausserdem noch ein Stab. Solches tragen sie, um die Begründer des Klosterlebens im alten Bunde nachzuahmen. Von diesen sagt bekanntlich der Apostel: „Sie wandelten umher in Ziegenfellen, arm, bedrängt, verunglimpft; die Welt war ihrer nicht werth; sie irrten umher in den Einöden, in Gebirgen und Schluchten, in den Höhlen der Erde.“ Dieses Gewand aus Ziegenfell bedeutet, daß sie ihre Glieder gegen alle fleischlichen Lüste abtödten und mit dem höchsten Ernste sich in der Tugend befestigen sollen, und daß Nichts mehr von dem Ungestüm und der Leidenschaft der Jugend und der früheren Wankelmüthigkeit an ihrem Leibe Platz haben darf.

Der Stab.

Daß jene Männer des alten Bundes einen Stab zu führen gewohnt waren, das zeigt uns z. B. Elisäus. wenn er feinen Diener Giezi ausschickt, um den Sohn eines Weibes zum Leben zu erwecken, und zu ihm spricht: „Nimm meinen Stab, geh‘ eilig hin und lege ihn auf das Angesicht des Knaben, auf daß er lebe.“ Er hätte Dieß gewiß nicht thun können, wenn er nicht die Gewohnheit gehabt, den Stab in seiner Hand zu tragen. Das Führen des Stabes aber hat den geistigen Sinn, daß die Mönche in so vielen Versuchungen, welche sie wie Hunde anbellen, und unter so viel geistiger Bosheit, welche sie gleich wilden Thieren unsichtbar umlagert, niemals unbewaffnet erscheinen dürfen. Darauf nimmt der König David Bezug, wenn er betet: „Gib o Herr, den wilden Thieren nicht preis die Seele, die dich bekennt!“ Daher muß ein Mönch auf dieselben losgeben, sie mit dem Zeichen des Kreuzes zurückweisen und weit von sich treiben und durch die stete Erinnerung an das Leiden des Herrn und die Nachahmung seiner Abtödtung sie verscheuchen, wenn sie auf ihn losstürmen.

Die Fußbekleidung.

Schuhe verschmähen sie im Allgemeinen, weil dieselben in gewissem Sinne im Evangelium verboten seien. Nur wenn Krankheit, die Winterkälte am Morgen oder die Sommerhitze am Mittage es nothwendig macht, bekleiden sie ihre Füße mit Sandalen. Sie legen Dieß so aus: durch den Gebrauch derselben, den der Herr selbst gestattet habe, werde angedeutet, daß, wenn wir auch, in dieser Welt lebend, uns der irdischen Sorgen nicht gänzlich entledigen und entäussern können, wir uns doch nur oberflächlich und nur insoweit mit derselben einlassen dürfen, als nöthig ist, um für die nothwendigen Leibesbedürfnisse Sorge zu tragen. Es sollen ferner die Füße unseres Geistes stets bereit sein, die geistige Laufbahn zu vollenden und das Evangelium des Friedens zu verkündigen; wir sollen mit ihnen dem Geruche der Salben Christi nachlaufen und mit David sprechen: „Ich bin gelaufen im Durste“ und mit Jeremias: „Ich bin nicht müde geworden, dir zu folgen.“ Darum dürfe man sich nicht in die todbringenden Sorgen dieser Welt verwickeln, fondern nur darauf bedacht sein, die nöthigsten Forderungen der Natur zu befriedigen, nicht aber überflüssige und schädliche Vergnügungen zu suchen. Dieß wird man aber dann erst erreichen, wenn man nach dem Gebote des Apostels nicht einmal in seinen Wünschen sich irdische Sorgen macht. Wenn auch die Mönche erlaubter Weise sich der Sandalen bedienen, da es ja der Herr gestattet hat, so lassen sie dieselben dennoch durchaus nicht an den Füßen, so oft sie herantreten, um die heiligen Geheimnisse entweder zu feiern oder zu empfangen; denn sie sind der Ansicht, daß man wörtlich beobachten müsse, was Gott dem Moses und Jesu, dem Sohne Nave’s, geboten: „Löse die Riemen deiner Schuhe, denn der Ort, wo du stehst, ist heilige Erde.“

Zweites Buch: Die kanonischen Vorschriften über die nächtlichen Gebete und Psalmengesänge.

Der Streiter Christi, wie erwähnt, mit zweifachem Gürtel umgürtet, soll nun wissen, welche Regeln in Betreff der kanonischen Gebete und Psalmen von den heiligen Vätern von Alters her im Oriente festgestellt worden sind. Ueber die innerliche Beschaffenheit derselben, d. h. über die Art und Weise, wie wir nach der Vorschrift des Apostels ohne Unterlaß beten können, werden wir dann mit Gottes Gnade ausführlich reden, wenn wir seiner Zeit die Besprechungen mit den Vätern aufzuzeichnen unternehmen.

Die Anzahl der Psalmen in den verschiedenen Provinzen.

Wir haben in Erfahrung gebracht, daß in verschiedenen Gegenden manche Mönche, welche, wie der Apostel sagt, zwar den Eifer Gottes haben, aber ohne die Einsicht, nach ihrem Verstande der eine diese, der andere jene Regeln aufgestellt haben. Einige sind der Meinung gewesen, man müsse in jeder Nacht zwanzig oder dreissig Psalmen singen und diese noch hinausdehnen durch die Gesänge der Antiphonen und durch das Absingen gewisser anderer Gesangesweisen. Andere haben es versucht, dieses Maß noch zu überschreiten, wieder Andere wollen hiegegen nur achtzehn Psalmen. So bestehen denn, wie wir gesehen haben, an verschiedenen Orten verschiedene Übungen. ja es gibt beinahe ebenso viele Regeln hierüber als Klöster und Zellen. Manche sind sogar der Ansicht, daß in dem Offizium des Tages, nämlich in der Terz, Sext und Non, ebenso viele Psalmen zu singen seien, als die Stunde bezeichnet, in der sie das Gebetsopfer Gott darbringen. Andere wieder wollen bei jeder Gebetsversammlung des Tages sechs Psalmen gebetet wissen. Deßwegen erachte ich es für nothwendig, die ursprüngliche Anordnung der Väter hier auseinander zu setzen, wie sie noch heute in ganz Aegypten von den Dienern Gottes beobachtet wird, damit so das neue Kloster, das noch in seiner Kindheit sich befindet, nur mit den ältesten und ehrwürdigsten Einrichtungen der Väter vertraut gemacht wird.

Die einmüthige Regel, wie sie in ganz Aegypten beobachtet wird, und die Wahl der Vorgesetzten.

Wir wissen mit Bestimmtheit, daß in ganz Ägypten und der Thebais die einzig richtige Weise in den nächtlichen Versammlungen oder Vigilien zu beten bis jetzt beibehalten wird; denn dort werden die Klöster nicht nach dem Gutdünken eines Jeden, der der Welt entsagen will, eingerichtet, sondern nach den Ueberlieferungen der Vorfahren bestehen sie theils bis beute fort oder werden auf dieser Grundlage errichtet. Es wird dort Keinem zugestanden, einer Genossenschaft von Brüdern, ja nicht einmal sich selbst vorzustehen, bevor er sich nicht bloß aller seiner Güter entäussert, sondern bevor er nicht auch hat einsehen gelernt, daß er nicht mehr über sich selbst Herr ist. Wer dieser Welt, entsagen will und wenn er auch noch so viele Reichthümer besitzt, der soll um die Aufnahme in das Kloster so nachsuchen, daß er sich [S. 28] weder auf das. was er zurückließ, noch auf das, was er in’s Kloster gebracht bat, Etwas einbildet; er muß in allen Stücken so gehorsam sein, wie es sich für Jene ziemt, die zum Kindesalter Jesu Christi zurückkehren wollen; er darf Nichts vor den Übrigen voraus haben wollen, weder wegen der Achtung, die er in der Welt genoß, noch wegen der größeren Zahl der Jahre, von denen er denken soll, daß er sie in der Welt vergebens zugebracht und verloren habe. Weil er demnach noch in den Anfängen steht und noch ein Neuling ist im Kriegsdienste, den er für Christus übernommen hat, so soll er kein Bedenken tragen, auch einem Jüngeren sich unterzuordnen. Auch wird Jedem Anleitung gegeben, sich an anstrengende Arbeit zu gewöhnen und nach des Apostels Gebot mit seinen eigenen Händen den täglichen Lebensunterhalt zu verdienen, sowohl für sich selbst, als auch für die Gäste und Fremdlinge, damit er durch die Mühe und Abtödtung, welche die Arbeit mit sich bringt, dahin gelange, die Hoffart und Annehmlichkeiten des vergangenen Lebens zu vergessen und sich die Demuth des Herzens zu erwerben. Deßhalb wird Keiner zum Vorsteher einer Genossenschaft von Brüdern gewählt, der nicht vorher durch Gehorsam das gelernt hat, was er später seinen Untergebenen befehlen muß, und der sich nicht selbst erst durch Belehrung von Seiten der Aelteren Alles angeeignet hat, was er den jüngeren Brüdern wieder überliefern soll. Denn gut Befehlen und gut Gehorchen, das, sagen sie, verrathe Weisheit und sei eine sehr hohe Gabe und eine große Gnade des heiligen Geistes. Niemand könne seinen Untergebenen wahrhaft heilsame Vorschriften ertheilen, wenn er nicht selbst zuvor in allen Zweigen der Tugend unterrichtet sei, und ebenso wenig könne Jemand einem Aelteren gut gehorchen, wenn er nicht in der Furcht Gottes befestigt und in der Tugend der Demuth vollendet sei. Wenn wir darum sehen, daß in anderen Ländern Verschiedenheit in den Regeln und Einrichtungen herrscht, so rührt Dieß daher, daß den Klöstern meist Männer vorstehen, welche die Regel der Väter nicht kennen, und Äbte werden, bevor sie, wie es doch in der Ordnung wäre, sich als Schüler bekannt und bewährt hatten; solche sind eben leichter geneigt, auf die Beobachtung ihrer eigenen Erfindungen zu dringen, als sich einfach an die bewährten Grundsätze der Vorfahren zu halten. Doch während wir zeigen wollten, welche Gebetsweise festzuhalten sei, haben wir uns im Eifer dazu hinreissen lassen, schon jetzt die Einrichtungen zu behandeln, welche bei den Vätern bestanden, was wir jedoch an einem anderen Orte thun wollten. Kommen wir deßhalb auf unseren eigentlichen Gegenstand wieder zurück!

Die Zwölfzahl der Psalmen, welche in ganz Aegypten und in der Tbebais festgehalten wird.

Durch ganz Ägypten und die Thebais werden, wie bereits bemerkt, sowohl bei der abendlichen als auch bei der nächtlichen Gottesdienstfeier übereinstimmend zwölf Psalmen gesungen, und zwar so, daß darauf zwei Lesungen folgen, eine aus dem alten und eine aus dem neuen Testamente. Diese uralte Einrichtung bat sich deßwegen so lange Zeit hindurch in allen Klöstern dieser Länder unverändert forterbalten, weil sie, nach der Versicherung der Väter, nicht menschliche Erfindung, sondern den Vätern durch einen Engel vom Himmel mitgetheilt worden sei.

Die Zwölfzahl der Psalmen rührt von einem Engel her.

Die wenigen, aber sehr erprobten Männer, welche im Anfange des Christenthums unter dem Namen „Mönche“ begriffen wurden, und welche unter Andern vom Evangelisten Markus seligen Andenkens, dem ersten Bischöfe von Alexandrien, eine Regel erhielten, haben nicht bloß jene großmüthigen Dinge beibehalten, welche, wie in der Apostelgeschichte zu lesen, Anfangs die Kirche, d. h. die Menge der Gläubigen, zu tbun gewohnt war. sondern sie gingen darüber noch hinaus und übten noch Höheres. Sie zogen sich nämlich in die entlegeneren Vorstädte zurück und führten ein Leben voll so großer Strenge und Abtödtung, daß sogar Diejenigen, welche nicht der christlichen Religion angehörten, über eine so rauhe Lebensweise mit Staunen erfüllt wurden. Denn mit einem so glühenden Eifer widmeten sie sich Tag und Nacht der Lesung der heiligen Schriften, dem Gebete und der Handarbeit, daß sie nicht zu essen begehrten, ja nicht einmal daran dachten, ausser um den zweiten oder dritten Tag; alsdann aber nahmen sie Speise und Trank nicht als etwas Ersehntes, sondern als etwas zum Leben Notwendiges, und Dieß thaten sie nicht eher, als kurz vor Sonnenuntergang, um so den Tag ganz der Betrachtung und Uebung geistiger Dinge zu widmen und die Sorge für den Leib nur der Nacht vorzubehalten. Ausserdem aber übten sie noch weit größere Vollkommenheiten, als wie hier erzählt wird; darüber kann sich Jeder, der nicht weiter in persönlichen Beziehungen zu den Mönchen gestanden, durch die Kirchengeschichte belehren lassen.

Zu jener Zeit nun, als die Vollkommenheit der ersten Kirche bei den Nachfolgern jener heiligen Männer noch in frischem Andenken stand und unversehrt fortdauerte, und als der lebendige, feurige Glaube sich noch nicht im ganzen Volke verbreitet hatte und darum noch nicht lau geworden war, da kamen einst die ehrwürdigen Väter, beseelt von lebhafter Sorge für die Nachfolgenden, zusammen, um sich zu verständigen, welche Regel für die tägliche Lebensweise in der klösterlichen Gemeinschaft festzustellen sei, um so ihren Nachfolgern ein Erbe der Liebe und des Friedens zu hinterlassen, aus dem jede Erörterung gegentheiliger Meinungen ausgeschlossen wäre. Sie befürchteten nämlich, es möchten verschiedene Ansichten, welche über die täglichen Gottesdienstfeierlichkeiten unter Männern derselben Lebensweise entstünden, einst die Veranlassung zu Irrthümern, Eifersucht oder gar Spaltungen werden. Während nun ein Jeder nach Maßgabe seines Eifers und fremder Schwäche uneingedenk Vorschläge machte, welche er in Anbetracht seines Glaubens und seiner Stärke für sehr leicht ausführbar hielt, erwog man nicht hinlänglich, was für die große Masse der Brüder, in der sich nothwendig immer auch eine große Anzahl von Schwachen befindet, möglich ist. So überboten sie sich denn gegenseitig im Gefühle ihrer Seelenstärke, eine sehr große Anzahl von Psalmen aufzustellen; die Einen stimmten für fünfzig, die Anderen für sechzig, wieder Andere, mit dieser Zahl nicht einmal zufrieden, glaubten noch weiter gehen zu müssen, und es entstand bei der Aufstellung der Ordensregel gewissermaßen ein heiliger Wettstreit, welcher sich bis zur Zeit der gemeinschaftlichen Abendandacht hinzog. Sie schickten sich nun an, die gewöhnlichen Gebete zu verrichten. Einer von ihnen erhob sich und trat in die Mitte, um dem Herrn Psalmen zu singen; alle Übrigen saßen (wie es jetzt noch in Aegypten Sitte ist) und hielten ihre Herzen mit der größten Andacht auf die Worte des Vorsängers gerichtet. Als dieser nun eilf durch eingeschobene Gebete von einander getrennte Psalmen, und zwar einen Vers nach dem andern in gleichmäßigem Vortrage, abgesungen und den zwölften durch Hinzufügung von „Alleluja“ beendigt hatte, wurde er plötzlich vor Aller Augen entrückt, und damit war sowohl der Gottesdienst beendigt als auch die streitige Frage erledigt.

Der Gebrauch der zwölf Orationen.

Weil diese ehrwürdige Versammlung von Vätern demnach durch einen Engel belehrt worden war, daß hiedurch nicht ohne besondere Fügung Gottes eine allgemeine Regel für alle klösterlichen Genossenschaften aufgestellt worden sei, so verordnete sie, daß die Zwölfzahl sowohl bei der abendlichen als auch bei den nächtlichen Gebetsversammlungen beibehalten werde. Hiezu fügten sie noch zwei Lesungen, die eine aus dem alten, die andere aus dem neuen Testamente, aber nur als etwas von ihnen Angeordnetes und Aussergewöhnliches und nur für die, welche es freiwillig thun wollten, und deren besonderes Streben darauf ging, die heiligen Schriften ihrem Gedächtnisse einzuprägen. Am Sabbathe (d. b. am Sonntage) lesen sie beide aus dem neuen Testamente, nämlich die eine aus den apostolischen Briefen oder der Apostelgeschichte, die andere aus den Evangelien. Das Gleiche thun auch an allen Tagen der Quinquagesima Diejenigen, welche dem Lesen oder Auswendiglernen der heiligen Schrift besonders obliegen.

Die Haltung beim Gebet.

Die oben erwähnten Gebete beginnen und schließen sie derart, daß sie nach Beendigung eines Psalmes nicht sogleich zur Kniebeugung gleichsam hinstürzen, wie wir es vielfach in dieser Gegend thun, die wir nach kaum beendigtem Psalm eiligst zum Gebete niederfallen, um so schnell als möglich zum Ende zu gelangen. Während wir auf der einen Seite das von den Vätern ursprünglich festgesetzte Maß des Gebetes überschreiten, eilen wir auf der andern Seite, auf die Zahl der noch übrigen Psalmen schauend, mit Hast zum Schlusse, indem wir mehr auf die Erholung unseres müden Leibes als auf den Nutzen und die Vortheile des Gebetes bedacht sind. Bei Jenen ist Dieß nicht so, sondern bevor sie die Knie beugen, beten sie ein wenig für sich und bringen dann längere Zeit stehend in lautem Gebete zu; hierauf machen sie eine kurze Kniebeugung, wie um die göttliche Barmherzigkeit anzubeten, stehen dann sofort wieder auf und verharren sodann wiederum stehend und mit ausgebreiteten Armen, wie auch vorher, in noch inständigerem (leisen) Gebete. Sie behaupten nämlich, wer längere Zeit am Boden kniee, der werde nicht bloß durch zerstreuende Gedanken, sondern auch durch Schlaf angefochten. Auch wir wissen, daß Dieß wahr ist; wüßten wir es nur nicht aus eigener Erfahrung und täglicher Gewohnheit, wir, die wir, zu Boden gcstreckt, diese gebeugte Lage des Körpers häufig nicht so sehr des Gebetes als der Bequemlichkeit wegen allzu lange einzuuehmen wünschen! — Wenn aber Derjenige, welcher das Gebet laut vorbetet, von der Erde aufsteht, so erheben sich sofort Alle; Keiner kniet nieder, bevor Jener das Knie beugt, und Keiner wagt einen Augenblick zu zögern, wenn Jener sich vom Boden erhebt, und es hat den Anschein, nicht als ob sie sich im Gebete nach dem, der vorbetet, richteten, sondern als ob Jeder nur sein eigenes Gebet verrichtete.

Die auf den Psalm folgende Oration.

Jenen Gebrauch, den wir in dieser Gegend gefunden haben, daß, während Einer den Psalm bis zu Ende singt, die Andern sich sodann alle erheben und laut im Chore singen: Ehre fei dem Vater u. s. w., den haben wir im ganzen Morgenlande nirgends angetroffen; dort wird vielmehr von dem Vorsänger am Ende eines jeden Psalmes, während alle Übrigen schweigen, eine Oration gesprochen. Mit dem erwähnten Lobspruch auf die heiligste Dreifaltigkeit pflegen nur die Antiphonen geschlossen zu werden.

Die Beschaffenheit des Gebetes.

Indem wir die Einrichtungen der Klöster der Reihe nach [S. 34] beschreiben, kommen wir folgerichtig auch an die Art und Weise, wie die kanonischen Tageszeiten verrichtet werden sollen, eine Sache, deren ausführlichere Erörterung wir uns für die „Besprechungen mit den Vätern“ vorbehalten wollen; denn alsdann werden wir Dieß erschöpfender auseinandersetzen, indem wir mit ihren eigenen Worten die Beschaffenheit und beständige Übung des Gebetes des Näheren besprechen werden. Da sich indessen hier eine passende Gelegenheit bietet, so halte ich es für geboten, an dieser Stelle Einiges davon zu berühren; denn wenn wir jetzt bei der Beschreibung der Zustände des äusseren Menschen gewissermaßen auch zugleich die Fundamente für das Gebet legen, so werden wir später, wenn wir uns anschicken, den Zustand des inneren Menschen zu besprechen, den Ausbau des Gebetes leichter vollenden können. Vor Allem aber wollen wir dafür Sorge tragen, daß, wenn uns ein vorzeitiges Ende an der Abfassung jener Abhandlung, die wir mit Gottes Hilfe später in Angriff nehmen wollen, verhindern sollte, wir euch wenigstens die Anfangsgründe eines so wichtigen Gegenstandes schon in diesem Werke bieten, euch, denen es bei so vorzüglichem Eifer schon zu lange dauert, bis ihr das Ganze erhaltet. Auf diese Weise werden wir, wenn uns auch noch Ausstand auf dieser Welt gewährt wird, wenigstens einige wenige allgemeine Grundzüge des Gebetes geben, durch welche Diejenigen hauptsächlich, welche in den Klöstern leben, sich einigermaßen zu unterrichten im Stande sind. Dadurch erreichen wir auck, daß Jene, welchen vielleicht nur dieses Büchlein zu Gesichte kommen wird, und die jenes andere nicht haben können, wenigstens zum Theil über die Art und Weise des Gebetes sich belehren können, und daß, nachdem sie über Kleidung und Haltung des äusseren Menschen unterrichtet worden, sie wenigstens darüber nicht ganz in Unkenntniß bleiben, wie sie das geistige Opfer des Gebetes darbringen sollen. Diese Blätter nämlich, welche wir mit Gottes Hilfe gegenwärtig abfassen, sollen mehr auf die äusseren Uebungen und Einrichtungen der klösterlichenGenossenschaften Bezug haben, während jene anderen die Unterweisung im inneren Leben und die Vollkommenheit des Herzens, sowie das Leben und die Lehren der Einsiedler zum Gegenstande haben werden.

Die Stille und Kürze des Gebetes (der Orationen) bei den Aegyptiern.

Wenn sie zu der genannten Gebetsfeier, welche sie „synaxis“ nennen, sich versammeln, so beobachten Alle ein so tiefes Schweigen, daß, während doch die Brüder in einer so zahlreichen Schaar zusammenkommen, man glauben sollte, es sei ausser dem, welcher in der Mitte stehend den Psalm absingt, kein Mensch sonst zugegen. Und Dieß gilt besonders von der Oration, welche den Psalm schließt; hiebei wird kein Speichel ausgeworfen, kein Räuspern gehört, kein Husten, kein schläfriges Aufsperren des Mundes läßt sich vernehmen, als ob Einer zerstreut oder schlecht aufgelegt wäre oder gähnte, kein Seufzer wird ausgestoßen, welcher die Umstehenden etwa stören könnte, keine Stimme ausser der des vorbetenden Priesters wird laut, es sei denn, daß eine solche durch ein Ueberströmen des Geistes dem Munde entflieht und gleichsam unwillkürlich dem Herzen entsteigt, dann nämlich, wenn es von übermäßiger und nicht überwältigender Andachtsglut entzündet ist, so daß aus den verborgenen Tiefen der Brust gleichsam gewaltsam hervorbricht, was die entflammte Seele nicht mehr in sich zu verschließen im Stande ist. Wer aber aus Lauigkeit des Geistes laut betet oder etwas Derartiges, wie oben erwähnt, von sich gibt, von dem behaupten sie, daß er in zweifacher Hinsicht fehle. Er versündige sich erstens an seinem eigenen Gebete, indem er es nämlich Gott nachläßig darbringe. Zweitens störe er auch durch sein unordentliches Geräusch die Andacht der Anderen, welche vielleicht viel inbrünstiger hätten beten können. Daher besteht die Vorschrift, daß das Gebet (die Oration) schnell beendigt werde, damit nicht etwa, wenn man länger in demselben verharre, eine gewisse Lähmung des Geistes eintrete, welche auf den Eifer nachtheilig einwirken könnte. Eben deßhalb soll das Gebet auch, so lange es noch glüht, gleichsam dem Rachen des bösen Feindes entrissen werden. Denn wenn dieser uns auch stets feindlich ist, so ist doch gerade dann seine Wuth um so größer, wenn er sieht, daß wir uns im Gebete gegen ihn zu Gott wenden; er beeilt sich alsdann durch Erregung von zerstreuenden Gedanken und fremdartigen Stimmungen unsern Geist von der Andacht des Gebetes abzuziehen, und gibt sich alle Mühe, die anfängliche Glut des Herzens zu unterdrücken und auszulöschen. Darum hält man kurze, aber häufig wiederholte Gebete für nützlicher; denn wenn man oftmals den Herrn anruft, so bleibt man beständig mit ihm vereinigt. Betet man dabei in gedrängter Kürze, so entgeht man dadurch auch den Nachstellungen des Teufels, der uns gerade dann nachdrücklich zu verfolgen pflegt, wenn wir beten.

Die Art und Weise, wie die Ägyvtier die Psalmen beten.

Darum legen sie auch nicht einmal Werth darauf, diejenigen Psalmen, welche sie gemeinschaftlich absingen, ohne Unterbrechung zu Ende zu bringen, sondern sie theilen dieselben je nach der Anzahl der Verse in drei oder vier Abschnitte, zwischen welche sie Orationen einlegen, und welche sie als ein Ganzes behandeln. Denn sie sehen nicht so sehr auf die Menge der Verse als auf das Verständniß und den Sinn derselben, indem sie vor Allem jenes Wort der Schrift beherzigen: „Ich will singen mit dem Munde, ich will auch singen mit dem Geiste.“ Deßbalb erachten sie es für nützlicher, zehn Verse mit aufmerksamem Verständnisse zu singen, als einen ganzen Psalm mit zerstreutem Geiste herunterzubeten. Die Zerstreuung wird nämlich bisweilen durch die Eile des Vorbetenden erzeugt, wenn dieser im Gedanken an die Länge und Zahl der noch übrigen Psalmen bestrebt ist, nicht langsam und für die Zuhörer verständlich vorzutragen, sondern zum Ende des Gottesdienstes zu eilen. Wenn schließlich einer von den jüngeren Brüdern, sei es aus allzu großem Eifer, sei es, weil er noch nicht gehörig unterrichtet ist, das gewöhnliche Maß des Gesanges überschreitet, so wird er in dieser Ausschreitung dadurch unterbrochen, daß der Vorsteher mit der Hand auf seinen Stuhl schlägt, worauf alle zur Verrichtung der Oration sich erheben. Hiedurch soll verhütet werden, daß in denen, die sitzen, durch die große Ausdehnung der Psalmen Ueberdruß erregt werde; denn durch das zu lange Hinausdehnen würde der Vorsänger durch seine eigene Schuld die Frucht des Verständnisses verlieren, und ebenso würde er Jenen Schaden zufügen, denen er durch das Hinausziehen des Gottesdienstes Ueberdruß an demselben erregte.

Strenge wird bei ihnen auch beobachtet, daß kein Psalm mit der Antwort „Alleluja“ geschlossen wird, welcher nicht auch mit diesem Titel „Allelnja“ überschrieben ist.

Die zwölf Psalmen vertheilen sie so unter sich, daß, wenn nur zwei Brüder da sind, einer je sechs, wenn drei, einer je vier, und wenn vier, einer je drei singt. Weniger als drei singt Keiner in der Versammlung vor, und wenn darum eine noch so große Menge versammelt ist, so übernehmen niemals mehr als vier Brüder das Amt eines Vorsängers beim heiligen Dienste.

Warum die Mönche im Chore sitzen, und wie sie die Nachtwachen bis zum Morgen ausfüllen.

Bei Abbetung der mehrfach genannten zwölf Psalmen gestatten sie ihrem Körper eine kleine Erleichterung in der Art, daß, wenn sie ihre heiligen Gebetsversammlungen in gewöhnlicher Weise abhalten, nur der Vorbetende in der Mitte steht, während alle Übrigen auf ganz niedrigen Stühlen sitzen und der Stimme des Vorbeters mit aller Aufmerksamkeit und Andacht folgen. Denn durch das viele Fasten, sowie durch die angestrengte Arbeit bei Tag und Nacht werden sie so müde, daß sie nicht im Stande wären, auch nur diese zwölf Psalmen stehend zu Ende zu bringen; darum erlauben sie sich diese Bequemlichkeit. Keinen Augenblick lassen sie ohne irgend eine Beschäftigung vorübergehen; sie begnügen sich nicht damit, mit äusserster Anstrengung zu arbeiten, so lange das Tageslicht es gestattet, sondern sie sind mit allem Fleisse darauf bedacht, auch solche Werke zu verrichten, welche die Finsterniß der Nacht nicht zu verhindern vermag; denn sie sind der Ansicht, daß man eine um so erhabenere Stufe der Contemplation und eine um so reinere geistige Anschauung erlange, je anhaltender und eifriger man der Arbeit obliege. Deßhalb sei auch, glauben sie, die Anzahl der kanonischen Gebete durch göttliche Fügung auf ein so geringes Maß beschränkt worden, damit einerseits den Eifrigen Zeit gegeben würde, unermüdlich auf der Bahn der Tugend weiter zu wandeln, und andererseits den Schwachen und Kränklichen kein Ueberdruß erregt werde. Wenn nun die kanonischen Gebete in der gewöhnlichen Weise vollendet sind, so begibt sich ein Jeder in seine Zelle zurück. Eine solche Zelle darf in der Regel nur Einer allein oder höchstens noch mit einem Andern bewohnen, mit dem er entweder dieselbe Arbeit zu verrichten hat, oder den er unterrichten und ins geistliche Leben einführen soll, oder der wenigstens in Gesinnungen und Tugenden ihm ähnlich ist. In die Zelle zurückgekehrt beginnen sie wieder mit noch größerem Eifer zu beten, und zwar aus persönlicher Andacht. Keiner von ihnen denkt daran, sich noch einmal zum Schlafe niederzulegen. So folgt denn, wenn der Morgen anbricht, dem nächtlichen Werke und der nächtlichen Betrachtung das Wert des neuen Tages.

Warum man nach Beendigung der nächtlichen Andacht nicht mehr schlafen soll.

Diese mühevollen Übungen verrichten sie mit aller Gewissenhaftigkeit einmal deßwegen, weil sie glauben, mit allem Eifer das Opfer ihrer guten Werke Gott darbringen zu sollen, dann aber hauptsächlich aus zwei weiteren Gründen; und wenn wir nach Vollkommenheit streben, so sollen wir Dieß wohl beachten. Zunächst soll verhütet werden, daß der böse Feind die durch das nächtliche Gebet erlangte Reinheit des Herzens durch irgend ein Traumbild beflecke; denn dieser ist derselben stets neidisch und stellt vorzugsweise ihr unablässig nach. Wenn wir für unsere Fehler und Nachlässigkeiten Genugthuung dargebracht und unter Thränen und Seufzern durch unser Bekenntniß Verzeihung erlangt haben, so beeilt sich der Feind zur Zeit der Ruhe uns zu beflecken und ist gerade dann vorzüglich bestrebt, unser Gottvertrauen zu erschüttern und zu schwächen, wenn er sieht, daß wir uns mit größerer Glut durch die Reinheit unseres Gebetes zu Gott hinwenden. So versucht er zuweilen Diejenigen, welche er während der ganzen Nacht nicht verwunden konnte, in jener kurzen Stunde ihrer Tugend zu berauben. Der zweite Grund aber liegt darin, daß, wenn auch kein solches Schreckbild des Teufels auftaucht, auch ein reiner Schlaf, der sich einstellt, in dem Mönche, wenn er aufwacht, Trägheit und Schlaffheit des Geistes erzeugt, für den ganzen Tag seine Kraft lähmt, die Schärfe der Sinne abstumpft und ihm jene geistige Salbung raubt, welche ihn den Tag über gegen alle Nachstellungen des Feindes mit Vorsicht und Stärke zu waffnen im Stande ist. Deßhalb lassen sie auf die durch die Regel gebotenen Nachtwachen besondere Wachen von ihrer Seite folgen und beobachten sie mit noch größerer Gewissenhaftigkeit, damit Jene durch die Psalmen und Gebete erlangte Reinheit nicht verloren gehe und zu gleicher Zeit auch die Zerstreuungen des Tages um fo eifriger vermieden werden.

Wie sie in ihren Zellen Handarbeit mit Gebet verbinden.

Aus diesem Grunde füllen sie diese Nachtwachen mit Arbeit aus, damit nicht wie bei Müßigen der Schlaf sich bei ihnen einschleichen könne. Denn wie sie sich fast keine Zeit zum Ausruhen gestatten, so setzen sie auch der geistigen Betrachtung keine Grenze. Dadurch nämlich, daß sie die Körper- und Geisteskräfte zugleich üben, gleichen sie die Pflichten des äusseren Menschen mit den Anstrengungen des inneren in der Weise aus, daß sie an die flüchtigen Regungen des Herzens und das unstäte Schwanken der Gedanken das Gewicht der Arbeiten wie einen starken und unbeweglichen Anker legen; an diesen heften sie das zerstreute und unstäte Herz und vermögen so dasselbe hinter den Riegel der Zelle wie im sichersten Hafen eingeschlossen zu halten. Und so nur auf die geistige Betrachtung und die Bewachung der Gedanken gerichtet verhütet dieser Anker nicht bloß, daß der wachsame Geist in eine böse Einflüsterung willige, sondern bewahrt ihn auch vor allen überflüssigen und müßigen Gedanken, und man kann nicht leicht entscheiden, woran er befestigt ist, d. h. ob die Mönche wegen der geistlichen Betrachtung unablässig Handarbeit verrichten, oder ob sie wegen fortwährender Arbeit einen so herrlichen Fortschritt des Geistes und das Licht der Erlenntnitz sich erwerben.

Die Bescheidenheit gebietet, daß ein Jeder nach Schluß des Gebetes in seine Zelle zurückkehre, und wer anders handelt, setzt sich dem Tadel aus.

Sind die Psalmen zu Ende, und ist die oben erwähnte tägliche Versammlung geschlossen, so wagt es Keiner von ihnen, auch nur kurze Zeit zurückzubleiben oder mit einem Andern zu reden; aber auch den ganzen Tag hindurch erlaubt sich Keiner seine Zelle oder seine Arbeit, die er in derselben zu verrichten gewohnt ist, zu verlassen ausser Jenen, die zur pflichtgemäßen Verrichtung irgend welcher nothwendigen Arbeit aufgefordert worden sind. Wenn sie diese auswärts verrichten, so muß jede Unterredung zwischen ihnen unterbleiben; sie müssen aber das aufgetragene Wert so verrichten, daß sie dabei einen Psalm oder eine Schriftstelle aus dem Gedächtniß hersagen, auf daß nicht nur nicht zu schädlichen Komplotten und sündhaften Plänen, sondern nicht einmal zu müßigen Gesprächen irgendwie Zeit oder Gelegenheit geboten sei, indem Mund und Herz durch die geistliche Betrachtung in gleicher Weise stets beschäftigt sind. Deßhalb wird mit der größten Strenge darauf geachtet, daß Keiner, besonders von den Jüngeren, betroffen werde, wie er mit einem Anderen nur einen Augenblick zusammensteht oder irgend wohin geht oder nur einen Händedruck wechselt. Wenn aber Einer sich irgendwie gegen diese Regel vergangen hat, so wird er als hartnäckiger Uebertreter der Satzungen mit einer schweren Schuld belastet erklärt und kann nicht ohne den Verdacht einer Verschwörung und boshafter Pläne dastehen. Wenn er diese Schuld vor der ganzen Versammlung der Brüder durch öffentliche Buße nicht tilgt, so wird ihm nicht mehr gestattet, an dem Gebete der Brüder Theil zu nehmen.

Keiner darf mit Einem beten, der vom Gebete ausgeschlossen ist.

Ja, wenn Einer für irgend ein Vergehen zeitweilig vom Gebete ausgeschlossen ist, so ist es Keinem gestattet, mit ihm zu beten, bevor nach demüthiger Bußübung seine Wiederaufnahme gewährt und ihm sein Vergehen vor allen Brüdern öffentlich verziehen worden ist. Deßwegen hält man sich mit einer solchen Strenge von der Gemeinschaft seines Gebetes fern, weil man glaubt, Derjenige, welcher vom Gebete ausgeschlossen ist, werde nach dem Worte des Apostels dem Teufel übergeben; und wenn Jemand aus unerleuchteter Frömmigkeit vor der Wiederaufnahme desselben durch den Vorsteher an seinem Gebete Theil zu nehmen sich erlaubt, so mache er sich theilhaftig seiner Verdammniß und überliefere sich selbst dem Satan, dem Jener zum Zwecke der Besserung überliefert worden war; dadurch begehe man einen um so größeren Fehler, weil man durch Gespräche oder gemeinschaftliches Gebet mit demselben ihn in seiner Anmaßung bestärke und in seiner Hartnäckigkeit befestige. Nur zum Verderben gereicht ihm dieser Trost, der nur sein Herz mehr und mehr verhärtet und ihm die Demütigungen erspart, um derentwillen er von den Übrigen abgesondert war. Daher fruchtet der Tadel des Vorgesetzten wenig bei ihm, und er denkt nicht aufrichtig an Genugthuung und Verzeihung.

Wer zum Gebete ruft, muß die Brüder zur gewohnten Stunde wecken.

Derjenige, welchem die Einladung zur Gebetsversammlung und die Sorge für deren Zusammenberufung übertragen ist, wagt nicht, hie und da, wie es ihm gefällt, oder wie er gerade in der Nacht aufwacht, oder wenn ihn etwa seine Schlaflosigkeit dazu treibt, die Brüder zu den gewöhnlichen Nachtwachen zu wecken, sondern zur gewohnten Zeit erforscht er ängstlich und wiederholt an dem Laufe der Gestirne die zur Versammlung bestimmte Stunde und ladet dann erst die Brüder zur Verrichtung des Gebetes ein. Er sucht dadurch einen zweifachen Fehler zu vermeiden: einmal die festgesetzte Stunde zu verschlafen und sodann dieselbe zu früh anzusagen, um desto bälder wieder dem Schlafe sich überlassen zu können; auf diese Weise würde er weder für den heiligen Dienst, noch für die Ruhe der Brüder, sondern bloß für seine eigene Bequemlichkeit Sorge tragen.

Vom Samstag Abend bis zum Sonntag Abend kniet man nicht.

Auch Das ist noch zu erwähnen, daß vom Samstag Abend, mit welchem gleichsam schon der Sonntag anbricht, bis zum folgenden Abend bei den ägyptischen Mönchen die Kniee nicht gebeugt werden; aber auch an allen Tagen zwischen Ostern und Pfingsten geschieht Dieß nicht, sowie auch an diesen die gewöhnliche Fastenregel nicht beobachtet wird. Den Grund hiefür werde ich in den Collationen seiner Zeit auseinandersetzen. Unsere jetzige Aufgabe ist, die Verhältnisse in kurzer Aufzählung zu berühren, damit das Buch nichts den festgesetzten Umfang überschreite und den Leser mit Uberdruß erfülle.

Drittes Buch: Von dem vorgeschriebenen Officium des Tages.

Einleitung.

Von der Verrichtung des nächtlichen Psalmengebetes, wie sie in Aegypten gebräuchlich ist, glaube ich, mit Gottes Hilfe und soweit es meine schwachen Kräfte vermochten, genügend gesprochen zu haben; jetzt ist es meine Aufgabe, von der Feier der Terz, Sext und Non nach der Uebung der Klöster in Palästina und Mesopotamien zu handeln, um so, wie ich in der Vorrede gesagt habe. die Vollkommenheit der Aegyptier und die unnachahmliche Strenge ihrer Regel durch die Gebräuche dieser Mönche zu mildern.

Von den Ägyptern wird das Gebet, ohne Unterschied der Stunden, beständig bei der Handarbeit geübt.

Bei den ägyptischen Mönchen wird der Gebetsdienst, den wir zu gewissen Stunden, durch die Mahnung des an die Thüre klopfenden Bruders veranlaßt, dem Herrn darbringen, den ganzen Tag hindurch in steter Verbindung mit Handarbeit freiwillig verrichtet. Sie widmen sich nämlich in ihren Zellen der Arbeit beständig in der Weise, daß die Betrachtung über die Psalmen und übrigen Theile der heiligen Schrift nie ganz ausgesetzt wird. Hiemit verbinden sie jeden Augenblick Bitten und Gebete und bringen auf diese Weise den ganzen Tag mit Beten zu, was wir nur zu bestimmten Stunden thun. Deßhalb wird, abgesehen vom abendlichen und nächtlichen Gebete, des Tages über keine öffentliche Feierlichkeit bei ihnen gehalten; nur am Samstag und Sonntag kommen sie um die dritte Stunde zusammen, um die heilige Kommunion zu empfangen. Diese Art des Gebetes ist vollkommener: denn was unaufhörlich dargebracht wird, ist mehr als Das, was in Zeitabschnitten verrichtet wird; und angenehmer ist eine freiwillige Gabe als die Verrichtungen, zu welchen die Regel zwingt. Dieß preist schon der König David als etwas Herrliches, wenn er singt: „Willig bringe ich dir das Opfer dar,“ und: „Das willige Lob meines Mundes möge dir wohlgefällig sein, o Herr!“

Im ganzen Orient werden die Terz, Sert und Non schon nach drei Psalmen und Orationen geschlossen. — Warum man gerade diese Stunden zur Abhaltung des betreffenden Gottesdienstes wählte.

In den Klöstern Palästinas, Mesopotamiens und des ganzen Orients wird die Gebetsfeier der genannten Stunden nach Abbetung von je drei Psalmen beendigt. Auf diese Weise wird zu den festgesetzten Zeiten Gott ein immerwährendes Gebet dargebracht, und auch die nothwendig zu verrichtenden Arbeiten werden, wenn den geistlichen Verpflichtungen in rechtem Maße genützt ist, in leiner Weise gehindert. — Wir lesen, daß auch der Prophet Daniel zu diesen drei Zeiten täglich bei offenem Fenster im Speisesaal zum Herrn sein Gebet gesandt habe. Und nicht mit Unrecht wurden gerade diese Zeiten für diesen heiligen Dienst bestimmt; denn in ihnen wurden die größten Verheissungen erfüllt und unser Heil besiegelt. Die dritte Stunde erinnert vorzugsweise an die Herabkunft des von den Propheten verheissenen heiligen Geistes über die im Gebete begriffenen Apostel. Als nämlich über die vermittelst der Eingebung des heiligen Geistes ihnen zu Theil gewordene Sprachengabe das ungläubige Judenvolk staunte und spottend bemerkte, sie feien „voll des süßen Weines“, da trat Petrus in ihre Mitte und sprach: „Ihr Männer von Israel und Alle, die ihr in Jerusalem wohnt, Dieß sei euch kund und vernehmet meine Worte! Denn nicht sind diese, wie ihr vermuthet, trunken, – es ist ja die dritte Tagesstunde, – vielmehr ist es Dieß, was gesagt worden ist durch den Propheten Joel: Es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht der Herr: Ich werde ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und euren Greisen werden Traumerscheinungen erscheinen.“ Dieß alles sehen wir um die dritte Stunde erfüllt, wie auch die von den Propheten verkündete Ankunft des heiligen Geistes zu den Aposteln um dieselbe Zeit stattfand. Um die sechste Stunde aber ist das unbefleckte Opfer, unser Herr und Heiland, dem Vater dargebracht worden, und das Kreuz für das Heil der ganzen Welt besteigend tilgte er die Sünden des menschlichen Geschlechtes und hat entwaffnet die Fürstenthümer und Mächte und sie zur Schau gestellt, und uns alle, die wir der unbezahlbaren Schuldverschreibung anheimgefallen waren, hat er befreit, indem er dieselbe tilgte und an das Siegeszeichen seines Kreuzes heftete. Um die sechste Stunde wird ferner dem heiligen Petrus in einer Verzückung die Berufung aller Völker durch das Herablassen des vom Himmel gesandten Tuches und die Reinheit aller in demselen befindlichen Thiere durch die Stimme vom Himmel geoffenbart: „Steh‘ auf, Petrus schlachte und iß!“ Dieses an den vier Enden vom Himmel herabgelassene Tuch bezeichnet offenbar nichts Anderes als das Evangelium. Scheint es nämlich, als habe das durch die vierfache Aufzeichnung der Evangelisten unterschiedene Evangelium vier Enden, so ist es doch nur ein Ganzes: denn es berichtet gleichmäßig desselben Christus Geburt und Gottheit und enthält seine Wunder und Leiden. Schön aber nennt die heilige Schrift das Tuch nicht ein „linnenes“, sondern ein „gleichsam linnenes“. Das Linnen nämlich ist das Zeichen der Abtödtung. Weil also der Herr bei seinem Leiden nicht nach dem Gesetze der menschlichen Natur, sondern nach seinem eigenen freien Willen sich dem Tode unterzogen hat, wird es ein „gleichsam linnenes“ genannt. Denn er starb dem Fleische, nicht dem Geiste nach, weil weder seine Seele in der Unterwelt verblieb noch sein Fleisch die Verwesung schaute. Und ferner sagt er: „Niemand nimmt mein Leben weg von mir. sondern ich gebe es hin von mir selber aus. und ich habe Macht, es hinzugeben und es wieder zu nehmen.“ Auf diesem vom Himmel gesandten, d. h. vom beiligen Geiste beschriebenen Tuche der Evangelien sollen alle Völker, die einst ausser der Erfüllung des Gesetzes standen und daher für unrein galten, nach der Stimme des Herrn durch Annahme des Glaubens sich versammeln; hier sollen sie sich zu ihrem Heile von dem Götzendienste abwenden und zu der durch Petrus gereinigten gesunden Speise herankommen. Um die neunte Stunde aber stieg der Heiland in die Unterwelt hinab, verscheuchte durch den Glanz seiner Herrlichkeit die undurchdringliche Finsterniß der Vorhölle, erbrach ihre ehernen Pforten, sprengte ihre eisernen Riegel und nahm die Gefangenschaft der Heiligen, welche ohne Erbarmen in der Finsterniß der Unterwelt eingeschlossen gehalten wurden, nun zu ihrem Heile gefangen und führte sie mit sich zum Himmel empor. Hier nahm er das flammende Schwert hinweg und setzte den ehemaligen Bewohner des Paradieses zu Gottes Preis und Ehre wieder in dasselbe ein. Zu derselben Stunde verharrte der Hauptmann Kornelius mit gewohnter Andacht im Gebete und erkannte aus den Worten des Engels, der mit ihm redete, daß seine Gebete und Almosen emporgestiegen waren zu einem Gedächtnisse vor Gott. Um die neunte Stunde wird ihm das Geheimniß der Berufung der Heiden enthüllt, das dem Petrus in der Verzückung um die sechste Munde geoffenbart worden war. An einer andern Stelle der Apostelgeschichte wird bezüglich derselben Zeit berichtet: „Petrus aber und Johannes gingen hinauf zum Tempel um die neunte Stunde des Gebetes.“ Hieraus erhellt klar, daß nicht mit Unrecht von heiligen und apostolischen Männern diese Stunden dem beiligen Dienste geweiht wurden und daher auch von uns in gleicher Weise eingehalten werden müssen. Denn wenn wir nicht wie durch ein Gesetz dazu verpflichtet werden, diesen frommen Dienst wenigstens zur bestimmten Zeit zu verrichten, so bringen wir, von Trägheit, Vergessenheit oder Beschäftigungen in Anspruch genommen, den ganzen Tag hin ohne ein Gebet hier und da eingefügt zu haben. Doch was soll ich von dem Abendopfer noch reden, dessen ununterbrochene Darbringung schon im alten Testamente durch das mosaische Gesetz angeordnet wird? Denn daß Morgen- und Abend-Opfer, wenn auch nur mit vorbildlichen Opferthieren, alle Tage im Tempel dargebracht wurden, läßt sich schon aus dem Worte Davids beweisen: „Es schwinge mein Gebet sich auf, gleich Rauchwerk, zu dir, meiner Hände Erbeben sei wie ein Abendopfer!“ Bei jener Stelle kann man in heiligerer Auffassung auch an jenes wahre Abendopfer denken, das entweder am Vorabend vom Herrn und Erlöser den Jüngern beim Abendmahle hingegeben wird und so die Hochheiligen Geheimnisse der Kirche beginnt, oder an jenes Opfer, in welchem der Heiland am folgenden Tage und zwar am Schlusse der Tageszeiten, durch die Erhebung seiner Hände als Abendopfer für das Heil der ganzen Welt sich dem Vater dargebracht hat. Dieses Ausstrecken seiner Hände am Kreuze wird so recht eigentlich „Erhöhung“ genannt. Denn uns alle, du wir der Hölle verfallen waren, erhob er zum Himmel nach dem Worte seiner Verbeissung: „Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, will ich Alles zu mir ziehen.“ Ueber die Feier der Matutin (Laudes) aber belehrt uns jene Stelle, die wir täglich in derselben zu singen pflegen: „Gott, mein Gott, zu dir erwache ich am frühen Morgen“ und: „Am Morgen noch ist mein Sinnen in dir“ und: „Ich komme früh am Morgen und rufe“ und ferner: „Früh richten sich meine Augen auf dich vor der Dämmerung, um zu betrachten über deine Aussprüche.“ – Um diese Stunden hat auch der Hausvater im Evangelium die Arbeiter für seinen Weinberg gedungen. Denn es heißt auch von ihm daß er zuerst am Morgen gedungen habe, welche Zeit unsere Matutin bezeichnet, dann um die dritte, hierauf um die sechste, darnach um die neunte, zuletzt um die eilfte Stunde, womit die Abendstunde gemeint ist.

 

Die Matutin, welche wir Prim nennen, ist nicht durch alte Ueberlieferung eingeführt, sondern zu unserer Zeit hinzugekommen.

Indessen muß man wissen, daß die Matutin, welche jetzt auch sogar in den meisten abendländischen Provinzen gefeiert wird, als canonische Verrichtung erst zu unserer Zeit und zuerst in unserem Kloster (zu Bethlehem) eingeführt wurde, wo unser Herr Jesus Christus, aus der Jungfrau geboren, dem Wachsthum eines menschlichen Kindes zu unterziehen sich würdigte und auch unsere in der Frömmigkeit [S. 50] noch zarte und saugende Kindheit durch seine Gnade befestigte. Wir finden nämlich, daß die Feier der Matutin (welche in den gallischen Klöstern kurze Zeit nach Vollendung der nächtlichen Psalmen und Gebete gehalten zu werden pflegt) bis zu jener Zeit (im Kloster zu Bethlehem) zugleich mit den täglichen Vigilien (Nocturnen) vollendet wurde, und daß die übrigen Stunden von unseren Vorfahren für die Ruhe bestimmt waren. Da jedoch die Nachlässigeren diese Nachsicht mißbrauchten und die Frist zum schlafen zu weit ausdehnten, weil ja vor der dritten Stunde (Terz) keinerlei Zusammenkunft stattfand und sie nöthigte, ihre Zellen zu verlassen und von ihren Lagerstätten sich zu erheben, und da sie dann zum Nachtheil für die (Tages-) Arbeit auch unter Tags, wo man verschiedenen Geschäften sich hingeben soll, in Folge des übermäßigen Schlafes als erschlafft sich erwiesen, zumal an jenen Tagen, an welchen den vom Abend (Vesper) bis zum Nahen des Morgenrothes (Laudes) Nachtwache (Nocturnen) eine gar lästige Ermattung zu erwachsen pflegt: so wurde dortselbst (in Bethlehem), nachdem einige geisteseifrige Brüder, welchen solche Nachlässigkeit sehr mißfiel, an die Oberen Klage gebracht halten, von diesen nach langer Erörterung und reiflicher Ueberlegung Folgendes beschloßen: Bis Sonnenaufgang, wo man schon ohne Anstand die Lesung halten oder eine Handarbeit vornehmen könne, solle dem müden Leibe Ruhe gegönnt, hierauf, um dieser religiösen Uebung nachzukommen, sollen die Mönche geweckt werden und alle zusammen aufstehen; nun sollten drei Psalmen und Gebete gesprochen werden nach der bei der Feier der Terz, Sext und Non üblichen Weise; hierauf solle man mit dem Schlafe ein Ende und mit der Arbeit in rechtem und billigem Maße einen Anfang machen. Scheint man auf diese Anordnung auch nur aus Zufall gekommen zu sein und sie in jüngster Zeit aus dem erwähnten Grunde getroffen zu haben; so ergänzt sie doch jene Zahl, die der selige David angibt. — abgesehen davon, daß sie auch eine geistige Beziehung zuläßt, — dem Buchstaben nach ganz deutlich: „Siebenmal am Tage sage ich dir Lob wegen der Gerichte deiner Gerechtigkeit.“ Kommt nämlich noch dieses feierliche Gebet hinzu, so halten wir siebenmal ohne Zweifel am Tage diese feierlichen Versammlungen, und es bestätigt sich, daß wir siebenmal an demselben dem Herrn Lob singen. Obgleich übrigens dieser Gebrauch ursprünglich aus dem Morgenland stammt und zu sehr großem Nutzen bis hierhin verbreitet wurde; so scheint er doch bis jetzt in einigen der ältesten Klöster des Orients, die durchaus lein Abgehen von den Regeln der Väter dulden, gar keinen Eingang gefunden zu haben.

Nach der Matutin (Prim) darf man nicht wieder schlafen gehen.

Manche, die nicht wissen, warum diese Gebetsfeier angeordnet wurde oder in unserem Lande in’s Leben trat, begaben sich nach Abbetung der Matutin wieder zur Ruhe und kommen somit dennoch in jenen Fall, zu dessen Verhütung dieses Gebet von unseren Oberen eingeführt wurde. Denn sie verrichten dasselbe schon um jene Stunde, in welcher den Nachläßigeren und weniger Besorgten wieder Gelegenheit zum Schlafen gegeben ist. Dieß darf durchaus nicht geschehen, wie wir im vorigen Buche ausführlicher nachgewiesen haben, in welchem wir die Gebetsversammlungen der ägyptischen Mönche beschrieben. Denn in diesem Falle laufen wir Gefahr, die durch demüthiges Bekenntniß und vor Tag verrichteten Gebete erlangte Reinheit durch eine gewisse sich einstellende Fülle der natürlichen Flüssigkeit zu beflecken oder durch Vorspiegelungen des bösen Feindes zu verlieren. Und selbst wenn die hierauf eintretende Ruhe von einem reinen und einfachen Schlafe begleitet ist, so kann sie doch das Feuer unseres Geistes dämpfen und uns, die wir durch die Erschlaffung des Schlafes lau geworden sind, alsdann den ganzen Tag hindurch unthätig und träge dahinschleppen. Damit Dieß den ägyptischen Mönchen nicht begegne, so dehnen sie, da sie zu gewissen Zeiten schon vor dem Hahnenrufe aufzustehen pflegen, nachdem die vorgeschriebene Gebetsversammlung (Officium nocturnum) geschlossen ist, die Nachtwachen bis zum Tagesanbruche aus. So trifft sie der kommende Tag in dieser Glut des Geistes an und erhält sie den ganzen Tag hindurch eifriger und sorgfältiger; denn er überkommt dieselben vorbereitet zum Streite und zum täglichen Kampfe gegen den Teufel durch die Uebung der Nachtwachen und die geistliche Betrachtung gestärkt.

Durch Einführung der Matutin (Prim) wurde von den Obern Nichts an der alten Ordnung des Psalmengebetes geändert.

Auch Das dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß unsere Oberen, welche eben diese Matutin dem Gebete glaubten hinzufügen zu müssen, an dem alten Brauch des Psalmengebetes Nichts geändert, sondern in derselben Ordnung wie früher in den nächtlichen Versammlungen stets die Feier des Gebetes abgehalten haben. Denn die Lobpsalmen, welche sie in diesem Lande zu der Matutin (=Laudes) ausgewählt haben, singt man äbnlich auch heute noch am Schlusse der Nachtwachen, die man nach dem Hahnenruf vor Anbruch der Morgenröthe zu schließen pflegt. Diese Gesänge sind folgende: der 148. Psalm, der mit den Worten beginnt: „Lobet den Herrn vom Himmel her“, und die folgenden; der 50. Psalm aber, der 62. und der 89. sind, wie wir wissen, für diese neue Andacht (Prim) bestimmt. Endlich wird in Italien noch heute nach Absingung der Psalmen der Matutin der 50. Psalm in allen Kirchen gesungen, was ohne Zweifel sich aus dieser Veränderung herleitet.

Wer zum Gebet am Tage vor Schluß des ersten Psalmes nicht erschienen ist, darf das Oratorium nicht mehr betreten; bei dem Nachtgebet aber wird eine Verspätung bis zum Schlusse des zweiten Psalmes noch verziehen.

Wer in der Terz, Sext oder Non vor Schluß des begonnenen Psalmes nicht zum Gebete erschienen ist, wagt das Oratorium nicht mehr zu betreten noch sich zu den Singenden zu gesellen, sondern wartet vor der Thüre die Entlassung der Versammlung ab, um von allen Herauskommenden durch fußfällige Buße Verzeihung seiner Nachläßigkeit und Langsamkeit zu erlangen. Denn er weiß, daß er auf gar keine andere Weise die Schuld seiner Trägheit sühnen, aber auch nicht einmal zu der drei Stunden darauf erfolgenden Andacht zugelassen werden kann, wenn er nicht für die gegenwärtige Nachlässigkeit durch wahre Demuth eifrige Genugthuung zu leisten sich beeilt. Bei den nächtlichen Versammlungen wird dem Säumigen eine Frist bis zum zweiten Psalme gewährt; jedoch muß er vor dem Beginne der unmüttelbar auf diesen Psalm folgenden Oration sich der Versammlung eiligst anschließen und beigesellen. Wenn er aber über die festgesetzte Frist nur ein wenig zu spät kommt, so muß er zweifelsohne dem erwähnten Tadel und der genannten Buße sich unterziehen.

In welche Zeit die mit Samstag Abend beginnenden Nachtwachen fallen, und in welcher Ordnung dieselben gehalten werden.

