Reden

Von Chrysostomus (407)

Einleitung

In der Einleitung bedauert der heilige Chrysostomus die Abwesenheit des Bischofs. Daraus erhellt, daß er die vorliegende Predigt vor seiner Erhebung auf den Patriarchenstuhl in Konstantinopel, als Presbyter in Antiochien gehalten hat.

Gleicher Weise ist aus innern Gründen der Tag, an dem sie gehalten wurde, mit Sicherheit zu bestimmen. Es war der erste Januar; denn an diesem Tage wurde nach dem Zeugnisse des Libanius1 der Anfang des neuen Jahres durch jene Unordnungen und Ausschweifungen gefeiert, die hier so kräftig gerügt werden. Heiden und Christen pflegten bei dieser Gelegenheit nicht bloß ihre Häuser zu bekränzen und zu illuminiren, sondern auch in ausgelassener Fröhlichkeit, in wüsten Gast und Trinkgelagen gleichsam eine Gewähr für den glücklichen Verlauf des neuen Jahres zu suchen. Dieser Unfug und der zu Grunde liegende Aberglaube wird hier mit großem Nachdruck bekämpft. wodurch sich der Christ das Glück dieses und des zukünftigen Lebens sichern soll, wird dann ebenso einfach als praktisch dargelegt in der ausführlichen Erklärung der Worte des Apostels: „Thuet Alles zur Ehre Gottes!“

Inhalt.

Obgleich dem Leibe nach abwesend, ist der Bischof durch das Band der Liebe innigst mit uns vereinigt. Auf sein Gebet vertrauend will ich gegen die am heutigen Tage von sehr vielen Antiochenern begangenen Sünden zu Felde ziehen, gegen die abergläubische Feier der Kalenden durch Unmäßigkeit und Ausschweifungen.

I. Es ist ein thörichter Aberglaube und ein großes Unrecht gegen Gott, wenn man gewisse Tage des Jahres an und für sich als glückliche oder unglückliche bezeichnet. Jeder Tag ist für uns ein Tag des Glücks oder des Unglücks, je nachdem wir uns an dem betreffenden Tage der Tugend befleissigen oder der Sünde hingeben. Was der Christ beim Jahreswechsel bedenken soll.

II. Um allezeit glücklich zu sein, müssen wir Alles zur Ehre Gottes thun. Erklärung der Worte des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes! Diese Vorschrift wird an einer Reihe von Beispielen erläutert: die Ehre Gottes sollen wir im Auge behalten, wenn wir essen und trinken, daheimbleiben oder ausgehen, loben, tadeln und schelten, Freundschaften schließen und Freundschaften aufgeben, reden und schweigen u. s. w. Was nicht zur Ehre Gottes ist, sollen wir auch nicht thun.

Text

 

Predigt des Heiligen [Chrysostomus] auf den Tag der Kalenden, da Flavianus, der Bischof von Antiochien nicht erschienen war. Er tadelt die Christen, welche die Neumonde [in abergläubischer Weise] feierten und Tänze in der Stadt aufführten. Über das Wort des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes! Wie der Chor seinen Meister, die Schiffsmannschaft ihren Steuermann, nicht minder wünscht auch diese Priesterschaar heute ihren gemeinsamen Vater, ihren Bischof bei sich zu sehen. Während aber ein Chor und ein Schiff durch die Abwesenheit seines Oberhauptes an Sicherheit und Ordnung oft nicht wenig verliert, ist Das bei uns ganz anders. Denn unser Bischof ist, wenn auch nicht dem Leibe nach, doch im Geiste bei uns gegenwärtig; er ist in dieser Stunde hier in unserer Mitte, ob er gleich zu Hause bleiben muß, so wie auch wir bei ihm sind, ob wir gleich hier stehen. Das bewirkt die Macht der Liebe. Ihr ist es eigen, die Liebenden zusammenzuführen, zu vereinigen, auch wenn diese durch weite Entfernung von einander getrennt bleiben. Denn wenn einer von unsern Lieben in einem fernen Lande weilt und durch das weite Meer von uns geschieden ist, dann sehen wir ihn trotzdem alle Tage mit den Augen des Geistes; und umgekehrt, wenn ein Mensch, der uns zuwider ist, ganz nahe bei uns steht, sehen wir ihn nicht, — so scheint es wenigstens oft. Die räumliche Entfernung kann also nicht schaden, wenn nur die Liebe nicht fehlt; im andern Falle kann aber auch die räumliche Nähe Nichts helfen. Als wir gestern den heiligen Paulus priesen, da habt ihr euch dermaßen gefreut, als hättet ihr ihn hier in unserer Versammlung gesehen; und doch ruht sein Leib in der Kaiserstadt Rom und seine Seele in den Händen Gottes; denn „die Seelen der Gerechten sind in der Hand des Herrn, und die Qual berührt sie nicht.“ Gleich wohl hat die Macht der Liebe ihn vor eure Augen gestellt. Ich hatte nun zwar vor, auch heute wieder denselben Gegenstand [Lob des heiligen Paulus] zu behandeln; allein ich finde es dringend nothwendig, daß ich eilends zu einem andern übergehe, daß ich nämlich über die Sünden rede, die heute von der ganzen Stadt begangen worden. Denn wer das Lob des heiligen Paulus hören will, der muß zuvor Nacheiferer seiner Tugenden und muß solcher Predigten werth sein. — Da nun unser Vater nicht anwesend ist, wohlan, so will ich auf sein Gebet vertrauen und in diesem Vertrauen die Unterweisung beginnen. Wie er für uns betet, so hat einst Moses während einer Schlacht betend die Arme ausgestreckt und eben dadurch den Seinigen Hilfe geleistet und den Feinden Schrecken eingejagt. Durch sein Gebet hat er nicht weniger, ja noch mehr als die kämpfenden Krieger [durch ihre Tapferkeit] zur Entscheidung der Schlacht beigetragen, obgleich er nicht bei ihnen war dem Leibe nach. Wie nämlich die Macht der Liebe, so wird auch die Wirksamkeit des Gebetes durch räumliche Entfernung nicht gehemmt, und wie die Liebe die Getrennten vereinigt, so vermag auch das Gebet aus der Ferne sehr großen Nutzen zu stiften. Gehen wir daher muthig in den Kampf! Denn auch bei uns wüthet ein Krieg. Es sind nicht die Amalekiter, wie in jener Zeit, die einen Angriff unternommen, es sind überhaupt keine Barbaren, die uns überfallen haben, — Teufel sind es, die auf dem Markte ihren Aufzug halten. Denn diese nächtlichen Teufelsfeste, diese Schande und Lästerreden, diese nächtlichen Tänze, diese ganze lächerliche Komödie, das sind die Feinde, die unsere Stadt belagert und besetzt halten, und sie sind schlimmer als irgend ein anderer Feind. Deßwegen wäre es geboten, sich zu demüthigen, sich zu betrüben, sich zu schämen; und Das müßten sowohl die Schuldigen selbst —nämlich wegen ihrer Sünden, als auch die Unschuldigen — nämlich wegen der Schamlosigkeit, die sie heute an ihren Brüdern sehen. Aber in Wirklichkeit ist es anders: unsere Stadt ist ganz ausnehmend fröhlich, ist herrlich geschmückt und bekränzt, und der Marktplatz hat sich heute prunkvoll geziert wie ein putzsüchtiges, verschwenderisches Weib, ist mit goldenem Geschmeide behangen, mit kostbaren Kleidern und Schuhen und andern dergleichen Sachen ausgestattet, und unter den Handwerkern und Künstlern sucht jeder Einzelne durch Schaustellung seiner Arbeiten die Genossen zu überflügeln. Doch ist dieser Wetteifer, wenn er auch von einem kindischen Unverstand einer niedrigen, kleinlich denkenden Seele zeugt, gleichwohl ohne allzu schlimme Folgen; es sind eben nur unnütze Bemühungen, die Nichts als Spott und Gelächter einbringen. Denn wenn du schmücken willst, dann schmücke nicht deinen Laden, sondern deine Seele, nicht den Markt, sondern das Herz, damit die Engel dich bewundern die Erzengel deine Bemühungen mit Wohlgefallen betrachten und der Herr der Engel dir mit seinen Gütern und Gnaden vergelte. Diese Schaustellung aber, deren man sich jetzt befleissigt, bewirkt nur, daß man von den Einen verlacht, von den Andern beneidet wird: verlacht von Denen, die auf Höheres denken, heftig beneidet von Denen, die an derselben Schwachheit leiden.

Doch, wie gesagt, dieser Wetteifer ist so sehr nicht zu tadeln. Aber Das, was heute von so Vielen in den Weinschenken um die Wette getrieben wird, Das betrübt mich am meisten; denn da werden Ausschweifungen und auch Sünden gegen den Glauben in großer Menge verübt. Da sündigt man gegen Glaube und Religion, indem man Tagwählerei und Zeichendeuterei treibt und der Meinung ist, wenn man den Anfang dieses Monats unter Freuden und Vergnügungen hinbringe, dann werde es auch das ganze Jahr so gehen. Da wird durch Ausschweifung gesündigt, indem gegen Morgen Weiber und Männer in der ausgelassensten Weise volle Becher ungemischten Weines leeren. Solche Dinge sind eures christlichen Glaubens unwürdig, sei es, daß ihr sie selber thut, oder daß ihr sie Andern, euren Knechten, Freunden und Nachbarn hingehen laßt. Hast du nie gehört, was Paulus sagt? „Tage nehmt ihr in Acht und Monde und Zeiten und Jahre! Ich bin in Sorge, daß ich nicht etwa vergeblich gearbeitet habe für euch!“ Übrigens ist es auch eine Thorheit sonder Gleichen, wenn ihr darum von dem ganzen Jahre Glück und Heil erwartet, weil ein einziger Tag glücklich verlaufen ist; und nicht bloß höchst thöricht, sondern auch eine Wirkung des Teufels ist dieses Urtheil, welches uns verleitet, daß wir unser Schicksal nicht von der eigenen Thätigkeit, von dem eigenen guten Willen, sondern von dem Verlaufe bestimmter Jahrestage abhängig wähnen. Das Jahr wird von Anfang bis zu Ende ein glückliches für dich sein, nicht wenn du am Neumondstage der Trunkenheit fröhnst, sondern wenn du an diesem Tage und an jedem andern thust, was Gott wohlgefällt. Ein Tag unterscheidet sich nicht vom andern; jeder Tag ist ein guter oder ein böser nicht seiner Natur nach, sondern je nach unserm Eifer oder unserer Nachläßigkeit im Guten. Wenn du Gerechtigkeit übest, ist dir der Tag zum Heile; wenn du Sünde thust, ist es für dich ein böser Tag, ein Tag der Strafe. Wenn du so denkst und gesinnt bist und dich also jeden Tag des Gebetes und der Wohlthätigkeit befleissigst, dann wird das ganze Jahr für dich ein glückliches sein; wenn du aber die Übung der Tugend vernachläßigst, und dafür dein Wohlergehen den Anfängen der Monate und den Nummern der Tage anvertraust, dann wird dir Alles fehlen, was dir wahrhaft gut ist. Das hat der Teufel sehr wohl gewußt, und um uns nun von dem mühevollen Streben nach Tugend abzubringen, um den guten Willen in unsern Herzen zu ertödten, hat er diesen Wahn aufgebracht, daß man Glück und Unglück der natürlichen Beschaffenheit der Tage zuschreibt. Denn wer sich überredet hat, daß für ihn der eine Tag ein böser, der andere ein guter sei, der wird sich weder am bösen noch am guten Tage guter Werke befleissen. Am bösen Tage wird er denken, wegen des Verhängnisses, das auf diesem Tage liege, sei Alles nutzlos und vergeblich, und am guten Tage, wegen des Glückes, das dieser Tag bringe, werde ihm seine Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit keinen Schaden bringen. So wird er jedes Mal sein Seelenheil preisgeben und wird in seiner Trägheit und Sündhaftigkeit verharren, um sich nicht an dem einen Tage vergeblich, an dem andern überflüssiger Weise abzumühen. Da ihr Das nun wißt, sollt ihr euch den Ränken des Teufels entziehen, sollt dieses verkehrte Urtheil aufgeben, keine Tagwählerei treiben, nicht den einen Tag hassen und den andern lieben. Denn nicht bloß um uns in Gleichgiltigkeit zu versenken, sondern auch um den Werken Gottes eine Makel anzuheften, hat der böse Feind diese List in’s Werk gesetzt, und so sucht er uns in den Abgrund der Gottlosigkeit und zugleich der Nachlässigkeit herabzuziehen. Wir aber müssen vor ihm fliehen und wohl wissen, daß es nichts Böses gibt als nur die Sünde, und nichts Gutes als nur die Tugend und das Streben, Gott in allen Dingen wohlgefällig zu sein. Nicht Trunkenheit, sondern Herzensgebet macht fröhlich, nicht der Wein, sondern die erbauende Rede. Jener bewirkt stürmische Aufregung, diese bringt heitere Ruhe; jener erzeugt Verwirrung, diese vertreibt die Unruhe; jener umnachtet den Geist, diese hellt den verfinsterten auf; jener bringt neuen Verdruß, diese treibt den vorhandenen aus.

Denn es gibt Nichts, was in so hohem Grade Zufriedenheit und Fröhlichkeit zu erzeugen pflegt, als die Grundsätze des Christenthums, die Verachtung der gegenwärtigen und das angestrengte Streben nach den zukünftigen Gütern, dann die Überzeugung von dem Unbestande alles Irdischen: des Reichthums, der weltlichen Gewalt, der Ehrenstellen, des stattlichen Gefolges. Wenn du dich zu dieser Gesinnung zu erheben vermagst, dann kannst du die Reichen sehen, ohne von Neid gequält zu werden, kannst selbst in Armuth gerathen, ohne dich durch die äusserste Dürftigkeit niedergedrückt zu fühlen. Dann wird jeder Tag für dich ein Fest sein. Denn der Christ soll nicht bloß in gewissen Monaten, nicht bloß an Neumondstagen oder an Sonntagen feiern, sondern während seines ganzen Lebens so feiern, wie es sich für ihn geziemt. Und was ist Das für eine Feier? Hören wir den heiligen Paulus! „Lasset uns festfeiern, nicht im alten Sauerteig und nicht im Sauerteig der Bosheit und Argheit, sondern im Ungesäuerten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.“ Wenn du also ein reines Gewissen hast, dann ist dir jeder Tag ein Fest; denn allezeit erquicken dich die seligsten Hoffnungen und erfreut dich die Erwartung der zukünftigen Herrlichkeit. Und umgekehrt: wenn du keine herzliche Freundschaft mit Gott dem Herrn unterhältst, wenn du dich vieler Sünden schuldig gemacht hast, dann wirst du trotz zahlloser Feste und Festaufzüge um Nichts besser daran sein, als wer in tiefer Trauer ist. Denn was hilft mir der Glanz eines festlichen Tages, wenn meine Seele durch die Nacht des bösen Gewissens verfinstert ist? — Also wenn du von den Neumondstagen einen wahren Nutzen erzielen willst, dann mache es so: Sieh auf das verflossene Jahr, und danke dem Herrn, daß er dich diese Reihe von Jahren hat erleben lassen. Dann erwecke in deiner Seele einen heftigen Schmerz, indem du der entschwundenen Lebenszeit gedenkest und zu dir selber sagst: Die Tage verrinnen und eilen vorüber, die Jahre endigen eins um das andere, einen großen Theil des Lebensweges haben wir schon zurückgelegt. Was haben wir nun Gutes gethan? Werden wir nicht von aller Gerechtigkeit entblößt, alles Guten baar sein, wenn wir von hinnen scheiden müssen? Das Gericht steht vor der Thür, zum Greisenalter eilt schon raschen Schrittes unser Leben.

Das sind die Gedanken und Erwägungen, zu denen der Neumondstag und der Ablauf des Jahres uns veranlassen sollen. Des Gerichtstages sollen wir gedenken, damit Niemand zu uns sagen könne, was einst der Prophet zu den Juden gesagt hat: Es entschwanden ihre Tage in Nichtigkeit, ihre Jahre in Eile.“Dieses immerwährende Fest, von dem ich sprach, das den Umlauf des Jahres nicht abwartet, das an keinen Tag gebunden ist, kann der Arme und der Reiche gleichermaßen begehen. Denn da bedarf es keines Geldes und keiner Schätze, sondern nur einer tugendhaften Gesinnung. Du hast vielleicht kein Geld? Aber du hast die Furcht Gottes, und Das ist ein Schatz, der dich reicher macht als alles Gold der Welt, der auf Niemand übergehen, der niemals verbraucht, niemals erschöpft werden kann. Sieh den Himmel an, sieh den Himmel des Himmels, die Erde, das Meer, die Luft, die verschiedenen Arten der Thiere, die vielfältigen Gewächse, das ganze Geschlecht der Menschen; denke an die Engel, die Erzengel, die Heerschaaren des Himmels, und dann erinnere dich, daß Dieß alles deinem Herrn gehört. Wie kann denn der Knecht eines so reichen Herrn arm sein, wenn sein Herr ihm gewogen ist?

Die Tagwählerei ist ein Ausfluß heidnischen Wahns und hat Nichts mit der christlichen Wahrheit zu schaffen. Dein Name ist eingetragen in das Verzeichniß der Himmelsbürger, du hast dich den Engeln zugesellt, und seitdem gehörst du zur himmlischen Gemeinde. Das Licht, das dort leuchtet, wandelt sich nie in Finsterniß, nie geht dort der Tag in nächtliches Dunkel über, der Tag und das Licht dauert für und für. Dahin laßt uns unablässig schauen! Denn Paulus sagt: „Was droben ist, suchet, wo Christus ist zur Rechten Gottes sitzend.“ Mit dieser Welt, wo die Sonne auf und untergeht, die Zeiten und die Tage stetig wechseln, hast du Nichts gemein. Wenn du tugendhaft lebst, dann wird für dich die Nacht zum Tage, wie auch umgekehrt den Prassern, den Trunkenbolden und Wollüstlingen der Tag sich in nächtliche Finsterniß wandelt — nicht als ob für sie die Sonne verlöschte, sondern weil ihr Geist umnachtet ist durch das Laster der Unmäßigkeit. Solche Tage leidenschaftlich lieben, an ihnen sich mehr als sonst dem Vergnügen hingeben, auf dem Markte Laternen anzünden und Kränze winden — das sind kindische Thorheiten. Du hast dich doch von diesen Schwächen losgesagt, du zählst zu den Männern und bist sogar unter die Himmelsbürger gerechnet. Anstatt auf dem Markte ein sichtbares Licht anzuzünden, entzünde ein übersinnliches Licht in deiner Seele. Denn so sagt der Herr: „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, auf daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der in den Himmeln ist.“ Dieses Licht wird dir großen Lohn einbringen. Anstatt deine Hausthür zu bekränzen, befleisse dich eines solchen Wandels, daß einst die Hand des Erlösers deinem Haupte die Krone der Gerechtigkeit aufsetze. Nichts geschehe vergeblich, Nichts in Gleichgültigkeit. So gebietet uns Paulus, Alles zur Ehre Gottes zu thun: „Ihr möget essen oder trinken,“ sagt er, „thut Alles zur Ehre Gottes.“

Wie ist es denn möglich, sagt man, zur Ehre Gottes zu essen und zu trinken? Lade einen Armen zu Tische, mache dadurch Christum zu deinem Tischgenossen, dann wirst du zur Ehre Gottes essen und trinken. Aber nicht allein Das, sondern auch alles Andere will der Apostel zur Ehre Gottes gethan wissen, z. B. ausgehen und zu Hause bleiben — Beides um Gottes willen. Wie kann man denn Beides um Gottes willen thun? Wenn du in die Kirche gehst, wenn du am Gebete und am christlichen Unterrichte Theil nimmst, dann ist dein Ausgang zur Ehre Gottes. Ein anderes Mal kannst du zur Ehre Gottes zu Hause bleiben. Wie Das denn? Wenn du hörst, wie draussen in dem wilden, zügellosen Lärm die Teufel ihren Aufzug halten, wenn nichtswürdige, zuchtlose Menschen sich auf den Strassen drängen, dann bleibe zu Hause, halte dich fern von dieser Unordnung — und du bist zur Ehre Gottes zu Hause geblieben.

Zur Ehre Gottes kann man nicht bloß daheim bleiben, und ausgehen, sondern auch loben und tadeln. Wie kann man denn Jemand zur Ehre Gottes loben oder heruntersetzen? Manchmal sitzt ihr in eurer Werkstätte, und seht dann schlechte, nichtswürdige Menschen vorübergehen, die in ihrer Aufgeblasenheit hochmüthig um sich her sehen, einen ganzen Schwarm von Schmarotzern und Speichelleckern hinter sich haben, kostbare Kleider tragen, mit vielem Prunk umgeben sind — Menschen, die in ihrer Habsucht Jedermanns Gut an sich reissen. Wenn dann Einer sagt: Ist Das nicht ein beneidenswerther, ein glücklicher Mann? — so fahr’ ihn an, schilt, stopf’ ihm den Mund, bedauere und beklage den Vorübergehenden: das heißt tadeln um Gottes Willen. Ein solcher Tadel ist für deine Kameraden eine Unterweisung in der christlichen Tugend und Weisheit, eine Mahnung, nicht so übermäßig an den Dingen dieser Welt zu hängen. Zu Demjenigen, der solche Worte geredet hat, sollst du sagen: Warum ist dieser Mensch denn glücklich? Weil er einen goldgezäumten Gaul hat, der Bewunderung erregt? weil er viele Sklaven besitzt, einen prächtigen Rock trägt und alle Tage beinahe erstickt in Unmäßigkeit und Wollust? Deßwegen ist er gerade zu bedauern, zu beklagen, unendlich zu beweinen. Ich sehe, daß ihr an ihm selbst Nichts zu loben findet, und nur lobt, was um ihn und neben ihm ist und nicht zu seiner Person gehört, z. B. seine Pferde, Zügel, Kleider. Nein, einen elendern Menschen gibt es nicht. Sein Pferd und der Zügel seines Pferdes, die Schönheit seiner Kleider, die Wohlgestalt seiner Sklaven wird bewundert — er selbst geht vorüber und wird nicht gelobt. Niemand kann ärmer sein als dieser Mensch, der nichts Gutes und Schönes recht zu eigen hat, Nichts, was er aus dieser Welt mitnehmen kann, und sich nur allein mit fremden Federn schmückt. Denn der Schmuck und Reichthum, der wahrhaft unser eigen ist, besteht nicht in Kleidern, Rossen oder Sklaven, sondern in der Tugend des Herzens, im Reichthum an guten Werken, in der Freundschaft mit Gott.

Ein anderes Mal siehst du einen Bettler vorüber gehen, einen Menschen aus dem niedrigsten Stande, ganz verachtet, der aber in seiner Armuth ein tugendhaftes Leben führt. Wenn ihn dann deine Kameraden für einen recht bedauernswerthen Mann ausgeben, dann lobe ihn, so wird das Lob des vorübergehenden Bettlers zugleich eine Mahnung und Ermunterung zu einem frommen, tugendhaften Lebens wandel sein. Wenn sie sagen: das ist doch ein höchst elender und beklagenswerther Mensch — dann sage du: Nein, es ist der allerglücklichste, weil er Gott zum Freunde hat, ein tugendhaftes Leben führt und in seinem guten Gewissen einen unerschöpflichen Reichthum besitzt. Daß er kein Geld hat, was schadet ihm Das? Wird er doch einst die himmlischen Güter und Freuden erben. Wenn du solche Erwägungen vorbringst, wenn du so deine Genossen und andere Leute unterweisest, dann lobst und tadelst du zur Ehre Gottes, und wirst einst für Beides reichlich belohnt werden.

Indem ich euch dazu ermahne und anleite, rede ich fürwahr nicht leichthin, nicht ohne guten Grund. Nein, es ist so, wie ich sagte: Wer so gesinnt ist, Dem ist von Gott dem Herrn ein großer Lohn hinterlegt, und solche Urtheile werden wirklich als Verdienst angerechnet. Höret nur, wie über die Menschen, welche sich so verhalten, der Prophet redet, und wie er es unter die guten Werke rechnet, wenn man die Gottesfürchtigen preist, die Gottlosen verachtet! An jener Stelle spricht er davon, wie Derjenige beschaffen sein müsse, der im heiligen Zelte wohne, er müsse nämlich untadelig sein, Gerechtigkeit üben, unschuldig sein, und nachdem er also die übrigen Tugenden aufgezählt hat, die man besitzen muß, um von Gott geehrt zu werden, nachdem er gesagt hat: „Der Täuschung nicht auf seiner Zunge hegt, der seinem Nächsten nichts Übles thut,“ setzt er hinzu: „In seinen Augen ist der Bösewicht Nichts werth; die aber den Herrn fürchten, preis’t er.“ Da habt ihr den Beweis, daß es etwas Verdienstliches ist, wenn man die Gottlosen verachtet, die Gottesfürchtigen aber lobt und selig preist. An einer andern Stelle lehrt er ganz dasselbe mit den Worten: „Bei mir sind aber hoch in Ehren, o Gott, deine Freunde, gar sehr gekräftigt ist ihre Herrschaft.“ Wer von Gott gelobt wird, Den sollst du nicht tadeln — er lobt den Gerechten, auch wenn er ein Bettler ist. Wer von Gott verabscheut wird, den sollst du nicht loben — er verabscheut den Bösewicht, auch wenn er noch so reich ist. Wenn du aber lobst, und wenn du tadelst, thue Beides so, wie Gott es will.

Man kann auch sogar schelten zur Ehre Gottes. Und wie denn? Wir sind oft ungehalten über unsere Dienstboten. Wie können wir nun um Gottes willen schelten? Wenn du siehst, daß Einer dem Trunke fröhnt, oder stiehlt, sei es nun ein Dienstbote oder Freund oder Angehöriger, oder daß er in’s Theater läuft, sein Seelenheil vernachläßigt, daß er schwört, falsch schwört, Lügen redet, dann werde ungehalten, strafe, weise zurecht, bessere — und Das alles hast du um Gottes willen gethan. Wenn du aber merkst, daß er sich gegen dich verfehlt, daß er in deinem Dienste Etwas versieht, dann verzeihe — und du hast um Gottes willen verziehen. Aber in Wirklichkeit machen Viele es mit ihren Freunden und Dienstboten gerade umgekehrt. Wenn man sich nämlich gegen ihre Person verfehlt, dann werden sie scharfe, unnachsichtige Richter; | wenn man aber Gott den Herrn beleidigt und die Seele zu Grunde richtet, Das rechnen sie für | Nichts. — Wieder ein anderes: Mußt du dir Freunde suchen? Thue es, aber um Gottes willen. Oder du mußt dir Jemand zum Feinde machen? Auch Das geschehe nur um Gottes willen. Wie können wir uns denn um Gottes willen Freunde und Feinde machen? Wenn wir uns nicht um solche Freundschaften bemühen, die uns Geldgewinn, Gastgelage und Menschengunst in Aussicht stellen; wenn wir vielmehr solchen Freunden nachspüren und uns anschließen, die es verstehen, in unserer Seele die Ordnung herzustellen, uns zur Pflichterfüllung anzutreiben, uns für unsere Sünden zu schelten, für Vergehungen ernstliche Vorstellungen zu machen, uns auszurichten, wenn wir gestrauchelt sind, und die durch Gebet und gute Lehren uns helfen, Gott dem Herrn näher zu kommen. So kann man um Gottes willen sich auch Jemand zum Feinde machen. Wenn du merkst, daß ein nichtswürdiger Mensch, ein Mensch ohne Zucht und voll Bosheit, ein Mensch von schlechten Grundsätzen, dich zum Falle bringt, deiner Seele schadet, dann verlaß ihn, wende dich eilends von ihm ab. Das hat Christus befohlen mit den Worten: „Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, reiß es aus und wirf es von dir.“ Es ist also sein Gebot, daß wir solche Freunde, die unser Seelenheil gefährden, um jeden Preis aufgeben und verlaufen, wären sie uns auch so lieb wie unsere Augen, und noch so nothwendig in unsern irdischen Angelegenheiten.

Wenn du an einer Zusammenkunft Theil nimmst und dich in weitläufigen Reden ergehst, thue auch Das um Gottes willen, und wenn du schweigst, dann schweige um Gottes willen. Wie kann man denn um Gottes willen an einer Zusammenkunft Theil nehmen? Wenn du in der Gesellschaft mit Andern nicht von weltlichen Dingen, nicht von solchen Angelegenheiten redest, die uns ganz gleichgiltig sein sollen, die uns Nichts angehen, sondern von den Wahrheiten der christlichen Lehre, von der Hölle und vom Himmelreich. Aber nicht von allerlei überflüssigen und unnützen Dingen, z. B.: Wer hat das Amt erhalten? Wer ist abgesetzt worden? Warum ist Dieser bestraft worden? Wodurch hat Jener seinen Gewinn gemacht und sein Vermögen gemehrt? Was hat Dieser bei seinem Ableben Jenem hinterlassen? Wodurch ist Dieser um die Erbschaft gekommen, der doch erwartet hatte, unter den Erben in erster Reihe zu stehen? Und so gibt es noch manches Andere. Laßt uns doch nicht von solchen Dingen reden, und auch nicht zugeben, daß Andere davon reden. Laßt uns vielmehr erforschen, was wir thun und reden müssen, um Gott zu gefallen.

Auch schweigen kannst du um Gottes willen: wenn du nämlich beleidigt, geschmäht und aus mancherlei Weise gequält wirst, und Das alles edelmüthig erträgst, und gegen den Beleidiger kein verletzendes Wort ausstößt.

Aber nicht allein loben und tadeln, daheim bleiben und ausgehen, reden und schweigen, sondern auch trauern und weinen, sich freuen und fröhlich sein kann man zur Ehre Gottes. Wenn du nämlich siehst, daß dein Bruder sich vergeht, oder daß du selbst in eine Sünde gefallen bist, und wenn du darüber seufzest und trauerst, so bringt dein Schmerz dir Heil, das niemals zu bereuen ist, wie Paulus sagt: „Denn die Gott gemäße Trauer wirkt unbereutes Heil.“ Wenn du ferner siehst, daß ein anderer in Ehren ist, dann werde nicht mißgünstig, sondern danke Gott dem Herrn, daß er deinen Bruder auszeichnet; danke ihm dafür ebenso wie für die Wohlthaten, welche er dir erweis’t, und für diese Freude wird dir großer Lohn.

Wer könnte auch wohl mehr zu beklagen sein als ein neidischer Mensch? Während es ihm frei steht, sich über das Glück seiner Mitmenschen zu freuen, und aus dieser Freude überdieß noch Gewinn zu erzielen, zieht er vor, sich zu betrüben, und sich für den Verdruß auch noch Strafen, unerträgliche Züchtigungen von Gott zuzuziehen.

Allein ich habe gar nicht nöthig, hier von Lob und Tadel, von Traurigkeit und Freude zu reden; kann uns doch selbst die geringste und unbedeutendste Handlung sehr großen Nutzen bringen, wenn wir sie um Gottes willen verrichten. Kann wohl Etwas geringfügiger sein, als wenn man sich das Haar schneidet? Und selbst Das kann man um Gottes willen thun. Wenn du nämlich dein Haar nicht zierlich zu ordnen, dein Angesicht nicht zu schmücken suchst, wenn du dich nicht aufputzest zur Bethörung und Verführung derer, die dich sehen, sondern dabei ganz einfach und kunstlos zu Werke gehst, und nur Das thust, was eben nöthig ist: dann hast du es um Gottes willen gethan und wirst ganz gewiß deinen Lohn erhalten, weil du eine verkehrte Begierde niedergehalten und ein unberechtigtes Verlangen nach Auszeichnung unterdrückt hast. Denn wenn Derjenige, der um Gottes willen nur einen Becher kalten Wassers reicht, das Himmelreich erlangen soll, wie großen Lohnes wird sich einst Derjenige freuen können, der Alles um Gottes willen thut?

So kann man es auch selbst mit seinem Gang, mit seinen Blicken halten — Alles um Gottes willen! Wie kann man Das denn? Wenn du nicht zur Sünde hinläufst, wenn du dich nicht um fremde Schönheit kümmerst, wenn du beim Anblick eines Weibes deine Augen beherrschest und durch die Furcht Gottes in Schranken hältst: dann hast du es um Gottes willen gethan; wenn wir ferner keine kostbaren, keine weichlichen Kleider tragen, sondern nur solche, die zu unserer Bedeckung genügen. Sogar bis herab zu den Schuhen läßt sich diese Regel beobachten. Denn es sind jetzt manche Menschen in ihrer Weichlichkeit und Verschwendung so tief heruntergekommen, daß sie sogar ihre Schuhe schmücken und rundum verzieren, gerade wie Andere ihr Angesicht. Das zeugt von einer unreinen, verderbten Seele. Es scheint zwar geringfügig zu sein, aber es ist ein Zeichen, ein sicherer Beweis von großer Verkehrtheit bei Männern und Weibern. Man kann also selbst Schuhe um Gottes willen tragen, wenn man nämlich immer nur das Nothwendige im Auge behält und sich dadurch in seiner Wahl und seinem Gebrauche bestimmen läßt. Daß man ferner auch durch den Gang, durch die Kleidung Gott verherrlichen kann, das laßt euch mit den Worten eines weisen Mannes sagen: „Die Kleidung eines Mannes, das Lachen der Zähne und der Gang der Füße verräth, was an ihm ist.“ Wenn wir mit Bescheidenheit, Ernst und Würde auftreten, wenn wir in jeder Beziehung eine große Selbstbeherrschung an den Tag legen, dann wird auch selbst ein ungläubiger oder ein ganz zuchtloser Mensch, auch ein Schreier und Polterer, mag er sonst noch so wenig Gefühl haben, uns seine Bewunderung nicht versagen können. Wenn wir ein Weib nehmen, soll auch Das um Gottes willen geschehen. Sehen wir nicht auf Vermögen, sondern auf edle Eigenschaften des Herzens, nicht auf Überfluß an Hab und Gut, nicht auf Adel der Familie, sondern aus tugendhaften Wandel, auf Sanftmuth und Bescheidenheit; die Frau soll uns durch das Leben geleiten, nicht in der Schenke Gesellschaft leisten.

Wozu soll ich Alles aufzählen? Nach Dem, was ich schon gesagt habe, können wir ja Alles durchgeben, was geschieht und was zu thun ist, und können Alles um Gottes willen thun. Wir sollen es machen wie die Handelsleute. Wenn solche auf ihren Seefahrten bei gewissen Städten vor Anker gehen, dann verlassen sie den Hafen nicht eher, und begeben sich nicht eher auf den Markt, als bis sie erfahren haben, daß an den dort verkäuflichen Waaren Etwas zu verdienen ist. So sollst auch du Nichts thun und Nichts reden, wenn es nicht einen Gewinn bei Gott dem Herrn für dich abwirft. Sage mir nicht: man kann nicht Alles um Gottes willen thun. Denn wenn du um Gottes willen Schuhe tragen, das Haar schneiden, Kleider anziehen, gehen, sehen, reden, an Gesellschaften Theil nehmen, ein und ausgehen, schelten, loben, tadeln, preisen, Freundschaft schliessen und Feindschaft anfangen kannst: bleibt dann noch Etwas übrig, was nicht zur Ehre Gottes geschehen kann, wenn wir nur wollen?

Es kann doch kaum ein Mensch tiefer stehen als ein Kerkermeister. Scheint es nicht wirklich, daß ein solcher das allerschlechteste Leben führt? Und doch kann sich Einer auch in diesem Stande, wofern er nur will, Verdienste erwerben, wenn er mit den Gefangenen schonend umgeht, wenn er sich der ungerecht Eingekerkerten besonders annimmt, wenn er fremdes Unglück nicht zu seinem Gewinne ausbeutet, wenn er allen Gefangenen Schutz und Zuflucht gewährt. Auf solche Weise ist jener Kerkermeister zur Zeit Pauli zum Heile gelangt. Daraus geht hervor, daß wir aus allen Dingen, wenn wir nur wollen, Nutzen ziehen können.

Kann es wohl etwas Ärgeres geben als einen Todtschlag? Und doch ist es vorgekommen, daß selbst ein Todtschlag Dem, der ihn beging, zur Rechtfertigung diente. So groß ist das Verdienst, wenn man Etwas um Gottes willen thut. Wie konnte denn ein Todtschlag Rechtfertigung wirken? Vernehmet es. Um die Juden mit Gott dem Herrn zu verfeinden, und in der Hoffnung, ihnen nach der Entziehung des göttlichen Wohlgefallens eine Niederlage beizubringen, schickten die Madianiter aufgeputzte Dirnen vor das Lager, und es gelang ihnen, die Juden zu bethören, sie zur Unzucht und dann auch zum Götzendienste zu verführen. Das sah Phinees; er ergriff ein Schwert und durchbohrte zwei, die mit einander Unzucht trieben, gerade bei ihrem Verbrechen — und dadurch hemmte er den Zorn Gottes und wandte das Strafgericht ab. Seine That war ein Todtschlag, sein Verdienst aber die Rettung der ganzen Menge, die schon daran war, zu Grunde zu gehen. Darum trug ihm diese That Rechtfertigung ein. Dieser Mord, weit entfernt, seine Hände zu beflecken, machte sie nur noch reiner. Wohl begreiflich: denn er that es ja nicht aus Haß gegen die beiden Erschlagenen, sondern um den Übrigen Schonung zu erwirken. Er tödtete zwei und rettete viele Taufende. Wie der Arzt ein faulendes Glied ausschneidet, um den ganzen sonst gesunden Leib zu retten, so hat auch er gethan. Darum sagt von ihm der Psalmist: „Da stellte Phinees sich hin und schaffte Sühne, und die Züchtigung hörte auf. Und es ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet von Geschlecht zu Geschlecht, auf ewig.“ Unsterblich bleibt also das Andenken an diese verdienstvolle That.

Ein Anderer hat Gott beleidigt durch sein Gebet; so schlimm ist es, wenn man Etwas nicht um Gottes willen thut. Ich meine den Pharisäer. Wie Phinees, nachdem er den Todtschlag begangen, [wegen seiner reinen Absicht] gelobt und ausgezeichnet wird: so hat der Pharisäer nicht durch das Beten, sondern durch die Gesinnung bei seinem Gebete gesündigt und Gott beleidigt. So kann also selbst ein Heilswerk, wenn es nicht um Gottes willen geschieht, großen Schaden bringen, wie andererseits ganz weltliche Beschäftigungen, wenn man ihnen um Gottes willen und in der Liebe zu Gott obliegt, von sehr großem Nutzen sind. Was ist schlimmer und ärger als ein Todtschlag? Und dennoch hat ein solcher den Mann, der ihn beging, gerecht gemacht. Wenn wir also sagen: Es ist nicht möglich, Alles verdienstlich zu machen, Alles um Gottes willen zu thun— wie wäre Das zu entschuldigen, da wir gefunden haben, daß ein Mann sich sogar durch Todtschlag Verdienst erworben hat?

Wofern wir nur recht Acht haben, können wir das ganze Leben hindurch dieses für unsere Seele so vortheilhafte Geschäft fortführen, auch beim Kaufen und Verkaufen: wenn wir z. B. beim Verkauf nicht mehr als den gesetzmäßigen Preis fordern, wenn wir die schlechten Zeiten und die Noth des Mitmenschen nicht ausbeuten, und unter solchen Umständen den Bedürftigen mittheilen. „Denn wer den Fruchtpreis in die Höhe treibt,“ heißt es, „der wird vom Volke verflucht.“

Doch wozu soll ich von allen Einzelheiten reden? Ich muß durch ein Gleichniß das Ganze zusammenfassen und anschaulich machen. Wie die Bauleute, wenn sie eine Mauer ausführen, von einem Ende zum andern die Meßschnur ausspannen, und ihren Bau so einrichten, daß an der ganzen Oberfläche keine Unebenheit zu entdecken ist: so sei unsere Meßschnur dieses Wort des Apostels: „Ihr möget essen oder trinken oder sonst Etwas thun, thut Alles zur Ehre Gottes.“ Ob wir also beten, fasten, schelten, verzeihen, loben, tadeln, ein und ausgehen, kaufen, verkaufen, reden, schweigen, oder irgend etwas Anderes thun, thun wir es zur Ehre Gottes, und was nicht zur Ehre Gottes ist, Das soll von uns gar nicht gethan und gesagt werden. Schreiben wir dieses Wort in unsere Seele ein, tragen wir es überall bei uns als einen kräftigen Stab, als Schutz und Waffe, als einen Schatz von unendlichem Werthe, damit wir, nachdem wir Alles zur Ehre Gottes gethan, geredet, betrieben haben, hier auf Erden und auch nach unserm Hinscheiden seiner Herrlichkeit theilhaftig werden. Denn er sagt ja: „Die mich verherrlichen, werde ich verherrlichen.“ Laßt uns denn nicht durch Worte allein, sondern auch durch die That ihn unaufhörlich verherrlichen, zugleich mit Christus, unserm Gott, denn ihm gebührt alle Herrlichkeit, Ehre und Anbetung, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

Auf Weihnachten

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Die folgende Rede hielt der heilige Chrysostomus, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, am Weihnachtsfeste des Jahres 386 in Antiochien. Die nachstehenden Daten geben einen Anhalt zur Bestimmung der Zeit.

1. In Kap. 6 kündigt der Redner an, daß nach ihm der κοινὸς διδάσκαλος, d. i. ohne Zweifel der Bischof, predigen werde. Er selbst war demnach noch nicht Bischof und noch nicht in Konstantinopel, sondern erst Verwalter des Predigtamts Antiochien (386—398).

2. „Noch sind es nicht zehn Jahre,“ heißt es im ersten Kapitel, „seitdem dieser Tag (er meint den Tag der Geburt des Herrn) zu unserer Kenntniß gelangt ist.“ Zwischen 370 und 380 war es, daß im Morgenlande die Feier des 25. Dezembers aufkam. Diese stelle steht also dem Jahre 386 wenigstens nicht entgegen.

3. Aus der Art und Weise, wie der Redner sein Thema ankündigt, scheint deutlich hervorzugehen, daß er nach seiner Priesterweihe, die er im Jahre 386 empfing, die erste passende Gelegenheit benutzen wollte, um die Feier des 25. Dezembers zu empfehlen. Diese Gelegenheit bot sich ihm natürlich am Weihnachtsfeste des Jahres 386.

4. In Capitel 5 spricht er von seinen Reden gegen die Juden, die er um die Zeit des letzten Laubhüttenfestes (im September) gehalten habe. Das sind nach Moutfaucon die drei ersten Reden contra Judaeos, abgedruckt im ersten Bande der Maurinerausgabe, gehalten im Jahre 386.

Demnach ist diese Weihnachtspredigt aller Wahrscheinlichkeit nach in das Jahr 386 zu setzen. Zweck derselben ist, die Antiochener zur allgemeinen Feier des 25. Dezembers als des Geburtstages des Herrn zu bestimmen. Bis vor kurzem hatte die morgenländische Kirche das festliche Andenken an dieses gnadenreiche Ereigniß zugleich mit der Feier der Epiphanie am 6. Jannuar begangen. Das „neue“ Fest des 25. Dezembers stieß noch auf Widerspruch. Was Chrysostomus zu dessen Empfehlung vorbringt, ist kurz zusammengefaßt in der unten folgenden Inhaltsangabe. Von besonderm Interesse ist sein drittes Argument, hergenommen aus der Erzählung des Evangelisten Lukas über die dem Zacharias gewordene Erscheinung. Aus dieser Erzählung, sagt der Redner, gehe mit Bestimmtheit hervor, daß der Tag der gedachten Erscheinung kein anderer gewesen sein könne, als der große Versöhnungstag der Juden. Denn Zacharias habe ein Rauchopfer dargebracht, der Rauchopferaltar habe im Allerheiligsten gestanden, und das Allerheiligste habe nur der Hohepriester, und zwar nur am Versöhnungstage betreten dürfen. Da nun dieser Tag in den September siel, habe Elisabeth im September den Johannes empfangen; sechs Monate später, also im März, wurde der Engel Gabriel zu Maria gesandt; also wäre es im Dezember gewesen, daß Maria den Heiland gebar. Indessen — diese ganze Beweisführung wird hinfällig durch die unzweifelhafte Thatsache, daß der Rauchopferaltar im Heiligthum, nicht aber im Allerheiligsten seine Stelle hatte, wie aus II. Mos. 30, 6 vgl. 40, 26 zweifellos sich ergibt.

War Zacharias Hoherpriester, wie Chrysostomus und verschiedene andere alte Exegeten annehmen? Die Erzählung des heiligen Lukas spricht eher dagegen als dafür: „Da kam er, nach der Sitte des Priesterthums, durch das Loos daran, daß er, eingetreten in den Tempel des Herrn, zu räuchern hatte.“

Übrigens hängt mit jener Annahme, nach welcher der Rauchopferaltar im Allerheiligsten gestanden hätte, der weitere Irrthum zusammen, daß der Altar für die blutigen Opfer in das Heiligthum statt in den Vorhof versetzt wird.

Will man nach dem Grunde dieser Irrthümer fragen, darf vielleicht auf Hebr. 9, 4 verwiesen werden. Hier wird nämlich unter den heiligen Gegenständen, welche „innerhalb des Vorhanges“ d. i. im Allerheiligsten aufbewahrt wurden, auch das θυμιαστήριον genannt. Nach einer jetzt viel verbreiteten Erklärung versteht man darunter ein Rauchfaß oder eine Schale für Rauchwerk; Chrysostomus hielt es für den Rauchopfer altar. Da ferner an derselben Stelle gesagt wird, daß die Priester allezeit in das „vordere Gezelt“ d. i. in das Heiligthum eingingen, wenn sie Opferhandlungen vollzogen, versetzte er in das Heiligthum den Brandopferaltar. Es ist unleugbar ein sprödes undankbares Thema, das in dieser Rede behandelt wird. Selbst die Beredsamkeit des Goldmundes konnte nicht verhüten, daß sich im Auditorium einmal Unruhe und Ungeduld sich bemerklich machte. Was dieser Predigt noch besonders viel Werth verleiht, sind die herrlichen Lehren und Ermahnungen im Schlußkapitel, welche sich auf die heilige Eucharistie beziehen.

Inhalt.

Freude über die allgemeine Feier des erst kürzlich aufge kommenen Weihnachtsfestes. Für die Berechtigung dieses Festes spricht erstens der Anklang, den es bereits gefunden hat, zweitens das Zeugniß römischer Urkunden, die sich auf die Schatzung unter Augustus beziehen, drittens auch der Bericht des Lukasevangeliums, insofern sich daraus erschließen läßt, daß der Herr gegen Ende des Monats Dezember geboren ist. — Die Heiden und die Ketzer haben Unrecht, wenn sie die katholische Lehre von der Menschwerdung des göttlichen Wortes als eine Herabwürdigung Gottes ausdeuten und schmähen. — Zur heiligen Kommunion muß man mit ehrfurchtsvoller, reumüthiger Gesinnung und in guter Ordnung hinzutreten.

Text

 

 

Auf Jesu Christi, unseres Erlösers, Geburtstag, den man damals noch wenig kannte und erst vor einigen Jahren durch abendländische Christen, welche davon Kunde brachten, kennen gelernt hatte. Was in alten Zeiten von Patriarchen sehnlich gewünscht, von Propheten vorausverkündigt, von Gerechten zu schauen begehrt ward, Das ist heute geschehen und in Erfüllung gegangen: Gott ist auf Erden im Fleische erschienen und mit den Menschen gewandelt. Deßhalb, Geliebte, wollen wir jubeln und frohlocken. Ist nicht Johannes im Schooße seiner Mutter Elisabeth, als Maria sie besuchte, vor Freude aufgehüpft? Wir aber schauen heute nicht etwa Maria, sondern unsern neugebornen Erlöser selbst; daher sollten wir noch weit mehr frohlocken und jauchzen, zugleich aber voll Bewunderung anstaunen dieses große Geheimniß, das unser Begreifen weit überragt. Denn wie würde es uns vorkommen, sähen wir die Sonne vom Himmel herabsteigen, auf der Erde umher wandeln und von hier aus allen Menschen ihre Strahlen zusenden? Würde nicht dieses Ereigniß alle Zuschauer mit Staunen erfüllen? Und doch ist die Sonne nichts weiter als eine Spenderin sichtbaren Lichtes; nun siehe zu und erwäge, was es heissen will, daß die Sonne der Gerechtigkeit aus unserer fleischlichen Natur heraus ihre Strahlen entsendet und unsere Seelen erleuchtet!

Schon längst hat es mich verlangt, diesen Tag zu schauen, und zwar zu schauen inmitten einer so zahlreich versammelten Gemeinde; und immer wünschte ich, dieser Schauplatz unserer Andacht möchte so gut besetzt sein, wie er sich jetzt unsern Blicken darstellt. Das ist also nun wirklich geschehen. Noch sind es nicht zehn Jahre, seitdem dieser Tag zu unserer Kenntniß gelangt ist; und trotzdem ist dieses Fest durch euren frommen Eifer zu einer solchen Blüthe gediehen, als wäre es ein altes Erbstück aus längst vergangenen Zeiten. Deßhalb könnte man diesen Festtag mit Recht einen neuen und auch wieder einen alten nennen; einen neuen, weil er erst jüngst zu unserer Kenntniß gekommen, einen alten und längst gewohnten, weil er dem ältern so schnell ebenbürtig geworden und auf dieselbe Stufe emporgestiegen ist. Gleichwie Pflanzen von edler Art, schon bald nachdem sie in das Erdreich eingesetzt sind, bis zu einer bedeutenden Höhe herangewachsen und binnen kurzer Frist mit Früchten reich beladen sind: so hat auch dieser Festtag, der den Abendländern längst bekannt, bei uns aber erst jetzt vor wenigen Jahren in Übung gekommen ist, in ähnlicher Weise schnell an Bedeutung gewonnen und jetzt schon reiche Früchte getragen; denn dieser unser Versammlungsort ist ja vollständig gefüllt und unsere Kirche zu klein geworden für die Menge Derer, die sich hier eingefunden haben. Den Lohn, welchen ihr für einen solchen Eifer verdient, erwartet von Christus, der heute dem Fleische nach geboren ist. Er wird euch diese fromme Gesinnung sicherlich vergelten. Ist doch das liebevolle Interesse, das ihr für dieses Fest an den Tag legt, ein vielsagendes Zeugniß eurer Liebe zu Demjenigen, dessen Geburt wir feiern. Wenn es aber zugleich an mir, eurem Mitknecht, ist, euch einigermaßen zu belohnen: ich werde thun, was in meinen Kräften steht; oder besser gesagt: ich werde um eures Heiles willen reden, wie es die Liebe Gottes mir verleiht. Was wollt ihr also heute von mir hören? Ganz gewiß wünscht ihr, daß ich mich eben über dieses Fest verbreite; denn ich weiß recht wohl, daß Manche auch jetzt noch darüber streiten, und der Eine dafür, der Andere dagegen spricht. Es werden allenthalben über dieses Fest viele Worte gewechselt: die Tadler weisen darauf hin, daß es noch ganz jungen Datums und erst jetzt eingeführt ist; die Vertheidiger sagen, es sei alt, sogar uralt; da ja die Propheten von der Geburt des Herrn geweissagt, und dieser Tag seit alten Zeiten von Thrazien bis Cadix wohlbekannt und gefeiert sei. Nun wohlan, Das sei der Gegenstand meiner Rede. Denn es ist ja klar: wenn dieses Fest schon jetzt, wo seine Berechtigung noch viel bestritten wird, sich eurer Gunst in so hohem Grade erfreut, so werdet ihr ihm noch weit mehr Eifer zuwenden, wenn ihr einmal besser darüber Bescheid wißt, und wenn die genauere Kenntniß, welche euch diese Belehrung verschaffen soll, euch noch günstiger dafür gestimmt hat.

Drei Beweisgründe habe ich zu erörtern, aus denen durchaus erhellt, daß Dieß der Zeitpunkt ist, wo das göttliche Wort, unser Herr Jesus Christus, als Mensch geboren ward. Den ersten Grund finde ich darin, daß dieses Fest in so kurzer Zeit überall bekannt geworden, zu einer solchen Bedeutung gelangt ist und so vielen Beifall gefunden hat. Von der Predigt des Evangeliums sagte einst Gamaliel: „Wenn es von Menschen ist, wird es in Zerfall gerathen; wenn es aber aus Gott ist, könnt ihr es nicht zerstören, auf daß ihr nicht etwa als Widersacher Gottes befunden werdet.“ Dasselbe möchte ich im Hinblick auf das heutige Fest zu behaupten wagen: weil es von Gott ist, darum ist dieser Tag, statt in Vergessenheit zu gerathen, vielmehr von Jahr zu Jahr bedeutender und herrlicher geworden. So hat ja auch die Predigt des Evangeliums sich in wenigen Jahren über die ganze bewohnte Erde verbreitet, obgleich es Zeltmacher, Fischer, ungelehrte und ganz gewöhnliche Leute waren, welche dieses Evangelium überall hin trugen. Allein die Unscheinbarkeit seiner Diener brachte ihm keinen Schaden; es war die innere Kraft des von ihnen verkündigten Wortes, die Alles schon gleich Anfangs in Besitz nahm, alle Hindernisse überwand und ihre eigenthümliche Stärke bewährte.

Sollte aber Jemand nach Art rechthaberischer Menschen sich bei dem Gesagten nicht beruhigen wollen, so habe ich noch einen zweiten Grund anzuführen; und was für einen? Ich nehme ihn von der Volkszählung her, die im Evangelium berichtet wird. „Es geschah“ — so erzählt nämlich der Evangelist — „in jenen Tagen, daß ein Befehl ausging von dem Kaiser Augustus, den ganzen Erdkreis zu beschreiben. Diese Aufschreibung, die erste, geschah unter dem Statthalter von Syrien, Kyrenius. Und Alle gingen hin, um sich aufschreiben zu lassen, ein Jeder in seine Stadt. Es ging denn auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Es geschah aber, als sie dort waren, daß erfüllt wurden die Tage, da sie gebären sollte; und sie gebar ihren Sohn, den Erstgebornen, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, weil für sie in der Herberge kein Platz war.“ Daraus geht hervor, daß der Herr zur Zeit der ersten Volkszählung geboren ward. Wer nun die alten, in Rom aufbewahrten öffentlichen Urkunden lesen will, der kann daraus die Zeit dieser Volkszählung genau erfahren. Aber was geht Das uns an, sagt ihr, da wir doch nicht in Rom sind und auch nicht dahin kommen? Höre nur und sei nicht ungläubig: Wir haben dieses Fest von Leuten überkommen, die es genau wissen und selbst in jener Stadt wohnen. Denn die Römer sind es, die dieses Fest seit langer Zeit und nach einer alten Überlieferung feiern, und die jetzt auch uns die Kunde davon gebracht haben. Der Evangelist hat nämlich nicht umsonst diesen Zeitpunkt angedeutet, sondern einmal, um uns über den Tag der Geburt des Herrn zu unterrichten, und dann auch um das Walten der göttlichen Vorsehung zu zeigen. Denn der Kaiser Augustus hat damals jenen Befehl nicht aus eigener Eingebung und aus eigenem Antrieb gegeben, sondern Gott hat seinen Sinn darauf gelenkt, damit er, wenn auch ohne und gegen seinen Willen, der Menschwerdung des Sohnes Gottes dienstbar würde. Aber was konnte denn diese Schätzung zur Erfüllung des göttlichen Rathschlusses beitragen? Nicht wenig, mein Lieber! nicht ein Geringes, sondern sehr viel, ja sie war nothwendig und von großer Wichtigkeit. Wie so denn? Galiläa ist eine Landschaft in Palästina, und Nazareth eine Stadt in Galiläa. Auch Judäa — so wird es von den Eingebornen genannt — ist eine solche Landschaft, und Bethlehem eine Stadt in Judäa. Nun aber verkündigten alle Propheten, daß der Erlöser nicht von Nazareth, sondern von Bethlehem kommen und hier geboren werden sollte. Denn so steht geschrieben: „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Juda’s, denn aus dir wird der Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel regieren wird.“ Darum wiesen auch damals die Juden den Herodes, der sie nach dem Geburtsorte des Erlösers fragte, auf dieses Zeugniß hin. Damit hängt auch zusammen, daß Christus von Nathanael sagte: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ Als nämlich Philippus sich gegen Nathanael geäussert hatte: „Wir haben Jesum von Nazareth [den Erlöser] gefunden,“ da hatte Nathanael zur Antwort gegeben: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen“? Weßhalb hat nun Jesus den Nathanael gelobt? Weil dieser sich durch die Mittheilung des Philippus nicht gleich einnehmen ließ, vielmehr genau wußte und festhielt, daß nicht in Nazareth und nicht in Galiläa der Erlöser sollte geboren werden, sondern in Judäa—wie es denn auch geschehen ist. Während Philippus Das nicht wußte, war es dem schriftkundigen Nathanael wohl bekannt, daß der Messias nicht von Nazareth kommen sollte, und so stimmte denn seine Antwort mit jener alten Weissagung überein; darum sagte der Herr: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ Ein anderes Zeugniß: Einige Juden sagten zu Nikodemus: „Forsche nach, und siehe, daß aus Galiläa nimmer ein Prophet erstehet!“ Und an einer andern Stelle: „Kommt Christus nicht aus der Stadt Bethlehem, wo David war?“ Es war das allgemeine Urtheil, daß der Erlöser unzweifelhaft von Bethlehem kommen müsse, und nicht aus Galiläa.

Wie es nun aber häufig und bei vielen Leuten der Fall ist, daß sie aus ihrer Heimath ausgewandert und nun in einer andern Stadt ansäßig sind, wo sie nicht herstammen: so hatten auch Joseph und Maria, obgleich Bürger von Bethlehem, diese Stadt verlassen, waren nach Nazareth übergefiedelt und hatten hier ihren Wohnsitz. Und doch mußte Christus in Bethlehem geboren werden. Da erging denn jenes Gebot, das Maria und Joseph auch gegen ihre Absicht nach Bethlehem zu reisen nöthigte. So lag es im Plane der göttlichen Vorsehung. Der Befehl des Kaisers Augustus, nach welchem Jeder sich in seiner Vaterstadt mußte anschreiben lassen, zwang sie, von Nazareth sich aufzumachen und sich nach Bethlehem zu begeben, um sich dort aufschreiben zu lassen. Das ist es also, was der Evangelist andeutet, wenn er sagt: „Es ging aber auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Und es geschah, als sie dort waren, da wurden erfüllt die Tage, daß sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgebornen.“

Ihr habt also gesehen, Geliebte, das Walten der göttlichen Vorsehung, die sowohl durch die Ungläubigen als durch die Gläubigen ihre Absichten in’s Werk setzt, damit auch die Verächter der Frömmigkeit die Macht und die Gewalt Gottes kennen lernen. Der Stern war es, der die Weisen aus dem Morgenlande herbeiführte, und der Befehl des Kaisers war es, der Maria in ihre Vaterstadt zog, die von den Propheten im Voraus bezeichnet war.

Auch ist uns diese Reise ein Beweis, daß die Jungfrau ebenfalls aus dem Geschlechte Davids war. Denn wenn sie aus Bethlehem stammte, so ist klar, daß sie auch aus dem Hause und Geschlechte Davids war. Darüber hatte uns auch schon im Vorhergehenden der Evangelist belehrt, ehe er sagte: „Es ging auch Joseph aus Galiläa hinauf sammt Maria, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war.“ Die Herkunft Josephs ist uns zwar mitgetheilt, aber die Vorfahren Marias hat uns Niemand in gleicher Weise angegeben. Damit du nun nicht zweifelst und nicht fragest, woraus denn ihre Abstammung von David erhelle — so höre, was vorhergegangen ist: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa geschickt, mit Namen Nazareth, zu einer Jungfrau, die vermählt war mit einem Manne, der Joseph hieß, aus dem Hause Davids.“ Es ist anzunehmen, daß der Zusatz: „aus dem Hause Davids“ sich auf die Jungfrau bezieht. So ist also auch hier die Abstammung Maria’s angegeben.

Nun ist klar, warum damals jene Verordnung, jenes Gebot ergangen ist, das Joseph und Maria nach Bethlehem führte; denn kaum waren sie in der Stadt angekommen, als Jesus geboren wurde. Nun ist auch klar, warum er in der Krippe liegen mußte: es eilten nämlich damals [wegen der Volkszählung] von allen Seiten viele Leute nach Bethlehem, und sie hatten schon alle Wohnungen besetzt, so daß man wegen eines Unterkommens in großer Verlegenheit sein konnte. Dort war es auch, wo die Weisen ihn angebetet haben.