Was indessen die Nachtwachen betrifft, die jede Woche mit Anbruch des Samstag-Abendes gehalten werden, so dehnen die Vorstcher in den Klöstern zur Winterzeit, wann die Nächte länger sind, dieselben nur bis zum vierten Hahnenrufe aus; und zwar geschieht Dieß, damit die welche die ganze Nacht über gewacht, doch noch die übrigen zwei Stunden ihren Körper kräftigen können und mit dieser kurzen Ruhe statt des Schlummers der ganzen Nachl sich begnügend nicht den ganzen Tag über von Schlaftrunkenheit ermattet [S. 54] seien. Diesen Brauch sollten auch wir mit aller Gewissenbaftigkeit beobachten und uns begnügen mit dem Schlafe, der uns nach dem Verlaufe der Nachtwachen bis zum Anbruche des Tages d. h. bis zu den Psalmen der Matutin (Prim) gestattet ist, und hierauf den Tag in der Verrichtung unserer Arbeiten und Dienstleistungen verbringen; denn sonst möchte die Ermüdung in Folge der Nachtwachen und unsere Schwachheit uns verleiten, den Schlaf, den wir der Nacht entzogen, während des Tages wieder zu beanspruchen, und es könnte den Anschein haben, als ob wir nicht so sehr dem Körper Ruhe entzogen als die Zeit der Ruhe und nächtlichen Erquickung nur vertauscht hätten. Denn unmöglich kann das gebrechliche Fleisch so der ganzen Nachtruhe entbehren, daß es den ganzen folgenden Tag ohne Schläfrigkeit und geistige Erschlaffung in unerschütterlicher Wachsamkeit sich aufrecht erhalten kann. Die Körperträfte werden eher dadurch geschädigt als gefördert werden, wenn der Leib nicht nach Beendigung der Nachtwachen nicht wenigstens etwas Schlaf genießt. Und wenn deßbalb wenigstens ein einstündiger Schlaf, wie schon erwähnt wurde, vor Tagesanbruch gestattet wird, so werden wir, die wir die Nacht im Gebete zugebracht, von allen Stunden der Nachtwachen Gewinn haben. Auf diese Weise geben wir der Natur, was ihr zukommt, und haben nicht nothwendig, das am Tage wieder zu beanspruchen, was wir der Nacht entzogen haben. Denn Alles wird Jeder diesem Fleische zurückgeben, der ihm nicht vernünftiger Weise einen Theil zu entziehen, sondern, das Ganze zu versagen sucht, der, besser gesagt, nicht das Überflüssige, sondern das Nothwendige wegschneiden will. Deßhalb muß man mit großem Schaden die Nachtwachen entgelten, wenn man sie ohne vernünftige Ueberlegung bis zum Tagesanbruch übermäßig ausdehnt. Ferner gibt man deßwegen den Nachtwachen eine Abwechslung durch die Dreiteilung des Gebetsdienstes, damit die Anstrengung durch diesen Wechsel gleichsam getheilt und so durch eine gewisse Annehmlichkeit die körperliche Erfchöpfung beseitigt wird. Haben nämlich die Brüder die drei Antiphonen stehend gesungen, so respondiren sie alsdann, auf dem Boden oder ganz niedrigen Sitzbänken sitzend, während einer (versweise) vorsingt, drei Psalmen, welche einzeln von den einzelnen Brüdern in wechselnder Abfolge der andern dargeboten (vorgesungen) werden; und an diese reihen sie in derselben ruhenden Lage drei Lektionen. So vermindern sie die körperliche Anstrengung und führen ihre Nachtwachen mit größerer Aufmerksamkeit aus.

Warum wurden für den Samstag Vigilien verordnet, und warum tritt im Orient die Befreiung vom Fasten schon am Samstag ein?

Von der Zeit der apostolischen Predigt an, als die christliche Religion gestiftet wurde, verordnete man im ganzen Orient die Feier von Vigilien von Freitag Abend an; und zwar geschah Dieß aus dem Grunde, weil nach der Kreuzigung unfers Herrn und Heilandes am sechsten Tage der Woche die über dessen kaum geendigtes Leiden tiefbetrübten Jünger die ganze Nacht wachend ausharrten, ohne ihren Augen irgend welchen Schlaf zu gönnen. Deßhalb wird von dieser Zeit an die für diese Nacht angeordnete Feier der Vigilien bis auf den heutigen Tag im ganzen Orient gleichmäßig beobachtet. Und daher wurde ebenfalls von Männern, die zur Zeit der Apostel lebten, nach den anstrengenden Vigilien für den Samstag die Unterlassung des Fastens verordnet. Nicht mit Unrecht hält man sich an diese Sitte in allen Kirchen des Orients und glaubt sich auch nach einem Ausspruche des Ekllesiastes dazu berechtigt, der zwar noch einen mystischen Sinn hat, jedoch auch den Sinn nicht ausschließt, nach welchem uns geboten wird, beiden Tagen, dem siebenten sowohl wie dem achten, den gleichen Antheil zu widmen. Er sagt nämlich: „Gib Antheil an Sieben, wohl auch an Achten!“ Es kann nämlich dieses Aussetzen des Fastens doch nicht auf die Gemeinschaft mit dem Festtage der Juden bezogen werden, als ob die Christen gleich den Juden den Sabbath feierten; am wenigsten konnte Dieß von Jenen geschehen, die sich jeglichem jüdischen Aberglauben unzugänglich zeigen. Nein, das Fasten wird nur ausgesetzt aus Rücksicht auf die erwähnte Erholung des ermüdeten Leibes, der leicht müde und erschöpft würde, wenn er jede Woche des ganzen Jahres fünf Tage fasten und dazwischen nicht wenigstens an zwei Tagen sich erquicken würde.

Ursprung der Samstagsfasten in der Stadt Rom.

Unbekannt mit dem Grund dieser Milderung glauben Manche in einigen abendländischen Städten und besonders in der Stadt Rom, man dürfe deßbalb das Einstellen des Fastens am Samstage nicht gebieten, weil, wie sie sagen, der Apostel Petrus gerade an diesem Tage vor feinem Streite mit Simon (Magus) gefastet habe. Hieraus erhellt noch deutlicher, daß er Dieß nicht nach der herkömmlichen Gewöhnheit, sondern vielmehr gezwungen durch den gegenwärtigen Streit gethan habe. Es scheint nämlich auch hier Petrus eben für diese Angelegenheit seine Jünger nicht zu einem allgemeinen, sondern zu einem besonderen Fasten Eingeladen zu haben. Dieß hätte er sicher nicht gethan, wenn er gewußt hätte, daß man nach herkömmlicher Gewohnheit das Fasten zu beobachten pflege. Ja, ohne Zweifel wäre er bereit gewesen, auch am Sonntage dazu aufzufordern, wenn die Gelegenheit eines Kampfes ihn gedrängt hätte. Keineswegs aber brauchte diese Aufforderung als eine bindende Fastenregel verkündet zu werden; denn nicht ein allgemein beobachteter Brauch hatte sie festgestellt, fondern das Gebot der Noth für einmal dringend gefordert.

Worin unterscheidet sich die Feier des Sonntags von der Lebensweise an den übrigen Tagen?

Auch darüber darf man nicht in Unwissenheit bleiben, daß am Sonntage nur eine gottesdienstliche Versammlung vor der Mahlzeit gehalten wird, in welcher die Mönche die Psalmen, Orationen und Lektionen aus Ehrfurcht vor der sonntäglichen Versammlung oder Kommunion mit größerer Feierlichkeit und Bereitwilligkeit beten und hierin auch Terz und Sext sich persolvirt denken. Auf diefe Weise wird Nichts an dem pflichtschuldigen Gebet abgekürzt, weil nämlich noch Lektionen beigefügt werden. Trotzdem zeigt sich hier scheinbar ein Unterschied und wird den Brüdern aus Ehrfurcht gegen die Auferstehung des Herrn im Vergleich zu der übrigen Zeit eine Erleichterung gewährt, welche ein Doppeltes bezweckt: einmal mildert sie die Strenge der ganzen Woche und dann veranlaßt die mit ihr verbundene Abwechslung die Mönche, diesen Tag als einen Festtag wieder in einer gehobeneren Stimmung zu erwarten, und läßt sie durch die Erwartung dieses Tages die Fasten der kommenden Woche weniger fühlen. Denn immer erträgt man mit größerem Gleichmuth jegliche Ermüdung und verwendet unverdrossene Anstrengung auf ein Werk, wenn zuweilen eine gewisse Abwechslung oder irgend welche Veränderung in der Arbeit darauf folgt.

Regeln bezüglich des Tifchgebetes.

An eben diesen Tagen, d. h. am Samstag und Sonntag oder den Festtagen, an welchen den Brüdern Mittags- sowohl wie Abendessen gereicht wird, wird am Abende der Psalm nicht gebetet, d. h. weder vor noch nach der Abendmahlzeit, während es bei festlicher Mittagsmahlzeit und bei der kanonischen Erfrischung an Fasttagen geschieht, welcher gewohnheitsgemäß Psalmen vorausgehen und folgen. Vielmehr setzt man sich nach einem einfachen Gebet zur Abend-Mahlzeit und beschließt dieselbe bloß mit einem Gebete. Denn diese Mahlzeit gilt bei den Mönchen für eine aussergewohnliche; auch sind nicht alle zur Tbeilnahme an derselben verpflichtet; nur fremde Brüder, die gerade kommen, oder solche, die eine leibliche Krankheit oder der eigene Wille dazu einladet, nehmen daran Theil.

Viertes Buch: Regeln für die Novizen.

Einleitung.

Von der also geregelten Gebetsweise, wie sie bei den täglichen Versammlungen in den Klöstern beobachtet werden muß, gehen wir in der durch die Form der Erzählung uns gebotenen Ordnung zur Belehrung Derjenigen über, welche dieser Welt entsagt haben. Dabei werden wir bemüht sein, in gedrängter Kürze die Bedingungen anzugeben, unter denen Jene, die sich zum Herrn bekehren wollen, in das Kloster aufgenommen werden. Zu diesem Zwecke werden wir Einiges aus der Regel der ägyptischen und Einiges aus der Regel der tabenensischen Mönche anführen. Diese letzteren haben ein Kloster in der Thebais, in welchem ein um so strengerer Wandel geführt wird, je bevölkerter dasselbe ist. Es stehen nämlich dort über fünftausend Brüder unter der Leitung eines Abtes. Diese so große Anzahl von Mönchen unterwirft sich zu jeder Zeit dem Oberen mit einem solchen Gehorsam, wie ihn bei uns nur für kurze Zeit weder ein Untergebener einem Vorgesetzten zu leisten noch ein Vorgesetzter durchzuführen vermag.

Von der bis zum höchsten Alter andauernden Beharrlichkeit in den Klöstern.

Vor Allem glauben wir kurz berühren zu müssen, wie bei diesen Mönchen eine so stete Beharrlichkeit. Demuth und Unterwürfigkeit, die ihnen das Ausharren im Kloster bis zum gebeugten Greisenalter ermöglicht, so lange andauern kann, sowie durch welches Verfahren sie zu derselben angeleitet werden. Sie (die Demuth. Unterwürfigkeit) sind so groß, daß, soweit unsere Erinnerung zurückreicht, Niemand nach dem Eintritt in unsere Klöster auch nur ein ganzes Jahr sie festgehalten hätte, daß man aber auch nur die Anfänge solcher Selbstverleugnung wahrzunehmen braucht, um daraus schließen zu können, daß über dem Fundamente eines solchen Anfanges das Gebäude der Vollkommenheit bis zur höchsten Spitze sich erheben würde.

Von der Prüfung der Aufzunehmenden.

Wer in die klösterliche Genossenschaft aufgenommen zu werden verlangt, wird nicht eher ganz zugelassen, als bis er zehn Tage lang oder noch länger an der Pforte stehend eine Probe seiner Beharrlichkeit und seines Verlangens, sowie seiner Demuth und Geduld abgelegt hat. Und wenn er alle vorübergehenden Brüder auf den Knieen angefleht, von allen aber nur absichtlich Zurückweisung und Verachtung erfahren hat. gleichsam als ob er nicht um ein gottgeweihtes Leben zu führen, sondern um der Noth zu entgehen, in das Kloster einzutreten wünschte, wenn er überdies viele Beleidigungen und Schmähungen erlitten und so Proben seiner Standhaftigkeit und seines künftigen Verhaltens bei Versuchungen durch das willige Ertragen von Schmähungen an den Tag gelegt hat; so wird er, weil man sich von seinem glühenden Eifer hinlänglich überzeugt hat, aufgenommen und alsdann mit peinlicher Sorgfalt befragt, ob ihm von seinem früheren Vermögen auch nicht ein Heller mehr anklebe. Denn man weiß, daß der nicht lange im Ordensstande verbleiben kann, geschweige denn die Tugend der Demuth oder des Gehorsams erringen und mit der klösterlichen Armuth und Einschränkung zufrieden sein werde, in dessen Gewissen eine, wenn auch noch so kleine Geldsumme versteckt ist. Vielmehr wird er, wenn bei irgend einem Anlasse, sich eine Leidenschaft regt, voll Vertrauen auf jene Kleinigkeit aus dem Kloster wie ein Stein aus einer geschwungenen Schleuder entfliehen.

Warum das Vermögen der Novizen nicht zum Nutzen des Klosters verwendet wird.

Die Mönche wagen nicht einmal zum Nutzen des Klosters von den Eintretenden Geld anzunehmen, und zwar aus folgenden Gründen: erstens, damit ein Solcher, voll stolzen Vertrauens auf seine Schenkung, es nicht ganz unter seiner Würde halte, sich den ärmeren Brüdern gleich zu stellen; zweitens will man dadurch verhüten, daß derselbe, der ob einer solchen Ueberhebung zur Demuth Christi sich nicht herabzulassen vermag, in der klösterlichen Zucht nicht ausharre, sondern später austrete und, lau geworden, das, was er im Anfang seiner Bekehrung aus Eifer hereingebracht batte, später nicht ohne Urrecht gegen das Kloster mit sakrilegischer Gesinnung zurückzufordern oder gar zu erzwingen sich erkühne. Wie nothwendig die allseitige Beobachtung dieser Regel sei, wissen die Brüder hinlänglich aus eigener Erfahrung. Denn Einige, die in anderen minder vorsichtigen Klöstern ohne irgend einen Anstand aufgenommen wurden, haben mit entsetzlicher Gotteslästerung die Rückerstattung der von ihnen gebrachten und zum Dienste Gottes verwendeten Gaben zu fordern gewagt.

Warum die Novizen nach ihrem Eintritte in’s Kloster ihre Kleider ablegen und vom Abte ihnen andere angelegt werden.

Nach der Aufnahme wird jeder Novize seiner ganzen ehemaligen Habe entblößt und ihm selbst der Besitz des Kleides, das er trägt, fernerhin nicht gestattet, fondern, mitten unter die versammelten Brüder geführt, zieht er seine Kleider aus und empfängt aus den Händen des Abtes die Ordenskleidung. Dieser Akt soll ihm zum Bewußtsein bringen, daß er Allem, was ihm in seinem seitherigen Leben theuer war, entsagt und frei von allem weltlichen Hochmuthe zu Christi Armuth und Niedrigkeit sich erniedrigt habe, daß er von nun an nicht in den durch Weltklugheit erworbenen und ehedem aus Mangel an gläubigem Vertrauen zurückgelegten Reichthümern seinen Unterhalt suchen solle, sondern von den frommen und milden Gaben deS Klosters den Sold für seinen Kriegsdienst empfangen werde. Er soll inne werden, daß er nur von diesen Gaben in Zukunft sich kleiden und nähren müsse, ohne etwas Anderes noch zu besitzen. Und dennoch soll er nach dem Worte des Evangeliums lernen, unbesorgt zu sein um den folgenden Tag; und nicht soll er sich schämen, den Armen d. h. allen Brüdern insgesammt sich gleichzustellen, denen zugezählt zu werden und deren Bruder sich zu nennen Christus sich nicht schämte: ja, er soll sich sogar rühmen, ein Mitglied der Familie Christi geworden zu sein.

Warum die Kleider der Novizen, mit denen sie in das Kloster eingetreten sind, von dem Hausmeister aufbewahrt werden.

Jene Kleider aber, die der Novize ablegt, werden vom Oekonomen aufgezeichnet und so lange aufbewahrt, bis man bei ihm Fortschritt in der Tugend sowohl aus seinem Wandel als auch aus der geduldigen Ertragung der verschiedenen Versuchungen und Prüfungen unzweideutig erkennt. Sieht man nun, daß der Novize in der Zukunft auszuhalten vermag und bei dem Eifer, mit dem er begonnen, stehen bleibt, so werden die Kleider an die Armen verschenkt. Wenn man aber bemerkt, daß sich bei ihm irgend eine Unzufriedenheit zeigt oder auch nur ein unbedeutender Fehler gegen den Gehorsam um sich gegriffen hat, so zieht man ihm das Ordenskleid, das er trägt, aus, bekleidet ihn mit seinen alten eigens hiezu aufbewahrten Kleidern und schickt ihn fort. Keiner nämlich darf mit den vom Kloster empfangenen Kleidern weggehen, noch darf sie Einer tragen, der einmal offenkundig aus Lauheit die Ordensregel verletzt hat. Daher wird auch durchaus Niemandem gestattet, heimlich sich zu entfernen, ausser wenn er, wie ein flüchtiger Sklave in des Waldes Dickicht eilend, entflieht. Sonst soll er ohne Gnade in der angegebenen Weise des Ordenslebens für unwürdig erklärt, mit Schimpf und Schande in Gegenwart aller Brüder ihm das Ordenskleid ausgezogen und er ausgewiesen werden.

Den Novizen wird nicht sofort der Verkehr mit den Brüdern gestattet, sondern sie nehmen zuvor ihren Aufenthalt in der Herberge.

Ist nun Einer aufgenommen und in der mehrfach erwähnten Beharrlichkeit erprobt, hat er seine weltlichen Kleider abgelegt und das Ordenskleid empfangen, so darf er nicht sofort sich den Brüdern beigesellen, sondern wird unter die Aufsicht eines älteren Bruders gestellt. Dieser hat, getrennt von den Uebrigen, in der Nähe des Klostervorhofes seine Wohnung; ihm ist die Sorge für die Fremden und Reisenden übertragen, denen er mit aller Sorgfalt eine freundliche Aufnahme und liebevolle Pflege angedeihen läßt. Wenn hier der Novize ein ganzes Jahr ohne jegliche Klage dem Dienste der Fremden sich gewidmet und so die erste Schule der Demuth durchgemacht und durch diefe lange Uebung einen Vorgeschmack von dem Orbensleben erhalten hat, so darf er diesen Aufenthalt verlassen und in der Gesellschaft der Brüder leben. Nun wird er der Leitung eines anderen älteren Bruders unterstellt. Dieser ist über zehn Novizen gesetzt, die der Abt ihm anvertraut hat, und die er unterweist und leitet gemäß jener von Moses im Exodus getroffenen Anordnung.

Erste Übungen der Novizen zur Besiegung aller bösen Begierden.

Dieser ältere Bruder hat nun die Pflicht, den jungen eben eingeführten Novizen hauptsächlich darüber zu belehren, wie er seinen Eigenwillen vollständig besiegen kann. Denn dieser Sieg allein befähigt ihn, von Stufe zu Stufe bis zum höchsten Gipfel der Vollkommenheit emporzuklimmen. Bei dieser eifrigen und sorgfältigen Uebung wird der Novizenmeister seinem Schüler absichtlich immer Solches zu befehlen bemüht sein, was nach seiner Beobachtung dessen Sinnesart nicht zusagt. Denn im Besitze einer reichen Erfahrung halten die Brüder an dem Grundsatze fest, daß die Mönche, zumal die jüngeren, die Lust ihrer bösen Begierlichkeit nicht zu zügeln im Stande sind, wenn sie nicht zuvor ihren Eigenwillen durch Gehorsam abzulegen gelernt haben. Daher ist es ihre ausgesprochene Überzeugung, daß man unmöglich den Zorn oder die Traurigkeit oder den Geist der Unreinigkeit unterdrücken, geschweige denn eine wahre Demuth des Herzens, stete brüderliche Einigkeit und eine feste und dauernde Eintracht bewahren oder auch nur länger im Kloster verbleiben könne, wenn man nicht zuvor seinen Eigenwillen zu überwinden gelernt habe.

Die Novizen dürfen ihrem Vorsteher keinen ihrer Gedanken vorenthalten.

Vermittelst dieser Anordnungen ist man bestrebt, gleichsam von Buchstabe zu Buchstabe und von Silbe zu Silbe die Novizen in der Vollkommenheit zu unterweisen und zu derselben heranzubilden. Denn so kann man leicht unterscheiden, ob dieselben in einer falschen und eingebildeten oder wahren Demuth begründet sind. Um leichter zu diesem Ziele gelangen zu können, leitet man sie allmälig an, durchaus keinen Gedanken, der ihr Herz beunruhigt, aus verderblicher falscher Scham zu verheimlichen, sondern, sobald ein solcher aufsteigt, ihn sofort dem Oberen zu offenbaren. Das Urtheil, über einen solchen Gedanken aber sollen sie nicht dem eigenen Ermessen anheimstellen, sondern das für gut und bös halten, was der Obere nach sorgfältiger Prüfung als solches erkannt und erklärt hat. Auf diese Weise gelingt es der Schlauheit des bösen Feindes niemals, den Jüngling wie einen Unerfahrenen und Unwissenden zu umstricken. Denn schon im Voraus sieht er ihn nicht durch seine, sondern des Vorstehers Klugheit gewappnet, sieht seinen teuflischen Rath, alle Einflüsterungen, die er brennenden Pfeilen gleich in des Jünglings Herz schleudert, seinen Oberen zu verheimlichen, vereitelt. Nur dann, wenn es dem schlauen Satan gelingt, den Novizen entweder aus Stolz oder aus Scham zum Verschweigen seiner Gedanken zu verlocken, wird er ihn zu täuschen und zum Falle zu bringen vermögen. Man hält es nämlich für ein allgemeines und unzweideutiges Zeichen eines vom Teufel eingegebenen Gedankens, wenn man ihn dem Vorsteher zu entdecken sich schämt.

Großer Gehorsam der Novizen auch bezüglich der natürlichen Bedürfnisse.

Ferner wird mit solcher Strenge die Regel des Gehorsams eingehalten, daß die Novizen ohne Wissen und Willen des Vorgesetzten nicht nur nicht ihre Zellen zu verlassen,sondern nicht einmal dem. was allgemein und von Natur nothwendig ist, ohne seine Erlaubniß zu genügen wagen. Alle Befehle der Oberen sehen sie fast an als von Gott gegeben und beeilen sich, dieselben ohne alle Erörterung zu vollziehen. Nicht selten nehmen sie sogar unmöglich auszuführende Befehle mit einem so demüthigen Vertrauen bin, daß sie aus allen Kräften und ohne jegliches innere Widerstreben dieselben zu verrichten bestrebt sind. Ja nicht einmal über die Unausführbarkeit des Befohlenen denken sie nach: so groß ist ihre Ehrfurcht vor ihrem Oberen. Ich unterlasse es, jetzt über den Gehorsam der Novizen im Einzelnen zu reden; denn nach der von mir getroffenen Eintheilung des Stoffes werde ich bald am betreffenden Orte ihn mit Beispielen beleuchten, wenn Gott mir auf euer Gebet Leben und Gesundheit schenkt. Jetzt will ich. wie in der Vorrede ich es versprochen habe, über die übrigen Anordnungen berichten und dabei das weglassen, was in unserm Lande den Klöstern nicht zugemuthet und von ihnen nicht beobachtet weiden kann. z. B. daß sie keine wollene, sondern linnene Gewänder und diese nicht doppelt tragen, daß jeder Dekan seiner Dekanie Kleider zum Umkleiden besorgt, sobald er merkt, daß die von den Mönchen getragenen schmutzig geworden sind.

Die kostbarste Speise der Mönche.

Ebenso übergebe ich nebst vielem Andern auch ihre ungemein strenge und großartige Enthaltsamkeit, bei welcher man es für den größten Leckerbissen hält, wenn ein mit Salz gewürztes und im Wasser erweichtes Kraut, Lapsanium genannt, den Brüdern vorgesetzt wird. Solches läßt in unserem Lande weder die klimatische Beschaffenheit noch unser schwacher Körperbau zu. Nur das will ich anführen, was keine Schwäche des Fleisches, keine ungünstige Ortsbeschaffenheit hindern kann, wenn nicht die Schwäche der Seele und die Lauheit des Geistes es verbietet.

Auf das Klopfen an die Thüre unterlassen die Mönche jegliche Arbeit und treten schnell zu dem Ankommenden hin.

Wenn die Mönche, in ihren Zellen gleichmäßig eifrig mit Arbeit und Betrachtung beschäftigt, das Klopfen an die Thüre und an die verschiedenen Zellen vernehmen, um zum Gebet oder zur Arbeit gerufen zu werden, so eilt um die Wette Jeder aus seiner Zelle. Ja, ist Jemand mit Abschreiben beschäftigt, so wagt er nicht den Buchstaben zu vollenden, über dessen Anfang man ihn traf, sondern in demselben Augenblicke, in welchem das Klopfen sein Ohr erreichte, springt er mit der größten Behendigkeit auf und säumt nicht einmal so lange, um den begonnenen Punkt zu vollenden, sondern läßt die angefangenen Schriftzüge unvollendet. Denn nicht so sehr ist es der Gewinn und Vortheil seiner Arbeit, worauf er bedacht ist, als die Tugend des Gehorsams, die er mit allem Eifer zu üben bestrebt ist. Diese Tugend ziehen die Mönche nicht nur der Handarbeit oder Lektüre oder der ruhigen Stille der Zelle, sondern auch allen anderen Tugenden so sehr vor, daß sie derselben Alles nachsetzen zu müssen glauben und jeglichen Verlust zu erleiden sich gefallen lassen, wenn sie sich nur bewußt sind, dieses Gut in keinem Punkte verletzt zu haben.

Es gilt für ein großes Vergehen, auch nur etwas ganz Werthloses sein zu nennen.

Ich halte es für überflüssig, unter ihren übrigen Regeln jene Tugend der Armuth auch nur zu erwähnen, vermöge welcher Keiner ein Kästchen, Keiner ein besonderes Körbchen besitzen darf noch sonst etwas Dergleichen, das er wie sein Eigentbum behalten oder mit seinem Zeichen versehen dürfte. Die Brüder sind bekanntlich von Allem so entblößt, daß sie ausser dem Kolobium (Unterkleid), dem Schultertuche, den Schuhen, dem Pelzmantel und der Matraze Nichts weiter besitzen. Auch in anderen Klöstern, wo in mancher Beziehung eine minder große Strenge herrscht, sehen wir diese Regel bis zur Gegenwart mit der größten Strenge gehandhabt. Hier wagt Keiner auch nur mit einem Wort Etwas sein zu nennen, und das Wort aus eines Mönches Munde: „Mein Buch, meine Tafeln, meine Feder, mein Mantel, meine Schuhe“ ist ein großes Vergehen, für das er eine entsprechende Buße übernehmen muß, selbst wenn heimlich und ohne sein Wissen ein solches Wort seinem Munde entschlüpft ist.

Trotz des aus der Handarbeit gewonnenen Geldes wagt doch Niemand die kärgliche Genügsamkeit der Regel zu überschreiten.

Obgleich jeder Mönch aus seiner eigenen mühevollen Arbeit täglich dem Kloster solche Einkünfte zuwendet, daß es davon nicht nur die Ausgaben für den kärglichen Unterhalt der Brüder bestreiten, sondern auch den Bedürfnissen vieler Anderen reichlich abhelfen kann, so regt sich doch in Keinem die Eitelkeit, und Keiner schmeichelt sich mit dem so großen, mühevoll aus seiner Arbeit errungenen Gewinn; vielmehr beansprucht jeder nur zwei kleine Brode, die man dort für höchstens drei Denare verkauft. Bei ihnen —- ich schäme mich fast, es zu sagen, da es, wie wir nur zu gut wissen, in unsern Klöstern leider geschieht, — bei ihnen wird von Keinem eine Arbeit für eigenen Gewinn, ich will nicht sagen in Wirklichleit, sondern nicht einmal in Gedanken gesucht. — Wohl hält jeder Mönch das ganze Vermögen des Klosters für sein Eigenthum und verwendet, wie ein Eigenthümer, auf alle Dinge alle mögliche Sorgfalt; allein um die Tugend der freiwilligen Armuth zu bewahren, die er bis an sein Ende vollkommen und unverletzt zu beobachten beflissen ist, erachtet er sich selbst gegen Alles dermaßen fremd und abgeneigt, daß er wie ein fremder Bewohner dieser Welt auftritt und sich eher für einen Zögling und Diener des Klosters hält, als sich zum Herrn über irgend eine Sache aufwirft.

Über die bei uns herrschende maßlose Habsucht.

Was sollen wir Beklagenswerthe zu dieser Vollkommenheit sagen, die wir, im Kloster weilend und unter die sorgende Obhut des Abtes gestellt, dennoch besondere Schlüssel führen und, alle Ehrfurcht und Scheu vor unserm Stande mit Füßen tretend, sogar Ringe zur Verschließung geheimer Dinge ohne Scham offen an den Fingern tragen! Ja. nicht nur begnügen wir uns nicht mit Kistchen und Körbchen, sondern nicht einmal mit Kasten und Schränken, um Das aufzubewahren, was wir zusammenscharren oder beim Verlassen der Welt zurückbehalten haben. Dergestalt lassen wir uns zuweilen sogar für ganz werthlose und nichtige Gegenstände einnehmen, die wir gerade wie unsere eigenen verkaufen, daß wir gegen den, der Etwas davon auch nur mit dem Finger zu berühren wagt, von solchem Zorne entbrennen, daß wir unsere innere Aufregung nicht einmal von den Lippen und der ganzen Entrüstung verrathenden Haltung des Körpers zurückzuhalten vermögen. Doch gehen wir über unsere Fehler hinweg und schweigen wir von dem, was keiner Erwähnung werth ist gemäß dem Worte: „Nicht spreche mein Mund von den Fehlern der Menschen,“ vielmehr von den Tugenden, die bei ihnen sich finden. Fahren wir daher in der begonnenen Form der Erzählung mit Dem fort, was auch wir mit allem Eifer erstreben müssen, und führen wir nunmehr in kurzem Ueberblicke die Regeln und Grundzüge an, und gehen wir hierauf zu einigen Thaten und Werken der Vorgesetzten über, die wir gemäß unseres Vorhabens dem Gedächtnisse unserer Leser einprägen wollen. Auf diese Weise bekräftigen wir unsere Erörterungen mit den stärksten Zeugnissen; denn alles bis jetzt Gesagte erhärten wir durch Beispiele und die Gewährschaft, welche das Leben der Mönche bietet.

Regeln über die verschiedenen Zurechtweisungen.

Wenn ein Bruder ein gewisses irdenes Gefäß, ein sog. Βαυκάλιον,1 zufällig zerbricht, so kann er nur durch öffentliche Buße seine Nachlässigkeit wieder gut machen. Vor der ganzen Versammlung der Brüder zur Erde hingeworfen muß er so lange um Gnade bitten, bis das feierliche Gebet beendet ist, und diese wird ihm zu Theil, wenn nach des Abtes Ermessen ihm der Befehl zum Aufstehen gegeben wird. Auf dieselbe Weise muß Einer Genugthuung leisten, der zu einer Arbeit oder zur gewohnten Versammlung nicht eilig genug erscheint oder beim Psalmengesang nur ein wenig stottert. Dieselbe Strafe erleidet ein Mönch, wenn er eine zu weitläufige, harte oder trotzige Antwort gibt, wenn er einige Nachlässigkeit in der Beobachtung des von ihm verlangten Gehorsams zeigt, wenn er nur leise murrt, wenn er die Lesung der Handarbeit oder dem Gehorsam vorzieht und die festgesetzten Dienstleistungen zu säumig verrichtet, ferner wenn er nach Entlassung der Versammlung sich nicht eilig in seine Zelle begibt, wenn er bei einem andern Mönche nur kurze Zeit sich aufhält oder auf einen Augenblick sich irgendwohin entfernt, wenn er einen Andern bei der Hand nimmt, wenn er mit Einem, der nicht dieselbe Zelle mit ihm bewohnt, auch nur ganz wenige Worte zu sprechen wagt, wenn er mit Einem betet, der vom Gebete ausgeschlossen ist, wenn er einen seiner Verwandten oder Freunde aus der Welt her zu besuchen wünscht oder ohne seines Vorgesetzten Erlaubnis sich mit ihnen unterhält, wenn er endlich ohne Erlaubniß des Abtes von irgend Jemandem einen Brief zu empfangen oder zu beantworten sich erkühnt. So weit geht das geistliche Strafverfahren und wird in solcher Weise unter Anwendung ähnlicher Mittel gehandbabt. Die übrigen Fehler aber, die bei uns allenthalben vorkommen und von uns, freilich zu unserem gerechten Tadel, geduldet werden, nämlich offene Schimpfreden, offenkundige Verachtung, hochmüthige Gegenreden, freier, unbeschränkter Ausgang, vertrauter Verkehr mit Frauen, Zorn, Streit, Zank, Schelten, Anspruch auf Eigen-Arbeit, Verlangen nach überflüssigen Dingen, welche die übrigen Brüder nicht besitzen, und wirklicher Besitz derselben, aussergewöhnliches und heimliches Essen und ähnliche Fehler werden nicht mit der erwähnten geistigen Strafe geahndet, sondern mit körperlicher Züchtigung zu bessern versucht oder durch Ausweisung der Fehlenden gesühnt.

Ursprung der frommen Lesung bei Tisch und Beobachtung des Stillschweigens bei den ägyptischen Mönchen.

Die Sitte der Tischlektüre in den Klöstern stammt unseres Wissens nicht von den Agyptiern, sondern von den Kappadoziern. Diese Letzteren haben ohne Zweifel nicht so sehr zum Zwecke der geistlichen Uebung diese Einrichtung getroffen, als vielmehr zur Einschränkung des überflüssigen und müßten Geplauders und besonders zur Verhütung von Streitigkeiten, die beim Essen nicht selten entstehen: denn sie lebten der Überzeugung, diese Mißstände durch kein anderes Mittel verhüten zu können. Es herrscht aber bei den ägyptischen, noch mehr jedoch bei den tabenensischen Mönchen in solchem Grade allgemeines Schweigen, daß, wenn die so zahlreiche Genossenschaft vereint sich zum Mahle niedergelassen hat, ausser dem Vorsteher der Dekanie Keiner auch nur zu nicken wagt. Und wenn er bemerkt, daß Etwas auf- oder abgetragen werden muß, macht er dennoch lieber durch ein Geräusch, als mit der Stimme darauf aufmerksam. Ja eine solche Strenge wird bezüglich des Stillschweigens beim Essen beobachtet, daß die Mönche einen Schirm über die Augenlider herablassen, damit der freie Blick nicht zu neugierig herumschweifen kann. Dieser Schirm gewährt ihnen nur den Blick auf den Tisch und die auf demselben ihnen vorgesetzten und von ihnen zu genießenden Speisen, so daß Keiner bemerkt, wie und wie viel der Andere ißt.

Es ist verboten, ausser der gemeinsamen Mahlzeit Speise oder Trank zu genießen.

Vor und nach der festgefetzten Mahlzeit hütet man sich mit ängstlicher Sorgfalt, etwas Speise überhaupt zum Munde zu bringen. Wohl kommt es oft vor, daß beim Spaziergang durch den Obstgarten hier und da das verführerisch von den Bäumen herabhängende Obst sich gegen die Brust der Vorüberwandelnben kehrt und auf dem Boden herumliegend sich den Füßen zum Zertreten darbietet und so zum Sammeln reizt. So könnte es durch seinen Anblick die Mönche zur Einwilligung in die Begierlichkeit verlocken und durch die bequeme Lage und große Menge bei den noch so sehr anderweitig beschäftigten und enthaltsamen Brüdern Verlangen darnach erwecken. Allein es gilt nicht nur für einen Raub am Heiligen, Etwas davon zu kosten, sondern auch es nur mit der Hand zu berühren, ausgenommen Das, was öffentlich zur gemeinsamen Mahlzeit der Brüder verwendet wird und der Oekonom den Brüdern unter dem Gehorsam zu pflücken befiehlt.

Tägliche Dienstleistungen der Brüder in Palästina und Mesopotamien.

[S. 73] Um Nichts von den Einrichtungen der Klöster zu übergehen, glaube ich auch die täglichen Dienstleistungen der Brüder in andern Ländern erwähnen zu müssen. Nämlich in ganz Mesopotamien, Palästina, Kappadozien, kurz im ganzen Orient lösen sich die Brüder wöchentlich zur Uebernahme dieser Dienste gegenseitig ab, so daß nach der Zahl der Mönche auch die Zahl der Dienenden bestimmt wird. Diese Dienste beeilen sie sich mit solcher Ergebung und Demuth zu verrichten, wie kein Diener den grausamsten und mächtigsten Herrn bedient. Ja, nicht zufrieden mit der Verrichtung dieser nach den Regeln zu leistenden Dienste stehen sie sogar Nachts auf, um Jenen, denen die Besorgung desselben eigens obliegt, durch ihre eifrige Hilfe eine Erleichterung zu gewähren. Heimlich kommen sie ihren Brüdern hierin zuvor. Die wöchentlichen Dienste, die Jeder übernimmt, verrichtet er bis zur Abendmahlzeit des Sonntags. Nach Beendigung derselben wird der Dienst der ganzen Woche in der Weise abgeschlossen, daß, wenn die Brüder versammelt sind, um in gewohnter Weise vor dem Schlafengehen die Psalmen zu singen, Diejenigen, welche nun folgen sollen, Allen der Reihe nach die Füße waschen. Dabei erbitten sie in ihrer Herzenseinfalt als Lohn ihren Segen für die Arbeit der ganzen Woche, damit bei der Erfüllung der Vorschrift Christi das gemeinsame Gebet aller Brüder sie begleite, für die in ihrem Dienste vorkommenden Unwissenheits- und Schwachheits-Sünden Abbitte leiste und ihre demüthigen Dienste Gott als ein wohlgefälliges Opfer empfehle.

Am zweiten Wochentag (Montag) nach der Matutin bezeichnen sie ihren Nachfolgern die Geräthe und Gefäße, womit sie gedient. Auf diese achten die Nachfolgenden mit solch‘ ängstlicher Sorgfalt, um ja Nichts an denselben zu verderben, daß sie für alle, auch die kleinsten Gefäße, als wären sie zum heiligen Dienste bestimmt, nicht nur dem sichtbar gegenwärtigen Hausmeister, sondern auch Gott Rechenschaft zu schulden glauben, wenn Etwas durch ihre Nachläßigkeit an ihnen verdorben worden ist. Mit welch‘ gewissenhafter Vorsicht diese Regel gehandhabt wird, werdet ihr aus einem Zeugnisse, das ich beispielsweise anführen will, erkennen. Denn einerseits sind wir euere Wißbegierde zu befriedigen bestrebt, mit welcher ihr eine vollständige Kenntniß aller Dinge verlangt und auch Das, was ihr bereits sehr wohl wißt, in diesem Buche wiederholt wissen wollt: andererseits fürchten wir zu weitläufig zu werden.

Wie ein Hausmeister drei Linsenkörner fand.

Als ein Bruder bei seinem Wochendienste Linsen zum Essen bereitete, fielen ihm in der Eile mit dem Wasser, womit sie abgespült wurden, drei Körner zur Erde. Kaum sah der Oekonom im Vorbeigehen dieselben auf der Erde liegen, als er den Abt sofort darüber zu Rathe zog. Dieser erklärte Jenen für einen Verschleuderer und Verächter des heiligen Gutes und untersagte ihm die Theilnahme am Gebete. Die Schuld seiner Nachläßigkeit wurde ihm erst nach Uebernahme einer öffentlichen Buße erlassen. Wie nämlich die Mönche ihre Person nicht mehr als ihr Eigenthum betrachten, so glauben sie auch alles Ihrige dem Herrn geweiht. Wenn daher einmal Etwas in’s Kloster gebracht ist, so muß es nach ihren Regeln als Gott geweiht mit aller Ehrfurcht behandelt werden. Und mit solcher Gewissenhaftigkeit besorgen und ordnen sie Alles, daß, wenn sie auch das für verächtlich und gering Geltende von seiner Stelle wegbringen oder ihm eine passende Lage geben, wenn sie den Krug mit Wasser füllen und Jemandem daraus zu trinken geben, wenn sie ein Grashälmchen aus dem Oratorium oder der Zelle entfernen, sie für alle diese Kleinigkeiten mit fester Zuversicht vom Herrn einen Lohn erwarten.

Freiwillige Dienste der Brüder.

Es tritt bisweilen in den Klöstern ein solcher Holzmangel ein. daß man gar Nichts hat, um die Speisen für die Brüder zu bereiten, und daher die Brüder mit roher Kost, der sog. xerophagia sich begnügen müssen, bis man wieder Holz hat kaufen und hereinbringen können. Obwohl es nun des Abtes Befehl und der Brüder einmüthiger Beschluß ist, daß unter solchen Umständen Keiner irgend ein gekochtes Gericht erwarten könne, so glauben doch, wie uns berichtet wurde, die in der betreffenden Woche dienenden Brüder sich um den Lohn ihrer Mühe und ihres Gehorsams betrogen, wenn sie während ihrer Dienstzeit den Brüdern die Speisen nicht der Gewohnheit gemäß bereitet hätten. Daher legen sie sich aus freien Stücken die mühevolle Arbeit auf, in jenen dürren und unfruchtbaren Gegenden, in denen man nur Holz haben kann, wenn man es von den Fruchtbäumen herunterhaut, weil sich dort keine Waldbäume befinden wie bei uns, durch weite unwegsame Strecken zu streifen und die am todten Meere gelegene Wüste aufzusuchen. Dort sammeln sie spärliche Grashalmen und Dornreiser, die der Wind hierhin und dortbin verjagt hat, um so durch ihre freiwilligen Dienste die Speisen ganz in der gewöhnlichen Weise zu bereiten. So lassen sie an den gewöhnlichen Leistungen Nichts fehlen, indem sie mit solchem Vertrauen ihren Brüdern diese Dienste erweisen, daß sie, durch den Holzmangel und den Befehl des Abtes hinreichend entschuldigt, dennoch von dieser Erlaubniß keinen Gebrauch machen wollen, um nur nicht ihres Verdienstes und Lohnes verlustig zu gehen.

Regeln der ägyptischen Mönche bezüglich der täglichen Dienste.

Was wir eben berichtet, ist eine im ganzen Oriente herrschende Gewohnheit. Diese Regel mußte unsers Erachtens nothwendig auch in den Klöstern unseres Landes eingehalten werden. Übrigens besteht bei den ägyptischen Mönchen, die sich hauptsächlich mit Handarbeit beschäftigen, nicht eine gegenseitige Ablösung in den Wochendiensten, da eine solche Einrichtung sie an der durch die Regel gebotenen Arbeit hindern könnte; vielmehr wird dort ein besonderes erprobter Bruder mit der Sorge für Küche und Keller betraut, der fortwährend, so lange es Kraft und Alter erlauben, jenes Amt zu versehen hat. Dieser wird nicht durch zu große Arbeit ermüdet, weil bei ihnen keine große Sorgfalt auf das Zubereiten und Kochen der Speisen verwendet wird. Man begnügt sich nämlich oft mit rohen und ungekochten Speisen; und Blätter von Lauch, für je einen Monat geschnitten, Lapsania. kleingeriebenes Salz, Oliven, gesalzene Fischlein, von ihnen maenidia genannt, gelten den Brüdern für die größten Leckerbissen.

Gehorsam des Abtes Johannes, der ihm sogar die Gabe der Prophezeihung verdiente.

Weil einmal dieses Buch von der Unterweisung des von der Welt Losgesagten handelt, durch die er, zur wahren Demuth und zum wahren Gehorsam geführt, auch den Gipfel der übrigen Tugenden zu erreichen befähigt ist. so halte ich es für nothwendig, gemäß meines Versprechens, beispielsweise von einigen Tbaten der Oberen zu reden, durch die sie in dieser Tugend sich ausgezeichnet haben. Aus den vielen werden wir nur wenige auswählen, damit bei unserem Streben nach höherer Vollkommenheit sowohl eine Anregung zu einem vollkommenen Leben, als auch ein wirksamer Vorsatz uns daraus erwachse. Daher mögen wegen der gedrängten Form unseres Buches von der unermeßlichen Zahl von Vätern nur die Beispiele von zweien oder dreien hier eine Stelle finden. Zuerst sei der Abt Johannes erwähnt, der in der Nähe von Lykon, einer Stadt der Thebais, wohnte. Dieser, ob der Tugend des Gehorsams sogar der Gabe der Prophezie gewürdigt, erlangte eine so allgemeine Berühmtheit, daß er sogar bei den Königen dieser Welt mit Recht in hohen Ehren stand. Denn obwohl er, wie gesagt, in den entlegensten Theilen der Thebais wohnte, wagte doch der Kaiser Theodosius nicht eher in den Krieg gegen sehr mächtige Tyrannen zu ziehen, bis er durch dessen Weissagungen und Antworten dazu ermuthigt worden war. Im Vertrauen auf diesen wie vom Himmel ihm gewordenen Bescheid trug er in dem Kriege, an dessen glücklichem Ausgang er bereits verzweifelte, einen glänzenden Sieg über die Feinde davon.

Derselbe Abt Johannes begießt auf Befehl seines Obern ein dürres Holz, wie um es wieder zu beleben.

Auch diente der selige Johannes von seiner Jugend bis zu seinem Mannesalter seinem Obern, so lange er mit ihm verkehrte, und befolgte mit solcher Demuth dessen Befehle, daß sein Gehorsam selbst dem greisen Vorsteher die höchste Bewunderung abnöthigte. Letzterer wollte sich einmal genau davon überzeugen, ob diese seine Tugend wahrem Glauben und echter Herzenseinfalt entspringe oder mehr eine erheuchelte und gewissermaßen gezwungene sei und sich nur nach [S. 78] der Miene des Befehlenden richte. Er trug ihm deßbalb möglichst viele überflüssige und weniger notwendige, ja selbst öfter unmögliche Handlungen auf. Nur drei seien hier angeführt, wodurch die wißbegierigen Leser von der Reinheit seiner Gesinnung und Unterwürfigkeit sich überzeugen können. Es nahm nämlich der Greis aus seinem Holzkasten ein ehemals abgehauenes und zum Herdfeuer bestimmtes Reis hervor. Da das Kochen zuweilen lange unterbleibt, so war dasselbe nicht bloß dürr, sondern wegen der Länge der Zeit fast verfault. Dieses steckte er vor des Johannes Augen in die Erbe und befahl ihm, Wasser zu holen und das Reis täglich zweimal zu begießen, damit es durch die tägliche Bewässerung Wurzel schlage und, wieder zum Baume erstehend, durch seine ausgebreiteten Aste den Augen einen freundlichen Anblick und den bei glühender Sonnenhitze unter ihm Lagernden Schatten gewähre. Diesen Befehl nahm der Jüngling mit gewohnter Ehrfurcht ohne irgend welches Nachdenken über seine Unmöglichkeit auf und führte ihn alltäglich aus. Ununterbrochen trug er aus einer Entfernung von zwei Millien Wasser herbei und bewässerte das Holz. Das ganze Jahr hindurch konnte ihn weder Krankheit noch die Feier eines Festes noch eine notwendige Beschäftigung, die ihn wegen der Unterlassung des Auftrages hätte entschuldigen können, noch endlich die eintretende Strenge des Winters an der Ausführung des Befehles hindern. Schweigend und heimlich vergewisserte sich der Greis jeden Tag dieses emsigen Eifers und sah, wie der junge Mann mit großer Herzenseinfalt seinen Auftrag, wie von Gott gegeben, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ihn mit Vernunftgründen zu erwägen, ausführte. So hatte er Gelegenheit, seinen aufrichtigen und demütigen Gehorsam zu erproben; doch bemitleidete er ihn auch wegen seiner so langen Mühe, die er ein ganzes Jahr auf die Uebung der Demuth verwandt hatte trat an das dürre Reis und sagte: „Nun, Johannes, hat der Baum Wurzeln angesetzt oder nicht?“ Auf die Antwort, er wisse es nicht, ging der Greis, als ob er die Wahrheit Aussage erforschen und nachsehen wolle, ob das Reis schon Wurzeln habe, zu demselben hin und riß es in Johannes‘ Gegenwart mit geringer Anstrengung aus, warf es weg und befahl ihm, es in Zukunft nicht mehr zu begießen.

Abt Johannes wirft auf seines Oberen Befehl das einzige Oelgefäß weg.

In der Schule derartiger Übungen täglich gebildet machte der Jüngling in der Tugend der Folgsamkeit große Fortschritte, die Gabe der Demuth umstrahlte ihn mit wunderbarem Glanze und der liebliche Duft seines Gehorsams verbreitete sich in allen Klöstern. Als nun einige Brüder zum Vorsteher kamen und voll Verwunderung über dessen gerühmte Unterwürfigkeit sich äusserten, rief derselbe, theils um Johannes zu prüfen, theils um jene zu erbauen, diesen plötzlich herbei, nahm das Oelfläschchen, aus dem allein in der Wüste zu ihrem und der Gäste Gebrauch die feine, fette Flüssigkeit gegossen wurde, und sprach zu ihm: „Geh‘ hinauf und wirf Das durch’s Fenster hinab!“ Johannes eilte unverzüglich auf das obere Stockwerk und warf das Fläschchen durch das Fenster zur Erde, daß es zerbrach. Nicht zögerte er, nicht dachte er nach über den unsinnigen Befehl, nicht über die tägliche Noth oder die vorkommenden Krankheiten, nicht über die beschränkten und schwierigen Verhältnisse in der armen Einöde, in der man trotz hinreichenden Geldes das nun zerbrochene Geräth weder kaufen noch wiederherstellen konnte.

Aus Gehorsam gegen seinen Vorgesetzten versucht der Abt Johannes einen mächtigen Felsblock fortzuwälzen.

Als Andere wieder an dem Beispiel eines solchen Gehorsams sich zu erbauen wünschten, rief ihn sein Vorgesetzter und sprach zu ihm: „Lauf‘ hin, Johannes, und wälze so schnell als möglich diesen Stein hieher!“ Sofort beeilte er sich, den ungeheuern Felsblock, den viele Menschenschaaren nicht einmal zu bewegen vermochten, bald mit dem Nacken, bald mit dem ganzen Körper unter solcher Kraftanstrengung vorwärts zu wälzen, daß der aus allen seinen Gliedern hervorbrechende Schweiß sein ganzes Kleid durchnäßte und selbst der Fels von dem Schweiße seines Nackens benetzt ward. Dabei dachte er wenig nach über die Unmöglichkeit des Befehles oder der befohlenen Handlung: so groß war seine Ehrfurcht vor dem Vorgesetzten und so aufrichtig die Einfalt aeines Gehorsams, kraft welcher er überzeugt war, daß der Obere nichts Eitles und Vernunftwidriges vorschreiben könne.

Demuth und Gehorsam des Abtes Mucius, der auf Befehl des Oberen sein eigenes Kind ohne Zaudern in einen Bach warf.

Das Wenige, was ich bis jetzt von dem Abte Johannes erzählt, möge genügen. Jetzt will ich eine merkwürdige That des Abtes Mucius kurz berichten. Dieser nämlich, voll Verlangen der Welt zu entsagen, harrte so lange an den Pforten des Klosters, bis er durch seine unwandelbare Beharrlichkeit gegen alle Gewohnheit der Klöster seine und seines achtjährigen Söhnchens Aufnahme durchsetzte. Nach ihrer Aufnahme erhielten sie verschiedene Vorgesetzte, sowie verschiedene Zellen zur Wohnung angewiesen. Diese Maßregel sollte in dem Vater den durch den beständigen Anblick des Kleinen geweckten Gedanken ertödten, daß von seiner ganzen Habe und seinen fleischlichen Neigungen, denen er gänzlich entsagt, wenigstens der Sohn übrig geblieben sei; sie sollte ihn ferner mit dem Gedanken vertraut machen, daß er, wie er sich nicht mehr reich wisse, so auch sich nicht mehr als Vater wisse. Um nun gründlicher zu erforschen, ob er mehr nach der Neigung seines Blutes und nach der Liebe zu seinem eigenen Fleisch und Blut handle, als nach dem von Abtödtung begleiteten Gehorsam Christi, den jeder Ordensmann jener Liebe vorziehen muß, wurde der Knabe absichtlich vernachlässigt. Er war eher mit Lumpen umhüllt, als mit Kleidern angethan, und so voller Schmutz, daß er des Vaters Auge mehr zu beleidigen als zu ergötzen geeignet war, so oft er ihn anschaute. Auch Backenstreichen und Schlägen von verschiedenen Seiten war der Knabe ausgesetzt, die gewöhnlich vor den Augen des Vaters dem unschuldigen Kinde gegeben wurden, so daß er dessen Wangen nur mit schmutzigen Thränenspuren befleckt sah. Und obwohl man täglich unter seinen Augen so mit seinem Kinde verfuhr, blieb doch um der Liebe Christi und der Tugend des Gehorsams willen sein Inneres starr und unbewegt. Denn er betrachtete den Sohn nicht mehr als sein Eigenthum, seitdem er ihn zugleich mit sich Christo dargebracht hatte. Auch war er nicht bekümmert über die ihm in seiner Gegenwart zugefügten Unbilden, sondern frohlockte vielmehr darüber, weil er sich überzeugt hatte, daß die Ertraqung derselben ihm stets reiche Früchte eintrug. Dabei war er weniger auf des Kindes Thränen als auf seine eigene Demuth und Vollkommenheit bedacht. Der Vorsteher des Klosters durchschaute seine innere Abtödtung und seine unwandelbare Strenge gegen sich, wünschte jedoch eine gründliche Probe seiner Standhaftigkeit. Als er daher einst das Kind wieder weinen sah, befahl er, als sei er gegen dasselbe aufgebracht, dem Vater, es zu ergreifen und in den Fluß zu werfen. Gleichsam als hätte er von Gott diesen Befehl erhalten, ergriff er sofort eiligst sein Kind und trug es mit eigenen Armen an den Fluß, um es hineinzuwerfen. Dieß wäre vielleicht bei der Glut seines Vertrauens und Gehorsams geschehen, wenn man nicht absichtlich zur Vorsorge Brüder beauftragt hätte, die besorgt am Ufer standen, um den in den Fluß geworfenen und von seinen Wellen beinahe verschlungenen Knaben herauszuziehen, wodurch sie die gänzliche Ausführung des Befehles, die bei dem demüthigen Gehorsam des Vaters sicher zu erwarten stand, schließlich verhinderten.

Belobung und Belohnung des frommen Mucius.

Des Mucius Glaube und Demuth war Gott so wohlgefällig, daß er dieselben sofort durch sein eigenes Zeugnis billigte. Es wurde nämlich sofort dem Vorsteher geoffenbart. Jener habe durch seinen Gehorsam das Werk des Patriarchen Abraham vollbracht. Und als nach kurzer Zeit eben dieser Abt aus dieser Welt zum Herrn hinüberwandelte, setzte er Mucius über alle Brüder und hinterließ ihn als seinen Nachfolger und als Abt des Klosters.

Gehorsam jenes Bruders, der auf des Abtes Befehl zehn Weidenkörbe öffentlich feil bot und verkaufte.

Nicht wollen wir einen uns ebenfalls bekannten Bruder mit Stillschweigen übergehen, der einer nach der Ordnung dieser Welt sehr hohen Familie angehörte. Sein Vater war nämlich ein Komes1 und sehr reich; auch hatte er selbst eine ausgezeichnete gelehrte Bildung genossen. Doch hatte er Vater und Mutter verlassen und war in’s Kloster geeilt. Um seine Demuth und seinen lebendigen Glauben zu prüfen, wurde ihm sofort von feinem Oberen befohlen, zehn Weidenkörbe, die man keineswegs zu verkaufen nöthig hatte, auf seinen Schultern in den Straßen feil zu bieten. Daran war eine Bedingung geknüpft, die ihn bei diesem Dienste länger aufhielt, nämlich die, daß er Keinem, der sie alle zusammen kaufen wollte, willfahren, sondern den Kauflustigen sie einzeln ablassen solle. Dieß führte er in aller Demuth aus: er trat jede Furcht vor Beschämung um des Namens und der Liebe Christi willen mit Füßen, lud die Weidenkörbe auf seine Schultern, verkaufte sie um den festgesetzten Preis und brachte das Geld zum Kloster, ohne sich durch die Neuheit des niedrigen und ungewohnten Dienstes abschrecken zu lassen, ohne auf die beschämende Handlung, den Glanz seiner Geburt und die Unbilden beim Verkaufe zu achten; denn es war sein Wunsch, Christi Demuth, welche der wahre Adel ist, durch die Gnade des Gehorsams zu erlangen.

Große Demuth und Selbstverleugnung des Abtes Pynupius.

Es zwingen uns die engen Grenzen dieses Buches, zum Schlusse zu eilen; doch das hohe Gut des Gehorsams, der unter den übrigen Tugenden die erste Stelle einnimmt, läßt nicht zu, daß wir die Thaten jener Männer ganz verschweigen, die durch ihn berühmt geworden sind. Deßwegen wollen wir Beides passend vereinigen, d. h. sowohl der Kürze uns befleissen, als auch dem Wunsche und Vortheile der Wißbegierigen dienen und nur noch ein Beispiel der Demuth anführen, das nicht von einem Anfänger, sondern von einem vollkommenen Manne, und zwar von einem Abte geliefert wurde und daher, nicht nur die Jüngeren zu unterrichten, sondern auch die Älteren beim Lesen desselben zur vollkommenen Tugend des Gehorsams anzuspornen geeignet ist.

Wir kannten nämlich den Abt Pynupius, welcher Vorsteher eines sehr großen Klosters in Aegypten, nicht weit von der Stadt Panephysis, war und wegen der Ehrfurcht, die man für sein frommes Leben, sein Alter und seine priesterliche Würde hegte, bei Allen in hoher Achtung und Verehrung stand. Als er nun sah, daß gerade dieser Umstand seinem heissen Verlangen nach Demuth entgegenstand und er keine Gelegenheit fand, die von ihm sehnlichst gewünschte Unterwürfigkeit zu bethätigen, floh er heimlich und allein aus dem Kloster und kam in die entlegensten Gegenden der Thebais. Dort legte er sein Mönchsgewand ab, zog ein weltliches Kleid an und suchte ein Kloster der tabennensischen [S. 84] Mönche auf, das er als das strengste von allen kannte. Hier hoffte er wegen der großen Entfernung des Ortes unbekannt zu bleiben oder wegen der Größe des Klosters und großen Anzahl der Brüder sich verborgen halten zu können. Lange harrte er an der Klosterpforte, warf sich allen Brüdern zu Füßen und bat sie flehentlich um Aufnahme. Diese verfehlten nicht, ihm eine vielfach verächtliche Behandlung zu Theil werden zu lassen. Sie warfen ihm vor, er wolle als abgelebter Greis, der sein ganzes Leben in der Welt zugebracht, am Ende seines Lebens in das Kloster treten, und auch das beabsichtigte er nicht um eines frommen Lebens willen, sondern gezwungen durch Hunger und Armuth. Doch nahmen sie ihn endlich auf und überließen ihm, als einem zu jeder Arbeit unbrauchbaren Greise, die Pflege und Bewachung des Gartens. Unter der Leitung eines jüngeren Bruders, dessen Führung man ihn anvertraut hatte, unterzog er sich dieser Aufgabe und pflegte mit solchem Gehorsam die von ihm erstrebte Tugend der Demuth, daß er nicht nur die zur Pflege und Bewahrung des Gartens erforderlichen, sondern auch alle jene Dienste, welche den übrigen Brüdern als schwierig oder beschämend oder als ein Gegenstand des Abscheues galten, täglich mit der größten Emsigkeit verrichtete. Viele verrichtete er auch, Nachts aufstehend, so heimlich ohne irgend Jemandes Beisein und Wissen unter dem Schutze der Finsterniß, daß gar Niemand den Urheber der Arbeit zu erkennen vermochte. Als er während seiner dortigen dreijährigen Verborgenheit von Brüdern, die man über ganz Aegypten ausgesandt, überall gesucht wurde, ward endlich ein aus Aegypten gekommener Bruder seiner ansichtig. Doch vermochte dieser ihn wegen seiner demüthigen Kleidung und seines niedrigen Dienstes kaum zu erkennen. Denn zur Erde gebeugt lockerte er mit der Hacke den Boden für Kohl, dann brachte er auf seinen Schultern Dünger herbei und legte ihn an die Wurzeln des Kohles. Obwohl der Bruder bei diesem Anblicke lange in Zweifel war, ob er in ihm seinen Abt wieder erkenne, trat er doch zuletzt näher heran, erforschte sorgfältig seine Gesichtszüge und den Ton seiner Stimme und warf sich ihm dann zu Füßen. Anfangs zwar versetzte er alle Anwesenden in Staunen darüber, daß er solche Ehrfurcht Dem bezeige, der bei ihnen für einen Novizen und, weil er erst vor Kurzem die Welt verlassen habe, für den letzten Bruder galt. Bald jedoch dünkte ihnen die Sache noch wunderbarer, als der Bruder sofort seinen Namen verrieth, der auch bei ihnen in hohem Rufe stand. Alle Brüder baten ihn um Verzeihung wegen der früheren Unwissenheit, in der sie ihn so lange unter die Jüngeren und Einfältigen gezählt hätten, während er voll Unwillen weinte, weil er durch den Neid des Teufels um den ihm geziemenden demüthigen Wandel betrogen sei, den er so lange ersehnt und endlich zu seiner Freude gefunden habe, und weil er nicht verdient habe, in der von ihm erstrebten Unterwürfigkeit zu leben. Hierauf führte man ihn in sein Kloster zurück und bewachte ihn mit der größten Sorgfalt, damit er nicht wieder auch von dort irgend wohin entfliehe.

Abt Pynupius, in sein Kloster zurückgeführt, flieht nach kurzem Aufenthalte daselbst wieder nach Syrien.

Nach kurzem Aufenthalte im Kloster verzehrte ihn wiederum jene glühende Sehnsucht nach Demuth, und die nächtliche Stille wahrnehmend entfloh er, eilte aber mcht in eine benachbarte Provinz, sondern in unbekannte, fremde und ferne Gegenden. Er bestieg nämlich ein Schiff und fuhr nach Palästina, indem er sich sicher wähnte, wenn er solche Orte betrete, in denen man nicht einmal seinen Namen vernommen habe. Dort angelangt eilte er in unser Kloster, das nicht weit von der Grotte gelegen ist, in der unser HerrJesus Christus von der Jungfrau geboren zu werden sich würdigte. Hier lebte er kurze Seit unbekannt, konnte jedoch gleich einer nach dem Worte des Herrn auf dem Berge gelegenen Stadt sich nicht länger verborgen halten. Denn alsbald hatten ihn einige Brüder, die zum Besuche der beiligen Orte aus Ägypten gekommen waren, erkannt und riefen ihn durch ihr inständiges Bitten in ihr Kloster zurück.

Ermahnungen, welche der Abt Pynupius an einen neu aufgenommenen Bruder richtete.

Weil ich selbst mit diesem greisen Abte während seines Aufenthaltes in unserem Kloster in einem sehr vertrauten Verhältnisse stand und ihn auch später in Ägypten sehr oft besuchte, beabsichtigte ich, die Ermahnungsrede, die er an einen bei meiner Anwesenheit in das Kloster aufgenommenen Bruder hielt, in mein Werk einzufügen, weil ich einige Belehrung aus derselben hoffen darf.

„Du weißt,“ sprach er. „wie viele Tage du an den Pforten geharrt, bis du heute Aufnahme erhalten hast. Die Ursache, weßhalb deine Aufnahme schwer hielt, mußt du gründlich wissen; denn auf dem Wege, den du jetzt zu betreten wünschest, kann es dir von großem Nutzen sein, wenn du diesen Grund kennst, bevor du geziemend und würdig in den Dienst Christi trittst.“

„Wie nämlich Denen, die Gott treu dienen und nach den Regeln unserer Genossenschaft ihm anhangen, unermeßliche Seligkeit für die Ewigkeit in Aussicht gestellt wird, so werden die schwersten Strafen Denen bereitet, welche der Regel lau und nachläßig nachkommen, und die es versäumen, als Diener Gottes, für die sie sich ausgeben und die Leute sie halten, würdige Früchte der Heiligkeit zu tragen. Denn „besser ist“, nach der heiligen Schrift, „nicht geloben, als geloben und nicht halten“, und „verflucht, der das Werk Gottes nachläßig vollbringt“. Deßhalb haben wir dich so lange zurückgewiesen, nicht als ob wir dein und Aller Heil nicht mit ganzer Sehnsucht zu sichern und Denen, die sich zu Christus bekehren wollen, sogar von Weitem entgegen zu gehen wünschten, sondern damit wir nicht durch eine leichtfertige Aufnahme uns des Leichtsinnes bei Gott schuldig machen und dir eine größere Strafe zuziehen, wenn du jetzt ohne Mühe aufgenommen wirst und, unbekannt mit den Pflichten dieses Ordens, nachher sie vernachläßigst oder lau erfüllest. Deßhalb mußt du zuerst erkennen, warum du der Welt entsagt hast; dann mußt du, durch die Erkenntniß dieses Grundes bewogen, tiefer in das Studium dessen eingehen, was zu thun sich für dich schickt.“

„Entsagung ist nichts Anderes, als das Zeichen des Kreuzes und der Abtödtung. Deßhalb mögest du am heutigen Tage erkennen, daß du dieser Welt und ihren Werten und Gelüsten abgestorben bist und nach dem Apostel du dieser Welt und diese Welt dir gekreuzigt ist. Erwäge das Leben des Kreuzes, unter dessen Fahne du von nun an kämpfen mußt; denn nicht mehr du selbst, sondern Er lebt in dir, der für dich gekreuzigt ist. In dieser Haltung und Gestalt also, in der Christus für uns am Kreuze hing, müssen auch wir in diesem Leben wandeln und nach dem Ausspruche Davids unser Fleisch aus Gottesfurcht kreuzigend alle unsere Wünsche und Gelüste nicht in die Knechtschaft unserer bösen Begierlichkeit verstrickt, sondern aus die Abtödtung dieser Begierlichkeit gerichtet halten. Denn so erfüllen wir das Wort des Herrn: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht werth.“ Doch du sagst vielleicht: Wie kann der Mensch sein Kreuz immer tragen, oder wie kann der leben, der gekreuzigt ist? Vernimm kurz den Sinn dieser Worte!“

„Unser Kreuz ist die Furcht des Herrn. Wie nämlich ein Gekreuzigter nicht mehr nach seiner Willkür seine Glieder irgend wohin zu bewegen oder zu richten vermag, so müssen auch wir unsere Wünsche und Begierden nicht nach Dem, was uns angenehm ist und für den Augenblick ergötzt, sondern nach dem Gesetze des Herrn richten, nach welcher Richtung uns dasselbe auch immer bindet. Und wie der Gekreuzigte nicht mehr das Gegenwärtige betrachtet noch an seine Neigungen denkt, nicht durch Bekümmerniß und Sorge für den folgenden Tag zerstreut, nicht von Habsucht getrieben, nicht von Stolz, Streit und Eifersucht entflammt wird, keine Klagen über die gegenwärtigen Unbilden laut werden läßt, der vergangenen nicht mehr gedenkt und während seines Lebens schon dem Leibe nach allen Elementen abgestorben zu sein glaubt und dahin das Auge des Geistes voraussendet, wohin er unzweifelhaft sofort hinüberwandeln wird: so müssen auch wir aus Gottesfurcht allen diesen Dingen gekreuzigt sein, d. h. nicht nur den Sünden des Fleisches, sondern auch allem Dem abgestorben sein, woraus dieselben hervorgehen, und müssen dahin den Blick unseres Geistes gerichtet halten, wohin wir zufolge unserer Hoffnung jeden Augenblick wandern. Auf diese Weise können wir alle unsere Gelüste und fleischlichen Begierden in der Abtödtung erhalten.“

„Hüte dich also, dich je wieder mit Etwas von Dem zu befassen, was du durch freiwillige Entsagung aufgegeben hast. Hüte dich, den Acker der evangelischen Thätigkeit zu verlassen und als ein Solcher befunden zu werden, der gegen das Verbot des Herrn das Kleid, das er einmal abgelegt hat, wieder anzieht. Stürze dich nicht wieder in den Strudel der niedrigen und irdischen Gelüste und Bestrebungen dieser Welt, steige nicht gegen das Verbot Christi vom Dache der Vollkommenheit, um Etwas von dem vermessentlich aufzuheben, dem du entsagt hast! Denke nur nicht mehr an deine Verwandten und deine frühere Neigung zu ihnen, damit du nicht, den Sorgen und Bekümmernissen dieser Welt zurückgegeben, während du nach dem Worte des Heilandes die Hand auf den Pflug legst und rückwärts schaust, des Himmelreiches unwürdig sein mögest. Hüte dich, den Stolz, den du jetzt im Beginne deines Ordenslebens durch feurigen Glauben und vollkommene Demuth niedergetreten hast, durch einige Kenntniß der Psalmen und unseres Ordens allmählig eitel geworden, je wieder anzunehmen und nach des Apostels Wort durch „Wiedererbauung dessen, was du zerstört, dich selbst zum Übertreter des Gesetzes zu machen. Harre vielmehr bis zum Ende dieser Entblößung aus. die du vor Gott und seinen Engeln gelobt hast. Auch sollst du in der Demuth und Geduld, mit der du zehn Tage lang vor den Pforten harrend unter vielen Thränen um Aufnahme in das Kloster gefleht hast, nicht nur beharren, sondern auch Fortschritte machen und wachsen. Denn es ist traurig genug, während man von den ersten Versuchen und Anfängen weitergehen und zur Vollkommenheit streben sollte, von diesen sogar zu Niedrigem zurückzufallen. Nicht, wer Dieß begonnen, sondern wer darin ausharrt bis an’s Ende, der wird selig sein.“

„Die listige Schlange stellt immer unserer Ferse nach, d. h. sie lauert immer auf unsern Ausgang aus dieser Welt, und bis zum Ende unsers Lebens sucht sie uns zum Falle zu bringen. Daher nützt es Nichts, einen guten Anfang gemacht und mit glühendem Eifer einen festen Grund zu seiner Weltentsagung gelegt zu haben, wenn diesen nicht ein würdiger Beschluß sichert und krönt und du Christi Demuth, die du jetzt vor ihm gelobt und dir angeeignet hast, nicht bis an dein Lebensende unversehrt bewahrst. Um Dieß erreichen zu können, habe allzeit Acht auf den Kopf der Schlange, d. h. auf ihre ersten Einflüsterungen; hinterbringe sie alsbald deinem Vorgesetzten! Denn so lernst du ihre verderblichen Anschläge vereiteln, wenn du jeden derselben deinem Vorsteher ohne Scham offenbarst.“

„Deßhalb verlasse die Welt, um dem Herrn zu dienen, und verharre, nach der heiligen Schrift, in der Furcht Gottes und bereite deine Seele nicht zur Ruhe, nicht zur Sicherheit, nicht zur Freude, sondern zu Versuchungen und Trübsalen. Denn „durch viele Trübsale müssen wir eingehen in das Reich Gottes“. und „eng ist die Pforte und schmal der Weg. der zum Leben führt, und Wenige, die ihn wandeln“. Betrachte dich also als einen von den wenigen Auserwählten und erkalte nicht wieder ob des bösen Beispiels und der Lauheit der großen Menge, sondern lebe wie die Wenigen, damit du mit den Wenigen im Reiche Gottes gefunden zu werden verdienest: „Denn Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt.“ und klein ist die Heerde, der ein Erbe zu geben es dem Vater gefallen hat. Deßhalb wisse, daß es keine geringe Sünde ist. wenn Einer, der zur Vollkommenheit berufen ist, nach dem Unvollkommenen strebt. Zu diesem Stande der Vollkommenheit gelangt man auf folgenden Stufen und in folgender Ordnung.“

„Der Anfang und zugleich die Sicherung unseres Heiles ist. wie ich sagte, die Furcht des Herrn. Denn durch sie erlangen Jene, welche den Weg der Vollkommenheit wandeln wollen, den Anfang der Bekehrung, die Reinigung von Sünden und die Bewahrung ihrer Tugenden. Wenn sie den Geist des Menschen durchdrungen, erzeugt sie die Verachtung aller Dinge, läßt die Verwandten vergessen und erfüllt mit Schauder vor der Welt. In der Verachtung aber und freiwilligen Entsagung aller Dinge wurzelt die Demuth. Die Demuth aber bewährt sich an diesen Zeichen: erstens, wenn man alle Neigungen in sich ertödtet hat; zweitens, wenn man nicht nur keines seiner Werke, sondern auch keinen seiner Gedanken dem Oberen verheimlicht; drittens, wenn man Nichts der eigenen Entscheidung, sondern Alles dem Urtheil des Oberen anheim gibt und seine Ermahnung begierig und gerne aufnimmt; viertens, wenn man in Allem den Gehorsam, die Sanftmuth und beharrliche Geduld bewahrt: fünftens, wenn man nicht nur Keinem Unrecht zufügt, sondern auch nicht einmal über das von einem Andern erlittene klagt und sich betrübt; sechstens, wenn man Nichts thut und Nichts verlangt, wozu nicht die gemeinsame Regel oder die Beispiele der Vorfahren auffordern: siebentens, wenn man mit jeglichem werthlosen Dinge zufrieden ist und bei Allem, was befohlen wird, sich für einen schlechten und unwürdigen Arbeiter hält; achtens, wenn man nicht obenhin mit den Lippen, sondern im Grunde des Herzens sich für geringer als Alle hält; neuntens, wenn man seine Zunge beherrscht und nicht laut im Reden ist; zehntens, wenn man nicht leicht geneigt zum Lachen ist. An diesen und ähnlichen Zeichen erkennt man die wahre Demuth. Wenn du sie in Wahrheit besitzest, wird sie dich sofort zu einer höheren Stufe, zur Liebe emporführen, welche keine Furcht kennt, und durch die du Alles, was du früher nicht ohne peinliche Furcht beobachtet hast, ohne alle Mühe, als ob es dir so angeboren wäre, beobachten wirst; und nicht mehr die Erwägung der Strafe oder die Furcht vor derselben, sondern die Liebe zum Guten und die Freude an der Tugend wird bei deinem Thun und Lassen der wirksamste Beweggrund sein.“

„Um leichter zu diesem Ziele gelangen zu können, mußt du während deines Verweilens in der Genossenschaft der Brüder Beispiele zur Nachahmung eines vollkommenen Lebens an Wenigen, ja nur an Einem oder Zweien, nicht aber an Mehreren nehmen. Denn abgesehen davon, daß ein erprobtes und geläutertes Leben nur bei Wenigen sich findet, hat man auch noch den Nutzen davon, daß zur vollkommenen Ausführung dieses Vorhabens d. h. des klösterlichen Lebens man an dem Beispiele eines Mannes mit großer Sorgfalt sich heranbildet.“

„Um Dieß erreichen und allzeit unter diesen geistlichen Regeln ausharren zu können, mußt du folgende drei Dinge in der Genossenschaft nothwendig beobachten. Nach dem Ausspruch des Psalmisten: „Ich aber, wie ein Tauber, hörte nicht und bin wie ein Stummer, der nicht öffnet seinen Mund; und bin geworden wie ein Mann, der nicht höret und nicht hat in seinem Munde Widerrede.“ sollst auch du wie ein Tauber, Blinder und Stummer einhergehen, damit du, abgesehen von der Betrachtung des von dir zum Vorbild in der Vollkommenheit mit Recht Erwählten, Alles, was du weniger Erbauliches siehst, wie ein Blinder nicht sehest; damit du nicht durch das Ansehen und die Lebensweise Jener, die Solches thun, ermuthigt zu Schlechterem und zu Solchem, was du früher verdammt hast, dich irre leiten lassest. Wenn du hörst, daß Einer ungehorsam und hartnäckig ist, Andern die Ehre abschneidet oder sonst etwas Anderes begeht, als man dich lehrte, so nimm keinen Anstoß daran noch laß dich durch ein solches Beispiel zur Nachahmung desselben bestimmen; sondern gehe darüber hinweg, als ob du es gleich einem Tauben gar nicht hörtest. Wenn du oder sonst Jemand Scheltworte und Beleidigungen zu erleiden hast, bleibe unerschütterlich, und auf die Erwiderung eines Solchen höre wie ein Stummer, und sprich dabei stets in deinem Herzen die Verse des Psalmisten: „Wahren will ich meinen Weg, damit ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich verstummte und beugte mich und schwieg.“ Aber auch diesen vierten Punkte übe vor Allem, der die drei eben genannten zieren und empfehlen soll, daß du nämlich nach des Apostels Wort dich zu einem Thoren in dieser Welt machest, um weise zu sein. Darum unterziehe Nichts von dem, was dir befohlen wird, einer Erwägung und Veurtheilung. sondern mit aller Einfalt und ganzem Vertrauen führe die Befehle aus, und halte nur Das für heilig, nützlich und weise, was dir das Gesetz Gottes oder die Prüfung der Vorgesetzten auferlegt. In dieser Lehre begründet wirst du unter der Zucht des Klosters allzeit zu verharren vermögen und durch keine Versuchungen des Feindes, durch keine Parteiungen dich aus dem Kloster verdrängen lassen.“

„Daher darfst du deine Geduld nicht von der Demuth Anderer hoffen, d. h. hoffen, daß du sie dann besitzest, wenn du von Niemandem gereizt wirst — was nicht in deiner Macht steht —, sondern von der Demuth und Langmuth, die von deinem freien Willen abhängt.“

Schluß.

Und damit du alles in ausführlicher Rede Dargelegte in deinem Gedächtnisse leichter einprägest und es in deinem Geiste recht festsitze, will ich aus diesen Ermahnungen einen kurzen Abriß zusammenstellen, dessen kurzer Inhalt dich alle meine Ermahnungen leichter behalten läßt. Vernimm also kurz die Ordnung, in welcher du ohne alle Mübe und Schwierigkeit zum Gipfel der Vollkommenheit emporsteigen kannst. Der Anfang unseres Heiles und unserer Weisheit ist nach der heiligen Schrift die Furcht des Herrn. Aus der Furcht des Herrn entspringt die heilsame Zerknirschung. Aus der Zerknirschung des Herzens geht die Entsagung hervor, d. h. die gänzliche Lostrennung von allen Gütern und die Verachtung derselben. Die Trennung von den irdischen Gütern führt zur Demuth. Aus der Demuth entspringt die Abtödtung der Begierden. Durch diese Abtödtung werden alle Fehler gründlich ausgetilgt. Aus dem Keim dieser Tugend sproßt die Herzensreinheit hervor. Mit der Reinheit des Herzens besitzt man die Vollkommenheit der apostolischen Liebe.

Fünftes Buch: Von dem Geiste der Unmäßigkeit.

Übergang von den Ordensregeln zur Bekämpfung der acht Hauptsünden.

Mit Gottes Hilfe beginnen wir nun das fünfte Buch. Nach den vier Büchern, welche von den Einrichtungen der Klöster handelten, lassen wir jetzt, so Gott uns durch euer Gebet Kraft verleiht, den Kampf gegen die acht Hauptsünden folgen. Es sind folgende:
erstens: die Gastrimargie, was Gaumenlust bedeutet.
zweitens: die Unkeuschheit,
drittens: die Philargyrie, worunter man die Habsucht, genauer die Liebe zum Gelde versteht;
viertens: der Zorn;
fünftens: die Traurigkeit;
sechstens: die Acedie, d. h. Beängstigung, innerer Ueberdruß;
siebentens: die Kenodoxie. d. i. die eitle oder nichtige Ruhmsucht;
achtens: der Stolz.

Beim Beginne dieses Kampfes bedürfen wir dein Gebet, o frömmster Vater Kastor jetzt noch in weit höherem Maße, damit wir im Stande seien, zuerst das so verborgene und dunkle Wesen der einzelnen Fehler gebührend zu erforschen, dann ihre Ursachen hinreichend darzulegen und drittens geeignete Heilmittel gegen dieselben anzuwenden.

Obwohl alle Menschen die Ursachen ihrer Fehler in sich tragen, so sind doch nicht alle mit denselben bekannt und bedürfen deßhalb zur Erkenntniß derselben göttlicher Hilfe.

So bekannt uns allen nach der Unterweisung der Vorgesetzten die Ursachen dieser Leidenschaften sind, so unbekannt sind sie uns allen, bevor man sie uns aufdecke, trotzdem daß wir alle von ihnen beunruhigt werden und sie uns innewohnen. Jedoch hoffen wir zuversichtlich, sie wenigstens einigermaßen darlegen zu können, wenn durch eure Fürbitte jenes an Isaias gerichtete Wort des Herrn auch zu mir gesprochen würde: „Ich werde vor dir hergehen und die Mächtigen der Erde demüthigen. (ich werde) eherne Pforten sprengen und eiserne Riegel zerbrechen; ich öffne dir versteckte Wissenschaft und Geheimnisse der Verstecke.“ So möge das Wort des Herrn auch vor uns hergehen und zuerst die Mächtigen unserer Erde demüthigen, d.h. eben diese schädlichen Leidenschaften, die wir niederzukämpfen wünschen, welche die grausamste Herrschaft und Tyrannei in unserem sterblichen Leibe sich anmaßen; es möge dieselben zwingen, sich von uns erforschen und schildern zu lassen; es möge die Pforten unserer Unwissenheit sprengen und die Riegel der uns die wahre Wlssenschaft verschließenden Laster zerbrechen, möge uns hinführen zu den Geheimnissen unserer Verstecke und nach des Apostels Wort uns das Verborgene der Finsterniß erhellen und offenbar machen die Absichten der Herzen. Wenn wir so in die häßliche Finsterniß der Sünde mit den reinsten Augen des Geistes eindringen, können wir dle Leidenschaften offenbar machen und an’s Tageslicht bringen, können lhre Ursachen und ihr Wesen Jenen erklären die von ihnen frei oder gebunden sind. So werden wir nach dem Propheten durch das Feuer der Laster wandeln, das unsere Seele so grausam brennt, und zugleich auch durch das Wasser der die Laster auslöschenden Tugenden unverletzt hindurchgehen, und von dem Thau der geistigen Heilmittel erfrischt verdienen wir zur Erquickung der Vollkommenheit geführt zu werden.

Unser erster Kampf muß gegen den Geist der Gastrimargie d. h. der Gaumenlust gerichtet sein.

Zuerst müssen wir den Kampf gegen die Gastrimargie beginnen, die wir Gaumenlust genannt haben. Indem wir hier hauptsächlich von der Art und Weise des Fastens und der Beschaffenheit der Speisen zu sprechen beabsichtigen, werden wir wiederum auf die Ueberlieferungen und Regeln der ägyptischen Mönche zurückkommen, die bekanntlich eine höhere Strenge in der Enthaltsamkeit und eine große Unterscheidungsgabe besitzen.

Nach dem Zeugnisse des Abtes Antonius muß man jede Tugend durch das Beispiel Desßenigen sich aneignen, der sie in besonderem Maße besitzt.

[S. 98] Alt und bewunderungswürdig ist folgender Ausspruch des seligen Antonius: Hat ein Mönch, sagt derselbe, der nach dem Zwecke des Klosters den Gipfel der höheren Vollkommenheit zu erreichen strebt, seine eigene Klugheit zu Rathe gezogen, und fühlt er sich nach seinem eigenen Urtheile mächtig genug, zur Höhe des beschaulichen Lebens zu gelangen, so soll er an einem, wenn auch noch so vortrefflichen Mönche keineswegs alle Tugenden zu lernen suchen. Denn den Einen zieren die Blumen der Wissenschaft, eines Andern Stärke besteht in einer ungewöhnlichen Urteilskraft, die eines Dritten in einer ausserordentlich großen Geduld. Der Eine zeichnet sich durch die Tugend der Demuth, der Andere durch die der Enthaltsamkeit aus; wieder einen Andern schmückt die Gabe der Einfalt, Dieser überragt Alle durch die Uebung der Großmuth, Jener durch die Übung der barmherzigen Nächstenliebe, Dieser durch die Uebung der Nachtwachen, Dieser durch die Uebung des Schweigens, Jener endlich durch seinen Eifer bei der Arbeit. Deßhalb müsse ein Mönch, der geistigen Honig zu sammeln wünsche, wie eine kluge Biene jede Tugend bei Jenen holen, die sie im besonderen Grade besitzen, und dann in dem Gefäße seines Herzens sorgfältig verschließen. Nicht solle er auf etwas Geringeres achten, sondern nur die Tugend, die Einer besitzt, solle er betrachten und mit Eifer sich zu eigen machen. Denn wenn man alle Tugenden von Einem entlehnen wollte, so würde man schwerlich oder gar nie passende Beispiele zur Nachahmung finden. Denn wenn wir auch wissen, daß selbst Christus nach des Apostels Ausspruch nicht Alles in Allen geworden ist, so können wir ihn doch auf diese Weise d. h. theilweise in Allen finden. Denn von ihm heißt es: „Welcher uns geworden ist Weisheit aus Gott und Rechtfertigung und Heiligung und Erlösung.“ Während also in dem Einen Weisheit, in dem Andern Gerechtigkeit, in dem Andern Heiligkeit, in Diesem Sanftmuth, in Jenem Keuschheit, in Einem Demuth, in einem Andern Geduld sich findet, ist Christus jetzt noch gliedweise in jedem einzelnen Heiligen veitheilt. Indem aber Alle zusammen zur Einheit des Glaubens und der Tugend streben, erwächst er zum vollkommenen Mann, die Vollendung seines Leibes in der Zusammensetzung und Eigenthümlichkeit der einzelnen Glieder erreichend. Bis also jene Zeit kommt, in der Gott Alles in Allen ist, kann im gegenwärtigen Leben auf die angegebene Weise, d. h. durch Vertheilung der Tugend Gott in Allen sein, wenn er auch noch nicht vermöge der Fülle der Tugenden Alles in Allen ist. Denn wenn es auch nur ein Ziel unseres Ordens gibt, so gibt es doch verschiedene Beschäftigungen innerhalb desselben, in denen wir uns zu Gott hinwenden können, wie das auch in den „Kollationen“ ausführlich dargelegt werden soll. Daher müssen wir das Ideal der Verschwiegenheit und Enthaltsamkeit vornehmlich bei Jenen aufsuchen, in welchen wir diese Tugenden vermöge der Gabe des heiligen Geistes in besonders hohem Maße bethätigt sehen. Damit soll nicht gesagt sein, daß Einer Das, was in Vielen vertheilt sich findet, allein erwerben könnte, sondern es geschieht nur in der Absicht, daß wir uns bei Aneignung des Guten auf die Nachahmung Jener verlegen sollen, die dasselbe in vorzüglichem Grade erlangt haben.

Nicht Alle können eine einheitliche Fastenordnung beobachten.

Was das Fasten angeht, so kann nicht leicht eine gleichförmige Regel in Anwendung kommen, weil nicht Alle dieselbe Körperkraft besitzen und die Tugend des Fastens nichts wie die übrigen Tugenden, bloß durch die Strenge des Geistes erlangt wird. Und gerade weil das Fasten nicht lediglich in der geistigen Kraft wurzelt, sondern teilweise auch durch die Tauglichkeit des Körpers bedingt ist, haben wir nach der Ueberlieferung folgenden Begriff von demselben überkommen: Zeit. Maß und Beschaffenheit des Essens ist zwar verschieden nach der ungleichen Körperbeschaffenbeit, nach Alter und Geschlecht; was jedoch die geistige Enthaltsamkeit und die innere Tugend angebt, so besteht für Alle nur eine Regel der Abtödtung. Denn nicht Alle vermögen eine ganze Woche zu fasten, ja noch nicht einmal zwei oder drei Tage sich der Speise zu enthalten. Viele, durch Krankheit und besonders durch Altersschwäche entkräftet, können nicht einmal bis Sonnenuntergang ohne große Beschwerde das Fasten einhalten. Nicht Alle können den Genuß kraftloser (bloß) eingeweichter Gemüse ertragen, nicht Allen ist der spärliche Genuß von bloßem Kohl zuträglich, und nicht Alle dürfen sich den kärglichen Genuß von trockenem Brode auferlegen. Der Eine fühlt nach dem Genusse von zwei Pfund keine Sättigung, der Andere ist vollständig satt. wenn er ein Pfund oder gar nur sechs Unzen genossen hat; doch herrscht hier überall ein Ziel der Enthaltsamkeit, welches darin besteht, daß Keiner nach dem Maße dessen, was er zu fassen vermag, sich übersättige. Denn nicht nur die Beschaffenheit, sondern auch die Menge der Speisen stumpft das Herz ab und facht, wenn der Geist zugleich mit dem Leibe gleichsam fett wird, den schädlichen Zündstoff der Sünde an.

Nicht bloß von Wein wird der Geist berauscht.

Jede beliebige Speise, die der Magen aufnimmt, kann den Samen der Schwelgerei erzeugen, und der Geist kann das Steuer der Vernunft nicht lenken, wenn er durch die Last der Speisen gehemmt ist. Denn nicht bloß die Berauschung mit Wein pflegt den Geist trunken zu machen, sondern auch der übermäßige Genuß aller sonstigen Speise bringt ihn zum Wanken und zieht ihn von jeglicher lauteren und reinen Kontemplation ab. Bei den Sodomiten war nicht Berauschung mit Wein, sondern übermäßiger Brodgenuß Ursache ihres Sittenverderbnisses und ihrer Ausschweifung. Vernimm, welchen Vorwurf der Herr durch den Propheten1 Jerusalem macht: „Was war die Sünde der Schwester Sodoma Anders, als daß sie ihr Brod in Uebersättigung und Ueberfluß aß?“ Und weil die Sodomiten in Folge des Ueberflusses an Brod von dem unauslöschlichen Feuer der Fleischeslust entbrannt waren, wurden sie durch Gottes Gericht mit Feuer und Schwefel vom Himmel verbrannt. Wenn jene einzig Überfluß an Brod und sündhafte Übersättigung damit in den jähen Abgrund der schändlichsten Sünden stürzte, was soll man von Jenen halten, welche bei frischem und gesundem Körper den Genuß von Fleisch und Wein in maßloser Fülle sich erlauben und nicht der Förderung der Schwachheit, sondern den Einflüsterungen der Begierlichkeit nachgeben?

Die Schwäche des Fleisches kann nicht die Reinheit des Herzens verhindern.

Die Schwäche des Fleisches steht der Reinheit des Herzens nicht im Wege, wenn man nur Das beansprucht, was die Schwäche des Fleisches, nicht was die böse Begierlichkeit verlangt. Wir haben erlebt, wie Diejenigen, die von kräftigeren Speisen, die man doch gewöhnlich für die notwendigsten Bedürfnisse in mäßigem Umfange reicht, sich enthielten und sich dieselben aus Liebe zur Enthaltsamkeit ganz versagten, leichter unterlagen als Solche, die bei Gelegenheit einer Krankheit dieselben genoßen, ohne dabei das Maß der Genügsamkeit zu überschreiten. Denn die Körperschwäche besitzt die Palme der Enthaltsamkeit, wenn sie dem kranken Leibe wohl die nöthigen Speisen gibt, sich aber doch beim Essen Abbruch thut und nur soviel Nahrung sich gönnt, als nach dem strengen Urtheil der Klugheit zum gewöhnlichen Leben hinreicht, nicht aber was die Begierlichkeit verlangt. Wenn eßbarere Speisen, die der Gesundheit des Leibes förderlich sind, mäßig genossen werden, so benehmen sie damit noch nicht den Glanz der Reinheit. Denn was davon zur Stärkung genossen wird, verzehrt sich durch das Leiden und die Entkräftung, welche die Krankheit mit sich bringt. Daher kann man keinem Zustande die Tugend der Genügsamkeit, noch weniger aber eine vollendete Reinheit absprechen.

Wie man Speisen begehren und genießen darf.

Es ist deßbalb eine durchaus wahre und erprobte Meinung der Väter, daß die Art und Weise des Fastens nur in der Genügsamkeit und Abtödtung bestehe, und daß im Allgemeinen das für Alle der Zweck der Tugend sei, schon beim Begehren der Speisen, die man zur Erhaltung des leiblichen Lebens nothwendig zu nehmen gezwungen ist, Enthaltsamkeit zu üben. Mag auch Einer körperlich noch so schwach sein, so besitzt er doch in allen Dingen eine ebenso vollkommene Tugend, wie die Starken und Gesunden, wenn er die Begierden, deren Befriedigung die leibliche Gebrechlichkeit nicht nothwendig erheischt, durch geistige Strenge im Zaume hält. Denn der Apostel sagt: „Pfleget nicht das Fleisch aus Begierlichkeit!“ Also hat er nicht die Sorge um dasselbe gänzlich untersagt, sondern dieselbe nur bezüglich der Begierden verboten. Die aus der bösen Lust hervorgehende Sorgfalt für das Fleisch verbannt er, die nothwendige Sorge für das Leben schließt er nicht aus. So entrinnen wir sowohl der Gefahr, durch Nachgiebigkeit gegen das Fleisch der Herrschaft der bösen Gelüste zu verfallen, als auch durch unsere Verschuldung unsern Leib zu schwächen und zur Verrichtung der nothwendigen geistigen Thätigkeiten untauglich zu machen.

Maß der vorzunehmenden Abtödtungen und Mittel gegen schädliche Fasten.

Das, worauf es bei der Enthaltsamkeit hauptsächlich ankommt, ist nicht allein nach der Zeit noch einzig nach der Beschaffenheit der Speisen, sondern vor Allem nach dem Urtheile des Gewissens zu ermessen. Denn ein Jeder muß wenigstens soviel Genügsamkeit sich aneignen, als der Kampf bei der Auflehnung des Körpers gegen den Geist erfordert. Nützlich zwar und in jeder Beziehung zu beobachten ist die durch die Kanones festgestellte Fastenordnung; aber wenn auf dieses so geordnete Fasten nicht eine förderliche Erquickung mit Speisen folgt, dann vermag es seinen Zweck nicht vollkommen zu erreichen. Denn wenn auf langes Fasten vollständige Sättigung folgt, bewirkt dasselbe eher Mattigkeit des Leibes als unversehrte Keuschheit; hängt ja doch die geistige Gesundheit mit dem Fasten des Magens zusammen. Derjenige kann beständige, unversehrte Keuschheit nicht besitzen, der nicht fortwährende Gleichmäßigkeit in der Enthaltsamkeit einzuhalten bestrebt ist. Folgt auf noch so strenge Fasten eine übermäßige Nachgiebigkeit, so sind dieselben unnütz und verkehren sich fofort in das Laster der Völlerei; besser ist eine tägliche, mäßige und vernünftige Erquickung, als ein zeitweises strenges und lang anhaltendes Fasten. Denn ein übermäßiges Enthalten von Speisen kann nicht nur die geistige Standhaftigkeit zum Wanken bringen, sondern auch die Wirksamkeit des Gebetes in Folge der körperlichen Ermüdung lähmen.

Zur Erhaltung der Reinheit des Leibes und derSeele ist die Enthaltsamkeit von Speisen nicht hinreichend.

Zur Erhaltung der Reinheit des Leibes und der Seele reicht die Enthaltsamkeit von Speisen allein nicht hin, wenn nicht auch die übrigen Tugenden der Seele mit ihr verbunden sind. Allererst muß daher die Demuth durch die Tugend des Gehorsams, durch die Zerknirschung des Herzens und körperliche Ermüdung erlernt werden. Nicht nur der Besitz von Geld ist zu vermeiden, sondern auch das Verlangen darnach ist mit der Wurzel auszurotten. Denn nicht genügt es, dasselbe nicht zu besitzen, wozu man sich auch meistens aus Noth verstehen muß, sondern selbst wenn es Einem angeboten wurde, darf man den Willen nach demselben nicht aufkommen lassen. Die Zorneswuth muß ertödtet, die niederschlagende Traurigkeit überwunden, die Cenodoxie d. i. die eitle Ruhmsucht verachtet, der Stolz mit Füßen getreten, die unbeständigen und unstäten Zerstreuungen des Geistes durch den beständigen Gedanken an Gott gezügelt werden. So oft müssen wir die schlüpfrige Ausschweifung unseres Herzens zur Betrachtung Gottes verweisen, als der schlaue Feind bei seinem Versuche, unsern Geist dieser Betrachtung zu entziehen, sich in die Verirrungen unseres Herzens einschleicht.

Die Gelüste des Herzens können nur zugleich mit der gänzlichen Ausrottung der Laster ertödtet werden.

Es ist unmöglich, die brennenden Reize des Körpers zu ersticken, ehe auch der Zündstoff zu den übrigen Hauptsünden von Grund aus vernichtet ist. Ueber letztere werden wir im Einzelnen in je einem Buche an geeigneter Stelle mit Gottes Hilfe reden. Unsere jetzige Aufgabe besteht darin, von der Gastrimargie d. i. von der Gaumenlust zu reden, gegen die wir den ersten Kampf zu bestehen haben.

 

Nimmer wird Einer den Stachel der brennenden Lust niederzuhalten vermögen, der die Gelüste des Gaumens nicht zu zügeln vermag. Die Reinheit des innern Menschen erkennt man an der vollkommenen Uebung dieser Tugend. Denn glaube nicht, daß Der jemals mit stärkeren Feinden zu kämpfen im Stande ist, den du in leichterem Kampfe von geringeren Feinden überwunden sähest. Aller Tugenden Wesen ist ja Eins, wenn sie auch in viele Arten und Benennungen getheilt werden, wie auch das Wesen des Goldes Eines ist, obwohl es in vielen und mannigfaltigen Arten von Geschmeiden nach der Erfindung und dem Willen des Künstlers getheilt erscheint. Daher wird es sich zeigen, daß man keine Tugend vollkommen besitzt, wenn man sich aus dem Besitze eines Theils der Tugend verdrängt findet. Denn wie kann man glauben, daß die brennende Gluth der Begierlichkeit, die nicht allein durch die Anreizung des Leibes, sondern auch durch die Versündigung des Geistes entflammt wird, Derjenige löschen werde, der den Stachel des Zornes nicht zurückzudrängen vermochte, obwohl dieser lediglich aus Mangel an innerer Selbstbeherrschung hervorbricht? Oder wie mag Derjenige die üppigen Reize des Fleisches und Geistes dämpfen, der die einfache Sünde des Stolzes nicht zu besiegen vermag? Oder wie soll Einer die dem Fleische angeborene Ueppigkeit ertödten, der einem ausser uns und unserer Natur liegenden Verlangen nach Gold nicht zu entsagen vermag? Keine Stadt ist so sehr durch hohe Mauern und festverschlossene Thore befestigt, daß sie nicht durch die verrätherische Uebergabe eines einzigen noch so kleinen Hinterpförtchens zerstört werden könnte. Denn welcher Unterschied ist es, ob über die Mauern und durch die breiten Breschen an den Thoren oder durch das Versteck einer engen Mine der verderbliche Feind in das Innere der Stadt eindringt?

Dem Kampfe gegen den Geist muß der Kampf gegen das Fleisch zum Vorbilde dienen.

Wer im Wettkampfe streitet, wird nur gekrönt, wenn er rechtmäßig gestritten hat. Wer die natürlichen Gelüste des Fleisches ausrotten will, muß die ausserhalb seiner Natur liegenden Fehler zuerst zu besiegen sich beeilen. Wollen wir nämlich die Bedeutung der Worte des Apostels erforschen, so müssen wir zuerst die Gesetze und Ordnung beim irdischen Wettstreit kennen lernen, damit wir dann auf diese Weise durch Vergleichung mit diesem lernen können, worüber uns beim geistigen Kampf der selige Apostel durch Anwendung dieses Beispieles belehren wollte. Bei jenen Kämpfen, welche, wie gleichfalls der Apostel sagt, den Siegern eine vergängliche Krone einbringen, herrscht die Sitte, daß Derjenige, welcher die mit dem Vorrechte der Steuerfreiheit geschmückte Krone zu erringen strebt und sich den vollkommenen Arten des Wettkampfes unterziehen will, vorher in den olympischen und pythischen Wettkämpfen seine angeborene Jugendkraft und eine Probe seiner Körperstärke zeige. Ferner wird hiebei sowohl das Urtheil des Vorsitzenden als des ganzen Volkes eingeholt, um festzustellen, ob die jungen Leute, welche sich zu diesem Kampfe gemeldet haben, auch dessen würdig sind und zugelassen werden dürfen. Findet man nach sorgfältiger Prüfung, daß erstens seinem Rufe keine Makel anklebt; zweitens daß das Joch der Sklaverei ihn nicht verunehrt, welches ihn dieses Wettstreites und jedes Kampfes mit ehrlichen Gegnern unwürdig machen würde; drittens daß er würdige Proben seiner Kunst und Tapferkeit aufzuweisen und im Kampfe mit jungen Altersgenossen Erfahrung und jugendliche Kraft gezeigt hat; viertens daß er. fortschreitend von den Ringübungen mit Jünglingen, auf die Erlaubniß des Vorsitzenden hin schon mit volljährigen und durch reife Erfahrung erprobten Männern gerungen hat und im ganzen Verlaufe des Ringkampfes sich ihrer Tüchtigkeit nicht nur gewachsen gezeigt, sondern auch häufig unter ihnen die Siegespalme errungen hat: dann erst wird er für würdig gehalten, zu den ruhmreichen Wettkämpfen zu schreiten, bei denen nur Siegern, und zwar mit vielen Kronen geschmückten, die Erlaubniß zum Kämpfen ertheilt wird. — Haben wir uns nun mit dem weltlichen Kampfe, der uns als Beispiel dienen soll, bekannt gemacht, so müssen wir auch die Regeln und Ordnung, in welcher der geistige Kampf sich vollzieht, durch Vergleichung mit jenen kennen lernen.

Wenn wir von dem Laster der Unmäßigkeit nicht frei sind, können wir nimmer an die Kämpfe gegen den inneren Menschen uns heranwagen.

Zunächst müssen wir unsere Freiheit bekunden durch Unterwerfung unseres Fleisches. Denn „von wem Einer besiegt wird, dessen Knecht ist er auch;“ und „Jeder, der Sünde thut, ist der Sünde Knecht.“ Wenn uns nun die Prüfung des Kampfvorstehers mit keiner Makel einer schändlichen Begierde befleckt findet und wir von ihm nicht als Knechte des Fleisches und als Unedle und des olympischen Ringkampfs gegen die Sünden unwürdig erachtet sind, dann werden wir im Stande sein, gegen unsere Altersgenossen d. h. gegen die Begierlichleit und die Regungen unseres Fleisches und unsere Leidenschaften in den Kampf zu ziehen. Denn unmöglich kann ein gesättigter Magen Kämpfe gegen den inneren Menschen bestehen, noch paßt es sich für Einen, in heftigem Gefechte angegriffen zu werden, der bei einem leichteren Zusammenstoß niedergeworfen werden kann.

Überwindung der Gaumenlust.

Zuerst also müssen wir die Gaumenlust niederkämpfen und den Geist nicht bloß durch Fasten, sondern auch durch Nachtwachen, Lesung und häufige Zerknirschung des Herzens gewissermaßen mürbe machen. Bei diesen Beschäftigungen gedenkt er vielleicht seiner Verhöhnung und Besiegung, seufzt bald vor Entsetzen über seine Sünden, bald verzehrt ihn die Sehnsucht nach Vollkommenheit und Reinheit, bis er. in derartige Sorgen und Betrachtungen ganz versenkt, in dem Genusse der Speisen nicht so sehr ein Zugeständniß an die angenehme Empfindung als eine ihm auferlegte Last erkennt und ihn mehr als ein dem Leibe geschuldetes Bedürfniß, denn als eine dem Geiste wünschenswerte Annehmlichkeit fühlt. Durch diese geistige Anstrengung und beständige Zerknirschung niedergehalten werden wir die Üppigkeit des Fleisches, das unter dem Einflusse der Speisen noch viel übermüthiger wird, sowie seine schädlichen Reize abstumpfen. Sie wird uns in den Stand setzen, den Feuerofen unseres Leibes durch reiche Thränen und vieles Weinen zu ersticken, den Feuerofen. zu dessen Heizung der König von Babylon die Gelegenheiten zur Sünde und die Leidenschaften herbeischafft, die uns deftiger als Naphta und Pech brennen. Schließlich jedoch wird dann durch Gottes Gnade die Frische des Thaues, den der heilige Geist in unsere Herzen träufelt, die Gluten der fleischlichen Begierlichleit vollends auslöschen. Das ist also unser erster Kampf; darin besteht gleichsam unsere erste Prüfung in den olympischen Wettkämpfen, daß wir die Begierde des Gaumens und Bruches durch das Verlangen nach Vollkommenheit ersticken. Deßhalb muß nicht nur das überflüssige Verlangen nach Speise durch die Betrachtung der Tugenden ertödtet, sondern auch selbst die notwendigen Forderungen der Natur, gleichsam als seien sie unserer Reinheit feindlich, nicht ohne innere Bekümmerniß befriedigt werden. Und so müssen wir endlich unsern Lebenslauf einrichten, daß wir uns zu keiner Zeit von den geistigen Uebungen mehr abgezogen fühlen, als wann uns die körperliche Gebrechlichkeit zwingt, uns zur nothwendigen Sorge für den Leib zu bequemen. Wenn wir uns zur Befriedigung dieses notwendigen Bedürfnisses herbeilassen, mehr den Anforderungen des Lebens als dem Wunsche des Geistes dienend, so müssen wir möglichst schnell uns von diesem Bedürfnisse loszumachen eilen, als von einer Sache, die uns von den heilsamen Beschäftigungen abzieht. Denn nimmer werden wir im Stande sein, das Vergnügen an den vorhandenen Speisen zu verachten, wenn nicht der in göttliche Betrachtung versenkte Geist eher an der Liebe zur Tugend und der Schönheit himmlischer Dinge seine Freude findet. Und so wird man alles Irdische als vergänglich verachten, wenn man auf das Unwandelbare und Ewige unverwandt den geistigen Blick gefesselt hält und, obwohl im Fleische wandelnd, die Glückseligkeit der künftigen Heimath durch die innere Beschauung schon genießt.

Stets muß der Mönch die Reinheit seines Herzens zu bewahren bestrebt sein.

Will Jemand den unermeßlichen, nur durch kleine Merkmale kenntlich gemachten Tugendpreis in der Höhe erreichen, so muß er mit dem durchdringendsten und mit dem Fluge des Pfeiles wetteifernden Blicke nach demselben zielen: denn er muß wissen, daß die unvergleichliche Ruhmespalme und lohnende Auszeichnung ihm nur dann wird, wenn er sie beständig im Auge behält. Daher muß er das Auge von jeglichem anderen Anblicke wegwenden und dahin richten, wo er den höchsten Lohn und die größte Auszeichnung ausgesetzt sieht. Denn ohne Zweifel wird er der Siegespalme und des Lohnes seiner Tugend verlustig gehen, wenn sein Blick nur ein wenig vom Ziele abschweift.

Der Mönch kann, ähnlich der beim olympischen Wettkampfe üblichen Sitte, die geistlichen Kämpfe nicht bestehen, wenn er im Kampfe wider das Fleisch nicht den Sieg davon getragen hat.

Ist nun durch den Hinblick auf die ewige Belohnung die Begierlichkeit des Bauches und die Gaumenlust überwunden, so daß wir weder als Sklaven des Fleisches noch mit dem Zeichen der Laster gebrandmarkt erscheinen, so wird man uns auch der Uebernahme größerer Kämpfe für würdig erachten. Haben wir zuvor Proben unserer Tapferkeit abgelegt, so wird man uns zutrauen, auch zum Kampfe gegen die schlimmen Eigenschaften unseres Geistes fähig zu sein, obwohl nur Sieger, und zwar solche, die im Kampfe wider den Geist zu streiten verdienen, ihrer Bekämpfung für würdig erachtet werden. Denn das ist die festeste Grundlage aller Kämpfe, daß zuvor die Reize der fleischlichen Gelüste ertödtet werden. Bevor nämlich nicht das eigene Fleisch besiegt ist, kann Niemand rechtmäßig kämpfen. Und wer nicht rechtmäßig kämpft, kann ohne Zweifel sich weder an einem Kampfe beteiligen noch die Auszeichnung einer Krone und den Siegeslohn verdienen. Wenn wir nun in diesem Kampfe überwunden worden sind, so werden wir als erwiesene Knechte der Fleischeslust, und deßbalb weder das Abzeichen der Freiheit noch der Kraft tragend, als Sklaven und Unwürdige von dem Kampfe mit den Gelüsten des Geistes mit Schimpf und Schande davon gejagt werden. Denn „Jeder, der Sünde thut, ist der Sünde Knecht“.1Auch wird man zu uns gleich Jenen, unter denen die Unzucht genannt wird, mit dem Apostel sagen: „Versuchung befällt euch nicht, ausser menschliche.“ Denn nach Erprobung unserer geistigen Kraft wird man uns nicht für würdig halten, schwerere Kämpfe gegen die Nichtswürdigkeit der bösen Engel zu bestehen, da wir das gebrechliche Fleisch bei seinem Widerstande gegen den Geist nicht zu unterjochen vermochten. Einige, welche das Wort des Apostels nicht verstanden, haben statt des Indicativs den Optativ gesetzt, also: „Versuchung befalle euch nicht, ausser menschliche“. Allein Dieß ist offenbar vom Apostel nicht so sehr im Tone des Wunsches als des Gebetes und Vorwurfes gesagt.

Die Grundlage des geistigen Kampfes beruht auf dem Kampfe gegen die Unmäßigkeit.

Willst du einen wahren Kämpfer Christi hören der in rechtmäßigem Kampfe streitet? „Ich laufe so“, sagt derselbe. „nickt wie in’s Unbestimmte; ich kämpfe so und mache keine Lufthiebe, vielmehr kasteie ich meinen Leib und bringe ihn in Abhängigkeit, damit ich nicht, indem ich Andern predige, selbst verworfen werde.“ Siehst du, wie er auf sich selbst, auf sein Fleisch, wie auf die festeste Grundlage den ganzen Kampf gründet und einen Fortschritt im Kampfe einzig von der Abtödtung des Fleisches und der Unterwerfung seines Leibes hofft? Also „so laufe ich nicht wie in’s Unbestimmte“. Nicht läuft in’s Unbestimmte, wer, nach dem himmlischen Jerusalem schauend, einen festen Punkt hat, wohin er seines Herzens ungeschwächte Schnelligkeit richten muß. Nicht läuft in’s Unbestimmte, wer vergißt, was hinter ihm liegt, und auf das gerichtet ist, was vor ihm liegt, wer das bestimmte Ziel der durch Gott in Christo Jesu an ihn ergangenen höheren Berufung verfolgt und den Blick seines Geistes auf Christus gerichtet hält, auf den die ganze Bildung seines Herzens abzielt, was er mit den vertrauensvollen Worten bekundet: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, meinen Lauf vollendet, den Glauben bewahrt.“ Und weil er sich bewußt war, daß er nach dem Wohlgeruche der Salben Cbristi in eiliger Hingebung seines Gewissens unermüdlich gelaufen ist und im Kampfe gegen den Geist durch die Kreuzigung des Fleisches den Sieg davon getragen hat. tritt er mit Vertrauen zu ihm bin und spricht: „Im Uebrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt, die mir der Herr als gerechter Richter an jenem Tage verleihen wird.“ Und um auch uns gleiche Aussicht auf Vergeltung zu eröffnen, wenn wir ihm in diesem Wettlaufe nachahmen wollten, fügt er bei: „aber nicht allein mir, sondern auch Allen, die seine Ankunft lieben.“ Damit bezeichnet er uns als einstige Theilnehmer an seiner Krone am Tage des Gerichtes, wenn wir die Ankunft Christi lieben, nicht nur jene, die wir auch wider unsern Willen erfahren werden, sondern auch diejenige Ankunft, durch welche er täglich die frommen Seelen heimsucht und uns befähigt, aus Liebe zu ihm durch Züchtigung unseres Leibes den Sieg im Kampfe zu erringen. Von dieser Ankunft sagt der Heiland im Evangelium: „Ich und mein Vater werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ und wiederum: „Siehe, ich stehe an der Thüre und klopfe an; wenn Jemand meine Stimme hört und die Thüre aufmacht, so will ich zu ihm eingeben und Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir.“

Durch wie viele Kämpfe und Siege der Apostel die Siegeskrone im höchsten Kampfe errungen habe.

Und doch beschreibt der Apostel noch nicht die Vollendung seines Kampfes, wenn er sagt: „So laufe ich, nicht wie in’s Unbestimmte.“ Dieses bezieht sich im Besondern auf die Richtung seines Herzens und den glühenden Eifer seines Geistes, in Folge dessen er Christum mit der ganzen Gluth seiner Liebe folgte, mit der Braut im hohen Liede sprechend: „Wir wollen dir nachlaufen, dem Geruche deiner Salben nach“ und wiederum: „Es hanget meine Seele an dir.“ Aber auch in einer andern Art des Kampfes bezeugt er gesiegt zu haben, indem er spricht: „So kämpfe ich. nicht gleichsam die Luft peitschend, sondern ich züchtige meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit.“ Tiefes bezieht sich zunächst auf die schmerzvolle Enthaltsamkeit und das körperliche Fasten und die Kreuzigung des Fleisches; durch diese letztere ist er nach seiner Schilderung ein rüstiger Kämpfer gegen sein Fleisch. Und nicht vergebens, wie er sagt, führte er gegen dasselbe die Schläge der Enthaltsamkeit, sondern er triumphirte in diesem Kampfe durch die Abtödtung seines Leibes. Nachdem dieser durch die Schläge der Enthaltsamkeit gezüchtigt und mit dem Riemen des Fastens tüchtig gepeitscht worden war, verlieh der Richter dem siegreichen Geiste die Krone der Unsterblichkeit und die Palme der Unverweslichkeit. Hier siehst du die rechtmäßige Ordnung des Kampfes und den Ausgang im geistigen Kriege. Hat nämlich der Kämpfer Christi über das aufrührerische Fleisch den Sieg erlangt, so tritt er es gleichsam mit Füßen, und wie ein stolzer Triumphator fährt er über dasselbe dahin. —- Und deßhalb läuft er nicht in’s Unbestimmte, weil er des festen Vertrauens war, daß er in die heilige Stadt, das himmlische Jerusalem, sofort einziehen werde. So kämpfe er, durch Fasten und Bändigung des Fleisches, nicht gleichsam die Luft peitschend, d. h. vergeblich die Streiche der Enthaltsamkeit führend, durch die er nicht die leere Luft, sondern jene Geister, die in ihr sind, durch Züchtigung seines Leibes peitschte. Denn wer sagt: „nicht gleichsam die Luft peitschend.“ gibt zu erkennen, daß er nicht die leere und nichtige Luft, wohl aber Jemanden in der Luft schlage. Und weil er in diesem Kampfe Sieger geblieben ist und zum Lohne dafür mit vielen Kränzen geschmückt einherging, beginnt er nicht mit Unrecht Kämpfe mit stärkeren Feinden, und nach dem Triumphe über die früheren Nebenbuhler ruft er voll Vertrauen aus „Nun haben wir nicht mehr den Kampf zu bestehen gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürstenthümer und Mächte, gegen die Beherrscher dieser Welt der Finsterniß. gegen die bösen Geister in der Luft.“

 

Der Kämpfer Christi verläßt nicht den Kampf, solang er im Körper weilt.