Doch ich will euch einen Beweis beibringen, der noch deutlicher und überzeugender ist. Jetzt merkt auf, ich bitte euch, denn ich muß euch eine weitläufige Untersuchung vortragen und alte Gesetze anführen, damit euch meine Rede in jeder Beziehung verständlicher werde. Bei den Juden bestand ein altes Gesetz — doch ich will weiter ausholen. Als Gott das Volk der Hebräer von dem Elend in Ägypten, und von der Tyrannei des fremden Königs befreit hatte, waren sie noch von einem Reste heidnischer Vorstellungen beherrscht; sie ließen sich nämlich von der Pracht der sichtbaren Dinge noch gleichsam bezaubern, und bewunderten namentlich große und schöne Tempel über die Maßen. Im Hinblick auf diese ihre Schwäche ließ ihnen Gott einen Tempel bauen, der nicht bloß durch Kostbarkeit des Materials und kunstvolle Ausstattung, sondern auch in Rücksicht auf Plan und Bauart alle Tempel der Welt in Schatten stellen mußte. Gott machte es hier ähnlich wie ein zärtlich liebender Vater mit seinem Sohne, wenn dieser sich nach langer Zeit dem Vater wieder zuwendet, nachdem er sich inzwischen mit lasterhaften Menschen, mit Verführern und Wüstlingen umhergetrieben und ein üppiges, schwelgerisches Leben geführt hat. Wie nämlich ein solcher liebevoller Vater dem Sohne noch größern Überfluß an Gütern zuweis’t, die er mit Ehren und ohne Sorgen besitzen und genießen soll, damit nicht der Sohn, etwas kurz gehalten, wieder seiner frühern Verhältnisse gedenkt und sie zurückwünscht: so wollte auch Gott den Juden, weil er ihre leidenschaftliche Vorliebe für äussere Schönheit kannte, das Herrlichste und Prachtvollste zur Verfügung stellen, damit sie sich nie nach Ägypten und nach Dem, was sie dort gesehen hatten, zurücksehnen möchten. Deßhalb ließ er den Tempel bauen nach dem Bilde der ganzen, der sinnlichen und übersinnlichen Welt. Die Welt besteht aus Himmel und Erde, und dazwischen ist dieses Firmament, das wir sehen, als Scheidewand aufgerichtet: ähnlich ließ er auch den Tempel einrichten. Auch diesen Tempel theilte er in zwei Abtheilungen, und ließ dazwischen einen Vorhang anbringen; der Raum ausserhalb des Vorhanges sollte für Jedermann zugänglich, dagegen der innere Raum für Alle — den Hohenpriester allein ausgenommen, — unnahbar und unsichtbar sein. Das ist nicht lediglich meine Ansicht; nein der Tempel war in der That als ein Abbild der ganzen Welt eingerichtet. Zum Beweise höret nur, was Paulus sagt, indem er von der Himmelfahrt Christi redet: „Denn nicht in ein mit Händen gemachtes Heiligthum, ein Abbild des wahren, ist Christus eingegangen.“ Damit zeigt er, daß dieses Heiligthum ein Abbild des wahren Heiligthums ist. Und daß auch der Vorhang das Allerheiligste von dem äussern Heiligthum trennte, so wie dieser Himmel Das, was darüber ist, trennt von Allem, was hier auf Erden ist, auch Das gibt er zu verstehen, indem er den Himmel einen Vorhang nennt. An einer andern Stelle nämlich, wo er über die Hoffnung spricht, daß wir an ihr einen sichern und starken Anker für unsere Seele besitzen, fügt er hinzu: „und der hineindringt in das Inwendige des Vorhanges, wohin als Vorläufer für uns eingegangen ist Jesus, über den Himmel in die Höhe.“ Siehst du, wie er den Himmel einen Vorhang nennt? Ausserhalb des Vorhanges befanden sich nun der Leuchter, der Tisch und ein eherner Altar für die Schlacht und Brandopfer. Im Innern aber, hinter dem Vorhange, war die Bundeslade, ganz mit Gold überzogen, mit den Gesetzestafeln, dem goldenen Mannabecher, dem grünenden Stab Aarons und mit dem goldenen Altar, der nicht für Schlacht und Brandopfer, sondern nur für Rauchopfer bestimmt war. Jenen äussern Theil durften Alle betreten, den innern nur der Hohepriester. Auch dafür will ich euch wieder ein Zeugniß beibringen. Paulus sagt wie folgt: „Es hatte also allerdings das erste Zelt Gerechtsame des Gottesdienstes und das weltliche Heiligthum, (weltliches Heiligthum nennt er das äussere Zelt, weil alle Welt dort eintreten durfte), in welchem die Leuchter waren und der Tisch und die Vorlage der Brode. Hinter dem zweiten Vorhange aber war ein Zelt, genannt das Allerheiligste, enthaltend ein goldenes Rauchfaß und die Lade des Bundes, ganz mit Gold überzogen, in welcher ein goldener Becher mit dem Manna, und der Stab Aaron’s, der geknospet hatte, und die Tafeln des Bundes, und über derselben waren Cherubim der Herrlichkeit, überschattend die Sühnstätte. Indem nun Dieß also eingerichtet war, gingen in das vordere Gezelt allezeit die Priester, wenn sie die Opferhandlungen vollzogen, in das zweite aber einmal im Jahre einzig der Hohepriester, nicht ohne Blut, welches er darbringt für seine und des Volkes Vergehungen.“ Siehst du, daß nur der Hohepriester hineingeht, und nur einmal im ganzen Jahre?

Was hat Das nun, sagt ihr, mit dem heutigen Tage zu thun? Geduldet euch ein wenig, und werdet nicht unruhig. Denn wir sind bis auf den letzten Grund der Sache zurückgegangen; und nun kommen wir bald zum Ziele, wo ihr Alles ganz leicht begreifen werdet. Allein damit meine Rede nicht zu lange dunkel bleibt, und euch nicht durch ihren Mangel an Klarheit bei dieser Ausführlichkeit überdrüssig macht, will ich euch schon sagen, warum ich Das alles vorgebracht habe. Was ist also der Grund? Als Maria empfing, waren es sechs Monate, daß Elisabeth den Johannes empfangen hatte. Wenn wir nun wissen, was für ein Monat dieser sechste Monat war, dann wissen wir auch, wann Maria empfangen hat. Wenn wir Das wissen, können wir auch leicht berechnen, wann sie geboren hat, indem wir nämlich von der Zeit der Empfängniß an um neun Monate weiter zählen. Woher werden wir nun wissen, welches der sechste Monat der Schwangerschaft der Elisabeth war? Zuerst müssen wir wissen, wann sie empfangen hat. Und woher werden wir erfahren, in welchem Monat sie empfangen hat? Wenn wir wissen, wann Zacharias, ihr Mann, jene frohe Botschaft erhalten hat. Und wie wird uns Das wieder bekannt? Aus der heiligen Schrift. Denn das heilige Evangelium sagt, daß der Engel dem Zacharias die frohe Botschaft in das Allerheiligste brachte, und dort über die Geburt des Johannes zu ihm redete. Wenn wir nun aus der heiligen Schrift mit Bestimmtheit nachweisen, daß der Hohepriester einmal im Jahre und zwar allein in das Allerheiligste hineinging, und ferner, wann, in welchem Monat er dieses eine Mal hineinging, dann haben wir offenbar die Zeit gefunden, in welcher Zacharias jene frohe Botschaft erhielt. Dann wird auch der Zeitpunkt, wo Elisabeth empfing, Allen ersichtlich sein. Daß nun der Hohepriester nur einmal im Jahre in das Allerheiligste hineinging, Das hat uns Paulus schon gesagt, und Dasselbe verkündigt uns Moses, indem er erzählt wie folgt: „Und der Herr redete zu Moses und sprach: „Sage Aaron, deinem Bruder, daß er die ganze Zeit nicht betrete das Heiligthum, welches innerhalb des Vorhanges vor der Sühnstätte ist, die über der Lade des Zeugnisses ist, auf daß er nicht sterbe.“ Und wiederum: „Und kein Mensch sei in dem Zelte des Zeugnisses, wenn er hineingeht in das Heiligthum, um zu flehen, bis er herauskommt, und er wird flehen für sich selbst und für sein Haus, und für die ganze Gemeinde der Kinder Israels. Und er wird flehen über der Sühnstätte vor dem Angesichte des Herrn.“ Daraus geht also hervor, daß er nicht zu jeder beliebigen Zeit in das Allerheiligste einging, und daß, während er drinnen war, Niemand mit ihm in Berührung kommen durfte, sondern Alle draussen, ausserhalb des Vorhanges stehen mußten. Das behaltet nur ganz genau im Gedächtnisse. Es erübrigt nämlich noch zu zeigen, zu welcher Zeit er in das Heiligthum einging, und daß er Das ganz allein, einmal des Jahres that. Woraus läßt sich Das nachweisen? Aus dem selben Buche; denn so heißt es dort: „Im siebenten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr strenge sein gegen euch selbst, und keine Arbeit verrichten an demselben, sowohl der Eingeborne als der Fremdling, der bei euch weilt. Denn an diesem Tage wird eure Versöhnung statt haben, euch zu reinigen von allen euren Sünden; vor dem Herrn sollt ihr gereinigt werden. Das soll der große Sabbath, Ruhe für euch sein; und strenge sollt ihr sein gegen euch selbst. Das soll immerdar Verpflichtung für euch sein. Und die Sühnung soll der Priester vollziehen, der da gesalbt ist, und dessen Hände geweiht sind, um das Priesterthum zu verwalten nach seinem Vater. Er soll das heilige Gewand anziehen, und sühnen das Allerheiligste und das Zelt des Zeugnisses und den Altar sühnen, und sühnen die Sünden der Priester und die ganze Gemeinde sühnen. Und Das soll euch immerdar Gesetz sein, die Sühnung zu vollziehen für die Kinder Israels wegen aller ihrer Sünden. Einmal im Jahre soll es geschehen, wie der Herr dem Moses befohlen hat.“ Von dem Laubhüttenfest ist hier die Rede. Dann nämlich, und nur dann im ganzen Jahre ging der Hohepriester in das Allerheiligste hinein; Das wurde auch deutlich erklärt in den Worten: einmal im Jahre soll Das geschehen.

Wenn also zur Zeit des Laubhüttenfestes der Hohepriester, und zwar er allein in das Allerheiligste eingeht, nun, so habe ich noch zu zeigen, daß damals der Engel dem Zacharias erschien, als dieser in dem Allerheiligsten war. Er war allein und brachte eben das Rauchopfer dar, als ihm der Engel erschien. Nun geschieht es aber nur dieses eine Mal, daß der Hohepriester, und zwar er allein hineingeht. Doch es steht Nichts im Wege, daß wir die Worte der heiligen Schrift selbst vernehmen. „Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias, und sein Weib, aus den Töchtern Aarons, und ihr Name war Elisabeth. Es begab sich aber, während er Priesterdienst that in der Ordnung seiner Reihe vor Gott, da kam er nach der Sitte des Priesterthums durch das Loos daran, daß er, eingetreten in den Tempel des Herrn, zu räuchern hatte. Und die ganze Menge des Volkes war betend draussen zur Stunde des Rauchopfers. (Hier erinnert euch, Geliebte, jenes Zeugnisses, das da besagt: Und kein Mensch soll in dem Zelte des Zeugnisses sein, wenn er in das Allerheiligste hineingegangen ist, um zu sühnen, bis er wieder herauskommt.) Und es erschien ihm ein Engel des Herrn, stehend zur Rechten des Rauchopferaltars.“ Es heißt nicht: des Schlacht oder Brandopferaltars, sondern des Rauchopferaltars; denn der Altar welcher draussen stand, Das war der Altar für Schlacht und Brandopfer; aber der Altar im Innern, Das war der Rauchopferaltar. Hieraus, und aus dem Umstande, daß der Engel ihm allein erschien, und auch aus der Bemerkung, daß draussen das Volk stand und auf ihn wartete, aus alledem folgt mit Gewißheit, daß er in das Allerheiligste eingetreten war. „Und Zacharias erschrack bei dem Anblick, und Furcht überfiel ihn. Es sprach aber zu ihm der Engel: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört worden, und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und seinen Namen sollst du Johannes nennen. Und das Volk wartete auf Zacharias, und sie wunderten sich bei seinem langen Verweilen. Als er aber hinausging, winkte er ihnen und konnte nicht reden.“ Siehst du, daß er im Innern, hinter dem Vorhang war? Da also erhielt er die frohe Botschaft. Die Zeit dieser Verkündigung war aber die Zeit des Laubhüttenfestes und der Fasten; denn auf das Fasten beziehen sich die Worte: Seid strenge gegen euch selbst. Dieses Fest wird von den Juden aber gefeiert gegen Ende des Septembers. Das werdet ihr mir auch bezeugen können; denn ich habe damals viele ausführliche Reden gegen die Juden gehalten, in denen ich ihr Fasten als ein verkehrtes und unzeitiges bekämpfte. Das war also auch die Zeit, wo Elisabeth, des Zacharias Weib empfing; „und sie verbarg sich fünf Monate hindurch, denn sie sagte: Also hat mir der Herr gethan in Tagen, da er darauf sah, meine Schmach unter den Menschen hinwegzunehmen.“ Nun ist es an der Zeit, zu zeigen, daß Elisabeth den Johannes im sechsten Monat in ihrem Schooße trug, als Maria die frohe Botschaft von ihrer Empfängniß erhielt. Hier der Beweis: Gabriel erschien ihr und sprach: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott; und siehe, du wirst empfangen und gebären einen Sohn, und seinen Namen sollst du Jesus nennen.“ Da sie aber erschrack und über das Wie Auskunft begehrte, da antwortete der Engel und sprach zu ihr: „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; deßhalb wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden. Und sieh, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat in ihrem Alter einen Sohn empfangen, und Dieß ist der sechste Monat für sie, die unfruchtbar heißt; denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Wenn also gegen Ende des Monats September, wie gezeigt worden, Elisabeth empfangen hat, dann müssen wir von diesem Monate an die sechs folgenden Monate hinzurechnen. Das sind die Monate: Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März. Im sechsten Monate war es, daß Maria empfing; zählen wir wieder um neun Monate weiter, so kommen wir auf den gegenwärtigen Monat. Der erste Monat nach der Empfängniß Mariä war also der April, dann folgt der Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober, November, Dezember, und Das ist der gegenwärtige Monat, in welchem wir dieses Fest feiern.

Damit euch aber meine Beweisführung wieder deutlicher wird, will ich sie euch kurz zusammengefaßt noch einmal vortragen. Einmal im Jahre ging der Hohepriester und zwar er allein, in das Allerheiligste. Wann geschah Das? Im Monat September. Zu dieser Zeit also ging Zacharias in das Allerheiligste, und da wurde ihm auch die frohe Botschaft in Betreff des Johannes gebracht. Nachdem er er nun von dort zurückgekehrt war, begann die Zeit der Schwangerschaft Elisabeths. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, also im sechsten Monat nach dem September, d. i. im März, hat dann Maria empfangen. Zählen wir nun vom April an bis zum neunten Monat nachher, so kommen wir auf den gegenwärtigen Monat, in dem unser Herr Jesus Christus geboren ist.

Nun habe ich euch Alles, was den heutigen Tag betrifft, d. h. warum an diesem Tage die Geburt des Herrn gefeiert wird, klar gemacht. Noch eins will ich sagen, und dann meine Rede schließen und unserm gemeinsamen Lehrer die wichtigern Gegenstände überlassen.

Es pflegen nämlich viele Heiden, wenn sie von der Geburt Gottes im Fleische hören, darüber zu spotten und zu schmähen, und so bringen sie denn manche von den weniger unterrichteten Christen in Verlegenheit und Verwirrung. Deßhalb muß ich einige Worte gegen diese Heiden, und an die durch solches Gerede verwirrten Christen richten, damit diese sich nicht mehr von dummen Menschen bethören, und nicht durch den Hohn der Ungläubigen ausser Fassung bringen lassen. Auch kleine Kinder pflegen oft darüber zu lachen, wenn wir von ernsten Sachen reden und uns um nothwendige Dinge eifrig bemühen, allein ihr Lachen beweis’t nicht, daß die belachten Dinge geringfügig und bedeutungslos, sondern beweis’t nur, daß die Lacher ohne Verstand sind. Das ist auch von diesen Heiden zu sagen, daß sie nämlich fast mit mehr als kindischem Unverstand die heiligsten und ehrwürdigsten Dinge bespötteln, dagegen das wahrhaft Lächerliche ehren und verherrlichen. Allein durch ihren Spott können unsere heiligen Geheimnisse Nichts von ihrer Ehrwürdigkeit verlieren, kann ihre Herrlichkeit nicht im Geringsten geschädigt werden, wie auch andererseits Das, was sie ihr eigen nennen, nothwendig seine Häßlichkeit und Abscheulichkeit verräth, mag es auch von ihnen auf jede Weise verherrlicht werden. Denn es ist ein Wahnsinn ohne Gleichen! wenn sie ihre Götter in Steine, in Holzstämme und in Standbilder von ganz gewöhnlicher Sorte einziehen lassen, und darin einsperren wie in einem Gefängniß, dann gleiten sie leicht darüber hinweg und meinen nichts Ungehöriges zu thun oder zu behaupten; wenn wir aber sagen, daß sich Gott durch den heiligen Geist einen lebendigen Tempel zubereitet hat, um durch ihn der Welt das Heil zu bringen: dann treffen uns ihre Schmähungen! Und wie könnte denn diese Lehre einen Tadel verdienen? Wenn es unziemlich wäre, daß Gott in einem menschlichen Leibe wohnt, so ist doch jedenfalls seine Einwohnung in Holz und Stein noch weit mehr unziemlich, und zwar in demselben Grade, als Holz und Stein der menschlichen Natur nachstehen; oder sie müßten denn dafür halten, daß unser Geschlecht sogar tiefer stehe als diese vernunftlosen Geschöpfe. Sie lassen die göttliche Wesenheit sogar in Katzen und Hunden wohnen! Viele Häretiker weisen ihr noch schimpflichere Wohnungen an. Vor solchen Lehren schreckt man nicht zurück. Wir aber behaupten solche Ungeheuerlichkeiten keineswegs, wir mögen es nicht einmal anhören. Das lehren wir vielmehr, daß Christus aus einem jungfräulichen Mutterschooße einen reinen, heiligen, makellosen, jeder Sünde unzugänglichen Leib angenommen, und dadurch seine eigene Schöpfung zu neuer Würde emporgehoben hat. Behaupten nicht jene Heiden und die Manichäer, die ja zu denselben gottlosen Lehren bekennen, daß die göttliche Wesenheit sich mit Affen, Hunden und Thieren aller Art verbinde? Das ist ihre Lehre; denn sie stellen bekanntlich den Satz auf, daß alle diese Thiere aus dem göttlichen Wesen ihre Seele erhalten. Vor dieser Lehre schrecken sie nicht zurück; dieser Lehre schämen sie sich nicht. Und uns die wir selbst von dem Gedanken an solche Lehren weit entfernt sind, uns zeihen sie unwürdiger Vorstellungen über Gott den Herrn! Und weßhalb? Weil wir uns zu einer Wahrheit bekennen, die durchaus Gottes würdig ist: daß er nämlich, in die Welt eintretend, durch seine Geburt und die Art und Weise seiner Geburt seine eigene Schöpfung wieder hergestellt und gehoben hat. Was sind das doch für Behauptungen, du Mensch, zu denen zu dich versteigst? Göttlichen Wesens sind für dich die Seelen der Mörder und Teufelskünstler; wie kannst du es wagen, gegen unsere Lehre Klage zu erheben, da wir doch dergleichen schnöde Behauptungen entfernt nicht zulassen, nicht einmal anhören mögen? — ja wir betrachten sogar die Bekenner solcher Lehren als Theilnehmer an der Gottlosigkeit. Wie kannst du es also wagen, uns zu schmähen wegen der Lehre, daß sich Gott [bei der Menschwerdung] einen heiligen Tempel zubereitet und dadurch die Lebensweise der Himmelsbewohner in unser irdisches Leben verpflanzt hat? Ihr habt unzweifelhaft tausendmal den Tod verdient, sowohl wegen der Schmähungen, mit denen ihr uns überhäuft, als auch wegen der Frevel, die ihr unablässig begeht. Denn wenn es in der That, wie ihr behauptet, Gottes unwürdig ist, einen reinen, makellosen Leib zu seiner Wohnung zu erwählen, dann ziemt es sich noch weit weniger, daß er statt des heiligen, unbefleckten und jetzt zur Rechten des Vaters thronenden Leibes den Leib des Teufelskünstlers, des Räubers, des Grabschänders, des Affen, des Hundes bewohne. Wie könnte denn aus dieser Mensch werdung für Gott den Herrn ein Nachtheil erwachsen oder eine Befleckung entstehen? Betrachtet doch diese unsere Sonne, eine sichtbare, zerstörbare, vergängliche Creatur, — denn das ist sie, wenn auch die Heiden und Manichäer bei dieser Behauptung tausendmal vor Ärger bersten wollen. Aber nicht bloß die Sonne, sondern auch die Erde, das Meer und überhaupt die ganze sichtbare Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen. Höre, wie Paulus uns diese Wahrheit verkündigt: „Denn der Nichtigkeit ist die Schöpfung unterworfen worden, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, welcher sie unterworfen hat auf Hoffnung hin.“ Dann lehrt er auch, was die Worte: „der Nichtigkeit unterworfen“ bedeuten. Er fügt nämlich hinzu: „weil auch sie selber, die Schöpfung, befreit werden wird aus der Knechtschaft der Verderbtheit in die Freiheit der Glorie der Kinder Gottes.“ Sie ist also jetzt vergänglich und verderbt. Denn in der Knechtschaft der Verderbtheit sein, Das heißt nichts Anderes, als zerstörbar sein. Ich wollte also sagen: Diese unsere Sonne, ein materielles, verderbtes Ding, sendet überall ihre Strahlen hin; auch mit Schmutz und Unrath u. s. w. tritt sie in Gemeinschaft; wird aber durch diese Gemeinschaft ihre Reinheit geschädigt? Zieht diese Sonne nicht vielmehr die Strahlen in ihrer ganzen Reinheit wieder zurück, nachdem sie die Vorzüge ihrer Natur einer großen Menge von Dingen, die ihre Strahlen auffangen, mitgetheilt, aber von dem Gestank und Schmutz auch nicht das Geringste angenommen hat? Wenn dem so ist, dann ist die Wahrheit noch viel glaubhafter, daß die Sonne der Gerechtigkeit, der höchste Herr der Geisterwelt, durch seine Einkehr in einen reinen Leib nicht bloß keine Befleckung erlitten. sondern sogar eben diese menschliche Natur zu einer größern Reinheit und Heiligkeit erhoben hat. Das alles wollen wir recht erwägen und zugleich des Wortes gedenken: „Wohnen will ich in euch und unter euch wandeln;“ und des andern Ausspruches: seid ein Tempel Gottes, und der Geist Gottes wohnt in euch.“ Das wollen wir auch auf ihre Angriffe antworten und so den unverschämten Mund der Gottlosen verstummen machen. Zugleich aber laßt uns frohlocken über die Gnaden und Vorzüge, die uns zu Theil geworden sind, und preisen den menschgewordenen Gott für eine so große Herablassung und ihm nach Maßgabe unserer Kräfte eine Ehre beweisen und eine Gegenleistung anbieten, wie sie ihm zukommt. Es gibt aber Nichts, womit wir ihm vergelten könnten, als die Sorge für unser Heil und die Rettung unserer Seelen und die fleissige Übung der Tugend.

Seien wir also nicht undankbar gegen unsern Wohlthäter! Laßt uns alle vielmehr ihm Alles darbringen, was wir nur aufbringen können: Glaube, Hoffnung, Liebe, Mäßigkeit, Almosen, Gastfreiheit. Und Dasselbe, was ich euch noch vor Kurzem an’s Herz gelegt, Das will ich euch heute wieder und Das werde ich euch unaufhörlich an’s Herz legen. Was ist Das denn? Wenn ihr zu diesem wahrhaft furchtbaren und göttlichen Gastmahle, zu dem heiligen Geheimniß hinzutreten wollet, dann kommt mit Furcht und Zagen, mit reinem Gewissen, unter Gebet und Fasten, und hütet euch wohl zu lärmen, mit den Füßen zu stampfen und den Nachbar zu stoßen! Das wäre ja heller Wahnsinn und würde nicht geringe Verachtung bekunden. Daher läßt Gott über Diejenigen, welche sich so benehmen, große Strafen und Züchtigungen kommen. Bedenke doch, o Mensch, was Das für ein Opfer ist, dessen du dich theilhaftig machen, was für ein Gastmahl, dem du dich nahen willst. Erwäge, daß du — Staub und Asche — den Leib und das Blut Christi empfängst. Wenn euch der Kaiser zu einem Gastmahl ladet, seid ihr bei Tisch von ehrerbietiger Furcht erfüllt und nehmet von den aufgetragenen Speisen nur schüchtern und schweigend; hier aber ruft euch Gott der Herr an seinen Tisch und bringt auf diesen Tisch seinen eingebornen Sohn! Engel des Himmels stehen dabei, voll Furcht und Zagen; die Cherubim verhüllen ihr Angesicht; zitternd rufen die Seraphim: Heilig, heilig, heilig ist der Herr; — und du — verantworte dich doch — du schreist und lärmst bei diesem hochheiligen Gastmahl! Weißt du nicht, daß in diesen Augenblicken die Seele voll heiliger Ruhe sein soll? Da ist die Fülle stillen Friedens vonnöthen, da ist Lärm, Zorn und Verwirrung nicht an der Stelle; denn dadurch wird die Seele des Gastes verunreinigt. Wie können wir von Gott Nachsicht erwarten, wenn wir nach so vielen und so großen Sünden auch nicht einmal in dem Augenblicke, wo wir zu diesem heiligen Mahle hinzutreten, von jenen unsinnigen Leidenschaften frei sind? Was ist denn überhaupt nothwendiger als die Theilnahme an diesen heiligen Geheimnissen? Oder was regt uns auf, daß wir so eilig sind, daß wir unsere Seele und ihre Anliegen vergessen und zu den Sorgen für das Fleisch und die Welt hinstürmen? Laßt uns doch nicht, ich bitte und beschwöre euch, den Zorn Gottes gegen uns erregen! Das, was uns hier geboten wird, ist eine heilsame Arznei für unsere Wunden, ein unerschöpflicher Reichthum, ein Mittel, das Himmelreich zu gewinnen. Darum wollen wir nur mit großer Ehrfurcht hinzutreten, wollen zugleich auch Dank sagen, uns niederwerfen, unsere Sünden bekennen, trauernd unser Elend beweinen und andauernd inständige Gebete zu Gott emporsenden. So laßt uns zuerst unser Inneres reinigen und dann ruhig und gemessen, in geziemender Ordnung hinzutreten; es ist ja der König des Himmels, dem wir uns nahen. Wenn wir dann die heilige und makellose Opferspeise empfangen haben, dann wollen wir sie ehrerbietig küssen, voll Liebe betrachten und unser Herz entzünden, damit wir nicht zum Gerichte und zur Verdammung zusammenkommen, damit sie uns vielmehr gereiche zur Heiligung der Seele, zur Liebe und Tugend, zur Versöhnung mit Gott, zum dauerhaften Frieden, zur Theilnahme an zahllos vielen Gütern und Gnaden, auf daß wir uns selbst heiligen und den Nächsten erbauen.

Das sage ich unablässig, und Das werde ich zu sagen niemals aufhören. Was könnte es euch auch nützen, gleichgiltig und gedankenlos hieher zu laufen, ohne etwas Heilsames zu vernehmen? Oder was brächte es für einen Gewinn, wenn ich immer nach euern Wünschen und Gelüsten predigen würde? Die Zeit dieses Lebens ist kurz, meine Theuern! Wir wollen fasten, wachen, uns versöhnen, gegen Jedermann eine eifrige und aufrichtige Liebe an den Tag legen und in allen Dingen uns der Gottseligkeit befleissen. Und wenn wir das Wort Gottes anhören müssen, wenn wir beten, wenn wir kommuniziren oder irgend ein anderes Werk dieser Art vornehmen müssen, dann soll es immer mit banger Ehrfurcht geschehen, damit wir uns nicht durch unsere Nachläßigkeit den Fluch zuziehen. „Denn verflucht ist Jeder,“ so sagt die Schrift, „der das Werk Gottes nachläßig verrichtet.“ Lärm und zorniges Benehmen ist ein Frevel gegen dieses heilige Opfer. Es zeugt von einer Verachtung ohne Gleichen, wenn man mit beflecktem Herzen sich Gott dem Herrn naht. Höre, was von solchen Menschen der Apostel sagt: „Wenn Jemand den Tempel Gottes verdirbt, wird ihn der Herr verderben.“ Laßt uns also wohl zusehen, daß wir nicht den Herrn erzürnen, statt ihn zu versöhnen. Laßt uns deßhalb zu diesem Mahle hintreten mit großer Vorsicht, in vollkommener Ordnung, frei von leidenschaftlicher Aufregung, unter Gebet und mit zerknirschtem Herzen, auf daß wir auch dadurch unsern Herrn Jesus Christus versöhnen und theilhaft werden können seiner Verheissungen, durch die Gnade und Liebe dieses unseres Herrn Jesu Christi. Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre, Macht, Herrlichkeit, jetzt und immer und in Ewigkeit. Amen.

Auf Epiphanie

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

In welchem Jahre die vorliegende Rede gehalten wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Montfoucon vermuthet aus innern Gründen, die er freilich selbst nicht für beweisend hält, daß sie in das Jahr 387 zu setzen ist.

Das Fest der Erscheinung wird hier nur mit der Taufe des Herrn in Verbindung gebracht; es wird weder die Anbetung der Weisen noch die Hochzeit zu Kana erwähnt. So heißt es auch in der Rede de beato Philogonio (bei Montfoucon I. 497): „Wäre Christus nicht dem Fleische nach geboren, so wäre er auch nicht getauft worden; Das ist nämlich das Fest der Theophanie.“

Sehr ergreifend und zugleich ein Beweis, daß sich bei der Feier der heiligen Geheimnisse die bedenklichsten Unordnungen einzubürgern drohten, sind die Ermahnungen im letzten Kapitel: die Christen sollen sich beim Empfange der heiligen Kommunion ruhig und anständig benehmen und die Danksagung nicht unterlassen.

Inhalt.

Die große Menge der Anwesenden legt dem Redner den Gedanken nahe, daß viele Christen nur an hohen Festtagen, aber nicht das Jahr hindurch den Gottesdienst besuchen. Er mahnt nachdrücklich zur Besserung. — Am Feste der Erscheinung des Herrn wird das Gedächtnis seiner Taufe begangen. Die Taufe des Heilandes war nicht eine im jüdischen Gesetze begründete Waschung, auch nicht die christliche Taufe, sondern die Taufe des Johannes. Hauptsächlich aus zwei Ursachen ließ der Herr sich taufen: erstens, um durch das Zeugnis des Johannes das Judenvolk zum Glauben zu bewegen, und zweitens, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen. — Von der heiligen Kommunion: die Christen sollen mit reinem Herzen, in Ruhe und Ordnung zur heiligen Kommunion gehen und sich nicht vor dem Schlusse der gemeinsamen Danksagung entfernen.

Text

 

Gegen das Versäumniß des Gottesdienstes. Über die heilige und heilbringende Taufe Jesu Christi, unseres Erlösers. Von der unwürdigen Kommunion. Diejenigen, welche sich vor dem Ende der Liturgie und vor dem Schluß [Dank] Gebet entfernen, sind Nachahmer des Judas. Ihr alle seid am heutigen Tage voll Freude, ich allein bin traurig. Denn wenn ich auf diese Schaar von Gläubigen hinschaue, die sich groß und weit wie das Meer vor meinen Blicken ausdehnt, auf diesen unermeßlich reichen Schatz der heiligen Kirche, dann muß ich zugleich daran denken, daß diese Schaar [für lange Zeit] hinweggeeilt und verschwunden sein wird, sobald das Fest vorüber ist; und dieser Gedanke ist es, der mein Herz mit Wehmuth und Trauer erfüllt. Warum kann sich doch die Kirche, die so viele Kinder geboren hat, nur an Festtagen, und warum nicht bei jeder gottesdienstlichen Versammlung dieser Kinder freuen? Welch eine heilige Freude, welch eine Wonne, welch eine Ehre für Gott den Herrn, und welch ein Gewinn für die Seelen, wenn wir bei jedem Gottesdienste die Räume der Kirche so gefüllt sähen wie heute! Aber ach, während die Seefahrer alle ihre Kräfte aufbieten, um ihre Fahrt über das weite Meer möglichst schnell zu Ende zu führen, sind wir darauf bedacht, auf hoher See allenthalben hin und her zu irren; wir segeln fortwährend auf den stürmischen Wogen weltlicher Geschäfte, treiben uns auf den öffentlichen Plätzen und in den Gerichtsstuben umher; und hier erscheinen wir kaum einmal oder zweimal im ganzen Jahre! Wißt ihr denn nicht, daß nach Gottes Plan und Absicht in den Städten die Kirchen Dasselbe sein sollen, was im Meere die Häfen? daß wir aus den Stürmen und Wirren dieses Lebens uns hierher zurückziehen sollen, um hier der größten Ruhe und Sicherheit zu genießen? Hier hat man nicht zu fürchten die brausende Fluth, nicht räuberische Angriffe oder heimtückische Nachstellungen, nicht die Gewalt des Orkans, nicht die Bosheit gefährlicher Raubthiere. Denn ein Hafen ist die Kirche, in welchem man gegen alle diese Gefahren gesichert ist, ein Hafen im geistigen Sinne, ein Hafen für die Seelen. Das könnt ihr bezeugen; denn wenn irgend Einer von euch jetzt sein Inneres untersucht, so wird er darin eine große Stille finden. Er wird jetzt nicht beunruhigt vom Zorn, nicht erhitzt von der Begierlichkeit, nicht gequält von Mißgunst, nicht aufgebläht von Hochmuth, nicht gestachelt von Sucht nach eitler Ehre. Alle diese wilden Thiere sind jetzt gezähmt; denn die Worte der heiligen Schrift, die man hier hört und in das Herz aufnimmt, sind wie ein göttlicher Zaubergesang, der diese unsinnigen Leidenschaften einschläfert. Wenn man es nun gleichwohl unterläßt, die Kirche, die gemeinsame Mutter aller Gläubigen, andauernd und regelmäßig zu besuchen und zu seinem Aufenthalte zu erwählen, trotz der Aussicht, hier solche Weisheit zu lernen und solche Seelenruhe zu verkosten, — ist Das nicht ein überaus großes Unglück? Wie könntest du die Zeit denn besser verwenden? wo einer nützlichern Zusammenkunft beiwohnen? Und was hindert dich denn, hier zu verweilen? Jedenfalls wirst du sagen, deine Armuth erlaube dir nicht, an dieser herrlichen Versammlung Theil zu nehmen. Allein das ist keine rechtmäßige Entschuldigung. Sieben Tage hat die Woche, und diese sieben Tage hat Gott mit uns getheilt. Er hat aber nicht etwa für sich den größern Theil behalten und uns den kleinern gegeben, ja er hat nicht einmal zu gleichen Theilen mit uns getheilt, er hat nicht drei für sich genommen und drei abgegeben; nein er hat dir sechs zugewiesen und sich einen vorbehalten. Du aber willst dich nicht dazu verstehen, an diesem einen Tage dich ganz von weltlichen Geschäften abzukehren, und du scheust dich nicht, diesen Tag in derselben Weise zu mißhandeln, wie ein Kirchenräuber das Heiligthum, an dem er sich vergreift! Denn du raubst diesen geheiligten und der Anhörung des göttlichen Wortes geweihten Tag, um ihn zu weltlichen Sorgen zu mißbrauchen. Doch was rede ich von dem ganzen Tage? Bringe dem Herrn doch wenigstens einen geringen Bruchtheil dieses Tages zum Opfer, ähnlich dem kleinen Almosen, das die Wittwe gespendet hat! Wie jene Wittwe zwei Heller geopfert und sich dadurch Gottes Wohlgefallen in hohem Grade erworben hat, so leihe auch du Gott dem Herrn zwei Stunden, dann wirst du einen Gewinn mit nach Hause nehmen, der tausend Tage aufwiegt. Willst du Das nicht, dann sieh wohl zu, daß du nicht die Früchte jahrelanger Arbeiten verlierest, weil du dich weigerst, dich einmal einen geringen Theil des Tages hindurch vom irdischen Gewinne abzuwenden. Denn wenn man Gott den Herrn verachtet, dann weiß er uns auch die schon gesammelten Güter wieder zu entziehen. Das hat er einst den Juden angedroht, weil sie die Sorge um seinen Tempel vernachläßigten: „Ihr habt sie (die Güter) in eure Häuser zusammengetragen, ich blase sie hinaus,“ spricht der Herr. Wenn du dich bloß einmal oder zweimal im Jahre bei uns einfindest, sag’ an, was können wir dich dann lehren von jenen Wahrheiten, die man doch nothwendig wissen muß? über die Seele, den Leib, die Unsterblichkeit, das Himmelreich, die Strafe, die Hölle, die Langmuth Gottes, die Verzeihung, die Buße, die Taufe, die Nachlassung der Sünden, die himmlische und die irdische Schöpfung, die Natur des Menschen, die Engel, die Bosheit der verworfenen Geister, die Ränke des Teufels, das christliche Leben, die Gebote, den rechten Glauben, die Irrthümer der Ketzereien? Das und noch manches Andere muß der Christ wissen, von alle Dem muß er Rechenschaft geben, wenn er gefragt wird. Ihr aber, die ihr bloß einmal des Jahres und zwar nur so ganz flüchtigen Sinnes euch hier versammelt, nicht aus frommer Gesinnung, sondern weil eben das Fest es so mit sich bringt, ihr könnt jene Wahrheiten auch nicht zum geringsten Theile kennen lernen. Denn wie sehr könnte man schon zufrieden sein, wenn auch nur diejenigen Christen, die ganz regelmäßig an unsern Versammlungen Theil nehmen, sich alle jene Lehren gehörig zu eigen machten!

Viele von euch, die ihr hier zugegen seid, haben Sklaven oder Söhne; wenn ihr diese einem Meister in die Lehre geben wollt, dann verwehrt ihr ihnen unbedingt den Zutritt zu eurem Hause, nachdem ihr sie vorher mit Kleidung und Unterhalt und allem Nöthigen versorgt habt; ihr laßt sie bei dem Meister wohnen und verbietet ihnen, euer Haus zu betreten. Das thut ihr, damit sie durch den fortwährenden Aufenthalt in dem Hause des Meisters seine Kunst besser und gründlicher lernen und durch keine Sorge in ihrer Erlernung gestört werden. Und was ihr hier lernen sollt, nicht irgend eine gewöhnliche und alltägliche Kunst, sondern die größte von allen Künsten, wie man nämlich Gott gefällt und in den Himmel kommt, — Das meint ihr trotz aller Flüchtigkeit und Leichtfertigkeit gehörig lernen zu können? Das ist ja ein Unverstand ohne Gleichen! Dieses Lernen ist wahrlich eine Sache, welche viel Fleiß und Aufmerk samkeit erheischt. Höre nur, was der Herr sagt „lernet von mir, denn ich hin sanftmüthig und demüthig von Herzen.“ Und was der Prophet sagt: „Kommet, ihr Kinder, höret auf mich; die Furcht des Herrn will ich euch lehren.“ Und wiederum: „Verweilet und erkennet, daß ich der Herr bin.“ Es ist also viel Zeit und Mühe vonnöthen, wenn man sich diese christliche Weisheit aneignen will.

Doch ich will nicht die ganze Zeit mit Vorwürfen gegen Diejenigen verbringen, die in der Regel abwesend sind. Was ich eben gesagt habe, um sie aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln, mag also genügen, und wir wollen jetzt zu einigen Erwägungen über das heutige Fest übergehen. Denn viele Christen begehen die Feste und kennen die Namen derselben, ohne über ihre Veranlassung und Entstehung unterrichtet zu sein. Daß das Fest, welches wir heute feiern, Fest der Erscheinung genannt wird, Das wissen Alle; welche Erscheinung aber und ob eine oder zwei Erscheinungen gemeint sind, Das wissen sie nicht. Jahr für Jahr feiern sie das Fest und kennen gleichwohl den Gegenstand und die Veranlassung der Feier nicht: Das ist sehr beschämend und lächerlich zugleich. Zuerst muß ich euch nun sagen, daß es nicht bloß eine, sondern zwei Erscheinungen des Herrn gibt. Die eine ist diejenige, welche schon geschehen ist; die andere ist die zukünftige, die sich am Ende der Welt in großer Herrlichkeit vollziehen wird. Von beiden Erscheinungen habt ihr heute den heiligen Paulus in seinem Briefe an Titus reden hören. Von der schon geschehenen Erscheinung sagt er: „Erschienen ist die Gnade Gottes, die heilwirkende, allen Menschen, uns unterweisend, daß wir absagend der Gottlosigkeit und den weltlichen Begierden, besonnen und gerecht und fromm leben in dieser Gegen wart,“ und dann von der künftigen: Erwartend die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus.“ Und der Prophet sagt von derselben, wie folgt: „Die Sonne wird in Finsterniß verwandelt werden und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und glänzende.“ Warum wird nun aber nicht der Tag der Geburt des Herrn, sondern der Tag seiner Taufe als seine Erscheinung gefeiert? Der heutige Tag ist nämlich derjenige, an dem er getauft worden ist und die Natur des Wassers geheiligt hat. Darum, weil heute das Wasser geheiligt worden ist, pflegt man allgemein in der Mitternachtsstunde des heutigen Festes Wasser zu schöpfen, um es zu Hause sorgfältig aufzuheben und dann ein ganzes Jahr zu verwahren; und es geschieht durch ein offenbares Wunder, daß dieses heut geschöpfte Wasser nicht verdirbt, sondern ein ganzes Jahr, ja oft zwei und drei Jahre lang frisch und unversehrt bleibt, so daß es nach Ablauf dieser langen Zeit mit dem soeben an der Quelle geschöpften Wasser vollständig den Vergleich aushält. Warum also wird dieser Tag Fest der Erscheinung genannt? Weil der Herr nicht bei seiner Geburt, sondern erst bei seiner Taufe allgemein bekannt wurde; denn bis zu diesem Tage war er der großen Masse des Volkes unbekannt. Daß ihn nämlich die Menge nicht kannte und nicht wußte, wer er war, Das sagte Johannes der Täufer. Höre seine Worte: „In eurer Mitte steht er, den ihr nicht kennt.“ Was Wunder übrigens, wenn die Andern ihn nicht kannten, da auch der Täufer selbst ihn bis zu diesem Tage nicht kannte? Denn so sagte er: „Und ich kannte ihn nicht, aber Der, welcher mich geschickt hat zu taufen in Wasser, Er sprach zu mir: Auf welchen du den Geist niedersteigen siehest und weilen auf ihm, Dieser ist es, welcher tauft im heiligen Geiste.“

Aus dem bisher Vorgetragenen ist nun ersichtlich, daß es eine zweifache Erscheinung des Herrn gibt. Es ist aber noch aus einander zu setzen, weßhalb Christus zur Taufe gekommen und was das für eine Taufe ist, zu der er gekommen ist; denn auch Das muß man wissen. Beides muß ich euch erklären, und zwar zuerst, was für eine Taufe er empfangen hat; denn daraus werden wir die Ursache seiner Taufe ersehen.

Eine Taufe gab es bei den Juden: diese reinigte von leiblichen [levitischen] Befleckungen, nicht von dem Sündenschmutz der Seele. Denn wenn Jemand einen Ehebruch begangen oder einen Diebstahl verübt oder eine andere Sünde solcher Art gethan hatte, konnte ihn diese Taufe nicht von der Schuld entlasten. Wenn man aber Todtengebeine berührt, wenn man verbotene Speisen genossen hatte, wenn man von einem verwesenden Leichnam herkam, wenn man mit Aussätzigen zusammen gewesen war, dann mußte man sich waschen, war darauf bis zum Abend unrein, und dann war man rein. Denn so heißt es: „Er soll seinen Leib in reinem Wasser waschen und unrein sein bis zum Abend, und dann wird er gereinigt sein.“ Das war nämlich nicht eigentlich Sünde und Unreinigkeit; aber Gott bildete die Juden, die noch sehr unvollkommen waren, durch dergleichen Vorschriften und Übungen zu größerer Frömmigkeit heran und bereitete sie schon früh zur Beobachtung wichtigerer Gebote vor.

Die Reinigungen bei den Juden befreiten also nicht von Sünden, sondern nur von leiblicher Beflecktheit. Unsere Taufe dagegen ist nicht von dieser Art, sondern ist weit erhabener und enthält einen großen Reichthum an Gnaden. Denn sie befreit von Sünden, wäscht die Seele rein und stattet sie aus mit den Gaben des heiligen Geistes. Die Taufe des Johannes war einerseits viel höhern Ranges als die Waschungen bei den Juden, aber andererseits geringer als unsere Taufe. Sie war zwischen beiden Arten von Reinigungen gleichsam eine Brücke, die von der einen zur andern hinüberführte. Denn Johannes hielt seine Zuhörer keineswegs zur Beobachtung jener körperlichen Reinigungen an; davon sah er vielmehr ganz ab. Dagegen ermahnte er sie eindringlich, sich von der Sünde abzuwenden und zur Tugend zu bekehren, auf gute Werke und nicht auf die verschiedenen Waschungen und Reinigungen die Hoffnung des Heiles zu gründen. Denn er sagte nicht: Wasche deine Kleider, wasche deinen Leib, und du wirst rein sein; wie sagte er vielmehr? „Bringet würdige Früchte der Buße!“ Demgemäß war also die Taufe des Johannes höhern Ranges als die Waschungen bei den Juden. Unserer Taufe aber steht sie nach. Denn die Taufe des Johannes konnte weder den heiligen Geist verleihen noch Verzeihung durch die Gnade gewähren. Er mahnte zur Buße, aber er hatte nicht die Gewalt, Sünden nachzulassen. Deßhalb sagte er auch: „Ich taufe euch in Wasser, Jener aber wird euch im heiligen Geiste und im Feuer taufen.“ Daraus geht hervor, daß er selbst nicht mit dem heiligen Geiste taufte. Was bedeuten aber die Worte: im heiligen Geiste und im Feuer? Erinnere dich hier an jenen Tag, wo den Aposteln zertheilte Zungen wie Feuer erschienen und es auf einem jeden von ihnen sich niederließ. Daß die Taufe des Johannes unvollkommen war, indem sie weder die Gaben des heiligen Geistes noch Verzeihung der Sünden mittheilte, geht auch aus Folgendem hervor. Paulus traf einst einige Jünger an und fragte sie: Habt ihr, nachdem ihr gläubig geworden, den heiligen Geist empfangen? Sie aber sprachen: Wir haben nicht einmal gehört, ob ein heiliger Geist sei. Er aber sagte zu ihnen: Auf was seid ihr denn getauft worden? Und sie erwiderten: Auf die Taufe des Johannes. Paulus aber sprach: Johannes ertheilte eine Taufe zur Buße (zur Buße! nicht zur Verzeihung! und weßwegen taufte er?), indem er dem Volke sagte, an Denjenigen, der nach ihm komme, sollten sie glauben, das ist an den Herrn Jesus. Und als sie Das gehört hatten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesus getauft. Und nachdem Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der heilige Geist auf sie herab. Siehst du, wie unvollkommen die Taufe des Johannes war? Denn wäre sie es nicht, dann hätte Paulus diese Jünger nicht wieder getauft, hätte ihnen nicht die Hände aufgelegt. Da er nun aber Beides gethan hat, so hat er damit gezeigt, daß die apostolische Taufe eine höhere Würde besitzt, und daß die Taufe des Johannes tief unter ihr steht.

Daraus haben wir nun gelernt, wie die einzelnen Arten der Taufe sich unterscheiden. Jetzt muß ich noch erklären, warum Christus sich taufen läßt, und welche Taufe er empfängt. Das war weder eine Taufe nach Art der jüdischen Reinigungen, die schon vordem in Gebrauch waren, noch unsere Taufe, die erst später angeordnet wurde. Denn erstens hatte er keine Sündenvergebung nothwendig, (wie wäre es auch möglich, daß er der Verzeihung bedürfte, da er ja keine Sünde hatte? „Eine Sünden heißt es, „hat er nicht gethan, und kein Trug ist in seinem Munde gefunden worden.“ Und wiederum: „Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“) und zweitens war dieser Leib keineswegs des heiligen Geistes baar; denn wie wäre Das möglich, da er gleich von vornherein aus dem heiligen Geiste gebildet ward? Wenn also dieser Leib weder des heiligen Geistes entbehrte noch der Sünde unterworfen war, weßhalb ließ er sich denn taufen? Doch vorher müssen wir noch erfahren, welche Taufe er empfangen hat; dann wird uns der Grund seiner Taufe besser einleuchten. Welche Taufe hat er also empfangen? Nicht eine jüdische, nicht die unsrige, sondern die Taufe des Johannes. Und warum hat er diese empfangen? Damit du eben aus dem Wesen und Charakter dieser Taufe ersehest, daß weder Sündenschuld noch Mangel an Gnaden des heiligen Geistes der Grund seiner Taufe war. Denn die Taufe des Johannes konnte diese nicht verleihen, konnte jene nicht tilgen, wie ich schon gezeigt habe. Daraus geht nun klar hervor, daß der Herr nicht etwa deßhalb zum Jordan kam, um Nachlassung von Sünden zu erhalten, und auch nicht, um mit dem heiligen Geiste ausgestattet zu werden. Und damit Niemand von den Anwesenden vermeinen sollte, er komme als Büßer, wie die Andern, kam Johannes diesem Irrthum schon durch seine Anrede zuvor. Während er zu den Andern sagte: „Bringet würdige Frucht der Buße!“ höre, wie er zu diesem spricht: „Ich habe nöthig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ Das sagte er, um zu zeigen, daß Jesus nicht auf Grund derselben Nothwendigkeit wie die Masse des Volkes zu ihm gekommen war, daß er nicht im Entferntesten zu demselben Zwecke die Taufe empfange, und daß er vielmehr weit größer und unvergleichlich reiner sei als der Täufer selbst. Weßhalb ließ sich denn nun der Herr taufen, wenn seine Taufe weder eine Bußtaufe war noch die Verzeihung von Sünden noch die Gnadenwirkungen des heiligen Geistes zum Zwecke hatte? Aus zwei andern Ursachen. Die eine erwähnte der Jünger, die andere bezeichnete er selbst in den Worten, die er an Johannes richtete. Was gibt also Johannes als Grund für diese Taufe an? Es sollte dadurch den Leuten bekannt gemacht werden, daß Johannes, wie auch Paulus sich ausdrückte, eine Bußtaufe ertheilte, damit sie an Denjenigen der nach ihm käme, glauben möchten. Das war es, was die Taufe bewirken sollte. [Wie hätte auch die Aufforderung zum Glauben an ihn besser und zweckmäßiger geschehen können?] Sollte Johannes etwa mit dem Heilande an allen Häusern vorüberziehen und dann an jeder Thüre sagen und rufen: Dieser ist der Sohn Gottes? Das hätte Veranlassung gegeben, sein Zeugniß zu bemängeln, und wäre überdieß äusserst umständlich gewesen. Oder sollte er mit ihm in die Synagoge gehen und da auf ihn hinweisen? Auch Das hätte wiederum gegen sein Zeugniß Verdacht erregt. Hier aber waren die Umstände der Art, daß sie das Zeugniß des Johannes über jeden Verdacht erheben mußten: während das ganze Volk aus allen Städten am Jordan versammelt war und sich an den Ufern des Flusses aufhielt, kam auch Jesus, um getauft zu werden, und da erhielt er zugleich das Zeugniß aus dem Himmel, durch die Stimme des Vaters und durch die Erscheinung des heiligen Geistes in Gestalt einer Taube. Daher sagte auch Johannes: „Und ich kannte ihn nicht,“ um nämlich sein Zeugniß glaubhaft zu machen. Weil sie nämlich dem Fleische nach mit einander verwandt waren (denn von der Mutter des Johannes sagte der Engel zu Maria: „Siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen;“ wenn aber die Mütter, so waren offenbar auch die Söhne mit einander verwandt), weil sie also verwandt waren, mußte auch der Schein vermieden werden, als gebe Johannes sein Zeugniß zu Gunsten Christi wegen ihrer Verwandtschaft. Deßhalb fügte es das gnadenvolle Walten des heiligen Geistes, daß Johannes seine ganze Jugendzeit in der Wüste verbrachte, damit es nicht den Anschein hätte, als gründe sich sein Zeugniß etwa auf Freundschaft oder auf irgend eine Verabredung, damit er vielmehr als ein Zeuge auftreten könnte, den Gott selbst belehrt hatte. Deßhalb sagte er: „Und ich kannte ihn nicht — wodurch hast du ihn denn kennen gelernt? — der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen, der hat mir gesagt: — was hat er dir gesagt? — auf welchen du den Geist herabsteigen sehen wirst wie eine Taube und bleiben auf ihm, der ist es, der im heiligen Geiste tauft.“ Siehst du wohl, daß der heilige Geist — nicht als wäre er überhaupt erst jetzt auf den Herrn herabgekommen — zu dem Zwecke erschienen ist, um durch sein Schweben über ihm gleichsam mit dem Finger auf Denjenigen, der durch die Predigt des Johannes angekündigt ward, hinzuweisen und ihn dadurch für Alle kenntlich zu machen?

Das war es also, weßhalb der Herr zur Taufe kam. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, und den bezeichnete er selbst. Was für ein Grund ist das? Als Johannes sagte: „Ich habe nöthig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ gab der Herr zur Antwort: „Laß es jetzt geschehen; denn also geziemt es uns, jegliche Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Siehe da, wie fromm gesinnt der Diener, wie demüthig der Herr ist! Was bedeutet Das aber, jegliche Gerechtigkeit erfüllen? Die Gerechtigkeit besteht in der Erfüllung aller Gebote. In diesem Sinne heißt es: „Beide waren gerecht, indem sie wandelten nach den Geboten des Herrn, untadelhaft.“ Weil nun alle Menschen verpflichtet waren, diese Gerechtigkeit zu erfüllen, und doch Keiner sie vollkommen erfüllte, deßhalb ist Christus gekommen und hat diese Gerechtigkeit erfüllt.

Wie kann aber das Getauftwerden als Gerechtigkeit gelten? Die Gerechtigkeit bestand in dem Gehorsam gegen den Propheten. So wie der Herr sich beschneiden ließ, wie er Opfer darbrachte, den Sabbath hielt, die jüdischen Festgebräuche beobachtete, so fügte er auch zu alle Dem hinzu, was noch fehlte: er gehorchte dem Propheten, der die Taufe ertheilte. Es war nämlich der Wille Gottes, daß sich damals Alle sollten taufen lassen. Höre nur, wie Johannes sagte: „Der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen;“ und wie Christus sagte: „Die Zöllner und das Volk haben Gott gerechtfertigt, indem sie getauft wurden mit der Taufe des Johannes; die Pharisäer und Schriftgelehrten aber haben den Willen Gottes verachtet, indem sie sich nicht von ihm taufen ließen.“ Wenn also in dem Gehorsam gegen Gott die Gerechtigkeit besteht, und wenn ferner Gott den Johannes gesandt hatte, um das Volk zu taufen, dann hat Christus, indem er sich taufen ließ, ein Gebot erfüllt, wie er eben auch alle andern Vorschriften des Gesetzes erfüllte.

Denke dir die Vorschriften des Gesetzes als zweihundert Denare! Diese Schuld mußte unser Geschlecht bezahlen. Wir haben sie nicht bezahlt. So lange diese Schuld auf uns lastete, standen wir unter der Herrschaft des Todes. Als nun Christus kam, fand er uns in diesem Zustande der Knechtschaft; da hat er die Schuld bezahlt, unsere Verpflichtungen erfüllt und uns, die wir nicht zahlen konnten, gerettet. Deßhalb sagte er nicht: Es ziemt sich, daß ich Dieses oder Jenes thue, sondern: alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Für mich, sagt er, für den Herrn, der zahlen kann, ziemt es sich zu zahlen statt Derjenigen, welche es nicht können. Das ist die Ursache seiner Taufe; es sollte gezeigt werden, daß er das ganze Gesetz erfüllte. Dieser Grund reiht sich dem andern an, den ich eben besprochen habe. Aus diesem Umstande erklärt sich auch, weßhalb der heilige Geist in Gestalt einer Taube vom Himmel herabkommt. Wo nämlich der Mensch mit Gott versöhnt wird, da erscheint die Taube. Zur Arche Noe’s kam die Taube, welche einen Ölzweig trug als Sinnbild der Güte Gottes und der Rettung nach der Sündfluth. So kommt auch hier der heilige Geist in Gestalt einer Taube (nicht in einer körperlichen Taube, Das muß man mit Bestimmtheit wissen und festhalten), um der Erde das Erbarmen Gottes zu verkünden und zugleich anzudeuten, daß der Mensch, soll der Geist Gottes in ihm herrschen, schuldlos, aufrichtig, frei von Bosheit sein muß. Sagt ja auch Christus: „Wenn ihr euch nicht bekehret und werdet wie die Kindlein, dann könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ Jene Arche blieb auf Erden, nachdem die Stürme der Sündfluth beschwichtigt waren; diese Arche dagegen, der reine und makellose Leib des Herrn, ward in den Himmel erhoben, nachdem der Zorn Gottes beschwichtigt war, und thronet nun zur Rechten des Vaters.

Doch—da ich eben den Leib des Herrn erwähnt habe, muß ich noch ein Weniges über diesen Leib zu euch reden, ehe ich schließe. Ich weiß, daß Viele unter uns, weil sie es eben an dem Festtage so in der Gewohnheit haben, zu diesem heiligen Tische hineilen werden. Allein, anstatt sich Festtage zum Empfange der heiligen Kommunion zu bestimmen, sollte man vielmehr die Seele reinigen und als dann dieses heilige Opfer genießen. Das habe ich auch früher schon oftmals gesagt. Wer unrein und mit Schuld beladen ist, der ist auch an Festtagen nicht in der rechten Verfassung, um sich dieses heiligen Leibes, der tiefe Ehrfurcht erheischt, theilhaftig zu machen. Wer aber rein ist und durch fleissige Buße seine Sünden abgewaschen hat, der ist an Festtagen und ist jederzeit würdig, an den göttlichen Geheimnissen Theil zu nehmen, und verdient es, sich der Gnade Gottes zu erfreuen. Aber Das wird leider von Manchen ausser Acht gelassen. Wenn sie sehen, daß das Fest herankommt, dann ist es, als ob das Fest sie drängt und treibt; und mögen sie auch mit tausend Sünden belastet sein, nehmen sie gleichwohl Theil an den heiligen Geheimnissen, die sie ob ihrer Sündhaftigkeit nicht einmal anschauen dürften. Diejenigen, welche ich als Solche kenne, werde ich selbst durchaus abweisen; die ich aber nicht kenne, die überlasse ich dem Urtheil Gottes, der die Herzen Aller kennt bis in ihre geheimsten Falten.

Demjenigen Fehler wenigstens, der ganz allgemein und öffentlich begangen wird, will ich heute versuchen entgegenzuwirken. Was für ein Fehler ist das? Daß man nicht mit tiefer Ehrfurcht hinzutritt, sondern vielmehr voll Zorn und Aufregung, schlagend und mit den Füßen stoßend, unter Schreien und Schimpfen, die Zunächststehenden drängend und überhaupt in großer Unordnung. Das habe ich oft gesagt, und nie werde ich ablassen es zu sagen. Habt ihr noch nie bei den olympischen Spielen gesehen, welch’ eine Ordnung herrscht, wenn der Kampfrichter in seiner Amtstracht, den Kranz auf dem Haupt, den Stab in der Hand, über das Forum daherschreitet, und wenn dann der Herold ruft, man solle Ruhe und Anstand beobachten? Ist Das nun nicht ganz unsinnig, daß eine solche Stille herrscht, wo der Teufel seine Triumphe feiert, dagegen Lärm und Durcheinander, wo uns Christus zu sich ruft? auf dem Markte Schweigen, in der Kirche Geschrei? auf dem hohen Meere Ruhe und im Hafen tobende Wogen? Warum bist du so aufgeregt, du Mensch? Warum eilest du? Rufen dich durchaus nothwendige Geschäfte? Wie? Weißt du denn überhaupt in diesem Augenblicke, daß du Geschäfte hast? Denkst du überhaupt daran, daß du auf Erden bist? Glaubst du unter Menschen zu sein? In diesem Augenblicke glauben, auf der Erde zu sein und nicht in dem Reigen der Engel, mit denen du jenes heilige Lied emporgesandt, mit denen du dem Herrn jenen Siegesgesang dargebracht, — Das verräth wahrlich ein Herz von Stein. Adler hat uns der Herr genannt, indem er sagte: „Wo der Leichnam ist, da versammeln sich die Adler.“ So hat er uns genannt, damit unser Wandel im Himmel sei, damit wir uns hoch erheben auf den Schwingen des Geistes. Wir aber kriechen am Boden und fressen Staub wie die Schlangen. Soll ich euch sagen, woher der Lärm und das Schreien entsteht? Daher, daß wir nicht während des ganzen Gottesdienstes die Thüren verschlossen halten und euch nicht verwehren, daß ihr euch vor dem letzten Dankgebet entfernet und nach Hause geht, — was auch wieder ein Zeichen von großer Geringschätzung ist. Was machst du, o Mensch? Während Christus zugegen ist, die Engel ihm zur Seite stehen, während dieses heilige Gastmahl, dem man nur mit tiefer Ehrfurcht nahen darf, uns noch vorgesetzt ist, während deine Brüder noch zu den heiligen Geheimnissen hinzugeführt werden, eilest du von dannen! Gesetzt, du seist zu einem Gastmahle geladen, dann erlaubst du dir nicht, magst du immerhin schon vorher gesättigt sein, während die Übrigen noch zu Tische sitzen, vor den Freunden wegzugehen; und während hier die wahrhaft furchtbaren Geheimnisse Christi gefeiert werden, während der heilige Dienst noch fortdauert, nachdem Alles erst halb vollendet ist, scheidest du aus und gehst fort? Wie könnte ein solches Thun billiger Weise Nachsicht finden? Wie wäre es auch nur zu entschuldigen? Soll ich euch sagen, in wessen Fußtapfen Diejenigen eintreten, welche sich vor dem Schluß entfernen und nach dem heiligen Mahle die Danksagungspsalmen nicht beifügen? Vielleicht ist es hart, was ich sagen will, aber es muß gesagt werden wegen der vielfach einreissenden Lauigkeit. Es war Judas, der nach der Theilnahme am letzten Abendmahle in jener letzten Nacht, während alle Andern noch zu Tische saßen, sich früher entfernte und hinwegging; ihm also ahmen auch jene Christen nach, welche vor dem letzten Dankgebet hinwegeilen. Wäre er nicht hinausgegangen, so wäre er nicht zum Verräther geworden; hätte er nicht die Mitapostel verlassen, so wäre er nicht zu Grunde gegangen; hätte er sich nicht von der Heerde abgesondert, so würde ihn der Wolf nicht ohne Schutz und Begleitung gefunden und zerrissen haben, und hätte er sich nicht vom Hirten getrennt, so würde er nicht eine Beute der Raubthiere geworden sein. Daher hielt sich Dieser zu den Juden, die andern Apostel aber gingen mit dem Herrn unter Psalmengesang hinaus. Siehst du? Was hier geschah, davon sieht man jedesmal ein neues Abbild beim Schlußgebet nach dem heiligen Opfer. Und nun, meine Theuern, laßt uns Das wohl erwägen und beherzigen und das Gericht fürchten, das einer solchen Sünde wartet. Er gibt dir sein Fleisch — und du willst ihm nicht einmal mit Worten vergelten? Du dankest nicht einmal für Das, was du empfangen hast? Wenn du Leibesnahrung zu dir nimmst, dann verrichtest du nach Tisch ein Gebet; wenn dir aber diese Seelenspeise gereicht wird, welche die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung an Würde und Erhabenheit weit überragt, während du doch nur ein Mensch d. h. ein geringes und hinfälliges Geschöpf bist, dann wartest du nicht, um in Worten und Werken zu danken? Das verdient in der That eine äusserst strenge Strafe. Dieß sage ich nun aber nicht, damit ihr mir bloß Lob spendet und lauten Beifall ruft, sondern damit ihr seiner Zeit an diese Worte denket und die geziemende Ordnung beobachtet. Ein Geheimniß wird dieses heilige Mahl genannt, und ein Geheimniß ist es auch; wo aber Geheimnisse gefeiert werden, da herrscht eine große Stille. Laßt uns deßhalb in tiefem Schweigen, in gehöriger Ordnung, mit geziemender Ehrfurcht an diesem heiligen Opfer Theil nehmen, damit wir im Wohlgefallen Gottes steigen, unsere Seelen ganz entsündigen und der ewigen Güter theilhaftig werden. Möchten wir alle in den Besitz dieser Güter gelangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste gehört die Herrlichkeit, Macht und Anbetung, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

Von der Buße

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Die Chrysostomusausgabe von Montfaucon enthält im zweiten Bande neun Predigten de poenitentia, von denen die fünfte hier übersetzt ist. Gehalten wurde dieselbe, wie sich aus ihren ersten Sätzen klar ergibt, unmittelbar vor der Fastenzeit, und zwar ohne Zweifel in Antiochien. Letzteres folgt schon aus der Erwähnung des „Vaters“ ( Kap. 5) d. i. des Bischofs. Denn so, wie es hier geschieht, konnte der Redner nur von seinem Bischof und nur vor seiner eigenen Erhebung zur bischöflichen Würde sprechen. — Die Schicksale des Propheten Jonas und die Bekehrung der Niniviten, — Das ist eigentlich das Hauptthema dieser kurzen, aber sehr anziehenden Predigt. Überdieß enthält sie ein beredtes Lob des Fastens.

Inhalt.

 

Der Anfang der Fastenzeit soll uns mit Freude erfüllen; denn das Fasten bringt reichen Segen. Wie viel es bei Gott vermag, erhellt aus der Geschichte des Propheten Jonas. Sein Fluchtversuch, seine Thorheit, seine Gewissensbisse, das schonende Verfahren der Schiffer, sein Aufenthalt im Bauche des Fisches, seine Predigt, das Fasten der Niniviten; Gott nimmt ihre Buße an. — Auch Daniel und die drei Jünglinge, die in den Feuerofen geworfen wurden, haben durch Fasten Gottes Wohlgefallen und ihre wunderbare Rettung gefunden. — Es ist sehr verkehrt, wenn man sich vor und nach der Fastenzeit der Unmäßigkeit hingibt.

Text

 

Desselben Homilie über den Propheten Jonas, über Daniel, die drei Jünglinge und von der Buße. Diese Homilie ist gehalten worden zum Beginne der heiligen Fasten. Unsere Versammlung ist heute recht ansehnlich und aussergewöhnlich zahlreich. Was ist der Grund? Den Fasten gebührt dieses Verdienst, obgleich die Fastenzeit — ich weiß es wohl — noch nicht da ist, sondern erst zu erwarten steht. Die Fasten haben uns hieher geführt, haben uns hier im Vaterhause versammelt; sie haben auch diejenigen Christen, die vorher etwas gleichgiltig waren, heute an die Hand der Mutter, [d. i. der Kirche] zurückgeführt. Wenn nun schon die Nähe der Fasten uns mit einem solchen heiligen Eifer erfüllt hat, wie sehr wird euch erst ihre Ankunft, ihr wirklicher Eintritt in der Frömmigkeit fördern! So pflegt auch eine Stadt, wenn ein gefürchteter König einziehen will, alle Ungebundenheit abzulegen und einen größern Eifer, eine regere Thätigkeit an den Tag zu legen. Erschrecket nur nicht, wenn euch die Fastenzeit als ein gestrenger Herrscher geschildert wird; denn nicht wir, sondern die Teufel haben sie zu fürchten. Siehst du einen Besessenen, dann darfst du dich ihm nur mit dem Angesicht eines Fastenden zeigen, und sogleich wird er, vor Furcht erstarrend und wie in Ketten geschlagen, bewegungslos gleich einer steinernen Säule da stehen, besonders wenn er mit dem Fasten auch das Gebet gepaart sieht, das dem Fasten nahe verwandt ist und helfend zur Seite steht. Deßhalb sagt Christus: „Dieses Geschlecht wird nicht ausgetrieben, als durch Gebet und Fasten.“ Wenn also das Fasten die Feinde unseres Heiles in die Flucht schlägt, wenn es den bösen Geistern, die unserem Leben nachstellen, so furchtbar ist: dann müssen wir es offenbar lieben, mit Freuden begrüßen und nicht fürchten. Was wir zu fürchten haben, Das ist die Trunkenheit und Unmäßigkeit, aber nicht das Fasten. Denn diese Laster machen uns zu Sklaven und Gefangenen; sie überliefern uns mit gebundenen Händen der tyrannischen Herrschaft der bösen Lüste; das Fasten aber, wenn es uns im Zustande der Knechtschaft, in Ketten und Banden findet, löst unsere Fesseln, befreit uns von der Tyrannei und führt uns wieder zur vormaligen Freiheit zurück. Wenn somit das Fasten unsere Feinde bekämpft, uns aus der Knechtschaft errettet und zur Freiheit zurückführt: ist Das nicht ein Beweis seiner Freundschaft für das Menschengeschlecht? Oder welche stärkere Beweise verlangst du dafür? Das gilt doch als ein ganz besonderes Zeichen der Freundschaft, wenn Jemand mit uns dieselben Freunde und Feinde hat. — Willst du wissen, wie sehr das Fasten den Menschen zur Zierde gereicht und ihnen Schutz und Sicherheit gewährt? Dann denke an die Einsiedler, diese glücklichen und wahrhaft bewunderungswerthen Menschen! Denn das Fasten haben die Einsiedler, nachdem sie aus dem Tumult der Welt geflohen, sich auf die Gipfel der Berge zurückgezogen und dort in der Ruhe der Einöde wie in einem windstillen Hafen ihre Hütten aufgerichtet, sich zum Gefährten und Hausgenossen für das ganze Leben erwählt. Darum macht das Fasten aus diesen Menschen wahre Engel; aber nicht sie allein, sondern auch die Bewohner der Städte, die ihm Einlaß gewähren, führt es zur Höhe der christlichen Vollkommenheit. Als Moses und Elias, die hervorragendsten unter den Propheten des alten Bundes, die an Größe und Herrlichkeit die andern übertrafen und sich einer vertrauten Freundschaft mit Gott dem Herrn erfreuten, als Moses und Elias sich dem Herrn nahen und mit ihm reden wollten (insoweit Das einem Menschen möglich ist), da haben sie zum Fasten ihre Zuflucht genommen, und das Fasten hat sie zum Herrn gleichsam hingetragen. Darum hat Gott auch die Menschen gleich nach ihrer Erschaffung sofort dem Fasten so zu sagen in die Hände gegeben und hat diesem das Heil der Menschen zur Obhut anvertraut, wie man ein Kind der Sorge seiner liebenden Mutter oder eines guten, treuen Lehrers unterstellt. Denn das Gebot: „Von jedem Baume des Paradieses magst du essen, aber vom Baume der Erkenntniß des Guten und des Bösen esset nicht!“ war eine Art von Fastengebot. War nun aber schon im Paradiese das Fasten nothwendig, dann ist es ausserhalb des Paradieses noch viel nothwendiger. War die Arznei schon vor der Krankheit heilsam, dann ist sie nach dem Eintritt der Krankheit noch viel heilsamer. War uns diese Waffe schon damals von Nutzen, ehe noch die Leidenschaften den Krieg in unserm Innern begonnen hatten, dann ist uns jetzt, wo wir den schweren Kampf gegen die bösen Lüste und gegen die Teufel zu führen haben, dieses Bündniß mit dem Fasten noch weit nothwendiger. Hätte Adam auf dieses Wort gehört, dann hätte er jenes andere Wort nicht zu hören bekommen: „Du bist Staub und wirst zu Staub zurückkehren.“ Weil er aber jenem ersten nicht gefolgt hat, darum ist der Tod, darum sind Kümmernisse, Beschwerden und Traurigkeit zur Herrschaft gekommen; darum ist dieses Leben schwerer zu ertragen als selbst das Sterben; daher stammen Disteln und Dornen, Leiden, Schmerzen und kummervolles Dasein.

Siehst du, wie sehr Gott der Herr zürnt, wenn man das Fasten verachtet? Vernimm jetzt auch, wie sehr es ihm wohlgefällt, wenn man das Fasten in Ehren hält. Wie er zur Strafe über die Verächter des Fastens den Tod verhängte, so nahm er einst zum Lohne für die Werthschätzung des Fastens sein Todesurtheil zurück. Er wollte dir eben recht deutlich zeigen, welche Kraft dem Fasten innewohnt. Darum hat er einst, nachdem er eine große Menge von Menschen zum Tode verurtheilt und gewissermaßen schon zu Vollstreckung des Todesurtheils hinausgeführt hatte, dem Fasten die Gewalt verliehen, diese Menschen mitten auf dem Wege noch dem Tode zu entreissen und zum Leben zurückzuführen. Es handelte sich dabei nicht etwa um zwei oder drei oder zwanzig Menschen, sondern um ein ganzes Volk. Die Bewohner der großen Wunderstadt Ninive, die schon am Rande des Abgrundes gleichsam auf den Knieen lagen, das Haupt geneigt, um von der göttlichen Gerechtigkeit den Todesstreich zu empfangen, diese waren es, die durch das Fasten wie durch eine himmlische Macht an den Pforten des Todes noch gerettet und zum Leben zurückgeführt worden sind. Doch wenn es euch recht ist, wollen wir die Geschichte selbst hören.

„Und es erging,“ heißt es, „das Wort des Herrn an Jonas“, lautend: „Mache dich auf und gehe nach Ninive, der großen Stadt!“ Gott will den Propheten von vornherein durch den Hinweis auf die Größe der Stadt in Furcht setzen, indem er seine Flucht voraussieht. Hören wir nun seine Predigt: „Noch drei Tage, und Ninive wird zu Grunde gehen.“

Warum, o Herr, verkündest du die Strafe voraus, die du verhängen willst? Damit ich, sagt er, die angedrohte Strafe nicht zu vollziehen habe. Darum hat er uns auch mit der Hölle gedroht, um uns nicht zur Hölle verdammen zu müssen. Meine Worte, sagte er, sollen euch schrecken, damit ihr die Strafe selbst nicht zu empfinden habt. Warum setzt er ihnen aber eine so kurze Frist? Damit wir uns von der kraftvollen Tugend dieser Barbaren, der Niniviten nämlich, überzeugen, die es vermocht haben, in drei Tagen den wegen ihrer Sünden so gewaltig entbrannten Zorn Gottes zu versöhnen; damit wir ferner die Barmherzigkeit Gottes bewundern, die sich trotz der vielen und großen Verbrechen dieses Volkes mit einer dreitägigen Buße begnügte; und endlich, damit wir uns nie der Verzweiflung hingeben, wenn wir auch tausend und aber tausend Sünden begangen haben. Wie nämlich der Träge und Kleinmütige, wenn ihm auch eine lange Bußzeit zur Verfügung steht, wegen seiner Gleichgültigkeit nicht viel ausrichtet und die Versöhnung mit Gott nicht zu Stande bringt: so wird der eifrige, der rastlos thätige Büßer, den die Gluth der Reue wirklich entzündet hat, auch in kurzer Frist die Sünden vieler Jahre tilgen können. Hat nicht Petrus drei Mal und zwar aus Furcht vor dem Gerede einer einfältigen Magd, und das dritte Mal mit einem Schwure den Herrn verleugnet? Das hat er gethan; aber brauchte er dann zur Buße eine Reihe von Jahren? Keineswegs. In einer und derselben Nacht ist er gefallen und wieder aufgestanden, ward er verwundet und geheilt, krank und wieder gesund. Wodurch und auf welche Weise? Durch Weinen und Wehklagen; aber freilich nicht ohne große Liebe und Zerknirschung. Darum sagt der Evangelist auch nicht schlechthin und ohne Zusatz: er weinte, sondern: er weinte bitterlich. Was für eine Kraft jene Thränen hatten, will er sagen, Das ist nicht zu beschreiben, aber der Erfolg hat es deutlich gezeigt. Denn es gibt ja kaum eine Sünde, welche der Verleugnung Christi gleichkommt; und doch haben ihn seine Thränen nach diesem tiefen Fall, nach diesem argen Fehltritt wieder zu seiner frühern erhabenen Stellung zurückgeführt, haben ihm das Amt des Oberhauptes verschafft über die ganze Kirche, so weit die Erde reicht, und was am allermeisten besagen will, sie haben uns sogar den Beweis geliefert, daß Petrus mehr Liebe zum Herrn besaß als alle andern Apostel. Denn der Herr sprach zu ihm: „Petrus, liebst du mich mehr als diese?“ Die Liebe ist nun aber der sicherste Gradmesser der Tugend.

Warum wird uns denn das Beispiel des heiligen Petrus vorgehalten? Damit wir nicht etwa sagen, Gott habe den Bewohnern von Ninive deßhalb so leicht verziehen, weil es eben barbarische und unwissende Menschen waren; und Das sei nicht zu verwundern, da seine eigenen Worte lauten: „Der Knecht, der den Willen seines Herrn nicht gekannt und nicht erfüllt hat, wird wenige Schläge erhalten.“ War Petrus nicht ein Knecht, der den Willen des Herrn sehr gut kannte? Und trotzdem hat er — beachtet es wohl! — nach seinem Falle in jene außerordentlich schwere Sünde sich wieder zur innigsten Freundschaft mit dem Herrn erhoben. Darum werde auch du nie ob deiner Sünde muthlos! Denn schlimmer als die Sünde ist das Verharren in der Sünde, und beklagenswerther als der Fall ist das Darniederliegen nach dem Falle. Das wird auch vom heiligen Paulus so bitter beklagt und als beweinenswerth geschildert. Denn so sagt er: „Daß nicht etwa, wenn ich zu euch komme, Gott mich demüthige und ich Viele von denen betrauern werde, die nicht Buße gethan haben (er sagt also nicht lediglich: die gesündigt haben, sondern: die nicht Buße gethan haben) wegen Wollust, Unlauterkeit und Unzucht, die sie vollbracht haben.“ — Welche Zeit ist nun aber mehr zur Buße geeignet als die Fastenzeit?

Kehren wir zur Geschichte vom Propheten Jonas zurück! „Als der Prophet diese Worte hörte, ging er hinab nach Joppe, um nach Tharsis zu fliehen vor dem Angesichte des Herrn.“ Wohin fliehst du, o Mensch? Hast du nicht gehört, was der Prophet sagt? „Wohin soll ich vor deinem Geiste gehen, wohin vor deinem Angesichte fliehen?“ Wohin willst du fliehen? An irgend einen Ort der Erde? Aber „des Herrn ist die Erde, und was sie füllet.“ Oder in die Unterwelt? „Steige ich zur Hölle hinab,“ heißt es, „so bist du da.“ Oder in den Himmel? „Steige ich zum Himmel auf, so bist du dort.“ Oder auf das Meer? „Auch dort wird deine Rechte mich halten.“ Das ist denn auch an Jonas in Erfüllung gegangen. Die Sünde hat es an sich, daß sie unsere Seele in Unverstand und Thorheit stürzt, ähnlich wie ein Schwindeliger oder Trunkener gedankenlos und ohne Vorsicht vorwärts taumelt und, wenn eine tiefe Grube, ein jäher Abhang oder sonst Etwas vor ihm liegt, unversehens hineinfällt: ähnlich ergeht es auch Demjenigen, der in die Sünde geräth. Die Begierde nach der Sünde beherrscht ihn wie ein schwerer Rausch; er weiß nicht, was er thut, und denkt nicht an die Zukunft, ja nicht einmal an die Gegenwart.

Also vor dem Herrn fliehst du? Gedulde dich nur ein wenig, und die eigene Erfahrung wird dich lehren, daß du nicht einmal dem Meere entfliehen kannst, das in seinen Diensten steht. Kaum hatte er nämlich das Schiff bestiegen, als auch schon das Meer seine Fluthen aufwühlte und hoch emporschlug. Wenn ein getreuer Knecht bemerkt, daß sein Mitknecht mit geraubten Gütern ihres gemeinsamen Herrn flüchtig geworden, dann wird er ganz gewiß Denjenigen, die etwa dem Dieb Aufnahme und Zuflucht gewährt haben, alle möglichen Hindernisse in den Weg legen und nicht ruhen, bis er den ungetreuen Mitknecht in seine Gewalt bekommen hat. So hat damals auch das Meer, als es seinen Mitknecht [den Propheten, der ja auch in Gottes Diensten stand] bemerkt und erkannt hatte, den Schiffern unbeschreiblich viel zu schaffen gemacht. Es hörte nicht auf zu wüthen und zu tosen, und anstatt sie nur vor Gericht zu schleppen, drohte es dem Schiff und der gesammten Mannschaft den Untergang in den Fluthen, wenn sie ihm den Mitknecht nicht ausliefern wollten. Was thaten nun unter diesen Umständen die Schiffsleute? „Sie warfen die Geräthe, die in dem Schiffe waren, hinaus in das Meer.“ Allein das Schiff wurde nicht leichter. Denn die ganze schwere Last blieb in ihm: das war der Prophet selbst, eine schwere Last nicht wegen seines körperlichen Gewichtes, sondern wegen der Schwere seines Vergehens. Denn keine Last ist so schwer und drückend als Sünde und Ungehorsam. Darum vergleicht der Prophet Zacharias die Sünde mit einem Bleigewicht. Darum beschreibt uns David, was die Sünde ist, mit diesen Worten: „Meine Ungerechtigkeiten gehen weit über mein Haupt und sind, gleich einer schweren Last, zu schwer für mich.“ Darum läßt Christus selbst an Diejenigen, welche in vielen Sünden gelebt haben, den Zuruf ergehen: „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken.“ Die Sünde war es also, die jenes Fahrzeug beschwerte und in die Tiefe herabziehen wollte. Jonas aber schlief und schnarchte. Das war ein tiefer Schlaf, aber ein ganz betrübter, nicht ein Schlaf der Erquickung; ein kummervoller, nicht ein Schlaf der Trägheit. Denn die gutgesinnten Diener Gottes fühlen es bald, wenn sie gesündigt haben. Das erfuhr auch Jonas. Nachdem er die Sünde vollbracht hatte, da sah er ein, wie schwer sie war. So pflegt es mit der Sünde zu gehen. Wenn sie vollbracht, wenn sie gleichsam geboren ist, dann erfüllt sie die Seele mit Schmerz — ganz entgegen den Gesetzen der Natur bei der Geburt des Menschen. Denn sobald der Mensch geboren ist, haben die Wehen der Mutter ein Ende; die Seele aber wird erst dann von Schmerz und Pein zerrissen, wenn sie die Sünde zur Welt gebracht hat.

Was that nun der Steuermann? „Er trat zu ihm und sprach: Steh auf, und rufe den Herrn deinen Gott an!“ Der Augenschein hatte ihn nämlich überzeugt, daß dieser Sturm kein gewöhnlicher war. Dieser Sturm war offenbar eine Strafe des Himmels; diese tobenden Wasser spotteten aller menschlichen Geschicklichkeit; da konnte die Hand des Steuermannes nicht helfen. Da bedürfte es eines ganz anderen, jenes größern Steuermanns, der das Steuer des Weltalls lenkt; da war Hilfe von oben schlechterdings nothwendig. Darum hörten die Schiffsleute auf, sich mit Rudern, Segeln und Tauen u. s. w. abzumühen; sie zogen ihre Hände von den Rudern zurück und erhoben sie zum Himmel, um Gott den Herrn anzurufen. Als es trotzdem nicht besser wurde, warfen sie das Loos, sagt die Schrift; und das Loos überlieferte nun den Schuldigen dem Richterspruch. Sie haben ihn aber keineswegs sogleich ergriffen und in’s Meer geworfen. Sie haben vielmehr unter dem Wüthen und Toben des Meeres auf dem Schiffe ein förmliches Gericht gehalten, als ob sie sich ganz ungestörter Ruhe erfreuten. Sie gaben dem Schuldigen das Wort, erlaubten ihm, sich zu vertheidigen, und untersuchten Alles ganz genau, wohl wissend, daß sie über ihr Urtheil einem Andern würden Rechenschaft abzulegen haben. Höret, wie sie ihn über Alles ausfragten, ganz wie am Gericht. „Was ist dein Geschäft? Woher kommst du? Wohin gehst du? Aus welchem Lande und aus welchem Volke bist du?“ Wie? hat denn nicht das tobende Meer ihn verklagt? Hat nicht das Loos ihn überführt und verurtheilt? Und doch kann weder das Wüthen des Meeres noch die Verurtheilung durch das Loos sie bestimmen, ihr Urtheil schon zu fällen. Sie verfahren ganz nach den Regeln des Gerichtes. Die Kläger sind zur Stelle, die Zeugen verhört, der Beweis ist erbracht; aber die Richter sprechen ihr Urtheil nicht eher, als bis der Verklagte selbst seines Vergehens geständig ist. So haben hier die Schiffer, Menschen ohne alle Bildung und ohne besondern Verstand, die strenge Ordnung eines Gerichtshofes beobachtet, obgleich inzwischen die Wogen erbrausten, obgleich die größte Verwirrung sie rings umgab und das wüthende Meer sie kaum zu Athem kommen ließ — so heftig war sein Aufruhr —, indem es ohne Aufhören gegen sie ras’te und tobte und seine Fluthen immer von Neuem emporschleuderte. Was mag aber, meine Lieben, die Ursache gewesen sein, weßhalb sie den Propheten so schonend behandelt haben? Das war jedenfalls eine Fügung der göttlichen Vorsehung. Gott fügte es so, um den Propheten Sanftmuth und Liebe gegen die Menschen zu lehren. Er rief ihm gleichsam zu: Nimm dir doch an den Schiffern ein Beispiel, an diesen unwissenden Menschen, die nicht einmal eine einzige Seele verachten, nicht ein einziges Leben — das deine — verderben wollen! Du aber hast, soweit es auf dich ankam, eine ganze Stadt, und zwar eine ganze Stadt von vielen tausend Einwohnern preisgegeben! Sie haben in dir den Schuldigen gefunden, der das Unheil über sie gebracht hat, und trotzdem zeigen sie gar keine Eile, dich zu verurtheilen; du aber hattest den Niniviten Nichts vorzuwerfen und hast sie trotzdem in’s Unglück gestürzt und zu Grunde gerichtet! Du hast mein Gebot, dorthin zu gehen und sie durch deine Predigt zum Heile zurückzuführen, nicht befolgt, während diese Männer, ohne mein Gebot zu vernehmen, alles Mögliche aufboten, um dich der Strafe zu entreissen, selbst nachdem du ihrem Gerichte unterstellt und schuldig befunden warst! Nachdem nämlich das Meer als Ankläger gegen den Propheten aufgestanden war, nachdem das Loos ihn überführt, nachdem er sich überdieß selbst schuldig erklärt und seine Flucht gestanden hatte: selbst da eilten sie noch nicht, den Prophet dem Tode preiszugeben; sie zauderten noch immer und suchten mit aller Anstrengung vorwärts zu kommen und boten Alles auf, um ihn selbst nach allen diesen Beweisen seiner Schuld nicht dem Meere ausliefern zu müssen. Allein das Meer gab sich auch jetzt noch nicht zufrieden; oder sagen wir lieber: Gott ließ sie nicht an’s Land kommen, weil er den Propheten nicht bloß durch die Schiffer, sondern auch durch das Seeungeheuer zur Einsicht bringen wollte. Jonas hatte den Schiffern zwar gesagt: „Nehmet mich und werfet mich in’s Meer, und das Meer wird von euch ablassen;“ gleichwohl spannten sie alle ihre Kräfte an, um zu landen; aber es ward ihnen durch die tobende Fluth verwehrt.

Wie ihr nun den Propheten habt fliehen sehen, so höret ihn auch aus der Tiefe des Meeres, aus dem Bauche des Fisches Gott den Herrn preisen! Seine Flucht zeigt uns den schwachen Menschen, sein Lobgesang den Propheten. Nachdem das Meer sich seiner bemächtigt, barg es ihn im Bauche des Fisches wie in einem Gefängniß, um den Flüchtling seinem Herrn zu erhalten. Die wilden Fluthen haben ihn nicht verschlungen, das Meerungeheuer, noch furchtbarer als die wilden Fluthen, hat ihn zwar in seinen Bauch aufgenommen, aber nicht getödtet, es hat sein Leben geschont und ihn wieder zu der Stadt [wahrscheinlich Joppe] zurückgebracht. Das Meer und das Ungeheuer haben so ihre Natur verleugnet, um den Willen Gottes zu erfüllen, damit Alles zur Belehrung des Propheten zusammenwirkte. Jonas ging also in die Stadt [Ninive] und verkündigte die göttliche Drohung, so wie ein Bote des Königs ein Schreiben seines Herrn vorliest, das ein Strafurtheil enthält, Er rief und sprach: „Noch drei Tage, und Ninive wird zu Grunde gehen.“ Die Bewohner von Ninive hörten seine Predigt, und zwar nicht mit Unglauben, nicht mit Verachtung. Nein, auf der Stelle nahmen sie alle ihre Zuflucht zum Fasten, Männer und Weiber, Herren und Knechte, Vorgesetzte und Untergebene, Kinder und Greise; und nicht einmal die unvernünftigen Thiere wurden von diesem Gottesdienste ausgeschlossen. Allenthalben Buße in Sack und Asche, in Weinen und Wehklagen. Selbst der Träger der Krone stieg von seinem königlichen Sitze herab, zog einen Bußsack an und bestreute sein Haupt mit Asche. So entrissen sie die Stadt der drohenden Gefahr. Welch’ ein Wunder war da zu sehen! Den Purpur hatte der Bußsack an Herrlichkeit übertroffen. Denn der Bußsack brachte zu Stande, was der Purpur nicht vermochte. Die Asche hat das Heil gebracht, das durch die Krone nicht zu erreichen war. Seht ihr nun, daß ich Recht hatte zu sagen: Nicht das Fasten muß man fürchten, sondern die Trunkenheit und Unmäßigkeit? Denn diese Laster brachten die Stadt zum Wanken und drohten sie zu zerstören; da hat das Fasten dieselbe Stadt, die schon in ihren Grundfesten erzitterte und untergehen wollte, wieder befestigt.

Mit dem Fasten hat sich auch Daniel bewaffnet, als er in die Löwengrube gestürzt ward. Da gingen die Löwen mit ihm um wie Lämmer, bis er wieder herauskam. Trotz ihrer giftigen Wuth, trotz ihrer mörderischen Blicke wagten sie nicht, den Propheten, der ihnen zum Fraße vorgeworfen war, zu berühren. Und doch trieb ihre Natur sie mit Gewalt dazu an; denn Nichts ist so gierig wie diesem Thiere und — wie der Hunger; sie hatten an sieben Tagen kein Futter erhalten. Dieser Hunger quälte sie wie ein Folterknecht in ihren Eingeweiden und reizte sie heftig, sich an dem Leibe des Propheten zu vergreifen; aber sie scheuten sich, von dieser Speise zu kosten. Mit dem Fasten hatten sich auch jene drei Jünglinge bewaffnet, die zu Babylon in den Feuerofen geworfen wurden. Nachdem sie längere Zeit im Feuer sich aufgehalten, kamen sie aus dem Feuerofen wieder heraus, — und ihre Leiber strahlten noch heller als selbst die flammende Gluth. Wenn jenes Feuer wirklich ein Feuer war: wie kam es doch, daß es nicht wie Feuern auf sie wirkte? Und wenn ihre Leiber wirkliche Leiber waren: wie kam es, daß sie nicht wie andere Leiber vom Feuer zu leiden hatten? Frage das Fasten! Es wird dir Antwort geben und das Räthsel lösen. Ein Räthsel war es in der That. Die Natur des Leibes stritt gegen die Natur des Feuers, und der Sieg verblieb dem Leibe. Welch’ wunderbarer Kampf! Noch wunderbarer war der Sieg. Bewundere also das Fasten, und strecke sehnsüchtig die Arme aus, um es zu empfangen. Denn wenn das Fasten im Feuerofen Hilfe bringt, in der Löwengrube das Leben rettet, den Teufel verjagt, die Drohungen Gottes rückgängig macht, die Gluth der Leidenschaften dämpft, uns zur wahren Freiheit führt und unsere Seele mit Ruhe und Frieden erfüllt: ist es dann nicht eine Thorheit ohne Gleichen, vor dem Fasten zu erschrecken, vor dem Fasten zu fliehen, das uns einen solchen Reichthum von Gnaden anbietet? Aber es schwächt, sagt ihr, es schwächt den Körper und reibt ihn auf. Dagegen sage ich mit dem heiligen Paulus: „Je mehr unser äusserer Mensch zu Grunde gerichtet wird, um so mehr wird der inwendige erneuert Tag für Tag.“ Doch wenn man genau zusieht und sorgfältig prüft, dann findet man, daß das Fasten sogar eine Quelle der Gesundheit ist. Willst du meinen Worten nicht glauben, so frage nur die Ärzte, und sie werden es dir genauer und deutlicher sagen. Denn die Ärzte behaupten, daß die Enthaltsamkeit die Mutter der Gesundheit ist, daß dagegen in Schwelgerei und Unmäßigkeit viele Krankheiten ihren Grund haben: Fußgicht, Schwindel, Schlaganfälle, Auszehrung, Wassersucht, Anschwellungen und Entzündungen und tausend andere Krankheiten, die gleich reissenden Strömen aus jener Quelle entspringen. Das sind nämlich Ströme voll schädlichen Wassers, herstammend aus der allerschlechtesten Quelle und voll der schlimmsten Wirkungen auf die Gesundheit des Leibes und auch der Seele.

Daß wir uns also nicht fürchten vor dem Fasten, welches uns vor so vielen und großen Übeln bewahrt. Dazu ermahne ich euch gerade heute nicht ohne besondern Grund. Ich muß nämlich sehen, daß viele Christen sich vor der Fastenzeit ganz verdrießlich und wie unschlüssig geberden, nicht anders, als wenn sie einem sehr boshaften und rohen Weibe sich überantworten sollten; und ich muß sogar sehen, daß sie sich heute durch Trunkenheit und Unmäßigkeit beflecken. Darum ermahne ich euch, daß ihr doch den vom Fasten zu erhoffenden Nutzen nicht durch Gefräßigkeit und Trunkenheit vereitelt. Wenn Jemand wegen mangelnder Eßlust bittere Arzneien zu nehmen hat und dann vor dem Gebrauche derselben seinen Magen mit vielen Speisen anfüllt: dann mag er sich immerhin den bittern Trank gefallen lassen, — seine heilsamen Wirkungen werden ausbleiben, weil ihm die Unmäßigkeit den Kampf mit den verdorbenen Säften allzusehr erschwert. Darum schreiben die Ärzte solchen Patienten vor, ohne vorhergegangene Mahlzeit schlafen zu gehen, damit die ganze Kraft der Arznei sogleich gegen die überflüssigen, ungesunden Säfte wirken kann. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Arznei, von der wir hier reden: mit dem Fasten. Wenn du dich heute durch unmäßiges Trinken beschwerst und morgen zu fasten anfängst, dann machst du dein Fasten unnütz und werthlos. Dann übernimmst du die Last und verlierst den Gewinn, weil die voraufgehende Sünde der Trunkenheit den ganzen Werth des Fastens gleichsam aufzehrt. Wenn du aber an das Fasten mit einem Leibe herantrittst, der nicht durch Unmäßigkeit beschwert ist, wenn du wahrhaft nüchternen Geistes bist, indem du diese Arznei nimmst, dann kannst du durch das Fasten viele alten Sünden tilgen. Gehen wir also nicht auf dem Wege der Trunkenheit in die Fasten, und gehen wir nicht nach den Fasten gleich wieder zur Trunkenheit über! Das wäre der Seele ebenso verderblich als Fußtritte einem kranken Leibe, der unter solchen Mißhandlungen noch schneller und elender zusammenbricht. So geht es auch der Seele, wenn man vorher und nachher, zu Anfang und zu Ende der Fastenzeit vom Fasten die Veranlassung nimmt, die Seele durch die Nacht der Unmäßigkeit zu verfinstern. Gibt es doch viele Menschen, die gegen das Fasten kämpfen wollen wie gegen ein reissendes Thier! Wie ein Thierkämpfer erst dann den Kampf beginnt, wenn er die Glieder, die am meisten dem Angriff ausgesetzt sind, durch alle möglichen Vorkehrungen gesichert und geschützt hat, so bewaffnen sich jene Helden zum Kampfe gegen die Fasten mit Fraß und Völlerei und gehen mit ganz geschwächter und verfinsterter Seele, ohne Sinn und Verstand dem Fasten entgegen, das ihnen sein freundliches und klares Antlitz zuwendet. Wenn ich dich frage: Warum eilst du heut’ in’s Bad? dann gibst du zur Antwort: Um die Fasten mit reinem Leibe anzufangen. Wenn ich dich frage: Warum berauschest du dich heut’? dann lautet die Antwort wieder: Weil wir im Begriffe stehen, die Fasten zu beginnen. Ist es nun nicht höchst thöricht, wenn man diese herrliche Tugendübung zwar mit reinem Leibe, aber mit einer unreinen, durch Trunkenheit befleckten Seele anfangen will?

Es wäre nun zwar noch mehr zu sagen: wer indessen guten und ernsten Willens ist, hat an dem Gesagten zu seiner Besserung schon genug. Darum muß ich jetzt schliessen; denn es verlangt mich auch, die Stimme unseres Vaters zu hören. Ich komme mir nämlich im Schatten dieses Heiligthums vor wie ein Hirtenknabe, der unter einer Eiche oder Pappel seine kleine Rohrflöte bläs’t; unser Bischof aber ist der große Tonkünstler, der seine goldene Cither schlägt und durch den harmonischen Zusammenklang der Saiten alle Zuhörer entzückt. Wie die Saiten auf der Cither, so stimmen bei ihm die Worte und Werke vollkommen zusammen, und Das ist es, was uns Heil und Segen bringt. Solche Lehrmeister sind es, die Christus der Herr sucht und begehrt: „Wer vollzieht und lehrt,“ sagt er, „der wird groß genannt werden im Himmelreiche.“ Ein solcher Lehrmeister ist unser Bischof; darum ist er auch groß im Himmelreiche. O daß es uns auf sein und aller seiner Amtsgenossen Flehen gelänge, des Himmelreiches gewürdigt zu werden — durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesu Christi! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

Zwei Anreden an die Täuflinge

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Es ist wahrscheinlich, daß der heilige Chrysostomus die vorliegenden beiden Anreden zur Zeit des antiochenischen Aufstandes (387) gehalten hat. Damals bekämpfte er nämlich in seinen berühmten Säulenhomilien, welche in dieser Sammlung bereits ihre Stelle gefunden haben, ganz besonders das leichtfertige und das falsche Schwören, und ganz ähnliche Ermahnungen finden sich auch in der ersten der beiden folgenden Katechesen. Dazu kommt in der zweiten die Erwähnung einer jammervollen Szene vor Gericht (Kap. 4), die jener Aufstand zur Folge hatte; der Zusammenhang zeigt, daß sie den Zuhörern noch in frischem Andenken war.

Aus diesen Katechesen spricht unverkennbar die innigste zu den jungen Christen, die herzlichste Freude über ihre bevorstehende Eingliederung in die Kirche und eine ganz begeisterte, auf tiefe Einsicht gegründete Dankbarkeit für die Gnaden der Taufe und des Christenthums überhaupt.

Erste Anrede an die Täuflinge

Inhalt.

Die Katechumenen werden beglückwünscht wegen der bevorstehenden Taufe, gelobt wegen ihrer opferwilligen Gesinnung. — Die verschiedenen Namen der Taufe; ihre Bedeutung. Durch die Taufe wird die Seele nicht bloß von Sünden gereinigt, sondern gleichsam neu geschaffen. — Jetzt schon müssen sich die Katechumenen im Kampfe mit dem Teufel üben, müssen besonders die Zungensünden und vor allen Dingen das Schwören meiden. Anleitung, wie man sich das Schwören abgewöhnt.

Erste Unterweisung für die Täuflinge. Warum die Taufe Bad der Wiedergeburt und nicht des Sündennachlasses genannt wird. Das Schwören ist gefährlich, und zwar nicht bloß, wenn man falsch, sondern auch, wenn man recht schwört. O wie lieb und willkommen ist mir die Schaar meiner neuen Brüder! Ja, Brüder nenne ich euch schon vor eurer [Wieder] Geburt, und mit Freuden begrüße ich euch als meine Verwandten, noch ehe ihr geboren seid. Denn ich weiß, ich weiß sehr wohl, wie groß die Ehre, wie hoch die Würde ist, zu welcher ihr nun bald gelangen sollt; und ich weiß auch, daß Jedermann Diejenigen, die im Begriffe stehen eine hohe Stellung einzunehmen, schon vor ihrem Amtsantritt zu ehren pflegt, um sich durch die Beweise seiner Hochachtung ihr Wohlwollen für die Zukunft zu sichern. Das wollte auch ich jetzt thun. Denn ihr sollt nicht etwa bloß zu einem hohen Amte, nein zum Königthum sollt ihr gelangen, ja nicht einmal schlechthin zum König thum, sondern zur Königswürde im Himmelreiche. Deßhalb bitte ich euch inständig, daß ihr meiner gedenken möget, wenn ihr in dieses Reich einzieht. Wie einst Joseph zum obersten Mundschenk sprach: „Gedenke meiner, wenn es dir wohl ergeht,“ so sage ich zu euch: Gedenket meiner, wenn es euch wohl ergeht. Das ist der Lohn, den ich mir von euch ausbitte, — nicht wie Joseph für die Deutung eines Traumes; denn ich bin nicht gekommen, um euch Träume auszulegen, sondern um euch himmlische Dinge zu erzählen, um euch die frohe Botschaft von Herrlichkeiten zu bringen, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, und die in keines Menschen Herz aufgestiegen sind. Solcher Art ist Das, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Joseph sprach zum Mundschenk: „Noch drei Tage, so wird Pharao dich wieder in dein Amt als Obermundschenk einsetzen.“ Ich aber sage nicht: Noch drei Tage, und ihr werdet das Mundschenkamt bei einem Könige erhalten; — sondern ich sage: Noch dreissig Tage, so wird euch — nicht Pharao, sondern — der König des Himmels in das himmlische Vaterland, in das freie Jerusalem, in die Himmelsstadt aufnehmen. Joseph sagte: „Du wirst den Becher in die Hand des Pharao geben;“ ich aber sage nicht: Ihr werdet die Becher in die Hand des Königs geben; sondern ich sage: Der König selbst wird in eure Hand den Becher geben, jenen Becher, vor dem wir in Ehrfurcht zittern, der voll großer Kraft und werthvoller ist als Alles, was geschaffen ist im Himmel und auf Erden. Die Eingeweihten wissen um die Kraft dieses Bechers. Auch ihr werdet sie bald kennen lernen. Gedenket denn meiner, wenn ihr in jenes Reich kommt, wenn ihr das königliche Gewand empfangt, wenn ihr mit dem Purpurkleide geschmückt werdet, das da eingetaucht ist in das Blut des Herrn, wenn euch jenes Diadem aufgesetzt wird, von welchem nach allen Richtungen hin Strahlen ausgehen, die den Glanz der Sonne überbieten. Solcher Art sind nämlich die Geschenke, die euch der Bräutigam mitbringt. Sie sind größer als unser Verdienst, aber würdig seiner Liebe zu den Menschen. Daher preise ich euch jetzt schon glücklich, schon vor eurem Eintritte in das heilige Brautgemach. Ich preise euch glücklich, aber ich lobe auch eure treffliche Gesinnung. Denn ihr macht es nicht wie jene Leichtfertigen, welche die Taufe verschieben, bis sie in den letzten Zügen liegen. Ihr habt schon jetzt, als Diener von guter Art, dem Herrn mit großer Liebe zu gehorchen bereit, euren Nacken willig und freudig unter das Joch Christi gebeugt, die süße Last auf euch genommen und euch die leichte Bürde auflegen lassen. Deßhalb lobe ich euch. Denn mögen Jene immerhin durch ihre Taufe auf dem Todesbette dieselben Gnaden empfangen wie ihr, so ist doch ihre Gesinnung und sind bei ihnen die äussern Umstände und Zurüstungen ganz anderer Art. Sie empfangen die Taufe in ihrem Bette, ihr dagegen im Schooße der Kirche, unserer gemeinsamen Mutter; sie klagend und weinend, ihr jubelnd und frohlockend; sie stöhnend, ihr danksagend; sie betäubt von fiebern, ihr voll großer Seelenfreude. So steht hier Alles mit dem Geschenke Gottes in Einklang, dort aber bildet dazu Alles einen schreienden Mißklang. Der Täufling selbst klagt und jammert erbärmlich, weinend stehen seine Kinder umher, bei ihnen die Mutter, die sich im Übermaß der Schmerzen die Wangen mit den Nägeln zerfleischt, dann die trauernden Freunde, die Hausgenossen, in Thränen zerfließend, und was man überhaupt im Hause sieht und hört, erinnert an einen trüben, düstern Wintertag. Und könnte man erst Herz und Seele des Kranken bloßlegen, so würde man noch mehr Elend und Finsterniß antreffen. Wie das Meer durch stürmische Winde, die mit unbändiger Gewalt gegen einander brausen, nach vielen Richtungen zerspalten wird, so wird die Seele des Kranken durch die Vorstellungen von alle dem Unglück, das jetzt über ihn hereinbricht, gleichsam in viele Sorgen und Kümmernisse zerrissen. Sieht er seine Kinder an, so denkt er an ihre baldige Verwaisung; schaut er auf sein Weib, so denkt er an ihre Wittwentrauer; wendet er sein Auge auf das Gesinde, so sieht er im Geiste schon das ganze Haus herrenlos und verödet; kehrt er endlich wieder zu sich selbst zurück, so gedenkt er des irdischen Lebens, und weil er davon scheiden muß, umfängt ihn wieder neue Trauer wie ein düsteres Gewölk. So ist es um die Stimmung des Täuflings bestellt. Mitten in diese Verwirrung und Trostlosigkeit tritt nun der Priester hinein. Er wird hier noch mehr gefürchtet als das tödtliche Fieber und ist den Angehörigen des Kranken noch unwillkommener als selbst der drohende Tod. Mehr als das Wort des Arztes, wenn er den Kranken ausgibt, gilt die Ankunft des Priesters als Beweis seines hoffnungslosen Zustandes. So scheint gerade Das, was zum ewigen Leben führen soll, eine Besiegelung des Todes zu werden. Und doch habe ich das Ärgste noch nicht erwähnt: während noch die Angehörigen in unruhiger Hast die nöthigen Vorbereitungen trafen, ist schon manchmal aus dem Kranken das Leben entwichen, und entseelt blieb der Leib zurück. Manche Andere blieben zwar lebend, aber was konnte es ihnen helfen? Denn wenn der Täufling die Anwesenden schon nicht mehr kennt, ihre Stimme nicht mehr hört, jene Antworten nicht mehr aussprechen kann, in denen wir den beseligenden Bund mit unserm gemeinsamen Herrn abschließen, wenn er bewegungslos wie ein Stein oder ein Stück Holz da liegt, von einer Leiche nicht zu unterscheiden, — was hilft dann die Taufe, bei dieser vollständigen Stumpfheit und Besinnungslosigkeit?

Wer zu diesen heiligen und wahrhaft furchtbaren Geheimnissen hinzutreten will, der muß unbedingt wachen und aufmerken und muß von allen weltlichen Sorgen frei sein. Er muß es schon weit gebracht haben in der Abtödtung und Selbstbeherrschung und im willigen Gehorsam gegen Gott den Herrn. Verbannen muß er aus seinem Herzen jeglichen Gedanken, der mit den heiligen Geheimnissen Nichts zu thun hat, und muß sein Inneres voll kommen ausreinigen, wie man ein Haus fegt, das den König aufnehmen soll. In dieser Weise bereitet ihr euch auf die Taufe vor; so ist es um eure Gedanken, euren Willen und Vorsatz bestellt. Den Lohn, den ihr für diese rühmliche Gesinnung verdient, erwartet von Gott dem Herrn, der Diejenigen, welche ihm treulich folgen, sogar über Verdienst belohnt. Weil es aber auch meine Pflicht ist, den Mitknechten von dem Meinigen mitzutheilen, so will ich alsbald das Meinige bieten. Aber nein, auch das ist nicht das Meinige, sondern es ist des Herrn. Denn der Apostel sagt: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“ Ich hatte mir nun zwar vorgenommen, euch zu allererst zu erklären, weßhalb unsere Väter gerade diese Zeit mit Ausschluß aller andern Zeiten des Jahres den Kindern der Kirche zum Empfang der Taufe angewiesen, und weßhalb sie angeordnet haben, daß ihr nach Abschluß dieser Unterweisungen vor der Taufe die Schuhe ausziehen, die Kleider ablegen und euch dann entkleidet und barfuß, nur mit dem Leibrock angethan zu den Exorzisten verfügen sollt. Denn es ist nicht ohne Bedeutung, daß sie gerade diese Zeit gewählt und den äussern Ritus so und nicht anders gestaltet haben; Beides hat seinen höhern und geheimnißvollen Sinn. Das hatte ich mir vorgenommen euch zu erklären. Allein ich sehe, daß ich zu einem andern und nothwendigern Gegenstande übergehen muß. Ich muß euch nämlich nothwendig auseinander setzen, was die Taufe ist, weßhalb sie in unsern Lebenslauf eintritt, und welche großen Gnaden sie uns vermittelt. Doch wenn es euch recht ist, wollen wir zuerst von der Benennung dieser geheimnißvollen Reinigung reden. Sie hat nicht einen bloß, sondern viele und verschiedene Namen. Diese Reinigung wird nämlich genannt: Bad der Wiedergeburt. „Er hat uns gerettet,“ heißt es, „durch das Bad der Wiedergeburt und Wiedererneuerung des heiligen Geistes.“ Sie wird auch Erleuchtung genannt, und auch diesen Namen hat Paulus ihr beigelegt: „Gedenket wieder der frühern Tage, in welchen ihr, nachdem ihr erleuchtet worden, großen Leidenskampf bestanden habt.“ Und wiederum: „Denn es ist unmöglich, Diejenigen, welche einmal erleuchtet worden und gekostet haben die himmlische Gabe und dann abgefallen sind, wieder zu erneuern zur Bekehrung.“ Auch Taufe wird sie genannt: „Ihr alle, die ihr auf Christum getauft seid, habt Christum angezogen.“ Begräbniß wird sie genannt: „Mitbegraben seid ihr mit ihm durch die Taufe auf den Tod.“ Beschneidung wird sie genannt: „in welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer Beschneidung, die nicht von Händen gemacht ist, durch Hinwegnahme des sündigen Leibes des Fleisches.“ Kreuz wird sie genannt: „Denn unser alter Mensch ist mit ihm gekreuzigt worden, damit der Leib der Sünde vernichtet würde.“ Ich könnte ausser diesen noch andere Namen aufzählen; allein damit wir uns nicht die ganze Zeit hindurch bei den Namen dieses Gnadenmittels aufhalten, will ich auf den zuerst angeführten Namen näher eingehen und, nachdem ich die Bedeutung desselben erklärt habe, diese Erörterung beschließen. Ich muß indessen zu dieser Belehrung etwas weiter ausholen. Es gibt eine Art von Waschung, deren sich Jedermann bedient: das Bad im gewöhnlichen Sinne, das den Schmutz des Leibes hinwegspült. Eine andere Art von Waschung kannten die Juden, eine Reinigung nämlich, die an Werth und Bedeutung über jener bloß körperlichen Abwaschung, aber noch tief unter dem gnadenreichen Bade der Taufe steht. Auch die jüdischen Waschungen reinigten von leiblichem Schmutz, aber nur von einem solchen, der nicht bloß den Körper befleckte, sondern sich zugleich einem schwachen Gewissen mittheilte. Es gibt nämlich Mancherlei, was von Natur nicht unrein ist, aber unrein wird durch die Schwäche des Gewissens. Larven und ähnliche Schreckmittel sind nicht vermöge ihrer wirklichen Beschaffenheit zu fürchten, allein dem Kinde erscheinen sie furchtbar — wegen der Schwäche seiner Natur. So ist auch Das, was ich eben andeutete, wie z. B. die Berührung mit einer Leiche, nicht an sich etwas Unreines, aber sie macht den Berührenden unrein, wenn er ein schwaches Gewissen hat. Ich sage: es ist an und für sich nichts Verunreinigendes; Das hat uns der Urheber dieser Gesetze selbst, Moses, deutlich gezeigt; denn er nahm alle Gebeine Josephs mit — und blieb rein. Dazu stimmen die Worte des heiligen Paulus, in denen er uns über diese Art von Unreinigkeit belehrt. Von dieser Unreinigkeit nämlich, die nicht in der natürlichen Beschaffenheit der Dinge, sondern in der Schwäche des Gewissens ihren Grund hat, sagt er etwa so: „Nichts ist unrein durch sich selbst, als nur für Denjenigen, der Etwas für unrein hält.“ Siehst du, daß diese Unreinigkeit nicht in der natürlichen Beschaffenheit der Dinge, sondern in der Schwäche des Gewissens ihren Grund hat? Und wiederum sagt er: „Alles ist rein, aber böse dem Menschen, welcher zum Ärgerniß ißt.“ Das ist also der Grund der Unreinigkeit.

Solche Befleckungen wurden durch die jüdischen Waschungen beseitigt. Ganz andere durch das gnadenreiche Bad der Taufe: diese befreit von der wirklichen Unreinigkeit, die Leib und Seele mit vielen Makeln befleckt. Durch die Taufe werden nicht Diejenigen, die etwa todte Leiber berührt, sondern Diejenigen gereinigt, die Werke des Todes verübt haben. Mag der Täufling vordem ein wollüstiger Mensch, ein Hurer oder Götzendiener gewesen sein, mag er sich irgend einer andern Schlechtigkeit und sogar aller denkbaren Frevel schuldig gemacht haben, wie sie nur unter den Menschen vorkommen: er wird gleichwohl, nachdem er in diesen heiligen Schwemmteich hineingestiegen ist, reiner als der Glanz der Sonne aus diesen geweihten Wassern hervorgehen. Haltet Das, was ich hier sage, nur nicht für rednerische Übertreibung! Zum Beweise vernehmet, was Paulus über die Kraft und Wirkung dieses Bades sagt: „Täuschet euch nicht! Weder Götzendiener, noch Hurer, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Habsüchtige, noch Säufer, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes erben.“Was hat aber dieser Ausspruch, wendet ihr vielleicht ein, mit dem eben Gesagten zu schaffen? Beweise uns, was hier in Frage steht: ob nämlich die Kraft der Taufe von aller dieser Ungerechtigkeit reinigt. So höret denn, was jetzt folgt: „Und das waren Einige von euch; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesu Christi und in dem Geiste unseres Gottes.“ Ich versprach euch also zu zeigen, daß man durch die Taufe rein von aller Sünde wird; jene Worte des heiligen Paulus beweisen aber noch mehr: daß man nämlich nicht bloß rein, sondern auch heilig und gerecht wird. Denn er sagt nicht bloß: ihr seid abgewaschen, sondern er setzt hinzu: ihr seid geheiligt und gerechtfertigt worden. Was könnte wunderbarer sein, als daß eine wahre und wirkliche Gerechtigkeit zu Stande kommt ohne Mühe und Schweiß, ohne gute Werke? So verhält es sich in der That mit diesem Geschenk der göttlichen Liebe: es macht uns gerecht ohne Mühe und Schweiß. Kann nicht ein Schreiben des Königs, können nicht wenige Buchstaben von seiner Hand einem Gefangenen die Freiheit schenken, wenn auch unzählige Anklagen gegen ihn erhoben sind, und einen andern sogar zu den höchsten Ehrenstellen befördern? Ebenso und noch viel eher kann der heilige und allmächtige Geist Gottes uns von allen Sünden reinigen, uns reichlich mit Gerechtigkeit ausstatten und uns mit zuversichtlichem Vertrauen erfüllen. Wenn ein Feuerfunke mitten in das unermeßliche Meer hineingeworfen wird, so wird er sofort erlöschen und verschwinden, verschlungen von den gewaltigen Wogen; so wird auch alle menschliche Bosheit, wenn sie in den Brunnen dieser geweihten Wasser versenkt wird, schneller und leichter als jener Feuerfunke hinweggerafft und verschlungen.

Wenn nun aber, fragt man, in diesem Bade uns alle Sünden nachgelassen werden, warum wird es denn nicht Bad des Sündennachlasses oder Bad der Reinigung, sondern Bad der Wiedergeburt genannt? Weil es die Verzeihung und Reinigung von Sünden nicht in irgend einer dürftigen und unvollkommenen, sondern in einer so vollkommenen Weise bewirkt, als ob wir neu geboren würden. In der That, wir werden durch die Taufe neu geschaffen, neu hergestellt. Wir werden nicht von Neuem aus Erde gebildet, sondern wir gehen neu geschaffen aus einem andern Elemente, aus dem Wasser, hervor. Das Gefäß wird nicht abgewaschen, sondern vollständig umgeschmolzen. Ein Gefäß, das bloß abgewaschen wird, mag noch so sorgfältig gereinigt werden, es behält doch Spuren seiner frühern Beschaffenheit und Zeichen der vormaligen Beflecktheit; ist es aber in den Schmelzofen zurückgekehrt und in der Gluth des Feuers erneuert, dann hat es alle Flecken verloren und strahlt einen Glanz aus, als wäre es eben erst ganz neu aus dem Ofen hervorgegangen. Hat uns der Künstler eine goldene Bildsäule, an welcher Staub, Rauch, Rost und Alter ihre befleckenden Spuren hinterlassen haben, wieder neu umgeschmolzen, dann wird er sie uns ganz rein und glänzend wieder abliefern. Das ist ein Gleichniß. Unsere Natur ist bemakelt von dem Roste der Sünde, ist wie von Rauch geschwärzt in Folge unserer Vergehungen und hat die Schönheit verloren, die ihr Anfangs durch Gottes Schöpfung eigen war. Nun aber wird sie von ihm neu umgeschmolzen; das Taufwasser ist der Schmelzofen, der sie aufnimmt, die Gnade des heiligen Geistes das Feuer, von dem sie ergriffen wird; und dann gehen wir hervor als vollkommen neue Menschen, strahlend in einem Glanze, der das Licht der Sonne in die Schranken fordern könnte. Den alten Menschen hat der Herr zertrümmert und einen neuen geschaffen, der es dem frühern an hellem Glanz zuvorthut.

Auf diese Zertrümmerung und geheimnißvolle Reinigung wies einst der Prophet hin in den Worten: „Wie ein Gefäß des Töpfers wirst du sie zertrümmern.“ Daß nämlich hier von Gläubigen die Rede ist, erhellt deutlich aus dem Vorhergegangenen. „Du bist mein Sohn,“ heißt es dort, „ich habe dich heute gezeugt. Verlange von mir, und geben werde ich dir die Völker zu deinem Erbtheil, und zu deinem Besitz die Enden der Erde.“ Siehst du? er redet von der aus der Heidenwelt hervorgehenden Kirche und von der Verbreitung des Reiches Christi über die ganze Erde. Dann heißt es weiter: „Du wirst sie weiden mit ehernem Stabe (diese Worte deuten nicht auf eine drückende, sondern auf eine kraftvolle Herrschaft); wie ein Gefäß des Töpfers wirst du sie zertrümmern.“ Seht, darin ist eine geheimnißvolle Hinweisung auf die Taufe enthalten. Es werden nämlich nicht einfach und schlechthin thönerne, d. h. aus Thon gebrannte, sondern Gefäße des Töpfers zum Vergleich herbeigezogen. Nun merket wohl auf! Die aus Thon gebrannten Gefäße, sind sie einmal zertrümmert, können nicht wieder hergestellt werden, weil sie für immer im Feuer hart geworden sind. Die Gefäße des Töpfers aber sind [noch] nicht gebrannt, sondern erst aus Lehm geformt. Daher können sie, wenn sie einen Fehler haben, durch die Kunst des Meisters leicht zu einer andern Gestalt verarbeitet werden. Wo daher in der heiligen Schrift ein solches Mißgeschick bezeichnet werden soll, das nicht wieder gut zu machen ist, da redet sie von thönernen, d. h. gebrannten, und nicht von Gefäßen des Töpfers. Als Gott z. B. dem Propheten und den Juden kund machen wollte, daß er die Stadt einem Elend ohne Hoffnung überantwortet hatte, da gebot er dem Propheten, einen thönernen Krug zu nehmen, ihn vor dem Angesicht des ganzen Volkes zu zertrümmern und dabei zu verkünden: So wird die Stadt zerstört und zertrümmert werden. Wenn er ihnen aber die Hoffnung auf eine bessere Zukunft eröffnen will, dann führt er den Propheten in die Werkstätte eines Töpfers und zeigt ihm dort ein Gefäß aus weichem Thon, das eben unter den Händen des Töpfers entsteht, — also nicht ein schon gebranntes Gefäß. Das Gefäß fällt zu Boden, und der Herr spricht: „Wenn dieser Töpfer das Gefäß, das zur Erde siel, wieder aufhebt und neu herstellt: werde ich dann nicht weit eher euch wieder aufrichten, nachdem ihr gefallen seid?“

Allerdings vermag Gott nicht bloß Jene, welche noch den Gefäßen aus weicher Erde gleichen, zu erneuern durch das Bad der Wiedergeburt, sondern selbst Diejenigen, welche die Kraft des heiligen Geistes empfangen haben und dann wieder zum Falle gekommen sind, auf dem Wege der strengen Buße zur ersten Vollkommenheit zurückzuführen. Doch — euch über die Buße zu belehren, dazu ist jetzt nicht die rechte Zeit. Möchte auch nie der Tag erscheinen, an dem diese Arznei für euch nothwendig würde! Möchtet ihr immerdar den Glanz und die Schönheit, womit ihr jetzt bekleidet werden sollt, unversehrt bewahren! Damit ihr sie stets bewahret, will ich nun auch ein Weniges über das christliche Leben zu euch reden. Ihr seid jetzt noch in der Schule des Kampfes, wo eine Schlappe dem Kämpfer keine Gefahr bringt. Denn da kämpft man noch gegen Freunde und Genossen und darf an dem Lehrmeister selbst die Fechterkünste üben. Ist aber einmal die Zeit der öffentlichen Kampfspiele gekommen, sind alsdann die Schranken geöffnet, haben die Zuschauer hoch oben ihre Sitze eingenommen, und ist der Kampfrichter zur Stelle: dann heißt es entweder unterliegen und sich mit Schimpf und Schande zurückziehen, weil man träg und gleichgiltig gewesen, oder aber Siegeskränze und Kampfpreise erringen, weil man Fleiß und Mühe nicht gescheut hat. Ähnlich ist es mit euch. Diese dreissig Tage sind für euch gleichsam eine Schule des Ringens und Kämpfens, sie sind eine Zeit der Übung. Lernen wir schon jetzt den bösen Feind besiegen! Denn gegen ihn sollen wir nach der Taufe den Kampf aufnehmen, mit ihm kämpfen und ringen. Machen wir uns daher jetzt schon mit seinen Nachstellungen bekannt! Lernen wir, woher seine Bosheit kommt, an welchem Punkte er uns mit Erfolg angreifen und leicht schädigen kann, damit wir nicht etwa zur Zeit des Kampfes Erfahrungen machen, auf die wir ganz unvorbereitet sind, damit wir nicht bei der Aussicht auf ganz ungewohnte Kämpfe in Schrecken und Verwirrung gerathen, damit wir vielmehr, nachdem wir schon unter uns den Kampf geübt und alle listigen Anschläge des Teufels kennen gelernt haben, voll Muth den Streit mit ihm beginnen.

Er droht uns zu schädigen auf allen Punkten, besonders aber zum Falle zu bringen mittelst unserer Zunge, mittelst der Rede. Denn Nichts leistet ihm bei seinem Bestreben uns zu hintergehen und zu verderben, so gute Dienste, als eine ungezügelte Zunge, ein unbewachter Mund. Daher unsere vielen Niederlagen, daher unsere schweren Schulden. Wie leicht man durch die Zunge in Sünden geräth, wird uns mit den Worten gelehrt: „Viele sind durch das Schwert gefallen, aber nicht so Viele als durch die Zunge.“ Wie gefährlich ein solcher Fall ist, wird uns von demselben Manne erklärt: „Besser ein Fall vom Dache, als ein Fall durch die Zunge.“ Damit soll etwa Dieß gesagt sein: Besser ist es, zu fallen und dabei die Glieder zu zerquetschen, als Reden zu führen, welche die Seele zu Grunde richten. Derselbe weise Mann begnügt sich nicht damit, uns auf diese Sünden aufmerksam zu machen, sondern er mahnt uns auch, sehr vorsichtig zu sein, damit wir nicht etwa hinterlistiger Weise zum Falle gebracht werden. Er sagt nämlich: „Mache für deinen Mund eine Thür und Riegel, nicht als sollten wir buchstäblich Thüren und Riegel für ihn anfertigen, nein, aber wir sollen mit großer Vorsicht den Mund geschlossen halten für thörichte Reden. Und an einer andern Stelle der heiligen Schrift gibt der Prophet uns zu verstehen, daß wir zu unsern Bemühungen und vor unsern Bemühungen der Gnade von oben bedürfen, um dieses Ungethüm, die Zunge, in Schranken zu halten. Er erhebt nämlich die Hände zu Gott dem Herrn und betet: „Die Erhebung meiner Hände [sei wie] ein Abendopfer. Stelle, o Herr, eine Wache an meinen Mund und ein Festungsthor vor meine Lippen!“ Und Derselbe, dessen Mahnung ich eben angeführt habe, sagt wiederum: „Wer wird mir eine Wache geben für meinen Mund, und für meine Lippen ein Siegel der Klugheit?“

Siehst du, wie Jeder von ihnen diese Sünden fürchtet und beklagt, guten Rath dagegen gibt und um strenge Bewachung seiner Zunge betet? Weßhalb hat uns aber, fragt man dagegen, Gott der Herr dieses Glied im Anfange gegeben, wenn es so großen Schaden anrichtet? Weil es auch von großem Nutzen ist und, wenn wir behutsam und eifrig sind, bloß Nutzen und keinen Schaden stiftet. Höre zum Beweise die Worte desselben Mannes, den ich eben zitirt habe: „In der Gewalt der Zunge ist Leben oder Tod.“ Christus lehrt Dasselbe, wo er sagt: „Aus deinen Worten wirst du verurtheilt, und aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden.“ Die Zunge liegt gleichsam zwischen beiden Gegensätzen in der Mitte: du hast freie Wahl, sie zum einen oder zum andern zu gebrauchen. Es ist mit der Zunge wie mit dem Schwerte: wenn du das Schwert gegen den Feind schwingst, wird es dir ein Mittel, dein Leben zu retten; führst du aber den Hieb gegen dich selbst, dann wird nicht das Eisen an sich, sondern dein Vergehen die Ursache deines Todes. Laßt uns ebenso von der Zunge denken! Sie ist ein Schwert, das zwischen den Gegensätzen in der Mitte liegt. Schärfe sie zum Bekenntniß deiner Sünden, und führe nicht mit ihr einen Hieb gegen deinen Bruder! Deßhalb hat Gott sie durch eine doppelte Schutzwehr, durch den Zaun der Zähne und das Gehege der Lippen abgeschlossen, damit sie nicht leichtfertiger und achtloser Weise ungeziemende Reden vorbringe. Drinnen zügele sie! Will sie sich Das nicht gefallen lassen? Dann laß die Zähne an ihr durch Beissen den Dienst eines Folterknechtes versehen, und bringe sie so mit Hilfe der Zähne zum Gehorsam; denn es ist besser, daß sie für ihre Sünden von den Zähnen gebissen werde, als daß sie einst brenne und nach einem Tropfen Wasser schmachte — und keine Linderung finde.