Solange der Streiter Christi im Körper weilt, fehlt ihm nie die Palme des Kampfes, sondern je mehr er durch Triumphe und Erfolge gestiegen ist, ein um so stärkerer Kampf tritt jedesmal an ihn heran. Ist das Fleisch unterjocht und besiegt, welche Schaaren von Gegnern, welche Heereszüge von Feinden, aufgestachelt von seinen Triumphen, erheben sich dann gegen den siegreichen Streiter Christi! Denn er könnte sonst durch die Muße des Friedens erschlaffen, seiner rühmlich durchgefochtenen Kämpfe vergessen und durch die Unthätigkeit, zu der ihn seine Sicherheit verleitet, um den Lohn und das Verdienst seiner Triumphe betrogen werden. Wollen wir daher zu den Stufen des Triumphes durch Voranschreiten in der Tugend emporsteigen, so müssen wir auch in dieser Ordnung die Kämpfe beginnen und zuerst mit dem Apostel sprechen: „So fechte ich, nicht gleichsam die Luft peitschend, ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Dienstbarteit;“ und haben wir diesen Kampf siegreich bestanden, so können wir wiederum mit ihm sagen: „Nicht haben wir zu kämpfen gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürstenthümer und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser Welt der Finsterniß, gegen die bösen Geister in der Luft.“ Anders nämlich können wir auf keine Weise in den Kampf mit ihnen treten, und wir werden nicht würdig befunden werden, uns im Kampfe mit den Geistern zu messen, wenn wir im Streite mit dem Fleische unterlegen und im Kampfe gegen den Bauch geschlagen sind. Mit Recht wird man uns dann des Apostels Wort zum Vorwurfe machen: „Versuchung befällt euch nicht, ausser menschliche.“

Der Mönch darf die Essenszeit nicht überschreiten, wenn er zu den Kämpfen mit dem innern Feinde gelangen will.

Will der Mönch zum Kampfe mit dem innern Feinde gelangen, so muß er vor Allem die Vorsichtsmaßregel anwenden, daß er durch keine Lust an Speise und Trank sich verleiten lasse, vor der festgesetzten Zeit und der Stunde der gemeinsamen Mahlzeit Etwas ausser Tisch zu genießen; aber auch nach Beendigung der Mahlzeit soll er sich nicht erlauben, die geringste Speise zu nehmen. Ebenso soll er auch die festgesetzte Zeit und das bestimmte Maß des Schlafes einhalten. Denn mit demselben Eifer muß man die Auswüchse des Geistes abschneiden, mit dem man das Laster der Unzucht wegschneiden muß. Wer aber die ungeordneten Begierden des Gaumens nicht zu zügeln vermochte, wie wird der die Gluthen der Fleischeslust auslöschen können? Und wer die kleinen und offen zu Tage liegenden Leidenschaften nicht bändigen konnte, wie wird er die verborgenen und von Jedermann unbemerkt ihn quälenden Leidenschaften mit Einsicht und Klugheit bekämpfen können? Und deßhalb bewährt sich bei den einzelnen Regungen und in jedwedem Verlangen die Kraft des Geistes. Wenn nun Einer bei sehr kleinen und offenkundigen Leidenschaften überwunden wird, was er dann bei sehr großen, starken und verborgenen auszuhalten vermag, das sagt ihm sein eigenes Bewußtsein.

Von dem inneren Frieden und der geistigen Enthaltsamkeit des Mönches.

Nicht brauchen wir die Feinde von aussen zu fürchten; in uns selbst ist der Feind eingeschlossen. Ein innerer Krieg wird täglich in uns geführt. Ist dieser ausgekämpft, so wird Alles, was sich ausserbalb findet, schwach und dem Streiter Christi vollständig unterworfen sein. Nicht werden wir den Feind von aussen zu fürchten haben, wenn Alles, was in uns ist, sich besiegt dem Geiste unterwirft. Glauben wir ja nicht, daß die Enthaltung von sichtbarer Speise allein zur geistigen Vollkommenheit und leidlichen Reinheit hinreichen könne, wenn nicht damit auch das Fasten des Geistes verbunden ist. Denn auch er hat seine schädlichen Speisen, und ist er durch diese fett geworden, so rollt er, auch ohne Überfluß an Speisen, an den Abgrund der Üppigteit. Zerstreuung ist seine Speise, und zwar eine sehr angenehme, Zorn ist auch eine Speise für ihn, wenn auch keine sehr leichte, der jedoch zu Zeiten ihm einen höchst verhängnißvollen Geschmack bereitet, und deren Genuß ihn ebenfalls tödtlich trifft. Neid ist eine Speise für den Geist, der ihn mit giftigen Säften verdirbt und nicht abläßt, ihn durch das Glück und den Erfolg des Nächsten fortwährend qualvoll zu martern. Cenodoxie. d. i. eitle Ruhmsucht, ist ihm eine Speise, deren ergötzlicher Genuß ihn eine Zeit lang beruhigt, dann aber entblößt, aller Tugenden beraubt und nackt macht und ihn jeglicher geistigen Frucht baar entläßt. Diese Speise bewirkt nicht bloß den Verlust der durch die überaus großen Mühen erworbenen Verdienste, sondern bereitet auch noch größere Qualen. Alle Begierlichkeit und alles unstäte Herumschweifen des Geistes ist eine Nahrung der Seele, welche sie mit schädlichen Speisen nährt, aber den, der das Himmelsbrod und eine gediegene Speise nicht kostet, nachmals verläßt. Wenn wir uns also, soviel in unserer Macht liegt, dieser Speisen durch ein besonders geheiligtes Fasten enthalten, werden wir mit Nutzen und Bequemlichkeit das körperliche Fasten beobachten können. Denn ein abgetödteter Leib, verbunden mit einem zerknirschten Geiste, wird ein Gott sehr angenehmes Opfer und eine würdige Wohnstätte der Heiligkeit mit reinen und makellosen Zufluchtsstätten darstellen. Uebrigens, wenn wir trotz des körperlichen Fastens in die verderblichsten Sünden des Geistes verstrickt sind, wird uns die Züchtigung des Fleisches Nichts nützen, da wir an einem viel kostbareren Theile befleckt und an jener wesentlichen Seite fehlerhaft sind, durch welche wir die Wohnung des heiligen Geistes werden. Denn nicht so sehr das verwesliche Fleisch als ein reines Herz wird die Wohnung Gottes und der Tempel des heiligen Geistes. Es muß also, während der äussere Mensch fastet, auch der innere in ähnlicher Weise sich der schädlichen Speisen enthalten; vorzüglich muß er sich rein halten für Gott, damit er Christum als Gast in sich aufzunehmen verdiene. Dazu mahnt der Apostel mit den Worten. es möge im inneren Menschen Christus wohnen, durch den Glauben in unseren Herzen.

Wir müssen die körperliche Enthaltsamkeit üben, um zur Nüchternheit des Geistes zu gelangen.

Seien wir also überzeugt, daß wir deßhalb unsere Mühe auf die körperliche Enthaltsamkeit verwenden müssen, um durch dieses Fasten zur Reinheit des Herzens gelangen zu können. Uebrigens wenden wir diese Mühe vergebens an, wenn wir zwar dieselbe durch die Betrachtung des Zieles unermüdlich ertragen, das Ziel selbst aber, wegen dessen wir so große Mühsalen ertragen haben, nicht zu erreichen vermögen. Ja, es wäre besser gewesen, die verbotenen Speisen der Seele gemieden zu haben, als in Bezug auf freigestellte und weniger schädliche Speisen körperlich gefastet zu haben. Denn hier ist es der einfache und unschädliche Genuß eines Geschöpfes Gottes, der an und für sich nichts Sündhaftes an sich trägt; dort ist es aber in erster Linie ein verderbliches Verschlingen der Brüder, von dem es heißt: „Liebe nicht die Verläumdung. damit du nicht mit der Wurzel ausgerissen werdest.“ Und vom Zorn und Neid sagt der selige Job: „Einen Thoren bringt der Jähzorn um, und einen Einfältigen tödtet der Neid.“ Zugleich sei bemerkt, daß der. welcher zürnt, für einen Thoren, und wer neidisch ist, für einen Einfältigen gilt. Denn nicht mit Unrecht gilt Jener für thöricht, da er von dem Stachel des Zornes gereizt sich freiwillig den Tod zuzieht; und Dieser beweist sich als einen einfältigen und unfähigen Menschen dadurch, daß er vor Neid gelb wird. Denn durch seinen Neid bezeugt er, daß Derjenige größer ist, über dessen Glück er sich quält.

Wie die Kost eines Mönches beschaffen sein soll.

Man muß also nicht bloß eine Kost wählen, welche die Gluth der brennenden Begierlichkeit dämpft oder weniger entflammt, sondern eine solche, die auch leicht zu bereiten ist und neben dem Vortheil des zweckmäßigen Genusses auch den der Wohlfeilheit bietet und endlich der gemeinsamen Lebensweise der Brüder entspricht. Denn dreifach ist die Natur der Gaumenlust: erstens dringt sie darauf, der bestimmten Essensstunde vorzugreifen; zweitens findet sie nur Lust an dem Vollpfropfen des Magens und an der Uebersättigung mit jedweder Speise; drittens setzt sie ihr Vergnügen in feinere und schmackhaftere Mahlzeiten. Deßhalb muß auch der Mönch gegen dieselbe eine dreifache Wachsamkeit üben: nämlich erstens die festgesetzte Zeit abwarten, die ihn vom Fasten erlöst; zweitens dem Verlangen nach Sättigung nicht nachgeben; drittens mit allen beliebigen, auch geringeren Speisen vorlieb nehmen. Was man sich aber neben dem gewohnten und allgemeinen Gebrauche herausnimmt, brandmarkt eine sehr alte Ueberlieferung der Väter als von der Krankheit der Eitelkeit, Ruhmsucht und Prahlerei angefressen, und noch nie haben wir erfahren, daß Solche, die sich, wie uns bekannt, ein glänzendes Verdienst in der Wissenschaft und Schärfe des Urtheils erworben haben, oder welche die Gnade Christi Allen als überaus glänzende Lichter zur Nachahmung hingestellt hat, daß Diese sich den Genuß des Brodes, das bei ihnen billig und leicht zu haben ist, versagt hätten. Und niemals haben wir gesehen, daß Einer von Denen, die von dieser Regel abgingen, den Genuß des Brodes unterließen und dem von Gemüse oder Obst sich ergaben, unter die besonders Tugendhaften gezählt worden sei, geschweige denn die Tugend der Klugheit oder Wissenschaft erlangt habe. Denn nach der Väter Ansicht soll der Mönch nicht nach Speisen verlangen, welche die übrigen nicht gewohnt sind. Hierdurch wird nur sein Wandel gleichsam in’s Freie vor Aller Augen ausgestellt als ein eitler und nichtiger, und er selbst stirbt an der Krankheit der Ruhmsucht dahin. Ja, die Väter gingen noch weiter und behaupteten. nicht einmal die allgemeine Züchtigung vermittelst Fasten dürfe der Einzelne leichthin zur Schau tragen, sondern soviel es möglich sei, müsse man sie bedecken und verbergen. Man hielt es aber für rathsamer. einem besuchenden Bruder mehr die Tugend der Nächstenliebe entgegenzubringen, als die Strenge der Enthaltsamkeit und den Ernst des täglich gefaßten Vorsatzes zu offenbaren. Denn man war nicht so sehr auf das bedacht, was unser Wille und Nutzen verlangt, als bemüht, dem Ankömmling Dasjenige vor Augen zu stellen, was seine Ruhe oder Schwachheit erheischt, und führte Dieß alles mit freundlicher Miene aus.

In Ägypten werden nach meiner eigenen Erfahrung bei der Ankunft eines Fremden die täglichen Fasten stets gebrochen.

Als ich. von dem Verlangen beseelt, die Anordnungen der Oberen kennen zu lernen, aus Syrien in die Provmz Aegypten gereist war. verwunderte ich mich über die herzliche Freude, mit der ich aufgenommen wurde. Ja. diese Freude war so groß, daß gar keine Regel in Bezug auf die Mahlzeit eingehalten wurde, wie ich sie in den Klöstern Palästinas kennen gelernt hatte. Dort nämlich mußte man warten bis zu der Stunde, welche durch die Fastenordnung im Voraus bestimmt war; aber hier wurde, mit Ausnahme der durch die Kirchengesetze angeordneten Fasten am Mittwoch und Freitag, überall, wohin wir kamen, das tägliche Fasten gebrochen. Als ich einen Vorsteher fragte, warum man bei ihnen so ohne Unterschied über die täglichen Fasten sich hinaussetze, erhielt ich folgende Antwort: „Das Fasten ist immerdar bei mir; dich aber, den ich wieder eentlassen muß, kann ich nicht immer bei mir behalten. Und das Fasten, so nützlich und stets nothwendig es ist, ist doch die Darbringung eines freiwilligen Geschenkes; aber das Werk der Liebe zu erfüllen, fordert das Gebot; deßhalb muß ich in dir Christum aufnehmen und speisen; habe ich dich aber entlassen, so kann ich die Nächstenliebe, die ich um seinetwillen dir erzeigt habe, durch ein strengeres Fasten an mir aufwägen. Denn die Begleiter des Bräutigams können nicht fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist; wenn er aber hinweggegangen sein wird, dann werden sie fasten.“

Enthaltsamkeit eines Greises, der nach sechsmaligem Genusse von Speisen noch hungerte.

Als mich beim Essen ein Vorsteher aufforderte, noch ein wenig zu essen, und ich sagte, ich könne nicht mehr, erwiderte er: „Ich habe schon sechsmal zu verschiedenen Zeiten ankommenden Brüdern den Tisch gedeckt und, um Jeden zum Essen aufzumuntern, mit Allen Speise genossen und hungere noch; und du, der du jetzt das erste Mal issest, sagst, du könnest nicht mehr!“

Ein anderer Greis nahm in seiner Zelle niemals allein Speise zu sich.

Ich sah einen Anderen in der Einsamkeit wohnen, der bezeugte, niemals sich allein sein Essen gegönnt zu haben; sondern, wenn auch fünf Tage lang kein Bruder zu seiner Zelle gekommen wäre, habe er immer seine Mahlzeit aufgeschoben, bis er am Samstag oder Sonntag, um sich an der Gebetsversammlung zu erbauen, zur Kirche gegangen sei und auf dem Wege einen Fremden gefunden habe. Diesen habe er auf seinem Rückwege zu seiner Zelle mitgenommen, wo er in Gemeinschaft mit ihm nicht so sehr zur Befriedigung seiner Bedürfnisse als aus Nächstenliebe und des Bruders wegen das Essen verzehrte. – Wie daher die Mönche bei der Ankunft von Brüdern unterschiedslos die Fasten zu brechen wissen, so ersetzen sie nach ihrem Weggange die ihretwegen genossene Mahlzeit durch eine größere Enthaltsamkeit. Denn sie fordern den Genuß der geringsten Speisen nicht bloß durch eine strenge Abtödtung beim Genusse von Brod, sondern sogar durch Verkürzung des Schlafes mit wahrer Härte zurück.

Lob der Äbte Päsius und Johannes.

Zum greisen Päsius, der in einer sehr öden Wüste wohnte, kam einst der greise Johannes, der Obere eines Klosters und einer zahlreichen Brüderschaar, und fragte ihn als seinen ältesten Genossen, was er denn die vollen vierzig Jahre gethan habe, die er, von ihm getrennt und nicht im Geringsten von den Brüdern gestört, in der Einsamkeit verlebt babe. „Niemals“, sagte Dieser, „sah mich die Sonne essen.“ Und Jener sprach: „Und mich nie erzürnt.“

Des Abtes Johannes herrliche Lehre, gegeben auf dem Todesbette.

Freudig, als wandelte er in seine Heimath, lag dieser Greis (der Abt Johannes) in den letzten Zügen. Aengstlich umstanden ihn die Brüder und baten ihn flehentlich, er möge ihnen ein denkwürdiges Gebot als Vermächtnis hinterlassen, durch das sie leichter wegen seiner Kürze zum Gipfel der Vollkommenheit gelangen könnten. Seufzend sprach er: „Niemals habe ich meinen eigenen Willen gethan noch Jemanden Etwas gelehrt, das ich nicht selbst vorher gethan.“

Abt Machetes schlief nie bei geistlichen Gesprächen, aber beim Anhören weltlicher Geschichten versank er stets in Schlaf.

Ich kannte einen Greis, mit Namen Machetes, der fern von den Brüdern lebte. Dieser hatte durch tägliches Gebet von Gott die Gnade erhalten, daß er, so oft bei Tag oder bei Nacht eine geistliche Unterhaltung geführt wurde, nie ganz dem Schlafe in die Arme sank. Wenn aber Jemand ein zerstreuendes oder müßiges Wort anzubringen versuchte, fiel er sofort in Schlaf, als ob das Gift des Widerspruches nicht einmal bis zur Befleckung seiner Ohren vordringen könnte.

Des Abtes Machetes Vorschrift, über Niemanden zu urtheilen.

Als dieser Greis die Lehre vortrug, daß wir Niemanden richten sollten, sagte er, drei Stücke habe er mit den Brüdern besprochen oder vielmehr an ihnen getadelt: weil sie sich das Zäpfchen abschneiden ließen, weil sie in den Zellen ein Tuch halten, und weil sie Öl segneten und es den Weltleuten auf Verlangen gäben. Dieß alles sei ihm, wie er sagte, hernach selbst widerfahren. Denn als ich, so erzählte er, an der Entzündung des Zäpfchens litt, welkte ich in Folge dieses Leidens so lange hin, bis ich sowohl vom Schmerze überwältigt, als durch dte Aufforderung aller Obern gedrängt, es abschneiden ließ. In Folge dieser Krankheit war ich auch genöthigt, ein Tuch zu tragen. Auch mußte ich Öl segnen und es den Leuten, die darum baten, reichen, was ich über Alles verwünschte, da es nach meiner Ueberzeugung von großer Vermessenheit herrührte. Ich sah mich indessen plötzlich von vielen Weltleuten umgeben, die mich so gefangen hielten, daß ich auf keine Weise entrinnen konnte, bis sie mich mit Gewalt und Bitten dazu vermochten, auf das dargereichte Gefäß mit Öl das Kreuzzeichen zu machen und meine Hand zu legen. Im Glauben nun, geweihtes Oel empfangen zu haben, ließen sie mich endlich los. Durch diese Vorfälle wurde mir klar, daß ein Mönch in dieselben Händel und Fehler verwickelt wird, worüber er sich ein Urtheil an Anderen erlaubt. Es muß also ein Jeder nur sich selbst richten und umsichtig und vorsichtig auf sich Acht geben, nicht aber den Lebenswandel Anderer einer Kritik unterziehen nach dem Gebote des Apostels: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Seinem Herrn steht oder fällt er.“ und (nach des Heilandes Wort): „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Gerichte ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden.“

Ausser der genannten Ursache ist es auch deßhalb gefährlich zu urtheilen, weil wir nicht die Noth oder den Grund kennen, der die Menschen in dem, worin wir sie fehlen sehen, vor Gott recht oder wenigstens verzeihlich handeln läßt. Deßhalb können wir als vermessene Richter befunden werden und so eine nicht geringe Sünde begehen, wenn wir etwas Unziemliches von unsern Brüdern denken.

Strafrede desselben Greises gegen die Brüder, welche bei geistigen Gesprächen schliefen, aber bei der Erzählung müßiger Geschichten aufwachten.

Ebenso behauptete dieser Greis, der Teufel begünstige die müßigen Erzählungen und trete allzeit als Bekämpfer geistlicher Gespräche auf: eine Behauptung, welche der Abt auf folgende Beobachtung stützte. Wenn er mit einigen Brüdern von geistigen Dingen redete und sie dabei in einen todtenähnlichen Schlaf versenkt sah, dessen Last sie nicht von ihren Augen zu wälzen vermochten, so flocht er plötzlich eine müßige Erzählung in die geistige Unterhaltung ein. Sah er sie dann sofort vor Freude hierüber erwachen und aufmerksam werden, so sprach er seufzend: „Bis jetzt sprachen wir von himmlischen Dingen, und euer aller Augen wurden von tiefem Schlafe gefesselt; aber nachdem eine müßige Erzählung eingestreut ist, sind wir alle aufgewacht und haben die Betäubung des uns beherrschenden Schlafes von uns geschüttelt. Jedoch erwägt hieraus, wer denn der Bekämpfer jener geistlichen Unterhaltung gewesen ist, und wer die Freude an dieser unnützen und sinnlichen Unterhaltung eingibt. Denn ganz offen liegt es hier auf der Hand, daß es Derjenige ist, welcher aus Freude am Bösen diese Ergötzung stets begünstigte und jene Freude an der geistlichen Unterhaltung unaufhörlich bekämpft.“

Wie Briefe vor dem Lesen verbrannt wurden.

Für nicht minder nothwendig halte ich auch die Erwähnung folgender That eines um die Reinheit seines Herzens bemühten und auf die göttliche Betrachtung eifrig bedachten Bruders. Als ihm nach fünfzehn Jahren von seinen Eltern und vielen Freunden aus der Provinz Pontus mehrere Briefe gebracht worden waren, nahm er das große Packet Briefe, besann sich eine Weile und sprach endlich: „Welche Gedanken wird mir das Lesen dieser Briefe verursachen? Entweder werden sie zu eitler Freude oder zu nutzloser Betrübniß mich hinreissen. Wie viele Tage werden sie, durch die Erinnerung an Jene, die sie geschrieben, mein Herz von der erstrebten Beschaulichkeit abziehen! Nach wie langer Zeit werde ich diese Verwirrung. die sich meines Geistes dann bemächtigt, wieder zu regeln vermögen, welche Mühe wird die Wiederherstellung dieses ruhigen Zustandes erfordern, wenn ich einmal durch die Gemüthsbewegung, welche das Lesen der Briefe in mir hervorgerufen, aufgeregt bin, wenn ich die Reden und Mienen Derer an meinem Geiste vorüberziehen lasse, die ich so lange verlassen habe, und dadurch anfange, sie im Geiste zu besuchen, bei ihnen zu weilen! Sie dem Leibe nach verlassen zu haben, wird in der That Nichts nützen, wenn ich sie im Geiste anzublicken beginne und die Erinnerungen, die jeder Ordensmann wie ein Todter aufgegeben hat, wieder aufleben und in meinem Herzen Platz greifen lasse.“ Nachdem er Dieß erwogen, faßte er den Entschluß, nicht nur keinen Brief zu öffnen, sondern nicht einmal das Päckchen zu erschließen, damit er nicht die Namen Derer, die sie geschrieben, durchzugehen oder ihres Aussehens sich zu erinnern genöthigt sei, was ihn von der himmlischen Richtung seines Geistes abziehen würde. Gebunden, wie er es empfangen hatte, gab er daher das Päckchen dem Feuer zum Verbrennen hin mit den Worten: „Fort mit euch, ihr Gedanken an die Heimath, verbrennet ebenso, damit ihr fernerhin nicht versuchet, mich dahin zurückzurufen, von wo ich geflohen bin.“

Abt Theodor löst eine Frage mit Hilfe des Gebetes.

Ich kannte auch den Abt Theodor, einen Mann von großer Heiligkeit und Wissenschaft. Er zeichnete sich nicht nur durch ein thätiges Leben, sondern auch durch Kenntniß der heiligen Schriften aus, welche ihm nicht so sehr weltliches Studium, als vielmehr einzig die Reinheit seines Herzens verschafft hatte; konnte er ja doch von der griechischen Sprache nur wenige Worte verstehen und aussprechen. Als er einst Aufklärung in einer sehr dunklen Frage suchte, verharrte er sieben Tage und Nächte unermüdlich im Gebete, bis ihm vermittelst göttlicher Offenbarung die Lösung der vorliegenden Frage klar wurde.

Welches Studium der Abt Theodor seinen Mönchen empfahl, um Kenntniß in der heiligen Schrift zu erlangen.

Als einige Brüder das hell glänzende Licht seiner (des Abtes) Wissenschaft bewunderten und ihn nach dem Sinn einiger Stellen der heiligen Schrift fragten, gab er zur Antwort, ein Mönch, der in die Kenntniß der heiligen Schriften eindringen wolle, dürfe keineswegs seine Mühe auf das Studium der Kommentare verwenden, sondern vielmehr seinen ganzen geistigen Fleiß und seine ganze innere angestrengte Thätiakeit auf die Reinigung von den Sünden des Fleisches hinlenken. Sind diese vertrieben, und ist die Decke der Leidenschaften hinweggenommen, so werden die Augen des Geistes die heiligen Schriften gleichsam naturgemäß zu schauen beginnen. Denn nicht um uns dunkel und unbekannt zu bleiben, sind sie uns durch die Gnade des heiligen Geistes geoffenbart worden, sondern durch unsere Schuld verhüllt die Decke der Sünden die Augen des Geistes und macht uns die Geheimnisse dunkel; sind diese Augen nun wieder der natürlichen Gesundheit zurückgegeben, so reicht schon das Lesen der heiligen Schriften allein vollständig bin, um einzudringen in die wahre Wissenschaft, und man bedarf nicht der Belehrung eines Kommentars, wie auch die leiblichen Augen keine Belehrung nöthig haben, wenn sie nur vom Staar und dem Nebel der Blindheit frei sind. Daber sind denn auch unter den Auslegern selbst so große Meinungsverschiedenheiten und Irrthümer entstanden, weil die meisten, ohne den geringsten Fleiß auf die geistige Reinigung verwandt zu haben, zur Auslegung derselben eilen. Denn in Folge der Ueppigkeit und Unreinheit ihres Herzens bilden sie sich Meinungen, die vom Glauben abweichen oder ihm gar entgegengesetzt sind und ihren eigenen Behauptungen widersprechen. Daher kommt es, daß sie das Licht der Wahrheit nicht zu finden vermögen.

Strafrede des Abtes Theodor, die er um Mitternacht in meiner Zelle hielt.

Unversehens kam einst um Mitternacht ebenfalls der Abt Theodor an meine Zelle, erkundigte sich heimlich mit väterlicher Besorgniß, was ich noch unerfahrener Einsiedler mache, und als er fand, daß ich sofort nach dem feierlichen Nachtgebete den müden Leib schon zur Ruhe gebracht und auf der Decke dalag, stieß er aus dem Grunde seines Herzens Seufzer aus, und mich beim Namen nennend sprach er: „Johannes, wie Viele reden zu dieser Stunde mit Gott und umfangen und behalten ihn in ihrem Herzen, und du läßt dich um diese Erleuchtung betrügen, vom trägen Schlafe dahin gestreckt!“

Weil ich nun einmal, durch die Tugenden und Gnadengaben der Väter veranlaßt, zu solchen Erzählungen abgeschweift bin, so halte ich es für nothwendig. das merkwürdige Liebeswerk, das ich von Seiten des vortrefflichen Archebius an mir erfahren habe, in diesem Buche zu empfehlen, damit die Reinheit der Enthaltsamkeit mit der Uebung der Liebe verbunden und durch schöne Mannigfaltigkeit ausgezeichnet um so heller erglänze. Denn nur dann wird das Fasten ein Gott wohlgefälliges Geschenk, wenn es durch die Früchte der Liebe seine Vollendung erhalten hat.

Beschreibung der Wüste Diolkus, in welcher Anachoreten leben.

Als ich, noch ein Neuling, von den Klöstern Palästina’s nach einer ägyptischen Stadt, mit Namen Diolkus, gekommen war. fand ich daselbst eine sehr große Genossenschaft, welche durch die Klosterzucht eng verbunden und durch eine vortreffliche und zwar die erste Mönchsregel wunderbar eingerichtet war. Doch durch allseitige Lobsprüche begierig gemacht beeilte ich mich, auch eine andere Genossenschaft, welche noch viel trefflicher gilt, nämlich die der Anachoreten, besonders genau kennen zu lernen. Diese verweilen nämlich zuerst sehr lange in den Klöstern, wo sie sich allseitig in der Geduld und Weisheit unterweisen lassen und sich die Tugend der Demuth wie der Entsagung aneignen und bis auf den letzten Grund alle Fehler ausrotten, um sich auf die härtesten Kämpfe gegen die bösen Geister vorzubereiten. Hierauf ziehen sie sich in die Verborgenheit der Wüste zurück. Um diesen ihren Vorsatz auszuführen, leben diese Männer, wie ich in Erfahrung brachte, an den Ufern des Nil, an einem Orte, der, auf der einen Seite vom Nil selbst, auf der anderen vom weiten Meere umflossen, eine Insel, bildet, welche nur von solchen Mönchen bewohnt wird, welche die Verborgenheit suchen. Denn der trügerische Boden und die unfruchtbare Sandfläche machen ihn jeder Bebauung unfähig. Zu diesen eilte ich, und ich bewunderte die übermäßigen Beschwerden, die sie in heiliger Beschaulichkeit und aus Liebe zur Einsamkeit ertragen. Denn selbst an Wasser leiden sie großen Mangel und vertheilen dasselbe mit solcher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit der auch nicht der genügsamste Mensch den kostbarsten Wein in Acht nimmt und schont. Denn drei Meilen weit oder noch weiter holen sie es aus dem Bette des genannten Flusses zu ihren notwendigen Bedürfnissen. Die übergroße Schwierigkeit, mit welcher die auf dieser weiten Strecke gelegenen Sandberge überschritten werden müssen, machen diese Anstrengung doppelt groß.

Von der Nächstenliebe des Abtes Archebius.

Der Anblick dieser Anachoreten entflammte mich zur Nachahmung derselben. Als der genannte Archebius, der tugendhafteste unter ihnen, diesen meinen Wunsch erfahren, führte er mich, um an mir seine Nächstenliebe auszuüben, in seine Zelle und stellte sich, als wolle er diesen Ort verlassen und aus seiner Zelle ausziehen, um mir dieselbe zu überlassen. Zugleich versicherte er mir, daß er Dieß thun würde, wenn ich auch nicht da wäre. Von dem Verlangen beseelt, dort zu bleiben, und den Versicherungen eines so großen Mannes unbezweifelten Glauben schenkend ging ich gern auf diesen Vorschlag ein und übernahm die Zelle sammt ihrer Ausstattung. Nachdem ihm so dieser fromme Fang gelungen war, verließ er wenige Tage nachher, innerhalb welcher er das zur Erbauung einer Zelle nochwendige Material herbeischaffte, den Ort und erbaute sich nach seiner Rückkehr unter sehr großen Anstrengungen eine andere Zelle. Als kurz darauf wieder andere Brüder dahin kamen und ebenfalls den Wunsch äusserten, dort zu wohnen, fing er sie durch eine von der Liebe eingegebene Lüge und übergab ihnen diese Zelle mit allen Geräthschaften. Er selbst aber, in Werken der Liebe unermüdlich ausdauernd, erbaute sich eine dritte Zelle, um darin zu wohnen.

Archebius bezahlt mit seiner Hände Arbeit die Schuld seiner Mutter.

Es lohnt sich wohl der Mühe, auch ein anderes Liebeswerk dieses Mannes aufzuzeichnen, an welchem die Mönche unseres Landes nicht bloß die Strenge der Enthaltsamkeit, sondern auch die aufrichtigste Liebe durch das Beispiel eines und desselben Mannes beobachten lernen sollen. Obwohl nämlich Archebius aus einer edlen Familie stammte, verachtete er doch die Neigung zu dieser Welt und floh schon in seinem Knabenalter in das Kloster, welches von Diolkus ungefähr vier Stunden entfernt ist. Während der vollen fünfzig Jahre, die er dort lebte, betrat er nicht bloß nicht sein Geburtsdorf, sondern erblickte nicht einmal das Antlitz einer Frau, selbst nicht das seiner Mutter. Unterdessen wurde sein Vater vom Tode ereilt und hinterließ eine Schuld von hundert Silberlingen. Obwohl er nun jeder Beunruhigung überhoben war, weil er auf das ganze väterliche Vermögen verzichtet hatte, erfuhr er doch, daß seine Mutter von ihren Gläubigern arg gedrängt werde. Nun milderte er aus Kindesliebe jene evangelische Strenge, mit der er so lange seine Eltern noch in günstigen Verhältnissen lebten, sich so betrug, als habe er weder Vater noch Mutter gehabt. Jetzt gedachte er wieder seiner Mutter und beeilte sich, in ihrer Bedrängniß ihr beizustehen: dabei wich er jedoch von der Strenge, die er sich zum Ziele gesetzt, in Nichts ab. Er hielt sich nämlich im Kloster eingeschlossen und bat, daß man die ihm angewiesene Handarbeit verdreifachen möge. Hier mühte er sich ein ganzes Jahr Tag und Nacht unter Schweiß ab und bezahlte mit dem durch seine mühsame Arbeit erworbenen Gelde den Betrag der Schuld an die Gläubiger und befreite so seine Mutter von jeder ungerechten Beunruhigung. Also befreite er die Mutter von der Schuldenlast, ohne daß er an der Strenge seiner Lebensweise mit Rücksicht auf die Noth seiner Mutter die geringste Verminderung duldete, und behielt die gewohnte strenge Lebensweise bei, ohne jedoch das Werk der Kindesliebe seiner Mutter zu versagen und um aus Liebe zu Christus Die wieder anzuerkennen, die er um seiner Liebe willen früher unbeachtet gelassen hatte.

Durch welchen Vorwand ein Greis dem Bruder Simeon. als er Nichts zu thun wußte, Handarbeit verschaffte.

Als ein mir sehr theurer Bruder, Namens Simeon, der griechischen Sprache ganz unkundig, aus Italien gekommen war, wollte ein Vorsteher an ihm, als einem Fremden, ein Liebeswerk gegen irgend eine scheinbare Wiedervergeltung üben, fragte ihn daher, warum er müßig in seiner Zelle sitze, und machte ihm klar, daß er sowohl wegen seines müßigen Herumschweifens als wegen Mangels am Notwendigen nicht länger in derselben verweilen könne. Denn er sei der festen Ueberzeugung. daß nur Derjenige die Anfechtungen der Einsamkeit aushalten könne, der sich herbeiläßt, seinen Lebensunterhalt mit eigenen Händen zu erwerben. Jener antwortete, er wisse Nichts und verstehe keine von den bei den Brüdern üblichen Arbeiten ausser dem Bücherabschreiben. Wenn daher in Aegypten Jemand einen lateinischen Kodex nöthig haben sollte, dachte der Vorsteher, dann habe er eine Gelegenheit gefunden, das von ihm gewünschte Liebeswerk (nämlich der Aufnahme und Verpflegung des Bruders Simeon) gleichsam durch eine Art scheinbare Wiedervergeltung zu erkaufen. Durch Gottes Fügung, sagte er hierauf, ist diese Gelegenheit gefunden. Denn ich suchte Jemanden, der mir den Apostel (Paulus) in lateinischer Sprache abschreiben könnte. Ich habe nämlich einen in die Schlingen des Kriegsdienstes verwickelten und des Lateinischen vorzüglich mächtigen Bruder, dem ich Etwas aus der heiligen Schrift zum Lesen und zu seiner Erbauung überschicken möchte. So nahm Simeon diese Gelegenheit, wie von Gott ihm geboten, dankbar an; aber auch der Greis ging auf diesen Vorschlag, unter dessen Vorwand er ein Liebeswerk ungehindert ausüben konnte, noch lieber ein und reichte ihm nicht nur Alles, was er das ganze Jahr hindurch bedurfte, als Lohn für seine Arbeit, sondern brachte ihm auch Pergament und sonstige Schreibmaterialien und empfing zuletzt den Kodex. Dieser war jedoch bei der gänzlichen Unkenntniß des Lateinischen in Ägypten zu keinem anderen Zwecke geschrieben und sollte keinen anderen Nutzen haben, als daß er durch diesen feinen Kunstgriff und mit größeren Kosten angekauft wurde. Ausserdem erhielt Simeon, ohne sich schämen zu müssen, für das Verdienst seiner Mühe und Arbeit seinen notwendigen Lebensunterhalt, und der Vorsteher konnte seine liebevolle Freigebigkeit, wie zur Abtragung einer Schuld, bethätigen. Dabei nahm er einen um so reicheren Lohn für sich in Anspruch, in je größerem Umfange er dem fremden Bruder nicht nur den notwendigen Lebensunterhalt, sondern auch die Werkzeuge sowie die Gelegenheit zur Arbeit verschafft hatte.

Knaben, welche einem entfernten Kranken Feigen bringen sollten, wollten lieber in der Wüste verhungern, als dieselben genießen.

Weil an der Stelle, wo ich von der Strenge des Fastens und der Enthaltsamkeit Etwas zu sagen mir vorgenommen habe, Gesinnungen und Werke der Liebe eingestreut erscheinen, will ich wieder zu meinem vorgesteckten Ziele zurückkehren und in dieses Werk eine merkwürdige That einflechten, verrichtet von Solchen, die zwar dem Alter, doch nicht der Gesinnung nach Knaben waren. Zur größten allgemeinen Verwunderung hatte einst Jemand Feigen aus dem mareotischen Libyen dem Hausmeister in der scythischen Wüste gebracht, welcher die Verwaltung des Klosters von dem seligen Priester Paphnutius überkommen hatte und sie noch zu dessen Lebzeiten in Händen hatte. Dieser schickte die Feigen durch zwei Knaben sofort zu einem Greis, der im Innern der Wüste an einer bösartigen Krankheit litt. Der Kranke aber wohnte achtzehn Meilen weit von dem Kloster entfernt. Die Knaben nahmen das Obst in Empfang und gingen auf die Zelle des Alten zu; plötzlich jedoch entsteht ein dichter Nebel, und sie verlieren den rechten Weg. was dort sehr leicht auch älteren Leuten zu begegnen pflegt. Den ganzen Tag und die ganze Nacht laufen sie in der weiten unwegsamen Wüste umher und können des Kranken Zelle nicht finden. Von der Ermüdung des Weges, wie von Hunger und Durst erschöpft fallen sie auf die Kniee nieder und geben betend dem Herrn ihre Seele zurück. Später verfolgte man lange und genau ihre Spuren., die in jenen Sandgegenden wie in Schnee gedrückt erscheinen, bis der schon bei leisem Windeshauch zerstiebende feine Sand sie wieder bedeckt. Da fand man, daß sie die Feigen unberührt, wie sie dieselben empfangen, aufbewahrt hatten; denn sie wollten lieber ihr Leben als das ihnen anvertraute Gut preisgeben und lieber das zeitliche Leben verlieren, als des Vorstehers Gebot verletzen.

Nach des Abtes Makarius Ausspruch soll der Mönch die Enthaltsamkeit üben, möge er nun ein langes Leben oder jeden Tag den Tod vor sich zu haben glauben.

Noch ein Gebot des seligen Makarius sei hier erwähnt, und möge der Ausspruch eines so großen Mannes das Buch über Fasten und Enthaltsamkeit schließen. „So,“ sprach er. „muß der Mönch der Fasten sich befleissen. als ob er hundert Jahre im Leibe verweilen würde; so muß er die Gemüthsbewegungen zügeln, die Beleidigungen vergessen, die Traurigkeit und Schmerzen verachten und die Verluste gering schätzen, als ob er jeden Tag sterben würde. Denn im ersten Falle leitet den Mönch eine nützliche und kluge Einsicht, die ihn immer in gleichmäßiger Strenge wandeln läßt und bei keiner Gelegenheit der Schwäche des Körpers erlaubt, ihn von dem höchsten Gipfel der Tugend in den tiefsten Abgrund der verderblichsten Laster zu stürzen. Im zweiten Falle aber beseelt ihn eine heilsame Großmuth, welche nicht nur das scheinbare Glück dieser Welt zu verachten vermag, sondern auch durch Unglück und Mißgeschick nicht gebeugt werden kann, es vielmehr für klein und nichtig erachtet und stets dahin den geistigen Blick gerichtet hält, wohin man jeden Tag und jeden Augenblick glaubt abberufen werden zu können.

Sechstes Buch: Von dem Geiste der Unreinheit.

Den zweiten Kampf haben wir nach der Überlieferung der Väter gegen den Geist der Unreinheit zu bestehen, – einen Kampf, länger als die übrigen und täglich entbrennend und nur von Wenigen vollkommen gewonnen, einen überaus großen Krieg, der schon mit den ersten Jahren der Jugendreife das Menschengeschlecht anzugreifen beginnt und nicht eher erlischt, als bis die übrigen Laster überwunden sind. Denn ein zweifacher Angriff ist es, der, mit einem doppelten Laster bewaffnet, sich zum Streite erhebt, weßhalb man ihm auch auf ähnliche Weise mit einer zweifachen Schlachtlinie Widerstand leisten muß. Wie nämlich nach überstandener Krankheit Leib und Seele in ihrer gegenseitigen Verbindung wieder Kräfte erlangen, so kann nur, wenn beide zusammen kämpfen, dieser Streit ausgefochten werden. Denn nicht das körperliche Fasten allein genügt, um die Reinheit vollkommener Keuschheit zu erwerben oder zu besitzen, wenn nicht Zerknirschung des Herzens und beharrliches Gebet gegen diesen unreinen Gesit, verbunden mit Betrachtung der heiligen Schrift und göttlicher Wissenschaft, sowie Handarbeit vorausgeht, welche die unstäten Zerstreuungen zügelt und zur Pflicht ruft, und wenn nicht vor Allem der feste Grund wahrer Demuth gelegt ist, ohne welche man über gar keine Sünde jemals einen Triumph erringen kann.

Von dem Hauptmittel gegen den Geist der Unkeuschheit.

Im Grunde genommen geht die Besserung bezüglich dieses Lasters aus von der Vollkommenheit des Herzens, aus welchem auch nach dem Worte des Herrn das Gift dieser Krankheit entspringt. „Aus dem Herzen heraus gehen,“ sagt er „böse Anschläge, Mordthaten, Ehebrüche, Buhlschaften, Diebstähle, falsche Zeugnisse u. s. w.“ Das also muß zuerst von Sünden gereinigt werden, was man als die Quelle des Todes erkennt, nach dem Ausspruche Salomons: „Mit aller Vorsicht bewahre dein Herz, denn aus ihm geht das Leben hervor.“ Denn das Fleisch dient seinem (des Herzens) Willen und Befehl. Man muß deßhalb mit dem größten Eifer auf strenges Fasten bedacht sein, damit nicht das Fleisch, bis zum Ueberflusse mit Speisen angefüllt, den heilsamen Vorschriften des Geistes zuwiderhandle und die Seele, seine Lenkerin, voll Uebermuth zum Falle bringe. Wenn wir übrigens unsere ganze Sorge nur auf die Züchtigung des Leibes verwenden, ohne daß die Seele in ähnlicher Weise, wie der Leib der Speisen, so der übrigen Fehler sich enthält, und ohne daß sie mit der Betrachtung göttlicher Dinge und mit geistlichen Übungen beschäftigt ist, so werden wir nimmer zu jenem erhabenen Gipfel der wahren und vollkommenen Reinheit emporzusteigen vermögen; denn gerade der vorzüglichere Theil unseres Wesens feindet die Reinheit unseres Leibes an. Wir müssen daher nach dem Worte des Herrn die Innenseite des Bechers und der Schüssel zu reinigen suchen, damit auch die Aussenseite rein werde.

Einfluß der Einsamkeit auf die Überwindung des Lasters der Unreinheit.

Die übrigen Fehler werden gewöhnlich schon durch den Umgang mit Andern und die tägliche Gewohnheit getilgt und gewissermaßen durch das Hervortreten des Falles selbst geheilt. So wird die Krankheit des Zornes, der Traurigkeit, der Ungeduld durch die innere Betrachtung und rastlose Wachsamkeit, auch durch häufigen Umgang mit den Brüdern und beständige Herausforderung zum Kampfe mit denselben geheilt. Und je öfter diese Regungen sich zeigen, und je häufiger sie getadelt werden, um so eher stellt sie ihre Heilung ein. Diese Krankheit aber bedarf neben der Züchtigung des Leibes und der Zerknirschung des Herzens auch der Einsamkeit und Zurückgezogenheit, um nach Beseitigung der verderblichen Fieberhitze zum vollkommenen Gesundheitszustande gelangen zu können. Wie es für Leute, die an einer bestimmten Krankheit leiden, nützlich ist, schädliche Speisen sogar von ihrem Auge fern zu halten, damit nicht beim Anblicke derselben in ihnen ein todesgefährliches Verlangen nach denselben entstehe, so trägt zur Vertreibung dieser besonderen Krankheit sehr viel die Ruhe und Einsamkeit bei. Denn hier wird der kranke Geist nicht durch verschiedenartige Eindrücke gestört und kann zu einem reineren Blicke der Beschaulichkeit gelangen und den verderblichen Zündstoff der bösen Lust leichter ersticken.

Welcher Unterschied ist zwischen der Keuschheit und Enthaltsamkeit, und ist man stets im Besitze von beiden?

Indessen komme Niemand auf den Gedanken, wir wollten in Abrede stellen, daß auch die in Gemeinschaft lebenden Brüder als enthaltsam befunden werden könnten. Dieß räumen wir sehr gerne ein. Denn etwas Anderes ist es, enthaltsam, d. i. εγκρατής, etwas Anderes, keusch zu sein und, um mich so auszudrücken, sich in eine unversehrte und unverdorbene Gesinnung zu versetzen, was man mit αγνός bezeichnet. Diese Tugend wird meistens nur Jenen zugeschrieben, die der Gesinnung wie dem Fleische nach jungfräulich sind, wie es beide Johannes im neuen Testament und im alten Elias, Jeremias und Daniel bekanntlich gewesen sind. Auf gleiche Stufe mit ihnen werden nicht mit Unrecht auch Jene gestellt, die wohl ihre Jungfräulichkeit eingebüßt, jedoch zu einem ähnlichen Stande der Reinheit vermittelst rastloser Mühe und Anstrengung durch die Reinheit ihres Leibes und ihrer Seele gelangt sind und den Stachel ihres Fleisches nicht so sehr durch die Bekämpfung der schändlichen Lust, als nur durch die natürliche Regung fühlen. Dieser Stand, sage ich, wird am schwersten von den gewöhnlichen Menschen begriffen. Ob er aber auch unmöglich sei, das erwarte Niemand aus meinen Worten entnehmen zu können, sondern erforsche es aus der Prüfung seines eigenen Gewissens. Uebrigens gibt es zweifelsohne viele Enthaltsame, welche die Anfechtung des Fleisches theils selten, theils täglich auszuhalten haben, sie aber dennoch, sei es durch Furcht vor der Hölle, sei es aus Verlangen nach dem Himmel unterdrücken und bezwingen. Solche Leute, sagen die Oberen, könnten wohl von den Lockungen des Lasters nicht ganz gefangen werden, vermöchten jedoch nicht immer unverwundbar und sicher dazustehen. Denn es muß ein Jeder, der im Kampfe steht, so oft er auch seinen Gegner besiegt und überwindet, doch auch einmal in’s Gedränge kommen.

Die Versuchung zur Unkeuschheit kann nicht durch menschliche Anstrengung allein überwunden werden.

Wohl müssen wir darauf bedacht sein, einen geistigen Kampf, wie der Apostel, rechtmäßig zu kämpfen, um diesen unreinen Geist mit aller geistigen Anstrengung zu überwinden; jedoch nicht im Vertrauen auf unsere Kraft (denn das vermag menschlicher Eifer nicht zu vollbringen), sondern gestützt auf Gottes Hilfe müssen wir zu diesem Kampfe eilen. Denn so lange muß von diesem Laster unsere Seele angefochten werden, bis sie sich bewußt wird, daß sie über ihre Kräfte hinaus Krieg führt, und daß sie durch eigene Mühe und Anstrengung den Sieg zu erringen nicht im Stande ist, wenn sie nicht durch des Herrn Hilfe und Schutz gestützt wird.

Zur Erlangung der Keuschheit ist eine besondere Gnade Gottes nothwendig.

Zwar ist in Wirklichkeit zu jedem Fortschritt in der Tugend und zur Belämpfung aller Laster die siegreiche Gnade des Herrn erforderlich; aber gerade in diesem Punkte ist eine eigene Gabe Gottes und ein besonderes Gnadengeschenk nothwendig. Dieß geht sowohl aus dem, was man bei seiner Rechtfertigung selbst erfahren, als auch aus dem Zeugnisse der Väter ganz deutlich hervor, welche diese Tugend zu besitzen verdienten. Denn wie es gewissermaßen in der Natur des Fleisches liegt, daß Der, welcher einen Leib bewohnt, denselben wieder verläßt, ebenso übernatürlich ist es, daß ein mit einem gebrechlichen Leibe Umkleideter den Stachel des Fleisches nicht fühle. Und gerade deßhalb ist es dem Menschen unmöglich, so zu sagen, auf seinen eigenen Fittigen zu einem so erhabenen, himmlischen Lohne emporzufliegen, wenn ihn nicht die Gnade des Herrn von dem Schmutze der Erde durch die Gabe der Keuschheit emporhebt. Denn durch keine Tugend werden die fleischlichen Menschen den englischen Geistern in ihrem Wandel im eigentlichen Sinne ähnlich, als durch das Verdienst und die Gnade der Reinheit, durch welche sie, noch auf Erden weilend, nach dem Apostel ihre Wohnung im Himmel haben. Was den Heiligen nach Ablegung dieser fleischlichen Verderbniß für das Jenseits versprochen wird, das besitzen sie schon hier in gebrechlichem Fleische.

Ein nach dem Apostel dem weltlichen Kampfe entlehntes Gleichniß.

Höre, was der Apostel sagt: „Jeder, der im Kampfe streitet, enthält sich von Allem!“ Was er unter diesem „von Allem“ versteht, das wollen wir zu ermitteln suchen, damit wir vermittelst Vergleichung mit dem weltlichen Kampfe uns eine Kenntniß von dem geistigen zu verschaffen vermögen. Jene nämlich, die in diesem sichtbaren Kampfe rechtmäßig streiten wollen, dürfen nicht alle Speisen genießen, nach denen sie gerade Lust haben, sondern nur solche, welche die betreffende Kampfesordnung vorschreibt. Nicht nur verbotener Speisen, jeglicher Trinkgelage und Schmausereien müssen sich die Kämpfer enthalten, sondern auch aller Unthätigkeit, Trägheit und alles Müßiggangs, so daß durch tägliche Uebung und beständiges Nachsinnen ihre Kraft wachsen kann. Auch von aller Sorge. Bekümmerniß, Traurigkeit und weltlichen Geschäften und ebenso von jeder Empfindung und Handlung, welche die Ehe betrifft, halten sie sich dergestalt fern, daß ausser der Einübung des Kampfes sie mit Nichts bekannt sich machen und sich in gar keine weltlichen Sorgen verwickeln. Denn nur von dem Kampfesrichter hoffen sie ihren täglichen Lebensunterhalt sowie die Ehrenkrone und eine der Ehre des Sieges angemessene Belohnung. Ja, so sehr bewahren sie sich vor jeder Befleckung des Beischlafes, daß sie bei den Vorbereitungen zum Kampfe, ans Furcht, sie möchten vielleicht, durch trügerische Traumbilder getäuscht, die in langer Zeit erworbenen Kräfte schwächen, mit Bleiplatten die Nierenstellen bedecken, weil sie durch die Härte dieses aufdie Zeugungsglieder wirkenden Metalls den Samen einhalten können. Denn sie sehen ein, daß sie ohne Zweifel besiegt werden müssen und nicht den bevorstehenden Wettstreit gewinnen können, wenn ihre Kräfte dadurch geschwunden sind, daß das trügerische Bild der schädlichen Wollust die durch Bewahrung der Schamhaftigkeit erworbene Festigkeit untergraben hat.

Die Keuschheit, verglichen mit der Reinigung Jener, die einen irdischen Kampf antreten wollen.

Wenn wir nun die beim weltlichen Kampfe eingehaltene Ordnung kennen gelernt haben, durch welchen wie durch ein Beispiel der selige Apostel uns belehren wollte, indem er zeigte, welche Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Wachsamkeit bei demselben herrscht: was wird uns zu thun zukommen, mit welcher Reinheit werden wir die Keuschheit unseres Leibes und unserer Seele hüten müssen, die wir täglich das hochheilige Fleisch des Lammes genießen sollen, das kein Unreiner nach der Vorschrift des Gesetzes auch nur berühren darf! Im Levitikus nämlich wird das Gebot gegeben: „Jeder, der rein ist, esse Fleisch, und jede Seele, in der Unreinheit ist, und die doch von dem Fleische des Friedopfers ißt, das dem Herrn gehört, wird zu Grunde gehen vor dem Herrn.“ Ein wie großes Erforderniß ist also die Reinheit, ohne welche sogar Jene, die unter dem Gesetze des alten Bundes standen, an den vorbildlichen Opfern nicht Theil nehmen konnten; wer daher die vergängliche Krone dieser Welt erringen will, kann nicht gekrönt werden.

Welch‘ großer Herzensreinheit wir uns stets in den Augen Gottes befleissen müssen.

Wir müssen daher mit aller Wachsamkeit alle Falten unseres Herzens gründlich von jeglicher Sünde reinigen. Denn was jene Streiter im irdischen Kampfe durch die Reinheit des Leibes zu erreichen streben, das müssen wir auch im Innern unsers Gewissens besitzen, in welchem der Herr als Richter und Preisvertheiler thront und immerdar auf unsern Wettlauf und Wettkampf schaut. Nur dann werden wir verhüten können, daß Das. was wir im Aeusserlichen verabscheuen, innerlich durch einen unvorsichtigen Gedanken erstarke und durch geheime Einwilligung in solche Versuchungen uns beflecke, die, wenn sie zur Kenntniß der Menschen gelangten, uns beschämen würden. Kann auch diese geheime Einwilligung der Kenntniß der Menschen entgehen, dem Wissen der heiligen Engel und des allmächtigen Gottes selbst, dem keine Geheimnisse sich entziehen, wird sie nicht verborgen bleiben können.

Kennzeichen einer vollkommenen und unverletzten Reinheit.

Das wird das untrügliche Kennzeichen und der vollständige Beweis dieser Keuschheit sein, wenn uns während der Ruhe und des Schlafes kein Trugbild vor die Seele tritt oder, falls uns dennoch ein solches stört, es wenigstens nicht die Regungen der Wollust zu wecken vermag. Wenn auch eine solche Regung keineswegs für eine volle Sünde gilt, so ist es doch das Zeichen eines noch nicht vollkommenen Geistes und eines noch nicht ganz ausgerotteten Fehlers, solange durch derartige Trugbilder die Täuschung thätig ist.

Ursache der nächtlichen Beunruhigung.

Die Beschaffenheit der Gedanken, welche wegen der Zerstreuungen am Tage nicht sorgfältig genug bewacht werden, zeigt sich in der Nachtruhe. Wenn daher eine derartige Vorspiegelung eintritt, muß man sie nicht dem Schlafe zur Last legen, sondern der Unachtsamkeit in der vorausgegangenen Zeit; man muß sie für das Kennzeichen einer im Inneren verborgenen Krankheit halten, welche die Stunde der Nacht nicht erst geboren, sondern aus der Verborgenheit in den innersten Fasern der Seele durch die Erquickung des Schlafes an die Oberfläche hervorgezogen hat. So bringt sie die verborgene Fieberhitze an den Tag, die wir, den ganzen Tag hindurch mit schädlichen Gedanken uns nährend, in uns gesammelt haben, wie auch der Stoff zu körperlichen Krankheiten gewöhnlich nicht zu der Zeit sich sammelt, in welcher man dieselben auftauchen sieht, sondern durch die Unachtsamkeit früherer Zeiten zugezogen ist, in welchen man durch unvorsichtigen Genuß ungesunder Speisen schädliche und tödtliche Säfte in sich aufgenommen hat.

Die Reinheit des Fleisches kann ohne die Reinheit des Herzens nicht erreicht werden.

Gott, der Schöpfer und Urheber des Menschengeschlechtes, kannte vor Allen die Natur seines Werkes sowie die Art und Weise seiner Verbesserung und war deßhalb auf die Heilung jenes Gegenstandes bedacht, den er als die Hauptquelle der Krankheit erkannte. „Wer immer“, sagt er „ein Weib anschaut, um sie zu begehren, hat im Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen.“ Indem der Heiland die vorwitzigen Augen tadelte, hat er nicht so sehr sie angeklagt, als jenen inneren Sinn, der ihre Sehkraft mißbraucht. Denn das Herz ist krank und vom Pfeile der Wollust verwundet, das schaut, um Verbotenes zu begehren. Die Wohlthat des Sehens, die der Schöpfer dem Auge in rechter Weise verliehen, mißbraucht das Herz in seiner Verdorbenheit zur Ausführung böser Werke und weckt die in sich schlummernde Krankheit der Wollust durch das Anschauen. Deßhalb ergeht das heilsame Gebot an das Herz, aus dessen Verdorbenheit die gar schlimme Krankheit bei dem verbotenen Blicke hervorgeht. Denn nicht heißt es: „Mit aller Wachsamkeit bewahre deine Augen,“ die man gewiß zu allererst bewachen müßte, wenn aus ihnen die Wollust hervorginge und sie nicht der Seele nur den einfachen Dienst des Sehens leisteten, sondern es heißt: „Mit aller Wachsamkeit bewahre dein Herz!“ Darum wird ihm das Heilmittel verordnet, weil es überall den Dienst der Augen mißbrauchen kann.

Gleich bei ihrer ersten Regung müssen die fleischlichen Gedanken zurückgewiesen werden.

Wenn der Teufel unsere Gedanken auf das weibliche Geschlecht gelenkt hat, indem er in schlauer Weise uns zunächst unsere Mutter, Schwester, Verwandten oder andere fromme Personen vor die Seele führt, so muß es unsere vorzügliche Sorge sein, diese Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Denn wenn wir uns länger bei solchen Gedanken aufhalten, möchte durch die einmal in den Geist aufgenommene Vorstellung von dem weiblichen Geschlechte der Verführer alsdann den Geist zu solchen Personen, durch die er die schädlichen Gedanken einflößen kann, geschickt hindrängen und ihn zum Falle bringen. Deßhalb müssen wir stets des Gebotes eingedenk sein: „Mit aller Wachsamkeit bewahre dein Herz,“ und nach Gottes erstem Gebote emsig auf das verderbliche Haupt der Schlange, d. h. auf den Anfang der bösen Gedanken Acht haben, durch die der Teufel sich in unsere Seele einzuschleichen versucht. Wenn nämlich der Kopf der Schlange in Folge unserer Nachläßigteit in unser Herz eingedrungen ist, dann könnte leicht auch ihr übriger Leib d. i. die Zustimmung zur bösen Lust hereinfallen. Ist nämlich der Kopf einmal hereingelassen, so wird er unfehlbar den gefangenen Geist mit giftigem Bisse tödten. Wir müssen auch die auf unserm Felde aufsprossenden Sünden, nämlich unsere fleischlichen Gesinnungen und Gefühle am Morgen ihrer Geburt vernichten und die Söhne Babylons, so lange sie noch klein sind, am Felsen zerschmettern. Wenn sie nicht gleichsam in ihrer zarten Kindheit getödtet werden, werden sie heranwachsen und mit größerer Stärke sich zu unserm Verderben erheben oder sicher nicht ohne große Betrübniß und Anstrengung besiegt werden. Denn so lang unser Geist, stark und mit Waffen gerüstet, sein Haus bewacht und die Winkel seines Herzens mit der Furcht Gottes verschließt, wird seine ganze Habe, die Erfolge feiner Anstrengungen und die während langer Zeit erworbenen Tugenden in Frieden sein. Wenn aber der Stärkere kommt und ihn besiegt, d. h. der Feind in Folge der Einwilligung in die bösen Gedanken ihn überwindet, wird er ihm die Waffen abnehmen, auf die er sein Vertrauen setzte, nämlich die Erinnerung an die beiligen Schriften und die Furcht Gottes, und wird seine Rüstung vertheilen, indem er die Verdienste seiner Tugend unter die entgegengesetzlen Laster zerstreut.

Wir sollen nicht so sehr einen Ruhmeskranz der Keuschheit zu flechten, als dieselbe wirklich an uns darzustellen streben.

Da es nicht meine Aufgabe ist, einen Ruhmeskranz der Keuschheit zu flechten, sondern über ihr Wesen und die Art und Weise, wie man sie erlangt und bewahrt, sowie über ihren Zweck nach den Überlieferungen der Väter mich auszusprechen: so übergehe ich alle Lobsprüche, die über diese Tugend in die beiligen Schriften verwoben sind. Doch kann ich nicht jene Stelle des heiligen Apostels Paulus unerwähnt lassen, aus welcher erhellt, wie er sie allen Tugenden voranstellt, indem er sie im Briefe an die Thessalonicher mit so edlen und erhabenen Worten empfiehlt.

Die Tugend der Reinheit wird vom Apostel in besonderem Sinne Heiligkeit genannt.

„Das ist der Wille Gottes.“ sagt der Apostel. „eure Heiligung.“ Und um uns nicht im Zweifel und Unklaren zu lassen, was er denn unter Heiligung verstanden wissen wolle, ob Gerechtigkeit oder Liebe, ob Demuth oder Geduld (denn durch alle die Tugenden erlangt man nach dem Glauben Heiligung), sagt und bezeichnet er es deutlich, was er eigentlich unter Heiligkeit verstehe. Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung: „daß ihr euch enthaltet,“ fährt er fort, „von Unzucht, daß ein Jeder von euch wisse sein Gefäß (seinen Leib) unbefleckt und in Ehren zu erhalten, nicht in der Lüste Trieb, wie die Heiden, welche Gott nicht kennen.“ Sieh‘, mit welchen Lobsprüchen er die Keuschheit ehrt: „Ehre des Gefäßes“ d. h. unseres Leibes und „Heiligung“ nennt er sie! Wer demnach umgekehrt in leidenschaftlicher Begierde sich befindet, ist in Schmach und Unreinheit und wandelt ferne von der Heiligkeit. Kurz darauf führt er sie zum dritten Male an und nennt sie wieder Heiligkeit: „Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligkeit. Wer daher Dieß verachtet, verachtet nicht einen Menschen, sondern Gott, der auch seinen heiligen Geist in uns gegeben hat.“ Mit seinem Gebot verbindet der Apostel eine unverletzliche Autorität, indem er sagt: „Wer Dieses verachtet.“ d. h. was ich eben von der Heiligkeit gesagt habe, „verachtet nicht einen Menschen.“ d. h. mich, der ich dieses Gebot gebe, „sondern Gott,“ der in mir redet: denn er hat seinem heiligen Geiste unser Herz zur Wohnung bestimmt. Du siehst also aus diesen einfachen und nackten Worten, mit welchen Lobsprüchen der Apostel die Keuschheit gepriesen hat. Denn erstens setzt er in diese Tugend die Heiligkeit; zweitens sagt er, durch sie müsse das Gefäß unseres Leibes von Unreinheit befreit werden; drittens lehrt er (und das ist ihr größtes und vollkommenstes Lob und ihr seligster Lohn), daß durch sie der heilige Geist seine Wohnung in unsern Herzen aufschlagen werde.

Ein anderes Zeugniß des Apostels über die Heiligkeit.

Obwohl ich zum Ende dieses Buches eile, will ich doch zuvor noch ein anderes, diesem ähnliches Zeugniß des Apostels anführen. Im Briefe an die Hebräer sagt er nämlich: „Strebet nach Frieden mit Allen und nach Heiligkeit, ohne welche Niemand Gott schauen wird.“ Auch hier spricht er es offen aus, daß ohne Heiligkeit, unter welcher er gewöhnlich Reinheit des Leibes und der Seele versteht, Gott nimmer geschaut werden könne. Denn um denselben Sinn hineinzulegen, fügt er bei: „Keiner sei ein Unzüchtiger oder Unheiliger wie Esau.“

Die Hoffnung auf einen erhabenen Lohn muß die Wachsamkeit für die Keuschheit vermehren.

Je erhabener nun und himmlischer der Lohn der Keuschheit ist. mit um so heftigeren Nachstellungen wird sie von ihren Feinden verfolgt. Deßhalb müssen wir um so eifriger nicht nur der Enthaltsamkeit des Leibes, sondern auch der Zerknirschung des Herzens unter beharrlichem und inbrünstigem Gebete uns befleissen. damit der Feuerofen unseres Fleisches, den der König von Babylon (d. i. der Teufel) durch die Lockungen und Reizungen des Fleisches fortwährend anfacht, durch den Thau des beiligen Geistes, der in unsere Herzen herniedersteigt, ausgelöscht werde.

Die Grundlage der Keuschheit ist Demuth, Grundlage der Wissenschaft aber Keuschheit.

Wie man nach der Lehre der Väter die Tugend der Reinheit nicht erlangen kann, wenn nicht zuvor im Herzen das Fundament der Demuth gelegt ist, so kann man nach ihrer Ansicht auch nicht zur Quelle wahrer Wissenschaft gelangen, so lange die Wurzel des Lasters der Unreinheit in unserer Seele haftet. Man könne wohl, sagen sie, die Keuschheit ohne die Gabe der Wissenschaft antreffen, unmöglich aber könne man die geistige Wissenschaft ohne die Heiligkeit der Keuschheit besitzen. Denn es gibt verschiedene Gaben, und nicht Allen wird dieselbe Gabe des heiligen Geistes mitgetbeilt, sondern eben jene, für welche man durch Eifer und Anstrengung sich würdig und tauglich erwiesen hat. Wohl besaßen endlich, wie man annehmen kann, alle Apostel die Tugend vollkommener Reinheit; aber die Gabe der Wissenschaft in ganz besonders reicher Fülle besaß nur Paulus; denn er hat sich zu derselben durch strebsamen Eifer und Fleiß vorbereitet und befähigt.

Ausspruch des heiligen Basilius über seine Jungfräulichkeit.

Bekannt ist der kurze Ausspruch des heiligen Basilius, Bischofs von Cäsarea: „Ich erkenne kein Weib und bin doch keine jungfräuliche Seele.“ In solchem Grade setzte er die Keuschheit des Leibes nicht so sehr in die Enthaltung vom Weibe, als in die Reinheit des Herzens, welche die Heiligkeit des Leibes aus Gottesfurcht und aus Liebe zur Keuschheit für immer wahrhaft unversehrt bewahrt.

Woran man die vollkommene Reinheit des Herzens erkennt.

Das muß als die Vollendung und vollkommene Bewährung der Keuschheit gelten, wenn uns während der Ruhe kein Reiz der Wollust berührt und die durch die Gesetze der Natur bedingten Ausscheidungen unreiner Stoffe ohne unser Wissen vor sich gehen. Derartige unfreiwillige Samenergießungen gänzlich und für immer zu beseitigen, geht zwar über die Natur hinaus; sie jedoch auf das unvermeidlichste und seltenste Maß zu beschränken, so daß es Einen nur alle zwei Monate anzuwandeln pflegt, verräth eine sehr hohe Tugend. Indessen möge Dieß nach meiner eigenen Erfahrung gesagt sein, nicht nach der Meinung der Väter, welche auch die erwähnte Zeitdauer noch für kurz halten; sonst könnte man glauben, wenn ich sie in der von ihnen überlieferten Weise hätte angeben wollen, ich hätte vielleicht für die, welche in Folge ihrer Nachläßigkeit oder aus Mangel an Eifer von solcher Reinigkeit noch wenig Erfahrung haben, gar Unmögliches niederschreiben wollen.

Mittel zur Bewahrung des Standes vollkommener Reinheit.

Diesen Zustand werden wir beständig so beibehalten können, ohne jemals das natürliche Maß noch die oben angegebene Zeit zu überschreiten, wenn wir von dem Gedanken beseelt sind, daß Gott nicht nur unsere verborgenen Handlungen, sondern auch alle unsere Gedanken bei Tag und bei Nacht sieht und weiß; wenn uns der lebendige Glaube durchdringt, daß wir für Alles, was in unsern Herzen vorgeht, gerade so, wie für unsere Handlungen und Worte, Rechenschaft geben müssen.

Wie weit wir es in der Reinheit des Leibes bringen können, und woran man ein ganz rein gewordenes Herz erkennen kann.

Dahin also müssen wir streben und so lange gegen die Leidenschaften und Lockungen des Fleisches ankämpfen, bis dieser leibliche Vorgang nur eine Forderung der Natur befriedigt, ohne auch die Lust zu wecken, und die überflüssigen Stoffe ohne die Empfindung irgend einer Lust, ohne Schaden und ohne für die Keuschheit einen Kampf hervorzurufen, ausscheidet. So lange übrigens der Geist im Schlafe noch von Traumbildern umgaukelt wird, kann er erkennen, daß er noch nicht zur lauteren Vollkommenheit sündenloser Reinheit gelangt ist.

Mittel zur steten Bewahrung vollkommener Reinheit des Leibes und der Seele.

Damit nun solche Trugbilder im Schlafe sich bei uns nicht einzustellen vermögen, muß man stets gleichmäßiges und vernünftiges Fasten beobachten. Denn wer das Maß der Strenge überschreitet, ist auch das Maß der Abspannung zu überschreiten genöthigt. Diese Ungleichmäßigkeit, in der er sich befindet, verdrängt ihn ohne Zweifel aua diesem ungetrübten Zustand der Ruhe. Bald fällt er zusammen vor allzu großer Leere, bald schwillt er an von allzu vielem Essen. Tritt nämlich eine Aenderung in unserm Essen ein, so zieht sie nothwendig auch eine Veränderung in unserer Reinheit nach sich. Ausserdem muß man beständige Demuth, und innere Geduld üben und sein Augenmerk auf den Zorn und die übrigen Leidenschaften gerichtet halten. Denn wo das Gift der Wuth sitzt, dahin muß auch das Feuer der Wollust dringen. Vor Allem aber ist eine wachsame Sorge während der Nacht notwendig. Denn wie die Reinheit und Wachsamkeit bei Tage eine Vorbereitung auf die Reinheit bei Nacht ist, so verleihen im Voraus die Nachtwachen dem Herzen sowie der Wachsamkeit am Tage eine gar feste und starke Stütze.

Siebentes Buch: Von dem Geiste der Habsucht.

Einleitung.

Den dritten Karmpf haben wir gegen die Philargyrie zu bestehen, die wir Liebe zum Gelde nennen können. Sie ist ein auswärtiger Feind und ausserhalb unserer Natur entbrennender Streit, der im Mönche lediglich seinen Anfang nimmt mit der Feigheit eines verdorbenen und hartnäckigen Sinnes und gewöhnlich mit einem schlechten und nur auf laue Gottesliebe gegründeten Anfang der Bekehrung. Denn die Reize zu den übrigen Lastern sind der menschlichen Natur eingepflanzt, und wir scheinen sie als etwas Angeborenes in uns zu haben; gewissermaßen mit unserm Fleische verwachsen und beinahe so alt wie wir selbst gehen sie der Unterscheidung zwischen Gutem und Bösem voraus. Und wenn sie auch den Menschen zuerst in Anspruch nehmen, werden sie doch durch lange Anstrengung besiegt.

Verderblichkeit der Habsucht.

Weil diese Krankheit erst später hereinbricht und von aussen an die Seele herantritt, kann man sich um so leichter vor ihr hüten und sie zurückweisen. Allein wenn man sie nicht beachtet und einmal in das Herz eindringen läßt, so wird sie verderblicher als alle andern und ist äusserst schwer zu vertreiben. Denn sie wird zur Wurzel alles Bösen und erzeugt reichen Zündstoff zu Sünden.

Ihrer Natur nach sind die Leidenschaften uns nützlich.

So sehen wir zum Beispiel die einfachen Regungen des Fleisches nicht nur bei Knaben, in denen noch die Unschuld der Erkenntniß des Guten und Bösen vorausgeht, sondern auch an Kindern und Säuglingen. Obwohl sie nicht einmal den Anfang einer bösen Lust in sich tragen, zeigen sie doch, daß die Regungen des Fleisches für sie zum natürlichen Reize da sind. Sehen wir nicht ebenfalls den Stachel wilden Zornes schon im kleinen Knaben sich zeigen, und sehen wir sie nicht, lange bevor sie die Tugend der Geduld kennen, bei Beleidigungen erregt? Und fehlt ihnen auch bisweilen die Kraft, so doch nie der Wille zur Rache, wenn der Zorn sie dazu aufstachelt. Nicht sage ich Dieß. als wollte ich der Natur die Schuld von diesem Zustande geben, sondern um zu zeigen, daß diese Regungen, die in uns aufsteigen, theils zu unserm Nutzen in uns gelegt sind, theils aber durch sündhafte Nachläßigkeit und bedachtsamen bösen Willen von aussen her in uns einziehen. Denn die oben erwähnten fleischlichen Regungen sind zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts und zur Erweckung von Nachkommenschaft von Gottes Vorsehung in unsern Leib gelegt, nicht aber zur Verübung schmählicher Entehrungen und Ehebrüche, die auch das Ansehen des Gesetzes verwirft. Und wenn wir etwas tiefer blicken, ist nicht auch der Stachel des Zornes uns recht zum Heile verliehen, damit wir, gegen unsere Fehler und Irrthümer von Zorn entbrannt, uns vielmehr der Tugend und frommen Uebungen befleissen, Gott alle Liebe erweisen und Geduld an unsern Brüdern üben? Wir wissen auch, welchen Nutzen die Traurigkeit hat; und doch wird sie zu den Hauptsünden gezählt, wenn sie sich in die entgegengesetzte Stimmung umkehrt. Denn insofern sie sich nach der Furcht Gottes richtet, ist sie sehr nothwendig, sehr verderblich aber, wenn sie sich nach der Welt richtet; so lehrt der Apostel, wenn er sagt: „Die Traurigkeit, welche nach Gott ist, thut Buße, die das Heil sichert; aber die Traurigkeit der Welt bewirkt den Tod.“

Ohne Gott zu beleidigen, können wir sagen, daß wir einige Fehler von Natur in uns haben.

Wenn wir also sagen, daß diese Leidenschaften vom Schöpfer in uns gelegt sind, so erscheint dieser offenbar dann nicht die Schuld zu tragen, wenn wir dieselben mißbrauchen und es vorziehen, sie lieber in den Dienst der Sünde zu nehmen, wenn wir z. B. wegen fruchtlosen weltlichen Gewinnes, nicht aber behufs heilsamer Buße und Besserung uns betrüben, oder wenn wir nicht zu unserm eigenen Nutzen uns selbst, sondern gegen Gottes Verbot unserm Bruder zürnen. Denn wollte Einer das zum nothwendigen und nützlichen Gebrauch bestimmte Eisen zur Ermordung Unschuldiger mißbrauchen, so kann er wohl nicht den Schöpfer dieses Stoffes beschuldigen, wenn er von dem, was der Schöpfer zu des Lebens Bedürfniß und Bequemlichkeit verliehen hat, einen schädlichen Gebrauch macht.

Von den Fehlern, welche, abgesehen von den in unserer Natur liegenden Leidenschaften, durch unsere eigene Schuld verursacht werden.

Doch behaupten wir. daß einige Fehler entstehen, ohne daß irgend eine von der Natur gegebene Veranlassung ihnen vorausgeht; vielmehr wurzeln dieselben lediglich in dem verdorbenen und bösen Willen, wie Neid und eben die Habsucht, welche, ohne in unserer Naturanlage ihren Grund zu haben, ihre Veranlassung von aussen erhalten. So leicht nun diese zu verhüten und so bequem sie abzuwenden sind, so groß ist das Unglück, das sie in einem ganz von ihnen in Besitz genommenen Geiste anrichten, weil sie demselben kaum gestatten, gesunde Heilmittel anzuwenden: mögen nun Diejenigen keine schnelle Heilung verdienen, die sich von Dem überwinden ließen, das sie unbeachtet gelassen und doch sehr leicht hätten vermeiden oder besiegen können, oder mögen Die, welche einen schlechten Grund gelegt haben, nicht würdig sein, das Gebäude der Tugenden bis zur Spitze der Vollkommenheit emporzuführen.

Einmal aufgenommen, ist die Krankheit der Habsucht schwer zu vertreiben.

Deßhalb erscheine Keinem diese Krankheit geringfügig und der Beachtung unwerth. Wenn sie auch leicht abgehalten werden kann, so läßt sie doch Jeden, den sie einmal in Besitz genommen, kaum wieder zur Genesung gelangen. Sie ist nämlich ein Schlupfwinkel der Leidenschaften und die Wurzel aller Uebel und wird zum untilgbaren Zündstoffe der Gottlosigkeit. Denn der Apostel sagt: „Die Wurzel alles Bösen ist die Philargyrie, d. h. die Liebe zum Gelde.“

Quellen und Folgen der Habsucht.

Hat diese Leidenschaft einmal von dem schlaffen und lauen Geiste Besitz genommen, so macht sie ihn zuerst nur um eine geringe Summe besorgt und stellt ihm etliche gar vernünftig scheinende Gründe vor, aus welchen er sich etwas Geld zurücklegen oder erwerben dürfe. Denn er klagt, daß das im Kloster ihm Gereichte nicht hinreiche, und daß es damit für einen gesunden und starken Körper kaum auszuhalten sei. Was sei zu thun, wenn eine Krankheit auftauche und nicht etwas Geld aufgehoben sei, um während derselben leben zu können? Was das Kloster reiche, sei zu gering, und es herrsche eine große Nachläßigkeit gegen die Kranken. Wenn man nicht etwas Eigenthum habe, womit man den Leib pflegen und heilen könne, müsse man elend sterben. Selbst das Kleid, das man erhalte, reiche nicht aus. wenn man nicht für Etwas gesorgt habe, wovon man sich ein anderes anschaffen könne. Endlich könne man nicht an demselben Orte oder Kloster bleiben, und wenn man sich nicht für Wegzehrung und Ueberfahrtsgeld gesorgt habe, könne man mit dem besten Willen nicht reisen, und eingeschränkt durch den Mangel am Notwendigsten würde man stets ein beschwerliches und elendes Leben zu ertragen haben und es nie zu Etwas bringen. In seiner Armuth und Entblößung könne man nie ohne Vorwürfe und Beschämung von fremdem Gute leben. — Und hat nun der Mönch seinen Geist von derartigen Gedanken umstricken lassen, so überlegt er. wie er wenigstens einen Zehner sich verschaffen kann. Dann sieht er sich voll Besorgniß nach einer Arbeit um, an der er ohne des Abtes Wissen arbeitet. Diese verkauft er nun heimlich, und endlich im Besitze der gewünschten Münze plagt er sich noch viel ärger mit dem Gedanken, wie er sie verdoppeln könnte, noch im Zweifel, wohin er sie legen oder wem er sie anvertrauen soll. Dann quält ihn noch mehr die Sorge, was er mit ihr kaufen und mit welchem Geschäfte er sie verdoppeln könne. Und ist ihm das nach Wunsch gelungen, so wächst sein Heißhunger nach Gold noch mehr und wird um so heftiger gereizt, je größer die Summe ist. die vor ihm liegt. Denn mit dem Anwachsen des Geldes wächst auch die rasende Gier nach demselben. Schließlich verspricht er sich ein langes Leben, ein ungebeugtes Greisenalter und verschiedene langwierige Krankheiten, die er im Alter nicht ertragen könne, wenn er nicht in der Jugend für eine größere Geldsumme gesorgt habe. So geht die unglückliche, von den Windungen der Schlange umstrickte Seele zu Grunde, indem sie den sündhaft zusammengerafften Besitz mit noch nichtswürdigerer Sorge zu vermehren begehrt. Das verderbliche Feuer, dessen Flammen immer grausamer an ihr nagen, selbst erzeugend und von dem Gedanken an Gewinn ganz eingenommen hält sie ihren Blick auf nichts Anderes gerichtet, als woher sie Geld gewinnen könne, um vermittelst desselben der Zucht des Klosters möglichst bald zu entfliehen. Denn Glaube und Vertrauen werden da über Bord geworfen, wo die Hoffnung auf ein Geldstück aufleuchtet. Diese Hoffnung läßt den Mönch nicht vor Lüge und Meineid, nicht vor Diebstahl und Treubruch, nicht vor der sündigen Wuth des Jähzornes zurückschaudern. Wenn er, von der Hoffnung auf Gewinn verlockt, in eine Sünde gefallen ist, fürchtet er nicht das Maß der Ehrbarkeit und Demuth zu überschreiten, und in Allem wird ihm, wie Andern der Bauch, das Geld und die Hoffnung auf Gewinn zum Gott. Daher hat der heilige Paulus, im Hinblick auf das schädliche Gift dieser Krankheit, sie nicht nur die Wurzel aller Uebel, sondern auch Götzendienst genannt, indem er sagt: „Und die Habsucht, welche Götzendienst ist“. Du siehst also, zu welchem Verderben diese Wuth allmählig anwächst, so daß sie sogar Idololatrie oder Götzendienst vom Apostel genannt wird, weil sie Gottes Bild und Gleichniß. das der Mensch durch treuen Dienst gegen Gott unversehrt in sich hätte bewahren sollen, mißachtet und lieber in Gold geformte Götzenbilder als Gott lieben und bewahren will.

Die Habsucht verhindert alle Tugenden.

Auf dieser abschüssigen Bahn mit aller Schnelligkeit dem Schlechten zueilend ist der Habsüchtige, ich will nicht sagen die Tugend, fondern nicht einmal den Schatten von Demuth, Liebe und Gehorsam zu bewahren bestrebt, sondern entrüstet sich bei jeder Gelegenheit, murrt und seufzt bei jeder Arbeit. Und sich über alle Scham hinwegsetzend stürzt er wie ein halsstarriges, ungezügeltes Pferd in den Abgrund des Verderbens. Nicht zufrieden mit der täglichen Nahrung und gewöhnlichen Kleidung äussert er sich in der Weise, als werde er Dieß nicht länger mehr aushalten. Auch sagt er, Gott sei nicht bloß dort, und sein Heil sei nicht einzig an diesen Ort gebunden. Wenn er daher nicht bald sich anderswohin begebe, werde er, so klagt er seufzend und stöhnend, bald zu Grunde gehen.

Ein Mönch, der Geld besitzt, kann nicht im Kloster bleiben.

Ein Mönch, der in den Münzen, durch die er sich geschützt und gleichsam mit Flügeln versehen wähnt, ein Reisegeld besitzt und schon zum Fortziehen bereit ist, gibt auf alle Befehle eine trotzige Antwort, gebahrt sich wie ein Fremder und Auswärtiger und vernachläßigt und verachtet Alles, was er als der Verbesserung bedürftig erkennt. Und obgleich er heimlich verborgenes Geld besitzt, beklagt er sich, daß er nicht einmal Schuhe und Kleider habe, und entrüstet sich darüber, daß solche ihm zu säumig gereicht würden. Und wenn einmal nach Anordnung des Vorstehers Einem, der offenbar gar Nichts hat. etwas Derartiges früher gegeben wird, flammt das Feuer des Zornes noch mehr in ihm auf, und er wähnt sich wie einen Fremden verachtet, und nicht Willens, seine Hände zu einer Arbeit zu bequemen, tadelt er Alles, dessen nothwendige Ausführung der Nutzen des Klosters erheischt. Dann sucht er sorgsam Gelegenheiten, sich beleidigt und erzürnt stellen zu können, damit es nicht den Anschein habe, als verlasse er nur aus einer geringfügigen Veranlassung die klösterliche Zucht. Und obendrein nicht zufrieden, allein auszuwandern, damit man nicht glaube, als sei er aus eigener Schuld fahnenflüchtig geworden, sucht er unablässig durch heimliche Einflüsterungen möglichst Viele zu verderben. Wenn auch schlechtes Wetter die Ausführung einer Land- oder Seereise vereitelt, hört er, während dieser ganzen Zeit von Ungewißheit und Angst gequält, doch nicht auf, Überdruß zu säen und zu wecken, in dem Wahn, einzig durch den üblen Ruf des Klosters sich über seinen Austritt trösten und seinen Leichtsinn entschuldigen zu können.

Von den schlimmen Folgen, welche das Entlaufen aus dem Kloster nach sich zieht.

Gleich einer Fackel brennt sein Geld den Mönch immer mehr und läßt, einmal in seinen Besitz gelangt, ihn nimmermehr im Kloster bleiben und unter der Ordensregel leben. Wenn es ihn dann, gleich einem wilden Thiere, von der Heerde weggerissen und, fern von den Brüdern, ihn zur Beute gemacht, des Obdachs beraubt und dem Rachen der Raubthiere überliefert hat, zwingt es ihn, der es früher unter seiner Würde hielt, die leichten Arbeiten im Kloster zu verrichten, Tag und Nacht für Gelderwerb unermüdlich zu arbeiten. Dieses Geld erlaubt ihm weder das regelmäßige Gebet noch die Fasten noch die Nachtwachen zu beobachten, nicht läßt es ihn die Pflicht heilsamer Fürbitten erfüllen, wenn er nur die Wuth seines Geizes stillen und die täglichen Bedürfnisse befriedigen kann. Denn während er das Feuer der Begierde durch stetes Erwerben zu ersticken wähnt, facht er dasselbe nur immer mehr an.

Um das Geld aufzubewahren, sucht man die Wohnungen von Frauen auf.

Einige, die so in das jähe Verderben gefallen sind, stürzen sich in unaufhaltsamem Sturze in den Tod. Nicht zufrieden, das Geld, das sie einst gehabt oder aus sündhaften Beweggründen zurückgelegt hatten, zu besitzen, suchen sie die Wohnungen von Frauen auf, welche das sündhaft Erworbene oder Zurückbehaltene aufbewahren sollen. In Folge davon kommen sie zu so gefährlichen und verderblichen Beschäftigungen. daß sie in die Tiefe der Hölle hinabrollen; und anstatt das Wort des Apostels zu befolgen, man solle mit Nahrung und Kleidung sich begnügen, welcher Vorschrift auch die klösterliche Genügsamkeit nachkommt, wollen sie reich werden und fallen so in die Versuchungen und Schlingen des Teufels und in viele unnütze und schädliche Begierden, welche den Menschen in Untergang und Verderben stürzen.

Beispiel eines lauen und in die Schlingen des Geizes verwickelten Mönches.

Ich kenne Jemanden, der sich selbst für einen Mönch hält und, was noch schlimmer ist, sich mit dem Besitze vollkommener Tugend schmeichelt. Bei seiner Aufnahme in’s Kloster ermahnte ihn der Abt, nicht in Das zurückzufallen, dem er eben entsagt habe; besonders solle er sich von der Wurzel alles Uebels. dem Geize, und den Schlingen der Welt frei halten. Und als ob er lieber von den früheren Leidenschaften sich reinigen wolle, von denen ihn der Abt jeden Augenblick sehr heftig bedrängt sah, und als ob er aufhöre nach den Gütern zu streben, die er vorher gar nicht besessen, deren Besitz ihn aber stets gefangen halten und ihn ohne Zweifel an der Austilgung seiner Fehler hindern könnte, scheute er sich nicht, dem Abte mit trotziger Miene zu entgegnen: „Wenn du die Mittel hast, gar Viele zu ernähren, willst du mich hindern, sie ebenfalls zu besitzen?“

Die älteren Brüder sind den jüngeren bei >blegung ihrer Fehler behilflich.

Das Vorausgegangene aber erscheine Keinem überflüssig oder lästig. Denn wenn nicht vorher die verschiedenen Arten von Wunden auseinandergesetzt und die Ursachen und Quellen der Krankheiten aufgesucht sind, kann man weder den Kranken die passenden Arzneien reichen, noch können die Gesunden ihre Gesundheit vollständig schützen. Dieß und noch viel mehr pflegen die Vorsteher, die unzählige Mal den Fall und Sturz verschiedener Mönche erlebt haben, zur Belehrung der Jüngeren in Gesprächen darzulegen. Vieles davon fanden wir dann in uns selbst wieder, und indem es so die Vorsteher darlegten und offenbarten, als wenn sie selbst von denselben Leidenschaften geplagt würden, wurden wir ohne Beschämung von ihnen geheilt; denn wir lernten sowohl die Ursachen als auch die Mittel gegen die uns anfeindenden Fehler schweigend kennen, die wir sonst aus Scheu vor den Brüdern verborgen oder verschwiegen hätten. Aber wenn dieß Buch etwa Solchen in die Hände fallen sollte, die in diesem Punkte weniger unterrichtet scheinen, so soll es die Unerfahrenen über Das belehren, was nur Denen bekannt sein dürfte, welche mit Mühe und Anstrengung den Gipfel der Vollkommenheit zu erreichen streben.

Von der dreifachen Krankheit der Habsucht.

Dreifach ist diese Krankheit, die von allen Vätern gleichmäßig verwünscht und verdammt wird. Die eine ist jene, deren Verderben wir oben beschrieben, welche die Unglücklichen täuscht und überredet, Solches zusammen zu scharren, was sie nicht einmal früher besaßen, als sie noch in der Welt lebten. Die zweite drängt ihre Opfer zu dem Wunsche, Dasjenige, dem sie im Anfange ihrer Bekehrung entsagt hatten, später wieder an sich zu ziehen und wieder zu begehren. Die dritte Krankheit, die man sich in Folge eines schlimmen und sündhaften Anfanges seiner Bekehrung zugezogen hat, und die mit der Unvollkommenheit ihren Anfang nimmt, flößt Denen, welche sie einmal in diese Geisteserschlaffung versetzt hat, Furcht und Schrecken vor der Armuth, sowie Mißtrauen ein und läßt nicht zu, daß sich dieselben aller irdischen Güter berauben. Diejenigen aber, welche Geld und sonstige Gegenstände, denen sie durchaus hatten entsagen müssen, behalten, läßt diese Krankheit nimmermehr zur evangelischen Vollkommenheit gelangen. Wie dieser dreifache Fall gar schwer bestraft wurde, davon finden wir auch Beispiele in der heiligen Schrift. Giezi, der Das erlangen wollte, was er selbst vorher nicht besessen, wurde nicht bloß der Gabe der Prophezie unwürdig erachtet, die er wie durch erbliche Nachfolge von seinem Meister hätte empfangen können, sondern er wurde im Gegentheil auf die Verfluchung des heiligen Elisäus hin von unheilbarem Aussatze übergossen. Judas aber, welcher das Geld wieder an sich ziehen wollte, dem er vorher, als er Christo sich anschloß, entsagt hatte, fiel nicht nur so tief, daß er seinen Herrn verrieth und der Würde des Apostolates verlustig ging. sondern verlor auch die Gnade, eines natürlichen Todes zu sterben, und beschloß sein Leben mit einem zweifachen Morde. Ananias und Saphira endlich, welche einen Theil von ihrem früheren Besitzthume zurückbehielten, vernahmen aus des Apostels Munde ihr Todesurtheil.

Unterschied zwischen einer schlechten und keiner Bekehrung.

Es gibt Leute, welche trotz ihrer Behauptung, der Welt entsagt zu haben, und trotz des Aufgebens ihrer irdischen Schätze doch aus Mangel an Vertrauen wieder in Furcht gerathen. Ihnen wird im Deuteronomium die mystische Vorschrift ertheilt: „Ist ein Mann furchtsam und verzagten Herzens, so ziehe er nicht in den Krieg; er gehe und kehre zurück in sein Haus, daß er nicht zaghaft mache die Herzen seiner Brüder, sowie er selbst von Furcht ergriffen ist.“ Was ist deutlicher als dieses Wort? Will nicht offenbar die heilige Schrift lieber, daß dieselben diesen Stand weder antreten noch den Namen desselben sich beilegen sollen, als daß sie durch übel angebrachte Ermahnungen und böses Beispiel auch Andere von der evangelischen Vollkommenheit abziehen und durch Mißtrauen und Schrecken zaghaft machen? Es wird ihnen daher befohlen, den Krieg zu verlassen und in ihre Heimath zurückzukehren, weil Keiner mit getheiltem Herzen die Kämpfe des Herrn kämpfen kann. „Denn ein doppelsinniger Mann ist unbeständig in allen seinen Wegen;“ und von der Parabel im Evangeliums ausgehend, daß Derjenige, welcher mit zehntausend Mann heranzieht, mit Jenem, der mit zwanzigtausend heranrückt, sich nicht schlagen kann, mögen sie, wenn der Feind auch noch so weit entfernt ist, um Frieden bitten d. h. lieber gar keinen Anfang mit der Weltentsagung machen, als durch eine laue Betätigung derselben sich in noch größeres Unglück stürzen. „Denn besser ist nicht geloben als geloben und nicht geben.“ Schön aber wird von dem Einen gesagt, er komme mit zehntausend, und von dem Andern, er komme mit zwanzigtausend Mann. Denn größer ist die Zahl der uns angreifenden Sünden als die Zahl der für uns streitenden Tugenden. Niemand aber kann Gott dienen und dem Mammon. und „wer immer seine Hand auf den Pflug legt und hinter sich schaut, ist nicht tauglich für das Reich Gottes.“

Mit welchem falschen Zeugniß sich Jene zudecken suchen, die sich ihres Vermögens nicht entledigen wollen.

Solche Leute nun wagen es, ihre ehemalige Habsucht bei irgend einer Veranlassung wieder in sich aufzunehmen und gar durch das Ansehen der heiligen Schrift zu stützen. Vermittelst einer durchaus fehlerhaften Auslegung sind sie bedacht, das Wort des Apostels, ja des Herrn zu fälschen und nach ihren Gelüsten zu entstellen. Denn nicht ihren Lebenswandel und ihre Einsicht richten sie nach der heiligen Schrift, sondern umgekehrt thun sie, wie es ihre Leidenschaft erfordert, den Schriften Gewalt an und wollen, daß dieselben mit ihren Meinungen übereinstimmen, und behaupten, es sei geschrieben: „Glückseliger ist es zu geben als zu nehmen.“ Durch diese ganz gottlose Auslegung glauben sie das Wort des Herrn entkräftet zu haben, worin gesagt wird: „Wenn du vollkommen sein willst, so gebe hin und verkaufe Alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komme, und folge mir nach!“ Sie glauben, wegen dieses vermeintlichen Zeugnisses dürften sie nicht allen ihren Reichthümern entsagen, da sie ja sich selbst für glückseliger halten, wenn sie, gestützt auf ihr früheres Vermögen, auch Andern ihren Ueberfluß mittheilen. Und während sie sich schämen, für Christus mit dem Apostel die freiwillige Entsagung auf sich zu nehmen, wollen sie weder mit der Arbeit ihrer Hände noch mit den spärlichen Mitteln des Klosters sich begnügen. Diesen bleibt nur übrig, entweder einzusehen, daß sie sich selbst getäuscht und keineswegs dieser Welt entsagt haben, da sie ihre früheren Reichthümer nicht aufgeben, oder, wenn sie ein Mönchsleben in der That und Wahrheit führen wollen, Alles auszutheilen und von sich zu werfen und, ohne Etwas von Dem, welchem sie entsagt haben, zurückzubehalten, sich mit dem Apostel zu rühmen in Hunger und Durst, in Kälte und Entblößung.

Die Entsagung der Apostel und der ersten Kirche.

Hätte nicht auch der heilige Apostel. wenn er es als einen leichteren Weg zur Vollkommenheit erkannt hätte, von seinem früheren Vermögen leben können? er, der nach seinem eigenen Zeugnisse auch in der Rangordnung dieser Welt keine geringe Stufe einnahm; versichert er ja doch, er sei von Geburt mit der Würde eines römischen Bürgers ausgezeichnet. Oder hätten Jene, die zu Jerusalem Aecker und Häuser besaßen, aber Alles verkauften und, ohne Etwas für sich zu behalten, den Erlös dafür brachten und zu den Füßen der Apostel legten, nicht ihre leiblichen Bedürfnisse aus ihren eigenen Mitteln bestreiten können, wenn Dieß nach dem Urtheil der Apostel vollkommener und nach ihrem eigenen Ermessen nützlicher gewesen wäre? Aber allen Dingen entsagend wollten sie lieber von ihrer Arbeit oder von dem Almosen der Gemeinde leben. Im Briefe an die Römer, wo der heilige Apostel von ihren Gaben schreibt und von der Verpflichtung spricht, die er ihnen gegenüber auf sich geladen, und wo er die römischen Christen auf eine geschickte Weise zu dieser Sammlung auffordert, sagt er: „Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. Denn für gut haben erachtet Macedonien und Achaia eine Sammlung zu veranstalten für die Armen der Heiligen, die in Jerusalem sind. Sie erachteten es für gut und sind ihre Schuldner. Denn wenn ihres Geistes theilhaftig geworden sind die Heiden (indem sie Christen wurden gleich den Judenchristen in Jerusalem), schulden sie (die bekehrten Heiden) auch, in dem Leiblichen ihnen zu dienen.“ Auch bei den Korinthiern für sie Sorge tragend ermahnt er dieselben (die Korinthier), vor seiner Ankunft mit aller Sorgfalt eine Beisteuer aufzubringen, die er zu ihrem Besten ihnen schicken ließ. „Was die Sammlung für die Heiligen betrifft.“ schreibt er, „wie ich es angeordnet habe bei den Kirchen Galatiens, also machet es auch ihr! Je am ersten Wochentage lege Jeder von euch bei sich zurück, aufsparend, was ihm leicht ankommt, damit nicht, wenn ich komme, erst dann Sammlungen veranstaltet werden. Wenn ich aber anwesend bin, will ich Die, so ihr durch Briefe begutachten werdet, abschicken, um eure Liebesgaben zu überbringen nach Jerusalem.“ Um sie zu noch reicherer Sammlung aufzumuntern, fügt er bei: „Wenn es werth ist, daß ich selber gehe, werden sie mit mir gehen,“ d. h. wenn euere Sammlung so ausfällt, daß sie es verdient, unter meinem Geleite überbracht zu werden. Im Briefe an die Galater sagt er, obwohl er das Predigtamt mit den Aposteln theilte, so sei er doch mit Petrus, Jakobus und Johannes übereingekommen, zwar die Predigt unter den Heiden zu übernehmen, jedoch die Bekümmerniß und Sorge um die Armen zu Jerusalem keineswegs aufzugeben, die, um Christi Willen Allem entsagend, freiwillige Armuth auf sich genommen hätten. „Als Jakobus.Kephas und Johannes die Gnade Gottes sahen,“ sagt er. „die mir gegeben ist, reichten sie mir und dem Barnabas aus der Versammlung die Hand (mit dem Wunsche), wir sollten unter den Heiden predigen, sie aber bei der Beschneidung[?]; nur sollten wir der Armen eingedenk sein.“ Daß er diesen Auftrag mit der großen Gewissenhaftigkeit ausgeführt hat, bezeugt er selbst mit den Worten: „Und ich war auch besorgt, gerade Dieses zu thun.“ Welche sind nun glückseliger, Jene, die vor Kurzem aus der Zahl der Heiden sich sammelten und, nicht im Stande, sich zur evangelischen Vollkommenheit zu erheben, noch an ihrem Eigenthume hängen, bei denen der Apostel eine große Frucht zu ernten glaubte, wenn sie wenigstens von dem Götzendienste, der Unzucht und dem Genüsse des Blutes und Erstickten sich enthielten und den Glauben Christi mit ihren Reichthümern annähmen, oder Jene, welche, dem Gebote im Evangelium folgend das Kreuz des Herrn täglich tragen und Nichts von ihrem Eigenthum für sich behalten wollen? Und als der selige Apostel, in Kerker und Banden schmachtend und durch die Bedrängniß auf der Reise gehindert, keine Gelegenheit fand, seinen täglichen Lebensunterhalt, wie er es gewohnt war. mit seinen Händen zu erwerben, da hat er nach seiner Aussage von den aus Macedonien gekommenen Brüdern eine Unterstützung erhalten; denn er schreibt: „Denn was mir mangelte, reichten mir die Brüder, die aus Macedonien gekommen waren.“ Und an die Philipper berichtet er: „Ihr wisset denn auch, Philipper, daß im Anfange der Verkündigung des Evangeliums, als ich von Macedonien wegreiste, keine Kirche mir eine Gabe mitgetheilt hat als ihr allein; denn auch nach Thessalonich sandtet ihr mir ein und das andere Mal zu meinem Bedarf.“ — Werden nach ihrer Meinung, die sie in ihrem lauen Herzen gebildet haben, auch Jene glückseliger sein als der Apostel, die ihm von ihrem Vermögen mitgetheilt haben? Niemand wird so wahnsinnig sein, Dieß behaupten zu wollen.

Wollen wir die Apostel nachahmen, so dürfen wir nicht nach unsern Anschauungen leben, sondern müssen ihrem Beispiele folgen.

Wollen wir also der Vorschrift des Evangeliums nachkommen und uns erweisen als Nachahmer des Apostels der ganzen ersten Christenheit oder der Väter, welche zu unsern Zeiten das Erbe ihrer Tugenden und Vollkommenheiten angetreten haben, so dürfen wir nicht bei unseren beschränkten Ansichten stehen bleiben und uns von diesem lauen und elenden Stande die evangelische Vollkommenheit versprechen; sondern wir müssen in ihre Fußtapfen treten und uns ganz besonders vor Selbsttäuschung hüten. So müssen wir uns der klösterlichen Zucht und Ordnung befleissen. daß wir in Wahrheit dieser Welt entsagen, daß wir uns nicht durch Mangel an Vertrauen verleiten lassen, Etwas von den Gütern zurückzubehalten, die wir verachtet haben, daß wir endlich unsern täglichen Lebensunterhalt nicht durch heimliches Geld, sondern durch eigene Arbeit erwerben.

Ein Wort des heiligen Bischofs Basilius gegen Synkletikus.

Man erzählt sich ein Wort des heiligen Basilius, Bischofs von Cäsarea, das er an einen gewissen Synkletikus richtete, einen vor Lauheit ganz erstarrten Mann. Obwohl dieser behauptete, der Welt entsagt zu haben, behielt er doch Einiges von seinem Vermögen zurück; denn er wollte sich nicht von seiner Hände Arbeit nähren noch die wahre Demuth durch Entblößung durch Bußwerke und Unterwerfung unter die Satzungen des Klosters erwerben. Allein der Bischof sprach zu ihm: „Den Senator hast du ausgezogen, den Mönch aber nicht angezogen.“

Es ist eine große Schmach, sich von der Habsucht beherrschen zu lassen.

Wenn wir also die Geisteskämpfe rechtmäßig kämpfen wollen, müssen wir auch diesen verderblichen Feind aus unserem Herzen verdrängen. Je weniger tugendhaft es ist, ihn zu überwinden, um so schmählicher und schändlicher ist es. von ihm besiegt zu werden. Denn wird man von einem Mächtigen aus dem Felde geschlagen, so ist die Niederlage wohl schmerzlich, und der Verlust des Sieges bereitet Kummer; allein es fließt aus der Stärke des Feindes dem Besiegten ein gewisser Trost zu. Ist aber der Feind machtlos, und erfordert der Kampf keine besondere Kraftanstrenaung, so tritt zu dem Schmerze der Niederlage eine schimpfliche Beschämung und eine Schande, die den Besiegten mehr niederdrückt als der Verlust selbst.

Von der Überwindung der Habsucht.

Der größte Sieg und beständige Triumph über dieses Laster besteht darin, daß der Mönch, so zu sagen, auch nicht mit der kleinsten Münze sein Gewissen beflecke. Denn es kann nicht ausbleiben, daß Derjenige, welcher, im Kleinen überwunden, einmal die Wurzel der Begierde in sein Herz aufgenommen hat, auch bald von dem Feuer größeren Verlangens entbrenne. Denn so lange wird der Kämpfer Christi siegreich, frei und gegen jegliche Anfechtung der Begierden sicher sein, solange nicht der böse Geist den Samen der Begierde in sein Herz gesät hat. Wie man daher bei allen Sünden im Allgemeinen sich vor dem Kopfe der Schlange hüten muß, so muß man besonders bei diesem Fehler sich sorgfältig vor ihm in Acht nehmen. Ist er einmal eingelassen, so nimmt er an Ausdehnung zu und gibt dem Feuer der Begierde immer mehr Nahrung. Darum muß man sich nicht bloß vor dem Besitze des Geldes in Acht nehmen, sondern auch das Verlangen darnach aus seinem Herzen gänzlich verbannen. Man muß nämlich nicht so sehr die Wirkung der Habsucht vermeiden, als vielmehr die Neigung zu derselben mit der Wurzel ausreissen. Denn Nichts nützt es, kein Geld zu besitzen, wenn man doch den Willen hat, solches zu besitzen.

Auch ohne Geld zu besitzen kann Einer für einen Geizhals gelten.

Es ist möglich, daß Einer, wenn er auch kein Geld besitzt, dennoch nicht von der Krankheit des Geizes frei ist und ihm das Gelübde der Armuth Nichts nützt, weil er die unordentliche Begierde nicht auszurotten vermochte. Ein Solcher erfreut sich wohl des Standes der Armuth. nicht aber der Tugend und des Verdienstes derselben; nicht ohne inneren Schmerz erträgt er die Bürde der Noth. Denn wie das Evangelium von Solchen redet, die, ohne den Leib befleckt zu haben, im Herzen die Ehe gebrochen haben, ebenso ist es möglich, daß Solche, welche in keiner Weise mit der Last des Geldes beladen sind, vermöge ihrer inneren Neigung demselben Urtheile wie die Habsüchtigen verfallen. Denn ihnen fehlte zum Besitze die Gelegenheit, nicht aber der Wille, der stets bei Gott mehr belohnt wird als die Nöthigung. Deßhalb müssen wir dahin zielen, daß das Verdienst unserer Mühen nicht elend zu Grunde gehe. Denn beklagenswerth ist es, wenn man Armuth und Entblößung bis an’s Ende ertragen, die daraus erwachsenden Früchte aber durch einen verkehrten Willen vereitelt und zu Grunde gerichtet hat.

Das Beispiel des Judas.

Willst du die unheilvollen und schädlichen Früchte kennen lernen, welche dieser Keim (der habsüchtige Wille) zum Verderben Desjenigen hervorbringt, der ihn in sich aufgenommen hat, und willst du wissen, in welche Laster der verschiedensten Arten er sich verzweigt, so schaue auf Judas, der unter die Zahl der Apostel gesetzt war. Weil er nicht den tödtlichen Kopf dieser Schlange zertreten wollte, hat sie ihn mit ihrem Gifte getödtet. Nachdem sie ihn in die Schlingen der Habgier verwickelt, hat sie ihn in den Abgrund eines so ruchlosen Verbrechens gestürzt, daß sie ihn dazu verleitete, den Erlöser der Welt und den Urheber des Heiles der Menschheit um dreissig Silberlinge zu verkaufen. Er wäre gewiß nimmer zu dieser so verbrecherischen That des Verrathes gekommen, wenn er nicht von der Krankheit der Habsucht angesteckt gewesen wäre, und er hätte nicht die gottesräuberische Schuld am Tode des Herrn auf sich geladen. wenn er nicht früher die Gewohnheit gehabt hätte, die ihm anvertraute Kasse zu plündern.

Nur durch gänzliche Entsagung kann die Habsucht besiegt werden.

Dieß ist in der That ein erschreckliches und schlagendes Beispiel der Tyrannei der Habsucht, welche die einmal gefangene Seele keine Regel der Wohlanständigkeit mehr beobachten, an keiner Vermehrung des Gewinnes Sättigung finden läßt. Denn das Ende dieser rasenden Gier erreicht man nicht durch Reichthümer, sondern durch gänzliche Entsagung. Wohl hätte nämlich Judas, dem die zur Vertheilung an die Armen bestimmte Kasse anvertraut war, soviel erreichen können, daß er durch die Menge des Geldes seine Habgier hätte stillen und ihr ein Ziel setzen können; allein der Zündstoff der Begierde griff ob der Menge des Geldes so sehr um sich, daß er nicht mehr die Kasse heimlich bestehlen, sondern lieber den Herrn selbst verkaufen wollte. Denn diese rasende Begierde geht weit über alle Haufen von Schätzen hinaus.

Der Tod des Ananias, der Saphira und dea Judas als Strafe für ihre Habsucht.

Durch die oben genannten Beispiele belehrt hegte auch der Fürst der Apostel die Überzeugung, daß Der, welcher Etwas besitzt, die Zügel der Regierung nicht führen könne, und daß es schließlich nicht auf die Größe der Summe, sondern einzig auf die Tugend der Selbstentäusserung ankomme. Deßhalb bestrafte er Ananias und Saphira, von denen oben schon die Rede war, mit dem Tode, weil sie Etwas von ihrem Vermögen zurückbehalten hatten. So erlitten Diese den Tod als Strafe für die von ihrer Habsucht eingegebene Lüge; Judas aber that ihn sich freiwillig an, gleichsam zur Sühne der durch den Verrath des Herrn auf sich geladenen Schuld. Welcher Ähnlichkeit in der Frevelthat und Strafe begegnen wir hier! Dort folgte auf die Habsucht der Verrath, hier die Täuschung. Dort wird die Wahrheit verrathen, hier die Sünde der Lüge begangen. Erscheint auch die Wirkung beider Thaten unähnlich, so wird doch Beiden dasselbe Ende zu Theil. Denn um der Armuth zu entgehen, begehrte Jener Das wieder an sich zu bringen, dem er entsagt hatte; um nicht arm zu werden, wagten Diese, von ihrem Vermögen, das sie entweder dem Apostel vertrauensvoll entgegen bringen oder ganz unter die Brüder hätten verteilen sollen, Etwas zurückzubehalten. Und deßhalb folgt auch in beiden Fällen die Verurtheilung zum Tode, weil beide Verbrechen aus der Wurzel der Habsucht emporgesproßt sind. Wenn daher über Diejenigen, die nicht fremde Güter begehrten, sondern die eigenen zu schonen suchten und sie nicht erwerben, sondern nur behalten wollten, ein so strenges Urtheil gefällt wurde: was soll man von Denen halten, die niemals besessenes Geld zusammenzuscharren begehren und, indem sie die Armuth vor den Menschen zur Schau tragen, vermöge ihrer habsüchtigen Gesinnung vor Gott als reich gelten?

Die Habsucht befleckt die Seele mit einem geistigen Aussatze.

Gleich Giezi, der ob des Verlangens nach den hinfälligen Gütern dieser Welt von der Ansteckung des unreinen Aussatzes befleckt wurde, erscheint auch am Geiste und Herzen der Habsüchtigen ein Aussatz. Jenes Ereigniß zeigt uns klar und deutlich, daß jede mit der Makel der Habgier befleckte Seele von dem geistigen Aussatze der Sünden übergossen wird und als unrein vor Gott dem Fluche verfällt.

Die heilige Schrift belehrt den Ordensmann, daß er Nichts von dem einmal aufgegebenen Gute wieder an sich bringen darf.

Wenn du also aus Verlangen nach Vollkommenheit Alles verlassen hast und Christo gefolgt bist, der zu dir spricht: „Gehe bin, und verkaufe Alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.“ und: „Dann komme und folge mir nach“; warum legst du dann die Hand auf den Pflug und schaust hinter dich, so daß du, wie der Herr wiederum sagt, des Himmelreiches unwürdig erachtet wirst? Warum steigst du von dem Dache der evangelischen Vollkommenheit herab, um Etwas aus deinem Hause zu holen. d. h. von Dem, was du ehemals verachtet hast? Stehest du auf dem Arbeitsfelde der Tugenden, warum willst du dich wieder mit den Gütern der Welt umkleiden, deren du dich freiwillig beraubt hast? Wenn dir aber die Armuth zuvorgekommen ist, so daß du Nichts zu verlassen hattest, so darfst du noch viel weniger erstreben, was du vorher nicht besessen hast. Denn deßwegen erhieltest du durch die Güte des Herrn eine solche Vorbereitung, damit du um so freier ihm entgegen eilen solltest, da dich keine Schlingen des Geldes hinderten. Jedoch lasse Keiner den Muth sinken, wenn er auch hierin arm ist. Denn es gibt Niemanden, der nicht Etwas zu verlassen habe. Allen Gütern der Welt hat nur Der entsagt, der auch die Neigung zum Besitze derselben mit der Wurzel ausgerottet hat.

Nur durch Selbstentäusserung ist der Sieg über die Habsucht möglich.

Darin besteht also der vollkommene Sieg über die Habsucht, daß wir auch nicht einen Funken von Verlangen nach irgend einem noch so geringfügigen Gegenstande in unserem Herzen dulden. Denn es steht fest, daß wir nicht mehr im Stande sein werden, ihn auszulöschen, wenn wir einen noch so kleinen Stoff dieses Fünkleins in uns nähren.

Worin die freiwillige klösterliche Armuth bestehe.

Diese Tugend unverletzt zu bewahren werden wir nur dann im Stande sein, wenn wir während unseres Aufenthaltes im Kloster mit Nahrung und Kleidung uns zufrieden geben.

Heilmittel gegen die Krankheit der Habsucht.

Behalten wir das Urtheil über Ananias und Saphira im Gedächtniß und scheuen wir uns, Etwas von Dem zu behalten, auf was wir freiwillig zu verzichten gelobt haben. Fürchten wir auch das Beispiel des Giezi, der wegen Versündigung durch Geiz mit ewigem Aussatze bestraft wird, und hüten wir uns, Etwas von unserem ehemaligen Besitzthum wieder an uns zu bringen. Betrachten wir auch das anfängliche Verdienst des Judas und fürchten wir sein Ende, um mit allen Kräften es zu vermeiden. Etwas von dem Gelde wieder zu nehmen, das wir einmal von uns geworfen haben. Aber mehr als alles Dieses sollte die Betrachtung unserer unstäten und schwachen Natur uns antreiben, darauf Acht zu haben, daß nicht der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht uns überrasche und unser Gewissen auch nur mit einem einzigen Obolen befleckt finde; denn ein solcher würde alle Früchte unserer Weltentsagung werthlos machen und schuld sein, daß nach dem Ausspruche des Herrn auch an uns das Wort ergeht, welches im Evangelium zu dem Reichen gesprochen wurde: „Du Thor, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du aber gesammelt hast, wessen wird es sein?“ Ohne an den morgigen Tag zu denken, wollen wir uns niemals von der klösterlichen Zucht losreissen.

Nur wer im Kloster ausharrt, kann die Habsucht besiegen.

Niemals ohne Zweifel wird es uns vergönnt sein, Dieß zu erfüllen, selbst nicht einmal nach der klösterlichen Regel zu leben, wenn nicht zuvor die Tugend der Geduld, welche aus keiner anderen Quelle als aus der Demuth entspringt, in uns einen festen Grund gelegt hat. Denn jene weiß keine Aufregungen zu verursachen, diese weiß die ihr verursachten großmüthig zu ertragen.

Achtes Buch: Von dem Geiste des Zornes.

Einleitung.

Im vierten Kampfe müssen wir das tödtliche Gift des Zornes aus den Winkeln unserer Seele gründlich entfernen. Denn wenn dieser in unserem Herzen wohnt und das Auge mit schädlicher Finsterniß blendet, können wir weder ein richtiges und klares Unheil erlangen, noch den Blick einer guten Betrachtung, noch die Reife des Rathes besitzen, noch des Lebens theilhaftig werden, noch an der Gerechtigkeit festhalten, noch auch das geistige und wahrhaftige Licht in uns aufnehmen. „Denn getrübt ist vor Zorn mein Auge,“ sagt der Psalmist. Auch der Weisheit können wir nicht theilhaftig werden, obwohl man uns allgemein für weise zu halten scheint; denn „der Zorn ruht im Busen der Thörichten.“ Aber auch nicht einmal das Leben der Unsterblichkeit werden wir erlangen können, wie weise wir auch nach dem Begriffe der Menschen zu gelten scheinen; denn „der Zorn richtet auch die Klugen zu Grunde.“ Auch die Zügel der Gerechtigkeit werden wir nicht mit durchdringendem Urtheile zu lenken im Stande sein, möge man uns auch allgemein für vollkommen und heilig halten; denn „des Mannes Zorn vollbringt nicht Gottes Gerechtigkeit“. Selbst die Würde der Ehrbarkeit, die auch den Leuten dieser Welt eigen zu sein pflegt, werden wir nimmer besitzen können, mögen wir auch vermöge des Privilegiums unserer Geburt für edel und ehrbar gelten; denn „ein jähzorniger Mann ist ehrlos.“ Auch die Reife des Rathes werden wir in keiner Hinsicht uns anzueignen wissen, wie ernst und hochgelehrt wir auch scheinen mögen; denn „ein zorniger Mann handelt ohne Rath.“ Aber wir werden auch weder von schädlichen Leidenschaften unbehelligt noch von Sünden frei sein können, wenn wir auch gar keine Beunruhigungen von Andern zu erleiden haben; denn „ein ungestümer Mann erzeugt Zänkereien, und ein zorniger ruft Sünde hervor.“

Von der Behauptung: der Zorn, mit dem man Sündern zürne, sei nicht sündhaft, da man auch von Gott sage, daß er zürne.