Es werden nun mit der Zunge Sünden von mancherlei Art begangen: Schmähungen, Gotteslästerungen, schändliche Reden, Verleumdungen, Schwüre, Meineid.

Um aber euer Gedächtniß nicht durch gleichzeitige Behandlung aller dieser Sünden zu überladen, will ich euch für jetzt nur ein Gebot vorhalten, nämlich daß ihr euch vor dem Schwören hüten sollt. Zuvörderst aber versichere ich euch, daß ich über einen andern Gegenstand nicht zu euch reden werde, so lange ihr das Schwören nicht meidet. Und ich meine hier nicht bloß das falsche, sondern auch jenes Schwören, welches die Wahrheit und Gerechtigkeit nicht verletzt. Es wäre Thorheit, wenn ich zum Vortrage neuer Lehren übergehen wollte, ohne daß ich euch die früher behandelten gehörig hätte einprägen können. Pflegen doch selbst die Schulmeister die Knaben nichts Neues zu lehren, bis sie überzeugt sind, daß das Alte fest im Gedächtnisse haftet. Wollte man anders verfahren, Das hieße Wasser schöpfen in ein durchlöchertes Faß. Damit ihr mir also nicht den Mund schließet, gebt euch in diesem Punkte recht viel Mühe. Die Sünde, von der ich rede, ist gefährlich, und zwar sehr gefährlich. Sehr gefährlich ist sie darum, weil Niemand sie für gefährlich hält, und gerade darum fürchte ich sie so sehr, weil Niemand sie fürchtet. Darum ist die Krankheit unheilbar, weil sie keine Krankheit zu sein scheint. Wie das Reden im Allgemeinen keine Sünde ist, so hält man auch das Schwören nicht für Sünde und begeht daher diese Sünde mit großer Kühnheit und Gleichgiltigkeit. Wenn Jemand es tadelt, dann erfolgt sogleich helles Gelächter und arges Gespött, das aber nicht dem Schwörenden gilt, der sich den Tadel zugezogen hat, sondern Demjenigen, der ihn durch den Tadel von dieser Krankheit zu heilen sucht. Deßhalb muß ich über diesen Gegenstand viel und ausführlich reden. Denn ich will eine tief eingewurzelte Gewohnheit ausrotten und ein alt gewordenes Übel vertilgen: ich meine nicht bloß das falsche, sondern auch selbst das Schwören ohne Verletzung der „Wahrheit und Gerechtigkeit“. Aber Dieser und dagegen, ein sehr anständiger Mann, ein Mann von großer Mäßigung und Frömmigkeit! — berufe dich doch nicht auf diesen anständigen, gemäßigten Mann geistlichen Standes! Mag es meinetwegen Petrus oder Paulus sein oder auch ein Engel aus Himmel, ich lasse mich durch das Ansehen der Person in meinem Urtheil nicht wankend machen. Denn das über das Schwören, das ich euch vortrage, stammt vom Könige selbst und nicht von einem Knechte her. Wenn aber ein königliches Schreiben verlesen wird, dann tritt die Autorität der Knechte gänzlich zurück. Kannst du behaupten, daß Christus das Schwören befohlen hat, oder daß Christus das Schwören nicht bestraft? Beweise es, und ich will mich eines Bessern belehren lassen. Wenn er es aber so entschieden verbietet, und wenn er dieser Sünde so eifrig entgegenzuwirken sucht, daß er dem Schwörenden seinen Platz in der Gesellschaft des Bösen anweist (denn er sagt:) Was darüber ist, nämlich über das Ja und Nein, ist vom Teufel): was soll es bei so bewandten Umständen bedeuten, daß du dich auf Diesen oder Jenen berufst? Bei dem Richterspruch Gottes werden nicht die lockern Grundsätze unserer Mitknechte, sondern die Vorschriften seines Gesetzes den Ausschlag geben. Ich habe es geboten, sagt er, du mußtest gehorchen und dich nicht auf Diesen oder Jenen berufen und dich nicht um fremde Sünden kümmern. David, dieser große Mann, hat sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht; sag an, ist die Sünde deßhalb ohne Gefahr für uns? Daher müssen wir uns gegen die Sünde sichern, und an den Heiligen nur ihre Tugenden nachahmen. Treffen wir aber [bei den Heiligen] auf Nachläßigkeit und Übertretungen, dann müssen wir diese sorgfältig meiden. Denn wir haben nicht den Mitknechten, sondern dem Herrn Rechenschaft abzulegen; vor ihm müssen wir uns verantworten über unser ganzes Leben. Laßt uns also für dieses Gericht uns gerüstet halten. Mag der Übertreter jenes Gebotes noch so groß und bewundernswerth sein, er wird trotzdem unter allen Umständen die Strafe zu erleiden haben, welche auf diese Übertretung gesetzt ist. Denn bei Gott gilt kein Ansehen der Person.

Wie und auf welche Weise können wir uns nun vor dieser Sünde in Acht nehmen? Ich muß euch nämlich nicht bloß beweisen, daß es eine große Sünde ist, sondern auch guten Rath geben, wie ihr euch davon befreit. Du hast ein Weib, du hast einen Knecht, du hast Kinder, einen Freund, einen Angehörigen, einen Nachbar — gib ihnen allen den Auftrag, in diesem Punkte über dich zu wachen. Aber die Gewohnheit, sagt ihr, hat eine gar zu große Gewalt. Sie bringt uns leicht zum Falle, ist schwer zu überwinden und stürzt uns oft in die Sünde gegen unser Wissen und Wollen. Was folgt daraus? Je besser du die Macht der Gewohnheit kennst, desto mehr bemühe dich, die böse Gewohnheit abzulegen und dir die entgegengesetzte gute Gewohnheit anzueignen. Dann wird eine große Veränderung mit dir vorgehen. Während du jetzt trotz deiner Bemühungen, trotz deiner Wachsamkeit und angelegentlichen Sorgfalt in Folge jener bösen Gewohnheit häufig zum Falle kommst, wirst du einstens, wenn du dich einmal zu der entgegengesetzten guten Gewohnheit bekehrt hast, zur Gewohnheit nämlich: nicht zu schwören, nie gegen deinen Willen nie durch Nachläßigkeit in die Sünde des Schwörens zurückfallen können. Denn die Gewohnheit ist in der That eine Sache von großem Belang; sie wird gleichsam zur zweiten Natur. Damit wir uns also nicht immerfort abzumühen brauchen, laßt uns zur entgegengesetzten Gewohnheit übergehen! Erbitte dir von allen deinen Angehörigen, von allen deinen täglichen Gefährten die Gunst, daß sie dir zur Meidung des Schwörens mit Rath und Ermunterung beistehen und dich bei jedem Rückfalle zurechtweisen. Wenn sie dich in dieser Weise überwachen, so werden sie darin auch selbst einen Sporn und Antrieb zum Guten haben. Denn wer einen Andern wegen des Schwörens zurechtzuweisen hat, der wird selbst nicht so leicht in diesen Abgrund hineinstürzen. Ein tiefer Abgrund — das ist das viele Schwören in der That, und zwar nicht bloß, wenn es wegen einer Kleinigkeit, sondern auch, wenn es wegen sehr wichtiger Dinge geschieht. Und wir! Wenn wir Gemüse kaufen, wenn wir um zwei Pfennige streiten, wenn wir den Knechten zürnen und drohen, — jedes Mal rufen wir Gott zum Zeugen an! Du würdest dich nicht unterstehen, irgend einen anständigen Mann, der etwa ein kleines Amt bekleidet, um solcher Dinge willen auf dem Markte als Zeugen herbeizurufen, und wenn du es thätest, würdest du deinen Muthwillen büßen müssen, — und den König des Himmels, den Herrn der Engel ziehst du als Zeugen hinzu, wenn du von Waaren, wenn du von Geld, wenn du von irgend welchen gleichgiltigen Dingen redest! Das ist doch nicht zu ertragen! Wie sollen wir uns also dieser bösen Gewohnheit entledigen? Wir müssen uns mit jenen Wächtern umgeben, die ich eben genannt habe, wir müssen uns zur vollständigen Durchführung unserer Besserung eine bestimmte Zeit festsetzen und müssen uns eine Strafe auflegen für den Fall, daß wir nach Ablauf dieser Frist noch nicht gebessert sind. Wie lange Zeit wird uns dazu nothwendig sein? Diejenigen, welche recht wachsam und vorsichtig und für ihr Seelenheil unablässig besorgt sind, werden meines Erachtens nicht mehr als zehn Tage nöthig haben, um sich von dieser bösen Gewohnheit des Schwörens vollständig zu befreien. Für den Fall aber, daß wir nach den zehn Tagen wieder auf dem Schwören betroffen werden, wollen wir uns eine Strafe und zwar eine recht strenge auflegen und eine Buße für dieses Vergehen genau bestimmen. Was soll das für eine sein? Das will ich nicht mehr bestimmen, ihr sollt den Richterspruch selbst fällen. Laßt uns in solcher Weise die Angelegenheiten unserer Seele besorgen! Laßt uns so nicht bloß gegen das Schwören, sondern auch gegen die andern Sünden ankämpfen und uns für etwaige Rückfälle nach bestimmter Frist strenge Strafen auflegen! Dann werden wir reinen Herzens zu unserm Herrn hinübergehen, von Feuer der Hölle verschont bleiben und voll zuversichtlichen Vertrauens vor dem Richterstuhl Christi stehen. Das möge uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Erbarmung unseres Herrn Jesu Christi! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre in alle Ewigkeit. Amen.

Zweite Anrede an die Täuflinge

Inhalt.

Die Ermahnungen des Priesters sollen nicht bloß angehört, sondern auch befolgt werden. — Die Christen sollen schon in ihren Namen (Mensch, Gläubiger, Neuerleuchteter) eine Aufforderung zur Tugend finden. — Verschiedene Bezeichnungen für die Taufe. — Die Würde des Christen, deren er durch die heilige Kommunion theilhfaft wird, verpflichtet ihn zu einem reinen Lebenswandel. — Schon vor der Taufe muß man Buße thun und seine bösen Gewohnheiten ablegen. Jeder Mensch ohne Ausnahme kann tugendhaft leben und die Taufgnade empfangen. — Warnung vor Zungensünden, Kleiderhoffart und Aberglauben.

Zweite Unterweisung für die Täuflinge. Über die Weiber, die sich mit Haargeflecht und Goldgeschmeide schmücken. Über Diejenigen, die sich mit Vorbedeutungen, Amuletten und Zaubersprüchen befassen. Das alles ist mit dem Christenthum unvereinbar. Ich bin gekommen, um von euch zunächst die Früchte jener Anrede einzufordern, die ich euch neulich gehalten habe. Denn mit eurem Zuhören ist der Zweck meiner Reden nicht erreicht; ihr sollt das Gesagte auch im Gedächtnisse bewahren und mir dafür durch die That den Beweis liefern, — aber nein, nicht mir, sondern Gott dem Herrn, der auch die geheimen Falten eures Herzens kennt. Deßhalb werden ja diese Anreden auch Katechesen genannt, weil ihr Inhalt auch in meiner Abwesenheit in eurem Geiste gleichsam forttönen soll. Wundert euch übrigens nicht, daß ich schon nach Verlauf von zehn Tagen komme und die Früchte meiner Aussaat von euch verlange. Kann man doch sogar an einem und demselben Tage den Samen ausstreuen und die Früchte einernten! Denn es ist nicht unsere Kraft allein, sondern zugleich die göttliche Gnade, die uns stärkt, wenn wir zum Kampfe gerufen werden. Die also meine Worte sich zu Herzen genommen und im Werke erfüllt haben, mögen in ihren Bemühungen um Erreichung des vorgesteckten Zieles verharren! Die aber dieses löbliche Werk bis jetzt noch nicht in Angriff genommen haben, mögen nunmehr wenigstens beginnen, damit sie durch nachträglichen Eifer dem Strafurtheile entgehen, das ihre Nachläßigkeit verdient! Denn möglich, ja möglich ist es, durch spätern Eifer allen Schaden aus früherer Zeit wieder gut zu machen, wenn man auch sehr saumselig gewesen ist. Daher heißt es: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet eure Herzen nicht, wie bei der Erbitterung.“ Diese Worte sollen uns eine Warnung und Mahnung sein, daß wir nie, so lange wir auf Erden leben, verzweifeln, sondern stets guter Hoffnung sein, nach Fortschritt im Guten strebe und uns um den Kampfpreis bemühen sollen, den der Ruf Gottes uns in Aussicht stellt. Das wollen wir denn auch thun!

Laßt uns jetzt die Benennungen dieses werthvollen Gnadengeschenkes [der Taufe oder des christlichen Glaubens] betrachten! Denn wer einer großen Ehre theilhaft wird, der wird durch Unkenntniß ihrer Größe und Bedeutung leichtfertiger, durch genaue Bekanntschaft mit ihr dankbarer und eifriger. Und davon abgesehen, wir würden uns schämen müssen, würden Spott und Verachtung verdienen, wenn wir, während uns Gott eine so große Ehre erweis’t, nicht einmal ihre Namen und deren Bedeutung kannten. Doch warum rede ich nur von den Bezeichnungen für diese Gnade? Selbst wenn du nur den gemeinsamen Namen des ganzen Menschengeschlechtes beherzigest, wirst du darin nicht wenig Belehrung und Aufmunterung zur Tugend finden. Denn das Wort Mensch definiren wir nicht nach der Weise derer, die draussen stehen, sondern nach Anweisung der heiligen Schrift. Ein Mensch ist nicht schlechthin Jeder, der nur menschliche Hände und Füße, oder der nur Verstand und Vernunft hat, sondern wer sich entschlossen und vertrauensvoll der Frömmigkeit und Tugend befleißt. Höre nur, was die heilige Schrift von Job sagt. Nachdem gesagt ist: „Es war ein Mensch im Lande Hus,“ wird dieser keineswegs nach denjenigen Merkmalen beschrieben, welche die Heiden aufzuzählen pflegen. Es wird nicht gesagt, daß er zwei Füße und glatte Nägel hatte, sondern es werden die Kennzeichen jener Frömmigkeit zusammengestellt; gerecht, wahrhaft, gottesfürchtig, sich von jedem bösen Werke enthaltend, zum Beweise, daß Dieß eigentlich zum Menschen gehört. So heißt es auch in einem andern heiligen Buche: „Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das ist der ganze Mensch.“ Wenn aber schon der Name Mensch eine solche Mahnung zur Tugend enthält, so noch weit mehr das Wort Gläubiger (πιστός).

Denn gläubig wirst du deßhalb genannt, weil du Gott dem Herrn vertraust (πιστεύεις) und weil er dir vertraut. Er hat dir anvertraut und bei dir hinterlegt: Gerechtigkeit, Heiligkeit, Reinheit der Seele, Gotteskindschaft und das Himmelreich. Anderes dagegen hast du ihm anvertraut und bei ihm hinterlegt: Almosen, Gebete, Mäßigkeit und überhaupt jegliche Tugend. Doch warum sage ich: Almosen? Wenn du ihm einen kalten Trunk Wassers gibst, so wird dir auch der nicht verloren gehen; auch den bewahrt er sorgfältig für den Gerichtstag auf und wird ihn dir mit reichlichen Zinsen erstatten. Das ist nämlich das Wunderbare und Staunenswerthe, daß er Dasjenige, was man bei ihm hinterlegt, nicht bloß aufbewahrt, sondern auch durch große Gegenleistungen vermehrt. Und er hat befohlen, daß du mit den Gütern, die er dir anvertraut, in gleicher Weise verfahrest, so viel in deinen Kräften steht. Durch deine Anstrengungen soll jene Heiligkeit, die du empfangen hast, sich mehren, soll die in der Taufe dir verliehene Gerechtigkeit noch mehr erglänzen, die Gnade noch heller erstrahlen. Darin hat uns Paulus ein Beispiel gegeben: durch seine Arbeiten, durch seinen Eifer, durch seine opferwillige Gesinnung hat er alle empfangenen Gnaden vermehrt. Beachte auch Gottes liebevolle Fürsorge: Er hat dir hier auf Erden weder alle für dich bestimmten Güter gegeben noch alle vorenthalten, sondern die einen gegeben und die andern verheissen. Warum hat er dir nicht schon hienieden alle gegeben? Damit du den Glauben an ihn beweisest und Das, was er noch nicht gegeben hat, gläubig erwartest, nur gestützt auf seine Verheissung. Warum hat er andererseits nicht alle Güter und Gnaden dort oben für dich aufbewahrt? Warum hat er dir die Gnade des heiligen Geistes, die Gerechtigkeit, die Heiligkeit schon jetzt verliehen? Um dir die Mühen zu erleichtern und dich sowohl mittelst des schon Verliehenen als mittelst dessen, was noch kommen soll, mit Hoffnung zu erfüllen.

Du wirst ein Neuerleuchteter genannt, weil dich jetzt ein Licht erleuchten soll, das dir, wenn du nur willst, stets neu bleiben und nie erlöschen wird. Dem irdischen, dem Lichte des Tages folgt die Nacht, wir mögen es wünschen oder nicht; aber mit jenem höhern Lichte hat die nächtliche Finsterniß keine Bekanntschaft, keine Berührung. „Das Licht leuchtet in der Finsterniß, und die Finsterniß erfaßte es nicht.“ So hell wird nicht diese Erde erleuchtet beim Aufgang der Sonne, als die Seele strahlt und glänzt, wenn sie die Gnade des heiligen Geistes in sich aufgenommen hat. Vernehmet noch des Genauern, wie es sich damit verhält. Bei Nacht und Dunkel hat schon Mancher ein Seil für eine Schlange gehalten, seinen Freund für seinen Feind angesehen und darum ihn geflohen und sich über irgend ein Geräusch sehr geängstigt. Wenn aber der Tag erschienen ist, dann kommt dergleichen nicht vor, sondern es zeigt sich uns Alles, wie es ist. So geht es auch in unserer Seele. Wenn die Gnade bei uns Einkehr genommen und die Finsterniß des Geistes verscheucht hat, dann lernen wir die wahre Beschaffenheit der Dinge genau kennen, und wir verachten ohne Mühe, was uns vordem furchtbar schien. Wir fürchten den Tod nicht mehr, nachdem wir durch diesen Unterricht über die Geheimnisse des Glaubens gelernt haben, daß der Tod eigentlich kein Tod, sondern nur ein Schlaf oder Schlummer ist, der bloß eine Zeit lang währt. Wir fürchten weder Krankheit noch Armuth und dergleichen, da wir wissen, daß wir auf der Wanderschaft zu einem bessern Leben begriffen sind, einem Leben, das unzerstörbar, unvergänglich und von solchen Wechselfällen vollkommen frei ist.

Laßt uns deßhalb ja nicht, wie bisher, auch in Zukunft noch Verlangen tragen nach irdischen Freuden, nach üppigen Gastmählern und prunkenden Kleidern! Denn du hast jetzt das herrlichste Kleid, du hast ein Gastmahl für die Seele, du hast himmlische Ehre. Christus wird dir Alles: Er wird dein Gastmahl, dein Kleid, dein Haupt, deine Wurzel. „Ihr alle, die ihr auf Christum getauft seid, habet Christum angezogen.“ Sieh, er ist dein Kleid geworden! Willst du erfahren, wie er dein Gastmahl wird? „Wer mich ißt,“ sagt er, „der wird leben um meinetwillen.“ Auch deine Wohnung wird er: „Wer mein Fleisch ißt, bleibt in mir und ich in ihm.“ Und deine Wurzel: denn er sagt wiederum: „Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben.“ Er wird dir Bruder, Freund und Bräutigam: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn ihr seid meine Freunde.“ Und Paulus sagt: „Ich habe euch einem Manne verlobt, um euch als keusche Jungfrau darzustellen Christo.“ Und wiederum: .,Damit er der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern.“ Wir werden nicht bloß seine Brüder, sondern auch seine Kinder. „Siehe,“ heißt es, „ich und die Kinder, welche mir Gott geschenkt hat!“ Und nicht Das allein, sondern sogar seine Glieder, sein Leib. Als ob nämlich Das alles, was ich eben angeführt habe, noch nicht genug wäre, um seine Liebe und sein Wohlwollen gegen uns zu beweisen, hat er ein Anderes aufgestellt, was noch mehr sagen will und eine noch innigere Verbindung andeutet: Er hat sich unser Haupt genannt.

Da du nun Das alles weißt, Geliebter, so vergilt deinem Wohlthäter durch einen untadelhaften Lebenswandel! Denke an die Erhabenheit des heiligen Opfermahles — und heilige die Glieder deines Leibes! Bedenke, was deine Hand empfängt, — und wage nie, Jemand zu schlagen, auf daß du nie die Hand, die durch eine solche Gnade ausgezeichnet worden, durch die Sünde des Schlagens entweihest. Bedenke, was deine Hand empfängt, und halte sie rein von Habsucht und Ungerechtigkeit jeglicher Art! Bedenke, daß du es nicht bloß in die Hand empfängst, sondern auch dem Munde zuführst, und halte deine Zunge frei von schändlichen und schmähenden Reden, von Gotteslästerung, Meineid und allen ähnlichen Sünden! Denn es würde dir zum Verderben gereichen, wenn du die Zunge, welche dir die Theilnahme an so furchtbaren Geheimnissen vermittelt, welche von diesem Blute geröthet und kostbar wie Gold wird, zu einem scharfen Schwerte machst, das durch Lästerungen, Schmähungen und Schandreden Wunden schlägt. Du sollst die Ehre gebührend würdigen, die Gott ihr erwiesen hat, und sie nicht in die Gemeinheit der Sünde herabziehen. Bedenke auch, daß nach der Hand und der Zunge das Herz jenes furchtbare Geheimniß aufnimmt, und ersinne niemals boshafte Anschläge gegen deinen Nächsten, sondern bewahre deine Seele rein von allem Trug! So wirst du auch die Augen und die Ohren gegen die Sünde sicher stellen können. Denn nachdem du jenen geheimnißvollen, himmlischen Gesang der Cherubim gehört hast, wie sollte es da nicht unziemlich und frevelhaft sein, die Ohren zu entweihen durch Anhörung unzüchtiger Lieder und wollüstiger Melodien? Wie sollte es nicht höchst strafwürdig sein, wenn du mit denselben Augen, welche die unaussprechlichen und fruchtbaren Geheimnisse geschaut haben, Buhlerinen betrachtest und in Begierden Ehebruch begingest?

Du bist, Geliebter, zu einer Hochzeit geladen; tritt nicht in schmutzigen Kleidern ein, sondern nimm ein Gewand, das für die Hochzeit paßt. Die zu einer irdischen Hochzeit geladen werden, wären es auch die allerärmsten Leute, leihen sich manchmal oder kaufen ein reines Kleid und erscheinen so vor Demjenigen, der sie geladen hat. Du bist zu einer Hochzeit der Seele, zu einem königlichen Mahle geladen; bedenke, was für ein Kleid müßtest du wohl kaufen, um hier bestehen zu können? Aber du brauchst es nicht einmal zu kaufen; nein, der dich ruft, er selbst gibt es dir umsonst, damit du dich ja nicht mit deiner Armuth entschuldigen kannst. Bewahre also das Kleid, das du empfangen hast; denn wenn du es verdirbst, wirst du ein solches nie mehr kaufen oder leihen können. Denn ein solches Kleid wird nirgends feil geboten. Ist es nie an dein Ohr gedrungen, wie so manche Christen, die vordem auch in die heiligen Geheimnisse sind eingeführt worden, jetzt seufzen und an die Brust schlagen, vom Gewissen gequält? Siehe denn zu, mein Lieber, daß es dir nicht auch so ergehe! Aber wie sollte dir nicht ganz Dasselbe bevorstehen, wenn du die schlechten, lasterhaften Gewohnheiten nicht ablegst? Deßhalb habe ich früher gesagt, sage ich heute und werde ich nicht aufhören zu sagen: Wer seinen Lebenswandel nicht bessert, wer es nicht in der Tugend zu einer gewissen Fertigkeit bringt, der soll nicht getauft werden. Denn die frühern Sünden kann die Taufe zwar abwaschen; aber es ist sehr zu befürchten, und die Gefahr ist groß, daß wir wieder zu den Sünden zurückkehren und das Heilmittel uns nur verwunde. Je größer die Gnade, desto größer ist auch die Strafe für Diejenigen, welche später in Sünden fallen.

Damit wir also nicht zurückkehren zu Dem, was wir früher ausgespieen haben, wollen wir uns von jetzt an schon in Zucht nehmen. Denn ehe man zum Empfange der Gnade hinzutritt, muß man vorher die frühern Sünden abgebüßt und sich von ihnen abgewendet haben. Zum Beweise höre, was Johannes und was der Apostelfürst zu Denen sagte, die getauft werden wollten. Johannes sprach: „Bringet würdige Frucht der Buße, und fanget nicht an, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater!“ Petrus sprach zu denen, die ihn fragten: „Thut Buße, und es lasse ein Jeder von euch sich taufen auf den Namen des Herrn Jesus Christus.“ Wer aber Buße thut, der macht mit den gebüßten Werken keine Gemeinschaft mehr. Deßhalb werden wir aufgefordert zu sagen: „Ich widersage dir, Satan,“ damit wir nicht mehr zu ihm zurückkehren. Wir sollen uns das Verfahren der Maler zum Muster nehmen! Wenn nämlich ein Maler seine Tafel aufgestellt hat und darauf weisse Linien hin und her zieht, um ein großartiges Bild zu entwerfen, dann kann er mit unbeschränkter Freiheit Dieß und Jenes ausstreichen und neu zeichnen, kann das Fehlerhafte verbessern und das Verkehrte richtig stellen, — aber nur so lange, als er nicht die Farben hinzugefügt hat, die das Bild erst zu einer wahren und eigentlichen Abbildung machen. Sind die Farben einmal aufgetragen, dann kann er nicht mehr willkürlich ausstreichen und neu zeichnen; denn er würde der Schönheit des Bildes Eintrag thun und sich selbst dem Tadel aussetzen. Daraus lerne, wie auch du verfahren sollst! Betrachte deine Seele als ein Bild; und die bösen Gewohnheiten, die dir anhaften, tilge aus, ehe dieses Bild durch Wirkung des heiligen Geistes seinen wahren Farbenglanz erhält! Sei es das Schwören oder Lügen oder Schimpfen, oder seien es schändliche Reden und Scherze oder sonst etwas Böses, was dir zur Gewohnheit geworden: rotte die Gewohnheit aus, damit du nicht nach der Taufe wieder zu ihr zurückkehrest. Die Sünden tilgt die Taufe, die Gewohnheit bessere du selbst, auf daß du nicht, nachdem das Bild seine Farben erhalten hat und in seiner Schönheit erstrahlt, noch immer daran zu tilgen habest und die von Gott verliehene Schönheit durch Wunden und Narben verunstaltest. Bezwinge also den Zorn, lösche aus die Gluth des Hasses! Wenn dir Jemand Unrecht thut oder Beleidigungen zufügt, dann trauere über ihn! Werde nicht zornig, bemitleide ihn, laß dich nicht erbittern, und sage nicht: Er hat mir ein Unrecht angethan, das meine Seele tief verwundet! Es ist gar nicht möglich, daß du an der Seele geschädigt wirst, wenn du dir nicht selbst den Schaden an der Seele zufügst. Wie so? Das will ich euch erklären. Hat dich Jemand um dein Geld gebracht? Er hat sich nur an deinem Gelde, nicht an deiner Seele vergriffen. Wenn du ihm aber das Unrecht nachträgst, dann fügst du dir selbst an deiner Seele Schaden zu. Denn der Verlust des Geldes schadet nicht; er dient sogar zum Heil: wenn du aber deinem Groll nicht entsagst, dann wirst du in der andern Welt für deine Unversöhnlichkeit gezüchtigt werden. Oder es hat dich Jemand geschimpft und geschmäht? Er hat dadurch deiner Seele keinen Schaden zugefügt, und deinem Leibe auch nicht. Hast du ihn wieder geschimpft und geschmäht? Dann hast du dir selbst an deiner Seele Schaden zugefügt; denn du wirst in der andern Welt für diese deine Worte büßen müssen. Das möchte ich euch am allermeisten einprägen, daß dem Christen, dem Gläubigen Niemand, nicht einmal der Teufel an der Seele schaden kann. Wie wunderbar, daß uns Gott für alle bösen Anschläge ganz unerreichbar gemacht hat!

Aber auch Das ist wunderbar, daß er uns unter allen Umständen die Übung der Tugend ermöglicht. Dafür gibt es kein Hinderniß, wofern wir nur guten Willens sind. Mögen wir auch arm, schwächlich, verachtet, niedrigen Standes oder Sklaven sein: weder Armuth noch Krankheit noch körperliche Gebrechen noch das Sklavenleben noch irgend etwas Anderes der Art kann uns an der Übung der Tugend hindern. Ja, was sage ich? der Arme, der Sklave, der geringe Mann —? selbst wenn du in Fesseln liegst, steht Nichts im Wege: die Tugend kannst du üben. Wie sich Das verhält, will ich euch erklären. Hat dich einer von deinen Hausgenossen beleidigt und gereizt, so verzeihe es ihm, und überwinde deinen Zorn! Können dich die Fesseln, kann dich die Armuth oder die Niedrigkeit deines Standes daran hindern? Weit entfernt! Gerade das Gegentheil ist der Fall: eben diese Umstände helfen dir und erleichtern es dir, den Zorn zu bezwingen. Siehst du einen Andern vom Glücke begünstigt? Werde nicht mißgünstig! Da steht die Armuth nicht im Wege. Ferner: Wenn es Zeit zum Beten ist, dann bete mit Ernst und Andacht; auch daran kann dich Nichts hindern. Zeige dich allezeit sanftmüthig und nachgiebig, mäßig und anständig; auch dazu hast du keine äussern Hilfsmittel vonnöthen. Darin besteht eben der größte Vorzug der Tugend, daß sie weder Reichthum noch Macht noch Ansehen u. dgl. erheischt, sondern nur eine geheiligte Seele und weiter Nichts.

Siehe, ebenso verhält es sich mit der Gnade. Mag Einer auch lahm, mögen ihm die Augen ausgestochen, mag er sonst verstümmelt sein, mag er auch an einer tödtlichen Krankheit darnieder liegen, Nichts von alle Dem hindert die Gnade, bei ihm Einkehr zu nehmen. Sie verlangt nur ein Herz, das bereit und willig ist, sie aufzunehmen, und dann geht sie über alle diese äussern Umstände hinweg. Wie groß ist doch die Liebe und Güte des himmlischen Königs! Die Werber, welche Soldaten für ein irdisches Kriegsheer zusammen suchen, unterlassen es nicht, ehe sie einen Mann zum Kriegsdienste annehmen, seine Leibesgröße zu messen und seine Stärke und Gewandtheit zu prüfen; und Das ist noch nicht genug: der künftige Krieger muß auch frei sein; ein Sklave wird zurückgewiesen. Der König des Himmels dagegen verlangt Nichts dergleichen, er nimmt in sein Heer auch Sklaven, Greise und Schwächlinge auf und schämt sich ihrer nicht. Kann es eine größere Liebe und Güte geben? Er verlangt nur Solches, was in unserer Macht steht; was aber Jene verlangen, Das steht nicht in unserer Macht. Denn ob wir Sklaven oder Freie sind, Das ist nicht unsere Wahl: es steht nicht bei uns, groß oder klein oder alt oder frei von Gebrechen zu sein u. s. w., aber sanftmüthig und liebevoll zu sein, und was damit verwandt ist, Das ist Sache unseres Willens. Nur Das verlangt Gott, was unserer Wahl anheimgegeben ist. Wohl begreiflich! Denn nicht zu seinem eigenen Vortheil, sondern um uns Wohlthaten zu erweisen, ruft er uns zu seiner Gnade; ein König aber wirbt Soldaten für seinen eigenen Dienst. Der irdische König führt seine Soldaten in einen äussern, sichtbaren Krieg, Gott führt die Seinigen in einen unsichtbaren, geistigen Kampf.

Man kann diesen Kampf nicht bloß mit dem Kriege, sondern auch mit den Kampfspielen vergleichen, und man wird auf die nämliche Verschiedenheit stoßen. Diejenigen, welche in diese Kampfspiele zu führen sind, dürfen dazu nicht eher zugelassen werden, als bis der Herold sie unter den Augen aller Zuschauer rings herum geführt hat, rufend mit lauter Stimme: Ist Niemand, der wider ihn klagt? Und das sind doch Kämpfe, welche der Leib und nicht der Geist auszufechten hat; warum verlangst du also Rechenschaft über seine Unbescholtenheit? Hier aber verhält es sich nicht so, sondern gerade umgekehrt. Nicht indem wir handgemein werden, sondern durch Weisheit der Seele und Tugend des Herzens führen wir unsern Kampf. Gerade umgekehrt verfährt hier der Kampfrichter; statt den künftigen Kämpfer umherzuführen und zu rufen: Ist Niemand, der wider ihn klagt? ruft er vielmehr: Wenn ihn auch alle Menschen, wenn ihn die Teufel sammt dem Obersten der Teufel der ärgsten und abscheulichsten Verbrechen beschuldigen, ich schließe ihn nicht aus, mir eckelt vor ihm nicht; ich entreisse ihn allen seinen Anklägern, befreie ihn von seiner Ungerechtigkeit und führe ihn so zum Kampfe. Der Unterschied ist einleuchtend. Dort trägt der Kampfrichter zum Siege der Kämpfer durchaus Nichts bei, er steht nur mitten dazwischen; hier aber ist der Kampfrichter in den Kämpfen der Frömmigkeit zugleich Mitstreiter und Helfer und verbindet sich mit ihnen zum Kampfe gegen den Teufel.

Nicht bloß Dieß ist etwas Staunenswerthes, daß er uns die Sünden verzeiht, sondern auch noch ein Anderes: Er bringt die Sünden gar nicht an’s Licht, macht sie nicht bekannt und nöthigt Niemand, vorzutreten und sie öffentlich zu bekennen; er verlangt nur, daß man sich mit ihm darüber abfindet und ihm das Bekenntniß ablegt. Wenn ein Richter dieser Welt einem ertappten Räuber oder Grabschänder das Anerbieten machte, er solle sein Vergehen kennen und dann der Strafe entgehen, wie gern würde der Verbrecher den Vorschlag annehmen und sich aus Liebe zum Leben über die Beschämung hinwegsetzen! Hier aber geht es noch ganz anders: der Herr verzeiht die Sünden, aber er nöthigt uns nicht, sie vor irgend einem Menschen an’s Licht zu ziehen. Er verlangt nur Eins: daß nämlich der begnadigte Sünder sich von der Größe dieser Gnade überzeuge. Indem er uns also seine Wohlthaten erzeigt, will er dafür kein anderes Zeugniß als das unsrige. Wäre es nun nicht wahrhaft sinnlos, wenn wir bei der Erfüllung unserer Pflichten gegen ihn noch andere Zeugen verlangen und uns vor den Menschen zur Schau stellen wollten?

Laßt uns denn seine Güte bewundern und unserseits thun, was Pflicht und Schuldigkeit ist. Vor allen Dingen laßt uns die Gelüste der Zunge bezähmen, und laßt uns nicht fortwährend reden; denn „beim vielen Reden wirst du von Sünden nicht frei bleiben.“ Wenn du also etwas Nützliches zu sagen hast, dann öffne deine Lippen; ist es aber nichts Nothwendiges, was du sagen willst, dann schweige, denn Das ist besser. Bist du ein Handwerker? Singe Psalmen, wenn du bei deiner Arbeit sitzest. Aber mit dem Munde singen, Das willst du vielleicht nicht? So singe im Herzen! Ein Psalm ist ein schätzenswerter Gefährte. Du wirst keinen Nachtheil davon haben, und deine Werkstätte kann dir zur Klosterzelle werden. Denn zur Ruhe der Seele verhilft uns nicht ein passend gewählter Aufenthaltsort, sondern die Vollkommenheit des Lebenswandels. Während Paulus in der Werkstätte dem Handwerke oblag, kam seine Tugend nicht zu Schaden. Sage also nicht: Wie kann ich, da ich doch nur ein armer Handwerker bin, mich der christlichen Weisheit befleissigen? Gerade deßhalb kannst du es besonders gut. Denn der Frömmigkeit ist Armuth günstiger als Reichthum. Arbeit günstiger als Müssiggang. Wird doch der Reichthum, wenn man nicht sehr wachsam ist, geradezu ein Hinderniß der Frömmigkeit! Steht denn die Armuth im Wege, wenn man dem Zorne entsagen, die Mißgunst austilgen, den Haß unterdrücken, sich mit Gebet beschäftigen, Milde und Sanftmuth, Freundlichkeit und Liebe üben soll? Nicht durch Geldausgeben, sondern durch guten Willen hat man diese Tugenden zu bethätigen. Hauptsächlich zu einem guten Werke, zum Almosengeben hat man Geld nothwendig; allein auch dieses eine gewinnt durch die Armuth an Werth und Glanz. Denn die Wittwe, die zwei Heller opferte, war von Allen die ärmste und hat doch Alle übertroffen. Laßt uns darum den Reichthum nicht für etwas Großes und Vorzügliches halten, und laßt uns das Gold nicht höher schätzen als Koth! Denn der Werth des Metalls wird nicht durch dessen natürliche Beschaffenheit, sondern durch unsere Schätzung bestimmt. Genau genommen, ist das Eisen weit nothwendiger als das Gold. Denn zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens ist das Gold nicht brauchbar, das Eisen aber von sehr großem Vortheil, da es zu tausenderlei Geräthschaften verarbeitet wird. Doch warum vergleiche ich Gold und Eisen? Nothwendiger als Edelsteine sind die gewöhnlichen Steine; denn aus den Edelsteinen läßt sich nichts Nützliches herstellen, jenen andern Steinen aber danken wir Häuser, Mauern und Städte. Zeige mir einmal, was für einen Gewinn diese Edelsteine einbringen, oder vielmehr, welchen Schaden sie nicht anstiften! Damit du dich mit einer einzigen Perle schmückest, müssen tausend Arme hungern. Kannst du dich vertheidigen? Kannst du Nachsicht erwarten? Wenn du dein Angesicht schmücken willst, dann schmücke es nicht mit Perlen, sondern mit Bescheidenheit und Anstand. Dann wird dein Angesicht dem Mannen liebenswürdiger vorkommen. Der Perlenschmuck bringt oft in den Verdacht der Eifersucht, erzeugt Feindschaft, Streitigkeiten und Reibereien; denn kein Angesicht ist widerwärtiger, als woran sich Verdacht knüpft. Der Schmuck aber, den Mildthätigkeit und Bescheidenheit dem Angesichte mittheilt, verscheucht allen bösen Verdacht und fesselt den Mann mehr, als die stärksten Bande es vermöchten. Denn was verleiht dem Antlitz seinen Reiz und seine Lieblichkeit? Nicht sowohl seine natürliche Schönheit als vielmehr die Zuneigung dessen, der es anschaut. Deßhalb wird selbst ein schönes Weib dem Manne häßlicher als alle andern erscheinen, wenn es ihm verhaßt ist; und ein ganz unansehnliches Weib wird dem Manne schöner als alle andern vorkommen, wenn es seine Zuneigung besitzt. Denn man pflegt sich in seinem Urtheil über Das, was man sieht, nicht von der wirklichen Beschaffenheit desselben, sondern von seiner eigenen Zuneigung oder Abneigung bestimmen zu lassen. So schmücke denn dein Angesicht mit Bescheidenheit, Ehrbarkeit, Mildthätigkeit, Nächstenliebe, Wohlwollen; schmücke es mit Freundlichkeit, Nachgiebigkeit, Sanftmuth und Geduld gegen deinen Mann! Das sind die Farben der Tugend. Dadurch wirst du die Liebe der Engel, geschweige denn der Menschen gewinnen; dafür wirst du von Gott selbst gelobt werden. Wenn aber Gott sich deiner annimmt, dann wird er dir ohne Zweifel auch die Liebe deines Mannes zuwenden. Denn wenn nach den Worten der heiligen Schrift die Weisheit über das Angesicht des Mannes, so wird noch weit mehr die Tugend über das Angesicht des Weibes Licht und Glanz verbreiten. Oder hältst du wirklich den Perlenschmuck für etwas Großes und Werthvolles? Dann sage mir doch, was dir am Gerichtstage die Perlen nützen werden! Ja, ich habe nicht einmal nothwendig, an den Gerichtstag zu erinnern; denn was ich hier behaupte, Das alles bestätigt sich schon in diesem Leben. Als Diejenigen, welche den Kaiser geschmäht haben sollten, vor Gericht gezogen wurden und in der äussersten Gefahr schwebten, da haben ihre Mütter und Weiber sich des Halsschmuckes, des Goldes und der Perlen, aller Schmucksachen und der goldbesetzten Gewänder entledigt, geringe und schlechte Kleider angelegt, sich mit Asche bestreut und sich so vor den Thüren des Gerichtssaales über den Boden gewälzt. Dadurch rührten sie die Herzen der Richter. Wenn nun bei irdischen Gerichten Gold und Perlen und reichgewirkte Kleider für den Angeklagten nachtheilig und gewissermaßen verrätherisch sind, dagegen ein demüthiges und bescheidenes Entgegenkommen, Asche und Thränen und schlechte Kleider den Richter eher zur Milde bewegen: dann läßt sich mit weit größerer Sicherheit behaupten, daß es bei jenem furchtbaren, unbestechlichen Gerichte ähnlich gehen wird. Wie willst du dich auch rechtfertigen, wie entschuldigen, wenn der Richter dich wegen dieser Perlen zur Rede stellt und dir dann die Armen vorführt, die vor Hunger umkommen? Da sehet, warum Paulus sagt: „Nicht mit Haargeflechte oder Gold oder Perlen oder kostbarer Kleidung;“ Das würde nämlich zum Verderben ausschlagen. Sollten wir uns dieser Sachen auch auf die Dauer erfreuen, mit dem Tode werden wir sie auf jeden Fall verlieren. Vollkommen gesichert ist dagegen der Besitz der Tugend und keinem Wechsel, keiner Veränderung unterworfen. Die Tugend gewährt uns Sicherheit hier auf Erden und begleitet uns in das Jenseits. Willst du Perlen wahrhaft besitzen und diese Reichthümer nie verlieren? Dann lege alle diese Schmucksachen ab, und lege sie nieder in die Hände Christi, und zwar durch Vermittlung der Armen! Er bewahrt dir alle diese Reichthümer auf, bis er deinen Leib auferweckt in herrlichem Glanze. Dann wird er dir bessere Kostbarkeiten, einen schönern Schmuck anlegen, als den du jetzt trägst; — der ist so gering und verächtlich! Bedenke einmal, was Das für Leute sind, denen du mit deinem Schmuck gefallen willst, und um deren willen du ihn anlegst! Irgend ein Wasserschöpfer, ein Schmied, ein Krämer soll ihn sehen und bewundern. Schämst du dich nicht, erröthest du nicht, daß du dich solchen Leuten zur Schau stellst, daß du ihnen zu Liebe Das alles aufbietest, während du sie nicht einmal so viel achtest, daß du sie anreden möchtest? — Wie sollst du es nun beginnen, um diese Eitelkeiten zu verachten? Denke an jene Worte, die du damals gesprochen hast, als du in die Geheimnisse des Christenthums eingeweiht wurdest: Ich widersage dir, Satan, und deiner Pracht und deinem Dienste. Denn die unsinnige Liebe zu dem Perlenschmucke, das ist Pracht des Teufels. Nicht dazu ist dir dieß Gold gegeben worden, damit du es in Ketten an deinen Leib hängst, sondern damit du die Armen aus Ketten und Banden erlösest und mit Nahrung versorgest. Sprich also immerdar: Ich widersage dir, Satan. Nichts gewahrt uns so große Sicherheit als diese Worte, vorausgesetzt, daß wir sie im Werke bethätigen.

Diese Worte — euch, ihr Täuflinge, bitte ich darum —wollet doch recht verstehen lernen, denn in diesen Worten schließen wir den Bund mit dem Herrn. Wenn wir einen Sklaven kaufen wollen, so fragen wir ihn vorher, ob er uns dienen will. So auch Christus. Wenn er im Begriffe steht, dich zu seinem Dienste anzunehmen, dann fragt er vorher: Willst du jenem harten und grausamen Tyrannen entsagen? Diese Zusage läßt er sich von dir geben; denn seine Herrschaft kennt keinen Zwang. Und sieh, wie gütig er ist! Wenn wir einen Sklaven kaufen wollen, dann stellen wir unsere Fragen an ihn, ehe wir den Kaufpreis zahlen; und erst dann zahlen wir, wenn er seine Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben hat. Ganz anders Christus: Er hat den Kaufpreis schon für uns alle erlegt — es ist sein kostbares Blut. „Um einen Preis seid ihr erkauft,“ sagt der Apostel. Und dennoch zwingt er Niemanden, ihm wider Willen zu dienen. Wenn du nicht geneigt bist, sagt er, wenn du dich nicht aus freier Wahl meinem Dienste widmen willst — ich zwinge dich nicht, ich thue dir keine Gewalt an. Wenn wir einen Sklaven kaufen, hüten wir uns, einen schlechten zu wählen; oder wenn wir uns je für einen schlechten entscheiden und den Preis zahlen, dann ist Das eben eine schlechte Wahl. Christus aber hat es nicht verschmäht, Undankbare und Nichtswürdige zu kaufen und für sie einen Kaufpreis wie für den Allerbesten zu erlegen. Ja, dieser Preis ist noch weit höher, und zwar dermaßen höher, daß kein Wort und kein Gedanke an seine Größe reichen kann. Denn indem er uns kaufte, hat er nicht etwa den Himmel und die Erde und das Meer, sondern etwas Anderes als Preis dahingegeben, was mehr werth ist als Das alles: sein eigenes Blut. Und nach alle Dem verlangt er von uns keine Zeugen und keine Verschreibung, sondern begnügt sich mit einigen wenigen Worten; und wenn du von ganzem Herzen sagst: „Ich widersage dir, Satan, und deiner Pracht,“ dann hat er schon Alles von dir entgegengenommen.

Dieses Wort wird am Gerichtstage wieder von uns gefordert werden. In diesem Gedanken laßt uns sprechen: „Ich widersage dir, Satan,“ und das Wort laßt uns bewahren, damit wir dieses Pfand einst unversehrt wieder abgeben können. Pracht des Teufels, das ist das Theater, das sind die Cirkusspiele, jedes Laster, die Tagwählerei und [der Glaube an] die Vorbedeutungen, die man an Begegnungen knüpft. Was ist denn mit diesen letztgenannten Vorbedeutungen gemeint? Man sieht beim Hinausgehen aus dem Hause einen Einäugigen oder Lahmen, und darin findet man ein Vorzeichen! Das ist „Pracht des Satans“. Denn was den Tag zu einem Unglückstag macht, Das ist nicht die Begegnung mit einem Menschen, sondern Das ist ein sündhafter Lebenswandel. Wenn du also ausgehest, dann gib nur auf Eins Acht: daß die Sünde dir nicht begegne! Die Sünde ist es, die uns in das Unglück bringt; sind wir von Sünden frei, dann kann der Teufel uns nicht schaden. Was sagst du doch? Du siehst einen Menschen und knüpfst daran dein Urtheil über die Zukunft; und du merkst den Fallstrick des Teufels nicht, der dich in Feindschaft mit einem schuldlosen Menschen verwickelt? der dich ohne irgend einen rechtmäßigen Grund zum Widersacher deines Bruders macht? Gott befiehlt, die Feinde zu lieben, und du läßt Feindschaft in dir aufkommen gegen einen Menschen, der dir kein Unrecht zugefügt, und dem du Nichts vorzuwerfen hast? Denkst du nicht daran, wie lächerlich, wie beschämend, oder vielmehr wie gefährlich Das ist?

Und soll ich euch ein Anderes sagen, was noch erbärmlicher ist? Ich schäme mich zwar und erröthe es zu sagen; aber um eures Seelenheiles willen bin ich dazu genöthigt. Wenn dir eine ehrbare Jungfrau begegnet, sagt man, wirst du an diesem Tage keine Geschäfte machen; wenn dir aber eine schlechte Dirne in den Weg kommt, dann wirst du einen guten, einen Glückstag haben und viel verdienen. Ihr verhüllt euch, ihr schlagt euch an die Stirne, ihr seht beschämt auf die Erde. Ganz recht, aber nicht jetzt, wo ich diese Worte rede, sondern damals, als diese Dinge vorkamen, da hattet ihr Grund dazu. Und nun sehet, wie auch hier der Teufel seine Arglist verbirgt! Wir sollen uns von der ehrbaren Jungfrau widerwillig abwenden, das unzüchtige Weib dagegen mit Freuden begrüßen und lieb gewinnen! Er hat das Wort Christi gehört: „Wer ein Weib anschaut, um sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen.“ Dann hat er gesehen, daß jetzt viele Menschen die unkeusche Lust bezwängen, und er wollte sie auf einem andern Wege von Neuem in die Sünde hineintreiben: deßhalb hat er sie durch den Glauben an diese Vorbedeutung zu bestimmen gewußt, unzüchtige Weiber mit Wohlgefallen zu betrachten.

Was soll man gar von Denen sagen, die sich mit Zaubersprüchen und Amuletten abgeben und eiserne Münzen von Alexander dem Mazedonier am Kopfe und an den Füßen befestigen? So wäre es also um unsere Hoffnungen bestellt, daß wir nach dem Kreuz und dem Tode unseres Herrn die Hoffnung auf Erhaltung unseres Lebens an das Bildniß eines heidnischen Königs knüpfen? Kennst du denn die Kraft und den Segen des Kreuzes nicht? Das Kreuz hat den Tod vernichtet, die Sünde getilgt, der Hölle ihre Beute entrissen, des Teufels Macht gebrochen, — und wir sollten nicht vertrauen dürfen, daß es uns die Gesundheit des Leibes erhalten kann? Es hat die ganze Welt wieder aufgerichtet, und du hast kein Zutrauen zu ihm? Sag’ an, was hättest du wohl dafür verdient?

Und du versiehst dich nicht bloß mit Amuletten, sondern auch mit Zaubersprüchen! Du läßt betrunkene, taumelnde alte Weiber in dein Haus kommen! Schämst du dich nicht, erröthest du nicht, daß du dich von solchen Leidenschaften berücken läßt, nachdem du die erhabene Lehre des Christenthums angenommen hast? Eins macht diesen Trug noch unheilvoller. Wenn wir warnen und abmahnen, dann antwortet man — als wäre Das eine Entschuldigung —: „Die Frau, welche diese Beschwörungen vornimmt, ist eine Christin und spricht nichts Anderes als den Namen Gottes aus.“ Gerade deßhalb hasse und verabscheue ich sie am meisten, weil sie den Namen Gottes zur Sünde mißbraucht, weil sie sich für eine Christin ausgibt und heidnische Werke übt. Auch die Teufel sprachen den Namen Gottes aus, und doch waren es Teufel. Sie sagten zum Herrn: „Wir wissen, wer du bist, der Heilige Gottes.“ Aber dessen ungeachtet hat der Herr sie hart angefahren und dann ausgetrieben. So mahne ich euch denn, daß ihr euch von diesem Trug frei haltet und euch auf jenes Wort [ich widersage dir, Satan] stützet wie auf einen Stab. So wie du ohne Schuhe und Kleider nicht auf den Markt gehen würdest, so solltest du auch nicht ausgehen ohne dieses Wort und jedesmal, wenn du die Schwelle überschreitest, vorher dieses Wort wiederholen: Ich widersage dir, Satan, und deiner Pracht und deinem Dienste, und dir, o Christus, stehe ich zur Seite. Nie solltest du ausgehen ohne diesen Spruch. Dann wirst du einen Stab, eine Waffe, ein unüberwindliches Bollwerk besitzen. Mit diesen Worten zeichne das Kreuz auf deine Stirne; dann wird kein Mensch dir schaden können, wer dir auch immer begegnen mag. Ja selbst der Teufel wird dir nicht schaden können, wenn du überall, wo er dich sieht, mit dieser Rüstung gewaffnet bist. Das lerne, darin übe dich schon jetzt, damit du beim Empfange des Siegels [der Taufe oder der Firmung] ein wohlge rüsteter Krieger seiest, damit du den Sieg über den Teufel erringest und die Krone der Gerechtigkeit erlangest. Möge sie uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Ueber den Verrath des Judas

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Es sind über den Verrath des Judas zwei Homilien des heiligen Chrysostomus auf uns gekommen, die nicht bloß in den Gedanken, sondern auch im Ausdruck vielfach übereinstimmen. Man nimmt mit Grund an, daß die eine nur eine Überarbeitung der andern ist. Die unten übersetzte ist die zweite.

Aus dem Eingange geht hervor, daß der Redner in einer zusammenhängenden Reihe von Predigten über den Patriarchen Abraham bezw. über das erste Buch Moses begriffen war, und daß er, diese Reihe unterbrechend, die vorliegende Predigt am Tage des letzten Abendmahles gehalten hat; in welchem Jahre, laßt sich nicht bestimmen.

Der größte Theil dieser Predigt ist eine sogenannte niedere Homilie. Die Stelle über den Verrath des Judas wird fast Wort für Wort in erbaulicher Weise erklärt; gemüthvolle Be trachtungen und väterliche Ermahnungen werden in zwangloser Weise an die Erklärung angeknüpft. Einige Wiederholungen und andere kleine Mängel in der Form dürften beweisen, daß an diese Predigt der heilige Lehrer die „letzte Hand“ nicht gelegt hat. — Im letzten Kapitel spricht wieder mit gewohnter Salbung der doctor eucharisticus. Dießmal bezeugt er nicht nur das katholische Dogma von der Gegenwart Christi im heiligsten Sakramente, sondern auch die von den schismatischen Griechen bestrittene Lehre, daß die Wandlung der eucharistischen Elemente in der heiligen Messe durch die Worte der Einsetzung (Hoc est corpus meum) vollzogen wird.

Inhalt.

Wir müssen trauern über den unglückseligen Verräther, nicht über den Heiland, den er verrieth. Besser ist unrecht leiden als unrecht thun. Betrachtung über die Worte: „Damals ging einer von den Zwölfen, der Judas Iskariot genannt wird, zu den Hohenpriestern und sprach zu ihnen. Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen?“ Der Herr hat freiwillig gelitten. — Die Feste der Juden bestehen nicht mehr zu Recht. — Wir müssen uns auf den Empfang des Leibes und Blutes Jesu sorgfältig vorbereiten, besonders durch Verzeihung der uns zugefügten Beleidigungen.

Text

 

Über das göttliche und geheimnißvolle Abendmahl des Heilandes. Von dem Verrath des Judas. Über das Osterlamm und die Ausspendung der göttlichen Geheimnisse. Vom Vergessen des erlittenen Unrechts. (Gehalten am heiligen und großen Donnerstag.) Es war meine Absicht, Geliebte, wieder von dem Patriarchen [Abraham] zu predigen. Aus dieser Quelle wollte ich schöpfen, um euren Seelen ihre Nahrung vorzusetzen. Allein die Erinnerung an den schwarzen Undank des Verräthers drängt mich, über ihn zu reden; der heutige Tag bestimmt mich, über seinen wahnsinnigen Frevel mich zu verbreiten. Denn am heutigen Tage ward unser Herr Jesus Christus den Händen der Juden überliefert von seinem eigenen Jünger. Werdet aber nicht traurig, Geliebte, betrübet euch nicht, wenn ihr hört, daß der Herr verrathen wurde. Nicht über Jesus den Verrathenen, sondern über Judas den Verräther seufzet und weinet! Denn Jesus, der Verrathene, hat die Welt erlös’t, aber Judas, der Verräther, hat seine eigene Seele in’s Verderben gestürzt. Jesus, der Verrathene, thront im Himmel zur Rechten des Vaters, aber Judas, der Verräther, ist jetzt in der Hölle, gepeinigt von ewigen Strafen ohne Aussicht auf Erlösung. Deßhalb seufze und weine; denn es ward auch unser Herr Jesus Christus beim Anblick des Judas tief erregt und bis zu Thränen betrübt. „Da er ihn anblickte,“ heißt es im Evangelium, „ward er betrübt und sprach: Einer aus euch wird mich verrathen.“ Warum ward er betrübt? Weil er daran dachte, daß der Verräther sich trotz aller Belehrungen und Warnungen in einen so tiefen Abgrund stürzte, ohne es zu merken. Bei dem Gedanken an den wahnsinnigen Frevel also, den der Jünger begehen wollte, ward der Herr vor Mitleid mit ihm bis zu Thränen betrübt. Das erwähnen nämlich die Evangelisten bei vielen Gelegenheiten, um die Wahrheit von der Menschwerdung glaubhaft zu machen. Der Herr ward also tief betrübt beim Anblick der maßlosen Undankbarkeit seines Jüngers. Er wollte uns die Lehre geben, daß wir am allermeisten Diejenigen betrauern sollen, die Unrecht thun, und nicht Diejenigen, die Unrecht leiden. Diejenigen, die ungerechter Weise Böses leiden, sind vielmehr selig zu preisen! Denn der Herr sagt: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Siehst du, wie großen Lohn er denen in Aussicht stellt, die Unrecht leiden? Aus einer andern Stelle will ich euch beweisen, daß Diejenigen, die Unrecht thun, unvermeidlich den größten Strafen verfallen, Hört, wie der heilige Paulus sagt: „Ihr aber, Brüder, seid Nachahmer geworden der Kirchen Gottes, welche in Judäa sind, weil auch ihr Dasselbe von den eigenen Stammesgenossen erlitten habt, so wie auch sie von den Juden, welche auch den Herrn Jesus und die eigenen Propheten getödtet haben und uns verhindern, den Heiden zu predigen, damit sie gerettet werden, so daß sie das Maß ihrer Sünden voll machen; es ist aber über sie der Zorn Gottes gekommen bis zu Ende.“ Seht ihr, daß Diejenigen, die Böses thun, am allermeisten zu beklagen und zu betrauern sind?

Deßhalb ward auch der barmherzige Herr bei dem Gedanken an das Verbrechen, das sein Jünger begehen wollte, erschüttert und bis zu Thränen betrübt. Er wollte sein Mitleid mit dem Jünger zeigen und zugleich die Größe seiner Liebe beweisen, indem er selbst bis zum Augenblick des Verrathes nicht abließ, sich um die Bekehrung des Jüngers zu bemühen. Also um des Verräthers willen weine und seufze in der Bitterkeit des Herzens; denn um ihn hat auch der Herr getrauert. „Jesus,“ heißt es, „ward betrübt und sprach: Einer aus euch wird mich verrathen.“ O wie groß ist doch die Barmherzigkeit und Güte des Herrn! Der Verrathene trauert um den Verräther!

Da er ihn bei seiner Bosheit verharren sah, ward er tief betrübt und sprach: Einer aus euch wird mich verrathen. Sieh, wie groß seine Barmherzigkeit, wie groß seine Liebe ist, und wie schonend er den Undankbaren behandelt! Er will ihn nicht bis zur äussersten Schamlosigkeit treiben; er setzt sogar alle seine Jünger in Furcht und Angst, um ihm Gelegenheit zu gehen, von seinem wahnsinnigen Frevel zurückzutreten. Aber wenn einmal die Seele, weil sie den Samen der Frömmigkeit nicht aufnehmen wollte, unempfindlich geworden ist, dann ist sie für keine Mahnung, für keinen guten Rath mehr empfänglich und stürzt in den Abgrund, umdüstert von der Leidenschaft. Deßhalb brachte auch dem Judas diese außerordentliche Langmuth kein Heil. „Einer aus euch wird mich verrathen.“ Weßhalb ward er so erschüttert und betrübt? Um seine Liebe zu zeigen, und zugleich, um uns zu belehren, daß man Diejenigen am allermeisten betrauern muß, welche dem Nächsten Unrecht zufügen; denn Diese ziehen sich selbst den Zorn [Gottes] zu. Es ist allemal billig und recht, nicht Die zu betrauern, welche Unrecht leiden, sondern Die, welche Unrecht thun; denn Unrecht leiden, Das verschafft uns das Himmelreich, aber Unrecht thun, Das stürzt uns in die Strafen der Hölle. Der Herr sagt: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen.“ Siehst du, wie das Unrechtleiden zum Himmelreiche führt? Das ist der Lohn, Das ist der Kampfpreis! Und nun höre, wie auf der andern Seite auch das Unrecht thun Strafe und Züchtigung im Gefolge hat. Nachdem Paulus gesagt hat, daß die Juden den Herrn getödtet und die Propheten verfolgt haben, fügt er hinzu: „Deren Ende gemäß ihren Werken ist.“ Siehst du, wie die Verfolgten das Himmelreich erlangen, die Verfolgenden aber den Zorn Gottes als Antheil erhalten? Nicht ohne Grund lege ich euch diese Wahrheit zur Betrachtung vor; wir sollen daraus lernen, unseren Feinden nicht zu zürnen, sondern sie vielmehr zu bemitleiden, zu beweinen und zu betrauern. Denn sie, die uns ohne Grund anfeinden, sie sind es recht eigentlich, die Böses erleiden. Wenn wir unsere Seele in eine solche Verfassung bringen, daß wir ihnen nicht zürnen, sondern sogar über sie trauern, dann werden wir auch im Stande sein, nach dem Worte des Herrn für sie zu beten und dadurch große Gnade vom Himmel auf uns herabzuziehen. Es ist nun schon der vierte Tag, daß ich zu euch über das Beten für die Feinde rede; ich wünsche euch nämlich durch stete Wiederholung diese Lehren und Mahnungen um so fester einzuprägen, damit sie in euren Herzen Wurzel fassen. Darum werde ich nicht müde, euch mit solchen Mahnungen zu überschütten, damit Diejenigen, die ihrem Nächsten noch zürnen, von dieser Wunde geheilt, von dieser Fiebergluth befreit werden, damit sie an ihr Gebet gehen können, ohne durch den Zorn entstellt und befleckt zu sein. Denn nicht bloß um unserer Feinde willen hat Christus dieses Gebot gegeben, sondern auch zu unserm eigenen Besten, zum Vortheil für uns, die ihnen ihre Beleidigungen verzeihen. Denn wenn du dem Zorne entsagst, dann empfängst du mehr, als du gibst. Wie sollte ich dabei mehr empfangen, sagst du? Merke genau auf! Wenn du deinem Feinde verzeihst, was er dir zugefügt hat, dann wird dir nachgelassen, was du gegen Gott den Herrn gesündigt hast. Nun ist es aber sehr schwer, für Beleidigungen Gottes Verzeihung und Nachlassung zu finden; dagegen kann man für Beleidigungen eines Feindes leicht und auf vielerlei Weise Vergebung und Beruhigung erlangen. Höre, wie Heli zu seinen Söhnen sprach: „Versündigt sich ein Mensch gegen einen Menschen, so wird der Priester für ihn beten; versündigt er sich aber gegen Gott, wer wird dann für ihn beten?“5 Das ist also eine schwere Wunde, die selbst durch Gebet nicht leicht zu heilen ist. Ja, ein solches Vergehen kann durch Gebet gar nicht wieder gut gemacht werden, wohl aber und zwar sofort, wenn man dem Feinde die von ihm erlittenen Beleidigungen verzeiht. Die Beleidigungen Gottes vergleicht der Herr mit zehntausend Talenten, die Beleidigungen von Seiten des Feindes mit hundert Denaren; wenn du diese erlässest, dann werden dir die zehntausend Talente erlassen.