Ich hörte, wie Einige diese der Seele so verderbliche Krankheit in der Weise zu entschuldigen versuchten, daß sie dieselbe durch eine sehr ruchlose Deutung der heiligen Schrift abzuschwächen beflissen waren. Sie sagten nämlich, es sei nicht sündhaft, gegen fehlende Brüder zu zürnen, da man ja auch von Gott aussage, er wüthe und zürne gegen Jene, die ihn mit oder ohne ihr Wissen verachten, wie an jener Stelle: „Und es entbrannte der Herr in Zorn gegen sein Volk.“ oder wenn der Prophet betet: „O Herr, nicht in deinem Grimme strafe mich, und nicht in deinem Zorne züchtige mich!“ Aber sie sehen nicht ein, daß, während sie den Menschen die Möglichkeit des verderblichen Fehlers einräumen wollen, sie der Unermeßlichkeit Gottes, der Quelle aller Reinheit, die Schmach einer fleischlichen Leidenschaft beimischen.

Von den Prädikaten, die Gott nach menschlichem Sprachgebrauch beigelegt werden.

Wenn man diese Aussagen von Gott im fleischlichen, groben und buchstäblichen Sinne nehmen muß, so schläft also auch Gott, wenn es heißt: „Erhebe dich; warum schläfst du, o Herr?“ und wenn an einer andern Stelle gesagt wird: „Sieh‘, er schlummert nicht, er schläft nicht, der Israel hütet.“ Und er steht und sitzt, wenn er sagt: „Der Himmel ist mein Thron, die Erde aber der Schemel meiner Füße;“ und doch „mißt er den Himmel mit seiner Hand und umschließt die Erde mit seiner hohlen Hand.“ Und er wird vom Weine berauscht, wenn es heißt: „Und es erwachte wie ein Schlafender der Herr, wie ein Held, trunken vom Wein.“ er. „der allein Unsterblichkeit besitzt und in unzugänglichem Lichte wohnt.“ Ich übergehe das Nichtwissen und Vergessen, das wir an verschiedenen Stellen der heiligen Schrift oft von ihm ausgesagt finden, ferner die Gestalt der Glieder, die gleichsam von einem Menschen mit körperlicher Form und Zusammensetzung hergenommen ist, nämlich von den Haaren, dem Haupte, der Nase, den Augen, dem Antlitze, von den Händen und Armen und Fingern, dem Schooße und den Füßen. Wenn wir Dieß alles in dem gewöhnlichen buchstäblichen Sinne nehmen wollten, müßte man — was auszusprechen ein Frevel ist und uns ferne liegt — meinen, Gott sei aus Gliedern und einer körperlichen Gestalt zusammengesetzt.

Was von den menschlichen Gliedern und Affekten zu halten sei, die Gott, dem Unwandelbaren und Körperlosen, nach der Schrift beigelegt werden.

Wie man also Dieß ohne ruchlosen Gottesraub nicht im buchstäblichen Sinne von Dem verstehen kann, der als unsichtbar, unaussprechlich, unbegreiflich, unschätzbar, einfach und nicht zusammengesetzt durch die unfehlbare Stimme der heiligen Schrift bezeichnet wird, so kann man seiner unwandelbaren Natur auch nicht einmal die Aufregung des Zorns und Grimmes ohne entsetzliche Gotteslästerung beilegen. Denn unter einer derartigen Bezeichnung von Gliedern müssen wir Gottes unendliche Wirksamkeit und unermeßliche Werke verstehen, die wir uns vermittelst dieses gebräuchlichen Ausdruckes „Glieder“ aufzufassen vermögen. So sollen wir z. B. unter „Mund“ seine Einsprechungen verstehen, die er in die verborgenen Sinne der Seele gnädig einströmen läßt. Auch sollen wir hieraus erkennen, daß er zu unsern Vätern und den Propheten geredet hat. In den „Augen“ ist die Unermeßlichkeit seines Blickes ausgesprochen, mit dem er Alles durchschaut und erkennt, sowie die Wahrheit, daß ihm Nichts verborgen bleibt von Dem, was jetzt oder künftig von uns gethan oder gedacht wird. Das Wort „Hände“ läßt uns seine Vorsehung und Wirksamkeit erkennen, vermöge derer er Schöpfer und Lenker der Welt ist. Auch der Arm ist ein Zeichen seiner Macht und Regierung, mit der er Alles erhält, leitet und regiert. Und um vom Übrigen zu schweigen, auf was Anderes deutet das weisse Haupthaar hin als auf die lange Dauer und das Alter der Gottheit, kraft welcher er ohne Anfang und vor allen Zeiten ist und alle Kreaturen überdauert? Wenn wir also auch vom Zorne und Grimme Gottes lesen, so müssen wir das nicht ανθρωποπαθικος d. h. nicht nach der Niedrigkeit menschlicher Leidenschaft, sondern Gottes würdig verstehen, dem jede Leidenschaft fremd ist. Durch diese Bezeichnung können wir ihn als Richter und Bestrafer alles Bösen, das in der Welt geschieht, kennen lernen, und sollen wir durch diese Worte die Furcht vor diesem furchtbaren Vergelter unserer Werke in uns erwecken und uns scheuen, Etwas gegen seinen Willen zu begehen. Denn die menschliche Natur fürchtet jene Personen, die sie entrüstet weiß und zu beleidigen fürchtet, wie bei manchen sehr billigen Richtern Diejenigen, welche von den Gewissensbissen einer Schuld geplagt werden, ihren rächenden Zorn zu fürchten pflegen: nicht als ob dieser Zorn in der Seele der gerechten Richter als Leidenschaft sich fände, sondern weil sie in ihrer Seele eine Gemüthsstimmung empfinden, wie sie aus der Furcht vor der Handhabung der Gesetze, vor dem Verhöre und dem Urtheile hervorgehen muß. Wird das Urtheil auch mit einer noch so großen Sanftmuth und Milde gesprochen, so wird es doch von Jenen, die mit vollem Rechte bestraft werden, als ein Ausfluß heftigen Grimmes und grausamen Zornes empfunden. Es wäre zu weitläufig und nicht dem Zwecke des vorliegenden Werkes entsprechend, wollten wir uns über Alles verbreiten, was in menschlicher und figürlicher Ausdrucksweise in der heiligen Schrift von Gott ausgesagt ist. Für jetzt möge es genügen. Das berührt zu haben, was die Sünde des Zornes angeht, damit Keiner aus Unwissenheit eine Veranlassung zu Krankheit und ewigem Tode daher nehme, wo man Heiligkeit und Unsterblichkeit des Lebens und heilsame Heilmittel sucht.

Welche Versöhnlichkeit dem Mönche ziemt.

Der Mönch, welcher nach Vollkommenheit strebt und den Kampf des Geistes rechtmäßig kämpfen will, muß frei sein von jeglicher Sünde des Zornes und Grimmes und beherzigen, was das Gefäß der Auserwählung (der heilige Paulus) ihm befiehlt. „JederZorn.“ sagt er. „und Groll, jede Zänkerei und Lästerung sei ferne von euch sammt jeglicher Bosheit.“ Wenn er sagt: „Jeder Zorn sei fern von euch,“ so nimmt er gar keinen davon aus. der uns gleichsam nothwendig oder nützlich wäre. Einen fehlenden Bruder soll er nötigenfalls in der Weise zu heilen bestrebt sein, daß, während er einem vielleicht an einem leichten Fieber Leidenden die Arznei zu reichen bemüht ist, er selbst sich durch Zorn nicht in die schlimme Krankheit der Blindheit stürze. Denn wer eines Anderen Wunde heilen will, muß von jeder schmerzlichen Krankheit frei und gesund sein, damit nicht das Wort des Evangeliums ihn treffe: „Arzt, heile dich selbst!“ und er wohl den Splitter in seines Bruders Auge, nicht aber den Balken in seinem eigenen Auge sehe. Oder wird Derjenige wohl den Splitter aus seines Bruders Auge ziehen können, der den Balken des Zornes im eigenen Auge trägt?

Von der ungerechten und gerechten Erregung des Zornes.

Jede Erregung des Zornes, aus welcher Ursache immer sie aufwallen möge, blendet die Augen des Herzens, legt auf die Schärfe des Gesichtes den verderblichen Balken einer gar schweren Krankheit und benimmt ihr den Blick auf die Sonne der Gerechtigkeit. Es ist gleichgültig, ob Platten von Gold oder von Blei oder einem sonstigen Metalle auf die Augen gelegt werden. Der Werth der Metalle macht keinen Unterschied in der Blindheit der Augen. In uns selbst freilich leistet der Zorn uns einen recht guten und geeigneten Dienst; und nur zu diesem Dienste zugelassen ist er heilsam und nützlich. Dieser besteht darin, daß wir gegen die ausschweifenden Regungen unferes Herzens voll Entrüstung knirschen und über Das, was wir vor den Menschen zu thun oder zu reden uns schämen, und was sich deßhalb in die Winkel unserer Brust verkrochen hat, entrüstet sind, fürchtend und zitternd vor der Gegenwart der Engel und Gottes selbst, der überall eindringt und Alles durchschaut, vor dessen Auge keine Geheimnisse unsers Gewissens verborgen bleiben können.

Einziger Fall der Notwendigkeit und Heilsamkeit des Zornes.

Wenn wir gerade darüber erregt werden, daß wir von Zorn gegen einen Bruder angewandelt werden, so stoßen wir ganz gewiß in diesem unsern Zorne die Einflüsterungen jenes Zornes von uns und gönnen ihm keine verderblichen Schlupfwinkel im Innern unseres Herzens. Auf diese Weise zu zürnen lehrt uns auch der Prophet (David), der den Zorn in dem Maße aus seinem Gefühle verdrängt hatte, daß er nicht einmal seinen eigenen und noch dazu von Gott in seine Hände gegebenen Feinden Vergeltung angedeihen lassen wollte, indem er spricht: „Zürnet, doch sündiget nicht!“ Als er nämlich Wasser aus der Cisterne von Bethlehem gewünscht hatte und es ihm von tapferen Männern mitten durch die Schaaren der Feinde gebracht worden war, goß er es sofort zur Erde. So gegen die wollüstige Leidenschaft seiner Begierde zürnend erstickte er dieselbe, brachte das Wasser Gott dar und erfüllte nicht das Verlangen seiner Lust, indem er sprach: „Der Herr sei mir gnädig, daß ich Das nicht thue. Sollte ich das Blut der Männer trinken, die hingehen auf die Gefahr ihres Lebens?“ Ferner als Semei gegen den König David, so daß er es hörte, vor seinem ganzen Gefolge Steine und Fluchworte schleuderte und Abisai, Sarvia’s Sohn, der Heerführer, die Beschimpfung des Königs durch jenes Mannes Enthauptung rächen wollte, ergriff den frommen König eine heilige Entrüstung gegen dessen grausamen Vorschlag, und maßvolle Demuth mit Geduld wie Strenge mit unwandelbarer Sanftmuth verbindend rief er aus: „Was habe ich mit euch zu schaffen, Sarvia’s Söhne? — Lasset ihn, er mag lästern; denn der Herr hieß ihn den David lästern. Und wer ist, der es wage zu fragen, warum er Dieß gethan? Sieh‘, mein Sohn, der leiblich von mir abstammt, strebt mir nach dem Leben, wie viel mehr nun ein Sohn des Iemini? Lasset ihn. daß er lästere nach des Herrn Geheiß; vielleicht sieht an der Herr meine Bedrängniß und gibt mir Gutes für diese heutige Lästerung.“

Von dem Zorne gegen uns selbst.

Wir sollen also zu unserm Heile zürnen, und zwar gegen uns selbst und die an uns herantretenden bösen Einflüsterungen; dabei sollen wir nicht sündigen, d. h. diese Einflüsterungen zu keiner sündhaften Wirkung gelangen lassen. Eben diesen Sinn erklärt auch der folgende Vers noch deutlicher: „Was ihr in euren Herzen sprechet, bereuet auf euren Lagerstätten,“ d. h. was ihr immer in euren Herzen durch plötzlich sich herandrängende verführerische Anreizungen denken möget, verdränget durch weisen Rath allen Lärm und alle Verwirrung des Zornes, als läget ihr auf einem Ruhebette, und bessert diese bösen Gedanken gründlich durch eine recht heilsame Zerknirschung. Endlich beruft sich der heilige Apostel auf diesen Vers, indem er den Worten: „Zürnet, doch sündiget nicht.“ jene beifügt: „Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorne, noch gebet Raum dem Teufel!“ Wenn es sündhaft ist. daß über unserm Zorne die Sonne der Gerechtigkeit untergehe, und wir durch unsern Zorn sofort dem Teufel Raum in unserm Herzen geben, wie kann er weiter oben uns zürnen heissen, indem er spricht: „Zürnet, doch sündigt nicht“? Sagt er damit nicht offenbar: „Seid erzürnt auf eure Sünden und euren Zorn, damit nicht in Folge euerer Nachsicht gegen dieselbe die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, für euren durch Zorn verdunkelten Geist unterzugehen anfange und, wenn sie scheidet, ihr dem Teufel Raum in euren Herzen gebet“?

Welche Sonne soll nicht über unserem Zorne untergehen?

Von dieser Sonne spricht Gott offenbar zu dem Propheten mit den Worten: „Denen aber, die meinen Namen fürchten, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und Heilung an ihren Flügeln.“ Von ihr heißt es ferner, daß sie den Sündern und falschen Propheten und Denen, welche zürnen, untergehe mitten am Tage, indem der Prophet sagt: „Unter geht ihnen die Sonne am Mittage.“ Ganz gewiß soll in übertragenem Sinne der Verstand, d. i. der νους oder die Vernunft, welche dazu bestimmt ist, alle Gedanken und Entschließungen des Herzens zu erleuchten, und deßhalb mit Recht Same genannt wird, nicht erlöschen. Denn sonst würde nach ihrem Untergange die Finsternis der Leidenschaft mit ihrem Urheber, dem Teufel, alle Sinne unseres Herzens in Besitz nehmen, und wir, von der Finsterniß des Zornes umfangen, würden, wie in finsterer Nacht, nicht wissen, was wir thun sollen. In diesem Sinne lebt das genannte Wort des Apostels in den Regeln der Väter fort. Diesen Sinn haben wir etwas weitläufig dargelegt, weil es vonnöthen war, zu wissen, was Diejenigen von dem Zorne hielten, die ihm nicht einen Augenblick den Eintritt in ihr Herz gestatten; beherzigen sie ja doch in seinem ganzen Umfang das Wort des Evangeliums: „Wer seinem Bruder zürnt, wird des Gerichtes schuldig sein.“ Wenn man übrigens bis Sonnenuntergang zürnen dürfte, so würden gewiß eher die sündhaften Leidenschaften den Ingrimm und die Regung des rachedürstigen Zornes bis zur Sättigung stillen, als bis die Sonne sich zu dem Orte ihres Unterganges neigt.

Von Jenen, deren Zorn nicht einmal der Sonnenuntergang ein Ziel setzt.

Was soll ich aber von Jenen sagen (nicht ohne meine Beschämung spreche ich es aus), deren Unversöhnlichkeit nicht einmal der Untergang dieser Sonne eine Grenze seht, sondern welche dieselbe von Tag zu Tag mehr ausdehnen; die Jenen gegenüber, gegen die sie aufgebracht waren, den alten Groll bewahren; die wohl mit dem Munde versichern, sie seien nicht gereizt, in der That und Wahrheit aber sich als sehr heftig erzürnt erweisen? Denn sie reden dieselben weder mit geziemenden Worten an, noch sprechen sie zu ihnen mit der gewöhnlichen Freundlichkeit, und glauben darin am meisten zu fehlen, daß sie nicht Rache nehmen für die ihnen verursachte Erregung. Weil sie ihre Rache aber offen zu zeigen und auszuüben weder wagen noch vermögen, verwenden sie das Gift des Zornes zu ihrem eigenen Verderben, kochen es schweigend in ihrem Herzen und verzehren es still bei sich selbst. Die Bitterkeit der Betrübniß verjagen sie nicht sofort durch die Kraft des Geistes, sondern lassen dieselbe von Tag zu Tag sich abschwächen, um sie schließlich je nach Zeit und Umständen zu mildern.

Wer seinen Zorn verbirgt und verdeckt, sündigt dadurch nicht weniger, als wenn er ihn offen zeigte.

Wie. es scheint, ist das für einen Jeden das Ziel seiner Wünsche und glaubt Jeder seinem Ingrimm und seiner Mißstimmung reichlich genug gethan zu haben, wenn er Das. was in seinen Kräften steht und der Zorn ihm eingibt, ganz ausgeführt habe. Allein Dasselbe gilt auch von Jenen, die nicht aus Verlangen nach Versöhnung, sondern wegen Unvermögens, sich zu rächen, die Regungen ihres Zornes zurückhalten. Denn sie können Denen, auf die sie erzürnt sind, Nichts mehr anthun, ausser daß sie gar nicht mehr mit der gewohnten Freundlichkeit mit ihnen reden. Oder müßte man nur bei dem Vollzug einer Handlung den Zorn mäßigen und nicht vielmehr ihn aus den geheimen Winkeln seiner Brust verbannen? Denn blendet uns die Finsterniß des Zornes, so können wir nicht das Licht weisen Rathes noch das der Wissenschaft in uns aufnehmen, und wohnt in uns der Geist des Zornes, so können wir nimmer ein Tempel des heiligen Geistes sein. Der im Herzen verborgene Grimm beleidigt zwar nicht unsere Mitmenschen, aber er schließt ebenso, als wenn er sich auch nach aussen zeigte, das hell leuchtende Licht des heiligen Geistes aus.

Man darf den Zorn nicht einen Augenblick lang hegen.

Wie sollte ferner der Herr dulden, daß wir den Zorn nur einen Augenblick behalten, da er uns ja nicht einmal die Darbringung des geistigen Opfers des Gebetes gestattet, wenn wir finden, daß Einer gegen den Andern irgend einen Groll hegt? Denn er spricht: „Wenn du deine Gabe zum Altare bringst und dort dich erinnerst, daß dein Bruder Etwas gegen dich hat, so lasse deine Gabe am Altare, und gehe hin, und versöhne dich erst mit deinem Bruder, und dann komme und bringe deine Gabe dar!“ Wie sollte es uns also gestattet sein, ich will nicht sagen bis zum Verlaufe mehrerer Tage, sondern nur bis zum Sonnenuntergang gegen unsere Brüder eine Mißstimmung zu hegen? Können wir ja nur dann Gott unsere Gebete darbringen, wenn gar Niemand Etwas gegen uns hat, und mahnt uns auch der Apostel: „Betet ohne Unterlaß!“ und: „An jedem Orte erhebt die reinen Hände sonder Zorn und Zweifelhaftigkeit!“ Es bleibt also nur noch übrig, entweder nie zu beten, wenn wir ein solches Gift in unserm Herzen behalten wollen, und somit zu sündigen gegen dieses Gebot des Apostels und des Evangeliums, das uns befiehlt, unaufhörlich und überall zu beten; oder in unserer Selbsttäuschung ein Gebet gegen sein Gebot zu verrichten, wodurch wir, wie unser Gewissen uns sagt, dem Herrn nicht ein Gebet, sondern im Geist der Auflehnung ihm eine Schmach entgegenbringen.

Von der brüderlichen Versöhnung.

Weil wir gewöhnlich die von uns verletzten und betrübten Brüder verachten oder wenigstens mit der Behauptung, sie seien nicht durch unsere Schuld beleidigt worden, verächtlich über sie hinwegsehen, deßhalb will der Seelenarzt, der alles Verborgene kennt, die Veranlassungen zum Zorne mit der Wurzel aus unserm Herzen reissen. Er gebietet uns, wenn wir beleidigt worden sind, nicht nur zu verzeihen und uns mit unserm Bruder zu versöhnen, ohne ferner des Unrechtes und der Beleidigungen gegen uns zu gedenken, sondern auch wenn wir wissen, daß sie, mit Recht oder Unrecht, Etwas gegen uns haben, sollen wir nach seinem Gebote unsere Gabe zurücklassen, d. h. einhalten mit unserm Gebete und zuvor zu ihrer Versöhnung die Hand zu reichen eilen. Wenn so des Bruders Heilung vorher stattgefunden hat, dann sollen wir das reine Opfer unseres Gebetes darbringen. Denn nicht findet Gott, der gemeinsame Herr Aller, Gefallen an unserm Dienste, wenn er wegen des herrschenden Unfriedens Das, was er bei dem Einen empfängt, bei dem Andern verliert. Mag nämlich Schaden nehmen, wer da will, so erleidet Der stets einen Verlust, der auf gleiche Weise aller seiner Diener Heil erwartet und verlangt. Und wenn deßbalb ein Bruder Etwas gegen uns hat, so wird unser Gebet ebenso unwirksam sein, als wenn wir in dem vor Zorn gleichsam schwellenden Geiste die Bitterkeit des Unwillens gegen ihn bewahren.

Auch der alte Bund verbietet den Zorn in der That wie den im Gedanken.

Doch wozu bleiben wir noch länger bei den Vorschriften des Evangeliums und der Apostel stehen, da auch der alte Bund, der minder strenge Anforderungen zu stellen scheint. Ebendasselbe mit den Worten verbietet: „Hasse nicht deinen Bruder in deinem Herzen“, und wiederum: „Sei nicht eingedenk der Beleidigungen deiner Mitbürger.“ und ferner: „Die Wege Derer, die das Andenken einer Beleidigung bewahren, führen zum Tode“ ? Du siehst, daß auch hier die Sünde nicht nur im Werke, sondern auch in den geheimen Gedanken streng verboten wird, da der Haß und nicht nur die Vergeltung der Beleidigung, sondern auch schon der Gedanke daran mit der Wurzel aus dem Herzen gerissen weiden soll.

Tadel Derer, welche die Ursachen ihrer Ungeduld auf Andere werfen.

Wenn wir, die der Stolz und die Ungeduld zuweilen überwunden, unsere unordentlichen und regellosen Sitten bessern wollen, so sehnen wir uns unter Klagen in die Einsamkeit, als ob wir daselbst, wo uns Niemand reizt, sofort die Tugend der Geduld finden würden. Auch entschuldigen wir unsere Unachtsamkeit mit der Behauptung, daß die Ursachen unserer Aufregung nicht an unserer Ungeduld, sondern an der Verschuldung der Brüder lägen. Während wir so den Grund unserer Verirrung auf Andere ablenken, werden wir nie zum Ziele der Geduld und Vollkommenheit gelangen können.

Die Ruhe unseres Herzens darf nicht in dem Willen eines Anderen, sondern nur in unserer Gewalt liegen.

Unsere ganze Besserung und innere Ruhe dürfen wir nicht auf den Willen eines Anderen bauen wollen, der durchaus nicht unserer Macht unterworfen ist, sondern sie muß vielmehr in unserer eigenen Gemüthsverfassung ihren Bestand haben. Daß wir daher nicht zürnen, soll nicht das Verdienst fremder Vollkommenheit, sondern eigener Tugend sein, die nicht durch fremde Geduld, fondern durch eigene Langmuth errungen wird.

 

In welcher Absicht soll der Mönch die Einöde aufsuchen?

Fernerhin müssen die vollkommenen und von jeder Sünde gereinigten Mönche in die Einsamkeit wandern, und haben sie im Umgang mit den Brüdern ihre Fehler gründlich beseitigt, so müssen sie die Einsamkeit erwählen. Aber zu diesem Vorhaben soll sie nicht der Wunsch bestimmen, einen Zufluchtsort für ihren Kleinmuth zu haben, sondern die Aussicht, dort einen erhabenen Blick in die Betrachtung göttlicher Dinge thun zu können, der nur den Vollkommenen und zwar nur in der Einsamkeit möglich ist. Denn alle Fehler, die wir ungeheilt in die Einöde mitbringen, werden wir in uns verborgen, nicht aber getilgt fühlen. Wie nämlich die Einsamkeit den Mönchen mit gebesserten Sitten die reinste Kontemplation zu erschließen und den lautersten Blick ln die Wissenschaft der heiligen Geheimnisse zu eröffnen weiß, so pflegt sie die Fehler derjenigen, welche weniger gebessert sind, nicht nur zu behalten, sondern zu vergrößern und zu vervielfachen. So lange wird immer Einer in seinen Augen geduldig und demüthig sein, als er in keines Menschen Gesellschaft kommt. Doch wird er bald zu seiner früheren Natur zurückkehren, wenn die Gelegenheit zu irgend einer Erregung sich einstellt. Es tauchen dann sofort die in ihm verborgenen Fehler empor, und gleich ungezügelten Pferden durch längere Muße genährt stürzen sie noch hitziger und wilder zum Verderben des eigenen Wagenlenkers um die Wette aus ihren Schranken hervor. Denn sind die Fehler vorher nicht ganz abgelegt, so werden sie in uns nur noch wilder, wenn der Verkehr und Umgang mit Menschen aufhört. Ja selbst den Schatten der Geduld, den wir im Verkehr mit den Brüdern mit Rücksicht auf die ihnen gebührende Ehrfurcht und aus Furcht vor öffentlicher Beschämung in unserer Einbildung zu besitzen glaubten, verlieren wir durch die Unthätigteit, welche uns nur in eine falsche Sicherheit einschläfert.

Ungeduldig und zornig sind oft auch Diejenigen, welche nicht von Andern dazu veranlaßt werden.

Sollten nicht alle Arten giftiger Schlangen und sonstiger wilden Thiere. wenn sie in der Einöde und ihren Lagerstätten sich aufhalten, unschädlich sein? Und doch kann man sie deßwegen nicht unschädlich nennen, weil sie Keinem schaden. Das liegt nicht an der guten Gesinnung, sondern an der Einsamkeit, die sie dazu nöthigt: denn finden sie Gelegenheit, Jemanden zu verletzen, so zeigen sie das in ihrem Innern verborgene Gift und bethätigen ihre wilde Sinnesart. — Und deßhalb ist es für die nach Vollkommenheit Strebenden nicht genug, gegen einen Menschen nicht zu zürnen. Ich erinnere mich nämlich aus der Zeit, wo ich in der Einsamkeit lebte, daß damals gegen die Schreibfeder, deren Dicke oder Dünne mir mißfiel, gegen das Messer, wenn es die zu schneidenden Gegenstände wegen der stumpfen Schneide zu langsam schnitt, gegen den Feuerstein, wenn einmal der Feuerfunke zu langsam aufleuchtete und wir Eile zur Lesung hatten, eine solche Regung des Unwillens mich anwandelte, daß ich nicht anders als durch Verwünschungen gegen die unempfindlichen Stoffe oder gar gegen den Teufel der Aufregung meines Geistes ihre Stärke benehmen und Luft machen konnte. Deßwegen wird der Vollkommenheit, soll sie vernünftig sein, die Abwesenheit der Menschen, gegen die der Zorn sich regen könnte, nicht sonderlich nützen. Denn hat man sich nicht vorher die Geduld angeeignet, so kann auch gegen stumme Wesen und geringfügige Gegenstände die zornige Stimmung ebenfalls zum Ausdrucke gelangen, die in unserm Innern herrscht und uns weder eine ausdauernde Ruhe noch die Freiheit von den übrigen Sünden gönnt; wir müßten denn etwa wähnen, darin für unsere leidenschaftlichen Erregungen einen Gewinn oder ein Heilmittel zu finden, daß auf unsere Verwünschungen und Zornausbrüche die leblosen und stummen Dinge keine Antwort gäben und den Ungestüm unseres Herzens keineswegs so reizten, daß die Zornesgluth noch höhere Flammen schlage.

Wie man nach dem Evangelium den Zorn ausrotten soll.

Wollen wir daher den Gipfel jenes göttlichen Lohnes erreichen, von dem es heißt: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ so muß diese Leidenschaft nicht nur aus unsern Handlungen gleichsam herausgeschnitten, sondern auch aus dem innersten Grunde unserer Seele mit der Wurzel ausgerottet werden. Denn es wird von nicht allzu großem Nutzen sein, die Zorneswuth im Reden zu zähmen und sie nicht zur That gelangen zu lassen, wenn Gott, dem die Geheimnisse des Herzens nicht verborgen sind, sie tief in unserer Brust geborgen siebt. Auch das Evangelium befiehlt, lieber die Wurzel auszureissen als die Frucht, die ohne Zweifel nach Entfernung des Nahrungsstoffes nicht weiter fortwachsen wird. Und so wird der Geist allzeit in jeglicher Geduld und Heiligkeit verharren können, wenn diese Leidenschaft nicht von der Oberfläche der Werke und Handlungen, sondern aus dem geheimen Gemache der Gedanken verdrängt ist. Und damit deßhalb kein Mord verübt werden möge, wird Zorn und Haß verbannt ohne welche das Verbrechen des Mordes unmöglich ist. Denn „wer seinem Bruder zürnt, ist des Gerichtes schuldig.“ und „wer seinen Bruder haßt, ist ein Mörder;“ und zwar ist er es dadurch, daß er im Herzen den Untergang Dessen wünscht, dessen Blut er mit eigener Hand oder einer Waffe nach menschlicher Wahrnehmung nicht vergossen hat, dessen Mörder er aber ist vermöge der Gesinnung des Zornes und nach dem Ausspruche des Herrn, der nicht nur nach der Wirkung der That, sondern auch nach dem Gelüsten des Willens und Verlangens Jedem Lohn oder Strafe geben wird; denn er spricht selbst durch den Propheten: „Ich aber komme ob ihrer Worte und Gedanken, um zu sammeln alle Völker und Zungen;“ und der Apostel sagt: „Die Gedanken werden sich gegenseitig anklagen oder (auch) lossprechen am Tage, da Gott richten wird das Verborgene der Menschen.“

Muß man in der Stelle des Evangeliums: „Wer seinem Bruder zürnt etc.“ den Zusatz „ohne Grund“ beibehalten?

Indessen muß man wissen, daß in der Stelle: „Wer seinem Bruder zürnet „ohne Grund“, wird des Gerichtes schuldig sein.“ wie sie sich in einigen Exemplaren findet, die Worte „ohne Grund“ überflüssig sind. Denn sie sind von Einigen hinzugesetzt worden, die durchaus nicht die Ansicht theilten, man müsse den Zorn für eine gerechte Sache aufgeben, da überhaupt Keiner, möge er auch ganz und gar ohne vernünftige Ursache erregt sein, behaupte, daß er ohne Grund zürne. Es hat deßhalb den Anschein, als sei der Zusatz von Denen gemacht, welche die vorliegende Stelle der heiligen Schrift nicht verstanden, die darauf hinzielt, den Zündstoff des Zornes ganz und gar zu vertilgen und gar keine Veranlassung zum Groll mehr zu behalten, damit, während man uns mit Grund zürnen hieße, auch die Gelegenheit, ohne Grund zu zürnen, bei uns keinen Eingang finde. Denn der Zweck der Geduld ist nicht ein gerechtes Zürnen, sondern ein vollständiges Nichtzürnen. Wohl weiß ich, daß Einige das „ohne Grund“ so auslegen, daß Derjenige ohne Grund zürne, der in seinem Zorne seine Rache nicht stillen kann; doch ist es vorzuziehen, an unserer Erklärung festzuhalten, wie auch in vielen neueren Exemplaren und in allen älteren geschrieben steht.

Mittel zur Ausrottung des Zornes.

Der rechtmäßig streitende Kämpfer Christi muß die Regungen des Zornes mit der Wurzel ausreissen. Eine vollkommene Arznei für diese Krankheit wird darin bestehen, daß wir festhalten an dem Glauben, nimmer, weder aus gerechten noch ungerechten Gründen, zürnen zu dürfen; wissen wir ja doch, daß wir das Licht der Weisheit und die Festigkeit des rechten Rathes, selbst unsere ehrenhafte Gesinnung und das Maß der Gerechtigkeit sofort verlieren werden, wenn das Hauptlicht unseres Herzens durch die Finsterniß des Zornes verdunkelt ist. Ein ferneres Heilmittel ist der Gedanke, daß die Reinheit unserer Seele bald getrübt werden muß und dieselbe nicht mehr ein Tempel des heiligen Geistes werden kann, wenn der Geist des Zornes in uns wohnt. Das dritte Heilmittel ist das Bewußtsein, daß wir im Zorne unsere Gebete vor Gott nicht ausgießen dürfen. Halten wir uns vor Allem die Ungewißheit des menschlichen Schicksals vor Augen und erwecken wir täglich den Glauben, daß wir unsern Leib verlassen werden und uns Nichts die enthaltsame Keuschheit, Nichts die Verzichtleistung auf alle Güter, Nichts die Verachtung des Reichthums, Nichts Beschwerden des Fastens und der Nachtwachen nützen werden, wenn uns ganz allein wegen des Zornes und Hasses vom Richter der Welt die ewigen Strafen angedroht sind!

Neuntes Buch: Von dem Geiste der Betrübniß.

Einleitung.

Im fünften Kampfe müssen wir die Stacheln der nagenden Betrübniß abstumpfen. Wenn nämlich diese Gemüthsstimmung hier und da durch einzelne Angriffe und durch unsichere und mannigfaltige Zufälle Gelegenheit gefunden hat, von unserm Geiste Besitz zu nehmen, so verschließt sie uns jeden Augenblick jeglichen Einblick in die Betrachtung göttlicher Dinge, verdrängt die Seele aus jeglichem Zustande der Reinheit, schwächt sie gänzlich und drückt sie darnieder. Sie gestattet nicht, daß das Gebet die Seele mit der gewohnten inneren Heiterkeit erfülle, sie läßt nicht das Heilmittel frommer Lesung anwenden, duldet nicht, daß der Ordensmann ruhig und mild gegen seine Mitbrüder auftritt, und macht ihn bei allen pflichtschuldigen Arbeiten und religiösen Übungen ungeduldig und mürrisch. Sie vereitelt jeden heilsamen Rath, untergräbt die innere Standhaftigkeit und macht den Geist gleichsam wahnsinnig und trunken, bricht ihn und stürzt ihn in sträfliche Verzweiflung.

Die Krankheit der Betrübniß muß man Vorsicht heilen.

Wollen wir daher die verschiedenen Kämpfe des geistigen Streites rechtmäßig auskämpfen, so müssen wir mit nicht geringerer Bedachtsamkeit auch diese Krankheit zu heilen suchen. „Denn wie der Rost dem Kleide und der Wurm dem Holze, also schadet die Traurigkeit dem Herzen des Mannes.“ Recht anschaulich und eigentümlich hat hiermit der heilige Geist die Macht dieses schädlichen und verderblichen Fehlers geschildert.

Vergleichung einer von den Bissen der Traurigkeit angenagten Seele.

Ein von den Motten angefressenes Kleid ist Nichts mehr und kann anständiger Weise im Verkehre mit Menschen nicht mehr getragen werden. Ebenso verdient ein von Würmern durchfurchtes Holz nicht mehr zum Schmucke eines nur mittelmäßigen Gebäudes, sondern nur zur Nahrung des Feuers bestimmt zu werden. So wird also auch die Seele, welche von den überaus gefräßigen Bissen der Betrübniß zernagt wird, zu jenem hohepriesterlichen Kleide Nichts taugen, welches das vom Himmel herabträufewde Salböl des heiligen Geistes, nachdem es Aarons Bart gesalbt, in seinen Saum aufnimmt, wie der heilige Prophet David weissagt: „Wie Salböl auf dem Haupte, das herniedelfließt auf den Bart Aarons, das herniederfließt auf den Saum seines Kleides.“ Aber eine solche Seele wird auch Nichts taugen zum Bau und zur Zierde jenes geistigen Tempels, dessen Fundamente jener weise Baumeister, der heilige Paulus gelegt hat, indem er spricht: „Ihr seid Tempel Gottes. und der heilige Geist wohnt in euch.“ Die Beschaffenheit des Holzes aber beschreibt die Braut im hohen Liede: „Unser Getäfel.“ sagt sie. „sind Cypressen, das Gebälk unseres Hauses Cedern.“ Und deßhalb werden zum Tempel Gottes solche Holzarten gewählt, welche wohlriechend und unverweslich sind, und welche weder dem Verderbniß des Alters noch dem Zahn der Würmer anheimfallen können.

Von der Quelle der Betrübniß.

Zuweilen pflegt die Betrübniß aus der vorausgehenden Sünde des Zornes zu folgen oder aus der Begierde nach einem verfehlten Gewinne zu entstehen, wenn man sich in der Hoffnung, die man sich auf diese und jene Dinge gemacht hatte, getäuscht sieht. Zuweilen aber werden wir, ohne daß solche Ursachen vorhanden sind, durch die wir uns in dieses Verderben zu stürzen veranlaßt würden, durch Anreizung des schlauen bösen Feindes plötzlich von einem solchen Kummer befallen, daß wir nicht einmal die Ankunft unserer liebsten Freunde und nächsten Verwandten mit der gewohnten Freundlichkeit entgegennehmen können und Alles, was sie in einer angemessenen Unterhaltung reden, für ungelegen und überflüssig halten. Ja nicht einmal einer freundlichen Antwort würdigen wir sie: so sehr nimmt die Galle der Bitterkeit alle Winkel unseres Herzens ein.

Nicht fremde, sondern unsere Schuld ruft die unordentlichen Regungen in uns hervor.

Hieraus geht ganz deutlich hervor, daß die Stacheln der Leidenschaften nicht immer durch fremde Schuld sich in uns regen, sondern vielmehr durch unsere. Denn wir tragen selbst in uns die Ursache und den Samen der Sünden, der, befeuchtet von dem Regen der Versuchungen, sofort emporsproßt und Früchte zur Reife bringt.

Niemand geht durch plötzlichen, sondern durch wiederholten Fall in die Sünden zu Grunde.

Niemals wird Einer, der durch eines Anderen Schuld gereizt wird, zum Sündigen gedrängt, wenn er den Stoff zum Sündigen nicht im eigenen Herzen aufbewahrt. Und es darf sich dann Jemand nicht für plötzlich gefangen halten, wenn er durch den Anblick eines schönen Weibes in den Abgrund der schändlichen Wollust gefallen ist, sondern bedenken, daß vielmehr die im Innern versteckten und verborgenen Krankheiten nur bei Gelegenheit des Anblickes damals an die Oberfläche getreten sind.

Zur Erlangung der Vollkommenheit muß man nicht den Umgang mit den Brüdern meiden, sondern stets die Geduld üben.

Sowohl aus dem angeführten Grunde als auch deßwegen, weil nicht in Andern, sondern in uns selbst die Wurzeln und Ursachen der Beleidigungen vorhanden sind, hat der Schöpfer aller Dinge, der sein Geschöpf besser als Alle zu heilen weiß, nicht befohlen, die Gesellschaft der Mitbrüder zu verlassen, noch Diejenigen, die sich von uns verletzt oder von denen wir uns beleidigt glauben, zu meiden, sondern zu besänftigen. Denn er weiß, daß man die innere Vollkommenheit nicht durch Trennung von den Menschen, sondern durch die Tugend der Geduld erlangt. Wie nämlich diese Tugend, einmal in unserm festen Besitz, uns auch im Frieden mit Jenen zu erhalten vermag, die den Frieden hassen, so bringt der Mangel derselben uns auch mit Denen, welche uns an Vollkommenheit überragen, fortwährend in Streit. Denn nie werden im Umgange mit Menschen die Veranlassungen zu den Erregungen fehlen, um derentwillen wir Diejenigen zu verlassen eilen, mit denen wir zusammenleben. Deßhalb entgehen wir nicht den Ursachen der Betrübniß, wenn wir uns von ihnen trennen, sondern wir ändern sie nur.

Bei guten Sitten kann man sich mit Jedermann vertragen.

Daher müssen wir dafür sorgen, daß wir zuvor uns von Fehlern frei zu machen und unsere Sitten zu bessern bestrebt sind. Denn sind die Fehler einmal sicher beseitigt, so werden wir uns, ich will nicht sagen mit Menschen, sondern sogar mit wilden Thieren ganz leicht vertragen, wie es im Buche heißt: „Denn die Thiere des Feldes sind im Frieden mit dir.“ Von aussen kommende kleine Beleidigungen werden wir ja nicht fürchten, noch wird uns kaum ein Anstoß von aussen gegeben werden, wenn in unserm eigenen Innern die Wurzeln zu einem solchen nicht aufgenommen und eingepflanzt sind: „denn großer Friede ist Allen, die dein Gesetz lieben, und nicht ist ihnen ein Anstoß.“

Von einer anderen Betrübniß, welche Verzweiflung am Heile herbeiführt.

Es gibt auch eine andere verabscheuungswürdigere Art von Traurigkeit, welche nicht die Besserung des Lebenswandels, nicht die Ausrottung der Fehler, sondern der Seele die verderblichste Verzweiflung eingibt. Diese ließ weder Kain Buße thun nach dem Brudermorde noch den Judas nach dem Verrath zu dem Mittel der Genugthuung eilen, sondern trieb ihn durch ihre Verzweiflung dazu, sich mit einem Stricke zu erhängen.

Von dem Nutzen der Betrübniß.

Darum dürfen wir nur in einer Beziehung die Betrübniß für nützlich erachten, wenn wir sie entweder aus Reue über unsere Sünden oder aus Verlangen nach Vollkommenheit oder durch die Betrachtung der künftigen Glückseligkeit erstreben. Von ihr sagt auch der Apostel: „Die Betrübniß, welche nach Gott ist, wirket Buße zu dauerhafter Seligkeit. Die Betrübniß der Welt aber wirket Tod.“

Unterschied zwischen der nützlichen, von Gott kommenden und der verderblichen, vom Teufel stammenden Betrübniß.

Jene Betrübniß, welche Buße zu dauerhafter Seligkeit wirkt, ist gehorsam, freundlich, demüthig, mild, sanft und geduldig, da sie ja aus der Liebe zu Gott kommt. Aus Verlangen nach Vollkommenheit steigert sie sich zu jeglichem körperlichen Schmerze und jeglicher geistigen Zerknirschung. Gewissermaßen freudig und voll Hoffnung auf ihren Fortschritt sproßt sie empor, behält so alle Anmuth der Freundlichkeit und Langmuth, in sich selbst aber besitzt sie alle Früchte des heiligen Geistes, die gleichfalls der Apostel aufzählt: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmuth, Güte, Gütigkeit, Treue, Milde, Enthaltsamkeit.“ Die Betrübniß der Welt aber, ganz ungefällig, ungeduldig, hart, voll Grolles und unnützen Kummers und sträflicher Verzweiflung, zieht Den, welchen sie umschlungen hat, von der Thätigkeit und dem heilsamen Schmerze gewaltsam ab; denn sie ist ja unvernünftig und untergräbt nicht nur die Wirksamkeit des Gebetes, sondern vereitelt auch alle genannten Früchte des Geistes, die jene zu spenden weiß.

Ausser jener heilsamen, aus drei Quellen entspringenden Betrübniß muß jede andere, als schädlich, vertrieben werden.

Ausser jener Betrübniß, der man sich entweder um heilsamer Buße willen oder aus Streben nach Vollkommenheit oder aus Verlangen nach der künftigen Seligkeit hingibt, müssen wir jede andere Betrübniß, als der Welt angehörend und geistigen Tod bringend, gerade so zurückweisen, wie wir den Geist der Unkeuschheit, des Geizes und des Zornes aus unserm Herzen gänzlich verstoßen müssen.

Mittel zur Entfernung der Traurigkeit.

Diese verderbliche Leidenschaft werden wir nur dadurch von uns auszutreiben vermögen, daß wir unsern Geist beständig mit Betrachtung geistlicher Dinge beschäftigen und durch die Hoffnung auf das Jenseits und die Betrachtung der verheissenen Glückseligkeit aufrichten. Auf diese Weise werden wir alle Arten von Betrübniß zu überwinden im Stande sein, mögen sie nun vorausgebendem Zorne entspringen oder durch das Entgehen eines Gewinnes oder durch einen erlittenen Schaden an uns herantreten, mögen sie erlittenem Unrechte oder unvernünftiger Geistesverwirrung ihre Entstehung verdanken oder uns in todbringende Verzweiflung stürzen. Darum müssen wir im Hinblick auf die Ewigkeit stets freudig und unwandelbar ausharren, uns weder durch die gegenwärtigen Unfälle niederdrücken noch durch das Glück zum Uebermuth verleiten lassen und Beides als hinfällig und bald vorübergehend ansehen.

Zehntes Buch: Von dem Geiste der Lauheit.

Einleitung.

Den sechsten Kampf haben wir gegen die Sünde zu bestehen, welche die Griechen ακηδία nennen, was wir mit „Überdruß“ oder „Angst des Herzens“ übersetzen können. Sie ist verwandt mit der Betrübniß und hauptsächlich mehr den wandernden Mönchen und Einsiedlern bekannt. Sie tritt für die in der Wüste Lebenden als ein ziemlich heftiger und häufiger Feind auf, der besonders um die sechste Stunde den Mönch beunruhigt und, wie ein zur vorherbestimmten Zeit auftretendes Fieber, die brennendste Glut ihrer Anfälle zur gewohnten und bestimmten Stunde in die kranke Seele schleudert. Ja. einige Greise sagen, es sei der Teufel am Mittag, von dem im neunzigsten Psalm die Rede ist.

Wie die Lauheit in das Herz des Mönches sich einschleicht und mit welchen Zerstreuungen sie seinen Geist bestürmt.

Hat dieser Geist einmal von der unglücklichen Seele Besitz genommen, „so erzeugt er in ihr Schauder gegen den Aufenthaltsort, Überdruß an der Zelle, veranlaßt den Einsiedler, die nur aus der Ferne mit ihm verkehrenden Brüder zu vernachläßigen und zu verachten, als seien sie nachläßig und weniger auf das Geistige gerichtet. Ferner macht dieser Geist der Lauheit den Mönch zu jeder Arbeit innerhalb der Umzäunung seines Schlafgemaches träge und ungeschickt. Denn er läßt ihn nicht in der Zelle bleiben noch Mühe auf die Lesung verwenden und seufzt öfters, daß er Nichts vorwärts bringe, wenn er so lange Zeit in derselben Zelle wohne, und klagt, daß er keine geistige Frucht erziele, solange er an jene Genossenschaft gebunden sei, daß er jedes geistigen Gewinnes entbehre und an diesem Orte unfruchtbar sei. Denn obwohl er auch Andere leiten und gar Vielen nützen könne, habe er noch Niemanden erbaut, und noch Keiner habe aus seiner Unterweisung und Belehrung Nutzen gezogen. Entfernte und weit wegliegende Klöster rühmt er und schildert jene Orte als zum geistigen Fortschritte nützlicher und dem Seelenheile zuträglicher; auch malt er sich die Gemeinschaft mit den dortigen Brüdern als gar lieblich und voll geistlicher Unterhaltung aus. Dagegen sei Alles, was man vor sich habe, unfreundlich, und man finde nicht nur keine Erbauung in den am gegenwärtigen Orte weilenden Brüdern, sondern nicht einmal die Nahrung des Leibes verschaffe man sich ohne übergroße Anstrengung. Zuletzt wähnt er sein Heil zu verlieren, wenn er an diesem Orte bliebe und sich nicht so schnell als möglich aus der Zelle wegbegäbe, in der er bei längerem Aufenthaltern Grunde gehen würde. Und dann ruft dieser Geist des Überdrusses eine solche körperliche Ermüdung und ein solches Verlangen nach Speise um die sechste oder fünfte Stunde hervor, daß es dem armen Mönche vorkommt, als sei er von einer sehr langen Reise oder einer überaus schweren Arbeit erschöpft und ermüdet, oder als habe er das Essen durch zwei- oder dreitägiges Fasten hinausgeschoben. Dazu blickt er ängstlich bald hierhin, bald dorthin und klagt, daß gar kein Mitbruder zu ihm komme, geht öfter aus der Zelle und wieder hinein und schaut häufig nach der Sonne, als ob sie zu langsam dem Untergange zueile. Und so lagert sich, wie auf die Erde der Nebel, über seinen Geist gewissermaßen eine vernunftlose Verwirrung. Er wird zu jedem frommen Werke träge und unfähig, so daß er in nichts Anderem gegen eine solche Anfechtung ein Schutzmittel zu finden weiß als in dem Besuche eines Bruders und dem einzigen Troste des Schlafes. Dann sucht diese Krankheit ihn zu überzeugen, es erfordere der Anstand, die Brüder zu grüßen und die Kranken in der Ferne und Solche, die schon länger krank liegen, zu besuchen. Auch legt sie gewisse fromme und religiöse Pflichten auf, wie: diese oder jene Verwandten aufzusuchen und öfter hinzueilen, um sie zu begrüßen; jene fromme und gottgeweihte Frau, die jeglichen Schutzes und hauptsächlich des Schutzes ihrer Verwandten beraubt sei, öfters zu besuchen, sei ein großes Werk der Frömmigkeit; und wenn eine solche Frau Etwas nöthig habe, die von den eigenen Eltern vernachläßigt und verachtet werde, so sei es ein sehr frommes Werk, es ihr zu besorgen, und auf diese Angelegenheiten müsse man mehr Mühe und Frömmigkeit verwenden, als fruchtlos und ohne allen Fortschritt in der Zelle sitzen.

Was ermöglicht der Lauheit den Sieg über den Mönch?

So ist es um die unglückliche, durch solche Anschläge der Feinde gefangene Seele geschehen, so lange sie von dem Geiste des Ueberdrusses, wie von einem gar starken Widder, ermüdet entweder in den Schlaf sinken lernt oder, aus den Schranken ihrer Zelle geschleudert, bei dieser Anfechtung Trost in dem Besuche eines Mitbruders zu suchen gewohnt ist. Denn gerade das Heilmittel, dessen sie sich für jetzt bedient, wird sie gar bald noch kränker machen. Häufiger nämlich und heftiger wird der Feind Den angreifen, von dem er weiß, daß er schon beim Beginne des Kampfes und von ferne die Flucht ergreifen wird, und den er nicht von dem Siege noch von dem Kampfe, sondern von der Flucht Heil hoffen sieht. Zuletzt läßt sich der Unglückliche nach und nach aus seiner Zelle ziehen und fängt an, seine Standespflichten zu vergessen, die nichts Anderes sind als das geistige Schauen und Betrachten jener himmlischen und über Alles erhabenen Reinheit. Und obwohl er weiß, daß er dieselbe nur in der Stille, durch fortwährendes Verharren in der Zelle und durch Betrachtung erlangen kann, wird er doch schließlich aus einem Streiter Christi ein Fahnenflüchtiger, mischt sich in weltliche Händel und verscherzt das Wohlgefallen Dessen, dem er sich geweiht.

Der Überdruß verschließt das Auge des Geistes gegen jegliche heilsame Betrachtung.

Alle Nachtheile dieser Krankheit hat schon der heilige David in einem Verse zusammengefaßt: „Es schlief meine Seele vor Ueberdruß“. Sehr eigenthümlich sagt er nicht vom Leibe, sondern von der Seele, daß sie geschlafen habe. Denn in Wahrheit liegt die Seele in einem gegen jegliche tugendhafte Betrachtung und jeglichen Blick des geistigen Auges unempfindlichen Schlafe, wenn sie von dem Pfeile dieser Leidenschaft verwundet ist.

Ein zweifacher Überdruß zeigt sich im geistigen Kampfe.

Darum muß der wahre Streiter Christi, der den Kampf der Vollkommenheit rechtmäßig kämpfen will, diese Krankheit auch aus den geheimsten Winkeln seiner Seele eiligst vertreiben und gegen diesen nichtswürdigen Geist des Ueberdrusses in diesen beiden Beziehungen kämpfen, daß er weder, von den Pfeilen des Schlafes getroffen, hinsinke noch aus den Schranken des Klosters sich vertreiben lasse und, unter welchem scheinbaren Vorwand es auch immer sein möge, es als Flüchtling verlasse.

Von den verderblichen Wirkungen der Lauheit.

Wen und in welcher Hinsicht auch immer dieser Fehler zu überwinden begonnen hat, den wird er entweder als einen Trägen und Unthätigen ohne allen Fortschritt im geistlichen Leben bei sich in der Zelle zurückhalten oder, wenn er ihn daraus vertrieben, ihn alsdann flüchtig und unstät und zu jeder Arbeit träge machen und ihn veranlassen, beständig die Zellen der Brüder und die Klöster zu besuchen und sich um nichts Anderes zu kümmern, als wo und unter welchem Vorwande er eine Gelegenheit zu einer baldigen Mahlzeit sich verschaffen könne. Denn der Geist des Müßigen weiß an nichts Anderes zu denken als an Essen und den Bauch, bis er einmal die Gesellschaft eines in gleiche Lauheit versunkenen Mannes oder einer Frau gefunden hat, in deren Angelegenheiten und Bedürfnisse er sich eindrängt. So allmählig in sündhafte Beschäftigungen verstrickt wird er gleichsam von Schlangenwindungen umschlungen, aus denen er sich nimmermehr zur ehemaligen Vollkommenheit seines Standes entwirren kann.

Zeugnisse des Apostels über den Geist der Lauheit.

Diese Krankheit, welche aus dem Geiste der Lauheit hervorgeht, sah der heilige Apostel Paulus als wahrer Seelenarzt schon damals heranschleichen, und durch Offenbarung des heiligen Geistes wurde ihm im Voraus gezeigt, wie sie unter den Mönchen emportauchen würde; darum eilte er, ihr durch die heilsamen Arzneien seiner Vorschriften vorzubeugen. Im Briefe an die Thessalonicher pflegte er zuerst, wie ein kundiger und vollendeter Arzt, die Krankheit der Neuaufgenommenen durch die sanfte und milde Heilmethode des Wortes, und mit der Liebe beginnend lobt er sie in diesem Stücke, bis die durch ein sanfteres Mittel gelinderte tödlliche Wunde die Geschwulst der Entrüstung verloren hat und nun leichter strengere Mittel erträgt; denn er schreibt: „Ueber die brüderliche Liebe haben wir nicht nöthig, euch zu schreiben; denn ihr selbst seid von Gott belehrt, euch einander zu lieben. Denn ihr erweiset ja Solches gegen alle Brüder in ganz Macedonien.“ Er schickt die Linderungsmittel des Lobes voraus, macht ihre Ohren zur Heilung durch das heilsame Wort ruhig und bereit. Wiederum sagt er: „Wir bitten euch aber, Brüder, daß ihr darin noch mehr zunehmet.“ Noch schmeichelt er ihnen mit der sanften Linderung der Worte, um sie nicht etwa noch ungeeignet zur Annahme vollkommener Heilung zu finden. Warum bittest du, o Apostel, daß sie darin noch mehr zunehmen sollen, in der Liebe nämlich, von der du oben sagtest: „Ueber die Bruderliebe aber bedarf es nicht, daß wir euch schreiben“ ? Und was brauchst du zu sagen: „Wir bitten euch aber, daß ihr noch mehr zunehmet,“ da sie nicht einmal nöthig haben daß ihnen hierüber Etwas geschrieben werde, zumal da du auch den Grund angibst, warum sie dessen nicht bedürfen indem du sagst: „Denn ihr selbst seid von Gott gelehrt, euch einander zu lieben.“ und als dritten noch stärkeren Grund beifügst, daß sie nicht nur von Gott belehrt seien, sondern auch im Werke diese Lehre betätigten? Denn ihr erweiset Das ja, sagst du, nicht an einem oder zweien Brüdern, sondern gegen alle Brüder, nicht nur gegen eure Mitbürger und Bekannten, sondern gegen die Brüder in ganz Macedonien. Sag‘ also endlich, warum schickst du Dieses so angelegentlich voraus? – Wieder sagt er: „Wir bitten euch aber, Brüder, daß ihr noch mehr darin zunehmet.“ Und mit Mühe bricht er endlich mit Dem hervor, was er zuvor so sehr milderte: „Und daß ihr euch bemühet, ein ruhiges Leben zu führen.“ Die erste Ursache hat er eben genannt. Nun gibt er die zweite an: „Und daß ihr euren eigenen Geschäften oblieget.“ Auch die dritte: „Und euch nähret mit eurer Hände Arbeit, wie ich euch befohlen habe;“ die vierte: „Daß ihr einen anständigen Wandel führet vor Denen, welche draussen sind;“ die fünfte: „Und daß ihr Niemandes bedürfet.“ Ja, hier erkennt man den Grund jenes Zögerns. das den Apostel veranlaßte. vermittelst solcher einleitenden Bemerkungen Das hinauszuschieben, was er mit Schmerzen in seiner Brust barg. „Und bemühet euch, ein ruhiges Leben zu führen.“ d. b. bleibet in euren Zellen und laßt euch nicht beunruhigen durch verschiedene Gerüchte, welche aus den Wünschen und dem Gerede der Müssiggänger hervorgehen; aber bereitet auch Andern keine Beunruhigungen. „Und daß ihr euren eigenen Geschäften oblieget;“ daß ihr euch nicht aus Neugierde um die Werke der Welt kümmern möget und. indem ihr die Unterhaltungen verschiedener Leute erforschet, eure eigene Thätigkeit auf eure Besserung und die Pflege der Tugend, nicht aber auf die Verleumdung der Brüder richten möget. „Und ernähret euch mit eurer Hände Arbeit, wie ich euch befohlen habe:“ damit nicht Das eintreffe, wovor er oben gewarnt hatte, nämlich damit sie sich nicht der Unruhe überließen und sich um fremde Angelegenheiten kümmerten, noch einen unanständigen Wandel führten vor Denen, welche draussen sind, noch Jemandes bedürften; darum fügt er jetzt noch bei: „und daß ihr arbeitet mit euren Händen, wie ich euch befohlen habe.“ Denn damit bezeichnet er den Müssiggang als die Ursache, weßhalb Das geschehe, was er oben getadelt hat. Keiner nämlich kann weder der Unruhe sich überlassen noch sich um fremde Angelegenheiten kümmern, es sei denn, daß er sich nicht dazu bequeme, bei seiner Hände Arbeit auszuharren. Noch eine vierte Krankheit führt er an, die dem Müssiggange entsproßt, nämlich den ungeziemenden Lebenswandel, indem er sagt: „Und daß ihr einen wohlanständigen Wandel führet vor Denen, welche draussen sind.“ Denn nimmermehr, auch nicht vor Weltleuten kann Derjenige anständig auftreten, der nicht seine Zufriedenheit darin findet, hinter dem Riegel seiner Zelle bei der Arbeit seiner Hände zu verharren; sondern er ist nothwendig jeder Wohlanständigkeit bar, indem er seinen Lebensunterhalt erbettelt. Er befleißt sich auch der Schmeichelei, jagt nach Neuigkeiten, sucht Veranlassungen zu Plaudereien und Erzählungen, durch die er sich Zugang und die Möglichkeit verschafft, in verschiedener Leute Häuser einzudringen. „Und daß ihr Niemandes bedürfet.“ Es kann nicht ausbleiben, daß Der nach Anderer Gaben und Geschenken verlangt, der an der frommen und ruhigen Arbeit seines Handwerkes kein Gefallen findet, wodurch er sich seinen täglichen Lebensunterhalt erwerben soll. – Seht ihr, wie so viele, so verderbliche und schimpfliche Dinge aus dem Schmutze des Müssiggangs hervorgehen? wie der Apostel gerade Diejenigen, an denen er in seinem ersten Briefe die mildernde und gleichsam streichelnde Heilmethode vermittelst des Wortes versucht hatte, im zweiten Briefe, gleichsam als hätten sie bei leichteren Heilmitteln keine Fortschritte gemacht gewissermaßen mit schärferen und einschneidenden Mitteln zu heilen sich anschickt? Nun schickt er kein Linderungsmittel sanfter Worte mehr voraus, keine zarten und einschmeichelnden Reden, wie dort: „Wir bitten euch aber, Brüder.“ sondern: „Wir befehlen euch im Namen unsers Herrn Jesu Christi daß ihr euch fern haltet von jedem Bruder, der einen unordentlichen Wandel führt.“ Dort bittet, hier befiehlt er; dort spricht die Stimme des Liebkosenden, hier der Ernst des Beschwörenden und Drohenden: „Wir gebieten euch, Brüder!“ Weil ihr ehedem auf Bitten zu hören verschmähet habt, so gehorchet jetzt den Befehlen! Und diesen Befehl spricht er jetzt nicht mit nackten Worten aus. sondern begleitet ihn mit der furchtbaren Beschwörung des Namens unsers Herrn Jesu Christi, aus Furcht, sie möchten diesen Befehl als den einfachen Ausspruch eines Menschen wieder verachten und auf seine Vollziehung keinen großen Werth legen. Und wie ein geschickter Arzt schickt er sich alsbald an. die ungesunden Glieder, denen er kein gelindes Heilmittel beibringen konnte, durch die Anwendung des geistigen Messers zu heilen, indem er spricht: „Haltet euch fern von jedem Bruder, der einen unordentlichen Lebenswandel führt und nicht wandelt nach der Ueberlieferung, die sie von uns empfangen haben.“ Er befiehlt also, sich fern zu halten von Denen, die nicht der Arbeit obliegen wollen, und die durch die Fäulniß des Müssiggangs verdorbenen Glieder wegzuschneiden, damit nicht die Krankheit der Trägheit wie eine todbringende Ansteckung auch die gesunden Glieder durch den an sie herandringenden Eiter verderbe. Vernehmet nun, wo er von Denen reden will, welche nicht mit ihren Händen arbeiten und ihr Brod in der Stille essen wollen, und von denen er ebenfalls sich ferne zu halten gebietet, mit welchen Vorwürfen er Diese gleich im Anfang gleichsam brandmarkt! Zuerst nennt er sie ungeordnet und sagt, sie wandelten nicht nach seiner Überlieferung, mit andern Worten: er bezeichnet sie als hartnäckig, da sie nicht nach seiner Unterweisung wandeln wollten, und als unanständig, d. h. als Solche, die weder für einen Ausgang, noch für einen Besuch, noch für ein Gespräch eine passende und geziemende Gelegenheit wahrten. Allen diesen Fehlern unterliegt nothwendig jeder Unordentliche. — „Und nicht nach der Überlieferung, die sie von uns empfangen.“ Hiermit brandmarkt er sie gewissermaßen als Empörer und Verächter, da sie die von ihm empfangene Überlieferung zu beobachten verschmähten und Das nicht nachahmen wollten, was, wie sie sich erinnerten, ihr Meister nicht bloß gelehrt, sondern auch, wie sie wußten, in der That vollbracht habe. „Denn ihr wisset selbst, wie ihr uns nachahmen sollt.“ Einen unermeßlichen Haufen von Tadel schüttet er auf, indem er behauptet, daß sie Das nicht beobachten, was in ihrem Gedächtnisse eingeprägt sei, und daß sie nicht nur durch das Wort, das sie in der Nachahmung unterweise, gelernt, sondern auch durch die Ermunterung des thatsächlichen Beispieles überkommen hätten.

Unruhig ist nothwendig Jeder, welcher in der Handarbeit keine Befriedigung finden will.

„Wir (der Apostel und seine Begleiter) lebten nicht in Unruhe unter euch.“ Dadurch, daß er gearbeitet, will der Apostel beweisen, daß er kein unruhiges Leben unter ihnen geführt habe. Hiedurch gibt er deutlich zu verstehen, daß Diejenigen, welche nicht arbeiten wollen, in Folge des Müssiggangs stets in Unruhe seien. „Und nicht haben wir umsonst Brod bei Jemandem gegessen.“ Mit jedem einzelnen Worte erweitert der Völkerapostel seine Auslegung. Nicht umsonst habe er Brod bei Jemandem gegessen, sagt der Verkünder des Evangeliums, der doch des Herrn Gebot kennt, daß, wer das Evangelium verkünde, auch von dem Evangelium leben solle, und jenes andere Wort: „Werth ist der Arbeiter seines Unterhaltes.“ Wenn also der Verkündiger des Evangeliums bei der Ausübung eines so erhabenen und geistigen Werkes keinen Anspruch auf freiwillige Spendung des Unterhaltes machte, obwohl er, gestützt auf des Herrn Gebot, es gekonnt hätte: was werden wir thun müssen, die wir nicht mit der Verkündigung des Evangeliums betraut sind, sondern einzig nur für unser Seelenbeil besorgt sein sollen? Mit welcher Zuversicht werden wir mit müßigen Händen und umsonst das Brod zu essen wagen, welches das Gefäß der Auserwählung (der heilige Paulus), obwohl mit der Sorge und Predigt des Evangeliums beschäftigt, ohne es mit seiner Hände Arbeit erworben zu haben, nicht zu essen wagt? „Vielmehr unter Anstrengung und Ermüdung.“ sagt er, „waren wir Tag und Nacht thätig, um Keinem von euch lästig zu sein.“ Er treibt seine Züchtigung noch viel weiter. Denn nicht sagt er einfach: „nicht essen wir Brod umsonst von euch,“ um hierbei stehen zu bleiben. Es konnte nämlich den Anschein haben, als habe er von seinen eigenen und zwar nicht durch Arbeit errungenen Mitteln und von verborgenem Gelde oder auch von Beiträgen und Geschenken Anderer, wenn auch nicht gerade dieser Christen gelebt. „Vielmehr unter Anstrengung und Ermüdung,“ sagt er. „waren wir Tag und Nacht thätig,“ d. h. wir lebten im eigentlichen Sinne von unserer Arbeit. Und Das, sagt er, vollbrachten wir nicht nach unserm eigenen Willen und zur Erholung, wie es das Bedürfniß nach Ruhe und die körperliche Anstrengung wünschte, sondern wie die Noth und der Mangel an Lebensmitteln nicht ohne große körperliche Ermüdung uns dazu drängte. Denn nicht nur den ganzen Tag hindurch, sondern auch zur Nachtzeit, die der Ruhe des Leibes gewidmet scheint, betrieben wir unaufhörlich diese Arbeit zur Beschaffung unseres Lebensunterhaltes.

Nicht nur der Apostel, sondern auch seine Begleiter beschäftigten sich mit Handarbeit.

Wie der Apostel bezeugt, führte er nicht allein unter ihnen eine solche Lebensweise; denn wenn es nur durch des Apostels Beispiel überliefert wäre, würde dieses Vorbild nicht so groß und allgemein dastehen. Nein, auch Diejenigen, die mit ihm zum Dienste des Evangeliums bestimmt waren, nämlich Silvanus und Timotheus, die das Obige (im Briefe an die Thessalonicher) mit ihm schreiben, haben nach seiner Versicherung sich gleicher Arbeit unterzogen. Auch dadurch, daß er sagt: „Damit wir Niemandem von euch zur Last fallen.“ flößt er ihnen eine große Ehrfurcht ein. Denn wenn der Verkündiger des Evangeliums, der dasselbe zugleich durch seine Würde und Tugenden empfiehlt, „um Niemandem zur Last zu fallen.“ sein Brod nicht umsonst zu essen wagt, wie sollen Jene sich selbst zu belästigen glauben, die dasselbe täglich trotz Müssiggang und Unthätigleit beanspruchen?

Der Apostel erwarb sich seinen Unterhalt mit seiner Hände Arbeit, um uns ein Beispiel zu geben.

„Nicht als ob wir keine Macht gehabt hätten, sondern um uns euch als Vorbild hinzustellen, damit ihr uns nachahmt.“ Hiermit legte er die Ursache dar, weßhalb er sich so viele Arbeit auferlegt habe. „Um euch.“ sagt er. „ein Vorbild zu geben, um uns nachzuahmen,“ damit, wenn ihr vielleicht die oft zu euren Ohren gedrungene, vermittelst Worten vorgetragene Lehre vergessen solltet, ihr wenigstens die in unserem Wandel euch vor Augen tretenden Beispiele wohl im Gedächtnisse behalten möget. Kein geringer Tadel für sie liegt auch in der Bemerkung, daß er nur des Beispiels wegen dieser körperlichen Ermüdung und Beschwerde sich Tag und Nacht unterzogen habe, und daß nichtsdestoweniger Jene sich nicht belehren lassen wollten, derentwegen, ohne es nöthig zu haben, er sich zu einer solchen Ermüdung veurtheilte. Ja, sagt er, obwohl wir Macht besaßen und uns euer aller Mittel und Vermögen zu Gebote stand und die Erlaubniß des Herrn, davon Gebrauch zu machen, mir recht wohl bekannt war, habe ich doch diese Gewalt nicht angewandt, damit nicht Das, was von mir in guter und erlaubter Weise geschähe, Andern ein Beispiel sündhaften Müssiggangs böte. Und deßhalb zog ich es vor, bei der Verkündigung des Evangeliums mich mit der Arbeit meiner Hände zu nähren, um auch euch, die ihr die Bahn der Tugend wandeln wollet, den Weg der Vollkommenheit zu bahnen und durch meine beschwerliche Arbeit ein Vorbild gottgefälligen Wandels vor Augen zu stellen.

Durch sein Beispiel wie durch Worte ermahnt der Apostel zur Arbeit.

Aber damit es nicht den Anschein habe, als wolle er sie bloß durch schweigende Arbeit und durch Beispiele belehren, ohne sie durch Ermahnungen und Vorschriften unterwiesen zu haben, fügt er bei: „Denn auch als wir bei euch waren, geboten wir euch Dieß; denn wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ Noch mehr hebt er die Trägheit Jener hervor, die ihn zwar als einen guten Lehrer kennen, der nur um der Lehre und Unterweisung willen mit seinen Händen arbeite, ihn aber dennoch nachzuahmen verschmähen. Ebenso betont er seine Sorgfalt und Behutsamkeit, indem er sagt, daß er nicht bloß bei seiner Anwesenheit ihnen dieses Beispiel gegeben, sondern auch stets mit Worten gepredigt habe, daß, wer nicht arbeiten wolle, auch nicht essen solle.

Der Apostel begnügt sich nicht mit der bloßen Mahnung, sondern bringt auch Autorität und Gebot zur Anwendung.

Nun läßt er sich ihnen gegenüber nicht mehr von dem Rathe des Lehrers und Arztes leiten, sondern mit der Strenge eines richterlichen Ausspruches zieht er gegen sie los; und nachdem er die apostolische Gewalt wieder an sich gezogen, spricht er, wie vom Richterstuhle herab, gegen die Verächter seines Wortes das Urtheil aus, und zwar mit jener Gewalt, von der er in seinem drohenden Schreiben an die Korinther behauptet, daß er sie von Gott empfangen, wo er sie, die in Sünden gefallen waren, mahnt, sich vor seiner Ankunft eiligst zu bessern, und folgendes Gebot gibt: „Ich bitte euch, lasset nicht zu, daß ich bei meiner Ankunft gegen Einige vorzugehen gezwungen werde, mit jener Gewalt, die mir über euch gegeben worden ist.“ Und wiederum: „Wenn ich mich in Etwas der Gewalt rühmen sollte, die mir der Herr gegeben hat zu eurer Erbauung, nicht zu eurer Zerstörung, so würde ich mich nicht schämen.“ Mit jener Gewalt, sage ich, befiehlt er: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ Dazu verpflichtet er sie nicht mit einem irdischen Schwerte, sondern kraft des Ansehens des heiligen Geistes untersagt er ihnen den Unterhalt dieses Lebens, damit, wenn sie etwa gar nicht an die Strafen des ewigen Todes denken und aus Liebe zum Müssiggang gar noch hartnäckig bleiben sollten, sie wenigstens durch die Forderung der Natur und die Furcht vor zeitlichem Untergang gezwungen, heilsame Vorschriften anzunehmen sich genöthigt sähen.

Über die Worte: „Wir haben gehört, daß Einige unter euch sind, die einen unruhigen Lebenswandel führen“.

Nach einem so strengen evangelischen Richterspruche legt er nunmehr die Ursache dar, weßhalb er Dieß alles vorausgeschickt habe: „Wir haben nämlich gehört, daß Einige unter euch sind, die einen unruhigen Lebenswandel führen. Nichts arbeiten, sondern aus Neugierde handeln.“ Nirgends begnügt er sich, die Arbeitsscheuen als Solche zu bezeichnen, die nur durch eine Krankheit verdorben sind. Denn im ersten Briefe nennt er sie „ungeordnet“ und sagt, sie wandelten nicht nach der Überlieferung, die sie von ihm empfangen hatten; auch bezeichnet er sie als „Unruhige“ und sagt, sie aßen ihr Brod umsonst. Wiederum sagt er hier: „Wir haben gehört, daß Einige unter euch einen unruhigen Lebenswandel führen.“ Und er fügt sofort die zweite Krankheit bei, welche die Wurzel dieser Unruhe ist; er sagt: „Die Nichts arbeiten;“ auch die dritte Krankheit, die aus dieser wie ein Zweig hervorwächst: „sondern die aus Neugierde handeln.“

Die Arbeit beseitigt viele Sünden.

Daher beeilt sich der Apostel, jetzt ein dem Zündstoffe so großer Fehler angemessenes Besserungsmittel anzuwenden. Nachdem er die kurz vorher angewandte apostolische Macht niedergelegt, kehrt er wiederum zur Gesinnung eines gütigen Vaters und milden Arztes zurück und reicht den jungen Christen, wie seinen Söhnen und Gästen, vermittelst heilsamen Rathes die Heilmittel zur Gesundheit, indem er spricht: „Denen aber, welche so sind, befehlen wir und beschwören sie im Herrn Jesu, daß sie stille arbeitend ihr Brod essen.“ Die Ursache so großer Geschwüre, welche aus der Wurzel des Müssiggangs emporschießen, heilte er, wie ein kundiger Arzt, ganz allein durch das heilsame Gebot der Arbeit. Denn er weiß, daß die übrigen auf demselben Rasen emporsprossenden Krankheiten alsbald verschwinden müssen, wenn der Ursprung der Hauptkrankheit beseitigt ist.

Auch gegen die Müssigen und Nachläßigen muß man die Nächstenliebe üben.

Nichts destoweniger will der heilige Paulus, wie ein überaus scharfsichtiger und besorgter Arzt, nicht bloß die Wunden des Kranken, sondern auch die Gesunden heilen. Um ihre Gesundheit dauernd bewahren zu können, empfiehlt er ihnen auf gleiche Weise entsprechende Vorschriften mit den Worten: „Ihr aber wollet nicht ablassen. Gutes zu thun.“ Ihr, die ihr uns d. i. unserm Wandel folgend den euch hinterlassenen Beispielen durch gleiche Uebung der Arbeit nachkommet und keineswegs der Trägheit und Unthätigkeit Jener folget, „wollet nicht ablassen. Gutes zu thun.“ d. h. eure Nächstenliebe unbeirrt an denselben auszuüben, wenn sie auch vielleicht unsere Worte zu beobachten versäumt haben. — Wie er also Jene, die krank waren, geheilt hat, damit sie nicht, durch Müssiggang erschlafft, der Unruhe und Neugierde sich hingäben, so ermahnt er die Gesunden im Voraus, ihre Nächstenliebe, die wir nach des Herrn Gebot Guten und Bösen erweisen sollen, falls einige Böse sich zur gesunden Lehre bekehren wollten, denselben nicht zu entziehen, sondern nicht aufzuhören, ihnen wohlzuthun und sie zu pflegen sowohl durch tröstende und zurechtweisende Reden, als durch die gewohnten Wohlthaten und Liebe.

Nicht aus Haß, sondern aus Liebe muß man die Fehlenden zurechtweisen.

Aus Furcht, es möchten Einige durch seine Milde veranlaßt werden, seinen Geboten den Gehorsam zu verweigern, verbindet er wiederum apostolische Strenge mit ihr: „Wenn aber Jemand meinem Worte nicht gehorcht, so gebt ihn mir in einem Briefe an und verkehrt nicht mit ihm, damit er beschämt werde.“ Bei der Ehrfurcht gegen ihn und bei dem Wohle Aller ermahnt er seine Schüler an ihre Pflichten und schärft ihnen ein, mit welcher Behutsamkeit sie die Gebote der Apostel beobachten müssen. Doch mit dieser nachdrücklichen Strenge verbindet er sofort die Milde eines ganz nachsichtigen Vaters und belehrt sie wie Söhne, welche Gesinnungen sie gegen die oben Bezeichneten um der Liebe Christi willen hegen müßten. „Jedoch erachtet ihn nicht als Feind, sondern weiset ihn zurecht als Bruder!“ Mit der Strenge des Richters vereinigte er die Milde des Vaters, und den mit apostolischer Strenge gesprochenen Richterspruch mäßigte er mit gütiger Milde. Denn er befiehlt sogar Denjenigen zu bezeichnen, der seinen Geboten den Gehorsam verweigert habe, und den Umgang mit demselben zu meiden; und doch gebietet er, daß Dieß nicht aus Haß geschehen solle, sondern aus brüderlicher Liebe und zu seiner Besserung. „Gehet nicht mit ihm um.“ sagt er, „damit er beschämt werde“ — auf daß er, wenn er nicht durch meine Gebote sich bessern ließ, wenigstens durch gänzliche öffentliche Abgeschiedenheit von eurer Seite beschämt endlich zum Wege des Heils zurückzukehren beginne.

Verschiedene Zeugnisse des Apostels, in denen er die Arbeit gebietet und bezeugt, selbst gearbeitet zu haben.

Auch im Briefe an die Ephesier gibt der Apostel ebenfalls bezüglich der Arbeit folgendes Gebot: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, vielmehr arbeite er angestrengt mit seinen Händen, was gut ist, damit er habe, wovon er den Nothleidenden mittheilen kann.“ Ähnlich finden wir auch in der Apostelgeschichte, daß er gerade Dasselbe nicht bloß gelehrt, sondern auch thatsächlich vollbracht habe. Denn als er nach Korinth gekommen war, nimmt er nur bei Aquila und Priscilla seinen Aufenthalt, und zwar deßhalb, weil sie in demselben Gewerbe arbeiteten, welches er zu betreiben gewohnt war. Denn so heißt es: „Hierauf verließ Paulus Athen und kam nach Korinth, und als er daselbst einen Juden fand, Namens Aquila. einen Patier von Geburt, und dessen Gattin Priscilla, ging er zu ihnen, weil sie dasselbe Gewerbe betrieben, wohnte bei ihnen und arbeitete. Sie waren nämlich Zeltmacher.“

Soviel arbeitete der Apostel, als es ihm zur Befriedigung seiner und seiner Gefährten Bedürfnisse hinzureichen schien.

Hierauf ging er nach Milet, schickte von da nach Ephesus, berief die Priester der Kirche von Ephesus zu sich, gab ihnen Befehle, wie sie in seiner Abwesenheit die Kirche regieren sollten, und sprach:1 „Gold und Silber habe ich von Keinem begehrt; ihr selbst wisset, daß Alles, was ich und meine Genossen nöthig hatten, mir diese meine Hände verschafft haben. In Allem habe ich gezeigt, daß man, also arbeitend, sich müsse der Schwachen annehmen und eingedenk sein der Worte des Herrn Jesu, da er selber gesprochen: Seliger ist es zu geben als zu empfangen.“ Ein großes Beispiel gottgefälligen Wandels hinterließ er uns, indem er bezeugt durch seine Arbeit nicht bloß Das erworben zu haben, was zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse, sondern auch derer seiner Genossen diente, jener nämlich, die täglich mit nothwendigen Arbeiten beschäftigt keine Gelegenheit fanden, auf gleiche Weise mit ihrer Hände Arbeit dasselbe sich zu verschaffen. Und wie er in seinem (zweiten) Briefe an die Thessalonicher versichert, gearbeitet zu haben, um ihnen ein Vorbild zu geben, das sie nachahmen sollten, so deutet er auch hier etwas Derartiges an. indem spricht: „In Allem habe ich gezeigt, daß man, also arbeitend, sich müsse der Schwachen annehmen,“ nämlich sowohl der leiblich als auch der geistig Schwachen, d. h. daß man lieber mit seiner Arbeit und mit den durch den Schweiß seiner Arbeit erworbenen Mitteln als von dem Haufen des Ueberflusses und von zurückgelegtem Gelde oder gar mit fremder Freigebigkeit und fremdem Gute dieselben unterstützen soll.

Über den Sinn des Wortes: „Glückseliger ist es zu geben als zu empfangen.“

Und geradezu nennt er Dieß des Herrn Gebot: „Denn,“ sagt er. „er selbst, nämlich der Herr Jesus, sprach: Seliger ist es zu geben als zu empfangen.“ Das heißt: Seliger ist die Freigebigkeit des Schenkenden als der Mangel des Empfangenden, wenn erstere nicht mit Geld, das man aus Unglauben und Mißtrauen zurückgelegt hat, geübt wird, sondern aus der Frucht eigener Arbeit und frommer Anstrengung hervorgeht. Und deßhalb ist es seliger zu geben als zu empfangen; denn obgleich, welcher gibt, die Armuth Desjenigen besitzt, welcher empfängt, so beeilt er sich dennoch, mit der eigenen Arbeit nicht nur seine eigenen Bedürfnisse zu bestreiten, sondern auch Das, was er dem Dürftigen schenkt, mit frommer Besorgniß zu erwerben. Ihn ziert eine doppelte Gnade: erstens, weil er die vollkommene Armuth Christi besitzt, da er sich aller seiner Güter beraubt: zweitens, weil er die Freigebigkeit eines Reichen übt durch seine Arbeit und Gesinnung. Dieser ehrt Gott mit seinem frommen Werke und opfert ihm von den Früchten seiner Gerechtigkeit; Jener aber, in die Erstarrung des Müssiggangs und der Unthätigteit versunken, erweiset sich nach des Apostels Ausspruch auch der Speise des Brodes unwürdig; denn gegen des Apostels Verbot dem Müssiggange stöhnend kann er ohne Sündenschuld und Schmach auf dieselbe keinen Anspruch machen.

Von einem trägen Bruder, der Andere zum Austritte aus dem Kloster zu verlocken suchte.

Ich kenne einen Bruder, dessen Namen ich auch nennen würde, wenn Dieß zur größeren Belehrung beitragen würde. Als dieser im Kloster weilte und sich genöthigt sah, die ihm aufgegebene Arbeit täglich an den Oekonomen abzuliefern, bemerkte er einen jüngst in’s Kloster eingetretenen Bruder, der, voll Eifer und Vertrauen, sich zu noch mehr Arbeit anheischig machen wollte. Um nun nicht durch dessen Beispiel, da er eifriger arbeitete, zu einem nach größeren Maße von Arbeit gedrängt und beschämt zu werden, suchte er, falls es ihm gar nicht gelingen sollte, ihn durch heimliches Zureden von diesem Vorhaben abzubringen, ihn durch schlechte Rathschlüsse und Einflüsterungen zu überreden, von diesem Orte wegzuwandern. Und um ihn noch leichter zu entfernen, stellte er sich, als wolle auch er wegen ehemaliger vielfältiger Beleidigungen weggehen, wenn er einen tröstenden Begleiter für den Weg gefunden habe. Und als er durch heimliche Verläumdungen des Klosters ihm die Einwilligung entlockt hatte, gab er ihm die Stunde, zu welcher er das Kloster verlassen, und den Ort an, wohin er ihm vorausgehen solle, um ihn zu erwarten, während er selbst dort blieb unter dem Anscheine, als wolle er ihm gleich folgen. Während nun Jener aus Scham nicht mehr in’s Kloster zurückzukehren wagte, aus dem er entflohen war, blieb der Urheber seiner Flucht ruhig im Kloster sitzen. Dieses eine Beispiel von einer solchen Menschenklasse mag hinreichen zur Warnung der Anfänger, auf daß man es noch deutlicher erkenne, wie viele Uebel der Müssiggang nach dem Worte der heiligen Schrift im Herzen des Ordensmannes erzeugt, und wie sehr böse Gesellschaften gute Sitten verderben.

Verschiedene Aussprüche Salomons gegen die Trägheit.

Dieses Laster des Müssiggangs brandmarkt vielfach und ganz offen auch der weise König Salomon, indem er spricht: „Wer dem Müsstggange nachgeht, wird mit Armuth erfüllt werden,“ mit leiblicher nämlich und mit geistiger, die jeden Trägen und in verschiedene andere Laster versunkenen Menschen erfassen muß und ihn fernhält von der Betrachtung Gottes und den geistigen Reichthümern, von denen der heilige Apostel sagt: „Denn in Allem wurdet ihr reich in ihm, in jeglichem Worte und jeglicher Erkenntniß.“ Von dieser Armuth des Müssigen aber heißt es auch an einer andern Stelle: „Und es wird bekleidet werden mit einem zerlumpten und zerrissenen Tuche jeder Schläfrige.“ Denn ohne Zweifel wird er nicht mit jenem unversehrten Kleide geschmückt zu werden verdienen, bezüglich dessen der Apostel befiehlt: „Ziehet den Herrn Jesum Christum an;“ und wiederum: „Bekleidet mit dem Panzer der Gerechtigkeit und Liebe,“ und von dem der Herr zu Jerusalem durch den Propheten spricht: „Erhebe dich, erhebe dich, Jerusalem, ziehe an die Kleider deiner Herrlichkeit!“ Wer immer, von dem Schlafe des Müssiggangs und der Trägheit überwältigt, nicht mit dem Werke seines Fleisses, sondern lieber mit den Lumpen der Trägheit sich bedecken will, die er abreißt von der vollkommenen Fülle und dem Leibe der heiligen Schriften, der begehrt nicht das Kleid der Herrlichkeit und Zierde, sondern die schmähliche Hülle der Entschuldigung für seine Trägheit. Denn Diejenigen, welche, durch diese Trägheit erschlafft, sich nicht von der Arbeit ihrer Hände nähren wollen, was doch der Apostel that und uns zu thun befahl, bedienen sich stets einiger Stellen der heiligen Schrift, vermittelst welcher sie einen Schleier über ihre Trägheit werfen, indem sie sagen, es sei geschrieben: „Bemühet euch nicht um eine vergängliche Speise. sondern um jene, die bleibt für’s ewige Leben;“ und: „Meine Speise ist, daß ich den Willen meines Vaters thue.“ Allein Das sind nur einige Lappen von der Fülle des Evangeliums, die man zu diesem Zwecke anlegt, um damit mehr die Schmach seines Müssigganges und seiner Schande zu bedecken, als um sich zu erwärmen und zu schmücken mit jenem kostbaren und vollkommenen Gewände der Tugenden, welches in den Sprichwörtern jene kluge mit Stärke und Ruhm bekleidete Frau nach der dort von ihr entworfenen Schilderung sich und ihrem Manne gemacht hat, von der es auch weiter heißt: „Mit Stärke und Ruhm ist sie bekleidet, und sie freute sich in ihren letzten Tagen.“ – Dieser Krankheit der Faulheit gedenkt Salomon wiederum in folgender Weise „Die Wege Derer, welche Nichts thun. sind mit Dornen bestreut,“ d. h. mit jenen und ähnlichen Sünden, welche, wie der Apostel in den angeführten Stellen sagt, aus dem Müssiggange emporsprossen. Und wiederum sagt Salomon: „In Gelüsten ist jeglicher Müssiggänger.“ Diese Gelüste erwähnt der Apostel mit den Worten: „Und daß ihr von Niemandem Etwas begehrt:“ und zuletzt: „Vieles Böse hat der Müssiggang gelehrt,“ Klar hat Dieses der Apostel in unserer obigen Auseinandersetzung also aufgezählt: „Nichts arbeitend, sondern aus Neugierde handelnd.“ An diesen Fehler reihte er noch einen andern: „Und befleisset euch eines ruhigen Lebenswandels;“ und dann: „Verrichtet eure Geschäfte und führet einen wohlanständigen Wandel vor Denen, welche draussen sind, und wollet von Niemandem Etwas begehren!“ Er bezeichnet sie als Ungeordnete und Empörer, indem er allen Fleissigen befiehlt, sich von ihnen zu trennen: „Haltet euch fern.“ sagt er, „von jeglichem Bruder, der einen unordentlichen und der von uns empfangenen Überlieferung nicht entsprechenden Wandel führt!“

In Ägypten bestreiten die Brüder mit ihrer Handarbeit nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse, sondern reichen auch den Gefangenen im Kerker Lebensmittel.

Durch diese Beispiele belehrt dulden die Väter in Ägypten durchaus keinen Müssiggang unter den Mönchen, besonders unter den jungen; denn sie bemessen das Geistesleben und den Fortschritt in der Geduld und Demuth nach dem Eifer bei der Arbeit. Ferner dulden sie nicht nur nicht, daß man von Jemandem irgend Etwas zu seinem Lebensunterhalte annehme, sondern sie bewirthen sogar von dem Ertrage ihrer Arbeit nicht bloß ankommende und fremde Brüder, sondern sie sammeln sogar große Massen von Lebensmitteln und vertheilen sie in den Ländern Libyens (Afrika’s), die durch Unfruchtbarkeit und Hungersnoth zu leiden haben, sowie in den Städten an die in schmutzigen Kerkern schmachtenden Gefangenen; denn sie glauben durch eine solche Gabe mit der Frucht ihrer Handarbeit dem Herrn ein vernünftiges und wahres Opfer darzubringen.

Der Müssiggang ist schuld, daß es im Abendlande fast keine Mönchsklöster gibt.

Daß wir in unsern Ländern keine durch eine so große Anzahl von Brüdern festbegründete Klöster finden, kommt daher, daß die Mönche sich nicht auf den Ertrag ihrer Handarbeit verlassen, um für immer in den Klöstern ausharren zu können, und, wenn auch die durch fremde Freigebigkeit gespendeten Lebensmittel vollständig ausreichen sollten, jedoch die Freude an der Muße und die Zerstreuung des Geistes sie nicht im Kloster ausharren läßt. Aus diesem Grunde ist in den ägyptischen Klöstern folgender von Alters her von den Vätern aufgestellte Grundsatz in Geltung: „Der arbeitende Mönch wird von einem, der müssige aber von unzähligen Teufeln geplagt.“

Wie der Abt Paulus jedes Jahr seine ganze Arbeit verbrannte.

Schließlich sei noch des Abtes Paulus, des berühmtesten aller Väter erwähnt. Dieser lebte in einer ausgedehnten Wüste mit Namen Porphyrio. Durch Palmenfrucht und ein Gärtchen sicher gestellt besaß er hinreichenden Vorrath an Nahrungs- und Lebensmitteln. Auch konnte er keine andere Arbeit verrichten, um davon zu leben, weil von den Städten und dem bewohnbaren Lande seine Wohnung in der Wüste über sieben Tagreisen entfernt lag und man mehr für die Fracht verlangte, als der Preis für die mühsame Arbeit betragen konnte. Deßhalb sammelte er Palmenblätter. und als ob er davon leben müßte, legte er jeden Tag sich selbst ein bestimmtes Maß von Arbeit auf. Und wenn von der Arbeit des ganzen Jahres seine Grotte angefüllt war, legte er unter den Haufen Laub, um welchen er mit emsiger Sorge sich abgemüht hatte, jedes Jahr Feuer und verbrannte ihn. Sein Streben, zu zeigen, daß ohne Handarbeit ein Mönch weder auf seinem Posten ausharren noch den Gipfel der Vollkommenheit jemals erreichen könne, ging so weit, daß, obwohl das Bedürfniß nach Lebensmitteln die Arbeit gar nicht erforderte, er sie dennoch zur Läuterung des Herzens und Beständigkeit der Gedanken, sowie zum Ausharren in der Zelle und zur Bekämpfung und Besiegung der Trägheit insbesondere vollbrachte.

Worte des Abtes Moses, die derselbe über die Mittel gegen die Lauheit an mich richtete.

Als ich einst bei meinem ersten Aufenthalte in der Einöde zu dem Abte Moses, einem der heiligsten Männer sagte, seit dem Tage vorher habe mich die Krankheit der Lauheit gar heftig erfaßt, und ich habe mich nicht anders davon befreien können, als daß ich sofort zum Abte Paulus geeilt sei, gab derselbe mir zur Antwort: „Nicht hast du dich derselben entledigt, sondern dich derselben noch mehr ergeben und unterworfen erwiesen. Denn als einen Ausreisser und Flüchtling wird der böse Feind dich auch in Zukunft anfechten, da er dich als überwunden aus dem Kampfe sofort entfliehen sah. Darum mußt du bei künftig entbrennendem Kampfe nicht durch das Verlassen deiner Zelle oder die Schlaffheit des Schlafes seine dich bestürmenden Gluthen für den Augenblick verrauchen lassen, sondern vielmehr durch Ausdauer und Kampf triumphiren lernen.“ So lehrt die Erfahrung, daß man den Andrang des Ueberdrusses nicht durch Ausweichen fliehen, sondern durch Widerstand überwinden muß.

Elftes Buch: Von dem Geiste der eitlen Ruhmsucht.

Einleitung.

Den siebenten Kampf haben wir gegen den Geist der Cenodoxie zu bestehen, welches Wort wir mit „eitler oder nichtiger Ruhmsucht“ wiedergeben können. Dieser schlaue Geist tritt in so vielen und mannigfaltigen Gestalten auf, daß man auch mit den schärfsten Augen ihn kaum durchschauen und entdecken, geschweige denn ihm entgehen kann.

Die Ruhmsucht plagt den Mönch nicht bloß nach seiner leiblichen, sondern auch nach seiner geistigen Seite.

Dieses Laster plagt den Mönch nicht allein nach seiner fleischlichen Seite, wie die übrigen Sünden, sondern auch nach seiner geistigen Seite bin, da es sich mit viel schlauerer Bosheit in den Geist eindrängt. Die Folge davon ist, daß Solche, welche nicht durch Fleischessünden konnten getäuscht werden, um so stärker durch den Erfolg der Geistessünden verwundet wurden. Und um so verderblicher für den Kampf ist diese Sünde, je mehr sie durch ihre Verstecktheit die Achtsamkeit erschwert. Denn mit allen Fehlern ist der Kampf handgreiflicher und offener, und bei einem jeden dieser Kämpfe wird der durch einen unbeugsamen Widerspruch zurückgewiesene Anreizer schwächer abziehen und der aus dem Felde geschlagene Gegner gegen seinen Besieger in Zukunft einen schwächeren Angriff machen. Allein, diese Krankheit plagt zuerst den Geist, um ihn zur eitlen Überhebung in äusseren und offenkundigen Dingen zu versuchen, und wenn sie durch den Schild der Entsagung zurückgeschlagen ist, so wechselt sie wiederum, wie eine so zu sagen vielgestaltige Bosheit, die frühere Kleidung und das frühere Aussehen und sucht unter der Truggestalt der Tugenden den Sieger zu werfen und zu erdrosseln.

Die eitle Ruhmsucht ist vielgestaltig und vielfältig.

Man sagt von den übrigen Fehlern oder Leidenschaften, sie seien einfach und träten in einer Gestalt auf; allein diese Leidenschaft ist vielfältig, vielgestaltig und mannigfach und tritt überall dem Kämpfer und von allen Seiten dem Sieger entgegen. Denn sowohl in der Kleidung wie in der Haltung, im Gange und der Stimme, in den Nachtwachen, den Fasten und im Gebete, in der Zurückgezogenheit, der Lesung und der Wissenschaft, im Stillschweigen, dem Gehorsam, der Demuth und Langmuth, in Allem versucht dieses Laster den Streiter Christi zu verwunden, und wie eine überaus verderbliche durch schwellende Wogen verdeckte Klippe stürzt es die mit günstigem Winde Fahrenden, während sie nicht auf der Hut sind und sich nicht vorsehen, in einen unvorhergesehenen und jammervollen Schiffbruch.

Die eitle Ruhmsucht bestürmt den Mönch von der rechten und von der linken Seite.

Wer daher wandeln will auf dem königlichen Wege durch die Waffen der Gerechtigkeit, welche zur Rechten und zur Linken aufgestellt sind, muß nach des Apostels Lehre hindurchwandeln bei Ehre und Schmach, bei schlechtem und bei gutem Ruf, und muß mit solcher Behutsamkeit zwischen den anschwellenden Fluthen der Versuchung hin, unter dem Steuerruder der Klugheit und unter dem Wehen des Geistes des Herrn die Bahn der Tugend also verfolgen, daß wir uns bewußt sind, wenn wir zur Rechten und zur Linken ein wenig abbiegen, müssen wir bald an verderblichen Riffen zerschellt werden. Und deßhalb werden wir auch von dem weisen Salomon gewarnt: „Lenke nicht ab weder zur Rechten noch zur Linken“ d. h. schmeichle dir nicht mit Tugenden und laß dich nicht durch rechte und geistige Erfolge zur Selbsterhebung verleiten, damit du nicht, abbiegend zum linken Pfade der Sünden, aus denselben dir Ruhm in deiner Beschämung bereitest. Denn wem der Teufel in der Hülle eines aufgeschürzten und glänzenden Gewandes die eitle Ruhmsucht nicht hervorrufen kann, dem sucht er sie in einem schmutzigen, ungeordneten und werthlosen Gewände einzuschmuggeln. Wen er nicht durch Ehrfurcht stürzen kann, den stößt er durch Demuth um. Wen er nicht durch den Schmuck der Wissenschaft und Beredsamkeit zum Stolz zu verleiten vermag, den erdrückt er durch den Ernst des Schweigens. Fastet der Mönch offen, so wird er von der eitlen Ruhmsucht geplagt; wenn er es, um die Ruhmsucht zu vermeiden, verheimlicht, so versetzt ihm wieder die Selbstüberhebung Schläge. Um nicht von der eitlen Ruhmsucht angesteckt zu werden, vermeidet er es, lange Gebete in der Gegenwart der Brüder zu verrichten, und doch entgeht er dem Stachel der Eitelkeit nicht, wenn er sie im Verborgenen verrichtet und keine Zeugen seines Handelns bat.

Ein Vergleich, der das Wesen der eitlen Ruhmsucht beleuchtet.

Schön schildern unsere Vorsteher das Wesen dieser Krankheit durch den Vergleich mit einer Zwiebel und ähnlichen Knollengewächsen, die man einer Hülle entkleidet und doch wieder mit einer andern umschlossen findet, und die man so oft verhüllt antrifft, als man sie enthüllt.

Die eitle Ruhmsucht weicht nicht ganz dem wohlthätigen Einflusse der Einsamkeit.

Auch wenn Jemand, um der Ruhmsucht zu entgehen, in der Einsamkeit die Gemeinschaft mit allen Sterblichen flieht, so läßt sie doch nicht ab, ihn zu verfolgen. Und je mehr Einer die ganze Welt meidet, um so heftiger bedrängt sie ihn. Den Einen versucht sie zur Selbstüberhebung, weil er Arbeit und Beschwerden so geduldig erträgt, den Andern, weil er zum Gehorsam so bereit ist, den Andern, weil er die Übrigen an Demuth übertrifft. Der Eine wird durch den Reichthum seines Wissens, der Andere durch seinen Eifer in der geistlichen Lesung, der Andere durch die Länge der Nachtwachen versucht. Und gerade durch die eigenen Tugenden, welche zusammen die Pflichten des Lebens ausmachen, strebt diese Krankheit uns zu verwunden, indem sie in ihnen kleine Anstöße zu unserm Verderben sucht. Wer nämlich den Weg der Frömmigkeit wandeln will, dem stellen die Feinde gerade nur auf dem Wege nach, den er wandelt, und verbergen die Schlingen des Truges nach jenem Spruche Davids: „Auf dem Wege, den ich wandelte, verbargen sie mir die Schlinge.“ Denn gerade auf diesem Wege der Tugenden, den wir wandeln, um zum Ziele höherer Vollkommenheit zu eilen, werden wir durch unsere Erfolge stolz gemacht, straucheln und verwickeln uns in die Schlingen der eitlen Ruhmsucht, lassen die Füße unserer Seele binden und fallen um. Und so kommt es, daß wir, die wir in dem Kampfe mit den Gegnern nicht überwunden werden konnten, durch die Höhe unseres Triumphes besiegt werden, oder, was eine andere Art Täuschung ist, daß wir wenigstens das Maß unserer Enthaltsamkeit und unsere Kräfte überschreiten und die Beharrlichkeit in unserem Berufe durch bald eintretende Körperschwäche verlieren.

Einmal niedergeworfen erhebt sich die eitle Ruhmsucht mit größerer Heftigkeit wieder zum Kampfe.

Alle Fehler ermatten, wenn sie überwunden sind, und werden von Tag zu Tag schwächer, wenn sie besiegt sind, und je nach dem Orte und der Zeit verringern sie sich und nehmen ab, oder sie werden wenigstens, weil sie mit entgegenstehenden Tugenden im Widerspruche stehen, leichter verhütet und vermieden; allein dieses Laster, einmal niedergeworfen, erhebt sich um so heftiger zum Kampfe, und wenn man es vernichtet glaubt, lebt es durch seinen Tod stärker wieder auf. Die übrigen Fehler pflegen nur Diejenigen anzufechten, die im Streite mit ihnen gefallen sind; dieser Feind aber fällt seine Besieger nur noch heftiger an, und je mächtiger er aus dem Felde geschlagen wurde, um so hitziger beginnt er wieder den Kampf durch den Stolz über den errungenen Sieg selbst. Und darin besteht die feine Schlauheit des Feindes, daß er den Streiter Christi seinen eigenen Waffen unterliegen läßt, nachdem er ihn durch feindliche Waffen nicht zu bewältigen vermochte.

Weder durch die Einsamkeit noch durch das Alter verliert die eitle Ruhmsucht ihre Heftigkeit.

Andere Fehler kommen, wie wir bemerkten, zuweilen durch den wohlthätigen Einfluß von Örtlichkeiten zur Ruhe oder Pflegen, wenn der Stoff oder die Gelegenheit und Veranlassung zur Sünde entfernt ist, sich zu lindern und zu mindern; allein dieser dringt mit den Fliehenden in die Wüste und läßt sich weder von einem Orte ausschließen, noch will er nach Entfernung der äusseren Materie (der Dinge, welche Gelegenheit zur Sünde geben) ermatten. Denn er wird einzig nur durch die über ihn errungenen Erfolge in den von ihm angefochtenen Tugenden ermuthigt. Die übrigen Fehler mildern sich und schwinden, wie wir oben sahen, zuweilen auch mit dem Fortschritte der Zeit; diesem aber wirkt das Alter, sofern es nicht in regem Fleisse und weiser Klugheit fest gegründet ist, nicht nur nicht entgegen sondern weiß demselben noch mehr Nahrung der Eitelkeit zuzuführen.

Noch größere Gefahren bereitet die eitle Ruhmsucht in Verbindung mit Tugenden.

Weil die übrigen Leidenschaften mit den entgegengesetzten Tugenden im Widerspruch stehen und offen wie am hellen Tage kämpfen, werden sie leichter überwunden und verhütet; allein diese Leidenschaft reiht sich unter die Tugenden, drängt sich in deren Schlachtlinie ein, und auf diese Weise gleichsam in dunkler Nacht kämpfend täuscht sie um so schrecklicher die Nichts ahnenden und unvorsichtigen Feinde.

Beispiel des Königs Ezechias, den der Pfeil eitler Ruhmsucht hingestreckt hat.

Von Ezechias, dem Könige von Juda. einem Manne von einer in jeder Beziehung vollendeten Gerechtigkeit und als solcher anerkannt durch das Zeugniß der heiligen Schrift, lesen wir, daß derselbe nach unzähligen ruhmwürdigen und frommen Thaten von dem Pfeil der Eitelkeit niedergeworfen worden sei; und er, der die Vernichtung von fünfundachtzig Tausend Mann aus dem Heere der Assyrer durch die Hand des während der Nacht verheerenden Engels durch ein einziges Gebet zu erbitten vermochte, läßt sich durch eitles Rühmen überwinden. Um das so lange Verzeichniß seiner Tugenden zu übergehen, welches aufzuschlagen mich zu weit führen würde, will ich nur eines erwähnen. Nachdem ihm sein Lebensende angesagt und sein Todestag durch einen Ausspruch des Herrn vorausverkündet worden war, verdiente er durch ein Gebet, um fünfzehn Jahre die Grenze seines Lebens zu überschreiten, wobei die Sonne um zehn Stufen, welche sie, ihrem Untergange zueilend, schon erleuchtet hatte, wieder zurückkehrte und die Stunden, welche in Folge ihres Falles der nachrückende Schatten eingenommen hatte, durch ihre Rückkehr verscheuchte und so durch ein unerhörtes Wunder gegen die feststehenden Naturgesetze für den ganzen Erdkreis einen doppelten Tag schuf. Wie er nach so großen und unglaublichen Zeichen, nach so ausserordentlichen Beweisen von Tugenden durch seine eigenen glücklichen Erfolge besiegt wurde, darüber vernimm die Erzählung der heiligen Schrift. „In jenen Tagen.“ sagt sie, „erkrankte Ezechias auf den Tod; da bat er den Herrn, und der erhörte ihn und gab ihm ein Zeichen.“ jenes nämlich von der Rückkehr der Sonne, welches durch den Propheten Isaias gegeben wurde, wie wir im vierten Buche der Könige lesen; aber nicht, sagt sie weiter, hat er nach den Wohlthaten. die er empfangen, vergolten, denn „es erhob sich sein Herz, und los brach Gottes Zorn gegen ihn, sowie gegen Juda und Jerusalem. Doch er verdemüthigte sich nachher darüber, daß sich sein Herz erhoben habe, sowohl er als die Bewohner Jerusalems, und deßhalb kam nicht über sie der Zorn des Herrn in den Tagen des Ezechias.“ Wie verderblich, wie heftig ist die Krankheit der Selbstüberhebung! Eine solche Gerechtigkeit, solche Tugenden, ein solches Vertrauen, eine solche Hingebung, welche sogar die Natur und die Gesetze des Weltalls zu ändern verdienten, gehen durch eine einzige Sünde der Eitelkeit zu Grunde, so daß Ezechias, nachdem alle seine Tugenden wie ein Nichts der Vergessenheit anheimgefallen waren, den Zorn des Herrn sofort erfahren hätte, wenn er ihn nicht durch die wiedererworbene Demuth versöhnt hätte. So konnte er, der von einer so erhabenen Stufe der Verdienste, getrieben von der Eitelkeit, herabgefallen war, nur auf denselben Stufen der Demuth zu der verlorenen Höhe wieder emporsteigen. – Vernimm noch ein anderes Beispiel eines ähnlichen Sturzes.

Beispiel des Königs Ozias, der von derselben verderblichen Krankheit überwunden wurde.

Höre, auf welche Weise Ozias. des Ezechias Urgroßvater, ebenfalls von der heiligen Schrift in jeder Beziehung gelobt, nach seinen ungewöhnlichen und gefeierten Heldenthaten, nach unzähligen Triumphen, die er durch das Verdienst seiner Hingebung und seines Vertrauens errungen hatte, in Folge eitler Ueberhebung aus Ruhmsucht gestürzt wurde. „Und des Ozias Name.“ heißt es „verbreitete sich weithin, weil ihm der Herr half und ihn stark machte. Als er aber mächtig geworden, da erhob sich sein Herz zu seinem Verderben, und er verließ den Herrn seinen Gott.“ Hier erblickst du ein anderes Beispiel eines gar jähen Sturzes und siehst zwei Männer vor dir, beide so gerecht und vollkommen in ihren Triumphen und beide durch ihre Siege zu Grunde gerichtet. Daraus erseht, wie verderblich die Erfolge im Glücke zu sein pflegen. Diejenigen, welche das Unglück nicht brechen konnte, erdrückt um so grausamer das Glück, das sie unvorsichtig gemacht, und Jene, welche in Kampf und Schlacht der Todesgefahr entronnen sind, erliegen durch ihre eigenen Siege und Trimphe.

Verschiedene Zeugnisse gegen die eitle Ruhmsucht.

Deßhalb warnt der Apostel: „Wollet nicht eitler Ehre nachtrachten.“ Und der Herr, die Pharisäer zurechtweisend, spricht: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmet und nicht suchet die Ehre, die von Gott allein ist?“ Gegen diese Sünde spricht auch der König David die drohenden Worte: „Zerstreut hat Gott die Gebeine Derer, welche den Menschen gefallen.“

Wie die eitle Ruhmsucht den Mönch plagt.

Es pflegt dieses Laster auch den Geist der Anfänger und Solcher, die noch weniger Fortschritte in Tugend und Frömmigkeit gemacht haben, mitunter durch den leeren Schall eines Wortes zur Eitelkeit zu verleiten, z. B. daß sie wohlklingender sängen, daß sie abgemagertes Fleisch oder einen stattlichen Körper besäßen, daß sie reiche und vornehme Eltern hätten, daß sie Kriegsdienst und Ehrenstellen verachtet hätten. Zuweilen sucht diese Sünde Einem auch einzureden, daß die Würden und Reichthümer. die man wohl überhaupt gar niemals hätte erlangen können, ihm sehr leicht zugefallen wären, wenn er in der Welt geblieben wäre. So bläht sie ihn sogar durch die eitle Hoffnung auf Ungewisses und niemals Besessenes auf, indem sie ihn zu der Eitelkeit verleitet, als habe er Dieses verachtet.

Wie die Ehrsucht durch Einflüsterungen zur Erstrebung der priesterlichen Würde veranlaßt.

Zuweilen aber flößt diese Leidenschaft dem Mönche das Verlangen nach der geistlichen Würde und den Wunsch nach der Priesterweihe oder dem Diakonate ein. Wenn er es sogar gegen seinen Willen erhalten hat, so entwirft er ein solches Bild von der Heiligkeit und Strenge, womit er dieses Amt ausüben will, daß er auch den übrigen Priestern Beispiele der Heiligkeit geben könne. Dann glaubt er Viele nicht durch das Vorbild seines Wandels, sondern auch durch seine Lehre und Predigt zu gewinnen. Er läßt sich, wenn er in der Einöde oder Zelle weilt, im Geiste und in der Vorstellung die Wohnungen verschiedener Brüder und verschiedener Klöster besuchen und die Bekehrung gar vieler Leute durch seine eingebildeten Ermahnungsreden erwirken. So ist es nun um die unglückliche Seele geschehen, die durch eine solche Eitelkeit gleichsam in den tiefsten Schlaf gesunken ist und gewöhnlich durch die Anmuth derartiger Einbildungen verlockt und mit solchen Bildern erfüllt nicht einmal auf ihr gegenwärtiges Thun und ihre Mitbrüder ihr Auge zu richten vermag, während sie ihre Freude darin findet, sich in die Gedanken, von denen sie in ihrer Zerstreuung mit offenen Augen träumt, wie in wirkliche und wahre zu vertiefen.

Die eitle Ruhmsucht berauscht den Geist.

Von meinem Aufenthalte in der scythschen Wüste her erinnere ich mich eines Greises, der einst zu der Zelle eines Bruders kam, um ihn zu besuchen. Als er sich nun der Thüre genähert hatte und ihn drinnen Etwas murmeln hörte, blieb er ein wenig stehen, um zu erfahren, was er denn in der heiligen Schrift lese, oder was er, wie es Sitte ist, bei seiner Arbeit auswendig hersage. Alsdann hielt der fromme Kundschafter sein Ohr behutsam hin, um aufmerksamer zu horchen. Da fand er den Bruder dergestalt von dem Geiste der Eitelkeit verführt, daß er wähnte, in der Kirche an das Volk eine Ermahnungsrede zu halten. Der Greis blieb stehen, bis er das Ende der Rede vernahm. Hierauf wechselt jener seine Rolle und feiert, wie ein Diakon, die Katechumenenmesse. Erst jetzt klopft der Greis an die Thüre, worauf der Bruder heraustrat und ihm mit der gewohnten Ehrfurcht entgegenging. Während er ihn hineinführte, bekam er jedoch Gewissensbisse über seine Gedanken und fragte ihn deßhalb, wie lange er schon da sei; denn er fürchtete, der Greis möchte durch längeres Stehen an der Thüre Unannehmlichkeiten ertragen haben. Allein scherzend und freundlich erwiderte der Greis: „Eben bin ich gekommen, als du die Katechumenenmesse feiertest.“

Man kann diesen Fehler nur dadurch heilen, daß man seine Wurzeln und Ursachen kennen lernt.

Diesen Vorfall glaubte ich deßhalb in mein Werk einfügen zu müssen, damit wir über die Gewalt der Anfechtungen und die Reihe von Sünden, von denen die unglückliche Seele zerfleischt wird, nicht nur theoretisch, sondern auch durch Beispiele belehrt werden und auf die Vermeidung der von dem Feinde gestellten Schlingen und Fallen mehr Vorsicht verwenden könnten. Denn die ägyptischen Väter befolgen hierin jene Uebung, daß sie die Kämpfe gegen alle Fehler, sowohl jene, welche die Jüngeren bereits bestehen, als jene, welche sie noch zu bestehen haben, durch ihre Erzählung. gleichsam als ob sie dieselben noch zu kämpfen hätten, vor ihnen enthüllen und bloßlegen. So dringen alle Anfänger und Brauseköpfe in die Geheimnisse ihrer Kämpfe ein, hier schauen sie dieselben wie in einem Spiegel, werden über die Ursachen der sie plagenden Fehler und über die Mittel gegen dieselben belehrt, sowie über die Kampfesart bei künftigen Kämpfen, bevor dieselben hereinbrechen, unterrichtet und angeleitet, wie sie diesen zuvorkommen oder entgegenrücken und sich mit ihnen schlagen sollen. Wie die geschicktesten Ärzte nicht bloß die gegenwärtigen Krankheiten zu heilen, sondern auch den künftigen mit scharfsinniger Erfahrung zu begegnen und ihnen mit heilsamen Vorschriften und Arzneien zuvorzukommen pflegen, so ertödten auch diese wahren Seelenärzte die auftauchenden Krankheiten des Herzens durch geistige Vorträge, wie durch ein himmlisches Gegengift, und lassen sie nicht in dem Geiste der Jüngeren erstarken, indem sie ihnen die Ursachen der drohenden Leidenschaften und die Mittel zur Erhaltung der Gesundheit offenbaren.

Der Mönch soll Weiber und Bischöfe meiden.

Es ist eine von Alters her bis jetzt bestehende Ansicht der Väter, die ich nicht ohne meine eigene Beschämung aussprechen kann, da ich weder meine Schwester meiden noch den Händen meines Bischofs entrinnen konnte, die Ansicht nämlich, daß der Mönch Weiber und Bischöfe durchaus fliehen müsse. Denn weder die Einen noch die Andern lassen Den, welchen sie in den Kreis ihrer Freundschaft gezogen haben, ferner der Ruhe der Zelle sich hingeben, noch gestatten sie ihnen, durch die Betrachtung heiliger Dinge auf die göttliche Lehre den Blick eines ganz reinen Auges zu richten.

Mittel gegen das Übel der eitlen Ruhmsucht.