Doch, über das Gebet habe ich nun genug gesagt. Wenn es euch recht ist, kehren wir jetzt wieder zur Betrachtung des Verrathes zurück und wollen dazu etwas weiter ausholen. Laßt uns denn zusehen, auf welche Weise der Herr verrathen ward. Um aber den Frevel des Verräthers, den Undank des Jüngers in seiner ganzen Abscheulichkeit, um zugleich die unaussprechliche Liebe des Herrn recht zu erkennen und zu würdigen, vernehmet, was uns der Evangelist von diesem Verbrechen berichtet. „Damals,“ sagt er, „ging Einer von den Zwölfen, Judas, der Iskariot genannt wird, zu den Hohenpriestern und sprach zu ihnen: Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen?“ Was hier gesagt ist, scheint zwar ganz einfach zu sein und einer verborgenen, geheimnißvollen Bedeutung zu ermangeln; allein wenn man jedes Einzelne sorgfältig erwägt, findet man darin viel zu betrachten und sehr tiefe Gedanken. Für’s Erste ist die Angabe der Zeit zu beachten. Denn der Evangelist macht diese Angabe nicht ohne Nachdruck und sagt nicht einfach: „Er ging hin,“ sondern fügt hinzu: „Damals“ ging er hin. Wann ging er hin? Und weßhalb wird die Zeit in dieser Weise angegeben? Nicht ohne Grund gibt uns der Evangelist, der im heiligen Geiste redet, Auskunft über die Zeit. Denn wer im heiligen Geiste redet, sagt Nichts umsonst. Nichts leichthin. Was bedeutet also das Wort: damals? Gerade vor dieser Zeit, vor dieser Stunde war ein Weib gekommen, welches ein Alabastergesäß mit Salböl mitgebracht und das Öl über das Haupt des Herrn ausgegossen hatte. Das Weib legte einen großen Glauben an den Tag, zeigte sich sehr dienstwillig, sehr gehorsam und ehrfurchtsvoll gegen den Herrn. Sie bekehrte sich von ihrem frühern Sündenleben und wandte sich zur Besserung und Enthaltsamkeit. Und zur selben Zeit, wo die Buhlerin in sich ging und sich dem Herrn unterwarf, da hat der Jünger seinen Meister verrathen. „Damals“ sagt der Evangelist; wann also? Als die Buhlerin zum Herrn gekommen war, das Gefäß mit dem kostbaren Öl über seine Füße ausgegossen und die Füße mit ihren Haaren abgetrocknet, als sie ein solches Verlangen, ihm zu dienen, an den Tag gelegt und die Sünden des ganzen Lebens durch ihr Bekenntniß getilgt hatte. Zur selben Zeit also, wo sie unter den Augen des Verräthers so eifrig dem Dienste des Herrn oblag, da eilte er zu dem schändlichen Verrath. Aus der Tiefe des Lasters stieg sie zum Himmel empor; er stürzte herab in die Tiefe der Hölle, und zwar nachdem er unzählige Wunder und Zeichen gesehen, nachdem er in einer solchen Schule unterwiesen und von der unbeschreiblichen Milde und Herablassung des Herrn Zeuge gewesen war. So groß ist das Unheil, das aus der Gleichgiltigkeit oder Bosheit des Willens entsteht. Daher mahnt der heilige Paulus: „Wer meint zu stehen, sehe zu, daß er nicht falle!“ und darum rief der Prophet in alter Zeit aus: „Steht der Gefallene nicht wieder auf? Und der sich abwendet, kehrt er nicht wieder zurück?“ Deßhalb soll Derjenige, der da steht, sich nicht sicher wähnen, sondern unermüdlich kämpfen, und deßhalb soll der Gefallene nicht muthlos werden. Denn so groß ist die Macht des Meisters, daß er Buhlerinen und Zöllner an sich zieht, so daß sie sich ihm unterwerfen. Wie? sagt man dagegen, er, der Buhlerinen zur Bekehrung brachte, konnte er den Jünger nicht an sich ziehen? Ja, er konnte es; allein er wollte ihn nicht zum Guten zwingen, nicht mit Gewalt an sich ziehen. Darum sagt der Evangelist bei der Erzählung von dem undankbaren Jünger: Damals ging er hin u. s. w. Das soll heissen: Nicht von einem Andern gerufen, genöthigt oder angetrieben, sondern ganz aus eigenem Antriebe ist er dazu gekommen. Es wird uns also zu verstehen gegeben, daß der Verräther ganz von selbst, nur in Folge seines eigenen, unabhängigen Entschlusses zu diesem schändlichen Verbrechen eilte; daß er ganz ohne Grund und nur von der Bosheit, die seinem eigenen Innern entsprang, sich zum Verrathe drängen ließ. „Damals ging Einer von den Zwölfen hin.“ Auch diese Worte: „Einer von den Zwölfen“ enthalten eine schwere Anklage. Weil es nämlich ausser diesen noch siebenzig andere Jünger gab, deßhalb sagt der Evangelist: Einer von den Zwölfen. Das heißt also: Einer von den Auserlesenen, welche täglich mit dem Herrn umgehen und ganz vertraut mit ihm verkehren durften. Damit du also wissest, daß er Einer von den hervorragenden Jüngern war, deßhalb wird gesagt: Einer von den Zwölfen. Obgleich man dem ersten Anschein nach diesen Umstand zu Schmähungen gegen den Herrn ausbeuten könnte, wird er vom Evangelisten nicht mit Stillschweigen übergangen, und zwar, damit du dich hier von der liebevollen Fürsorge des Herrn für uns Menschen recht überzeugest: hat er doch den Verräther, den Dieb so großer Gnaden gewürdigt und bis zum letzten Abend fortgefahren, ihn zu ermahnen!

Siehst du nun, wie die Buhlerin zum Heile gelangte, indem sie von ihren Sünden gereinigt ward? und wie der Jünger stürzte, weil er nachläßig und gleichgiltig war? Auf die Buhlerin schaue — und verzweifle nicht an dir selbst; denke an das Verbrechen des Jüngers — und wähne dich nicht sicher! Beides bringt Verderben; denn unsere Gesinnung ist leicht zum Wanken gebracht, unser Wille leicht gewendet. Deßhalb müssen wir uns nach jeder Seite hin vorsehen. „Damals ging Einer von den Zwölfen hin, Judas Iskariot.“ Welch’ eine herrliche Gesellschaft, die er verließ. Welch’ eine Schule, deren er sich beraubte! Welch’ eine unheilvolle Sache ist es doch um die Gleichgültigkeit und Nachläßigkeit! Judas Iskariot heißt es, weil es noch einen andern Apostel desselben Namens gab, genannt Judas Jakobi. Beachte hier die Weisheit des Evangelisten! Er bezeichnet den einen nicht nach seinem Verbrechen, sondern nach seiner Heimath [Kariot], den andern aber nicht nach seiner Heimath, sondern nach dem Namen seines Vaters. Es war ja folgerichtig, zu sagen: Judas der Verräther. Aber um uns zu belehren, daß wir die Zunge nicht durch Herabsetzung des Nächsten beflecken sollen, hütet er sich, diesen Judas den Verräther zu nennen. Laßt uns denn hieraus lernen, unserer Feinde niemals in beleidigender Weise zu gedenken. Denn wenn dieser heilige Mann sich nicht entschließen mochte, den Verräther bei der Erzählung seines schändlichen Verbrechens mit einem schimpflichen Namen zu benennen, wenn er ihn vielmehr nach seiner Heimath bezeichnet, ohne dieses Vergehens zu gedenken: wie sollten wir dann Verzeihung verdienen, wenn wir dem Nächsten Übles nachreden? Und manchmal sind es nicht bloß unsere Feinde, die wir unter Schmähungen nennen, sondern auch Solche, die uns gewogen scheinen. Thut es doch nicht, ich bitte euch. So mahnt auch der heilige Paulus: „Kein böses Wort gehe aus eurem Munde!“ Von dieser Leidenschaft hielt sich also der heilige Matthäus vollkommen frei, da er schrieb: „Damals ging Einer von den Zwölfen, genannt Judas Iskariot, zu den Hohenpriestern und sprach: Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen?“ O schändliche Rede! o wahnsinniger Frevel! Ich zittere, meine Theuren, wenn ich daran denke. Wie war es doch möglich, daß diese Worte aus seinem Munde gingen? daß er zu dieser Rede seine Zunge bewegen konnte? daß nicht sofort das Leben aus seinem Leibe floh? daß seine Lippen nicht verdorrten und die Besinnung ihn nicht verließ?

„Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen?“ Sage mir doch, Judas, hast du Das von deinem Meister in dieser langen Zeit gelernt? So hast du also seine stets wiederholten Mahnungen vergessen? Warum hat er denn gesagt: „Ihr sollt kein Gold noch Silber besitzen“? Nicht gerade deßhalb, um dich gleich Anfangs und bei Zeiten von deiner übermäßigen Liebe zum Gelde zu heilen? Er hat die Mahnung gegeben: „Wenn Jemand dich auf die rechte Wange schlägt, so reiche ihm auch die linke dar!“ Und warum verräthst du nun deinen Meister? Weil er dir Gewalt über die Teufel verliehen hat? Weil er dir Macht gegeben, Kranke zu heilen, Aussätzige zu reinigen und viele andere ähnliche Wunder zu wirken? So vergiltst du ihm diese Wohlthaten? O dieser Wahnsinn — sage ich lieber: o diese Habsucht! Denn all dieses Unheil hat die Habsucht angerichtet. Die Habsucht ist die Wurzel alles Bösen. Sie verfinstert unsere Seele und macht uns sogar taub für die Stimme der Natur. Sie raubt uns so zu sagen den Verstand und macht uns Alles vergessen, selbst die Bande des Blutes und der Freundschaft. Sie blendet das Auge des Geistes ganz und gar und bewirkt, daß wir im Finstern wandeln. Damit du Das recht inne werdest, betrachte, wie große Gnaden und Auszeichnungen Judas damals verloren hat. Als die Habsucht bei ihm Eingang gefunden hatte, da waren die vertrauten Unterredungen mit dem Herrn, sein Umgang, seine Gemeinschaft, seine wunderbaren Lehren vergessen. Wohl sagt Paulus mit Recht, daß die Wurzel alles Bösen die Habsucht ist. „Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen?“ O Judas! Denjenigen verräthst du, der mit einem Wort das Weltall zusammenhält? Du verkaufst den Unendlichen, den Schöpfer Himmels und der Erde, den Erschaffer unserer Natur, der mit seinem Wort und Wink Alles aufrecht hält?

Daß er verrathen wurde, Das war sein freier Wille. Und nun vernehmet, wodurch er Das an den Tag legte. In der Stunde des Verrathes, als die Schaar herangekommen waren, mit Schwertern und Knütteln, Fackeln und Laternen in den Händen, da sprach er zu ihnen: „Wen suchet ihr?“ Und sie kannten ihn nicht, den sie greifen sollten. So wenig hatte Judas es in der Gewalt, ihn zu verrathen, daß er den Herrn, den er verrathen wollte und ganz in seiner Nähe hatte, nicht einmal sehen konnte, trotz der Fackeln, trotz der hellen Beleuchtung. Das will der Evangelist andeuten, wenn er sagt, daß sie Fackeln und Laternen hatten und ihn trotzdem nicht fanden; denn er setzt hinzu: „Es war aber auch Judas unter ihnen, Jener, der gesagt hatte: Ich will ihn euch verrathen.“ Der Herr hatte ihre Sinne gebunden, um seine Macht zu beweisen, und um ihnen zu zeigen, daß sie sich an etwas Unmögliches gewagt hatten. Als sie nun seine Stimme gehört hatten, da wichen sie zurück und stürzten zu Boden. Siehst du? Seine Stimme können sie nicht ertragen, und durch ihren Sturz beweisen sie klar, wie schwach sie sind. Betrachte die Liebe und Güte des Herrn! Weil er auch dadurch auf den schamlosen Verräther und die undankbaren Juden keinen Eindruck machen konnte, liefert er sich ihnen aus, als ob er sagen wollte: Indem ich ihnen zeigte, daß sie etwas Unmögliches unternommen hatten, wollte ich sie von ihrem wahnsinnigen Frevel heilen. Sie aber wollen nicht, sie verharren in ihrer Bosheit. Siehe, nun überliefere ich mich selbst.

Das erkläre ich euch, damit Niemand gegen den Heiland die Klage erhebe: Warum hat er den Judas nicht bekehrt? Warum hat er ihn nicht gebessert? Darauf gebe ich zur Antwort: Wie mußte er den Judas denn von seiner Leidenschaft und Verstocktheit befreien? Durch Zwang? Aber dann wäre Judas nicht wirklich gebessert worden; denn durch Zwang wird kein Mensch wahrhaft besser. Oder sollte Judas dabei seinen freien Willen, seine freie Entscheidung behalten? Dann hat der Herr in der That Alles gethan, was ihn auf bessern Weg bringen konnte. Wenn aber ein Kranker die Arzneien zurückweist, dann kann doch den Arzt kein Vorwurf treffen! Dann kann nur Derjenige verantwortlich gemacht werden, der die ärztliche Hilfe verschmäht. Willst du hören, wie viel der Herr gethan hat, um den Verräther wieder zu gewinnen? Er hat ihm die Macht verliehen, viele Wunder zu wirken, er hat ihm den Verrath vorausgesagt, er hat ihm Nichts vorenthalten, was einem Jünger zu gewähren war. Der Verräther hatte es in der Hand, sich zu bekehren; allein er wollte es nicht; seine Gleichgiltigkeit und Nachläßigkeit war an Allem schuld. Davon muß uns sein Verhalten nach dem Verrath überzeugen: als er nämlich das Verbrechen vollständig begangen hatte, da warf er die dreissig Silberlinge hinweg mit den Worten: „Ich habe gesündigt, indem ich unschuldiges Blut verrieth!“ Vordem hast du doch gesagt: Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch verrathen? Als das Verbrechen geschehen war, da kam er zur Erkenntniß seiner Bosheit. Daraus sollen wir lernen, daß Mahnungen und Warnungen uns Nichts helfen, wenn wir läßig und gleichgiltig sind; daß wir uns aber selbst und aus uns selbst wieder aufrichten können, wofern wir uns rechte Mühe geben. Denn als der Herr — merket wohl, was ich sage — den Judas warnte und von seinem nichtswürdigen Vorhaben abzubringen suchte, da wollte er nicht hören und nahm die Ermahnungen nicht an; später aber, zu einer Zeit, wo kein Mensch ihm Vorhaltungen machte, da erhob sich sein eigenes Gewissen gegen ihn, und er brauchte keine Belehrungen, um seine Gesinnung zu ändern und die dreissig Silberlinge hinwegzuwerfen. „Sie wogen ihm,“ heißt es, „dreissig Silberlinge dar.“ Einen Preis erlegten sie für das Blut, dessen Werth unendlich ist. Judas! Warum nimmst du doch die dreissig Silberlinge an? Umsonst und ohne Entgelt wollte Christus für die ganze Welt das Blut vergießen, das du verhandelt hast! Dazu war er auf die Erde gekommen. Kann es eine größere Schamlosigkeit geben, als in diesem Handel liegt? Ach, wer hat je dergleichen gesehen oder gehört?

Laßt uns aber nunmehr den Abstand zwischen dem Verräther und den übrigen Jüngern betrachten! Alles erzählt uns der Evangelist ganz genau. Während Dieß geschah, als der Verrath schon eingeleitet war, während Judas sich selbst in das Verderben stürzte, jenen nichtswürdigen Vertrag abschloß und eine Gelegenheit suchte, um ihn zu verrathen, da — berichtet der Evangelist —traten zu ihm die Jünger und sprachen: „Wo willst du, daß wir dir das Ostermahl bereiten?“ Betrachte die Jünger! Betrachte den Verräther! Er ist geschäftig, um den Verrath in’s Werk zu setzen; sie, um ihm zu dienen. Er schließt den Handel ab und schickt sich an, den Preis für das Blut des Herrn zu empfangen; sie rüsten sich zu seinem Dienste. Sie hatten die nämlichen Wunder gesehen, dieselbe Lehre gehört — woher nun der Unterschied? Er entstand durch ihren eigenen, freien Willen. Da ist die Quelle des Guten und des Bösen zu suchen. — Es war an dem heutigen Abend, daß die Jünger jene Worte sprachen. Welche Worte nämlich? „Wo willst du, daß wir dir das Ostermahl bereiten?“ Wir ersehen daraus, daß Christus für sich kein bestimmtes Haus besaß. Sie sollen es hören, die da prächtige Häuser und stattliche Säulengänge bauen! Der Menschensohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.

Daher sagten die Jünger zu ihm: „Wo willst du, daß wir dir das Ostermahl bereiten?“ Welches Ostermahl? Das jüdische, das in Ägypten war eingeführt worden. Da hatten sie es nämlich zuerst gefeiert. Warum aber hat auch Christus es gehalten? Er hat alle andern jüdischen Gesetze, und so hat er auch dieses erfüllt. Deßhalb sprach er zu Johannes: „Denn so ziemt es sich für uns, daß wir alle Gerechtigkeit erfüllen.“ Die Jünger wollten also nicht das christliche, nicht unser Ostermahl, sondern das jüdische bereiten. Dieses haben sie, das unsere hat der Herr selbst bereitet, ja er ist sogar selbst unser Osterlamm geworden durch sein theueres Leiden. Weßhalb ging er nun hin, um zu leiden? Um uns von dem Fluche des Gesetzes zu erlösen. Darum ruft der heilige Paulus aus: „Gesendet hat Gott seinen Sohn, geworden aus dem Weibe, geworden unter dem Gesetze, damit er die, welche unter dem Gesetze standen, loskaufte.“ Es sollte aber Niemand sagen, er habe deßhalb das Gesetz aufgehoben, weil er es selbst nicht erfüllen konnte, da es eine drückende Last und schwer zu beobachten war. Darum hat er es zuerst in allen Punkten befolgt und dann erst aufgehoben. Darum hielt er auch das Ostermahl; denn die Feier des Osterfestes war im Gesetze vorgeschrieben. Höret, wie es sich damit verhält. Die Juden waren undankbar gegen ihren Wohlthäter und vergaßen ihren Wohlthäter sehr bald. Um es genauer zu sagen: sie zogen aus Ägypten, gingen durch das rothe Meer, sahen das Meer sich spalten und wieder zusammenströmen —und nach kurzer Zeit sprachen sie zu Aaron: „Mache uns Götter, die vor uns hergehen!“ Was sagst du, undankbarer Jude? Solche Wunder hast du gesehen und hast Gott schon vergessen, der dich ernährt, und du gedenkst deines Wohlthäters nicht mehr? Weil sie also seine Wohlthaten vergaßen, darum hat Gott der Herr das Gedächtniß seiner Wohlthaten mit den Gegenständen ihrer Festesfreude verknüpft, damit sie — gern oder ungern — diese Erinnerung bewahrten. So sollte es sein. Denn es heißt: Wenn dich dein Sohn fragt: Was bedeutet Das? dann sollst du ihm sagen, daß mit dem Blute dieses Lammes einst eure Väter die Thürpfosten bestrichen und so dem Tode entgangen sind, den der Würgengel über alle Ägyptier brachte, daß dieses Blut ihm verwehrte, einzutreten und sie mit der Plage heimzusuchen. Diese Lämmer wurden ohne ihre Wahl, Christus wird mit seinem freien Willen hingeopfert. Warum mußten sie geopfert werden? Weil sie ein Vorbild des geistigen Opfers waren [das Christus dargebracht hat]. Das wird euch klar werden, wenn ihr betrachtet, in welcher Weise diese beiden Opfer mit einander verwandt sind. Ein Lamm ward geopfert, auch Christus ist ein Lamm. Aber jenes Lamm war ein vernunftloses Thier, Christus ist das göttliche Wort und die Quelle der Vernunft. Hier ein Lamm und dort ein Lamm, sie verhalten sich aber zu einander wie Schatten und Wirklichkeit. Erschienen ist die Sonne der Gerechtigkeit, und mit dem Schatten ist es zu Ende. Denn wenn die Sonne da ist, muß der Schatten verschwinden. Damit wir durch das Blut des Lammes geheiliget werden, deßhalb liegt das Lamm auf dem geheimnißvollen Opfertisch. Die Sonne ist aufgegangen, darum soll das Licht der Lampe nicht mehr leuchten. Was nämlich damals geschehen ist, war ein Vorbild des Zukünftigen.

Das gilt den Juden, damit sie sich nämlich nicht selbst täuschen und vermeinen, wirklich das Ostermahl zu feiern! Noch immerdar unbeschnittenen Herzens und taub für das Wort Gottes sind sie schamlos genug, auch jetzt noch die ungesäuerten Brode herzunehmen und mit ihrem Feste groß zu thun. Aber sagt mir doch, ihr Juden, wie könnt ihr denn Ostern feiern? Der Tempel ist dahin, der Altar zerstört, das Allerheiligste entweiht, jedes Opfer abgestellt. Weßhalb unterfangt ihr euch also, dem Gesetze zuwider zu handeln? Vor Zeiten habt ihr einmal nach Babylon ziehen müssen; da hörtet ihr Diejenigen, die euch gefangen fortgeschleppt zu euch sagen: Singt uns ein Lied des Herrn! Und ihr habt euch geweigert. Mit welchem Rechte feiert ihr nun, fern von Jerusalem, das Osterfest? Damals habt ihr zur Antwort gegeben: „Wie sollten wir das Lied des Herrn singen im fremden Lande?“ Das hat uns David bezeugt. „An dem Flusse Babylons“, sagt er, „dort saßen wir und weinten. An den Weiden, die in ihm [d. h. in Babylon] waren, hingen wir unsere Saiteninstrumente auf“ — die Harfe, die Cither und die Leier sind gemeint; denn diese gebrauchte man in alten Zeiten zur Begleitung der Psalmen; — „dort“, heißt es, „fragten uns die, so uns gefangen fortgeführt, nach Sangesworten; und wir sprachen: Wie sollten wir das Lied des Herrn im fremden Lande singen?“ Was sagt ihr doch? Das Lied des Herrn im fremden Lande singen, Das wollt ihr nicht; und ihr feiert sogar das Ostermahl im fremden Lande? Siehst du wohl, wie stumpfsinnig und gefühllos die Juden sind? Einst wollten sie, obgleich von Feinden genöthigt, nicht einmal ein Lied singen im fremden Lande; jetzt werden sie von Niemand genöthigt, und ganz aus eigener Wahl und Willkür — führen sie Krieg gegen den Herrn. Diese ihre Gesinnung war es auch, weßhalb einst der heilige Stephanus zu ihnen sprach: „Ihr widerstehet allezeit dem heiligen Geiste.“ Siehst du, wie unrein das Ungesäuerte ist? wie ungesetzlich das Fest der Juden? Einst hat es ein jüdisches Ostern gegeben, allein es hat aufgehört.

„Damals,“ heißt es, „während sie aßen und tranken, nahm Jesus Brod in seine heiligen und unbefleckten Hände, dankte, brach es und sprach zu seinen Jüngern: „Nehmet, esset! Das ist mein Leib, der für euch und für Viele gebrochen wird zur Vergebung der Sünden.“ Und wiederum nahm er den Kelch, gab ihnen und sprach: Das ist mein Blut, das für euch ausgegossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Und auch Judas war zugegen, während der Herr diese Worte sprach. Das ist das Blut, Judas, das du um dreissig Silberlinge verkauft hast. Das ist das Blut, Judas, das du soeben an die undankbaren Pharisäer zu verschachern dich nicht geschämt hast. O große Liebe und Güte des Herrn! O schwarzer Undank des Judas! Sein Blut gibt der Herr zum Tranke, und der Knecht hat es verkauft. Verkauft hat er das Blut und dreissig Silberlinge dafür genommen, — und Christus hat sein eigenes Blut vergossen, um uns zu erlösen, und hat es auch Demjenigen, der es verkaufte, gegeben, wenn Dieser es annehmen wollte. Denn auch Judas war vor dem Verrathe dort zugegen, auch er hat an dem heiligen Gastmahl Theil genommen und die geheimnißvolle Speise genossen. Ebenso wie der Herr allen Jüngern die Füße gewaschen hat, so war auch von dem heiligen Mahle Judas nicht ausgeschlossen. Er sollte keine Entschuldigung haben, sondern sich selbst das Gericht und die Verurtheilung wählen. Und er verharrte in seiner Bosheit, indem er von dannen ging und für den Kuß der Liebe den Verrath vollbrachte, aller Wohlthaten vergessend. Nach dem Verrathe aber warf er die dreissig Silberlinge hinweg und sprach: „Ich habe gesündigt, indem ich unschuldiges Blut verrieth!“ O welche Verblendung! An dem Abendmahle hast du Theil genommen, und den Wohlthäter hast du verrathen! Und der Herr erfüllte, was geschrieben steht — er wollte es so; aber wehe dem Menschen, durch den das Ärgerniß gekommen ist!

Doch es ist nun Zeit, daß wir zu diesem Gastmahl hinzutreten, einem Gastmahl, das uns mit Furcht und Zittern erfüllen muß. Laßt uns denn alle hinzutreten mit reinem Gewissen! Möge kein Judas hier sein, der gegen seinen Nächsten auf Ränke sinnt, kein Boshafter, Keiner, der in seinem Herzen heimliches Gift birgt! Auch jetzt ist wieder Christus gegenwärtig und bereitet das Mahl. Denn nicht durch irgend eines Menschen Macht wird Das, was vor uns auf dem Altare liegt, der Leib und das Blut Christi. Der Priester, wenn er dort steht und sein Flehen opfert, ist nur Darsteller und Vertreter [des Heilandes]; die Gnade und die Macht aber, die Alles wirkt, ist des Herrn. „Das ist mein Leib,“ spricht er. Durch dieses Wort wird Das, was vor uns liegt, verwandelt. Sowie jenes Wort: „Wachset und mehret euch, und füllet die Erde.“ zunächst nur ein Wort war, aber zur That wurde, indem es die menschliche Natur zur Erzeugung von Kindern befähigte, so wird jenes Wort Christi immerdar die Gnade vermehren in Denjenigen, die würdig an dem heiligen Mahle Theil nehmen. Möge denn kein Heuchler unter uns sein, kein Boshafter, kein Dieb, kein Schmähsüchtiger, Keiner, der seinen Bruder haßt, kein Geiziger, kein Trunkenhold, kein Habsüchtiger, kein Knabenschänder, kein Mißgünstiger, kein Knecht der Unzucht, kein Betrüger, Keiner, der auf Nachstellungen sinnt, damit sich Niemand hier das Gericht und die Verdammung hole. Auch Judas hat damals an dem geheimnißvollen Mahle Theil genommen, aber unwürdig, und dann ist er hinausgegangen und hat den Herrn verrathen. Daraus sollt ihr lernen, daß Diejenigen, die unwürdig an den Geheimnissen Theil nehmen, am allermeisten und fortwährend vom Teufel angefochten werden und sich selbst in schwerere Strafen hineinstürzen. Das sage ich nicht, um euch lediglich zu schrecken, sondern um euch auch vorsichtiger zu machen. Sowie nämlich die leibliche Nahrung, wenn sie in einen Magen voll böser Säfte ausgenommen wird, die Krankheit verschlimmert, so muß auch diese Seelenspeise, wenn sie unwürdig genossen wird, das Verdammungsurtheil noch verschärfen. Daß also Niemand — ich bitte euch — in seinem Innern boshafte Gedanken hege! Laßt uns vielmehr unsere Herzen reinigen! Denn wenn wir rein sind, dann sind wir Tempel Gottes. Laßt uns heiligen unsere Seelen; denn Das können wir an einem einzigen Tage zu Stande bringen! Wie und auf welche Weise? Wenn du Etwas gegen deinen Feind hast, dann entsage deinem Groll, mache der Feindschaft ein Ende, damit du an dem heiligen Tische Heilung und Vergebung findest. Zu einem heiligen, wahrhaft furchtbaren Opfer trittst du hinzu. Als Opferlamm geschlachtet liegt vor uns Christus selbst. Aber bedenke wohl, zu welchem Ende er sich hinschlachten ließ. O was sind Das für erhabene Geheimnisse, denen du, o Judas, dich entzogen hast! Christus hat freiwillig gelitten, um die Scheidewand niederzureissen und die Erde mit dem Himmel zu verbinden, um dich, seinen Feind und Widersacher, zum Genossen der Engel zu machen. So hat Christus für dich sein Leben hingeopfert, und du verharrest im Hasse gegen deinen Mitknecht? Wie kannst du dich dann diesem Tische des Friedens nahen? Der Herr hat sich nicht geweigert, um deinetwillen Alles zu leiden, und du willst nicht einmal dem Zorn entsagen? Aber warum, sage an! Die Liebe ist Wurzel und Quelle und Mutter alles Guten. Er hat mich aufs Ärgste beleidigt, sagst du, hat mir tausendmal ungerechten Schaden zugefügt und selbst meinem Leben nachgestellt. Aber was soll Das? Gekreuzigt hat er dich noch nicht, wie die Juden den Herrn. Wenn du deinem Nächsten sein Unrecht nicht verzeihst, wird auch dein himmlischer Vater dir deine Sünden nicht verzeihen. Wie kannst du mit gutem Gewissen beten: Vater unser, der du bist in den Himmeln, geheiliget werde dein Name u. s. w.? So hat denn Christus sein Blut, das sie vergossen, für das Heil seiner Mörder hingeopfert; kannst du mir vielleicht ein Gleiches aufweisen, das von dir verlangt würde? Wenn du deinem Feinde nicht verzeihest, dann fügst du nicht ihm, sondern dir selbst Unrecht und Schaden zu. Denn dem Feinde schadest du in der Regel nur für dieses gegenwärtige Leben, dir selbst aber raubst du die Aussicht auf Erlaß der Strafen für das künftige Leben. Oder weißt du nicht, daß Gott der Herr Nichts so sehr hasset und verabscheut als einen unversöhnlichen Menschen, ein Herz, das von Haß geschwollen, und eine Seele, die von Groll entzündet ist? Höre das Wort des Herrn: „Wenn du deine Gabe zum Altare bringst und dich dort erinnerst, daß dein Bruder Etwas wider dich habe, dann laß dort deine Gabe vor dem Altare stehen, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komme und opfere deine Gabe!“ Was sagst du, o Herr? Ich soll dort die Gabe, nämlich das Opfer stehen lassen? Ganz gewiß, spricht er; denn der Friede mit deinem Bruder, das ist eben das Ziel des Opfers. Wird nun um des Friedens mit dem Nächsten willen das Opfer dargebracht, und du suchst den Frieden nicht aufrecht zu halten, dann magst du immerhin am Opfer Theil nehmen, es wird dir nicht helfen, weil du nicht für den Frieden thätig bist. Darauf also sei zuerst deine Thätigkeit gerichtet, auf den Frieden meine ich nämlich, der das Ziel dieses Opfers ist, und dann wirst du es auch in der rechten Weise genießen. Deßhalb ist ja der Sohn Gottes in die Welt gekommen, um unser Geschlecht mit seinem Vater zu versöhnen. So sagt irgendwo der Apostel Paulus: „Jetzt aber hat er Alles mit sich versöhnt, indem er durch das Kreuz die Feindschaft ertödtete in sich selbst.“ Darum hat er auch uns, wie er selbst gekommen ist, um Frieden zu stiften, für ein solches Werk selig gepriesen und mit demselben Namen benannt, den er selber trägt; denn er sagt: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Was also Christus, der Sohn Gottes, gethan hat, Das thue auch du nach Maßgabe deiner menschlichen Kräfte, und werde ein Bringer des Friedens für dich selbst und für deinen Nächsten. Deßhalb nennt der Herr den Friedfertigen einen Sohn Gottes, deßhalb bringt er für die Zeit des Opfers keine andere Pflicht als die Versöhnung mit dem Bruder in Erinnerung. Damit hat er gezeigt, daß die Liebe die größte aller Tugenden ist. — Es war nun zwar meine Absicht, Geliebte, mich noch viel ausführlicher darüber zu verbreiten; allein für Diejenigen, welche mit Aufmerksamkeit und Verständniß diesen Samen der Frömmigkeit aufnehmen und meinen Worten williges Gehör schenken wollten, ist es an dem Gesagten genug. Laßt uns denn, ich bitte euch, immerdar dieser Ermahnungen gedenken! Laßt uns auch gedenken unserer gegenseitigen Umarmung; sie fordert heiligen Ernst und große Ehrfurcht. Denn sie schlingt ein Band um unsere Seelen; sie macht uns alle zu einem Leibe und zu Gliedern Christi, da wir ja auch alle an einem Leibe [dem Leibe des Herrn] Theil nehmen. Laßt uns denn in Wahrheit ein Leib werden, nicht durch fleischliche Vermischung, sondern durch Vereinigung der Seelen mittelst des Bandes heiliger Liebe. Dann können wir mit Zuversicht an diesem Mahle Theil nehmen, das uns hier vorgesetzt wird, und können in den Besitz jenes Friedens gelangen, den der Heiland uns für das Ende als Lohn des Kampfes zuerkennt. Denn hätten wir auch unzählige gute Werke aufzuweisen, wären dabei aber unversöhnlichen Herzens, dann hätten wir Alles umsonst gethan, und Nichts könnte uns Frucht bringen für das ewige Leben. Der Friede — das war ja das Erbtheil, das der Herr vor seiner Rückkehr zum Vater, statt zeitlicher Ehren und Reichthümer, seinen Jüngern hinterließ, da er sprach: „Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse ich euch.“ Wie sollte auch irdischer Reichthum und der größte Überfluß an irdischen Gütern kostbarer sein als der Friede Christi, der jeden Begriff und jedes Verständniß übersteigt? — In der That, diese Sünde [Haß und Unversöhnlichkeit] ist überaus groß und schwer. Das hat auch schon der Prophet Malachias gewußt, als er, Gottes Stelle vertretend, folgende Worte sprach: „Mein Volk! Redet Wahrheit mit einander! Keiner möge seinem Nächsten im Herzen Beleidigungen nachtragen! Auch lügenhaftes Schwören liebet nicht! Dann werdet ihr gewißlich nicht sterben, Haus Israel! So spricht der Herr.“ Wenn ihr Lügner sein werdet, sagt er also, unversöhnlichen Herzens, meineidig und nicht eingedenk meiner Gebote, dann werdet ihr des Todes sterben. Da wir nun Das alles wissen, meine Theueren, laßt uns dem Zorn gänzlich entsagen und mit einander in Frieden leben! Laßt uns ausreissen die Wurzel der Bosheit und unsere Seelen reinigen; und dann seien wir sanftmüthig und nachgiebig und voll tiefer Ehrfurcht, indem wir zur Theilnahme an diesen Geheimnissen hinzutreten. Es sind Geheimnisse, die Furcht und Zittern erheischen. Hüten wir uns denn, zu drängen und zu stoßen, zu lärmen und zu schreien; laßt uns vielmehr mit Furcht und Zittern, unter Thränen der Zerknirschung hinzutreten, damit der barmherzige Gott, vom Himmel herab unsere friedfertige Gesinnung, unsere ungeheuchelte Liebe, unsere brüderliche Eintracht gnädig ansehend, uns allen sowohl diese als die verheissenen Güter verleihen wolle, durch die Liebe und Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre, Herrschaft, Herrlichkeit, jetzt und immer und in Ewigkeit! Amen.

Von der Auferstehung der Todten

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Aus den einleitenden Worten dieser Predigt wird geschlossen, daß sie bald nach den Reden gegen die Anomöer gehalten worden ist. Demgemäß wäre sie in den Anfang des Jahres 387 zu setzen. Eine Osterpredigt ist es kaum; denn das Osterfest wird gar nicht und die Auferstehung des Herrn nur beiläufig erwähnt; doch glaubten wir, sie füglich an dieser Stelle einreihen zu sollen.

Zweck der Rede ist hauptsächlich, die Zuhörer durch Hinweis auf den ewigen Lohn zur eifrigen Übung der Tugend zu begeistern. Dabei werden die Wahrheiten von der Auferstehung, von der Unsterblichkeit der Seele und von der ewigen Vergeltung als ein untrennbares Ganzes behandelt — ganz nach der Darstellung der heiligen Schrift.

Durch meisterhafte Exegese, Reichthum an originellen und furchtbaren Gedanken, auch durch sehr sorgfältige Ausarbeitung im einzelnen zeichnet sich diese Rede ganz vorzüglich aus.

Inhalt.

Die christliche Lehre von der Auferstehung (bezw. von der Unsterblichkeit und ewigen Vergeltung) ist von der höchsten Wichtigkeit. Wie diese Lehre alle Anklagen gegen die göttliche Vorsehung entkräftet. Diese Lehre wird vom heiligen Paulus sehr oft und nachdrücklich ausgesprochen. Besondere Veranlassung dazu boten ihm die großen Schwierigkeiten, mit denen damals die Christen zu kämpfen hatten. Eingehende Erklärung von II. Kor. 4, 16—18 und 5, 1—5.

Text

 

Von der Auferstehung der Todten. Früher habe ich von Glaubenslehren und von der Herrlichkeit des eingebornen Gottessohnes zu euch geredet, um nämlich Denjenigen den Mund zu schließen, die ihn seiner Ehre berauben und dem Vater entfremden wollen. Heute dagegen soll sich meine Rede mehr auf dem Gebiet der Sittenlehre halten und sollen alle meine Ermahnungen sich auf einen christlichen Lebenswandel beziehen. Doch gehört, im Grunde genommen, der Gegenstand meiner Rede nicht bloß der Sittenlehre, sondern auch der Glaubenslehre an; ich bin nämlich gewillt, die Lehre von der Auferstehung zu erörtern.

Diese Lehre hat verschiedene Seiten: sie bildet eine Richtschnur für unsern Glauben, sie regelt zugleich unser sittliches Verhalten, und sie entkräftet alle Anklagen gegen die göttliche Vorsehung.

Die ungläubige Verwerfung dieser Lehre würde unser Leben zu Grunde richten, anfüllen mit unzähligen Übeln und alle Ordnung umkehren; ihre gläubige Annahme dagegen gibt uns Klarheit über die göttliche Vorsehung, spornt uns an zum eifrigen Streben nach Tugend wie zur sorgfältigen Meidung der Sünde und erfüllt Alles mit Ruhe und Frieden. Denn wer nicht glaubt, daß er auferstehen wird und über Alles, was er auf Erden gethan hat, Rechenschaft ablegen muß; wer da meint, daß unser Dasein über das gegenwärtige Leben nicht hinausreicht und jenseits des Grabes Nichts mehr ist, der wird sich weder der Tugend befleissen noch vor dem Laster in Acht nehmen. Wie sollte er es auch, da er für seine Mühen keinen Lohn und für seine bösen Werke keine Strafe erwartet? Er wird sich deßhalb den sündhaften Begierden vollständig hingeben und so im Laster jeder Art versinken. Wer sich dagegen überzeugt hält, daß er einst zur Verantwortung gezogen wird; wer jenes furchtbare Gericht vor Augen hat und die Rechenschaft, der sich Niemand entziehen, den Spruch des Richters, den Niemand täuschen kann: der wird sich auf alle mögliche Weise bemühen, Enthaltsamkeit und Gerechtigkeit und die andern Tugenden zu üben, Ausschweifungen aber und Vermessenheit und jedes andere Laster zu fliehen; der wird auch im Stande sein, auf Grund dieser Lehre die Ankläger der göttlichen Vorsehung mit leichter Mühe verstummen zu machen.

Warum klagen nämlich manche Menschen gegen die göttliche Vorsehung? Weil sie sehen, daß friedfertige, mäßige, gerechte Menschen in drückender Armuth leben, mißhandelt und verleumdet werden, daß sie kaum nothdürftig zu essen und zu trinken haben, oft auch durch lange und schwere Krankheiten geplagt werden und ganz schutz- und hilflos sind; daß dagegen Menschen, die mit dem Teufel im Bunde stehen, die im Sündenschmutz verkommen und sich allen Lastern ergeben haben, daß solche Menschen im Überflusse schwimmen, ein schwelgerisches Leben führen, prächtige Kleider tragen, einen Schwarm von Bedienten mit sich führen, angestaunt werden, obrigkeitliche Ämter bekleiden und beim Kaiser großes Vertrauen besitzen. Dann erheben also manche Leute deßhalb Klage gegen die Vorsehung und sagen: Wo ist denn hier eine Vorsehung, wo ein gerechtes Gericht wahrzunehmen? Der enthaltsame, gerechte Mann im Unglück, der zügellose, lasterhafte Mensch ein Kind des Glückes; dieser wird bewundert, jener verachtet; dieser schwelgt in Freuden und Vergnügungen, jener darbt in Armuth und äusserster Noth! Auf solche Anklagen wird Derjenige, der an dem künftigen Leben zweifelt, schweigen müssen und gar Nichts zu sagen wissen. Wer aber die Lehre von der Auferstehung glaubt und gründlich kennt, wird mit leichter Mühe jenen Gotteslästerungen Einhalt thun. Zu jenen Menschen, welche über solche Wahrnehmungen in Verzweiflung gerathen möchten, wird er sagen: „Lasset doch ab, gegen den Gott, der euch erschaffen hat, eure Lästerzunge zu spitzen! Denn mit dem gegenwärtigen Leben sind unsere Geschicke nicht abgeschlossen; wir eilen einem andern Leben zu, das weit länger dauert, ja sogar ohne Ende ist. Dort wird unfehlbar dieser Arme, der gerecht lebt, den Lohn für seine Leiden und Beschwerden erhalten, der Zuchtlose aber, der Verbündete des Teufels, für seine Lasterhaftigkeit und seine sündhaften Genüsse seine Strafe bekommen. — Laßt uns deßhalb bei unserem Urtheile über die göttliche Vorsehung nicht allein das gegenwärtige, sondern auch das zukünftige Leben in Betracht ziehen! Das gegenwärtige Leben ist die Stätte des Kampfes und der Kampf selbst; im zukünftigen Leben erwarten uns die Belohnungen, die Krone und die Kampfpreise. Muß nicht der Kämpfer auf dem Kampfplatz mit Schweiß und Staub und großer Hitze, mit Beschwerden und Schmerzen kämpfen? So muß auch der Gerechte hier auf Erden Vieles erdulden und muß Alles unverzagt ertragen, wenn er die strahlende Krone dort oben erlangen will. Und daß es den lasterhaften Menschen so wohl ergeht, Das bringt Manche in Verwirrung. Sie sollten doch bedenken, daß auch Diebe, Grabschänder, Mörder, Seeräuber, ehe sie in die Hände der Gerechtigkeit fallen, herrlich und in Freuden leben, indem sie sich durch fremdes Unglück bereichern, ungerechtes Gut in Masse an sich ziehen und sich berauschen jeden Tag. Sind sie aber einmal dem Urtheil des Richters unterstellt, dann müssen sie für Dieß alles ihre Strafe leiden. Die jetzt unzüchtige Dirnen kaufen, sybaritische Gastmähler veranstalten, hochmüthige Blicke um sich werfen, auf dem Forum einher stolziren und die Armen unterdrücken, Diese werden einst, wenn der eingeborne Sohn Gottes mit seinen Engeln herabkommen wird, wenn er auf seinem Richterstuhl sitzen und die ganze Menschheit um sich versammeln wird, dann werden Diese nackt und bloß, ihres äussern Glanzes vollständig beraubt, herangeschleppt werden; kein Helfer oder Anwalt wird für sie eintreten, und ohne Erbarmen werden sie verstoßen und in den Feuerstrom hinabgestürzt. Darum hüte dich wohl, sie wegen ihrer Erdenfreuden glücklich zu preisen; beweine sie vielmehr wegen der Strafen, die ihnen bevorstehen, und hüte dich ebenso, die Gerechten wegen ihrer irdischen Bedrängnisse zu bedauern; nein, preise sie glücklich wegen der herrlichen Güter, die ihrer dort oben warten. Präge deiner Seele die Lehre von der Auferstehung recht tief ein, damit du, wenn du tugendhaft bist und Anfechtungen zu erleiden hast, die Probe bestehest und noch stärker werdest, indem du aus den Hoffnungen auf die Zukunft immer größern Muth schöpfest, und damit du, wenn du in Sünden bist, dem Laster entsagest, indem du dich aus Furcht vor den künftigen Strafen zu größerer Selbstbeherrschung anschickest.

Das ist es auch, warum uns Paulus die Lehre von der Auferstehung fortwährend vorhält. Noch heute habet ihr gehört, wie er uns zuruft: „Denn wir wissen, daß wir, wenn dieses unser irdisches Zelthaus abgebrochen wird, ein Haus aus Gott haben, ein ewiges, in den Himmeln.“ Doch ich will etwas weiter ausholen, damit wir sehen, wie Paulus auf die Lehre von der Auferstehung zu reden kommt. Denn es ist kein Zufall, es hat vielmehr seinen guten Grund, daß er diese Lehre fort und fort behandelt. Er wollte damit eine Unterweisung geben über Das, was uns bevorsteht, und wollte zugleich Diejenigen stärken, welche um ihres frommen Lebens willen Kämpfe zu bestehen hatten. Jetzt erfreuen wir uns nämlich durch die Gnade Gottes eines tiefen Friedens. Jetzt leben auch Könige fromm und gottesfürchtig, Herrscher haben die christliche Wahrheit erkannt und anerkannt, ganze Nationen, Städte und Völkerschaften haben dem Irrthum entsagt und beten Christum an. Damals aber, wo die Predigt des Evangeliums erst begann, wo der Same der Frömmigkeit erst seit Kurzem überhaupt ausgestreut ward, da gab es viele und verschiedene Kämpfe von mancherlei Art. Gegen die Gläubigen wurde Krieg geführt von Herrschern und Königen, auch von Hausgenossen und Verwandten, kurz von Jedermann. Selbst die Bande der Natur ließ man bei diesem Kriege nicht mehr gelten. Denn manchmal hat der Vater sein Kind, die Mutter ihre Tochter, der Herr seinen Knecht verrathen. So kämpften nicht bloß Städte und Staaten, sondern vielfach auch die Bewohner eines einzigen Hauses gegen einander. Die Bedrängnisse der damaligen Zeit waren ärger als der schlimmste Bürgerkrieg. Raub des Vermögens und Verrath der Freiheit waren etwas Gewöhnliches; selbst das Leben schwebte in Gefahr. Und nicht Barbaren waren die Angreifer und Peiniger, nein gerade Diejenigen, die man für Vorsteher und für Träger der gesetzlichen Gewalt ansehen mußte, wütheten gegen ihre Untergebenen ärger als ausgesprochene Feinde. Das erklärt der heilige Paulus selbst, indem er sagt: „Ihr habet einen großen Leidenskampf bestanden, indem ihr einerseits durch Beschimpfungen und Bedrängnisse ein Schauspiel, andererseits aber Genossen der also Wandelnden geworden seid. Denn ihr habt sowohl mit mir in meinen Fesseln das Leid getheilt, als auch den Raub eures Besitzthums mit Freude hingenommen.“ Und an die Galater schrieb er: „So Vieles habt ihr erduldet vergeblich; wenn doch nur vergeblich!“ Auch den Thessalonichern und Philippern und überhaupt Allen, an die er schreibt, gibt er an vielen Stellen dasselbe Zeugniß.

Aber nicht Das allein war das Schlimme, daß ein heftiger und andauernder Krieg von äussern Feinden gegen die Kirche geführt ward, sondern daß auch unter den Gläubigen selbst Ärgernisse, Streitigkeiten, Zank und Eifersüchteleien entstanden. Auch Das sagt uns Paulus, und zwar mit den Worten: „Von aussen Kämpfe, von innen Befürchtungen.“ Und dieser Kampf war noch härter und schwieriger, sowohl für die Untergebenen als für die Lehrer und Meister. Paulus fürchtete nicht in dem Grade die Nachstellungen der Feinde als die Niederlagen innerhalb der Kirche, die Vergehungen der Gläubigen. Als bei den Korinthern ein Christ Unzucht getrieben hatte, hat Paulus ihn die ganze Zeit hindurch betrauert. Es zerriß sein Herz und preßte ihm bittere Klagen aus. — Noch eine Schwierigkeit — und sie war nicht geringer als die beiden eben genannten — verursachte den Gläubigen große Mühen. Sie lag in dem Wesen des Christenthums, das ihnen der Natur der Sache nach viel Mühe und Schweiß kosten mußte. Denn der Weg, auf dem die Apostel sie führten, war keineswegs bequem und geebnet: nein, er war rauh, war schwer einzuhalten und erforderte allenthalben Weisheit, Wachsamkeit und Vorsicht. Daher hat ihn auch Christus einen engen und schmalen Weg genannt. Jetzt durfte man nicht mehr leichtsinnig dahinleben, wie bei den Heiden, nicht in Unzucht, Trunkenheit, Unmäßigkeit, Schwelgerei und Überfluß; jetzt mußte man den Zorn bezwingen, die sinnlichen Begierden beherrschen, das Geld verachten, die irdische Ehre unter die Füße treten, Neid und Mißgunst überwinden. Was Das aber für Mühe kostet, das weiß Jeder, der gegen diese Leidenschaften täglich ankämpft. Denn was ist lästiger als die bösen Begierden, die uns gleich einem wüthenden Hunde fortwährend angreifen, täglich beunruhigen und darum eine unablässige Wachsamkeit erheischen? Was ist bitterer als der Zorn? Freilich, am Beleidiger sich rächen ist süß, aber Das war eben nicht gestattet. Ja, damit sage ich noch viel zu wenig; denn die Pflicht gebot sogar Kränkungen mit Wohlthaten, Fluch mit Segen zu vergelten und den Feind nicht einmal mit einem heftigen Worte anzufahren. Man mußte ferner Enthaltsamkeit üben, nicht bloß in Werken, sondern auch selbst in Gedanken. Denn man muß sich nicht allein von unzüchtigen Handlungen, sondern sogar von Blicken solcher Art enthalten; man darf sich nicht am Anblick schöner Weiber wollüstig ergötzen, da man auch für dieses Anschauen die schwersten Strafen zu erwarten hat.

Heftig war also damals der Kampf mit äussern Feinden, groß die Furcht vor den Feinden im Innern, und nicht klein waren die Mühen und Beschwerden, welche die Übung der Tugend erforderte. Dazu kam noch ein Viertes, nämlich die Unerfahrenheit Derjenigen, welche diesen gewaltigen Kampf bestehen sollten. Die Menschen nämlich, mit denen die Apostel zu thun bekamen, hatten keineswegs die Gottesfurcht von ihren Vorfahren schon geerbt. Sie waren vielmehr in Weichlichkeit und sinnlichen Genüssen, in Trunkenheit, Wollust und Zuchtlosigkeit groß geworden. Das trug aber zur Schwierigkeit der Kämpfe nicht wenig bei, daß man in der christlichen Tugend und Weisheit nicht von Alters her, nicht von den Eltern und Ahnen erzogen war, sondern sich erst jetzt zu diesen Kämpfen rüsten mußte.

Weil also bei diesen Kämpfen so ausserordentliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, darum hält der Apostel den Christen unaufhörlich die Lehre von der Auferstehung vor: er will sie dadurch in ihren Beschwerden trösten und ermuthigen. Doch nicht bloß dadurch, sondern auch durch Aufzählung seiner eigenen Leiden sucht er die Kämpfer aufzurichten und zu stärken. Deßhalb zählt er sein Leiden auf, ehe er von der Auferstehung zu reden anfängt. Er sagt nämlich: „In Jeglichem sind wir bedrängt, aber nicht geängstigt, sind wir in Nöthen, aber nicht ausser Fassung, sind verfolgt, aber nicht verlassen, niedergeworfen, aber nicht verloren.“ Mit diesen Worten weis’t er auf ihr tägliches Sterben hin, daß sie nämlich gleich Lebendig-Todten einhergingen, indem sie täglich dem Tode überliefert wurden. Nachdem er also auseinandergesetzt, was gegen sie unternommen wurde, erklärt er die Lehre von der Auferstehung: „Denn wir glauben,“ sagt er, „daß Derjenige, welcher unsern Herrn Jesum Christum auferweckt hat, auch uns durch Jesum auferwecken und darstellen wird sammt euch. Deßhalb verlieren wir den Muth nicht,“ indem wir als großen Trost in den Kämpfen die Hoffnung auf das Zukünftige haben. Er sagt zu ihnen nicht: „Deßhalb verlieret den Muth nicht,“ sondern — wie sagt er? „Deßhalb verlieren wir den Muth nicht;“ so sagt er, um zu zeigen, daß auch er selbst fort und fort im Kampfe begriffen ist. Bei den olympischen Wettkämpfen ist es anders: auf der Arena ringt der Kämpfer, aber der Lehrmeister sitzt weit entfernt und steht ihm nur mit Worten bei. Er kann dem Kämpfer nur infoweit Hilfe leisten, als durch Rufen und Schreien überhaupt zu helfen ist; aber in seiner Nähe zu stehen und ihm auch durch die That hilfreiche Hand zu leisten, Das erlaubt dem Meister kein Gesetz. Nicht so geht es bei den Kämpfen der Frömmigkeit: da ist derselbe Mann Lehrmeister und Kämpfer zugleich. Daher steht er nicht ausserhalb des Kampfplatzes, daher stürzt er sich selbst in den Kampf hinein und stärkt seine Mitstreiter: „Darum“, sagt er, „verlieren wir den Muth nicht.“

Er sagt auch nicht: „Darum verliere ich den Muth nicht,“ sondern: „Darum verlieren wir den Muth nicht,“ um sie durch sein Lob aufzurichten; „sondern,“ sagt er weiter, „wenn auch unser äusserer Mensch zu Grunde gerichtet wird, so wird doch der inwendige erneuert Tag für Tag.“ Beachte die Weisheit des Apostels. Er hat sie ermuthigt durch den Hinweis auf ihre Leiden: „In Jeglichem werden wir bedrängt, aber nicht geängstigt;“ dann ermuthigt auf Grund der Auferstehung Jesu: „Der Jesum auferweckt hat, wird auch uns auferwecken.“ Jetzt sucht er sie wieder auf eine andere Weise zu trösten. Weil nämlich die meisten Menschen etwas kleinmüthig, schwach und elend sind und trotz ihres festen Glaubens an die Auferstehung ob der langen Zeit, die bis dahin noch vergehen muß, den Muth sinken lassen und dann wanken und stürzen, darum zeigt ihnen der Apostel noch einen andern Lohn, eine andere Vergeltung, und zwar für die Zeit vor der Auferstehung. Was für ein Lohn ist Das? „Wenn auch der äussere Mensch zu Grunde gerichtet wird, so wird doch der inwendige erneuert Tag für Tag.“ Unter dem äussern Menschen versteht er den Leib, unter dem inwendigen die Seele. Er will ungefähr Dieses sagen: Auch vor der Auferstehung, vor dem Genusse der ewigen Herrlichkeit empfängst du für deine Mühen schon hienieden einen nicht geringen Lohn. Denn eben durch die Trübsal wird deine Seele erneuert; sie nimmt zu an Weisheit, Frömmigkeit, Ausdauer, Kraft und Standhaftigkeit. Den Ringkämpfer machen seine Übungen gesunder und kräftiger und bewahren ihn vor Krankheiten aller Art; so bringen sie ihm schon für sich allein reichen Lohn ein, auch ehe er seine Kränze und Preise empfängt. Und ebenso wird unsere Seele durch das Ringen nach Tugend erstarken in christlicher Weisheit; Das ist der große Lohn, den wir schon vor dem Eintritt in den Himmel, vor der Ankunft des Sohnes Gottes und vor der vollkommenen Vergeltung erhalten. Ist nicht auch dem Kaufmanne eine weite Reise über Meer von großem Nutzen, selbst ehe er seines Handelsgewinnes froh wird? Denn nachdem er das weite Meer durchfahren, oft mit gewaltigen Fluthen gerungen, mit vielen Ungeheuern gekämpft und viele Stürme mitgemacht hat, dann hat er eben dadurch gewonnen an Muth und Unerschrockenheit, er nimmt es jetzt ohne Zagen mit dem Meere und seinen Gefahren auf und läßt sich ohne Furcht, ja mit Lust und Freuden zu solchen überseeischen Fahrten bereit finden. Ebenso wird Demjenigen, der um Christi willen viele Trübsale erduldet und viele Leiden ertragen hat, auch schon im gegenwärtigen Leben und vor der Aufnahme in das Himmelreich ein großer Lohn zu Theil: denn dadurch wird er mit Gott dem Herrn schon hienieden innig vertraut, dadurch wird seine Seele edel und hochsinnig, so daß er nunmehr alle Leiden verachten kann. Damit euch Das deutlicher wird, will ich es euch an einem Beispiele klar machen. Gerade der heilige Paulus, von dem wir reden, hatte zahllose Leiden erduldet und dafür auch schon reichen Lohn empfangen. Denn er war jetzt im Stande, der Tyrannen zu lachen, gegen wüthende Volkshaufen sich zu behaupten, alle denkbaren Strafen zu verachten. Nichts mehr konnte ihn schrecken, weder wilde Thiere, noch Schwerter, noch die Tücken des Meeres, noch steile Abhänge, noch Verfolgungen oder Nachstellungen, noch irgend eine andere Gefahr. Was könnte man mit einer solchen Verfassung der Seele vergleichen? Wer noch Nichts gelitten, wer sich im Leiden noch nicht geübt hat, der wird durch jede Kleinigkeit ausser Fassung gebracht, und nicht bloß die Widerwärtigkeiten selbst, sondern schon ihr fernes Drohen, ja was sage ich? selbst Schatten setzen einen solchen Menschen in Furcht und Angst. Wer sich aber von Allem entäussert, sich in die Kampfe hineingestürzt und vieles Furchtbare mitgemacht hat, Der ist für die Folge über alles Ungemach erhaben, und Der verachtet Drohungen gerade so wie das Gekrächze der Raben. Wenn man solchergestalt durch Nichts, was dem Menschen widerfahren kann, zu betrüben und zu erschüttern ist, wenn man mit leichter Mühe verachtet, was Andern furchtbar scheint, wenn man im Stande ist, über Alles zu lachen, was Andern Angst und Schrecken einjagt, indem man sich durch eine außerordentliche Standhaftigkeit zu einer Lebensweisheit erschwungen hat, wie sie den himmlischen Mächten eigen ist: so hat man wahrlich einen Preis errungen, der sehr ansehnlich, einen Lohn, der keineswegs gering ist. Wir halten einen Menschen für beneidenswerth, wenn sein Körper in Kälte und Hitze, in Hunger und Mangel, auf weiten Reisen und bei andern Beschwerden mit leichter Mühe und ohne Schaden zu nehmen ausdauert; müssen wir nicht Denjenigen noch weit glücklicher preisen, dessen Seele mit Muth und Standhaftigkeit allen Stürmen der Leiden widersteht und unter allen Umständen ihre Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt? Ein solcher Mann ist ein König, und zwar mehr König als ein Herrscher dieser Erde. Denn diesem können seine Lanzenträger, seine Freunde und Feinde durch Ränke und Nachstellungen viel Leid anthun; wer aber eine solche Seele besitzt, wie ich eben sagte, Dem kann gar Niemand Schaden zufügen, weder ein König noch Knecht oder Leibwächter, noch Freund oder Feind, noch selbst der Teufel. Es ist gar nicht möglich, weil er durch Übung gelernt hat, Nichts von alle Dem für schrecklich zu halten, was insgemein als schrecklich gilt.

So ein Mann war der heilige Paulus. Darum konnte er sagen: „Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Trübsal oder Bedrängniß oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?“ so wie geschrieben ist: „Deinetwegen werden wir ertödtet den ganzen Tag, sind erachtet gleich Schafen zum Schlachten. Aber in all’ Diesem überwinden wir um dessen willen, welcher uns geliebt hat.“ Dasselbe deutet er an unserer Stelle an, indem er sagt: „Wenn auch unser äusserer Mensch zu Grunde gerichtet wird, so wird doch der inwendige erneuert Tag für Tag.“ Der Leib wird schwächer, will er sagen, die Seele aber stärker, kräftiger und behender. Es geht dem Christen wie einem Kriegsmann. Ein Krieger, den seine Rüstung sehr beschwert, mag noch so tapfer und kampfgeübt sein, er wird den Feinden nicht besonders furchtbar werden. Denn die schwere Last der Rüstung hindert ihn, seine Füße schnell und leicht zu bewegen und seine Fertigkeit im Kampfe gehörig zu verwerthen. Sobald er sich aber mit leichten und handlichen Waffen versehen hat, wird er sich so behend und geschickt, als ob er Flügel hätte, auf seine Feinde stürzen. So darf auch der Christ seinen Leib nicht durch Trunksucht beschweren, nicht durch Weichlichkeit und Wollust allzu üppig werden lassen; er muß seinen Leib vielmehr durch Fasten und Beten, sowie durch ausdauernde Sündhaftigkeit in Bedrängnissen leichter und fügsamer machen; dann wird er sich mit Kraft und Gewandtheit, so wie ein Vogel aus der Höhe herabfährt, auf die Schlachtreihen der bösen Geister stürzen und wird diese Mächte, die ihm gegenüber stehen, mit Leichtigkeit zu Boden werfen und unter seine Füße bringen.