Darum muß der Streiter Christi, der den wahren geistigen Kampf rechtmäßig kämpfen will, dieses vielgestaltige und veränderliche Unthier auf jede Weise zu überwinden eilen. Dieser von allen Seiten uns entgegentretenden, so zu sagen vielfältigen Bosheit werden wir nur dadurch entrinnen können, daß wir an jenen Ausspruch Davids denken: „Der Herr zerstreut die Gebeine Derer, welche Menschen gefallen.“ Dann seien wir bestrebt, Das, was wir durch einen guten Beginn gewirkt haben, mit gleicher Wachsamkeit zu hüten, damit nicht alle Früchte unserer Mühen nachher die schleichende Krankheit der Eitelkeit werthlos mache. Auch Alles, was im Wandel der Brüder nicht im allgemeinen Brauch und in der Uebung ist. müssen wir mit allem Eifer als Etwas, was der Prahlsucht dient, von uns weisen und Alles vermeiden, was uns bei den Anderen bemerkenswerth machen und anscheinend nur allein uns das Lob der Menschen einbringen könnte. Denn vorzüglich an solchen Zeichen erkennt man, daß wir von der tödtlichen Krankheit der Ehrsucht angesteckt sind. Dieser aber werden wir sehr leicht entfliehen können, wenn wir bedenken, daß wir nicht nur der Frucht unserer mühevollen Arbeiten, die wir auch immer aus Eitelkeit verrichtet haben, gänzlich verlustig gehen, sondern auch, mit einer großen Sündenschuld beladen, als Gottesschänder ewige Strafen leiden werden; denn wir wollen, und darin liegt die schwere Beleidigung Gottes, das Werk. das wir um seinetwillen hätten verrichten sollen, lieber um der Menschen willen üben und sind von Gott, der das Verborgene kennt, überführt, die Menschen und die Ehre der Welt der Ehre des Herrn vorgezogen zu haben.

Zwölftes Buch: Von dem Geiste des Hochmuthes.

Einleitung.

Den achten und letzten Kampf haben wir gegen den Geist des Hochmuthes zu führen. Obwohl die Krankheit im Kampfe mit den Lastern die letzte ist und in der Reihenfolge an letzter Stelle erscheint, so ist sie doch dem Ursprunge und der Zeit nach die erste, das grausamste Unthier und unbändiger als alle früheren, das selbst die Vollkommenen anficht und die schon in der Vollendung der Tugend Stehenden mit gar grausamem Bisse verwundet.

Es gibt zwei Arten von Hochmuth.

Von dieser Sünde gibt es zwei Arten: die eine ist diejenige, von der, wie wir sagten, geistig gesinnte und vollkommene Männer geplagt werden, die andere umstrickt auch die Anfänger und die fleischlich gesinnten Menschen. Und obwohl beide Gattungen des Stolzes eine sündhafte Auflehnung sowohl gegen Gott wie gegen die Menschen einflößen, so ist doch die erste besonders gegen Gott gerichtet, die zweite erstreckt sich eigentlich mehr auf die Menschen! Ueber den Ursprung dieser letzten Gattung und über die Mittel gegen dieselbe werden wir später, soweit es uns mit Gottes Hilfe möglich ist, ausführlich handeln. Jetzt ist es unsere Absicht, über die erste Gattung, von der die Vollkommenen vorzüglich versucht werden, einiges Wenige zu sagen.

Der Stolz vernichtet alle Tugenden.

Es gibt kein anderes Laster, das so alle Tugenden zu Grunde richtet und den Menschen aller Gerechtigkeit und Heiligkeit gänzlich beraubt, als das Übel des Stolzes; denn es gleicht einer allgemeinen und verderblichen Krankheit, welche, nicht zufrieden ein Glied oder einen Theil desselben zu lähmen, den ganzen Leib todbringendem Verderben anheimgibt. Keine Sünde versucht so die schon auf dem Gipfel der Tugenden Stehenden in den gräßlichsten Abgrund zu stürzen und zu tödten wie diese. Denn jedes andere Laster ist auf sein Gebiet und seine Grenzen beschränkt, und mag es auch mehr oder weniger alle Tugenden verdunkeln, so ist es doch hauptsächlich gegen eine Tugend gerichtet, die es besonders bekämpft und zu unterdrücken sucht. Und um das Gesagte klarer einzusehen: die Gaumenlust verdirbt die Strenge der Enthaltsamkeit; die Wollust hingegen befleckt die Keuscheit; der Zorn verwüstet die Geduld. Darum wird Jemand, der nur einer Sünde sich hingegeben hat, nicht ganz von den übrigen Tugenden verlassen; ja, wenn nur jene Tugend ertödtet ist, welche im Kampfe mit dem ihr gerade entgegengesetzten Laster unterliegt, kann er die übrigen Tugenden wenigstens theilweise behalten. Wenn aber diese Sünde den unglücklichen Geist in Besitz genommen hat, so stürzt und zerstört sie gleich einem grausamen Tyrannen nach der Einnahme der hochgelegenen Veste der Tugenden von Grund aus die ganze Stadt. Die einst so hohen Mauern der Heiligkeit bricht sie und macht sie dem Boden der Laster gleich und läßt fürderhin der von ihr unterworfenen Seele keinen Schein von Freiheit mehr übrig. Und je reicher sie dieselbe angetreten, ein um so drückenderes Joch der Knechtschaft legt sie ihr auf durch die grausame Plünderung und Entblößung von allen Reichthümern der Tugend.

Durch den Hochmuth wurde Lucifer aus einem Erzengel ein Teufel.

Damit wir die Macht dieser überaus grausamen Tyrannei erkennen mögen, lesen wir von jenem Engel, der wegen der Fülle seines Glanzes und seiner Zierde Luzifer genannt wurde, daß er um keiner andern als um dieser Sünde willen vom Himmel herabgestürzt wurde und, durch den Pfeil des Stolzes verwundet, von jenem glückseligen und erhabenen Sitze der Engel in den Abgrund der Hölle hinabgefallen ist. Wenn also eine so hohe und mit der Auszeichnung einer so großen Macht gezierte Tugend eine einzige stolze Ueberhebung des Geistes vom Himmel zur Erde zu stürzen vermochte, mit welcher Wachsamkeit müssen dann wir, die wir mit gebrechlichem Fleische umkleidet sind, vor derselben auf der Hut sein! Dieß zeigt uns die Größe dieses Sturzes. Wie wir aber das so verderbliche Gift dieser Krankheit vermeiden sollen, darüber werden wir uns belehren können, wenn wir den Grund und den Ursprung des Falles selbst verfolgen. Denn niemals kann ein Gebrechen geheilt noch ein Mittel gegen eine Krankheit mit Erfolg angewandt werden, wenn man nicht vorher durch eine scharfsinnige Untersuchung den Ursprung und die Ursachen derselben aufzufinden sucht. Luzifer nämlich, mit himmlischem Glanze umkleidet und unter den übrigen höheren Mächten in dem Reichthume des Schöpfers strahlend, glaubte den Glanz der Weisheit und die Schönheit der Tugend, womit ihn die Gnade des Schöpfers geziert hatte, kraft seiner Natur, nicht durch Gottes gnädige Freigebigkeit zu besitzen. Und darüber stolz geworden, als ob er, um in dieser Klarheit zu verharren, Gottes Hilfe nicht bedürfe, erachtete er sich Gott gleich, da er ja gleich Gott Niemandes bedürfe; denn er vertraute auf die Kraft seines freien Willens, durch die, wie er glaubte, ihm reichlich Alles zufließen würde, was zur Vollendung in den Tugenden und zur Ewigkeit der höchsten Glückseligkeit gehöre. Dieser eine Gedanke wurde ihm zum ersten Falle. Wegen dieses Gedankens von Gott verlassen, dessen er nicht mehr zu bedürfen glaubte, wurde er plötzlich unstät und wankend, und die Schwäche seiner eigenen Natur gründlich fühlend verlor er die Glückseligkeit, die er durch Gottes Gnade genoß. Und weil er die Worte des Sturzes geliebt hatte, indem er gesprochen: „In den Himmel will ich steigen,“ und eine trügerische Zunge, mit der er sowohl von sich sagte: „Gleich will ich dem Allerhöchsten sein.“ als auch zu Adam und Eva sprach: „Ihr werdet sein wie Götter.“ deßhalb hat Gott ihn auf immer verdorben, ihn hinweggerafft und ihn gerissen aus seinem Zelte und seine Wurzeln aus dem Lande der Lebendigen. Sehen werden dann seinen Sturz die Gerechten und sich fürchten und über ihn lachen und sagen: „Siehe da der Mann, welcher Gott nicht gemacht zu seinem Helfer, sondern vertraut hat auf seines Reichthums Fülle und übermächtig war in seinem Aberwitze.“

Aller Sünden Keim sproßt aus dem Stolz hervor.

Dieser Gedanke ist die erste Ursache des Sturzes und der Hauptursprung der Krankheit. Diese hinwiederum ging durch Den, der sich selbst gestürzt hatte, auf den ersten Menschen über und erzeugte so die Krankheit und den Stoff zu allen Sünden. Denn indem er die Herrlichkeit der Gottheit in Folge der Freiheit seines Willens und durch seine eigene Thätigkeit erlangen zu können glaubte, verlor er auch jene Herrlichkeit, die ihm des Schöpfers Gnade verliehen hatte.

Die Sünde des Stolzes ist in der Ordnung des Kampfes die letzte, jedoch der Zeit und dem Ursprunge nach die erste.

Es erhellt aus den Beispielen und Zeugnissen der heiligen Schrift ganz deutlich, daß die Sünde des Stolzes wohl in der Reihe der Kämpfe zuletzt steht, jedoch dem Ursprunge nach früher zu stehen kommt, da sie aller Sünden und Laster Anfang ist, und daß sie ferner nicht, wie die übrigen Sünden, bloß die ihr entgegenstehende Tugend, nämlich nur die Demuth vernichtet, sondern daß sie auch die Mörderin aller Tugenden zumal ist, und endlich nicht nur Diejenigen versucht, die nur geringe oder mittelmäßige Fortschritte in der Tugend gemacht haben, sondern hauptsächlich jene, die auf dem Gipfel der Tugend stehen. Denn also spricht von diesem Geiste der Prophet: „Seine Speise ist ausgewählt.“ Und obwohl der selige David die geheimen Gedanken seines Herzens mit solcher Umsicht bewachte daß er zu Dem, welchem die Geheimnisse seines Gewissens nicht verborgen waren, rufen konnte: „Herr, nicht hat sich erhoben mein Herz, und nicht sind stolz geworden meine Augen, und nicht erging ich mich in großen, in wunderbaren Sachen über mir; fürwahr, demüthig dacht‘ ich;“ und ferner: „Nicht soll wohnen inmitten meines Hauses, wer Übermuth verübt“: so war er sich doch bewußt, wie schwierig auch für die Vollkommenen die Wachsamkeit in dieser Beziehung sei. Darum wagt er sie nicht von seinen eigenen Bemühungen zu hoffen, sondern fleht im Gebete die Hilfe Gottes an, daß es ihm vergönnt sei, unverwundet dem Geschoße dieses Feindes zu entrinnen, indem er spricht: „Nicht trete auf mich der Fuß des Übermuthes.“ Denn er fürchtet der Strafe zu verfallen, welche den Hochmüthigen angedroht ist mit den Worten: „Gott widersteht den Stolzen;“ und ferner: „Unrein ist vor Gott Jeder, der sein Herz erhebt.“

 

So groß ist das Übel des Stolzes, daß es Gott selbst zum Widersacher zu haben verdient.

Wie groß muß das Übel des Hochmuthes sein, da es nicht einen Engel, nicht andere Tugenden zum Gegner, sondern Gott selbst zum Widersacher zu haben verdient! Man muß nämlich darauf Acht haben, daß es keineswegs von Jenen, die in die übrigen Laster verstrickt sind, heißt, Gott widerstehe ihnen, z. B. Gott widerstehe den Bauchdienern, den Unzüchtigen, den Zornigen, den Geizigen, sondern nur den Stolzen. Denn jene Sünden kehren sich entweder nur gegen jeden betreffenden Sünder, oder sie scheinen gegen Die, welche daran Theil haben. d. h. gegen andere Menschen begangen zu werden; diese aber richtet sich im eigentlichen Sinne gegen Gott und verdient deßhalb ihn in besonderer Weise zum Gegner zu haben.

Gott hat den Stolz des Teufels durch die Tugend der Demuth ertödtet.

Deßhalb war Gott, der Schöpfer und Heiland der Welt, der in dem Stolze die Ursache und den Anfang aller Krankheiten erkannte, Entgegengesetztes mit Entgegengesetztem zu heilen besorgt, damit Das, was durch den Stolz gefallen war. durch die Demuth sich wieder erheben solle. Denn Jener (Luzifer) sprach: „Zum Himmel will ich hinaufsteigen.“ Dieser (der Heiland) durch den Mund des Psalmisten: „Gebeugt zur Erde ist meine Seele.“ Jener sagt: „Dem Höchsten will ich gleich sein;“ als Dieser in der Gestalt Gottes war, entäusserte er sich selbst und nahm die Gestalt des Knechtes an, erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode. Jener spricht: „Ueber die Sterne des Himmels will ich meinen Thron erhöhen;“ Dieser: „Lernet von mir, denn ich bin demüthig und sanftmüthig von Herzen.“ Jener sagt: „Ich kenne keinen Herrn und werde Israel nicht entlassen;“ Dieser sagt: „Wenn ich sagen würde, ich kenne ihn nicht, so wäre ich gleich euch ein Lügner; aber ich kenne ihn und halte seine Gebote.“ Jener rühmt sich: „Mein sind die Flüsse, und ich machte sie;“ Dieser spricht: „Ich kann aus mir selbst Nichts thun sondern mein Vater, der in mir wohnt, er thut die Werke.“ Jener spricht: „Mein sind alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und wem ich will, dem gebe ich sie;“ Dieser aber ist arm geworden, obwohl er reich war. damit wir durch seine Dürftigkeit reich würden. Jener prahlt: „Wie man die übriggelassenen Eier sammelt, so habe ich alle Länder gesammelt, und es war Niemand, der, wie ein Vogel, nur eine Feder bewegte, der seinen Mund öffnete und athmete.“ Dieser spricht: „Dem Pelikan in der Wüste bin ich ähnlich geworden, ich habe gewacht und bin geworden wie die Eule, einsam im Bauwerke.“ Jener sagt: „Ich habe mit dem Tritte meines Fußes alle Bäche ausgetrocknet;“ Dieser: „Könnte ich nicht meinen Vater bitten, und er würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel senden?“ Wenn wir die Ursache des ersten Falles und zugleich die Grundlage unseres Heiles erwägen, wenn wir bedenken, was den Teufel veranlaßte, sich zu rühmen, und Christus, demüthig zu reden, so werden wir durch den Fall des ersteren und das Beispiel des Letzteren belehrt werden, wie wir dem jähen Tode entgehen können, den uns der Hochmuth bereiten will.

Auch wir vermögen den Stolz zu überwinden.

Darum werden wir dieser Schlinge des verruchtesten aller Geister nur dann zu entrinnen im Stande sein, wenn wir bei jedem einzelnen Fortschritte, den wir nach unserer Beobachtung in der Tugend machen, mit dem Apostel sprechen: „Nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“ und: „Gott ist es, der in uns wirket das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen;“ sagt ja doch auch der Urheber unseres Heiles: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr Nichts thun;“ und: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, bauen die Bauleute umsonst; wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, wacht der Wächter umsonst;“ und: „Vergeblich ist’s, vor Tagesanbruch aufzustehen:“ „denn nicht ist es Sache des Wollenden noch des Laufenden, sondern des erbarmenden Gottes.“

Niemand kann vollkommene Tugend noch die verheissene Glückseligkeit einzig aus eigener Kraft erringen.

Niemandes Wille und Lauf, mag er noch so sehr wollen und laufen, kann so geschickt sein, daß er, umkleidet mit dem Fleische, das dem Geiste widerstrebt, einen solchen Preis der Vollkommenheit und eine solche Palme der Reinheit und Unbeflecktheit erreichen kann, daß er zu dem Ziele, das er eifrig will, und zu dem er hineilt, zu gelangen verdient, wenn ihn Gottes gnadenreiche Erbarmung nicht stützt. Denn „alle gute Gabe und jegliches vollkommene Geschenk kommt von oben, kommt vom Vater des Lichtes;“ „denn was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“

David’s und des frommen Schächers Beispiel bestätigt diese Wahrheit.

Wenn wir jenen Schächer, der einzig wegen seines Bekenntnisses in das Paradies aufgenommen wurde, uns vor die Seele führen, so müssen wir erkennen, daß er nicht durch das Verdienst seines Laufes eine solche Glückseligkeit erlangt habe, sondern daß sie ihm durch die Gnade des erbarmenden Gottes zu Theil geworden sei. Oder wenn wir uns erinnern, daß des Königs David zwei so schwere und große Verbrechen durch ein einziges Reuegebet getilgt wurden, so werden wir sehen, daß auch bei David die Verdienste seines Leidens nicht hinreichten, um die Verzeihung einer so großen Sünde zu erlangen, sondern daß Gottes Gnade überschwänglich war, die in Verbindung mit einer wahren Reue diese großen Sünden bei dem in einem Worte Alles umfassenden Bekenntnisse tilgte.

Betrachten wir auch den Anfang der Berufung und Rettung des Menschen, welche uns nicht aus uns noch aus unsern Werken, wie der Apostel sagt, sondern durch Gottes Güte und Gnade zu Theil wurde, so können wir klar erkennen, wie die Höhe der Vollkommenheit nicht Sache des Wollenden noch des Laufenden, sondern des begnadigenden Gottes ist, der, ohne das Verdienst unserer Arbeiten und unseres Laufes abzuwägen, uns über die Sünden Sieger sein läßt und, ohne das Streben unseres Willens strenge anzurechnen, uns unser Fleisch unterwerfen und den Gipfel der Heiligkeit ersteigen läßt. Denn kein körperliches Leiden und keine Zerknirschung des Herzens besitzt einen zur Erlangung jener wahren Reinheit des inneren Menschen hinreichenden Werth, so daß der Mensch eine so große nur den Engeln angeborene Tugend der Keuschheit und den Besitz der himmlischen Heimatb bloß durch menschliche Anstrengung o. h. ohne göttliche Hilfe zu erlangen im Stande wäre. Denn das Wirken eines jeden guten Werkes fließt aus der Gnade Dessen, der eine solche ewige Glückseligkeit und unermeßliche Herrlichkeit unserem geringen guten Willen und unserem kurzen und kleinen Laufe in grenzenloser Freigebigkeit geschenkt hat.

Es gibt kein Leiden, das mit der verheissenen Glückseligkeit sich vergleichen lassen könnte.

Auch das längste Menschenleben verschwindet, wenn man die Ewigkeit der künftigen Herrlichkeit betrachtet; und alle Schmerzen entfliehen bei der Betrachtung jener unendlichen Glückseligkeit, und sie zerfließen, wie Rauch zu einem Nichts verduftet, und gleich der Asche erscheinen sie nirgends.

Überlieferung der Väter über die Erlangung der Reinheit.

Doch es ist Zeit, daß wir die Lehre der Väter gerade mit den Worten, mit denen sie dieselbe überliefern, anführen, und zwar die Lehre jener Väter, die den Weg der Vollkommenheit und seine Beschaffenheit nicht mit Wortschwall dargestellt, sondern vielmehr im Werke und in der Tugend besessen und ihn durch ihre eigene Erfahrungen und ganz zuverläßige Beispiele gelehrt haben. Sie behaupten also, nicht könne Einer gründlich sich von den Fleischessünden rein machen, wenn er nicht einsehe, daß alle seine Mühe und Anstrengung zum Zwecke einer so großen Vollkommenheit nicht ausreichen könnte, und wenn er, nicht so sehr durch die Anleitung eines Lehrers, als durch die eigene Neigung, Kraft und Erfahrung belehrt, nicht erkenne, daß man dieselbe nur durch Gottes Hilfe und Erbarmung erlangen kann. Denn welche Anstrengung des Fastens, der Nachtwachen, der Lesung, Einsamkeit und Zurückgezogenheit man auch auf die Erreichung so herrlicher und erhabener Preise der Reinheit und Heiligkeit verwenden mag, niemals wird man die Kraft besitzen, durch das Verdienst eigener Thätigkeit und Anstrengung dieselbe zu erlangen. Denn nimmer wird die eigene Anstrengung und menschliches Bemühen Gottes Gabe aufwiegen, es sei denn dem Verlangen des Menschen durch die Gnade Gottes so verliehen.

Denen, welche sich Mühe geben, wird Gottes Hilfe zu Theil.

Nicht sage ich Dieß, um den menschlichen Bemühungen allen Werth abzusprechen und so Jemanden von dem Eifer und dem Vorsatze mühevoller Anstrengung abziehen zu wollen; sondern standhaft nicht bei meiner, sondern bei der Väter Ansicht beharrend behaupte ich, daß die Vollkommenheit ohne diese menschlichen Anstrengungen sich überhaupt gar nicht erreichen lasse, daß sie aber durch dieselbe allein ohne Gottes Gnade von Niemandem zu Stande gebracht werden könne. Denn wie wir behaupten, daß menschliche Bemühungen ohne Gottes Gnade, durch sich selbst, die Vollkommenheit nicht erreichen könnten, so erklären wir auch, daß nur Jenen, die sich anstrengen und abmühen, die Erbarmung und Gnade Gottes zu Theil werde und, um mit dem Apostel zu reden, den Wollenden und Laufenden geschenkt werde nach jenem Worte des achtundachtzigsten Psalmes, das Gott in den Mund gelegt wird: «Geliehen habe ich Beistand einem Helden und erhöhet einen Erkorenen aus meinem Volke.“ Auch sagen wir nach den Worten des Erlösers, daß gegeben werde den Bittenden, aufgethan werde den Anklopfenden, gefunden werde von den Suchenden; aber unser Bitten, Suchen und Anklopfen hat kein Verdienst, wenn nicht die Barmherzigkeit Gottes Das gibt, um was wir bitten, und öffnet, wo wir anklopfen, und Das, was wir suchen, uns auch finden läßt. Denn er ist bereit, Dieß alles zu gewähren, wenn ihm nur von uns die Gelegenheit des guten Willens geboten wird. Denn mehr als wir erwartet und ersehnt er unsere Vervollkommnung und Heiligung. Und so sehr war der fromme David davon überzeugt, daß ein Erfolg seines Wirkens und seiner Bemühung durch seine eigene Anstrengung nicht erzielt werden könne, daß er von dem Herrn die Leitung seiner Werke in wiederholtem Gebet mit den Worten begehrte: „Und unserer Hände Werk leite über uns, und das Werk unserer Hände leite;“ und: „Bekräftige das, o Gott, was du in uns gewirkt hast!“

Von wem sollen wir den Weg der Vollkommenheit lernen?

Wenn wir daher zur wahren Vollendung der Tugenden in Wirklichkeit und in der That gelangen wollen, so müssen wir auf jene Lehrer und Führer hören, die nicht in eitler Rede von ihr träumen, sondern sie in der That und Übung erfassen und darum auch uns dieselbe lehren und uns zu ihr hinführen und den Weg. auf dem wir zu ihr gelangen, auf sicherem Pfade zeigen können; bezeugten sie ja doch, mehr durch vertrauensvolle Hingabe an Gott als durch das Verdienst ihrer Werke zur Vollkommenheit gelangt zu sein. Ihnen verlieh auch die Reinheit ihres Herzens diesen Vorzug mehr und mehr zu erkennen, daß sie von ihren Sünden niedergedrückt würden. Denn in dem Maße mehrte sich in ihnen täglich der Schmerz über ihre Vergehen, als die Reinheit des Herzens Fortschritte machte und stets aus der Tiefe ihres Herzens Seufzer emporstiegen, weil sie fühlten, wie sie nicht selbst die Brandmale und Flecken der Sünden zu meiden im Stande seien, welche ihnen durch vielfache kleinliche Gedanken eingebrannt wurden. Und deßwegen hofften sie den Lohn des künftigen Lebens nicht von dem Verdienste ihrer Werke, sondern von Gottes Barmherzigkeit. Im Gegensatz zu Andern legten sie auf die innere Wachsamkeit gar kein so großes Gewicht, da sie ja auch diese nicht ihrer Bemühung, sondern Gottes Gnade zuschrieben; und nicht huldigten sie der Nachläßigkeit der Niederen und Lauen, sondern suchten vielmehr aus der Betrachtung Jener, die sie wahrhaft von Sünden frei und im Himmelreich schon im Genusse der ewigen Glückseligkeit wußten, beständige Demuth, und wandten sie durch diese Betrachtung sowohl den Sturz des Hochmuthes ab, wie sie auch immer ein Ziel ihres Strebens und einen Grund zur Betrübniß fanden; denn sie erkannten, daß sie zur ersehnten Herzensreinheit bei dem Widerstand, den die Last des Fleisches leistet, nicht selbst gelangen könnten.

Ohne Gottes Erbarmung und Erleuchtung können wir nicht einmal um die Erlangung der Vollkommenheit uns bemühen.

Also müssen wir nach den Überlieferungen und Belehrungen der Väter auf diese Weise nach Erlangung der Vollkommenheit streben und uns der Fasten, der Nachtwachen, des Gebetes, der leiblichen und geistigen Zerknirschung befleissen, damit wir Dieß alles durch den Einfluß dieser Krankheit nicht seines Werthes berauben. Denn nicht nur müssen wir in dem Glauben leben, daß wir die Vollkommenheit an sich nicht durch unser Bemühen erlangen können, sondern nicht einmal Das, was wir mit Rücksicht auf dieselbe üben, nämlich unsere Anstrengungen, Versuche und Bestrebungen ohne die Hilfe des göttlichen Schutzes und die Gnade seiner Eingebungen, Züchtigung und Ermahnung nicht vollbringen können; und diese pflegt er entweder durch einen Andern oder selbst, durch seine eigene Heimsuchung in unsere Herzen gnädig einzugießen.

Verschiedene Zeugnisse, nach denen wir in Dingen unseres Heiles ohne Gottes Hilfe Nichts vollbringen können.

Zuletzt belehrt uns der Urheber unseres Heiles nicht nur, welche Gesinnung wir bei jedem einzelnen Werke, das wir verrichten, haben müssen, sondern auch, was wir dabei bekennen sollen. „Nicht kann ich.“ sagt er „Etwas aus mir selbst thun: der Vater aber, der in mir wohnt, er thut die Werke.“ Er sagt seiner angenommenen Menschennatur nach, daß er aus sich selbst Nichts thun könne: und wir, Staub und Asche, wähnen in dem, was unser Heil betrifft, Gottes Hilfe nicht zu bedürfen! Lernen wir daher in dem Gefühl unserer Schwäche in allen Dingen und zugleich im Vertrauen auf seine Hilfe täglich mit den Heiligen ausrufen: „Gedrängt, gestoßen ward ich, daß ich fallen sollte, aber der Herr nahm mich auf. Meine Stärke und mein Lob ist der Herr, und er ward mir zum Heile;“ und: „Wenn nicht der Herr mir geholfen, hätte schier wohnen müssen im Todtenreich meine Seele. Sprach ich: „Es wankt mein Fuß.“ da half, Herr, dein Erbarmen mir. Bei der Menge meiner Sorgen in meinem Herzen erfreuen deine Tröstungen meine Seele.“ Sehen wir auch unser Herz in der Furcht Gottes und Geduld befestigt, so laßt uns sprechen: „Und es ward der Herr meine Veste und führte mich heraus in’s Weite.“ Erkennen wir, daß sich auch unser Wissen durch einen guten Fortschritt unserer Arbeiten mehret, so laßt uns sagen: „Denn du, o Herr, machest licht meine Leuchte, mein Gott, erhelle meine Finsterniß; denn durch dich ward ich entrissen aus Versuchung, und mit meinem Gotte überspring‘ ich Mauern.“ Bemerken wir ferner, daß auch wir Kraft im Ertragen errungen haben und uns auf dem Pfade der Tugenden leichter und ohne Mühe leiten lassen, so laßt uns sprechen: „Gott, der du mich umgürtet hast mit Kraft und makellos gemacht hast meinen Weg, der du geschaffen hast meine Füße wie die eines Hirsches und mich auf Höhen gestellt hast, der unterwiesen meine Hände zu dem Kriege.“ Haben wir auch Klugheit erlangt, durch die gestärkt wir unsere Feinde aus dem Felde schlagen können, so rufen wir zu Gott: „Und deine Führung lenkt mich bis zu Ende, und deine Führung, sie belehret mich. Raum gabst du meinen Schritten unter mir, und nicht wankten meine Tritte.“ Und weil ich so durch deine Weisheit und Kraft gestärkt bin, will ich mit Vertrauen auch die folgenden Worte sprechen: „Ich verfolgte meine Feinde und ergriff sie und kehrte nicht um, bis sie erlagen. Ich schmetterte sie nieder, und sie konnten nicht erstehen, hin stürzten sie unter meine Füße.“ Wieder unserer Schwäche eingedenk und im Bewußtsein, daß wir, mit gebrechlichem Leibe umkleidet, die Sünden, jene heftigen Feinde, ohne Gottes Hilfe nicht überwinden können, laßt uns sprechen: „Durch dich werfen wir unsere Feinde mit dem Horn, und in deinem Namen verachten wir Die, so sich erheben wider uns. Denn nicht auf meinen Bogen werd‘ ich hoffen, und mein Schwert wird mir nicht Heil verschaffen. Denn du schaffest uns Heil vor unsern Drängern und machest zu Schanden, die uns hassen.“ „Aber auch mit Kraft gürtetest du mich zum Kriege und warfst, die wider mich gestanden, unter mich: und gabst mir meiner Feinde Rücken preis, und die mich hassen, sie vertilgtest du.“ Aber wenn wir auch bedenken, daß wir nicht mit unseren Waffen siegen können, so wollen wir sprechen: „Ergreife Wehr und Schild, erhebe dich, mir zur Hilfe.“ „Du hast festgemacht wie eherne Bogen meine Arme und gabest mir die Schutzwehr deines Heiles, und deine Rechte stützet mich.“ „Denn nicht durch ihr Schwert nahmen unsere Väter das Land in Besitz, und ihr Arm half ihnen nicht; sondern deine Rechte, und dein Arm, und deines Antlitzes Licht, weil du Gefallen gehabt an ihnen.“ Lassen wir zuletzt alle seine Wohlthaten an unserm bekümmerten Geiste vorüberziehen, zugleich ihm Dank sagend für alles Dieß, daß wir gestritten und Erleuchtung in der Weisheit und Unterweisung in der Klugheit von ihm erhalten haben, und daß er uns mit seinen Waffen ausgerüstet und mit dem Gürtel der Tugend bewahrt hat und uns den Rücken unserer Feinde preisgegeben und die Kraft verliehen hat, sie zu zerstreuen, wie den Staub vor dem Angesichte des Windes, so rufen wir zu ihm mit dem innigsten Gefühle unseres Herzens: „Lieben will ich dich, Herr, meine Stärke. Herr, meine Veste und meine Zuflucht und mein Erretter, mein Gott, mein Helfer, und ich vertraue auf ihn. Mein Schirmherr, meines Heiles Horn, der mich aufnimmt! Lobpreisend rufe den Herrn ich an, und von meinen Feinden bin ich erlöset.“

Nicht nur in der Ordnung der Natur, sondern auch der steten Vorsehung werden wir mit Gottes Gnade bewaffnet.

Nicht bloß dafür müssen wir uns gegen Gott dankbar erweisen, daß er uns als vernünftige Wesen geschaffen, uns mit der Macht des freien Willens ausgestattet, die Gnade der Taufe geschenkt und uns die Kenntniß des Gesetzes und Beistand verliehen hat, sondern auch für Das, was uns, Dank seiner steten Fürsorge für uns, zu Theil wird: nämlich daß er uns von feindlichen Nachstellungen befreit, daß er mit uns wirkt, damit wir die Sünden des Fleisches überwinden können, daß er auch ohne unser Wissen uns vor Gefahren schützt, daß er uns gegen den Fall in die Sünde stärkt, daß er uns Hilfe und Erleuchtung spendet, damit wir seine Hilfe (unter der Einige nur das Gesetz verstehen wollen) zu verstehen und zu erkennen vermögen, daß wir für unsere Nachläßigkeiten und Vergehen in Folge seiner Einsprechung unzweifelhafte Reue und Zerknirschung fühlen, daß er sich würdigt, uns heimzusuchen und uns eine recht heilsame Züchtigung angedeihen zu lassen, daß wir von ihm zuweilen gleichsam wider unsern Willen zum Heile gezogen werden, weil er endlich gar unsern freien Willen, der gar leicht zu Sünden herabsinkt, zu einer besseren Frucht lenket und durch die Heimsuchung seiner Einsprechungen zum Wege der Tugend hinwendet.

Dieser Glaube von der Gnadenhilfe Gottes ist ein Erbe der Väter.

Das eigentlich ist Demuth gegen Gott, das der reine Glaube der ältesten Väter, der bei ihren Nachkommen unversehrt bis beute fortdauert. Diesem Glauben geben die apostolischen Tugenden, welche oft an den Vätern sich gezeigt haben, nicht allein bei uns, sondern auch bei den Ungläubigen unbezweifeltes Zeugniß. Diese mit ihrem einfältigen Glauben im einfältigen Herzen nahmen ihn nicht durch dialektische Vernunftschlüsse oder tullianische Beredsamkeit in einen weltlich gesinnten Geist auf, sondern fanden aus augenfälligen Zeichen, daß in einem reinen Lebenswandel, einer lauteren Handlungsweise und in der Besserung von Sünden und, besser gesagt, in diesem Glauben selbst das Wesen der Vollkommenheit enthalten sei, ohne welche man weder Gottesliebe noch Sündenreinheit, noch Besserung der Sitten, noch Vollendung der Tugenden erreichen kann.

Von Einem, der wegen Gotteslästerung einem unreinen Geiste anheimfiel.

Ich kenne einen Bruder, den ich gar nicht zu kennen wünschte; dieser ließ sich nämlich später denselben Grad der Weihe aufbürden, mit dem ich bekleidet war. Er bekannte einem sehr erprobten Oberen, daß er von der Sünde des Fleisches auf das Heftigste angefochten werde; denn gegen die Gewohnheit der Natur von dem Verlangen ergriffen, eher Schmach zu dulden als zuzufügen, wurde er von einer unerträglichen Gluth der Wollust verzehrt. Sofort durchschaute der Abt als wahrer Seelenarzt die innere Ursache und den Ursprung dieser Krankheit. Denn schwer seufzend sprach er: „Keineswegs hätte dich Gott einem so verruchten Geiste anheimfallen lassen, wenn du nicht irgendwie gegen ihn gelästert hättest.“ Kaum hatte er Dieß gehört, so warf er sich vor dessen Füßen zur Erde nieder, und von der höchsten Verwunderung ergriffen, als sähe er von Gott die Geheimnisse seiner Brust aufgedeckt, bekannte er, gegen Gottes Sohn mit frevelhaftem Gedanken gelästert zu haben. Hieraus erhellt deutlich, daß der, den der Geist des Stolzes in Besitz hat oder der gegen Gott lästert und Demjenigen gleichsam em Unrecht zur Last legt, von dem er die Gabe der Reinheit zu hoffen hat, die unverletzte Vollkommenheit und Heiligkeit der Keuschheit nicht verdient.

Was der König Joas von Juda durch seinen Hochmuth verdient hat.

Etwas Ähnliches lesen wir im Buche Paralipomenon. Nämlich Joas, der König von Juda, wurde im siebenten Lebensjahre von dem Hohenpriester Jojada zur Regierung gezogen und, solange der erwähnte Hohepriester lebte, in allen Dingen von dem heiligen Geiste gelobt. Höre, was nach des Jojada Tode die heilige Schrift von ihm erzählt, und wie er, vom Stolze aufgeblasen, einer schmählichen Leidenschaft anheim fiel. „Als aber Jojada gestorben war, kamen die Fürsten von Juda, verehrten den König, und erweicht durch ihre Bitten gab er ihnen nach. Und sie verließen den Tempel des Herrn, des Gottes ihrer Väter, und dienten Hainen und Schnitzbildern; und Zorn entstand über Juda und Jerusalem ob dieser Sünde.“ Und bald darauf heißt es: „Und als ein Jahr abgelaufen war, da zog heran gegen ihn ein Heer von Syrien und kam nach Juda und Jerusalem und tödtete alle Fürsten des Volkes; und sie schickten die ganze Beute dem Könige nach Damaskus. Und sicherlich, da eine sehr mäßige Zahl Syrer gekommen war, gab der Herr die unzählige Menge in ihre Hände, dafür, daß sie verlassen hatten den Herrn, den Gott ihrer Väter; auch an Joas hatten sie geübt schmähliches Gericht. Und als sie abzogen, verließen sie ihn in großen Leiden.“ Du siehst hier, welch‘ schändlichen und schmutzigen Leidenschaften der Stolz anheim zu fallen verdient. Denn wer vom Hochmuth aufgeblasen sich wie Gott verehren läßt, wird nach dem Apostel schandbaren Leidenschaften und einem verworfenen Sinne dahingegeben, damit er Solches leide, was sich nicht ziemt. Und weil nach dem Worte der heiligen Schrift unrein vor Gott Jeder ist, der sein Herz erhebt, wird Derjenige, der von stolzer Erhebung des Herzens sich aufblähen ließ, zu seiner Beschämung der schmachvollsten Verwirrung preisgegeben, damit er, also gedemüthigt, fühle, daß er durch Unreinheit des Fleisches oder durch das Bewußtsein einer unlauteren Leidenschaft unrein sei, was er wegen der Erhebung seines Herzens nicht fühlen wollte; und damit die schmähliche Krankheit des Fleisches die verborgene Unreinheit des Herzens offenbare, die er sich durch das Uebel des Stolzes zugezogen hatte, und durch die äussere Befleckung seines Leibes Jener unrein befunden werde, der in Folge der Ueberhebung seines Geistes nicht merkte, daß er unrein geworden war.

Jede stolze Seele wird zu ihrer Beschämung den bösen Geistern unterworfen.

Die obige Erzählung beweist klar, daß jede von dem Dünkel des Stolzes in Besitz genommene Seele syrischen Geistern d. h. bösen Geistern überliefert und in die Leidenschaften des Fleisches verstrickt wird, damit sie wenigstens, durch gemeine Sünden gedemüthigt, sich fleischlich unrein und befleckt erkenne, sie, die vorher wegen Geisteslauheit sich nicht aufrichten und wegen Geisteserhebung nicht erkennen konnte, daß sie in Gottes Augen unrein geworden sei. Auf diese Weise gedemüthigt, fühlt sich der Mensch mächtig genug, die frühere Lauheit aufzugeben, und durch die Schande fleischlicher Leidenschaften gestürzt und beschämt kann er in Zukunft um so feuriger dem Eifer eines geistigen Lebens sich hinzugeben bestrebt sein.

Nur durch die Tugend der Demuth läßt sich der Gipfel der Vollkommenheit erreichen

So ist es also klar erwiesen, daß man das Ziel der Vollkommenheit und Reinheit nur durch wahre Demuth erreichen kann, die man hauptsächlich gegen die Mitbrüder betätigen und auch Gott im Innern des Herzens erweisen soll, beseelt von dem Glauben, daß man ohne Gottes Schutz und stete Hilfe die Vollkommenheit, die man erstrebt, und zu der man mit großer Anstrengung hineilt, gar nicht erlangen kann.

Wer von geistigem und wer von fleischlichem Hochmuthe geplagt wird.

Was wir bisher, soweit es unsere geringen Geistesgaben vermochten, von dem geistigen Hochmuthe gesagt haben, von dem, wie bemerkt, nur die Vollkommenen geplagt werden, das mag genügen. Diese Art Hochmuth ist von Vielen gar nicht gekannt, weil auch nicht gar Viele die vollkommene Reinheit des Herzens zu erreichen streben, um zu dieser Stufe des Kampfes gelangen zu können, noch auch um eine gründliche Reinigung von den vorausgehenden Sünden sich bemühen, deren Wesen und Heilmittel wir in einzelnen Abhandlungen vorausgeschickt haben; vielmehr pflegt dieser Hochmuth nur Diejenigen zu Plagen, die nach Besiegung der früheren Fehler beinahe auf dem Gipfel der Tugenden stehen. Weil Solche der schlaue Feind nicht durch einen Fall in Fleischessünden besiegen konnte, versucht er sie durch einen geistigen Sturz zum Falle zu bringen und will durch diesen Sturz sie aller mit vieler Mühe erworbener Verdienste der früheren guten Werke berauben. Uebrigens würdigt er uns, die wir noch in niederen Leidenschaften verstrickt sind, keineswegs dieser Art Versuchung, sondern bringt uns durch eine grobe und, so zu sagen, fleischliche Hoffart zum Falle. Und deswegen halte ich es für nothwendig, über diesen Hochmuth, von dem hauptsächlich wir und Leute von unserer Beschaffenheit und vorzüglich der Geist der Jüngeren und Anfänger im geistigen Leben gefährdet zu sein pflegten, gemäß unseres Versprechens Einiges zu sagen.

Beschreibung des fleischlichen Hochmuthes.

Hat also dieser fleischliche Hochmuth, wie wir ihn genannt haben, bei einem lauen und zum Unglücke in eiliger Hast gemachten Anfange der Bekehrung im Geiste des Mönches sich eingenistet, so läßt er ihn von der ehemaligen weltlichen Aufgeblasenheit nicht zur wahren Demuth Christi herabsteigen und macht ihn zuerst ungehorsam und mürrisch, und dann läßt er ihn nicht milde und freundlich sein. Auf Gleichheit und Gemeinschaft mit den Brüdern zu sehen, erlaubt er ihm nicht; auch duldet er nicht, daß er nach dem Gebote Gottes und unseres Erlösers sich der irdischen Reichthümer gänzlich beraube. Und obwohl die Entsagung nichts Anderes ist als das Kennzeichen der Abtödtung und des Kreuzes und auf keiner anderen Grundlage gründen und sich erheben kann, als daß man sich für die Werte dieser Welt geistig getödtet weiß und auch täglich dem Leibe nach sterben zu können glaubt, so läßt dagegen dieser Hochmuth den Menschen auf ein langes Leben hoffen, hält ihm lange und viele Krankheiten vor und flößt ihm Bestürzung und Scham ein. Wenn er, von Allem entblößt, von fremden und nicht von den eigenen Mitteln zu leben begonnen hat, so redet dieser Hochmuth ihm zu, daß es viel besser sei, wenn er sich Nahrung und Kleidung eher mit seinem als mit fremdem Vermögen verschaffe, und zwar nach jenem biblischen Worte, dessen Sinn in Folge eines solchen Stumpfsinnes und einer solchen Lauheit des Herzens man gar nimmer zu verstehen vermag: „Glückseliger ist es zu geben als zu empfangen.“

Wer auf einen schlechten Grund baut, fällt täglich tiefer.

Von solchem inneren Mißtrauen erfüllt und von dem Funken des Glaubens, von dem sie im Anfange ihrer Bekehrung entzündet schienen, durch den Unglauben des Teufels weggezogen beginnen sie, das Geld, das sie zuvor auszugeben angefangen hatten, sorgfältiger zu hüten, und als ob es, einmal beseitigt, nicht mehr zu erlangen sei, bewahren sie es mit noch ärgerer Habsucht auf, oder, was noch schlimmer ist, Das, was sie früher weggegeben hatten, ziehen sie wieder an sich, oder, was die dritte und schlimmste Art von Bosheit ist, sie scharren gar Solches, was sie nicht einmal vorher besessen hatten, zusammen und beweisen dadurch, daß sie nach ihrem Austritt aus der Welt Nichts als den Namen eines Mönches angenommen haben. Ueber diesen schlecht und fehlerhaft gelegten Grundlagen nun muß sich dann das ganze Gebäude der Sünden erheben, und Nichts läßt sich über einem so schlechten Fundamente aufbauen, ohne daß es der unglücklichen Seele einen noch kläglicheren Sturz bereite.

Schilderung der aus der Krankheit des Stolzes erzeugten Sünden.

Durch solche Leidenschaften verhärtet und mit einer solchen Lauheit beginnend macht die Seele notwendig täglich Fortschritte im Schlechten und beschließt ihr übriges Leben mit einem noch schlimmeren Ende; und indem sie an den früheren Leidenschaften Gefallen findet und, wie der Apostel sagt, von der gottesräuberischen Habsucht sich besiegen läßt, von welcher gleichfalls der Apostel sagt: „Welche ist Bilder- oder Götzendienst.“ und ferner sagt: „Denn die Wurzel aller Uebel ist die Habsucht,“ kann sie nimmer die einfältige und wahre Demuth Christi in sich aufnehmen. Denn er brüstet sich entweder mit dem Adel seiner Geburt oder läßt sich aufblähen von einer ehemals in der Welt bekleideten Würde und bekundet dadurch, daß er sie bloß dem Leibe, nicht aber dem Geiste nach verlassen hat, oder er wird stolz auf das Geld, das er zu seinem Verderben zurückbehalten. Dieß alles wird ihm die Ertragung des klösterlichen Joches und die Belehrung durch einen Anderen gründlich verleiden. Denn wer immer von der Krankheit des Stolzes beherrscht wird, hält es nicht nur unter seiner Würde, irgend eine Regel der Unterordnung und des Gehorsams zu erfüllen, sondern leiht nicht einmal der Lehre der Vollkommenheit sein Ohr; und dergestalt wächst in seinem Herzen der Ueberdruß am geistigen Worte, daß, wenn einmal eine solche Unterhaltung begonnen hat, sein Blick nicht an einem Orte zu verweilen weiß, sondern hierhin und dorthin der stumpfsinnige Blick schweift, nach dieser und jener Seite hin die Augen sich wenden. Statt heilsamer Seufzer kommt Speichel aus trockenem Halse, auch Verwünschungen werden ausgestoßen, ohne irgendwie den Auswurf des Schleimes zu unterbrechen; die Finger spielen, und gleichsam als schrieben sie Etwas, fliegen sie hin und her und malen. So drehen sich alle Glieder des Leibes hin und her, daß er während eines geistigen Vortrages auf einem Haufen Würmer oder auf spitzen Pfählen zu sitzen meint und, was der einfache Vortrag zur Erbauung der Brüder vorbringt, zu seiner Beschämung gesagt wähnt. Und in der ganzen Zeit, in welcher eine Prüfung des geistigen Lebens vorgenommen wird, mit seinen Verdächtigungen beschäftigt sieht er nicht darauf, was er von jetzt an zu seinem Fortschritte ergreifen muß, sondern ängstlich forscht er nach den Gründen, weßhalb Jegliches geredet sei; oder schweigend bei sich überlegend grübelt er darüber nach, was er jedem einzelnen Punkte entgegenstellen könne, so daß er von Dem, was zu seinem wahren Heile dargelegt wurde, Nichts ganz zu erfassen oder sich dadurch in irgend einem Punkte zu bessern vermag. Und so kommt es, daß der geistige Vortrag ihm nicht nur in keinem Punkte Etwas nützt, sondern sogar noch mehr Schaden verursacht und ihm Ursache zu größerer Sünde wird. Denn indem er in seinem Gewissen argwöhnt, das sei alles gegen ihn gesprochen, verhärtet er sich in einer engeren inneren Hartnäckigkeit und wird heftiger von dem Stachel des Zornes gereizt; hierauf hochfahrende Reden, abstoßende Unterhaltung, bittere und verwirrte Antwort, hochaufgerichteter und flüchtiger Gang, geläufige Zunge, freche Beschwerde, niemals freundliche Verschwiegenheit, ausser wenn er gegen einen Bruder Groll im Herzen hegt. Sein Schweigen wird nicht ein Zeichen der Zerknirschung nach der Demuth, sondern des Stolzes und des Zornes, so daß sich nicht leicht unterscheiden läßt, was an ihm verabscheuungswürdiger ist: ob jene ausgelassene und freche Fröhlichkeit oder diese heftige und giftige Schweigsamkeit. Denn in jener herrscht eine ungeziemende Sprache, ein leichtsinniges und albernes Lachen, zügel- und zuchtlose Erhebung des Herzens vor; in dieser aber ein zorniges und giftiges Schweigen, das man nur deßhalb annimmt, um den Groll gegen einen Bruder durch Verschwiegenheit bewahren und die Aussöhnung noch weiter hinausschieben zu können. Und da er, selbst vom Hochmuthsdünkel eingenommen, Andern leicht Verdrießlichkeiten bereitet und es unter seiner Würde hält, sich zur Genugthuung gegen einen beleidigten Bruder herbeizulassen, weist er auch die angebotene mit Verachtung zurück. Und nicht nur wird er durch die Genugthuung eines Bruders nicht erschüttert, sondern geräth in noch größeren Zorn darüber, daß jener ihm in der Demuth zuvorgekommen ist. Und eine heilsame Demüthigung und Genugthuung, die sonst den Versuchungen des Teufels ein Ende zu machen pflegt, wird ihm zur Ursache eines noch heftigeren Brandes.

Von dem Hochmuthe eines Bruders.

Ich hörte gerade in unserem Lande (mit Schauder nur und Scham kann ich es erzählen) von einem Novizen, welcher auf die Frage seines Abtes, warum er die Schranke der Demuth, die er nach seiner Aufnahme nur sehr kurze Zeit eingehalten, zu überschreiten wage und sich von teuflischem Stolze aufblähen lasse, ganz trotzig antwortete: „Hab‘ ich vielleicht deßhalb eine Zeit lang mich verdemüthigt, um immer unterthan zu sein?“ Bei seiner so frechen und frevelhaften Antwort wurde der Vorsteher, gleichsam als habe er vom alten Lucifer selbst, nicht von einem Menschen diese Worte sprechen hören, dermaßen bestürzt und stockte seine ganze Rede, daß gegen diese so große Frechheit sein Mund keine Worte hervorbringen, sondern sein Herz nur Seufzer und Stöhnen hervorstoßen konnte. Er erwog nur das schweigend bei sich, was von unserm Heilande gesagt wird: „Als er in der Gestalt Gottes war, demüthigte er sich und wurde gehorsam (nicht, wie Jener, vom teuflischen Geiste der Hoffart eingenommen, sagte, „eine Zeit lang,“ sondern) bis zum Tode.“

Zeichen, an denen man das Vorhandensein des fleischlichen Stolzes in der Seele erkennt.

Um alles über diese Art Hochmuth bis jetzt Gesagte kurz zusammenzufassen, wollen wir. soweit Dieß uns möglich ist, einige Kennzeichen desselben zusammenstellen, um für Diejenigen, welche nach Belehrung in der Vollkommenheit dürsten, gewissermaßen die Grundzüge desselben aus den Regungen des äusseren Menschen darzustellen. Zu diesem Zwecke halte ich es für notdwendig, gerade Dieses in Wenigen Worten zu enthüllen, damit wir um so vollständiger zu erkennen vermögen, an welchen Merkmalen wir den Stolz kennen lernen und erfassen können. Sind die Wurzeln dieser Leidenschaft bloßgelegt, an die Oberfläche gezogen, mit Augen wahrgenommen und geschaut, so kann man denselben leichter ausreissen oder vermeiden. Dann nämlich wird man dieser schädlichen Krankheit ganz aus dem Wege gehen können, wenn man gegen ihre verderbliche Fieberhitze und ihre schädlichen Anfälle nicht zu spät, wann sie schon zu herrschen beginnt, seine Wachsamkeit richtet, sondern wenn wir sofort, sobald wir, so zu sagen, die ihr vorausgehenden Schatten bemerken, mit fürsorglicher und weiser Klugheit ihr zuvorkommen. Denn aus der äusseren Haltung des Menschen erkennt man den inneren Zustand desselben. An folgenden Merkmalen läßt sich klar der fleischliche Stolz, wie wir ihn vorhin nannten, erkennen: Vorherrschend ist in seinem Reden das Schreien, in seinem Schweigen das Abstoßende, in seiner Freude das stolze und ausgelassene Lachen, im Ernste eine unvernünftige Trauer, in der Antwort Zorn, häufiges Schwätzen und oft plötzlich hervorbrechende gehaltlose Worte. Geduld geht ihm ab, Liebe ist ihm fremd, er ist verwegen im Schmähen, demüthig im Ertragen von Schmähungen, schwierig im Gehorchen, ausser wenn dabei ihm seine Wünsche und seine Einsicht zuvorkommen, unversöhnlich beim Anhören einer Ermahnung, schwach, wo es gilt, seinem Willen Abbruch zu thun, ganz unbeugsam, wenn er Andern sich unterordnen soll, und stets bestrebt, seine Behauptungen aufrecht zu erhalten, ohne seinerseits sich dazu zu verstehen, den Ansichten eines Anderen zu weichen. So wird er auch zur Annahme eines heilsamen Rathes unfähig und glaubt in Allem lieber seinem als der Vorgesetzten Urtheil.

Wer durch Hochmuth in Lauheit versunken ist, strebt auch darnach, Anderen sich zum Herrn aufzuwerfen.

Wen der Stolz einmal in Besitz genommen und auf dieser abschüssigen Bahn von Stufe zu Stufe herabgestürzt hat, dem ist alsdann überhaupt die Klosterregel zuwider, und als ob er durch das Zusammenleben mit den Brüdern von der Übung der Vollkommenheit abgezogen würde und die Tugend der Geduld und Demuth ihm erschwert oder entzogen würde, wünscht er in einer einsamen Zelle zu wohnen oder gar, in der Hoffnung, mehrere Andere zu gewinnen, ein neues Kloster zu bauen; er beeilt sich, Leute um sich zu schaaren, um sie zu belehren und zu unterweisen, und wird so aus einem unbrauchbaren Schüler ein viel verderblicherer Lehrer. Denn obwohl er durch eine solche Erhebung seines Herzens in die verderblichste und schädlichste Lauheit gesunken und weder ein ächter Mönch noch Laie geworden ist, verspricht er sich, was noch schlimmer ist, von diesem unseligen Zustande und Wandel gar noch Vollkommenheit.

Wie man den Stolz besiegen und zur Demuth gelangen kann.

Wollen wir daher, daß sich die Zinne unseres Gebäudes als eine vollkommene und Gott wohlgefällige erheben soll, so laßt uns eilen, sein Fundament nicht nach dem Willen unserer Begierde, sondern nach der Zucht evangelischer Strenge zu legen. Dieß aber kann kein anderes sein als Gottesfurcht und Demuth, welche aus der Sanftmuth und Einfalt des Herzens entspringt. Die Demuth aber kann nimmer ohne gänzliche Entsagung erlangt werden. Wohnt diese nicht in uns, so werden wir weder das Gut des Gehorsams noch die Kraft der Geduld noch die Vollkommenheit der Liebe je erreichen können. Ohne diese Tugenden kann unser Herz durchaus kein Tempel des heiligen Geistes sein; denn also spricht der Herr durch den Propheten: „Auf wem wird mein Geist ruhen, wenn nicht auf dem Demüthigen und Ruhigen, welcher zittert vor meinen Worten?“ oder nach den Ausgaben, welche den hebräischen Text wiedergeben: „Auf wen werde ich schauen, wenn nicht auf den Armen und im Geiste Gebeugten und auf Den, welcher vor meinen Worten zittert?“

Wie man die Hoffart, die Verwüsterin aller Tugenden, durch wahre Demuth vernichten kann.

Darum strebe der Streiter Christi, der den geistigen Kampf rechtmäßig zu kämpfen und vom Herrn gekrönt zu werden verlangt, auch dieses gar wilde, alle Tugenden verschlingende Unthier auf alle Weise zu tödten; denn er kann sicher erwarten, daß, solange dieses in seiner Brust wohnt, er nicht bloß von keiner Sünde frei sein kann, sondern, wenn er auch einige Tugend zu besitzen scheint, dieselbe durch dieses Unthieres Gift zu Grunde geht. Denn unmöglich kann in unserer Seele das Gebäude der Tugenden sich erheben, wenn nicht vorher in unserm Herzen das Fundament einer wahren Demuth gelegt worden ist, das, gehörig befestigt, die Spitze der Vollkommenheit und Liebe zu stützen vermag, so zwar, daß wir vor Allem gegen unsere Mitbrüder eine wahre, in dem innigsten Gefühle unseres Herzens begründete Demuth hegen, indem wir uns nie erlauben, sie irgendwie zu betrüben oder zu verletzen. Allein Dieß werden wir nimmer zu erfüllen im Stande sein, wenn nicht eine wahre Entsagung, die in der gänzlichen Losschälung von allen irdischen Gütern besteht, durch die Liebe Christi in uns begründet ist und wir dann das Joch des Gehorsams und der Unterwerfung mit einfältigem Herzen und ohne alle Verstellung auf uns genommen haben, so daß ausser dem Befehle des Abtes gar kein Wille mehr in uns lebt. Dieß aber kann nur von Jenem beobachtet werden, der sich nicht nur dieser Welt abgestorben glaubt, sondern sich auch für unklug und thöricht hält, der Alles, was ihm die Vorgesetzten auftragen, ohne je darüber nachzudenken, verrichtet und es geheiligt und von Gott selbst befohlen glaubt.

Mittel gegen die Krankheit der Hoffart.

Sind wir in einer solchen Verfassung, so wird ohne Zweifel jener wahrhaft ruhige und unwandelbare Zustand der Demuth bald folgen. Er besteht aber darin, daß wir uns geringer achten als Alle, daß wir Alles, was man uns zufügt, sei es auch beleidigend, unangenehm und schädlich, gleichsam von unsern Vorgesetzten uns angethan mit der größten Geduld ertragen. Doch Dieß werden wir nicht nur ganz leicht ertragen, sondern auch für gering erachten, wenn wir stets mit frommer Verehrung der Leiden unseres Herrn und aller Heiligen gedenken und erwägen, daß wir von um so geringeren Beleidigungen heimgesucht werden, je weiter wir von ihren Verdiensten und ihrem Wandel entfernt sind, und wenn uns endlich auch der Gedanke vorschwebt, daß wir nach kurzer Zeit aus dieser Welt wandern werden, um nach dem bald eintretenden Schlusse dieses Lebens ihre Genossen zu werden. Diese Betrachtung ist geeignet, nicht nur den Hochmuth, sondern auch alle übrigen Sünden zu tilgen. Alsdann wollen wir auch eben diese Demuth gegen Gott auf’s Festeste bewahren. Das aber werden wir nur so erfüllen, daß wir inne werden, wie wir aus uns selbst nichts auf die vollkommene Uebung der Tugend Bezügliches ohne seine Gnadenhilfe vollbringen können, daß wir aber auch in Wahrheit glauben, eben Dieses, daß wir es einzusehen verdient haben, sei seine Gabe.

 

 

 

 

 

 

 

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