Paulas war einst, nachdem er zuvor viele Geißelhiebe erhalten hatte, in den Kerker eingesperrt und in den Block festgeschlossen worden. Da war sein Leib durch diese Mißhandlungen sehr geschwächt, aber stark und muthvoll blieb seine Seele. So stark war er, der Gefesselte, daß seine Stimme die Grundfesten des Kerkers zum Wanken brachte, den Kerkermeister, den doch keine Ketten oder Bande fesselten, wie gefesselt zu seinen Füßen legte und die verschlossenen Thüren aufspringen machte. Also muß uns denn die Versicherung des heiligen Paulus, daß wir durch Anfechtungen an christlicher Tugend und Weisheit zunehmen, auch schon vor der Auferstehung einen nicht geringen Trost bereiten. Deßwegen sagt er: „Die Bedrängniß bewirkt Standhaftigkeit, die Standhaftigkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber macht nicht zu Schanden.“ Und wieder ein Anderer sagt: „Ein Mann, der nicht versucht ist, ist nicht erprobt, und der nicht erprobt ist, ist keines Wortes werth.“ So bringt uns denn die Trübsal auch vor der Auferstehung nicht geringen Nutzen, daß nämlich die Seele dadurch erprobt, daß sie weiser, verständiger und von aller Furchtsamkeit befreit wird. Deßhalb sagt der heilige Paulus „Wenn auch unser äusserer Mensch zu Grunde gerichtet wird, so wird doch der innere erneuert Tag für Tag.“ Sage mir: wie wird er denn erneuert? Die Feigheit wird vollständig verbannt, die sinnliche Begierde ausgelöscht, Habsucht und Ehrgeiz und überhaupt jede andere sündhafte Leidenschaft ertödtet. Leicht wird Derjenige ein Knecht dieser Leidenschaften, der in Müssiggang und Sorglosigkeit gemächlich dahinlebt; und ebenso unzweifelhaft wird Derjenige, der fortwährend um ein frommes und tugendhaftes Leben kämpft, nicht einmal Muße haben, an jene sündhaften Begierden zu denken, weil die Bemühungen um den Sieg in seinen Kämpfen ihn weit davon entfernt halten. Deßhalb sagt Paulus: „Er wird erneuert Tag für Tag.“ Dann sucht er wieder von Neuem die schwachen Seelen, die über ihre Leiden klagen und in der christlichen Weisheit noch unbewandert sind, durch die Hoffnung auf den zukünftigen Lohn aufzurichten und sagt, wie folgt: „Denn das gegenwärtig Leichte der Drangsal wirkt überschwenglich und über die Maßen ewige Last der Herrlichkeit für uns, die wir nicht schauen auf Das, was gesehen wird, sondern auf Das, was nicht gesehen wird. Denn Das, was gesehen wird, ist zeitweilig, was aber nicht gesehen wird, ewig.“ Er will etwa Dieses sagen: Zwar bringt uns die Trübsal auch hier auf Erden großen Nutzen, indem sie unsere Seele weiser und christlicher macht; aber ausserdem wird sie uns im künftigen Leben Güter und Freuden ohne Zahl verschaffen, Güter und Freuden, die nicht etwa unsern Anstrengungen bloß die Wage halten, sondern an Zahl und Größe weit überlegen sind. Um uns also Beides klar zu machen, vergleicht Paulus die Gefahren in ihrer ganzen Größe mit der Überschwenglichkeit des Lohnes und stellt dem Augenblicklichen das Ewige entgegen, dem Leichten die schwere Last, der Trübsal die Herrlichkeit. Die Trübsal, sagt er, ist zeitweilig und leicht; die Ruhe aber — doch er sagt nicht Ruhe, sondern Herrlichkeit, und Das ist weit mehr — ist ewig, unaufhörlich und überaus groß. Das Wort Last [Last der Herrlichkeit, βάρος δόξης] steht hier nicht zur Bezeichnung des Lästigen und Beschwerlichen, sondern des Werthvollen und Kostbaren, wie ja auch die Leute aus dem Volke Alles so zu nennen pflegen, was von grossem, bedeutendem Werthe ist. Wenn der Apostel also von Last der Herrlichkeit redet, so meint er die Größe der Herrlichkeit. Du sollst, will er sagen, nicht bloß deiner Geißelstreiche und deiner Verbannung gedenken, sondern auch der Siegeskränze und Belohnungen und sollst wissen, daß diese weit größer und herrlicher sind als das Gegenwärtige, und daß sie ohne Maß und ohne Ende sind. Aber Jenes, sagt er, fühlen und erfahren wir jetzt, Dieses hoffen wir; Jenes ist sichtbar, Dieses unsichtbar und schwebt noch hoch über uns. Allein obgleich unsichtbar, ist es doch sichtbarer als Das, was man sieht. Warum sage ich: es ist sichtbarer? Weil du es in der That besser sehen kannst. Denn es ist bleibend, während Das, was man gewöhnlich sichtbar nennt, vorübergeht. Deßhalb fügt Paulus hinzu: „Die wir nicht schauen auf Das, was gesehen wird, sondern auf Das, was nicht gesehen wird. Denn Das, was gesehen wird, ist zeitweilig, was aber nicht gesehen wird, ewig.“

Aber wie ist Das möglich, sagst du vielleicht, daß ich aus das Unsichtbare schaue und nicht schaue auf Das, was hier und jetzt vorhanden ist? Ich will versuchen, dich durch Beispiele aus dem gewöhnlichen Leben von dieser Möglichkeit zu überzeugen. Es werden nämlich auch jene irdischen Arbeiten und Beschäftigungen, wie sie in der Welt vorkommen, kaum jemals in Angriff genommen, ohne daß man auf das [noch] Unsichtbare eher als auf das Sichtbare hinschaut. Der Kaufmann z. B. harrt in allen Stürmen, beim Aufruhr der Fluthen, bei Schiffbrüchen und tausend andern Fährlichkeiten geduldig aus; aber seines Reichthums kann er sich erst freuen, wenn alle Stürme vorüber sind, wenn er seine Waaren absetzt und daraus großen Gewinn erzielt. Die Stürme gehen vorher, dann kommt der Handel; wenn er vom Hafen ausläuft, dann sieht er das Meer und die Wogen vor Augen, die Geschäfte aber nicht; darauf ist erst seine Hoffnung gerichtet. Und doch muß er zuerst auf den Gewinn schauen, der [noch] unsichtbar und gar nicht da ist, den er nicht in den Händen, sondern erst in der Hoffnung hat; sonst wird er sich von dem Meere und den Fluthen, die ihm vor Augen liegen, ruhig fern halten. Mit dem Landmanne ist es nicht anders. Wenn er die Ochsen einspannt, den Pflug führt und tiefe Furchen zieht, wenn er den Samen ausstreut und Alles hinwirft, was er davon besitzt, wenn er Kälte, Reif und strömenden Regen und so manches Andere erträgt, was recht lästig und mühevoll ist: dann ist nur erst seine Erwartung, seine Hoffnung darauf gerichtet, nach allen Mühsalen grünende Saatfelder und gefüllte Scheuern zu sehen. Siehst du? auch hier kommt zuerst die Arbeit, dann der Lohn. Und vom Lohn ist [noch] Nichts zu sehen, die Arbeit aber liegt unmittelbar vor Augen. Den Lohn hat man erst in der Hoffnung, die Arbeit hat man unter Händen. Und doch muß auch der Landmann zuerst und zunächst auf den Lohn seiner Arbeit sehen, der [noch] unsichtbar und nicht zu entdecken und mit leiblichen Augen nicht wahrzunehmen ist: sonst wird er weder die Ochsen einspannen noch den Pflug führen noch den Samen ausstreuen, ja er wird sich zu diesen Arbeiten nicht einmal von der Stelle bewegen.

Nun seht, welche Thorheit! Bei den Arbeiten und Geschäften dieses Lebens sieht man zunächst auf das Unsichtbare und dann auf Das, was vor Augen liegt; man unterzieht sich den Beschwerden, ehe man den Lohn empfängt; man läßt sich die Last gefallen, und dann erst erwartet man den Gewinn, und aus der Hoffnung auf das Unsichtbare schöpft man Muth, um die mühevollen Arbeiten der Gegenwart in angriff zu nehmen: ist es nun nicht Thorheit, wenn Jemand bei den Arbeiten für Gott den Herrn zagt und zweifelt, den Lohn bereits vor den Mühen fordert und sich kleinmüthiger beweis’t, als Schiffsleute und Bauern sind?

Wir stellen uns in der That tiefer als diese Leute, indem wir unzufrieden sind, daß wir auf unsern Lohn warten müssen. Aber auch und nicht minder in einer andern Beziehung. Nämlich: die Kaufleute und Landleute sind über den endlichen Erfolg ihrer Arbeiten keineswegs sicher; aber Das schreckt sie von den Beschwerden nicht zurück. Du hast aber für die Krone, die deiner wartet, einen ganz zuverlässigen Bürgen, und dennoch willst du ihre Ausdauer nicht nachahmen. Nachdem der Landmann den Samen ausgestreut, den Acker wohl bestellt und auch die grünenden Saaten schon gesehen hat, wird er nicht selten durch Hagel, Mehlthau, Heuschrecken oder irgend eine andere Plage der Früchte seiner Arbeit beraubt und muß dann trotz aller vergossenen Schweißtropfen mit leeren Händen nach Hause gehen. Und schon mancher Handelsmann, der das weite Meer durchfahren hatte und nun mit reichbeladenem Schiffe der Heimath zusteuerte, ist gerade am Eingänge des Hafens durch plötzlichen Sturm an einen Felsen gestrandet, so daß er zufrieden sein mußte, das nackte Leben noch aus der Gefahr zu retten. Überhaupt, bei allen irdischen Unternehmungen muß man sich darauf gefaßt machen, von einem solchen Unglücksfall betroffen zu werden, wenn man schon dem Ziele nahe ist. Aber mit deinen Kämpfen [um das Himmelreich] ist es nicht also. Wer recht gekämpft, wer Frömmigkeit gesäet und viele Mühseligkeiten ertragen hat, der muß nothwendig — es kann gar nicht anders sein — auch an das Ziel gelangen. Denn Gott der Herr hat den Lohn für diese Mühen nicht den Launen der Witterung, nicht der Gewalt der Stürme preisgegeben. Dieser Lohn ist dort oben hinterlegt, in den himmlischen Schatzkammern, die kein Räuber plündern kann. Darum sagt der heilige Paulus: „Die Trübsal bewirkt Ausdauer, die Ausdauer aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber macht nicht zu Schanden.“

Sage also nicht, daß das Zukünftige unsichtbar ist. Ja, bei genauer Betrachtung wirst du sogar finden, daß es weit sichtbarer ist, als was wir in Händen haben. Auch Das deutet uns wieder der heilige Paulus an, indem er das Zukünftige ein Ewiges, das Gegenwärtige ein Zeitweiliges nennt und mit dem Worte „zeitweilig“ auf die Vergänglichkeit hinweis’t. Ehe es noch recht sichtbar geworden, ist es dahin; ehe es feststeht, ist es entwichen; schnell geht sein Wechsel von Statten, und unsicher ist sein Besitz. So ist es, wie Jeder leicht sehen kann, mit Reichthum, Ehre und Macht, mit Wohlgestalt und Körperkraft und mit den andern Gütern dieser Welt. Darum spottet der Prophet über Diejenigen, die ein schwelgerisches Leben führen, die auf Geld und äussern Prunk versessen sind; er sagt: „Sie haben diese Dinge als feststehende und nicht als fliehende angesehen.“ So wenig wie einen Schatten kannst du die Güter dieser Erde festhalten. Die Einen zergehen bei deinem Tode, die Andern fließen schon eher vorüber, schneller als zur Winterszeit der reissende Strom. Nicht so die zukünftigen Güter. Für sie gibt es keinen Wechsel und keinen Umschlag; hier droht kein Alter und keine Veränderung. Sie blühen fort und fort und behalten stets dieselbe Schönheit. Will man also von unsichtbaren, trügerischen, unzuverläßigen Dingen reden, dann soll man die Dinge dieser Welt so nennen, die ihrem Besitzer nicht verbleiben, sondern ihren Herrn immer wechseln und jeden Tag von diesem auf jenen und dann wieder auf einen dritten übergehen. Nachdem Paulus uns Das alles an jener Stelle gelehrt und deßhalb das Gegenwärtige ein Zeitweiliges, das Zukünftige ein Ewiges genannt hat kommt er auf die Auferstehung zu reden und sagt: „Wir wissen, daß wir, wenn unser irdisches Haus des Zeltes aufgelöst wird, ein Haus aus Gott haben, das nicht mit Händen gemacht ist, ein ewiges in den Himmeln.“

Beachte auch hier, wie bezeichnend der Apostel seine Worte wählt, und wie schon durch die Ausdrücke der Sinn seiner Gedanken angedeutet ist. Nicht ohne Grund nennt er den Leib ein Zelt, sondern um uns an die Vergänglichkeit dieses Lebens zu erinnern und uns eine Veränderung zum Bessern anzukündigen. Es ist fast, als ob er sagte: Warum seufzest und weinst du, mein Lieber, daß du geschlagen, verjagt und in den Kerker geworfen wirst? Warum klagst du über diese Widerwärtigkeiten, die doch deinen Leib nur an einzelnen Theilen oder in einigen Beziehungen übel zurichten? Du solltest doch bedenken, daß du die vollständige Auflösung deines Leibes dir gefallen lassen mußt — doch nein, nicht des Leibes schlechthin, sondern der Verweslichkeit am Leibe. Um nämlich zu zeigen, daß die Unbilden der gedachten Art uns durchaus nicht betrüben, sondern sogar mit Freude erfüllen müßten, stellt er jene vollständige und endgiltige Zerstörung des Leibes, seine Auflösung durch den Tod sogar als einen Gegenstand unserer Sehnsucht dar. So sagt er: „Denn auch in diesem Zelte seufzen wir, mit unserer Wohnung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden sehnlich verlangend.“ Wenn er hier den Leib Haus des Zeltes nennt, so will er mit beiden Ausdrücken dieselbe Sache bezeichnen; oder aber er versteht unter „Haus des Zeltes“ die Häuser, in denen wir wohnen, die Städte und überhaupt die Äusserlichkeiten des gegenwärtigen Lebens. Er sagt nicht einfach: ich weiß, sondern: wir wissen, um auch die Überzeugung der Hörer in seine Rede hineinzuziehen. Das sind keine bestrittenen oder ungekannten Wahrheiten, will er sagen, sondern Wahrheiten, die ihr schon durch den Glauben an die Auferstehung des Herrn gläubig angenommen habet. Deßhalb nennen wir auch die Leiber der Hingeschiedenen Zelte (σκηνώματα). Und nun sieh zu, wie bezeichnend er seine Worte wählt. Er sagt nicht: das Haus des Zeltes wird zerstört, oder: vergeht, sondern: es wird aufgelös’t, um anzudeuten, daß der Leib nach seiner Auflösung glänzender und strahlender wieder auferstehen soll. So wie er ferner den Lohn mit der Arbeit verglichen hat nach seiner Beschaffenheit, Dauer und Größe, ebenso verfährt er auch hier. Den sterblichen Leib nennt er ein Zelt, den auferstandenen ein Haus, und zwar nicht einfach ein Haus, sondern ein ewiges, und nicht bloß ein ewiges, sondern ein himmlisches Haus. Dadurch zeigt er, wie sehr dieser Leib über unsern gegenwärtigen Leib erhaben ist, sowohl was die Dauer seines Bestandes als den Ort seines Aufenthaltes angeht. Denn der eine ist irdisch, der andere himmlisch; der eine besteht nur eine Zeit lang, der andere ist ewig. Überdieß haben wir jetzt wegen der Schwäche unseres Fleisches ausser dem Leibe auch noch Wohnungen nöthig; dann aber wird der Leib uns zugleich Wohnung sein und wird weder eines Hauses noch einer Umhüllung bedürfen, weil ihm seine Unverweslichkeit und Verklärung für Alles genügt. Alsdann zeigt uns der Apostel die überschwengliche Fülle der Güter, die für den Leib hinterlegt sind: „Denn auch in diesem Zelte seufzen wir“ — er sagt nicht: seufze ich, sondern er stellt diese Überzeugung als eine gemeinsame dar. „Denn auch in diesem Zelte,“ sagt er, „seufzen wir;“ so sucht er sie zu seiner erhabenen Anschauung hinaufzuziehen und zu Theilnehmern an seinem Urtheile zu machen. „Denn auch in diesem [Zelte] seufzen wir, sehnlich verlangend, mit unserer Wohnung, die aus den Himmeln ist, überkleidet zu werden.“ Er sagt nicht einfach: bekleidet, sondern: über- kleidet zu werden, und fügt hinzu: „Wenn wir anders bekleidet, nicht nackt werden erfunden werden.“ Das scheint dunkel zu sein, aber es wird klarer durch das Folgende: „Denn auch wir,“ fährt er fort, „die in dem Zelte sind, seufzen belastet, weil wir nicht wollen entkleidet, sondern überkleidet werden.“ Siehst du wohl, wie er sich nicht vergißt, und wie er diesen Leib nicht ein Haus, sondern wieder ein Zelt nennt? „Weil wir nicht wollen entkleidet, sondern über- kleidet werden.“ Das sind Worte, durch welche die Lästerer der Natur des Leibes, die Ankläger unseres Fleisches vollständig geschlagen werden. Weil er nämlich gesagt hat: „Wir seufzen, und wir wollen nicht entkleidet werden,“ sucht er uns durchaus vor der Meinung zu bewahren, daß er den Leib als etwas Böses, als Ursache der Sünde, als einen Feind und Widersacher verabscheue. Merkt auf, wie er diesem Argwohn zuvorkommt: dadurch zunächst, daß er sagt: „Wir seufzen, sehnlich verlangend, über- kleidet zu werden mit unserer Wohnung, die aus den Himmeln ist.“ Denn wer über- kleidet wird, der zieht wirklich über das Eine noch ein Anderes, ein Zweites an. Dadurch ferner, daß er sagt: „Wir seufzen belastet, weil wir nicht wollen entkleidet werden, sondern sehnlich verlangend, überkleidet zu werden.“ Was er damit sagen will, ist etwa Dieses: Wir wollen uns nicht des Fleisches entledigen, sondern der Verweslichkeit, nicht des Leibes, sondern des Todes. Ein Anderes ist der Leib, ein Anderes die Verweslichkeit; ein Anderes der Leib, ein Anderes der Tod. Weder fällt der Leib mit der Verweslichkeit noch die Verweslichkeit mit dem Leibe in Eins zusammen. Verweslich ist der Leib, aber nicht Verweslichkeit; sterblich ist der Leib, er ist nicht der Tod. Vielmehr ist der Leib ein Werk Gottes; Verweslichkeit und Tod dagegen sind erst durch die Sünde entstanden. Was mir fremd ist, sagt Paulus also, dessen will ich mich entkleiden, nicht dessen, was mir eigen ist. Ein Fremdes ist uns aber nicht der Leib, sondern die Verweslichkeit. Deßhalb sagt er: Weil wir nicht wollen entkleidet werden — nämlich des Leibes — sondern über- kleidet werden — mit der Unverweslichkeit über dem Leibe. Der Leib liegt nämlich gleichsam in der Mitte zwischen Verweslichkeit und Unverweslichkeit. Er wird also der Verweslichkeit entkleidet und überkleidet mit Unverweslichkeit. Er wirft ab, was er durch die Sünde bekommen, und nimmt in Besitz, was die Gnade Gottes gegeben hat. Damit ihr nun recht einsehet, daß er nicht des Leibes, sondern der Verweslichkeit und des Todes entkleidet werden will, hört nur, was gleich darauf folgt. Nachdem er gesagt hat: „Wir wollen nicht entkleidet, sondern überkleidet werden,“ sagt er nicht etwa so: damit der Leib verschlungen werde von der Leiblosigkeit; sondern — wie sagt er? „Damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben,“ d. h. damit es vergehe, zerstört werde. So redet er denn keineswegs von einer Zerstörung des Leibes, sondern des Todes und der Verweslichkeit. Denn das Leben, das alsdann beginnen soll, wird nicht den Leib zerstören oder verzehren, sondern was sich dem Leibe später angehängt hat: Verweslichkeit und Tod. Der Apostel seufzt also nicht wegen des Leibes, sondern wegen der Verweslichkeit, mit welcher der Leib behaftet ist. Denn daß der Leib uns beschwerlich, daß er uns eine drückende Last ist, Das rührt nicht von seiner Natur, sondern von der Sterblichkeit her, die ihm später eigen geworden ist. Doch ist der Leib im Grunde nicht verweslich, sondern unverweslich. Denn er ist von so edler Art, daß selbst in der Verweslichkeit seine eigentliche Würde zu Tage tritt. Haben doch die Schatten der Apostel selbst mächtige Geister in die Flucht geschlagen! Ihr Staub, ihre Asche hat den Teufel besiegt, und die Kleider, welche sie an ihrem Leibe getragen hatten, haben Krankheiten vertrieben und die Gesundheit hergestellt.

Versuche dagegen nur Niemand einen Einwand zu erheben durch den Hinweis auf Schleim und Galle, Schweiß und Unreinigkeit und die andern Dinge, von denen die Ankläger des Leibes so gern reden. Denn Das gehörte nicht zur Natur des Leibes, sondern zur Verweslichkeit, die erst später über ihn kam. Willst du aber seine Vorzüge kennen lernen, dann betrachte einmal die Gestaltung aller einzelnen Glieder, ihre Formen, ihre Kräfte, und sieh, wie schön sie zu einander passen. Dann wirst du finden, daß unter ihnen eine solche Ordnung, so genaue und richtige Verhältnisse obwalten, wie man sie in einer noch so gut verwalteten und von lauter Philosophen bewohnten Stadt nicht antreffen würde. Wenn man aber daran hartnäckig vorbeieilt und nur das Verwesliche und Sterbliche hervorkehrt, nun auch dann sind wir nicht verlegen, unsern Glauben zu vertheidigen. Daß nämlich diese Beschaffenheit des Leibes für das Menschengeschlecht durchaus nicht von Schaden, sondern vielmehr von großem Nutzen ist, geht aus folgender Erwägung hervor. Alle Heiligen haben, während sie in diesem Fleische wandelten, jenes engelgleiche Leben geführt, und aus seiner Verweslichkeit ist ihnen bei der Übung der Tugend nicht der geringste Nachtheil erwachsen. Von der andern Seite aber hatten Diejenigen, die der Gottlosigkeit nachgingen, gerade in dieser Verweslichkeit ein nicht geringes Hinderniß, das ihnen einen weitern Fortschritt in der Bosheit verwehrte. Denn haben nicht viele Menschen, obgleich mit diesem verweslichen und leidensfähigen Leibe bekleidet, sich eingebildet, Gott gleich zu sein, und viele Mühe aufgeboten, sich mit dem Glanze der Gottheit zu umgeben? Wenn sie nun nicht einen leidensfähigen und verweslichen Leib gehabt hätten, der sie ihrer Schwachheit überführte, würden sie dann nicht alle Unverständigen getäuscht haben?

Ist demnach diese Beschaffenheit des Leibes für die Bestrebungen der Gottlosigkeit, welche der Gipfel aller Bosheit ist, offenbar ein Hinderniß, und gibt sie ferner den Heiligen Gelegenheit, die Stärke ihrer Seele zu bewähren, wahrlich, dann verdienen die Tadler und Lästerer des Leibes keinerlei Entschuldigung. Und Das ist nicht Alles, was ich darüber zu sagen hätte; ich kann auch darauf hinweisen, daß der Leib uns die Kenntniß Gottes vermittelt. Denn wenn sein [Gottes] Unsichtbares seit der Schöpfung der Welt durch das Geschaffene wahrgenommen und angeschaut wird, und wenn der Glaube vom Hören kommt, dann ist wohl klar, daß die Seele gleichsam durch die Augen und Ohren zur Kenntniß Gottes, der sie erschaffen hat, geführt wird. Darum liebt Paulus den Leib und ruft und verkündigt: Wir wollen ihn nicht ausziehen, sondern über ihn anziehen die Unsterblichkeit.

Sage mir Niemand: Wie kann denn der Leib wieder auferstehen und unverweslich werden? Denn wenn die Macht Gottes wirkt, dann soll uns das Wie keine Sorge machen. Doch warum rede ich nur von der Macht Gottes? Dir selbst, o Mensch, hat er die Macht gegeben, eine Auferstehung zuwege zu bringen. Das zeigt sich bei der Bestellung der Saaten, beim Betrieb der Künste und bei der Behandlung der Metalle. Wenn nicht das Samenkorn zuvor stirbt, verfault und zergeht, so gebiert es keine Ähre. Sieht man nun, daß das Korn verwes’t und sich auflöst, so zweifelt man deßhalb nicht an seiner Auferstehung; im Gegentheil, gerade darin sieht man für die Auferstehung eine sichere Bürgschaft. Denn wenn das Korn nicht verwes’t und verfault, so wird es niemals auferstehen. Ebenso denke auch über deinen Leib! Siehst du die Verweslichkeit, dann besonders denke an die Auferstehung. Denn der Tod ist nichts Anderes als die vollständige Zerstörung der Ver- weslichkeit. So ist es: der Tod verzehrt nicht eigentlich den Leib, sondern nur die Verweslichkeit des Leibes. — Bei den Metallen trifft Dasselbe zu, wie man leicht sehen kann. Die goldhaltige Erde wird von kundigen Leuten gesammelt und in den Schmelzofen gebracht: so erzielen sie reines Gold. Sie mischen Sand und andere Substanzen und machen daraus reines Glas. Was meint ihr nun, soll die Gnade Gottes nicht vermögen, was die Kraft des Feuers zu Stande bringt? Niemand, der auch nur ein wenig Verstand hat, wird Das behaupten wollen. Bedenke doch, wie er dich im Anbeginn erschaffen hat, und dann zweifle nicht mehr an der Auferstehung! Hat er den menschlichen Leib nicht aus Erde gebildet? Was ist denn schwerer, aus Erde den ganzen Leib zu erschaffen, also Fleisch, Adern, Haut, Knochen, Muskeln, Sehnen, Arterien, die Sinneswerkzeuge und die einfachen Glieder, Augen, Ohren, Nase, Füße und Hände, und jedes einzelne mit seinen Kräften und Fähigkeiten auszurüsten, den besondern sowohl als den allgemeinen, oder aber den verweslich gewordenen Leib unsterblich zu machen? Siehst du nicht, daß bezüglich der Kräfte, Farben, Substanzen und in jeder Beziehung die Erde nur von einer Art, der Leib aber vielerlei und mannigfach ist? Wie kannst du also an dem Zukünftigen zweifeln? — Und warum rede ich nur von der Schöpfung der Leiber? Wie hat Gott denn die unzähligen geistigen Mächte, die Heerschaaren der Engel, die Erzengel und die noch höhern Ordnungen der Himmelsbewohner erschaffen? Sage es mir, wenn du kannst. Ich kann dir die Art und Weise seines Schaffens nicht beschreiben; aber ich weiß, daß sein Wollen schon genügte. Der nun so große Heere von unkörperlichen Wesen geschaffen hat, soll Der nicht einen verwes’ten Menschenleib wieder neu umschaffen und auf eine höhere Stufe des Daseins erheben können? Wer ist so unverständig, daß er daran zweifeln und also die Auferstehung leugnen möchte? Denn wenn der Leib nicht aufersteht, wird auch der Mensch nicht auferstehen. Ist doch der Mensch nicht Seele allein, sondern Seele und Leib. Wenn also die Seele allein aufersteht, dann wird das Menschenwesen nur zur Hälfte und nicht in seiner Ganzheit auferstehen. Übrigens aber kann von einer Auferstehung der Seele im eigentlichen Sinne nicht einmal die Rede sein. Denn auferstehen kann nur, was darniederliegt, was aufgelös’t ist; die Auflösung trifft aber nicht die Seele, sondern den Leib. — Was bedeutet aber Dieses. „Wenn wir anders bekleidet und nicht nackt erfunden werden?“ Hier wird uns ein großes, unaussprechliches Geheimniß angedeutet. Was ist das denn für ein Geheimniß? Dasselbe, von dem er auch in dem [ersten] Briefe an die Korinther redet, wo er sagt: „Wir werden alle auferstehen, aber Jeglicher in der ihm zukommenden Ordnung.“ Das soll heissen: Auch die Heiden, Juden und Ketzer, kurz alle Menschen, die in diese Welt gekommen sind, werden an jenem Tage auferstehen. Dasselbe lehrt der Apostel in den Worten: „Alle werden wir zwar nicht entschlafen, aber alle verwandelt werden in einem Moment, in einem Augenblicke, bei der letzten Posaune.“

Ist also die Auferstehung eine ganz allgemeine und den frommen wie den gottlosen, den bösen wie den tugendhaften Menschen gemeinsam, so darf man daraus keineswegs auf ein ungerechtes Gericht schließen wollen. Du darfst also nicht zu dir selber sagen: Was ist denn Das? Ich, der rechtschaffene Mann, der so viel gearbeitet und gelitten hat, ich werde auferstehen — und der Heide, der Gottlose, der Götzendiener, und wer Christum gar nicht gekannt hat, die werden auch gleichermaßen auferstehen und der gleichen Ehre theilhaftig werden? Damit du nicht also denkest und nicht in Verwirrung gerathest, höre, was Paulus sagt: „Wenn wir anders bekleidet und nicht nackt erfunden werden.“ Aber wie ist Das möglich, wendet man ein, daß Jemand nackt erfunden wird, der doch mit Unverweslichkeit und Unsterblichkeit bekleidet ist? Wie Das möglich ist? Wenn wir der Ehre [in Gottes Augen] ermangeln und der Freundschaft mit ihm beraubt sind. Denn auch die Leiber der Sünder werden als unverwesliche und unsterbliche auferstehen, aber diese Ehre wird an ihnen ein Mittel zur Strafe und Züchtigung; denn als unverwesliche werden sie auferstehen, um ewig zu brennen. Weil nämlich jenes Feuer unauslöschlich ist, darum gehören dazu auch Leiber, die nie vom Feuer verzehrt werden. Deßhalb heißt es: „Wenn wir anders bekleidet, nicht nackt erfunden werden.“ Denn nicht darum allein handelt es sich, daß wir auferstehen und Unsterblichkeit anziehen, sondern daß wir nach der Auferstehung, und bekleidet mit Unsterblichkeit, nicht von Ehre und Freundschaft mit Gott entblößt erfunden werden, damit wir nicht dem Feuer überliefert werden. Deßhalb sagt er: „Wenn wir anders bekleidet, nicht nackt erfunden werden.“

Was jetzt folgt, soll die Lehre von der Auferstehung noch glaubwürdiger machen. Nachdem Paulus nämlich gesagt hat, daß das Sterbliche von dem Leben verschlungen werde, fügt er hinzu: „Der uns aber eben dazu erschaffen hat, ist Gott.“ Der Sinn seiner Worte ist dieser: Von Anfang an hat er den Menschen nicht dazu gebildet, daß er vernichtet werde, sondern, daß er zur Unverweslichkeit fortschreite. Deßhalb war es auch, indem er den Tod zuließ, seine Absicht, daß du durch die Strafe zur Einsicht kommen, daß du dich bessern solltest und wieder zur Unsterblichkeit gelangen könntest. Gleich von Anfang an war diese Absicht, dieser Rathschluß bei Gott dem Herrn von entscheidender Wichtigkeit; Das war schon sein Beschluß, als er den ersten Menschen erschuf. Das hat er uns gleich an der Schwelle der Geschichte schon zu verstehen gegeben. Denn hätte er uns nicht von Anbeginn an die Thür öffnen wollen, durch die wir zur Unsterblichkeit eingehen sollten, dann hätte er damals den Abel nicht erleiden lassen, was er wirklich erlitten hat; denn Abel war mit allen Tugenden ausgestattet und war ihm lieb geworden. Aber Gott wollte uns zeigen, daß wir auf der Wanderung zu einem andern Leben begriffen sind, daß es noch eine andere Welt gibt, in welcher für die Gerechten die Belohnungen und die Siegeskränze hinterlegt sind. Darum ließ er den ersten Gerechten von dieser Erde scheiden, ohne ihm hienieden den Lohn für seine Mühen entrichtet zu haben. Gerade durch sein hartes Geschick ruft dieser Mann allen Menschen zu: Es gibt nach diesem Erdenleben eine Vergeltung, Belohnung und Entschädigung. Darum hat Gott auch den Henoch hinweggenommen und den Elias entrückt, um uns die Wahrheit von der Auferstehung nahe zu legen.

Es reicht nun zwar die Schöpfermacht Gottes hin, um uns über diese Wahrheit volle Sicherheit zu geben. Wenn aber Jemand schwach im Glauben ist und einen andern Beweis, ein Unterpfand für die zukünftige Auferstehung begehrt, — nun, auch Das hat uns der Herr mit großer Freigebigkeit zur Verfügung gestellt, und zwar durch reichliche Ausgießung der Gnaden des heiligen Geistes. Das ist es auch, was Paulus jetzt erwähnt. Nachdem er die Lehre von der Auferstehung begründet hat durch den Hinweis auf die Auferstehung Christi und durch den Hinweis darauf, daß Gott es ist, der sie bewirkt, fügt er auch dieses Wort noch hinzu: „Denn er hat uns auch ein Pfand gegeben, nicht in Geld, in Gold oder Silber, sondern das Pfand des Geistes.“ Das Pfand aber [eigentlich: Angeld] ist ein Theil des Ganzen und gibt Sicherheit für das Ganze. So wie man im Handelsverkehr nach Empfang des Angeldes auch fest darauf rechnet, das Ganze zu erhalten, ebenso darfst auch du, nachdem du in den Gnadengaben des heiligen Geistes das Angeld empfangen hast, jene Güter nicht mehr in Zweifel ziehen, welche uns hinterlegt sind. Der du Gestorbene auferweckest, Blinde heilest, Teufel austreibst, Aussätzige reinigst, Krankheiten vertreibst, die Fesseln des Todes lösest, und zwar in deinem hinfälligen, sterblichen Leibe so großartige Dinge zu wirken vermagst: wie darfst du noch an der Auferstehung zweifeln? Dann wärest du in der That nicht zu entschuldigen. Denn wenn uns Gott schon jetzt, noch ehe die Zeit der Vergeltung gekommen ist, noch während unseres Kampfes mit solchen Siegeskronen belohnt: was für Herrlichkeiten wird er dir dereinst verleihen, wenn die Kampfpreise vertheilt werden! Wenn mir aber Jemand einwenden sollte: Wir sehen gar nicht, daß jetzt diese Wunder geschehen, und wir besitzen eine so große Macht nicht, — dann möchte ich zur Antwort geben, daß es Nichts verschlägt, ob Das alles jetzt geschieht oder in frühern Zeiten geschehen ist. Daß nämlich diese Wunder vor Zeiten von den Aposteln gewirkt worden sind, Das bezeugen die Kirchen auf der ganzen Welt, die Völker, Städte und Nationen, welche zu den ungebildeten Fischern hingeeilt sind. Diese ungelehrten, armen, ganz mittellosen und gewöhnlichen Männer hätten wahrlich die Welt nicht erobert, wenn die Wunder ihnen nicht geholfen hätten.

Übrigens fehlen auch dir die Gnaden des heiligen Geistes nicht. Auch jetzt sind von diesen Geschenken noch viele Wahrzeichen zu finden, die weit großartiger und wunderbarer sind als selbst diejenigen, die ich eben aufgezählt habe. Denn nicht auf gleicher Linie steht die Auferweckung eines Todten mit der Rettung einer in Sünden erstorbenen Seele aus diesem Verderben — und so geschieht es durch die Taufe. Es ist ein geringeres Werk, leibliche Krankheiten zu vertreiben, als die Last der Sünden abzulegen. Es ist etwas Kleineres, ein blindes Auge zu öffnen, als eine umdüsterte Seele mit Licht zu erfüllen. Wenn wir nicht auch jetzt noch das Pfand des Geistes besaßen, dann würde keine Taufe bestehen und keine Nachlassung der Sünden, keine Rechtfertigung und Heiligung; wir würden weder der Kindschaft Gottes noch der heiligen Geheimnisse theilhaftig geworden sein; denn das geheimnißvolle Fleisch und Blut kommt ohne die Gnade des heiligen Geistes nimmer zu Stande. Wir hatten auch keine Priester gehabt; denn diese Weihe kann unmöglich ohne die Herabkunft des heiligen Geistes ertheilt werden. Noch viele andere Beweise für die Gnaden des heiligen Geistes ließen sich beibringen. Also besitzest denn auch du das Pfand des Geistes, du bist von dem Tode der Seele und von der geistigen Blindheit befreit und hast dem unreinen Lebenswandel entsagt. Haben wir also ein so herrliches Unterpfand erhalten, so läßt uns auch Das, was in Zukunft unser wartet, nicht in Zweifel ziehen! Laßt uns vielmehr, nachdem wir allenthalben die Lehre von der Auferstehung bewährt gefunden haben, auch ein Leben führen, das dieser Wahrheiten würdig sei, damit wir auch in den Besitz jener unverlierbaren Güter gelangen, die über alle menschlichen Vorstellungen und Begriffe erhaben sind. Möchten wir doch alle dieser Güter theilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Durch ihn und mit ihm sei Ehre dem Vater und zugleich dem heiligen Geiste in alle Ewigkeit. Amen.

Ueber die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus

 

Einleitung

Inhalt.

 

Übersetzt von Joh. Chrysostomus Mitterrutzner, Direktor des Gymnasiums in Brixen.

Die Homilie entwickelt das tiefe Verderben, in welches der Mensch gestürzt war, und die hohe Würde, zu welcher ihn der Herr erhob. Um die Größe der Erhöhung recht anschaulich zu machen drängt der Redner die Stellen der heiligen Schrift, die von der Niedrigkeit des Menschen handeln, zusammen, von der Stelle bei Isaias, die den Menschen unter die Thiere setzt, bis zum Ausspruche des Johannes, der sie Kinder des Teufels nennt. Darauf spricht er von der Ursache, warum ein Engel nach der Himmelfahrt Christi den Jüngern erschien, nämlich um sie zu trösten und von der Auffahrt Christi in den Himmel zu überzeugen. Am Schlusse erinnert er an die Wiederkunft Christi und die Seligkeit der Auserwählten.

Text

 

Ueber die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus, gehalten im Martyrium zu Romanesia, wo die Leiber der Martyrer neben den Leichen der Ketzer begraben lagen, nun aber die Ersteren (durch den Bischof Flavian) erhoben und auf einem erhöhten Platze beigesetzt worden. Als wir das Andenken des Kreuzes feierten, begingen wir das Fest auch ausser der Stadt; da wir jetzt die Himmelfahrt des Gekreuzigten feiern, begehen wir diesen glorreichen und hell leuchtenden Festtag wiederum ausser der Stadt. Dieß thun wir aber nicht, als gedächten wir die Stadt zu mißachten, sondern weil wir uns die Märtyrer zu ehren bestreben. Denn damit diese Heiligen uns nicht beschuldigen und sagen: „Wir wurden nicht gewürdigt, einen Tag des Herrn in unsern Hütten feiern zu sehen;“ damit sie uns nicht den Vorwurf machen und sprechen: „Wir haben unser Blut für ihn vergossen und sind gewürdigt worden, uns für ihn das Haupt abschlagen zu lassen; aber den Festtag an diesem unserm Orte begangen zu sehen, dessen wurden wir nicht für würdig erachtet;“ darum verließen wir die Stadt, eilten zu den Füßen dieser Heiligen her und entschuldigen uns beim heutigen Feste für die vergangene Zeit. Denn wenn es schon früher sich ziemte, zu diesen muthvollen und heiligen Kämpfern zu eilen, so ist es jetzt um so viel mehr unsere Pflicht, Dieses zu thun, da die Perlen nun besonders beigesetzt, die Schafe von den Wölfen getrennt und die Lebendigen von den Todten geschieden sind. Zwar brachte ihnen die Gemeinschaft der Beisetzung früher keinerlei Nachtheil; denn die Leiber Derjenigen, deren Seelen im Himmel sind, verlieren durch die Nähe Anderer Nichts, und den Überresten Derjenigen, deren Seele in der Hand Gottes ist, kann der Ort, wo sie liegen, nicht schaden: ihnen hat also Dieß auch früher keinen Schaden gebracht. Allein unser Volk hatte von dieser gemeinsamen Begräbnißstätte keinen gewöhnlichen Nachtheil. Es eilte zwar zu den Überresten der Märtyrer hin, betete aber mit Ungewißheit und Unsicherheit zu ihnen, weil es nicht wußte, wo die Gräber der Heiligen wären, und wo die wahren Schätze lägen. Und es erging ihnen gerade so, wie Schafheerden, welche zu reinen Brunnen zur Tränke geführt werden; sie gelangen zwar hin zum klaren Wasser, werden aber stutzig, wenn ihnen irgend aus der Nähe ein übler Geruch und Gestank entgegenkommt. So erging es auch diesen Schäflein. Das Volk ging zwar hin zu den reinen Quellen der Martyrer; allein da es den Gestank der nahen Leiber der Ketzer empfand, wurde es dadurch verwirrt. Da nun unser weiser Hirt und der allgemeine Lehrer, der Alles zur Erbauung der Kirche thut, Dieses bemerkte, konnte dieser eifrige Verehrer und Nachahmer der Martyrer diesen Nachtheil nicht langer gleichgiltig ansehen. Und was thut er? Betrachtet seine Weisheit! Er verschüttet und verstopft die unreinen, übelriechenden Quellen; die reinen der Martyrer bringt er an einen reinen und erhabenen Ort. Sehet, welche Liebe er gegen die Verstorbenen, welche Achtung er gegen die Martyrer und welche Sorgfalt er für das Volk an den Tag legt! Seine Liebe gegen die Verstorbenen zeigt er, indem er ihre Gebeine nicht wegschafft, sondern sie an dem Orte läßt, wo sie liegen; seine Verehrung gegen die Martyrer, indem er sie aus der schlechten Nachbarschaft wegnimmt; seine Sorge für das Volk, indem er die Leute nicht mehr im Zweifel läßt, wo sie ihre Gebete verrichten sollen. Deßwegen führten wir euch hieher, damit die Versammlung desto herrlicher und der Schauplatz, wo sich nicht nur Menschen, sondern auch Martyrer, nicht nur Martyrer sondern auch Engel versammeln, erhabener werde. Denn auch Engel sind zugegen; Engel und Martyrer versammeln sich heute. Willst du die Engel und Martyrer sehen, so öffne die Augen des Glaubens, und du wirst dieses Schauspiel erblicken. Wenn nämlich die ganze Luft mit Engeln erfüllt ist, um so viel mehr ist es die Kirche, und wenn die Kirche, um so viel mehr der heutige Tag, da ihr Herr in den Himmel aufgenommen wird. Daß aber die ganze Luft mit Engeln angefüllt ist, darüber höre, was der Apostel spricht, der befiehlt, daß die Frauen ihr Haupt verschleiern sollen: „Die Frauen sollen ein Oberherrschaftszeichen auf dem Haupte haben um der Engel willen.“ Ebenso sagt Jakob: „Der Engel, der mich erlöst hat von meiner Jugend auf.“ Und die mit den Aposteln in demselben Hause waren, sagten zu Rhode: „Es ist sein Engel.“ Und Jakob sprach: „Ich sah das Heerlager der Engel.“ Aber warum hat er das Heerlager und die Schaaren der Engel auf Erden gesehen? Gleichwie nämlich ein König seine Besatzungen in die einzelnen Städte verlegt, damit etwa nicht ein barbarischer Feind komme und die Städte berenne: so stellt auch Gott den bösen Geistern, die ebenfalls in der Luft sind, diesen wilden und grausamen Gegnern, die stets Krieg erregen und Feinde des Friedens sind, die Schaaren der Engel entgegen, damit, sobald sich jene nur zeigen, sie dieselben vertreiben und uns beständig den Frieden erhalten. Und damit du weißt, daß sie Engel des Friedens sind, so höre, wie die Diakonen immer in den Gebeten sprechen: „Bittet den Engel des Friedens!“ Siehst du, daß Engel und Martyrer zugegen sind? Wer ist nun schlimmer daran als Die, welche heute abwesend sind? Und wer ist glücklicher als wir, die wir hieher gekommen sind, um an dieser Feier Antheil zu nehmen? Von den Engeln aber wollen wir zu einer andern Zeit reden, dagegen aber auf den Gegenstand des heutigen Festes übergehen.

Was ist nun das für ein Fest? Es ist ein großes und herrliches Fest, meine Geliebten, das den menschlichen Verstand übersteigt, würdig der großen Freigebigkeit Dessen, der es geschaffen. Denn heute ist das Menschengeschlecht mit Gott ausgesöhnt, heute die lange Feindschaft beendigt worden und der langwierige Krieg zum Abschluß gekommen; ein bewunderungswürdiger Friede, ein Friede, den wir früher nie zu hoffen gewagt, ist wiedergekehrt. Denn wer hätte wohl Hoffnung gehabt, daß sich Gott je mit dem Menschen wieder versöhne? Nicht, weil der Herr hart, sondern weil der Knecht träge, nicht, weil der Herr grausam, sondern weil der Knecht hartnäckig war. Willst du wissen, wie wir diesen unsern menschenfreundlichen und liebevollen, Gott beleidiget haben? Denn es ist billig, den Grund der frühern Feindschaft gegen uns kennen zu lernen, damit, wenn du siehst, daß wir, seine Feinde und Gegner, wieder zu Ehren gekommen, du die Güte dessen bewunderest, der uns zu Ehren gebracht, und damit du nicht wähnest, diese Veränderung sei aus eigenem Verdienste geschehen, sondern damit du, wenn du seine überschwängliche Gnade erkennst, nimmermehr aufhörest, ihm für die Größe der Gaben fortwährend zu danken. Willst du also wissen, wie wir unsern liebevollen, gütigen und freundlichen Herrn, der Alles zu unserm Heile einrichtet, gegen uns aufgebracht haben? Gott beschloß einmal, unser ganzes Geschlecht zu vertilgen; er war gegen uns so sehr erzürnt, daß er uns sammt Weibern, Kindern, wildem und zahmem Gethier und sammt der ganzen Erde ausrotten rollte. Wenn du willst, so lasse ich dich seinen eigenen Ausspruch vernehmen: „Ich will,“ spricht er, „den Menschen, den ich geschaffen, von dem Angesichte der Erde sammt dem Gethier und den Rindern vertilgen; denn es reut mich, ihn erschaffen zu haben.“ Damit du erkennest, daß Gott nicht unsre Natur haßt, sondern nur die Bosheit verabscheut, so spricht der, welcher sagt: „Ich will den Menschen vom Angesichte der Erde vertilgen,“ zu dem Menschen: „Die Zeit (das Ende) aller Menschen ist vor mich gekommen.“ Denn würde er den Menschen hassen, so würde er sich nicht mit dem Menschen bereden; nun aber siehst du, daß er seine Drohung nicht ausführen wollte, sondern daß sich der Herr vor dem Knechte entschuldigt, sich mit ihm wie mit einem geehrten Freunde bespricht und ihm die Gründe anführt, warum er das Menschengeschlecht untergehen lassen will, nicht damit der Mensch sie bloß wisse, sondern sie auch Anderen mittheile und sie so zur Vernunft bringe. Aber wie gesagt, unser Geschlecht wandelte früher so schlimm, daß es selbst die Erde zu verlieren in Gefahr stand; und dennoch wurden wir, die wir der Erde unwürdig waren, heute in den Himmel erhoben; die wir nicht einmal der Herrschaft hienieden werth sind, steigen heute zum Himmel empor, ja selbst über den Himmel hinauf und nehmen dort den Herrscherthron ein, und die Kreatur, um deren willen die Cherubim das Paradies bewachten, sitzt heute über dem Cherubim. Aber wie geschah denn dieses gewaltige Wunder? Wie sind doch wir Sünder, die der Erde unwürdig schienen, die wir der Herrschaft hienieden verlustig gegangen, zu einer solchen Höhe gelangt? Wie ist der Krieg beigelegt, wieder Zorn besänftiget worden? Wie denn? Das ist nämlich das Staunenswerthe, daß nicht wir, die wir mit Unrecht Gott zürnten, sondern daß Gott, der mit Recht gegen uns erbost war, uns zu sich lud und so den Frieden bewirkte. „Wir sind Gesandte an Christi Statt, als ermahnete Gott durch uns.“ Wie? Er ist der Beleidigte und ladet uns ein? Ja; denn er ist Gott, und darum ladet er uns ein als liebvoller Vater. Aber schau, was geschieht! Der Vermittler des einladenden Gottes ist dessen Sohn, nicht ein Mensch, nicht ein Engel, nicht ein Erzengel, nicht irgend Einer der Knechte. Und was thut der Vermittler? Das, was seines Amtes ist. Wie nämlich zwischen zwei, die sich einander anfeinden und nicht vereinigen wollen, ein Dritter dazwischentritt und durch seine Vermittlung die Feindschaft der beiden Anderen hebt: so hat es auch Christus gemacht. Gott war über uns erzürnt; wir hatten Gott, dem liebevollen Herrn, den Rücken gekehrt: Christus trat als Vermittler dazwischen und versöhnte Beide. Aber wie machte er sich denn selbst zum Vermittler? Er übernahm die Rache des Himmels und duldete die Schmach der Menschen. Willst du wissen, wie er Beides auf sich nahm? „Christus,“ heißt es, „hat uns erlöst vom Fluche des Gesetzes, da er für uns zum Fluche geworden.“ Siehst du, wie er sich dem von Gott gefällten Strafurtheil unterzog? Siehe nun auch, wie er die angedrohte Schmach von den Menschen auf sich nahm! „Die Schmähworte Derer, die dich schmähen,“ heißt es, „fallen auf mich.“ Siehst du, wie er die Feindschaft gehoben? wie er nicht eher geruht, als bis er Alles gethan und geduldet und sich eifrig bemüht hat, um den Feind und Widersacher Gottes mit Gott zu versöhnen und ihm denselben zum Freunde zu machen? Der heutige Tag ist es, der uns diese Güter gebracht hat. Denn wie Christus die Erstlinge unserer Natur angenommen hat, so gab er sie auch dem Herrn wieder; und was auf dem Kornfelde geschieht, wenn Jemand wenige Ähren nimmt, eine kleine Garbe daraus macht, sie Gott darbringt und wegen dieser geringen Gabe das ganze Feld segnet, Das hat auch Christus gethan: mit seinem Leibe allein, mit diesem Erstlingsopfer hat er unserm Geschlechte den Segen gebracht. Aber warum brachte er nicht die ganze Natur dar? Weil man nicht Erstlinge darbringt, wenn man das Ganze darbringt: wohl aber verschafft man, wenn man dem Herrn nur Weniges opfert, durch dieses Wenige dem Ganzen den Segen. „Wenn Erstlinge dargebracht werden sollten,“ könnte man sagen, „so hatte man den ersten erschaffenen Menschen selbst opfern sollen; denn Erstlinge sind, was zuerst keimt, was zuerst sproßt.“ Das sind keine Erstlinge, meine Geliebten, wenn wir die erste verdorbene und schwache Frucht opfern, sondern wenn wir die vollkommene darbringen. Weil nun jene Frucht — der erste Mensch — der Sünde Unterthan war, so wurde sie nicht dargebracht, wenn sie auch die erste war; diese aber — Christus — war frei von der Sünde, darum wurde sie auch, obgleich später geboren, geopfert. Das sind Erstlinge.

Und damit du einsehest, daß nicht die erste hervorbrechende, sondern die vollkommene und edle Frucht, die zur völligen Reife gelangt ist, Erstlinge heissen, so will ich dir Dieß aus der Schrift beweisen. „Wenn du in ‘s Land der Verheissung kommst,“ sagt Moses zum Volke, „welches der Herr, dein Gott, dir gibt, und wenn du daselbst allerlei Fruchtbäume pflanzest, so sollst du die Frucht drei Jahre lang für unrein halten, im vierten Jahre aber soll die Frucht dem Herrn geheiliget sein.“ Wenn die Früchte, die zuerst wachsen, Erstlinge wären, so hätten die Früchte des ersten Jahres heilig sein sollen. Nun aber heißt es: Drei Jahre sollst du sie für unrein halten, weil der Baum noch schwach und kraftlos und die Frucht unvollkommen ist. Die Frucht des vierten Jahres, heißt es, sei dem Herrn geheiligt. Bemerke hier die Weisheit des Gesetzgebers: Er gestattet einerseits nicht, die Frucht zu genießen, damit sie Niemand vor dem Herrn empfange; er erlaubt andererseits wieder nicht, sie zu opfern, damit dem Herrn nichts Unvollkommenes dargebracht werde. Siehst du also, daß nicht Das, was zuerst an’s Tageslicht tritt, sondern Das, was vollkommen ist, Erstlinge sind?

Das haben wir wegen des Fleisches gesagt, das Christus dargebracht hat; er hat also die Erstlinge unsrer Natur dem Vater geopfert, und der Vater staunte so sehr über das Opfer, theils wegen der Würde des Darbringenden, theils wegen der Trefflichkeit der Gabe, daß er sie mit eigenen Händen empfing, sie bei sich niederlegte und sagte: „Setze dich zu meiner Rechten.“ Zu welcher Natur hat Gott gesprochen: „Setze dich zu meiner Rechten“? Zu der, die einst das Wort gehört hatte: „Du bist Staub und wirst wieder zu Staub werden.“ War es denn nicht genug, in den Himmel zu steigen? in die Gesellschaft der Engel zu kommen? War nicht schon Dieß eine unaussprechliche Ehre? Sie stieg über die Engel hinauf, ging an den Erzengeln vorüber erhob sich über die Cherubim, stieg höher als die Seraphim, eilte an den himmlischen Mächten vorbei und hielt nicht eher den Lauf ein, als bis sie zum Throne Gottes gelangt war. Siehst du nicht, welch’ ein Raum zwischen dem Himmel und der Erde sich findet? Doch lasset uns von der Tiefe beginnen! Kennst du den Raum nicht zwischen Hölle und Erde? Von der Erde zum Himmel? Vom Himmel zum obern Himmel? von diesem zu den Engeln, Erzengeln, himmlischen Mächten, ja bis zum göttlichen Thron? Und diese ganze Weite und Höhe hinauf ist unsre Natur gestiegen. Schaue, wie tief sie gelegen, und wie hoch sie bestiegen. Das sagt Paulus deutlich: „Der hinuntergefahren ist, ist auch Derselbe, der aufgefahren ist.“ Und wie tief ist er hinuntergefahren? „In die untersten Theile der Erde, aufgefahren aber ist er über alle Himmel.“ Lerne, wer aufgefahren ist, welche Natur, wie sie vorher beschaffen gewesen! Denn ich verweile gerne bei der Niedrigkeit unsrer Natur, um ihre erstaunliche Erhöhung durch die Güte des Herrn desto mehr zu erkennen Staub und Asche waren wir; Das war noch keine Verschuldung, denn es war Das natürliche Schwachheit. Wir sind thörichter geworden als das unvernünftige Vieh; „denn der Mensch hat sich gehalten wie die unvernünftigen Thiere und ist ihnen gleich geworden.“ Das heißt aber sich unter die Thiere erniedrigen, wenn man ihnen gleich wird; denn von Natur unvernünftig sein und in dieser Unvernunft bleiben, ist natürlich; allein mit Vernunft begabt sein und dennoch zur Unvernunft herabsinken, Das ist Schuld der eigenen Wahl. Wenn du also hörst, daß der Mensch unvernünftigen Thieren gleich geworden sei, so wisse, daß der Prophet nicht sagen wollte, der Mensch sei den Thieren gleich, sondern er sei noch weniger als die Thiere. Wir sind noch schlimmer und unverständiger als die Thiere geworden, nicht allein, weil wir als Menschen so tief gefallen sind, sondern weil wir auch noch einen größeren Undank an den Tag gelegt haben. Das zeigt Isaias, wenn er sagt: „Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber erkennt mich nicht.“7 Doch verzagen wir nicht wegen des frühern Zustandes; denn „wie groß das Maaß der Sünde auch war, bewies sich dennoch die Gnade in noch größerem Maaße.“ Siehst du, daß wir unter diese Thiere gesunken? Willst du sehen, daß wir auch unvernünftiger als die Vögel gewesen? „Die Turteltaube und die Schwalbe und die Sperlinge des Feldes wissen die Zeit ihrer Ankunft, aber mein Volk hat meine Gerichte nicht erkannt.“ Sehet, wir waren unvernünftiger als Esel und Ochsen, ja selbst unvernünftiger als die Vögel: die Turteltaube und Schwalbe. Willst du an uns noch einen andern Stumpfsinn bemerken? Die Ameisen stellt er uns als Lehrmeister vor; so sehr hatten wir den natürlichen Verstand eingebüßt; denn es heißt: „Gehe hin zur Ameise und betrachte ihre Wege.“ Wir sind also Schüler der Ameisen geworden, wir — nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen! Aber nicht unser Schöpfer ist daran Schuld, sondern wir, die wir sein Ebenbild nicht bewahrt haben. Und was rede ich von Ameisen? Unempfindlicher noch als Steine sind wir geworden! Willst du, daß ich auch hiefür den Beweis erbringe? „Höret, ihr Berge und ihr Grundvesten der Erde, denn der Herr will Gericht halten gegen sein Volk.“ Du richtest die Menschen und nennest die Grundvesten der Erde? Ja freilich, sagt er: „denn die Menschen sind unempfindlicher als sie.“ Welches andere Maaß der Bosheit suchst du nun, wenn wir Menschen thörichter als Esel, unverständiger als Ochsen, unwissender als Schwalbe und Turteltaube, unvernünftiger als Ameisen, unempfindlicher als Steine — Schlangen gleich sind? „Ihr Wüthen,“ heißt es, „ist gleich dem Wüthen einer Schlange, Natterngift ist unter ihren Lippen.“ Was brauchen wir weiter von der Dummheit der Thiere zu sprechen, da wir sogar Kinder des Teufels genannt werden? „Ihr seid,“ heißt es, „Kinder des Teufels.“

Allein, so unempfindlich und undankbar, so thöricht und steinhart, so erniedrigt und aller Ehre beraubt, so ganz verworfen wir waren — wie soll ich sagen? wie sprechen? welchen Ausdruck soll ich gebrauchen? — unser nichtswürdiges Geschlecht, das thörichter war als Alles, ist heute über Alles erhoben worden. Heute haben die Engel erlangt, wornach sie sich lange gesehnt; heute haben die Erzengel gesehen, was sie schon lange zu sehen gewünscht: unsre Natur mit unsterblicher Glorie und Herrlichkeit angethan auf dem königlichen Throne erglänzen! Darnach hatten sich die Engel schon lange gesehnt, Das hatten die Erzengel schon lange gewünscht. Wenn wir auch größerer Ehre gewürdiget worden als sie, so freuten sie sich dennoch über unsre Erhöhung, sowie sie getrauert hatten über unsern Fall; denn wenn auch die Cherubim das Paradies bewachten, so empfanden sie doch Mitleid mit uns. Und wie ein Knecht seinen Mitknecht auf Befehl des Herrn in das Gefängniß wirft und denselben bewacht, aber aus Mitleid gegen den Mitknecht über den Vorfall Schmerzen empfindet: so hatten es die Cherubim zwar übernommen, das Paradies zu bewachen, aber bei der Bewachung Mitleid gefühlt. Um dir zu zeigen, daß sie Mitleid empfanden, will ich dir Das an dem Menschen klar machen. Denn wenn du siehst, daß Menschen gegen Mitmenschen Mitleid empfinden, so zweifle fürder ja nicht bei den Cherubim; denn diese Mächte lieben mehr als die Menschen. Welcher von den Gerechten trauerte nicht über die gerechte Bestrafung der Menschen nach ihren zahllosen Sünden? Denn Das ist das Wunderbare, daß sie die Sünden derselben kannten und wußten, daß sie den Herrn beleidiget hatten und dennoch trauerten. So sagte Moses nach der Abgötterei seines Volkes: „Wenn du ihnen die Sünden vergibst, so vergib sie ihnen; wenn aber nicht, so tilge mich aus dem Buche, das du geschrieben hast.“ Was ist Das? Du siehst die Gottlosigkeit und beklagst die Leiden des Volkes? Darüber klage ich, sagt er, einerseits daß sie gestraft werden, andererseits daß sie dem Herrn gerechte Ursache zur Strafe gegeben. So rief auch Ezechiel, als er den Engel das Volk austilgen sah, laut auf und erhob ein Klagegeschrei mit den Worten: „Ach, Herr, vertilgst du denn Alles, was in Israel übrig geblieben.“ Und Jeremias sagt: „Züchtige uns, o Herr, aber mit Schonung und nicht in deinem Grimme, auf daß du uns nicht bis auf gar Wenige aufreibest!“ Wenn also Moses und Jeremias und Ezechiel Mitleid empfanden, sollten diese himmlischen Mächte durch unser Elend nicht mehr gerührt worden sein? Und wie soll Das glaublich erscheinen? Daß sie unsre Anliegen als ihre eigenen betrachten, Das lerne aus der großen Freude, die sie empfanden beim Anblick, daß sich der Herr mit den Menschen versöhnt hat. Hätten sie vorher kein Mitleid gehabt, so hätten sie nachher keine Freude empfunden; daß sie sich aber freuten, erhellt aus den Worten Christi: „Es wird eine Freude sein im Himmel und auf Erden über einen Sünder, der Buße thut.“ Freuen sich aber die Engel, wenn sie nur einen reuigen Sünder erblicken, wie sollten sie nicht die größte Freude empfinden, wenn sie heute das ganze Menschengeschlecht durch den Erstling desselben in den Himmel gebracht sehen? Vernimm noch weiter die Freude der Engel über unsre Versöhnung mit Gott! Als nämlich unser Herr im Fleische erschien und die Engel sahen, daß er mit sich die Menschen versöhne (denn hätte er sich nicht versöhnen wollen, so wäre er ja nicht so tief herabgestiegen), als sie nun Das sahen, so versammelten sie sich in Heerschaaren auf der Erde und riefen mit lauter Stimme: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und Wohlwollen unter den Menschen.“ Und damit du siehst, daß sie darum Gott preisen, geben sie, nachdem die Erde ihre Güter erlangt, auch den Grund davon an: „Friede auf Erden,“ sagen sie, „und Wohlwollen gegen die Menschen die Feinde (Gottes), die Undankbaren.“ Du siehst, daß sie Gott preisen, weil er Andern Gutes erweist, als wäre es ihnen geschehen; denn unser Glück halten sie für ihr Glück. Willst du wissen, daß sie sich freuten, daß sie frohlockten, den Herrn auffahren zu sehen? Höre, was Christus selbst sagt: „Sie steigen beständig auf und nieder.“ Das thun aber Die, welche ein ungewöhnliches Schauspiel zu sehen verlangen. Woher wissen wir, daß sie auf- und absteigen? Höre, was Christus selbst sagt: „Von nun an werdet ihr den Himmel offen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen sehen auf des Menschen Sohn;“ denn Das ist bei den Liebenden Brauch: sie warten nicht, bis die Zeit kommt, sondern sie kommen der Zeit mit ihrer Freude zuvor. Deßwegen steigen sie herab voll Begierde, ein neues und ungewöhnliches Schauspiel, einen Menschen im Himmel erscheinen zu sehen. Darum zeigen sich überall Engel sowohl bei Christi Geburt, als bei seiner Auferstehung, wie heute bei seiner Himmelfahrt. „Siehe,“ heißt es, „da standen zwei Männer in glänzender Kleidung“ (durch die Kleider zeigten sie ihre Freude an) und sprachen zu den Jüngern: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen worden in den Himmel, wird wieder kommen, wie ihr ihn gen Himmel fahren gesehen habt.“

Hört mir nun aufmerksam zu! Warum sprachen sie also? Hatten denn die Jünger keine Augen? Hatten sie denn nicht gesehen, was da geschah? Sagt nicht der Evangelist, daß er vor ihren Augen aufgenommen wurde? Warum standen denn die Engel und belehrten sie, daß er in den Himmel aufgefahren sei? Aus folgenden zwei Gründen. Einmal, weil die Jünger traurig waren über den Weggang Christi. Daß sie aber traurig waren, darüber höre, was Christus zu ihnen gesagt. „Niemand aus euch fragt mich: wo gehst du hin? sondern weil ich Solches zu euch geredet habe, hat euer Herz Trauer erfüllt.“ Wenn wir von Freunden und Verwandten getrennt werden, so fällt uns schon die Trennung von ihnen schwer. Wie sollten nun die Jünger nicht von großer Trauer erfaßt worden sein, als sie ihren Erlöser, ihren Lehrer und Hort, diesen liebevollen, freundlichen und gütigen Herrn von sich scheiden sahen? Mußten sie nicht vom heftigsten Schmerz erfüllt sein? Darum stand der Engel bei ihnen; er sollte den Schmerz über den Weggang des Herrn lindern durch die Versicherung seiner Wiederkunft. „Denn dieser Jesus,“ heißt es, „der von euch aufgenommen worden ist gen Himmel, wird ebenso wieder kommen.“ Es schmerzt euch, daß er hinweggenommen wurde, aber trauert nicht; denn er wird wieder kommen. Damit sie es nicht machten, wie es Elisäus gemacht, der, als er seinen Meister auffahren sah, sein Kleid zerriß (denn es stand Niemand neben ihm, der sagte, daß Elias wieder komme); damit sie also nicht Dasselbe thäten, darum standen die Engel bei ihnen, um sie in ihrer Trauer zu trösten.

Das ist die eine Ursache der Gegenwart der Engel; die andere ist nicht geringer als diese, weßwegen der Engel auch beifügt: „Er ist aufgenommen worden.“ Was ist nun das für eine Ursache? „Er ist in den Himmel aufgenommen worden.“ Der Zwischenraum war aber groß, und die Kraft unserer Augen reichte nicht hin zu sehen, daß er in den Himmel aufgenommen wurde; sondern, wie ein Vogel, der in die Höhe fliegt, sich desto mehr unsern Augen entzieht, je höher er steigt: so wurde auch dieser Leib, je höher er stieg, desto mehr den Blicken entrückt, und die Schwäche der Augen konnte der unermeßlichen Weite nicht folgen. Darum standen die Engel da, um sie von dem Hingang in den Himmel zu belehren, damit sie nicht glaubten, er sei nach Art des Elias in die Höhe, sondern er sei in den Himmel gefahren. Deßwegen heißt es: „Er wurde von ihnen weggenommen in den Himmel.“ Nicht ohne Ursache steht dieser Beisatz. Elias wurde gleichsam in den Himmel erhoben, denn er war ein Knecht (Gottes); Jesus aber fuhr in den Himmel auf, denn er war der Herr, Jener auf einem feurigen Wagen, Dieser in einer Wolke. Als der Knecht von hier abberufen werden sollte, wurde ein Wagen geschickt; als aber der Sohn (in den Himmel zurückkehren sollte), ein königlicher Thron, ja nicht bloß ein königlicher Thron, sondern der Thron des Vaters selbst. Denn Isaias sagt vom Vater: „Siehe, der Herr sitzt auf einer leichten Wolke;“ weil also der Vater auf einer Wolke thront, so sendet er seinem Sohne auch eine Wolke. Als Elias gen Himmel fuhr, ließ er seinen Mantel auf Elisäus fallen; Jesus aber sandte nach seiner Auffahrt seine Gnadengaben auf die Jünger herab, welche nicht bloß einen Propheten machten, sondern tausend Elisäi, die weit größer und herrlicher waren als Dieser.

So wollen wir denn, Geliebte, wachsam sein und unsre Augen auf jene Wiederkunft richten. Denn auch Paulus sagt: „Er wird selbst beim Aufgebot und bei der Stimme des Erzengels herabkommen, und wir, die wir leben und übrig geblieben sind, werden in den Wolken in die Luft Christo entgegengerückt werden, aber nicht alle.“ Daß wir aber nicht alle werden entgegengerückt werden, sondern daß Einige noch unten verbleiben, Andere aber werden entgegengerückt werden, darüber höre, was Christus sagt: „Dann werden Zwei getroffen werden mahlend an der Mühle; die Eine wird aufgenommen, die Andere zurückgelassen;“ und: „Zwei werden in einem Bette sein; der Eine wird aufgenommen, der Andere zurückgelassen.“ Was will dieses Räthsel sagen? Was bedeutet dieser geheimnißvolle Ausdruck? Die an der Mühle, Das sind Alle, die in Armuth und Dürftigkeit leben; durch die im behaglichen Bette bezeichnet er Alle, die in Überfluß und Ansehen leben. Um zu zeigen, daß auch von den Armen Einige gerettet werden, Andere verloren gehen, sagt er, daß auch von denen an der Mühle die Eine aufgenommen, die Andere zurückgelassen und von denen im Bette der Eine aufgenommen, der Andere zurückgelassen wird, und will damit sagen, daß die Sünder hier gelassen werden und ihre Strafe erwarten müssen, die Gerechten aber in die Wolken entrückt werden sollen. Denn wie beim Einzuge eines Königs Diejenigen, welche in Würden und Ansehen und bei ihm in besonderer Gunst stehen, ihm vor die Stadt entgegengehen, die Verbrecher und Verurtheilten aber im Gefängnisse bleiben und das Urtheil des Königs erwarten: so werden auch, wenn der Herr kommt, die Einen voll Vertrauen ihm in die Luft entgegenziehen, die Verdammten aber und die sich vieler Sünden bewußt sind, den Richter erwarten. Dann werden auch wir entrückt werden; ich sage: wir, nicht als ob ich mich unter die Zahl Derjenigen rechnete, die dann entrückt werden sollen; ich bin nämlich nicht so unverständig und thöricht, daß ich meine Sünden nicht wüßte; ja wenn ich nicht fürchtete, die Freude des heutigen Festes zu stören, so würde ich, dieses Ausspruchs gedenkend, bitterlich weinen und mir meine Sünden in’s Gedächtniß zurückrufen. Da ich aber die Freude des gegenwärtigen Festes nicht trüben will, so werde ich hier meine Rede beschließen und euch das lebhafte Andenken an diesen Tag einprägen, damit weder der Reiche sich seines Reichthumes rühme noch der Arme sich ob seiner Armuth für elend erachte, sondern Jeder nach seinem Gewissen Dieß oder Jenes vollbringe. Denn weder der Reiche ist glücklich noch der Arme Unglücklich, sondern glücklich, dreimal glücklich ist Der, und sollte er auch der Ärmste sein, der einst in die Wolken entrückt zu werden verdient; unglücklich, dreimal unglücklich ist aber Der, der Das nicht erlangt, und wäre er auch der Reichste von Allen. Deßwegen sage ich: Wir, die wir Sünder sind, sollen uns selber beweinen; Diejenigen aber, die tugendhaft leben, sollen vertrauen, ja nicht nur vertrauen, sondern sich auch künftighin sichern; die Sünder aber sollen nicht nur Thränen vergießen, sondern sich auch bessern; denn es kann auch der Lasterhafte, wenn er vom Sündigen abläßt und sich der Tugend zuwendet, Denen gleich werden, die von Anfang an fromm gelebt haben. Dieß wollen auch wir mit Eifer vollbringen. Die sich eines rechtschaffenen Wandels bewußt sind, mögen in Frömmigkeit aushalten, dieß ihr schönes Besitzthum vergrößern und diesem frühern Vertrauen einen Zuwachs verschaffen. Wir aber, die wir Ursache haben zu zagen und uns vieler Sünden bewußt sind wir wollen uns bessern, auf daß auch wir ein solches Vertrauen, wie Jene, gewinnen und so gemeinschaftlich und einmüthig den König der Engel mit gebührender Ehre aufnehmen und jener seligen Wonne genießen in Jesus Christus unserm Herrn, dem Ehre und Macht sei zugleich mit dem Vater und dem heiligen Geiste, jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Erste Homilie auf das Pfingstfest

 

Einleitung

Inhalt.

Übersetzt von Dr. Joh. Chrysostomus Mitterrutzner. Direktor des Gymnasiums in Brixen.

Chrysostomus tadelt diejenigen, welche die Kirche nachlässig besuchen; sagt, daß ein reines Gewissen ein wahres Fest sei, und spricht von den Gaben des heiligen Geistes, die von unserer Versöhnung zeugen. Menschen erweisen sich nach ihrer Versöhnung Freundschaftsdienste; Gott sendet die Gaben des heiligen Geistes, die alle Gnaden, so er je seinem auserwählten Volke erwiesen, weit übertreffen. Jetzt äussern sich die Gaben des heiligen Geistes in unserer Sündenvergebung, damals auch in der Gabe der Sprachen und Wunder der Brüder; erstere Gabe wurde den Aposteln zu Theil, um nicht durch Unkenntnis der Sprache eines Volkes von der Verkündung der Lehre abgehalten zu werden; letztere, nm die Völker zum Glauben zu führen. Bei der Ausgießung des heiligen Geistes zeigte sich abermals die Thorheit der Menschen: während die Engel jubelten, hielten die Juden die vom heiligen Geiste Erfüllten für Trunkene. Am Ende spricht er vom Buche des Lebens, in das die Sünden geschrieben werden, und aus dem sie wieder getilgt werden können.

Text

 

Erste Homilie auf das Pfingstfest. Warum jetzt keine Wunder mehr geschehen, und daß Alles, was wir reden oder thun, aufgezeichnet werde. Schon wieder ein Fest, schon wieder eine Festversammlung; schon wieder schmückt sich die Kirche mit der Menge ihrer Kinder, diese fruchtbare und zärtliche Mutter! Doch was nützt ihr die Liebe zu ihren Kindern, wenn sie nur an Festtagen und nicht immer das Angesicht derselben zu sehen bekömmt? Ist es nicht, als ob Jemand ein schönes Kleid hätte und es nicht immer anziehen

Die Menge der Zuhörer ist der Schmuck der Kirche, wie ja auch der Prophet sagt, der vor Zeiten die Kirche anredete: „Alle diese sollst du wie den Schmuck eines Bräutigams und die Zierde einer Braut um dich legen.“ Wie also eine sittsame, angesehene Frau, deren schmuckes Gewand ihr bis an die Knöchel hinabreicht, viel ansehnlicher und schöner erscheint: so wird auch die Kirche heute noch einmal so herrlich, da sie von eurer Menge bedeckt ist und so das langwallende Kleid trägt. Denn kein Theil erscheint heute an ihr so entblößt, wie in den vergangenen Tagen. An der damaligen Blöße sind aber Diejenigen Schuld, die nur heute anwesend sind, aber nicht fortwährend ihre Mutter bekleiden. Daß es aber nicht wenig gefährlich sei, seine Mutter schmählich in ihrer Blöße zu lassen, daran erinnert uns eine alte Geschichte. Wir erinnern uns, daß ein Sohn seinen Vater nackt sah und ob dieses Anblickes der Strafe verfiel. Und dennoch hatte Dieser seinen Vater nicht selber entblößt, sondern nur gesehen, daß der Vater nackt sei, und entging — nachdem er ihn einfach gesehen — doch nicht der Strafe; allein Diejenigen, welche heute erscheinen, früher aber nicht anwesend waren, sehen ihre Mutter nicht entblößt, sondern entblößen sie selber. Wenn nun Derjenige, der die Blöße auch nur gesehen, gestraft worden ist, welche Entschuldigung haben wohl Die, welche die Blöße verursachen? Das sage ich nicht, um euch zu erschrecken, sondern damit wir der Strafe entgehen, damit wir dem Fluche Cham’s entrinnen und die kindliche Gesinnung Sem’s und Japhet’s nachahmen und stets unsre Mutter bekleiden. Es zeigt von jüdischer Gesinnung, nur dreimal vor Gott zu erscheinen; zu ihnen ist nämlich gesagt worden: „Dreimal im Jahre sollst du erscheinen vor Gott, deinem Herrn!“ Von uns aber will Gott, daß wir vor ihm beständig erscheinen. Bei den Juden bewirkte die Entfernung der Wohnorte, daß sie sich so selten versammeln konnten; sie wurden nämlich damals nur an einen einzigen Ort hin zum Gottesdienst befohlen; deßwegen konnten sie sich so selten versammeln und so selten anwesend sein; denn sie mußten in Jerusalem anbeten, sonst aber nirgends. Darum ward ihnen befohlen, dreimal vor Gott zu erscheinen, und der weite Weg entschuldigte sie; bei uns aber greift keinerlei Entschuldigung Platz. Sie waren überall auf der Erde zerstreut: „denn es waren,“ heißt es, „gottesfürchtige Juden zu Jerusalem, aus allen Völkern, die unter dem Himmel sind.“ Wir hingegen wohnen in einer Stadt, sind von Mauern umgeben, sind oft nicht einmal durch eine enge Gasse von der Kirche getrennt und besuchen doch so selten, als wären wir durch große Meere ferne gehalten, diese hehre Versammlung. Ihnen hat Gott geboten, nur dreimal ein Fest zu begehen; uns aber hat er den Auftrag gegeben, Dieses beständig zu thun. Und damit ihr erkennet, daß wir beständig Festtage haben, so führe ich die Gründe dieser Festtage an, und ihr werdet einsehen, daß es jeden Tag eine Festlichkeit gibt. Das erste Fest ist bei uns das Fest der Erscheinung. Welches ist der Grund dieses Festes? „Weil Gott auf Erden erschienen und unter den Menschen gewandelt;“ weil der eingeborne Sohn Gottes unter uns gelebt hat. Er ist aber beständig bei uns: „denn siehe,“ sagt er, „ich bin bei euch alle Tage, bis an’s Ende der Welt.“ Deßwegen können wir alle Tage das Fest der Erscheinung begehen. Was bedeutet denn das Osterfest? Welches ist die Veranlassung dazu? Wir verkünden an demselben den Tod des Herrn, und Das ist das Passah. Aber auch Dieß thun wir nicht zu einer bestimmten Zeit; denn da Paulus uns von der Nothwendigkeit bestimmter Feste befreien und zeigen wollte, daß wir das Passah beständig feiern könnten, so sagt er: „So oft ihr dieses Brod essen und diesen Kelch trinken werdet, werdet ihr den Tod des Herrn verkünden.“ Da wir nun den Tod des Herrn beständig verkünden können, so können wir auch das Osterfest fortwährend feiern. Wollt ihr auch wissen, daß wir das gegenwärtige Fest stets feiern können, ja daß es täglich da ist? Lasset uns sehen, warum es eingesetzt worden, und warum wir dasselbe begehen. Weil der heilige Geist zu uns kam; wie nämlich der eingeborne Sohn Gottes stets unter seinen Gläubigen ist, so ist es auch der Geist Gottes. Woher ist Dieß offenbar? „Wer mich liebt,“ heißt es, „wird meine Gebote halten, und ich will meinen Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster senden, damit er bei euch bleibe in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit.“ Wie also Christus von sich selbst sagte: „Siehe, ich bleibe bei euch alle Tage, bis an’s Ende der Welt“ und wir deßwegen be- ständig das Fest der Erscheinung zu feiern vermögen, so können wir auch, weil er vom heiligen Geiste gesagt hat, er werde ewig bei uns bleiben, das Pfingstfest fortwährend begehen.

Damit ihr aber wisset, daß wir stets Feste feiern können und nicht zur Beobachtung bestimmter Zeiten genöthigt sind, so höret, was der Apostel Paulus sagt: „Lasset uns also Festtag halten!“ Und doch ist damals, als er Das schrieb, kein Festtag gewesen: es war nicht Ostern, nicht Epiphanie, nicht Pfingsten. Er will damit zeigen, daß nicht die Zeit, sondern ein reines Gewissen den Festtag bewirke: denn ein Fest ist nichts Anderes als Freude; eine geistige und innerliche Freude aber schafft nur das Bewußtsein guter Handlungen; wer also ein gutes Gewissen hat und solche Thaten aufzuweisen vermag, Der kann stets ein Fest feiern. Gerade Das zeigt auch Paulus mit den Worten: „Lasset uns Festtag halten nicht im alten Sauerteige der Bosheit und Schalkhaftigkeit, sondern in dem Süßteige der Lauterkeit und Wahrheit.“ Siehst du, wie er dich nicht an bestimmte Zeiten bindet, sondern nur ermahnt, stets ein reines Gewissen zu haben? Ich möchte wohl die ganze Predigt über diesen Gegenstand halten; denn Diejenigen, die Manche nach langer Zeit einmal erhaschen, lassen sie nicht so leicht wieder ihren Händen entschlüpfen. Da nun auch wir euch, die ihr erst nach einem Jahre hieher gekommen seid, in unsere Netze bekommen haben, so wollen nun auch wir euch heute nicht loslassen. Damit ihr aber der Festpredigt nicht entbehret, muß ich von dieser Ermahnung zum Gegenstande des Festes selbst übergehen.

Wohl kamen vom Himmel herab oft zahlreiche Wohlthaten über das ganze Menschengeschlecht auf Erden, so große aber wie heute sind über dasselbe früher nie ausgegossen worden. Vernehmet nun also die frühern Gaben und die vom heutigen Tage, damit ihr den Unterschied von beiden erkennet. „Gott ließ Manna auf die Erde regnen und gab ihnen Himmelsbrod; der Mensch aß nämlich Engelsbrod.“ Das ist in der That etwas Großes und würdig der göttlichen Güte. Es siel ferner Feuer vom Himmel, führte das irrende jüdische Volk auf den rechten Weg und verzehrte das Opfer auf dem Brandaltare. Und wieder, als Alle vor Hunger verschmachteten, siel ein Regen, der große Fruchtbarkeit brachte. Das ist groß und bewunderungswürdig; aber die Wohlthaten des heutigen Tages sind noch viel trefflicher; denn nicht Manna, nicht Feuer, nicht Regen siel heute herab, sondern ein Regenguß geistiger Gaben; Wolken strömten ihr Wasser herab, nicht um die Erde zu befruchten, sondern um die Menschennatur fähig zu machen, für Den, der sie pflegt, eine Ernte der Tugend zu bewirken. Und welche nur einen Tropfen davon auffingen, vergaßen auf einmal ihre Natur, und die ganze Erde wurde mit Engeln erfüllt, nicht mit himmlischen Engeln, sondern mit solchen, die in einem sterblichen Leibe die Tugend unsterblicher Geister aufzeigen. Denn nicht jene stiegen hernieder, sondern was mehr Bewunderung heischt, die auf der Erde erhoben sich zur Tugend der himmlischen Engel. Denn sie legten nicht ihr Fleisch ab, wandelten nicht mit bloßer Seele einher, sondern behielten ihre Natur und wurden dem Willen nach Engel. Und damit du erkennest, daß auch die erste Strafe, nämlich: „Du bist Staub und sollst wieder Staub werden,“ keine Strafe war, so ließ er dich auf der Erde, damit sich die Macht des Geistes, die soviel durch den irdischen Leib vollbringt, desto deutlicher zeige. Denn da konnte man sehen, wie eine irdische Zunge Teufeln gebot; man konnte sehen, wie eine irdische Hand Krankheiten heilte, ja nicht bloß, daß Dieß eine irdische Hand that, sondern man sah, was viel bewunderungswürdiger war, daß selbst die Schatten von irdischen Leibern über den Tod und die unkörperlichen Mächte, nämlich die bösen Geister, eine Obmacht ausübten. Denn gleichwie beim Aufgang der Sonne das Dunkel verscheucht wird, wilde Thiere sich in ihre Höhlen verkriechen, Mörder, Räuber und Grabdiebe sich auf die Berggipfel flüchten: so wurde auch, wenn Petrus erschien und seine Stimme erschallte, die Finsterniß des Irrthums vertrieben; es floh der Teufel; es wichen die bösen Geister zurück; die Krankheiten des Körpers wurden geheilt; die Krankheiten der Seele beseitigt, jede Bosheit wurde besiegt und die Tugend auf die Erde zurückgeführt. Und gleichwie Jemand, der aus königlichen Schatzkammern, die Gold und kostbare Steine enthalten, auch nur einen kleinen Theil der im innersten Winkel verwahren Schätze, ja auch nur einen einzigen Stein fortnehmen kann, sich dadurch großen Reichthum verschafft: so kann er sich auch aus dem Munde der Apostel bereichern; denn ihr Mund war eine königliche Schatzkammer, die einen Schatz von Heilmitteln enthielt, sowie jedes von ihnen ausgehende Wort einen großen geistigen Reichthum. Damals konnte man wahrhaft erkennen, daß die Worte des Herrn kostbarer sind als Gold und werthvolles Edelgestein; denn was weder Gold noch Edelstein konnte, Das richteten die Worte Petri aus. Denn wie viele Talente Goldes hatten wohl den Lahmgeborenen zu heilen vermocht? Aber das Wort des Petrus war im Stande, dieses Gebrechen der Natur zu beseitigen. Er sprach: „Im Namen Jesu Christi stehe auf und wandle;“ und das Wort ward zur That. Siehst du, daß die Worte des Herrn kostbarer sind als Gold und Edelgestein? siehst du, daß ihr Mund eine königliche Schatzkammer ist? In der That, sie waren Ärzte, Ackersleute und Steuermänner auf der ganzen Erde; und zwar Ärzte, weil sie Krankheiten heilten; Ackersleute, weil sie den Samen der göttlichen Lehre ausstreuten; Steuermänner aber, weil sie die Stürme des Irrthums besänftigten. Darum sagt der Herr einmal: „Gehet, machet die Kranken gesund!“ und redet sie als Ärzte an, ein anderes Mal: „Siehe, ich sende euch zur Ernte, wo ihr nicht gearbeitet habt,“ und redet sie so als Ackersleute an. Und wieder anderswo spricht er: „Ich will euch zu Menschenfischern machen,“ und zu Petrus: „Fürchte dich nicht, denn von nun an sollst du Menschen fangen!“ Er redet sie also auch als Steuermänner und Fischer an. Und man sah Wunder auf Wunder folgen. Denn vor zehn Tagen stieg unsre Natur zum königlichen Throne empor; heute ist der heilige Geist über unser Geschlecht herniedergestiegen; der Herr hat unsre Erstlinge in den Himmel erhoben und den heiligen Geist herabgesandt. Ein anderer Herr theilt diese Gaben aus; denn auch der heilige Geist ist Herr, und der Vater und der Sohn und der heilige Geist haben sich in unsre Erlösung getheilt. Seit Christus aufgefahren, sind noch nicht zehn Tage verflossen, und schon sendet er uns die geistlichen Gnadengaben der Versöhnung mit Gott. Denn damit Niemand zweifle und frage, was wohl Christus nach seiner Auffahrt gethan: ob er den Vater versöhnt? ob er ihn uns gnädig ge- macht? — so hat er, um zu zeigen, daß er ihn mit unsrer Natur ausgesöhnt habe, uns gleich die Gaben dieser Versöhnung gesendet. Wenn nämlich Feinde sich vereinigen und wieder versöhnen, so folgen auf die Versöhnung sogleich Einladungen, Gastmahle und Geschenke. Wir sandten den Glauben und empfingen von dorther die Gaben des heiligen Geistes; wir sandten Gehorsam und erhielten Rechtfertigung.

Damit ihr erkennet, daß die Sendung des heiligen Geistes ein Pfand unserer Versöhnung mit Gott sei, so will ich euch durch die Schrift davon zu überzeugen versuchen und zuerst die Sache durch das Gegentheil klar machen und zeigen, daß uns Gott, wenn er uns zürnt, die Gnade des heiligen Geistes entziehe. Wenn du dann überzeugt bist, daß die Abwesenheit des heiligen Geistes ein Zeichen des göttlichen Zornes ist, und wenn du andererseits wieder bemerkst, daß wir ihn erhalten haben: so kannst du daraus schließen, daß Gott uns ihn nicht gesandt haben würde, wenn er mit uns nicht ausgesöhnt wäre. Woher wissen wir Das? Heli war ein Greis, im Übrigen fromm und rechtschaffen, aber er wußte die Bosheit seiner Kinder nicht zu bestrafen, sondern liebte dieselben über Gebühr. Höret es Alle, die ihr Kinder habt, damit ihr eurer Liebe und Nachsicht gegen sie Schranken setzet. Denn dadurch hat Heli Gott gereizt und zu einem solchen Zorne entflammt, daß er sich von seinem ganzen Geschlechte abwandte. Diesen gewaltigen Abscheu Gottes drückt der Geschichtschreiber also aus: „Das Wort war theuer, und kein Gesicht ward offenbar.“ Theuer nennt er hier, was selten ist; er zeigt nämlich damit, daß die Gabe der Weissagung damals selten gewesen. Und wieder ein anderer Prophet sagt in seiner Klage und seinem Jammer über den Zorn Gottes: „Es ist weder ein Fürst noch ein Prophet mehr in dieser Zeit.“ Und wieder sagt der Evangelist: „Der heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verherrlicht.“ Denn weil er noch nicht gekreuziget worden, meint er, war auch der heilige Geist den Menschen noch nicht gespendet; denn gekreuziget werden heißt verherrlichet werden. Obgleich das Krenz seiner Natur nach schmachvoll war, so nannte Christus es doch seine Ehre, weil er es für seine geliebten Menschen auf sich nahm. Warum aber, sage mir, wurde der heilige Geist nicht vor der Kreuzigung ausgegossen? Weil die Welt noch in Sünden, in Fehlern, in Feindschaft und Schmach sich befand; weil das Lamm, das die Sünden der Welt auf sich nimmt, noch nicht war geopfert worden. Weil also Christus noch nicht gekreuziget war, so war auch die Versöhnung noch nicht geschehen; weil aber die Versöhnung noch nicht geschehen war, wurde natürlicher Weise auch der heilige Geist nicht gesendet, denn er wurde ja als Pfand der Versöhnung gesendet. Darum sagt auch Christus: „Es ist euer Vortheil, daß ich hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, so kömmt der Tröster nicht.“ Wenn ich nicht hingehe und den Vater versöhne, sagt er, so kann ich euch den Tröster nicht senden. Seht ihr nun, aus wie vielen Stellen ich euch den Beweis geführt habe, daß die Abwesenheit des heiligen Geistes unter den Menschen ein Zeichen des göttlichen Zorns ist? „Das Wort war theuer, und kein Gesicht ward offenbar.“ „Es ist zu dieser Zeit weder Fürst noch Prophet mehr.“ „Der heilige Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlichet war.“ „Es ist euer Vortheil, daß ich hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, so kömmt der Tröster nicht.“ Die Abwesenheit des heiligen Geistes ist also ein Zeichen des göttlichen Zornes. Wenn du nun siehst, daß der heilige Geist reichlich ausgegossen ward, so zweifle nicht mehr an der Versöhnung!

Aber, heißt es, wo ist denn jetzt der heilige Geist? Damals, möchte Jemand passend bemerken, war er wohl da, als Wunder geschahen, als Todte auferweckt und alle Aussätzige gereiniget wurden. Woraus beweisen wir aber, daß auch wir den heiligen Geist haben? Fürchtet euch nicht, denn ich will zeigen, daß der heilige Geist jetzt auch in uns ist. Aber wie und auf welche Weise? Wäre der heilige Geist nicht in uns, wie hätten denn Die, welche in dieser heiligen Nacht die Taufe erhielten, von ihren Sünden gereinigt werden können? Denn ohne die Kraft des heiligen Geistes kann man von den Sünden nicht gereinigt werden. Höret die Worte des Paulus: „Wir waren ehedem auch thöricht, ungläubig, irrend und fröhnten allerlei Lüsten; als aber die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Erretters, erschien, hat er uns nicht nach den Werken der Gerechtigkeit, die wir gethan haben, sondern nach seiner Barmherzigkeit selig gemacht, durch das Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung durch den heiligen Geist.“ Und wieder anderswo: „Irret nicht, weder die Hurer noch die Götzendiener, weder die Ehebrecher noch die Weichlinge, weder die Knabenschänder noch die Diebe, weder die Geizigen noch die Trunkenbolde, weder die Lästerer noch die Räuber werden das Reich Gottes besitzen.“ Siehst du alle Arten der Bosheit? „Und Solches sind von euch Manche gewesen, aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden.“ Wie denn? Das ist eben die Frage, ob wir durch den heiligen Geist die Bosheit ablegen. Höre also! „Ihr seid geheiligt und gerechtfertigt worden durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“ Siehst du, daß der heilige Geist alle jene Bosheit wegnimmt?

Wo sind nun Diejenigen, welche die Würde des heiligen Geistes lästern? Denn wenn er nicht Sünden vergibt, so wird er in der Taufe umsonst empfangen; wenn er aber Sünden vergibt, so wird er ohne Grund von den Ketzern gelästert. Gäbe es keinen heiligen Geist, so könnten wir nicht sagen: Herr Jesus; „denn Niemand kann agen: Herr Jesus, ausser im heiligen Geiste.“ Gäbe es keinen heiligen Geist, so könnten wir Gläubige Gott nicht anrufen; denn wir sagen: „Vater unser, der du bist in dem Himmel.“ Wie wir also Jesum nicht einen Herrn nennen könnten, so könnten wir auch Gott nicht Vater nennen. Woher ist Dieß klar? Aus den Worten des Apostels: „Weil ihr aber Kinder seid, so hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der da ruft: Abba, Vater!“ Wenn du also den Vater nennest, so bedenke, daß du ihm durch den Antrieb des heiligen Geistes diesen Namen beilegen darfst. Gäbe es keinen heiligen Geist, so wäre der Geist der Weisheit und Erkenntniß nicht in der Kirche; „denn dem Einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit, dem Andern das Wort der Erkenntniß gegeben.“ Gäbe es keinen heiligen Geist, so wären in der Kirche keine Hirten und Lehrer; denn auch diese setzt der heilige Geist, wie auch Paulus sagt: „Über welche euch der heilige Geist zu Hirten und Bischöfen gesetzt hat.“ Siehst du, daß auch Dieß durch den Geist geschieht? Wäre der heilige Geist nicht in diesem euren gemeinschaftlichen Vater und Lehrer, so würdet ihr ihm, als er kürzlich diesen heiligen Stuhl bestieg und euch allen den Frieden gab, nicht gemeinschaftlich zugerufen haben: „Und mit deinem Geiste.“ So ruft ihr ihm zu nicht allein, wenn er auf seinen Thron steigt, wenn er zu euch spricht und für euch betet, sondern auch, wenn er auf diesem heiligen Altar steht, um jenes schreckliche Opfer darzubringen (welche in die Geheimnisse eingeweiht sind, wissen, was ich sage). Er rührt Das, was auf dem Altare liegt, nicht eher an, als bis er euch die Gnade des Herrn gewünscht und ihr ihm zugerufen habt: „Und mit deinem Geiste.“ Durch diesen Zuruf erinnert ihr euch, daß Der, welcher da (am Altare) steht, Nichts thue, und daß die Gaben, die da liegen, nicht Verdienste eines Menschen sind, sondern daß die Gnade des heiligen Geistes gegenwärtig sei und über Alle herabkommend dieses geheimnißvolle Opfer vollbringe. Wir sehen zwar nur einen Menschen, aber Gott ist es, der durch denselben wirkt. Sieh’ also nicht auf die Natur dessen, den du vor deinen Augen hast, sondern denke an die unsichtbare Gnade! Auf diesem heiligen Altare geschieht nichts Menschliches. Wenn der heilige Geist nicht da wäre, würde die Kirche nicht bestehen; weil nun diese besteht, so ist es offenbar, daß der Geist da ist. Warum aber, sagt man, geschehen denn jetzt keine Wunder mehr? Nun höret mir aufmerksam zu! Denn Das höre ich von Vielen, Das ist eine beständige und immerwährende Frage: Warum redeten denn im Anfange alle Getauften in Sprachen, jetzt aber nicht mehr? Zuerst wollen wir lernen, was es heisse „in Sprachen reden“, und dann auch die Ursache künden. Was heißt nun in Sprachen reden? Der Getaufte redete sogleich in der Sprache der Inder, Ägypter, Perser, Scythen und Thraker, und Einer verstand viele Sprachen, und wären Diejenigen, die jetzt leben, damals getauft worden, so hättest du sie gleich in verschiedenen Sprachen reden gehört. Denn auch Paulus, heißt es, fand einst Einige, die bloß mit der Taufe des Johannes getauft waren, und sagte zu ihnen: „Habt ihr den heiligen Geist empfangen, da ihr gläubig geworden?“ Und sie antworteten: „Ja wir haben nicht einmal gehört, ob es einen heiligen Geist gibt,“ und sogleich gab er Befehl, „sie zu taufen, und da Paulus die Hände auf sie legte, kam der heilige Geist über sie, und sie redeten alle in Zungen.“ Warum ist denn jetzt diese Gnade entzogen, warum ist denn jetzt diese Gnade den Menschen genommen? Nicht weil Gott uns weniger ehrt, im Gegentheil, er ehrt uns noch mehr. Wie denn? Ich will es euch sagen. Die Menschen jener Zeit waren unverständiger, waren eben erst vom Götzendienste entfernt worden; ihr Geist war mehr abgestumpft und noch nicht so empfänglich. Sie hingen nur am Irdischen und haschten darnach; sie hatten noch keine Einsicht in die geistigen Güter; die Gnade des Geistes, die bloß im Glauben geschaut wird, kannten sie nicht. Darum geschahen Wunder. Von den Gaben des heiligen Geistes sind nämlich die einen unsichtbar und werden bloß durch den Glauben erfaßt; andere aber haben auch ein äusseres Zeichen um die Ungläubigen zum Glauben zu führen. Ich gebe ein Beispiel. Die Nachlassung der Sünden ist etwas Geistiges, die Gnade ist unsichtbar. Denn wie unsere Sünden weggenommen werden, können wir mit den leiblichen Augen nicht sehen. Warum denn? Weil die Seele gereiniget wird, und weil man die Seele mit den Augen des Leibes nicht sieht. Die Reinigung von den Sünden ist also ein geistiges Geschenk, das nicht in die Sinne fallen kann. Allein in verschiedenen Sprachen reden, ist zwar auch eine Wirkung des Geistes, aber doch wird sie äusserlich empfunden und leuchtet den Ungläubigen in die Augen. Die unsichtbare Wirkung des Geistes in der Seele offenbaret und äussert sich in der hörbaren Sprache. Darum sagt auch Paulus: „Einem Jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen mitgetheilt.“ Ich bedarf nun der Wunder jetzt nicht. Warum? Weil ich gelernt habe, auch ohne Wunder an den Herrn zu glauben. Denn wer ungläubig ist, bedarf eines Pfandes, ich aber glaube und brauche weder Pfand noch Zeichen. Obgleich ich nicht in Sprachen rede, so weiß ich doch, daß ich von den Sünden gereiniget bin. Jene aber würden damals nicht geglaubt haben, hätten sie nicht Zeichen erhalten. Darum wurden ihnen Zeichen gegeben als Unterpfand des Glaubens, den sie bekannten, so daß sie dieselben nicht als Gläubige, sondern als Ungläubige erhielten, um gläubig zu werden. So spricht auch Paulus: „Die Zeichen sind nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen.“ Sehet ihr also, daß uns Gott dadurch, daß er uns den Beweis der Zeichen entzog, nicht entehrt, sondern geehrt hat? Denn er will dadurch unsern Glauben offenbar machen; weil wir ihm glauben ohne Zeichen und Pfand, hat er Dieses gethan. Denn Jene würden ihm wegen der unsichtbaren Wirkungen (des Geistes) nicht geglaubt haben, hätten sie nicht früher Pfand und Zeichen erhalten; ich aber glaube ihm vollkommen auch ohne dieselben. Das ist der Grund, warum jetzt keine Wunder geschehen.

Gerne möchte ich noch den Gegenstand des Festes behandeln und zeigen, was Pfingsten sei, warum die Gnadengaben an diesem Feste gespendet worden, warum in feurigen Zungen und warum nach zehn Tagen. Allein ich sehe, daß diese Belehrung zu viele Zeit erfordern würde. Darum will ich nur Weniges beifügen und meine Rede beschließen. Als der Pfingsttag erfüllt war, erschienen ihnen getheilte Zungen wie Feuer; es war nicht Feuer, sondern schien nur Feuer zu sein, damit du in Bezug auf den heiligen Geist nicht Sinnenfälliges wähnest. Denn wie am Jordanflusse nicht eine Taube, sondern (der Geist) in Gestalt einer Taube herabstieg ebenso war auch dort kein wirkliches, sondern nur ein scheinbares Feuer. Und ferner weiter oben heißt es: „Als wenn ein gewaltiger Wind käme;“ es war nicht ein gewaltiger Wind, sondern nur das Brausen glich einem solchen. Warum aber erhält Ezechiel die Gabe der Weissagung nicht durch Etwas, was dem Feuer ähnlich war, sondern durch ein Buch? Und warum erhalten die Apostel die Wundergaben durch das Feuer? Denn von Jenem heißt es, daß eine Buchrolle ihm in den Mund gegeben worden sei, in der geschrieben stand: Klage, Gesang und Wehe! Und sie war von innen und aussen beschrieben, und er aß sie, und sie ward in seinem Munde wie süßer Honig. Bei den Aposteln aber nicht also, sondern: „Ihnen zeigten sich Zungen wie Feuer.“ Warum ist nun dort Buch und Schrift, hier aber Zunge und Feuer? Weil Jener auszog, die Sünden zu strafen und über das Elend der Juden zu weinen, diese aber darauf ausgingen, um die Sünden der Welt wegzunehmen. Darum erhielt Jener eine Schrift, um an die künftigen Leiden zu mahnen; diese hingegen erhielten ein Feuer, um die Sünden der Welt zu verbrennen und sie alle zu tilgen. Denn gleichwie das Feuer, wenn es auf Dornen fällt, dieselben ohne Mühe verzehrt, so verzehrt auch die Gnade des heiligen Geistes die Sünden der Menschen. Die hartnäckigen Juden, welche bei diesem Ereigniß hätten bestürzt werden, hätten zittern und den Spender der Gnade hätten anbeten sollen, zeigten schon wieder ihren heimischen Blödsinn, indem sie den Aposteln, die mit dem heiligen Geiste erfüllt waren, Trunkenheit vorwarfen. „Denn Diese da,“ sagten sie, sind vom Moste betrunken.“ Bedenke die niedrige Gesinnung der Menschen und dagegen die erhabene Gesinnung der Engel! Denn als diese unsern Erstling auffahren sahen, jubelten und riefen sie: „Hebet euere Thore, ihr Fürsten, erhebet euch, ihr ewigen Thore, und es wird einziehen der König der Herrlichkeit.“ Die Menschen hingegen, die da die Gnade des heiligen Geistes über uns herabkommen sahen, behaupten, daß die Empfänger derselben berauscht seien. Ja nicht einmal die Jahreszeit bringt sie zum Schweigen; denn zur Zeit des Frühlings erhält man ja keinen Most, und damals war Frühling. Jedoch lassen wir Jene; wir aber wollen die Gegengabe des gütigen Gottes betrachten. Christus hat die Erstlinge unserer Natur angenommen und uns dafür die Gnade des heiligen Geistes gespendet; und gleichwie die gegenseitigen Feinde, wenn nach langem Kriege der Kampf ausgekämpft und der Friede gemacht ist, einander Unterpfänder und Geiseln geben: so geschieht es auch zwischen Gott und dem Menschengeschlecht. Dieses sandte ihm die Erstlinge, die Christus in den Himmel hinauf nahm; er schickte aber dafür als Unterpfand und Geisel den heiligen Geist. Daß wir aber Unterpfänder und Geiseln haben, ist daraus ersichtlich: Pfänder und Geiseln müssen nämlich vom königlichen Geschlechte sein. Darum wurde auch der heilige Geist zu uns herabgesandt, er, der ja die höchste königliche Macht besitzt, und Der, welcher hinwieder von uns fort hinauffuhr, ist gleichfalls von königlichem Geschlechte; denn er war aus dem Stamme Davids. Darum bin ich jetzt furchtlos, weil ich weiß, daß unser Erstling im Himmel thront. Mag man mir nun von dem Wurme reden, der nicht stirbt, und von dem Feuer, das nimmer erlischt, und von anderen Strafen und Gerichten, ich erschrecke nicht mehr oder, besser gesagt, ich erschrecke wohl, verzweifle aber nicht an meiner Rettung. Denn wenn Gott unserm Geschlechte nicht große Wohlthaten hätte erzeigen wollen, so hätte er unsere Erstlinge nicht in den Himmel genommen. Wenn wir früher in den Himmel hinaufschauten und daselbst jene unkörperlichen Geister betrachteten, so sahen wir deutlich unsere Niedrigkeit und die Hoheit jener himmlischen Mächte. Wollen wir aber jetzt unsern Adel erkennen, so schauen wir zum Himmel, ja selbst bis zum Throne Gottes empor; denn dort thront der Erstling aus uns. So wird der Sohn Gottes auch vom Himmel kommen, um uns zu richten. Bereiten wir uns also vor, um jene Herrlichkeit nicht zu verlieren; denn unser aller Herr wird sicher kommen und nicht zögern; er wird kommen, gefolgt von den Heerschaaren, von den Chören der Engel, den Reihen der Erzengel, den Genossenschaften der Märtyrer, den Chören der Gerechten, den Schaaren der Propheten und Apostel, und in der Mitte dieser unkörperlichen Heerschaaren wird der König erscheinen in einem unsäglichen und unaussprechlichen Glanze.

Wir wollen daher Alles thun, um dieser Herrlichkeit nicht verlustig zu gehen. Wollet ihr, daß ich auch das Schreckliche sage? nicht um euch traurig, sondern um euch besser zu machen. „Dann wälzt sich der Feuerstrom am Richterstuhl vorüber; dann werden die Bücher geöffnet, dann wird ein furchtbares und schreckliches Gericht gehalten.“ Darum werden, wie bei einem Gerichte, die Akten unseres Lebens zur genauen Kenntniß genommen. Die Propheten sagen viel von diesen Büchern; denn Moses spricht: „Vergib ihnen ihre Sünden; wenn nicht, so vertilge mich aus dem Buche, das du geschrieben.“ Christus sagt zu seinen Jüngern: „Nicht darüber freuet euch, daß euch die Teufel unterthan sind; freuet euch vielmehr darüber, daß eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.“ Und wieder sagt der Prophet David: „In deinem Buche werden Alle verzeichnet und die Tage bestimmt werden, und noch Keiner ist da.“ Und wieder: „Sie sollen vertilgt werden aus dem Buche der Lebendigen, man schreibe sie nicht ein mit den Gerechten!“ Siehst du, wie die Einen ausgestrichen, die Andern eingeschrieben werden? Willst du wissen, daß nicht bloß die Gerechten, sondern auch unsere Sünden in jenen Büchern aufgezeichnet sind? Es ist zwar ein Festtag, aber lernen wir dennoch die Mittel kennen, wodurch wir uns von der Strafe frei halten können. Meine Rede ist schrecklich, aber auch nützlich und heilsam; denn sie verhindert, daß wir thatsächlich der Strafe verfallen. Lernen wir also daraus, daß die Sünden aufgezeichnet und unsere Reden hienieden sogleich nach oben gelangen und dort niedergeschrieben werden. Woraus erhellt Dieß? Denn ohne Grund darf man so Etwas nicht behaupten. Malachias sagt zu den Juden: „Wehe euch, die ihr den Herrn reizet!“ „Und wie,“ sagt ihr, „haben wir ihn gereizt? Dadurch, daß ihr sagt: Jeder, der Böses thut, ist gut vor dem Herrn (so reden unverständige Knechte), und an ihnen,“ sagt ihr, „hat er sein Wohlgefallen, an diesen Verdorbenen, die ihm nicht gedient haben.“ „Siehe, wir haben seine Gebote gehalten und preisen Die selig, welche davon ferne sind.“ Wir dienen Gott täglich, sagen sie, und Andere genießen das Gute. So reden auch zuweilen Knechte über ihre Gebieter; allein wenn ein Mensch vom andern so redet, so ist Das kein so schweres Verbrechen, obgleich es ein Verbrechen bleibt; aber Dieß vom Herrn der ganzen Welt, von einem so gütigen und barmherzigen Herrn zu sagen, Das verdient die empfindlichste Strafe und härteste Verdammung. Damit du aber erkennest, daß dergleichen Worte aufgeschrieben werden, so höre, was der Prophet sagt: „Siehe, Dieß ist aufgeschrieben im Buche der Lebendigen, zum Denkmale vor dem Angesichte des Herrn.“ Aufgeschrieben aber ist es, nicht damit Gott sich des Tages erinnere oder dieses Buch als Schuldbeweis und Anklage gebrauche. Vielleicht habe ich euer Herz mit Furcht erfüllt, oder vielmehr nicht sowohl das eurige als das meinige. Wohlan, ich will nun der Rede oder vielmehr der Furcht ein Ziel setzen oder, noch besser gesagt, ich will dieser kein Ziel setzen, wohl aber sie mildern; denn ich will, daß sie bleibe und euer Herz reinige; das Unerträgliche aber wollen wir ihr benehmen. Wie werden wir aber ihr Dieß zu benehmen vermögen? Durch den Beweis, daß die Sünden nicht nur aufgeschrieben, sondern daß sie auch ausgetilgt werden. Was nämlich Der, welcher vor Gericht seine Sache führte mit Berufung auf die Akten vorgebracht hat, wird für immer aufgeschrieben und kann in Zukunft nicht mehr ausgelöscht werden; in jenem Buche aber wird, was du auch immer Schlechtes gesagt und gewollt, wieder ausgelöscht. Woraus ist Das klar? Aus der heiligen Schrift; denn es heißt: „Wende dein Angesicht von meinen Sünden und tilge alle meine Missethaten!“ Was aber nicht aufgeschrieben ist, kann Niemand tilgen. Da sie also aufgeschrieben waren, bittet er, daß sie getilgt werden. Ein Anderer belehrt uns, wie die Sünden ausgetilgt werden, indem er spricht: „Durch Almosen und Treue wird man von Sünden gereinigt.“ Die Sünden werden nicht allein ausgestrichen, sondern ganz weggetilgt, so daß auch nicht ein Restchen einer Makel zurückbleibt. Allein nicht nur die nach der Taufe begangenen Sünden werden getilgt, sondern auch jene vor der Taufe verzeichneten wurden alle durch das Taufwasser und das Kreuz Christi ausgetilgt, wie Paulus sagt: „Er hat die Handschrift ausgetilgt, die gegen uns war, und hat sie hinweggenommen und an das Kreuz geheftet.“ Siehst du, wie diese Handschrift ausgetilgt worden, ja nicht bloß ausgetilgt, sondern auch zerrissen, zerrissen durch die Nägel des Kreuzes, so daß sie nun unbrauchbar wurde. Allein jene (vor der Taufe begangenen Sünden) wurden alle durch die Liebe und Barmherzigkeit und die Kraft des gekreuzigten Christus getilgt; aber die Tilgung der nach der Taufe begangenen Sünden erheischt einen gewaltigen Eifer; denn es gibt keine zweite Taufe, sondern es bedarf unserer Thränen, der Buße, des Bekenntnisses, Almosens, Gebetes und aller anderen gottseligen Werke. So werden auch die Sünden nach der Taufe hinweggenommen — mit viel Mühe und Anstrengung. Wenden wir also allen Fleiß an, um sie schon in diesem Leben zu tilgen und um dort der Schmach und der Strafe zu entgehen; denn haben wir auch zahllose Sünden begangen, so können wir, wenn wir nur wollen, diese ganze Sündenlast ablegen. Fassen wir also den Entschluß dazu. Denn es ist weit besser, hier ein wenig zu leiden und dort der unvermeidlichen Strafe zu entgehen, als hier kurze Zeit in Leichtsinn und Trägheit zuzubringen und jenseits den ewigen Strafen anheimzufallen. — Nun ist es aber Zeit, das Gesagte kurz zusammenzufassen. Wir rügten Diejenigen, die nur einmal des Jahres hieherkommen und sich um die entblößte Mutter nicht kümmern. Wir erinnerten sie an alte Geschichten, an Segen und Fluch, wir redeten von jüdischen Festen und warum Gott den Juden befohlen, dreimal im Jahre vor ihm zu erscheinen. Wir zeigten, daß die Christen immer Feste, immer Pfingsten, Ostern und Epiphanie haben. Wir sagten, daß ein reines Gewissen und nicht bestimmte Tage und Zeiten ein Fest ausmachen. Hierauf kamen wir zu den Gaben, die uns vom Himmel gespendet worden, und sagten, daß sie Beweise der Aussöhnung seien. Daß es einen heiligen Geist gebe, zeigten wir aus der Vergebung der Sünden, aus der Antwort des Apostels, aus den Sprüchen der Weisheit und Erkenntniß, aus der Auflegung der Hände und aus dem geheimnißvollen Opfer. Wir sagten, daß wir gegenseitig Pfänder und Geiseln haben, und fügten die Ursache bei, warum jetzt die Wunder aufgehört haben. Dann erinnerten wir an das schreckliche Gericht, an die aufgeschlagenen Bücher und daran, daß alle unsere Sünden darin aufgeschrieben werden. Wir zeigten, daß sie wieder ausgetilgt werden, wenn wir nur wollen. An Das alles sollet ihr denken, und ist es nicht möglich an Alles zu denken, so erinnert euch doch vor Allem an den Ausspruch über die Bücher (Gottes). Ihr möget reden, was ihr immer wollt, so denket, daß der Herr zugegen ist und Alles ausschreibt; seid also vorsichtig im Reden und bewahret diese Ermahnung stets in eurem Herzen, damit Diejenigen aus euch, die im Buche der Gerechten verzeichnet stehen, ihre Verdienste vermehren, Diejenigen aber, von denen ein langes Sündenverzeichniß darin steht, diese auf Erden, ohne daß Jemand es weiß, austilgen und so jener Kundbarmachung entgehen; denn wir können, wie wir gezeigt haben, durch Eifer, durch Gebet und ein beständig gottseliges Leben alle Sünden, die da aufgeschrieben sind, tilgen. Das wollen wir hier also ununterbrochen und eifrig betreiben, damit wir dort nach unserm Hingang einige Vergebung erlangen und so alle den unausbleiblichen Strafen entrinnen. Möchten wir doch alle davon befreit und des Himmelreichs theilhaftig werden durch die Gnade und die Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater, zugleich dem heiligen Geiste sei Ehre, Herrschaft und Ruhm jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Zweite Homilie auf das Pfingstfest

 

Einleitung

Inhalt.

Übersetzt von Dr. Joh. Chrysostomus Mitterrutzner. Direktor des Gymnasiums in Brixen.

Diese Homilie spricht mehr im Zusammenhang, passender und lebendiger von den Wirkungen des heiligen Geistes, die um so bewunderungswürdiger sind, da sie die Natur des Menschen nicht ändern, aber ihm eine engelreine Seele geben. Was der heilige Geist gibt, gibt er aus eigener Kraft; er weiß, was im Vater vorgeht. Sofort erklärt er, warum der heilige Geist erst nach zehn Tagen erschien, um nämlich die Sehnsucht darauf zu steigern; er kam und kam feurig, um mit dem Feuer die Sünden zu verbrennen, gibt die Gabe der Sprachen, um zu vereinen, was der Hochmuth bei dem babylonischen Thurmbau getrennt hat in verschiedenen Sprachen, und endet mit dem Lobe der Liebe und der Warnung vor dem Neide. — Aus dieser Homilie ersehen wir auch, daß nach orientalischem Brauche die Häuser, Straßen und Kirchen an hohen Festen nicht nur mit Blumen, sondern auch mit Teppichen belegt wurden.

Text

 

Zweite Homilie auf das Pfingstfest.Herrliche Gaben, Geliebte, Gaben, die jede menschliche Beredsamkeit übersteigen, hat uns der gütige Gott am heutigen Tage gespendet! Darum wollen wir alle uns freuen, wollen jubeln und unsern Herrn preisen; denn der heutige Tag ist für uns ein Fest, an dem wir uns freudig versammeln. Wie nämlich beim Wechsel der Jahreszeiten und dem der Sonne eine Zeit der andern folgt: so nimmt auch in der Kirche immer ein Fest das andere auf und führt uns von dem einen zum andern. Neulich feierten wir das Fest des Kreuzes, des Leidens, der Auferstehung und dann das der Auffahrt unseres Herrn Jesus Christus in den Himmel; heute sind wir zu dem Gipfel aller Güter gekommen, sind bis zur Metropole der Feste gedrungen, ja selbst bis zur Frucht der Verheissung des Herrn gelangt. „Denn,“ sagt er, „wenn ich hingehe, so werde ich euch einen andern Tröster senden und euch nicht verwaiset zurücklassen.“ Seht ihr die Sorgfalt? Seht ihr die unaussprechliche Güte? Vor einigen Tagen fuhr er in den Himmel empor, setzte sich aus den Königsthron und nahm seinen Sitz zur Rechten des Vaters; heute begnadet er uns mit der Ankunft des heiligen Geistes und spendet uns durch ihn die unzähligen Gnaden des Himmels. Denn sage mir, ward nicht Alles, was unser Seelenheil angeht, durch den heiligen Geist uns zu Theil? Durch ihn werden wir der Knechtschaft entrissen, zur Freiheit berufen, zur Kindschaft (Gottes) geführt und so zu sagen neuerdings umgeschaffen und legen die schwere und stinkende Sündenlast nieder. Durch den heiligen Geist sehen wir Chöre von Priestern, haben wir Reihen von Lehrern. Aus dieser Quelle fließen die Gaben der Offenbarungen, die Gnaden der Heilungen und alles Andere, wodurch die Kirche Gottes gewöhnlich geschmückt wird, hat von daher seinen Ursprung. Und auch Paulus ruft aus mit den Worten: „Dieß alles bewirkt der eine und derselbe Geist, der Jedem austheilt, wie er will;“ „wie er will“ heißt es, nicht: wie ihm befohlen wird; er theilt aus und wird nicht ausgetheilt; er ist Herr und keiner Obmacht unterworfen. Denn die Gewalt, welche Paulus dem Vater beilegt, schreibt er auch dem heiligen Geiste zu, und wie er vom Vater sagt: „Gott ist es aber, der da Alles in Allem wirkt,“ so sagt er auch vom heiligen Geiste: „Dieß alles bewirkt der eine und derselbe Geist, der Jedem austheilt, wie er will.“ Siehst du die unumschränkte Gewalt? Denn welche eine Natur haben, die haben natürlich auch eine Gewalt, und welche sich an Würde gleichstehen, sind sich auch gleich an Macht und Gewalt. Durch den heiligen Geist erlangten wir die Vergebung der Sünden; durch ihn waschen wir alle Unreinheit ab, durch seine Vermittlung werden wir, wenn wir zu seiner Gnade hineilen, Engel aus Menschen; wir verändern da nicht unsre Menschennatur, sondern behalten, was noch viel staunungswürdiger ist, dieselbe Natur und erweisen uns dennoch wie Engel; so groß ist nämlich die Macht des heiligen Geistes; und gleichwie das sinnenfällige Feuer, wenn es einen weichen Thon erfaßt, diesen zu einem harten Klumpen verwandelt: so macht auch das Feuer des heiligen Geistes, wenn es eine rechtschaffene Seele erfaßt, dieselbe fester als Eisen, und wäre sie vorher auch weicher gewesen als Thon, und Denjenigen, der vor Kurzem noch ganz vom Schmutze der Sünde befleckt war, macht es glänzender als die Sonne. Das lehrt uns auch der heilige Paulus, wenn er spricht: „Lasset euch nicht verführen; weder Hurer noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Weichlinge, weder Knabenschänder noch Diebe, weder Geizige noch Trunkenbolde, weder Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes erben.“ Und nachdem er, so zu sagen, das ganze Sündenregister angeführt und gezeigt hat, daß Diejenigen, welche diesen Sünden unterworfen sind, des Himmelreichs verlustig gehen, setzt er sogleich hinzu: „Und Das waren Einige von euch; allein ihr seid abgewaschen, seid geheiligt und gerechtfertigt worden.“ Wie und auf welche Weise? Sage es mir; denn Das ist die Frage. „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus,“ heißt es, „und im Geiste unseres Gottes.“ Siehst du die Kraft des heiligen Geistes, o Geliebter? Siehst du, wie der heilige Geist alle diese Bosheit wegnimmt und Diejenigen, welche sich vorher von ihren Sünden beherrschen ließen, auf einmal zur höchsten Ehre erhebt?

Wer könnte also Diejenigen nach Verdienst beklagen und beweinen, welche die Hoheit des heiligen Geistes angreifen und wie Rasende sich nicht einmal durch die Größe der Wohlthaten von ihrer Undankbarkeit zurückhalten lassen, sondern gegen ihr eigenes Heil Jegliches wagen, indem sie ihn, so viel an ihnen ist, der göttlichen Würde entkleiden und in die Reihe der Geschöpfe herabzusetzen sich unterfangen? Diese möchte ich fragen: Warum zeigt ihr euch, ihr Verräther, gegen die Würde des heiligen Geistes gar so erbost? Oder besser gesagt: gegen euer eigenes Heil, und warum wollt ihr euch nicht der Worte erinnern, die der Erlöser zu seinen Jüngern sprach: „Gehet hin, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“? Siehst du die Gleichheit der Würde? Siehst du die vollkommene Übereinstimmung? Siehst du die Untheilbarkeit der Dreieinigkeit? Ist irgendwo ein Unterschied, eine Veränderung oder Verminderung? Was unterfanget ihr euch, zu den Worten des Herrn Zusätze zu machen? Oder wisset ihr nicht, daß, wenn Jemand selbst in weltlichen Dingen es unternehmen oder in seiner Verwegenheit so weit gehen wollte, den Befehlen des Kaisers, der doch mit uns dieselbe Wesenheit, dieselbe Natur hat, Etwas beizufügen oder Etwas davon zu beseitigen, Dieser der strengsten Strafe verfällt und daß ihn Nichts der Rache zu entreissen vermag? Wenn Das nun schon unter Menschen so gefährlich ist, welche Verzeihung können Diejenigen hoffen, welche einen solchen Unverstand zeigen und sich vermessen, die Worte unseres gemeinschaftlichen Erlösers zu fälschen, und Paulus, aus dem doch Christus redet, nicht anhören wollen, wenn er mit lauter Stimme ausruft und sagt: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“? Wenn es also kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, wenn keines Menschen Herz Das zu erfassen vermag, was Gott Denen bereitet hat, die ihn lieben: wie, o heiliger Paulus, können denn wir davon Kenntniß erhalten? Warte ein wenig; du wirst darüber von ihm selbst Auskunft erhalten. Er fügt also bei und spricht: „Uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist.“ Dabei bleibt er aber nicht stehen, sondern spricht, um auch dessen Machtfülle und gleiche Wesenheit mit dem Vater und Sohne zu zeigen: „Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit;“ dann fügt er bei, um uns diese Lehre durch ein Beispiel, das er von den Menschen hernimmt, noch klarer zu machen: „Welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch Niemand, was Gottes ist, als der Geist Gottes.“ Siehst du, wie vollkommen dieser Unterricht ist? Er sagt: Wie es nicht möglich ist, daß irgend ein Anderer wisse, was in dem Herzen des Menschen vorgeht, sondern nur dieser selbst Dieses weiß: ebenso weiß auch Das, was Gottes ist, Niemand, als der Geist Gottes; und Das ist der stärkste und klarste Beweis von der Hoheit des heiligen Geistes; denn Paulus führt dieses Gleichniß an und spricht damit aus: „Es ist ja nicht möglich, daß irgend ein Mensch Das, was in seiner Seele vorgeht, nicht wisse; wie also Das unmöglich ist, so, sagt er, weiß auch der heilige Geist ebenso genau Das, was Gottes ist.“ Allein ich weiß wohl, daß der heilige Paulus mit diesen Worten Diejenigen trifft, welche aus vorgefaßter Meinung gegen ihr eigenes Heil die Würde des heiligen Geistes bekämpfen und ihn, soviel an ihnen ist, seiner göttlichen Hoheit berauben und zur Niedrigkeit der Geschöpfe herabsetzen wollen. Allein mögen Jene auch aus Liebe zum Zank widerstreben und sich dem Ausspruch der göttlichen Schrift widersetzen: wir wollen die göttlichen Lehren als Aussprüche des Himmels annehmen, dem heiligen Geiste die gebührende Anbetung leisten, mit dem rechten Glauben auch die genaue Erkenntniß der Wahrheit an den Tag legen.

Gegen Diejenigen nun, die sich unterfangen das Gegentheil von Dem zu lehren, was der heilige Geist gelehrt hat, mag das Gesagte genügen. Wir müssen aber eurer Liebe auch sagen, warum uns der Herr nicht gleich nach seiner Himmelfahrt den Spender so herrlicher Gaben gesandt hat, sondern vorerst einige Tage vorbeigehen ließ; warum er den Jüngern befahl beisammen zu bleiben, und dann erst den heiligen Geist herabgesandt hat. Das ist aber nicht ohne Grund, nicht ohne Ursache also geschehen. Er sah nämlich, daß das Menschengeschlecht die Güter, die es in Händen hat, nicht so zu schätzen, ja selbst Diejenigen, die groß und herrlich erscheinen, nicht nach Gebühr zu würdigen weiß, wenn es nicht auch ihren Mangel erfahren. Ich gebe ein Beispiel; denn ich muß Dieses deutlicher aussprechen. Wer am Leibe frisch und gesund ist, empfindet es nicht und kann es nicht genau wissen, welch große Güter er der Gesundheit verdankt, falls er nie eine Krankheit gehabt und ein Opfer der Schwäche geworden. Wer ferner das Tageslicht schaut, der würde dieses nicht also bewundern, wenn er keine Empfindung hätte von dem Dunkel der Nacht. Denn der Mangel der Güter, die wir früher genossen, gibt über ihre Beschaffenheit richtigen Aufschluß. Darum brachten nun auch die Jünger, solange sie des Umgangs des Herrn genoßen und sich seiner Gesellschaft erfreuten, ihre Tage ganz glücklich und fröhlich dahin; denn alle Bewohner Palästinas richteten die Augen auf sie, wie auf gewisse Glückssterne, weil sie Todte erweckten, Aussätzige reinigten, Teufel austrieben, Krankheiten heilten und viele andere Wunder vollbrachten. Weil sie nun so angesehen und berühmt waren, ließ er es zu, daß sie auf einige Zeit von der Macht ihres Freundes getrennt wurden, damit sie bei dem Verluste derselben zu erkennen vermöchten, wie viel Treffliches ihnen seine Gegenwart geboten, und durch die Erkenntniß der frühern Güter desto bereitwilliger die Gnade des heiligen Geistes annähmen. Denn er tröstete die Jünger in ihrer Trauer, erheiterte sie durch sein eigenes Licht, als sie wegen des Hinganges ihres Meisters mit Kummer und Wehmuth erfüllt waren, richtete die Niedergeschlagenen auf, zertheilte die Finsterniß ihres Kummers und verscheuchte alle Unschlüssigkeit. Wohl hatten sie die Stimme des Herrn gehört: „Gehet hin und lehret alle Völker;“ allein sie waren noch unschlüssig und wußten noch nicht, wohin ein Jeder von ihnen zu gehen und wo in der Welt er das Wort Gottes zu verkündigen hätte; da kam nun der heilige Geist in Gestalt von Zungen, wies einem Jeden die Ländert des Erdkreises für den Unterricht an und lehrte einen Jeden durch die Sprache, die er ihm verlieh, wie durch eine besondere Vorschrift, welches Reich ihm angewiesen sei, und wie weit seine Lehre sich erstrecken sollte. Deßwegen kam der Geist in Zungengestalt, aber nicht allein deßwegen, sondern um uns zugleich an eine alte Geschichte zu mahnen. Als einst die Menschen in ihrem Hochmuth soweit gekommen waren, einen Thurm bauen zu wollen, der bis an den Himmel reichen sollte: so zerstörte Gott ihre sündhafte Eintracht durch die Verwirrung der Sprachen. Darum kömmt auch jetzt der heilige Geist über sie in Gestalt feuriger Zungen, um dadurch die zerrissene Welt wieder zu einen. Es geschah da etwas Neues und Ausserordentliches; wie nämlich früher die Zungen die Welt getheilt und die sündhafte Eintracht in Zwietracht verkehrt hatten: so haben jetzt die Zungen den Erdkreis verbunden und die Zwietracht zur Eintracht geführt. Darum erschien der heilige Geist in Zungengestalt; die Zungen aber schienen feurig zu sein, weil so viele Dornen der Sünde in uns aufgewachsen waren. Denn wie die Erde, wenn sie fett und fruchtbar ist, aber nicht angebaut wird, einen ganzen Wald von Dornengestrüppe hervorbringt: so erzeugt auch unsre Natur, die vom Schöpfer aus gut und zur Hervorbringung der Tugend geschickt ist, gleichsam ein Dornengesträuch und einen nutzlosen Wald — die Gottlosigkeit, weil sie von der Gottseligkeit nicht angebaut wurde noch den Samen der Erkenntniß Gottes ausnahm. Und wie man oft vor der Menge der Dornen und des Unkrautes den Erdboden nicht zu sehen vermag: so war auch der Adel und die Reinheit unserer Seele nicht sichtbar, bis der Ackersmann der Menschennatur kam, das Feuer des heiligen Geistes aus ihr anzündete, sie reinigte und zur Annahme des himmlischen Samens empfänglich machte.

Alle diese und noch viele andere Güter hat uns der heutige Tag gebracht; darum bitte ich, daß auch wir dieses Fest feiern nach der Würde der uns gespendeten Gnaden, nicht dadurch, daß wir die Thüren mit Blumen verzieren, sondern unsere Seelen ausschmücken; nicht dadurch, daß wir die Straßen mit Teppichen belegen, sondern unserem Geiste das Feierkleid der Tugend anziehen, auf daß wir sowohl die Gnade des heiligen Geistes empfangen als auch der Früchte derselben theilhaftig werden. Welches ist aber die Frucht des heiligen Geistes? Hören wir die Worte des heiligen Paulus! „Die Frucht aber des heiligen Geistes,“ sagt er, „ist Liebe, Freude, Friede.“ Siehe die Sorgfalt im Ausdrucke und den Zusammenhang in seiner Lehre! Er stellt die Liebe voran und erwähnt hierauf ihre Folgen; er senkt die Wurzel ein und zeigt dann die Frucht; er legt den Grund und setzt dann das Gebäude darauf; er beginnt bei der Quelle und gelangt hinauf zu den Flüssen. Denn der Grund der Freude kann unmöglich eher in uns Eingang finden, als bis wir das Glück anderer Menschen für das unsrige halten und die Glückseligkeit des Nächsten für unsere eigene ansehen. Das kann aber nirgends geschehen, als wo die Liebe zur vollkommenen Herrschaft gelangt ist. Die Liebe ist die Wurzel und die Quelle und die Mutter aller Güter; denn wie eine Wurzel schlägt sie in zahllose Äste der Tugend aus, und wie eine Quelle erzeugt sie viele Flüsse, und wie eine Mutter umfängt sie Diejenigen, welche zu ihr die Zuflucht nehmen. Weil nun Paulus Dieß wußte, nannte er sie eine Frucht des Geistes. An einer andern Stelle erhebt er sie so sehr, daß er sie die Erfüllung des Gesetzes nennt: „denn die Liebe,“ sagt er, „ist des Gesetzes Erfüllung.“ Ja unser aller Herr bezeichnet ihren Charakter, indem er sie als hinlänglichen und einzigen Beweis hinstellt, daß Diejenigen seine Jünger seien, die sie besitzen, wenn er spricht: „Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet.“ Darum wollen wir alle zu ihr unsre Zuflucht nehmen, ihr anhangen und mit ihr dieses Fest begehen. Denn wo Liebe ist, da verschwinden die Mängel des Herzens; wo Liebe ist, da ruhen die unvernünftigen Begierden des Herzens; „die Liebe,“ heißt es, „handelt nicht boshaft, bläht nicht auf, ist nicht ehrgeizig.“ Die Liebe fügt dem Nächsten keinen Schaden zu; wo die Liebe herrscht, da gibt es keinen Kain, der seinen Bruder erschlägt. Verstopfe die Quelle des Neides, und du verstopfst den Strom aller Laster. Haue die Wurzel ab, und du vertilgst die Frucht. Das sage ich aber mehr aus Sorgfalt für Diejenigen, die da beneiden, als die beneidet werden; denn Jene sind es zumeist, die der größten Strafe verfallen und so sich selbst einen erheblichen Schaden zufügen, während die Mißgunst den Beneideten, wenn sie nur wollen, Gelegenheit zu Belohnungen bietet. Siehe nur, wie der gerechte Abel gepriesen und noch täglich gelobt wird, und eben seine Ermordung bot die Veranlassung zu seiner Berühmtheit. Nach seinem Tode noch redet er durch sein Blut und verklagt mit lauter Stimme den Mörder; Kain aber lebt und erntet die Frucht seiner Werke und den Lohn seiner Thaten: seufzend und zitternd bringt er auf Erden seine Tage dahin. Jener ist erschlagen und liegt zu Boden gestreckt, zeigt aber nach seinem Tode größeren Muth; und wie den Kain die Sünde so unglücklich machte, daß er ein Leben führte, das schlimmer als der Tod selbst war: so verschaffte dem Abel die Tugend noch nach dem Tode einen größern Ruhm. Damit also auch wir sowohl hier wie dort eine größere Zuversicht erlangen und aus diesem Feste eine größere Freudigkeit schöpfen, wollen wir alle befleckten Kleider der Sünde abwerfen, besonders aber das Gewand des Neides ausziehen. Mag es auch scheinen, daß wir gar tugendhaft seien; alle Tugenden nützen uns Nichts, wenn uns dieser bittere und häßliche Schandfleck anhängt. Möchten wir ihm doch alle entgehen und besonders Diejenigen, welche heute durch das Bad der Gnade das alte Sündengewand abgelegt haben und nun heller als die Sonne zu strahlen vermögen. Ich ermahne nun euch, die ihr heute zur Kindschaft Gottes gelangt seid, die ihr dieses glänzende Kleid angethan habt: bewahret mit aller Sorgfalt die Reinheit, womit ihr gegenwärtig geschmückt seid; verschließet dem Satan von allen Seiten den Eingang, damit ihr noch reichlichere Gaben des heiligen Geistes empfanget, dreissig, sechzig und hundertfältige Frucht tragen könnet und gewürdiget werdet voll Vertrauen dem Könige des Himmels entgegen zu eilen, wenn er kommen und die unaussprechlichen Güter unter Diejenigen austheilen wird, welche ihr gegenwärtiges Leben in Jesus Christus, unserm Herrn, tugendhaft zugebracht haben. Ihm sei Ehre und Macht jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Ueber das Almosen

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Die folgende Rede ist jedenfalls in Antiochien gehalten worden. Das geht aus der Bezugnahme aus Apostelg. 11, 30 (in Kap. 6) unzweifelhaft hervor. Nach der Einleitung zu urtheilen, wäre diese ausserordentlich schöne, an rührenden Zügen reiche Predigt vollständig extemporirt. Ist sie das wirklich, so wie sie uns vorliegt? Kaum glaublich. Selbst ein Chrysostomus hätte schwerlich aus dem Stegreif eine so erschöpfende und auf die Bedürfnisse des Augenblicks berechnete Exegese der Worte Pauli geben können. Werden doch in Kap. 4 nicht weniger als acht Mittel aufgezählt, durch welche der heilige Paulus in jenen wenigen Worten das Almosengeben leicht gemacht habe! Man darf wohl annehmen, daß die Predigt in ihrer jetzigen Gestalt einer nachträglichen Arbeit des heiligen Kirchenvaters ihr Dasein verdankt.

Inhalt.

Die große Noth der Armen, von der sich der Heilige auf seinem Gange zur Kirche überzeugt hatte, bietet ihm Veranlassung, die Pflicht des Almosengebens einzuschärfen. Erklärung von I. Kor. 16, 1—4, angewandt auf die gegenwärtigen Umstände. Zurückweisung der gewöhnlichen Ausflüchte und Entschuldigungen. Erinnerung an die Wohlthätigkeit der Vorfahren.

Text

 

Predigt über das Almosen, gehalten, nachdem er zur Winterszeit beim Vorübergehen die Armen und die Bettler ganz verlassen auf dem Forum hatte umherliegen sehen. Als Gesandter stehe ich heut’ vor euch, um eine ebenso gerechte als nützliche und zeitgemäße Sache zu vertreten. Bevollmächtigt hat mich dazu Niemand anders als die Schaar unserer Bettler, freilich nicht durch Worte, nicht durch Abstimmung oder gemeinsamen Beschluß, sondern nur durch ihre höchst traurige, mitleiderregende äussere Erscheinung. Als ich nämlich über den Markt und durch die engen Straßen ging, um zu eurer Versammlung zu eilen, sah ich mitten im Wege eine Menge von Bettlern liegen; die Einen waren der Hände, andere der Augen beraubt, wieder andere mit unheilbaren Geschwüren und Wunden über und über bedeckt; und gerade die Glieder sah ich zur Schau gestellt, die wegen ihres kranken Zustandes am meisten der schützenden Hülle bedurft hätten. Da glaubte ich mich denn einer großen Härte schuldig zu machen, wenn ich nicht von diesem Anliegen zu euch reden würde, zumal da ausser den eben erwähnten Wahrnehmungen auch noch die Jahreszeit mich nöthigt, diesen Gegenstand zu behandeln. Denn ob es schon allezeit Noth thut, vom Almosengeben zu reden, weil ja auch wir vieler Almosen von unserm Schöpfer bedürfen, so ist es doch bei dieser bittern Kälte ganz besonders nothwendig.

Im Sommer gewährt nämlich den Armen das milde Wetter schon eine große Erleichterung. Dann ersetzen ihnen die Strahlen der Sonne eine warme Kleidung, so daß die Blöße der Gesundheit nicht schadet; dann ist es ungefährlich, auf dem Boden zu schlafen und unter freiem Himmel zu übernachten; dann können sie Schuhe, einen Trunk Wein und eine reichlichere Nahrung eher entbehren und lassen sich am Brunnenwasser, an geringen Gemüsen und an einigen getrockneten Körnern genügen: so ist es die milde Jahreszeit, die ihnen in der einfachsten Weise ihren Tisch bestellt. Noch ein anderer Umstand bietet ihnen dann nicht weniger Erleichterung: sie finden ohne Mühe Beschäftigung; denn dann besonders bedürfen die Bauunternehmer, die Landleute und Schiffer ihrer Hilfe; und was für die Reichen ihre Äcker, Häuser und andere Einnahmsquellen sind, Das sind für sie die Kräfte ihres Leibes. Ihre Einnahmen kommen nur von der Arbeit ihrer Hände und sonst nirgends her. Daher haben sie also im Sommer einige Erleichterung. Im Winter aber haben sie schwer und nach allen Seiten zu kämpfen. Dann sind sie doppelt geplagt: denn von innen quält sie der Hunger, und von aussen macht die Kälte ihre Glieder tödtlich starr. Daher müssen sie reichlichere Nahrung, wärmere Kleidung, ein Unterkommen, eine Lagerstätte, Schuhe und manches Andere haben. Und was das Schlimmste ist, sie bekommen auch nicht leicht Beschäftigung, weil die Jahreszeit den Arbeiten nicht günstig ist. Da nun also ihre Bedürfnisse größer sind als sonst und ihnen überdieß die Gelegenheit zur Arbeit mangelt, weil Niemand diese armen Leute dingt oder in Dienst nimmt, wohlan, so thue denn die milde Hand barmherziger Christen, was die Arbeitsherren nicht leisten! Indem ich mich nun aber meines Auftrags entledige, soll mir helfen der heilige Paulus, der wahre Beschützer und Versorger der Dürftigen. Denn der heilige Paulus hat sich dieses Werkes gar sehr und so wie kein Zweiter angenommen. Darum hat er auch, als er sich mit Petrus in die Menge der neuen Christen theilte, die Sorge um die Armen nicht mit ihm getheilt. Denn er sagt: „Sie gaben mir und Barnabas den Handschlag der Gemeinschaft, damit wir uns an die Heiden [wendeten], sie selber aber an die Beschneidung,“ und dann fügt er hinzu: „Nur daß wir der Armen eingedenk seien, was ich auch wirklich zu thun mich beeifert habe.“ Überall in seinen Briefen bringt er denn auch die Rede auf das Almosengeben, und es ist gar kein Brief zu finden, der diese Mahnung nicht enthielte. Denn er wußte sehr wohl, was dieses gute Werk für eine Kraft besitzt. Es ist zu bewundern, wie er mit dieser Lehre seinen übrigen Mahnungen und Rathschlägen gleichsam die Krone aufsetzt. Das thut er auch an der Stelle, die ich jetzt erklären will. Er hat zuvor von der Auferstehung geredet, und nach allen andern Zurechtweisungen und Anordnungen schließt er mit der Lehre vom Almosengeben. „Was die Sammlung für die Heiligen betrifft,“ sagt er, „wie ich es angeordnet habe bei den Kirchen Galatiens, also machet es auch ihr! Je am ersten Wochentage möge Jeder von euch u. s. w.“

Siehe da die Weisheit des Apostels, wie er diese Mahnung gerade an der rechten Stelle anzubringen weiß! Nachdem er nämlich des künftigen Gerichtes, jenes schrecklichen Tribunals gedacht hat und der Herrlichkeit, mit der die Guten sollen bekleidet werden, und des ewigen Lebens, da bringt er die Rede auf das Almosen, damit die Zuhörer, getröstet und gehoben durch jene frohe Hoffnung, zugleich aber geschreckt durch die Furcht vor dem Gerichte und mit fröhlichem Herzen die für sie bestimmte Seligkeit erwartend, diese Ermahnungen mit willigerm Gemüthe aufnehmen. Denn wenn man in Betreff der Auferstehung und der Unsterblichkeit recht Bescheid weiß und ein richtiges Urtheil hat, und wenn man seinen Sinn ganz auf das ewige Leben dort oben gestellt hat, dann hält man das Zeitliche, Reichthum und Vermögen, Gold und Silber, schöne Kleider, kostbare Speisen, wohlbesetzte Tafeln und dergleichen für Nichts. Wer aber Dieß alles für Nichts hält, der wird sich eher zu der Sorge für die Armen verstehen. Darum hat Paulus zuerst die Herzen der Zuhörer durch die Lehre von der Auferstehung in die rechte Stimmung versetzt und dann jene Ermahnung angeschlossen. Und er sagt nicht: was die Sammlung für die Bettler oder für die Armen betrifft, sondern: für die Heiligen. Das sollte eine Lehre sein, daß man auch die Armen, wenn sie fromm sind, mit Bewunderung anzusehen und sich von den Reichen, wenn sie die Tugend verachten, mit Abscheu hinwegzuwenden hat. So hat nämlich auch Paulus es nicht gescheut, einen Kaiser, der ein Feind Gottes war, als einen Unheiligen und Verbrecher zu bezeichnen und Bettler Heilige zu nennen, wenn sie demüthig und guten Willens waren. Den Nero nennt er Geheimniß der Bosheit, indem er sagt: „Das Geheimniß der Bosheit ist schon wirksam;“ diese Armen aber, die nicht einmal satt zu essen hatten und von erbetteltem Brode lebten, die nennt er Heilige. Zugleich gibt er den Gebern in versteckter Weise noch eine andere Lehre: sie sollten wegen dieses Auftrages nicht hochmüthig werden und sich nicht überheben, als ob es geringe und verächtliche Leute wären, denen sie ihre Gaben reichten; sie sollten vielmehr wohl wissen und sich überzeugt halten, daß Diejenigen, welche eines Antheils in ihren Nöthen werth befunden würden, eben dadurch einer großen Ehre theilhaftig würden.

Es ist aber auch der Mühe werth, zu untersuchen, wer diese Heiligen waren. Paulus gedenkt ihrer nicht bloß an dieser, sondern auch an einer andern Stelle, wo er sagt: „Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, um zu dienen den Heiligen.“ Auch Lukas erwähnt dieselben Heiligen in der Apostelgeschichte, wo von einer bevorstehenden großen Hungersnoth die Rede ist: „Die Jünger aber, so wie Jeglicher bei Mitteln war, beschloßen zu senden an die Armen unter den Heiligen in Jerusalem.“ Hierher gehört auch die Stelle, die ich schon eben angefühlt habe: „Nur daß wir der Armen eingedenk seien, was ich auch wirklich zu thun mich beeifert habe.“ Wir haben zwar getheilt, will er sagen, so daß mir die Heiden, dem Petrus die Juden zufallen; aber dabei sind wir beiderseits übereingekommen, daß in Betreff der Sorge für die Armen diese Theilung nicht gelten soll. Wenn sie nämlich predigten, dann predigte Petrus den Juden, Paulus den Heiden; wenn es sich aber um Unterstützung der Armen handelte, dann sorgte nicht der Eine bloß für die Armen aus dem Judenthum, der Andere bloß für die aus dem Heidenthum, sondern es nahm sich Jeder von ihnen auch der Armen aus dem Judenthum sehr eifrig an. Darum sagt also Paulus: „Nur, daß wir der Armen eingedenk seien, was ich auch wirklich zu thun mich beeifert habe.“ Welches sind nun diese Armen, von denen hier die Rede ist? die er auch im Briefe an die Römer und im Briefe an die Galater erwähnt, und für die er die Wohlthätigkeit der Mazedonier anruft? Es sind die Armen jüdischer Abstammung, die in Jerusalem wohnten. Warum aber legt er gerade für sie eine so große Fürsorge an der Tag? Waren denn nicht ganz ohne Zweifel in allen Städten Dürftige und Bettler? Warum schickt er die Almosen gerade an sie, und warum ruft er alle Christen zu ihrer Hilfe auf? Das war nicht grundlos, nicht zufällig, war keine Parteilichkeit, sondern durchaus heilsam und den Umständen entsprechend. Doch ich muß ein wenig weiter ausholen.

Als das Reich der Juden schon zertrümmert war und bereits jenes Wort sich erfüllte, das sie bei der Kreuzigung Jesu ausriefen, sich selbst das Urtheil sprechend: Wir haben keinen König, als den Kaiser,“ da waren sie allerdings in Verfassung und Gesetzen nicht selbstständig, wie sie vordem gewesen waren, aber auch nicht in förmlicher Knechtschaft gehalten, wie sie jetzt sind. Sie nahmen vielmehr die Stellung von Bundesgenossen ein und hatten zwar den Kaisern ihre Steuern zu zahlen und die von diesen gesendeten Statthalter anzuerkennen, brachten aber auch vielfach ihre eigenen Gesetze in Anwendung und bestraften die bei ihnen vorkommenden Vergehen nach dem alten, von den Vätern überkommenen Rechte. Daß sie den Römern Abgaben entrichteten, geht aus den bekannten Worten jener Versucher hervor, die den Herrn fragten: „Meister, ist es erlaubt, dem Kaiser Zins zu geben, oder nicht?“— (als der Herr sich auch die Zinsmünze zeigen ließ und sprach: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“) Auch berichtet Lukas, daß der Tempel seine Obersten und Befehlshaber hatte. Daß also die Juden den Römern unterworfen waren, Das geht hieraus zur Genüge hervor. Daß die Juden aber auch ihre eigenen Gesetze in Anwendung brachten, ergibt sich aus folgenden Thatsachen. Sie haben den Stephanus gesteinigt, ohne ihn vor [das römische] Gericht gestellt zu haben; sie haben den Jakobus, den Bruder des Herrn, getödtet; sie haben den Herrn selbst gekreuzigt, obgleich der Richter zu seinen Gunsten urtheilte und ihn von allen Punkten der Anklage frei sprach. Darum wusch er sich auch die Hände und sprach: „Ich bin unschuldig an diesem Blute. “ Und als er sich dann von ihnen sehr gedrängt sah, da enthielt er sich des Richterspruchs und trat zurück; die Juden aber brauchten eigene mächtiger Weise Gewalt und verübten Das alles, was darauf gefolgt ist. Auch den Paulus haben sie manchmal geplagt. Weil sie also eine eigene Gerichtsbarkeit hatten, daher kam es, daß Diejenigen von ihnen, welche den Glauben annahmen, mehr als alle andern Christen zu leiden hatten. Denn die übrigen Gemeinwesen hatten ihre Gesetze, Gerichte und Obrigkeiten, welche dafür sorgten, daß die Heiden die zum Christenthum Bekehrten nicht eigenmächtig tödten, steinigen oder sonst auf ähnliche Weise quälen konnten; und wenn Einer darauf ertappt wurde, wie er gegen den Spruch des Richters so Etwas verübte, dann wurde er selbst bestraft. Bei den Juden aber konnte man sich dergleichen Vergehen ganz frei und ungehindert erlauben. Darum hatten die Christen unter den Juden am allermeisten zu leiden; sie waren gleichsam zwischen Wölfen eingesperrt und hatten Niemand, der sie befreite. So wurde z. B. auch Paulus oftmals von den Juden gegeißelt. Höret nur, er sagt es uns selbst: „Von den Juden habe ich fünfmal vierzig Streiche weniger einen erhalten, dreimal bin ich mit Ruthen geschlagen, einmal gesteinigt worden.“ Daß überhaupt das eben Gesagte nicht bloß meine Ansicht ist, Das ergibt sich aus folgenden Worten Pauli im Hebräerbriefe: „Gedenkt wieder der frühern Tage, in welchen ihr, nachdem ihr erleuchtet worden, großen Leidenskampf bestanden habet, indem ihr einerseits durch Beschimpfungen und Bedrängnisse ein Schauspiel, andererseits aber Genossen der also Leidenden geworden seid. Denn auch den Raubeures Besitzthums habt ihr mit Freude hingenommen, wohl wissend, daß ihr einen bessern Besitz habet im Himmel und einen bleibenden.“ Auch wo er den Thessalonichern Ermahnungen gibt, führt er ihnen diese Christen vor Augen: „Denn ihr seid, Brüder, Nachahmer geworden der Kirchen Gottes, welche in Judäa sind, weil auch ihr Ähnliches erlitten habt von den eigenen Stammgenossen, so wie auch sie von den Juden.“ Weil sie also am härtesten zu leiden hatten, weil sie nicht nur unbarmherzig behandelt, sondern auch ihrer ganzen Habe beraubt, hinweggeschleppt, vertrieben, überall verjagt wurden, darum war es ganz in der Ordnung, daß er die Christen überall für sie um Hilfe anrief. So sind sie es denn auch, deren Unterstützung er an unserer Stelle den Korinthern an’s Herz legt, indem er sagt: „Was die Sammlung für die Heiligen betrifft, — wie ich es angeordnet habe bei den Kirchen Galatiens, also machet es auch ihr!“

Wer also diese Heiligen sind, und weßhalb er für sie ganz vorzüglich besorgt ist, Das habe ich nun genugsam erörtert. Jetzt aber ist zu untersuchen, warum er die Galater erwähnt. Warum sagt er nicht so: „Was die Sammlung für die Heiligen betrifft, machet es also: je am ersten Wochentage lege Jeder von euch bei sich zurück, aufsparend“ u. s. w.? Warum erinnert er nach den Worten: „Was die Sammlung für die Heiligen betrifft“, an die Galater, indem er fortfährt: „Wie ich angeordnet habe bei den Kirchen Galatiens, also machet es auch ihr“? Warum thut er Das, und warum erwähnt er nicht eine Stadt oder zwei oder drei Städte, sondern ein ganzes Volk? Damit die Angeredeten zum Geben williger, und damit die Belobung der Andern ihnen ein Sporn zur Nacheiferung wurde. Dann gibt er auch näher hin das Verfahren an, das er angeordnet hat. „Je am ersten Wochentage,“ sagt er, „lege ein Jeder von euch bei sich zurück, aufsparend, was ihn leicht ankömmt, damit nicht, wenn ich gekommen sein werde, erst dann Sammlungen veranstaltet werden.“ Also am ersten Wochentage — darunter versteht er den Sonntag. Warum bestimmt er gerade diesen Tag für die Sammlungen? Warum sagt er nicht: am zweiten oder am dritten Wochentag oder am Samstag? Nicht zufällig, nicht ohne Grund. Er wollte sich auch durch die Wahl des Tages ein Mittel schaffen, um die Geber willfähriger zu machen. Und es kommt wirklich bei allen Dingen viel darauf an, daß sie zur gelegenen Zeit geschehen. Aber ihr denkt vielleicht: was bietet denn der Sonntag, um Jemand zum Almosengeben willig zu machen? Dazu trägt schon die Enthaltung von aller Arbeit an diesem Tage bei und die fröhlichere Stimmung, die aus der Ruhe und Erholung hervorgeht, am allermeisten aber die Erinnerung, daß uns an diesem Tage zahllose Wohlthaten zu Theil geworden sind. Denn an diesem Tage ist der Tod zu nichte gemacht, der Fluch hinweggenommen, die Sünde getilgt, das Höllenthor zerschmettert, der Teufel gefesselt, der lange, lange Krieg beendigt, das Menschengeschlecht mit Gott versöhnt und zu der frühern oder vielmehr zu einer weit höhern Würde erhoben worden, und an diesem Tage hat die Sonne — o wunderbarer, staunenswerther Anblick! — einen unsterblich gewordenen Menschen gesehen. Das alles und Ähnliches will Paulus von uns beherzigt wissen; darum bestimmt er den Tag, darum unterstützt er seine Aufforderung durch die Wahl dieses Tages und ruft gleichsam einem Jeden zu: Bedenke doch, o Mensch, wie groß und zahlreich die Gnaden sind, die du an diesem Tage empfangen hast, wie groß das Verderben, dem du an diesem Tage bist entrissen worden; bedenke, was du früher gewesen, und was du darnach geworden bist. Wenn nun aber viele Leute ihren Geburtstag, viele gewesene Sklaven überdieß den Tag ihrer Freilassung mit besonderer Auszeichnung begehen, wenn Jene zur Verherrlichung des Tages Gastmähler veranstalten, Diese auch Geschenke vertheilen: dann müssen wir den Sonntag noch weit mehr ehren; denn diesen Tag kann man mit guten Grund den Geburtstag des ganzen Menschengeschlechtes nennen. Wir waren verloren und sind wieder gefunden, waren todt und sind zu neuem Leben erweckt, waren Feinde und sind versöhnt worden. Darum ziemt es sich auch, daß wir diesen Tag in wahrhaft christlicher Weise ehren, nicht durch Gastgelage und Weingenuß, nicht durch Trunkenheit und Tänze, sondern durch reichliche Spenden an unsere mittellosen Brüder. Indem ich Das sage, will ich nicht euer Lob, sondern, daß ihr darnach thut. Denn ihr müßt nicht glauben, daß jene Worte nur an die Korinther gerichtet waren; nein, sie gelten auch uns und Allen, die nach uns kommen werden. Thun wir denn auch, was Paulus angeordnet hat: Jeder lege des Sonntags Geld für Gott den Herrn zurück. Das macht euch zur Regel, zur unabänderlichen Gewohnheit; dann haben wir keine Ermahnung und Aneiferung mehr nothwendig; denn besser als mahnende Worte vermag eine durch die Zeit erstarkte Gewohnheit so ein gutes Werk zu Stande zu bringen. Wenn wir uns Das zum Gesetze machen, des Sonntags Etwas zur Unterstützung der Armen zurückzulegen, dann werden wir selbst in Zeiten großer Noth dieser Regel nicht untreu werden.

Nach den Worten: „Je am ersten Wochentage“ fährt Paulus fort: „lege Jeder von euch“ u. s. w. Nicht zu den Reichen allein rede ich, will er sagen, sondern auch zu den Armen; nicht zu den Freien allein, sondern auch zu den Knechten; nicht zu den Männern allein, sondern auch zu den Weibern; Keiner sei von dieser Abgabe frei, Keiner gehe dieses Gewinnes verlustig, Jeder ohne Ausnahme gebe seinen Beitrag. Denn auch die Armuth ist für die Entrichtung einer solchen Gabe kein Hinderniß. Wenn du noch so arm bist, ärmer bist du nicht als jene Wittwe, die sich ihrer ganzen Habe entäussert hat. Wenn du noch so dürftig bist, dürftiger bist du nicht als jenes sidonische Weib, das nur eine Hand voll Mehl besaß und trotzdem nicht zögerte, dem Propheten mitzutheilen. Diese Frau sah ihren Vorrath erschöpft, sah ihre Kinder rings umherstehen, sah die Hungersnoth hereinbrechen, — und gleichwohl hat sie den Propheten mit großer Bereitwilligkeit aufgenommen.

Warum sagt aber Paulus weiter: „Jeder lege bei sich zurück, aufsparend“? Weil Mancher sich vielleicht sehr geschämt hätte, mit einer geringen Gabe heranzukommen; darum sagt er: Verwahre, lege zurück, und wenn die vielen einzelnen Beiträge das Wenige zu einem Viel gemacht haben, dann tritt damit hervor! Und dann redet er hier nicht einfach von Sammeln, sondern von Aufsparen, eigentich von Ansammlung eines Schatzes. Daraus sollen wir lernen, daß dieser Beitrag ein Schatz, diese Auslage ein Gewinn ist. Ja, es ist sogar ein ganz unvergleichlich werthvoller Schatz. Denn ein Schatz von Erdengütern kann angefochten und vermindert werden und hat schon manchmal den Besitzer unglücklich gemacht; aber ganz anders verhält es sich mit dem Schatz im Himmel: der kann nie verbraucht, nie angefochten werden und gereicht Allen zum Heile, die ihn besitzen oder davon empfangen. Denn an diesem Schatze zehrt nicht die Länge der Zeit; er ist der Mißgunst nicht unterworfen, ist solchen feindlichen Angriffen überhaupt unerreichbar; und er bringt Denen, die ihn sammeln, unendlichen Segen.

Folgen wir also, und thun auch wir deßgleichen! In unserem Hause sei von nun an ausser unserer eigenen auch eine heilige Kasse, auf daß auch unser Besitzthum dadurch wohl verwahrt sei! Denn wie das in den kaiserlichen Schatzkammern hinterlegte Geld eines Bürgers um des kaiserlichen Geldes willen ebenfalls ganz sicher aufgehoben ist, ebenso wird auch in deinem Hause das Armengeld, das du des Sonntags zurücklegst, zur Sicherung deines eigenen Geldes dienen. So ist es also der heilige Paulus, der dich dein eigenes Vermögen gut verwalten lehrt! — Was soll ich noch sagen? Das, was du einmal zusammengelegt haben wirst, Das wird dir auch wieder zur Veranlassung und zum kräftigen Antrieb werden, noch mehr zurückzulegen. Denn wenn du mit dieser schönen Gewohnheit nur einmal einen Anfang gemacht hast, dann wirst du dich schon dadurch, auch ohne Nachhilfe eines Andern, auch zur Fortsetzung angespornt fühlen. So sei denn eines Jeden Haus wie eine Kirche, nämlich ein Aufbewahrungsort für heilige Schätze! Mit diesen Häusern sind die Schatzkammern hier in der Kirche zu vergleichen. Wo das Armengeld liegt, da haben die Teufel keinen Zutritt. Durch dieses Armengeld sind die Häuser besser beschirmt als durch Schild, Speer und andere Waffen, als durch Stärke des Leibes, als durch Schaaren von Soldaten.

Nachdem nun Paulus gesagt hat, von wem und auf welche Weise dieses Geld zusammenzubringen ist, gibt er das Wieviel dem freien Belieben der Spender anheim. Er sagt nicht: trage so und so viel bei; dann hätte man vielleicht sein Gebot lästig gefunden, Manche hätten sich mit ihrer Armuth entschuldigt, und die Armen hätten gesagt: Wenn wir aber nicht dazu im Stande sind? Darum soll nach seiner Absicht das Vermögen und der gute Wille des Einzelnen für die Größe des Beitrags maßgebend sein. „Jeder von euch“, sagt er, „lege bei sich zurück, aufsparend, was ihn leicht ankömmt.“ Es heißt nicht: was er kann, oder: was sich vorfindet, sondern: was ihn leicht ankömmt — eine Andeutung, daß ihm auch die Gnade und Gunst des Himmels dabei zu Hilfe kommen werde. Paulus sah nämlich gar sehr darauf, daß mit großer Bereitwilligkeit, nicht darauf allein, daß überhaupt den Armen Geldspenden gereicht würden. So hat auch Gott der Herr, indem er das Almosengeben zur Pflicht machte, nicht bloß die Sättigung der Armen, sondern auch den Nutzen der Geber beabsichtigt und hat dieses Gebot noch mehr um der Spender als um der Armen willen gegeben. Hätte er nur den Vortheil der Armen im Auge, dann würde er auch nur das Darreichen der Gabe, nicht aber überdieß die freudige Bereitwilligkeit zum Geben verlangen. Nun siehst du aber den Apostel unermüdlich gerade darüber seine Vorschriften geben, daß man gern, daß man fröhlichen Herzens mittheilen soll. So sagt er einmal: „Nicht aus Betrübniß oder aus Nöthigung; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb,“ also ohne Weiteres einen Geber, sondern den, der mit Freuden gibt. Und wiederum an einer andern Stelle: „Wer spendet, [spende] in Einfalt, wer vorsteht, [stehe vor] mit Eifer, wer Erbarmen übt, [übe es] mit Freudigkeit.“ Wenn man freudigen Herzens gibt, so daß man sich dabei weniger als Spender, denn als Empfänger betrachtet, so ist Das gleichsam ein neues Almosen. Damit man also recht bereitwillig gebe, darum sucht der heilige Paulus auf alle mögliche Weise sein Gebot leicht zu machen. Seht nur, wie viele Mittel er anwendet, um dieser Pflicht das Unangenehme, Lästige zu benehmen! Erstens verlangt er die Gabe nicht von Einem oder Zweien oder Dreien, sondern von der ganzen Stadt. Denn eine Sammlung ist ja nichts Anderes als das Einsammeln der von Allen geleisteten Beiträge. Zweitens erinnert er an die Würde der Empfänger, die er nicht Bettler, sondern Heilige nennt. Drittens verweis’t er auf das Beispiel Anderer, die bereits so gethan haben: „Wie ich angeordnet habe,“ sagt er, „bei den Kirchen Galatiens.“ Ferner verlegt er die Entrichtung der Gabe gerade auf den passendsten Tag: „Je am ersten Wochentage lege Jeder von euch bei sich zurück, aufsparend“ u. s. w. Fünftens will er die Almosen nicht auf einmal gegeben wissen, sondern nach und nach, in kleinen Beträgen. Es ist ja keineswegs einerlei, ob er das Ganze an einem Tage zu spenden gebietet oder aber auf so viele Tage vertheilen läßt: denn im letztern Falle ist die Auslage dem Geber so zu sagen gar nicht fühlbar. Sechstens bestimmt er die Größe der Gabe nicht, sondern überläßt Das dem guten Willen der Geber und deutet dabei an, daß Dieß [d. i. sowohl die Gabe als der gute Wille] ein Geschenk Gottes ist. Beides liegt nämlich in den Worten: „Was ihn leicht ankömmt.“ Noch ein siebentes Mittel fügt er hinzu, indem er sagt: „Damit nicht, wenn ich gekommen sein werde, erst dann Sammlungen veranstaltet werden.“ Diese Worte mußten sie nämlich einerseits zum Geben drängen, insofern sie seine Ankunft zu erwarten hatten, und andererseits ermuthigen, insofern er ihnen für die Sammlungen noch eine lange Frist gewährt. Allein auch Das war ihm nicht genug; er fügte sogar noch ein achtes Mittel hinzu. Worin besteht das denn? Er sagt: „Wenn ich aber anwesend bin, will ich Die, so ihr begutachten werdet, mit Schreiben [von mir] absenden, um eure Liebesgabe zu überbringen; und wenn es werth ist, daß auch ich gehe, werden sie mit mir gehen.“ Sieh doch diesen heiligen, hochgesinnten Mann! wie ausserordentlich demüthig, wie besorgt und liebreich er ist! Er will nicht, er gibt nicht zu, daß er selbst nach seinem eigenen Gutdünken die Überbringer des Geldes bestimmen soll; er gibt vielmehr den Korinthiern diese Wahl anheim. So hält er es denn nicht für ein Unrecht, wenn diese Boten durch den Willensbeschluß der Korinthier und nicht des Paulus bestimmt würden. Das Gegentheil, daß nämlich er die Boten auswählen sollte, während Jene die Beisteuer lieferten, schien ihm nicht in der Ordnung zu sein. Darum überläßt er ihnen die Wahl, und dadurch beweis’t er nicht nur seine Demuth, sondern räumt er auch jede Veranlassung, jeden Schatten eines ungerechten Verdachtes aus dem Wege. Denn war er gleich reiner als die Strahlen der Sonne und erhaben über jeden Argwohn, so suchte er nichts desto weniger sogar weit über seine Schuldigkeit hinaus der Schwachen zu schonen und falschem Verdachte zu entgehen. Darum sagt er: „Wenn ich anwesend bin, werde ich Die, so ihr begutachten werdet, mit Schreiben absenden, um eure Liebesgabe zu überbringen.“ Was sagst du da? Willst du denn nicht hinreisen, um das Geld in Empfang zu nehmen? Dieses Geschäft willst du Andern überlassen? So sollten sie nicht denken; dieser Gedanke sollte ihren Eifer nicht lähmen. Seht, wie er auch Das wieder zu verhüten weiß. Er sagt nicht einfach so: die ihr begutachten werdet, die werde ich absenden, — sondern wie sagt er? „die werde ich mit Schreiben von mir absenden,“ d. h. wenn auch nicht dem Leibe nach, werde ich doch durch mein Geschriebenes dabei sein und mit ihnen an dieser Gesandtschaft Theil nehmen.

Da nun der heilige Paulus, als ein Mann von so ausserordentlichem und allgemein anerkanntem Ansehen, auf diese Weise einer von allen Leuten zu erwartenden Ehre auszuweichen suchte und wenn wir dagegen schon ungeduldig und verdrießlich werden, daß etwa die Verteiler solcher Gelder nicht nach unserm Gutdünken, nicht nach unserer Wahl und Meinung bestimmt werden; wenn wir es fast als eine Beleidigung empfinden, daß Andere bei der Verwendung ihres eigenen Vermögens nicht nach unserm Sinne und mit unserer Gutheissung handeln, — sind wir dann auch nur des Schattens des heiligen Paulus oder seiner Schuhe werth? Dann sieh ferner, wie er sich stets gleich bleibt und sich keinen Augenblick vergißt. Er redet nämlich hier nicht von Ausrichten ihres Auftrags, nicht von Besorgen ihrer Almosen, sondern von Überbringung ihrer Liebesgaben (χάρις) Dadurch zeigt er, daß die Unterstützung der Armen, die Mildthätigkeit gegen Dürftige ebenso sehr und noch weit mehr ein Werk der Gnade ist, als die Auferweckung vom Tode, die Austreibung böser Geister, die Reinigung vom Aussatz. Aber obgleich ein Werk der Gnade, erfordert es auch von unserer Seite Eifer und Bereitwilligkeit, damit wir uns frei dazu entschließen und der Gnade würdig machen.

Daß er also Briefe mitschicken wollte, Das war das Eine, wodurch er die Korinthier ermuthigte; das Andere und Wichtigere war sein Versprechen, auch mit ihnen an dieser Reise Theil zu nehmen. Denn er sagt: „Wenn es werth ist, daß auch ich gehe, werden sie auch mit mir gehen.“ Beachte auch hier seine Weisheit! Er hütet sich ebenso sehr, seine Begleitung zu versagen, als sie unbedingt zu versprechen; er läßt vielmehr auch darüber die Geber entscheiden und legt es in ihre Hand, ob er mitgehen wird oder nicht. Denn er gibt zu verstehen, daß er die Reise ganz gewiß unternehmen werde, wenn die Spenden reichlich ausfallen und groß genug sein werden, um ihn zu diesem Entschlusse zu vermögen. Das deuten nämlich die Worte an: „Wenn es werth ist“ u. s. w. Hätte er sich unbedingt dahin ausgesprochen, daß er die Reise nicht mitmachen werde, dann wären sie entmuthigt und dadurch saumseliger geworden; hätte er eine zweifelhafte Zusage, ein unbestimmtes Versprechen gegeben, dann würde er sie ebenfalls lässiger und gleichgiltiger gemacht haben. Das ist also der Grund, weßhalb er seine Begleitung weder unbedingt absagt noch zusagt und den Korinthiern die Entscheidung darüber anheimstellt, in den Worten: „Wenn es werth ist“ u. s. w. Als sie hörten, daß Paulus ihre Gaben überbringen würde, da gingen sie ohne Zweifel mit mehr Eifer und Bereitwilligkeit an’s Werk, damit die Spende in seine heiligen Hände gelegt und das Opfer von seinen Gebeten begleitet werden möchte.

Wenn nun aber die Korinthier, weil sie ihre Gaben an Paulus zur weitern Besorgung entrichteten, eben deßhalb williger und freudiger spendeten, — sagt an, dürfet ihr dann unschlüssig zaudern, die ihr Demjenigen spenden sollt, dessen Diener Paulus ist? unserm göttlichen Meister, der in der Person der Armen eure Almosen annimmt? Womit könntet ihr euch dann entschuldigen? Gewiß, wenn das Almosengeben nicht ein großes, allen Eifers würdiges Werk wäre, dann hätte der Mann, der mit der Sorge für den ganzen Erdkreis und für alle Kirchen unter der Sonne belastet war, sicherlich die Besorgung dieser Gelder nicht übernommen. Laßt denn auch uns Das recht bedenken und, wenn wir geben sollen oder den Gebern zu Diensten sein sollen, nicht zaudern und nicht verdrießlich werden, als würde nun unser Vermögen verringert! Sieht man denn den Landmann. wenn er den Samen ausstreut und hinwirft, was er hat, sich darüber ärgern und betrüben? Glaubt er dabei einzubüßen und nicht vielmehr zu verdienen, zu gewinnen, obgleich seine Aussichten so sehr unsicher sind? Du hast aber, wenn du die Saat des Almosens ausstreust, nicht etwa Güter derselben Art, sondern weit höherer Art zu erwarten und legst dein Geld in die Hände Christi, — wer da zögere, kalt und starr bleibt, seine Armuth vorschützt der ist ein Thor!

Konnte Gott nicht der Erde gebieten, lauteres Gold hervorzubringen? Der da gesagt hat: „Es sprosse die Erde Gras hervor!“ und der damit sofort die Pflanzen in’s Dasein rief, der konnte auch den Quellen und Flüssen gebieten, allenthalben Gold zu führen. Aber Das wollte er nicht. Er ließ vielmehr zu, daß manche Menschen bettelarm sind, und zwar sowohl zu ihrem als zu deinem Heile. Denn dem Armen ist es leichter als dem Reichen, tugendhaft zu leben, und andererseits gewährt dem Sünder die Unterstützung der Nothleidenden nicht geringen Trost. So sehr hat dem Herrn diese Sache am Herzen gelegen, daß er sich damals, als er bei uns erschienen. mit unserm Fleische bekleidet war und mit den Menschen verkehrte, in eigener Person der Verwaltung der Almosen hat unterziehen wollen. Dessen hat er sich nicht geglaubt schämen zu sollen. Er, der so viel Brod erschaffen hat, der durch das Gebot seiner Allmacht Alles hervorbringt, was er will, der im Stande ist, ganz Plötzlich unermeßliche Schätze zum Vorschein zu bringen, er hat Das gleichwohl nicht gethan: er wies vielmehr seine Jünger an, einen Beutel bei sich zu führen, die Gaben darin aufzuheben und die Armen davon zu unterstützen. Woraus geht Das hervor? Als er mit Judas andeutungsweise vom Verrathe sprach, da verstanden die Jünger das Wort nicht und meinten, heißt es, er habe dem Judas aufgetragen, den Armen Etwas zu gehen. „Er hatte nämlich den Geldbeutel,“ heißt es, „ und trug bei sich, was gegeben wurde.“

Ja, die Barmherzigkeit gilt bei Gott ungemein viel, nicht bloß seine Barmherzigkeit gegen uns, sondern auch unsere Barmherzigkeit, die wir nämlich den Mitknechten schuldig sind. Im alten sowohl als im neuen Bunde hat er darüber eine ganze Menge von Geboten gegeben, worin er uns befiehlt, in jeder Weise Nächstenliebe zu üben, durch Worte, durch Spenden, durch Werke. Diese Vorschrift wird von Moses unaufhörlich eingeschärft und in alle seine Gesetze verwebt; die Propheten, im Namen Gottes redend, rufen es laut: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer;“ alle Apostel thun und reden ganz in gleicher Weise. Laßt uns denn dieses gute Werk nicht vernachlässigen! Es sind ja nicht die Armen, die den meisten Nutzen davon haben, sondern wir selbst sind es, und was wir erhalten, ist mehr, als was wir geben.

Das sage ich gerade jetzt nicht ohne Grund, sondern darum, weil man die Armen so oft einer scharfen Prüfung unterwirft, indem man sie über ihre Heimath, Lebensweise, sittliche Führung, Befähigung und Gesundheit ausforscht, indem man sie dann mit Vorwürfen überhäuft und über ihren körperlichen Zustand tausenderlei Erkundigungen einzieht. Daher kommt es denn, daß manche arme Leute sich so stellen, als wären sie mit körperlichen Fehlern behaftet; sie müssen den Gebrechlichen, den Krüppel spielen, um unser gefühlloses Herz zu erweichen! Wenn man den Vorwurf des Müßiggangs [worauf es bei jenen Erkundigungen abgesehen ist] im Sommer gegen die armen Leute erhebt, so ist Das zwar hart, jedoch weniger hart; daß man aber sogar bei dieser winterlichen Kälte so hart und erbarmungslos richtet und mit den Unthätigen gar keine Nachsicht übt, — ist Das nicht ein Übermaß von Hartherzigkeit? Doch man sagt mir dagegen: Was hat denn Paulus den Thessalonichern für eine Regel begeben? „Wenn Einer nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.“ Nun ja; Das sollst Du auch hören! Das sagt Paulus nicht bloß für die armen Leute, sondern auch für dich! Die Gebote des heiligen Paulus gelten nicht den Armen allein, sondern auch uns! Soll ich jetzt Etwas sagen, was euch hart und ärgerlich dünkt? Ich weiß, daß ihr darüber zürnen werdet; aber ich werde es dennoch sagen; denn ich sage es nicht, um zu verletzen, sondern um zu heilen. Wir werfen diesen Leuten ihren Müssiggang vor, der doch manchmal in der That verzeihlich ist; dagegen beschäftigen wir uns vielfach mit Dingen, die schlimmer sind, als Müßiggang nur sein kann. Nun ja, sagt man; ich habe Vermögen von meinen Eltern her. Wie? ist denn dieser Arme darum, weil er arm und von armen Leuten ist, weil er keine reichen Vorfahren hat, werth, daß er zu Grunde geht? Gerade deßhalb wäre er des Mitleids und der Barmherzigkeit der Vermögenden am meisten werth! Wenn du manchmal den ganzen Tag im Theater, in Gesellschaften und Zusammenkünften verbringst, die nicht den mindesten Nutzen bringen, wenn du dabei zahllose böse Reden führst, Das hältst du weder für Sünde noch für Müssiggang; und diesem armen, bejammernswerthen Menschen, der den ganzen Tag in Bitten und Flehen, in Thränen, in so elendem Zustande hinbringt, dem bist du ein gestrenger Richter, den nimmst du in’s Verhör, der soll dir Rechenschaft ablegen! Heißt Das denn menschlich verfahren? Und wenn du meinst: Was sollen wir denn dem Paulus erwidern? so wende Das nicht auf die Armen, sondern auf dich selbst an. Übrigens aber lies nicht bloß jene strengen Drohworte, sondern auch die Worte der Nachsicht. Derselbe Mann, der gesagt hat: „Wenn Einer nicht arbeitet, soll er auch nicht essen,“ der hat hinzugefügt: „Ihr aber, Brüder, wollet nicht ermüden, wohlzuthun.“

Allein was hat man denn für eine scheinbar triftige Entschuldigung? Es ist hergelaufenes Gesindel, sagt man, es sind Auswärtige, Taugenichtse, die ihrer eigenen Heimath den Rücken gekehrt haben und in unserer Stadt zusammenströmen. Also darum zürnest du? So zerrupfest du den Ehrenkranz einer Stadt, die von Jedermann als eine Zufluchtsstätte angesehen und von den Fremden selbst der Vaterstadt vorgezogen wird? Ihr solltet stolz darauf sein, ihr solltet euch freuen, daß Jedermann sich ungesäumt an eure Mildthätigkeit um Hilfe wendet, daß man hier einen großen Stapelplatz voll milder Gaben zu finden hofft und diese unsere Stadt als eine Mutter aller Armen betrachtet. O wollet diesen guten Ruf doch nicht zerstören, diesen alten, von den Vätern ererbten Ruhm doch nicht beeinträchtigen. Denn auch vor Zeiten, als eine Hungersnoth das ganze Land bedrohte, haben die Bürger dieser Stadt den Bewohnern von Jerusalem, eben denjenigen, von welchen ich in dieser ganzen Rede gesprochen habe, durch die Hände des Barnabas und Saulus nicht geringe Almosen zugeschickt. Seht da! unsere Väter haben die Armen einer weit entfernten Gegend mit ihrem Gelde unterhalten und sind selbst zu ihnen hingeeilt, — haben wir nun wohl eine nachsichtige Beurtheilung verdient, haben wir eine Entschuldigung, wenn wir sogar die aus der Ferne zu uns geflüchteten Armen verstoßen, wenn wir so genaue Rechenschaft von ihnen verlangen, obgleich wir recht gut wissen, daß auf unserer Seele eine große Sündenschuld lastet? Wenn Gott mit uns so streng in’s Gericht geht, wie wir mit den Armen, dann werden wir keine Verzeihung, Erbarmen finden. Es sind aber Worte des Herrn: „Mit welchem Gerichte ihr richtet, werdet auch ihr gerichtet werden.“ Darum sei mild und freundlich gegen deinen Mitknecht, und entledige dich dadurch vieler Sünden. Übe Erbarmen, damit auch du ebenso gnädig gerichtet werdest. Warum bürdest du dir eine solche Last auf? Warum machst du so viele Umstände? Wenn Gott vorgeschrieben hätte, wir sollten der Lebensgeschichte der armen Leute nachforschen, Rechenschaft von ihnen verlangen, uns sorgfältig nach ihrer Führung erkundigen, würde dann nicht Mancher recht unzufrieden sein? Würde man nicht bei sich selber sagen: Was ist denn Das? Da hat uns Gott etwas recht Schweres aufgelegt!? Können wir denn anderer Leute Leben durchforschen? Wissen wir denn, was Dieser und Jener begangen hat? — Würde nicht manch Einer sich in solchen Klagen ergehen? Nun aber hat Gott uns mit allen diesen Umständlichkeiten verschont, er hat uns den vollen Lohn versprochen, mögen die Empfänger unserer Gaben Sünder oder Gerechte sein, — und wir sind es, die uns mit so großen Mühen belasten! Aber woher ist Das denn so klar, fragst du, daß wir unsern Lohn auf jeden Fall erhalten werden, mögen wir tugendhaften Leuten oder andern unsere Gaben reichen? Das geht aus folgenden Worten des Herrn selbst hervor: „Betet für Die, welche euch verfolgen und vergewaltigen, damit ihr ähnlich seid eurem Vater, der in den Himmeln ist, welcher seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte.“ Wie also dein Herr seine Wohlthätigkeit gegen alle Menschen nicht einstellt, wie er dadurch seine große Liebe zu den Menschen zeigt, daß er die Strahlen der Sonne, den Regen, die Früchte der Erde zum Gemeingut aller Menschen macht, obgleich Tausende unter ihnen gegen ihn lästern, Tausende Unzucht treiben, stehlen, rauben, Gräber schänden und zahllose Sünden begehen: so thue auch du, und wenn du Gelegenheit hast, Liebe und Erbarmen zu üben, dann mache nicht viele Umstände, sondern stehe den Armen bei, wehre ihrem Hunger, verscheuche ihren Kummer! Wenn wir vorher das Leben der Armen genau untersuchen wollen, dann werden wir uns nie eines Menschen erbarmen, wir werden durch einen solchen schlecht angebrachten Vorwitz stets in der Übung des Guten behindert sein, werden dafür ohne Lohn, ohne alle Hilfe bleiben und viele Mühe ganz vergebens, ganz nutzloser Weise auf uns nehmen. Darum ermahne ich euch, daß ihr doch aufhöret, euch so überflüssige Mühe zu machen. Spendet allen Bedürftigen, und zwar mit großer Freigebigkeit, damit auch wir am Tage des Gerichtes die Fülle des Erbarmens und der Liebe bei Gott finden mögen. Das werde uns allen zu Theil durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste eignet die Herrlichkeit, Macht und Ehre, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

Auf das Erdbeben und über Lazarus

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Unter den sieben vom heiligen Chrysostomus in Antiochien gehaltenen Predigten über Lazarus und den reichen Prasser, die sich im ersten Bande der Maurinerausgabe finden, ist die unten folgende die sechste.

Ein starkes Erdbeben hatte vor wenigen Tagen die Stadt heimgesucht. Furcht und Aufregung waren noch nicht ganz gewichen. Der heilige Lehrer benutzte, seiner Gewohnheit nach diese Stimmung und die öffentliche Calamität, um daran seine Ermahnungen anzuknüpfen. Erst im vierten Kapitel fängt er an, sein Thema zu behandeln: Lazarus und der reiche Prasser.

Was diese einfache und doch von Beredsamkeit wahrhaft überströmende Predigt besonders anziehend macht, sind die darin enthaltenen Abschweifungen: über die Beharrlichkeit des Predigers trotz der Unfruchtbarkeit seiner Ermahnungen, über die Pflicht mitleidiger Rücksichtnahme auf glaubensschwache Brüder und über die Entstehung der Sklaverei.

Die Einfachheit der Diktion, die rednerische Fülle, die Lebendigkeit der Darstellung, die zum Theil durch das Verhalten der Zuhörer veranlaßten Exkurse legen die Annahme nahe, daß die Predigt in dieser Form gleich mit- oder nachgeschrieben ist.

Inhalt.

Das Erdbeben, das die Stadt kürzlich heimgesucht hat, mahnt zur Furcht Gottes, aber auch zur Dankbarkeit. Die Schrecken des jüngsten Tages. Der Priester darf nicht müde werden zu predigen, wenn er auch noch so wenig Erfolg erzielt. — Nicht die auf Erden gestraften, sondern die scheinbar glücklichen Sünder sind am meiden zu bedauern. Einige werden hier auf Erden und in der andern Welt, andere nur hier auf Erden, andere nur im Jenseits gestraft. Zu den letztern gehörte der reiche Prasser. Sein Lasterleben; Tugenden des Lazarus. Beurtheile die Menschen nur nach ihrem innern werthe! — Das Leben auf Erden ein Theaterspiel. — Tod des reichen Prassers, Tod des armen Lazarus. Das Zwiegespräch zwischen Abraham und dem reichen Prasser. Exkurs über die Entstehung der Sklaverei. Warum sagt Abraham: Du hast dein Gutes zurück -erhalten, und Lazarus sein Böses? — Nichts Gutes bleibt unbelohnt.

Text

 

Über das Erdbeben, über den reichen Prasser und Lazarus, und über die Entstehung der Sklaverei. Habt ihr nun gesehen die Macht des Herrn? gesehen seine Liebe? seine Macht, welche die Erde erschüttert, seine Liebe, welche ihren Zusammensturz aufgehalten hat? Doch nein: Beides zeugt von seiner Macht und auch von seiner Liebe. Denn auch die Erschütterung der Erde zeugt von seiner Liebe, — er hat die Erde erschüttert und wieder befestigt, — und daß er die schwankende, die schon einstürzen wollte, wieder aufgerichtet hat, auch Das ist ein Beweis für seine Macht.

Das Erdbeben ist nun vorüber, die Furcht aber bleibe! Die Erschütterung hat aufgehört, die Frömmigkeit verlasse uns nicht mehr! Drei Tage lang haben wir gebetet; unser Eifer lasse nicht nach! Denn wegen unserer Leichtfertigkeit, deßwegen ist das Erdbeben über uns gekommen. Wir waren nachlässig, dadurch haben wir uns das Erdbeben zugezogen; wir sind eifrig geworden, und dadurch sind wir dem Zorn entgangen. Laßt uns nicht wieder nachlässig werden, auf daß wir nicht wieder Zorn und Strafe auf uns laden. Denn „Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.“

Habt ihr nun gesehen, wie wenig Bestand das Geschlecht der Menschen hat? Während des Erdbebens dachte ich bei mir selbst: Wo sind nun die Räubereien? und Habgier, Herrschsucht, Hochmuth, Anmaßung, Bedrückung, Ausbeutung der Armen, Übermuth der Reichen, Gewaltthätigkeit der Vornehmen, freche Drohungen, Befürchtungen — wo ist Das alles hingekommen? Ein Augenblick — und Das alles war, leichter als Spinngewebe, zerrissen, Alles war dahin, Wehklagen erfüllte die Stadt, Alle eilten zur Kirche. So erwäget denn, wie es uns ergangen sein würde, wenn es Gott gefallen hätte, Alles zu zerstören. Das sage ich, damit die Furcht vor diesem Schicksal unablässig in euren Herzen lebendig bleibe und euch alle aufrecht halte. Der Herr hat die Erde erschüttert, aber nicht zerstört. Wenn er sie zerstören wollte, hätte er sie nicht erschüttert. Aber weil er Das nicht wollte, hat er das Erdbeben wie einen Herold vorausgeschickt, um allen Menschen seinen Zorn zu verkünden, damit wir, durch die Furcht gebessert, dem Vollzug des ganzen Strafgerichtes entgehen möchten. So hat der Herr es vor Zeiten auch in einem fernen Lande gemacht. „Noch drei Tage, und Ninive wird zu Grunde gehen.“ Warum zerstörst du die Stadt denn nicht? Du drohst ihr den Untergang; warum geht sie nicht unter? Weil ich sie nicht zerstören will, darum drohe ich. Wie ist Das zu verstehen? Damit ich nicht thun muß, was ich verkündige, darum soll das Wort vorauseilen und die That verhindern. „Noch drei Tage, und Ninive wird zu Grunde gehen.“ Damals sprach der Prophet, jetzt lassen die Mauern ihre Stimme ertönen.

Das sage ich aber, und Das werde ich unaufhörlich sowohl den Armen als den Reichen sagen: Erkennet, wie mächtig Gottes Zorn, wie für ihn Alles leicht und ohne Mühe in’s Werk zu setzen ist. Darum laßt uns endlich einmal auf unsern Sündenwegen einhalten! Er hat in einem kurzen Augenblick jedes Herz und Gemüth erzittern gemacht, hat die Grundfesten der Seele erschüttert. So gedenken wir denn auch einmal jenes furchtbaren Tages, wo es sich nicht um einen Augenblick handelt, sondern eine endlose Ewigkeit bevorsteht. Denken wir an die Ströme von Flammen, den drohenden Zorn, das Herbeischleppen zum Gericht durch Mächte der Geisterwelt, denken wir an den schrecklichen Thron des Richters, an das unbestechliche Gericht; erwägen wir, daß uns dann eines Jeden Werke klar vor Augen stehen, und daß Niemand helfen kann, kein Nachbar, kein redefertiger Anwalt, kein Angehöriger, kein Bruder, kein Vater, keine Mutter, kein Gastfreund — Niemand! Sagt an, was wollen wir dann beginnen? Ich setze in Furcht, um euer Heil zu wirken; ich schärfe meine Rede wie ein Messer, damit sie für Jeden, der es nöthig hat, zur Heilung seiner Seelenwunden dient. Sagte ich nicht immer — wie ich auch jetzt sage und nie aufhören werde zu sagen —: Wie lange klebt ihr noch an dieser Welt? Zu Allen rede ich, doch ganz vorzüglich zu Denen, die an einer Seelenkrankheit leiden, und die auf meine Worte nicht achten. Aber nützlich sind diese Ermahnungen für Jedermann, für die Kranken, damit sie genesen, und für die Gesunden, damit sie nicht erkranken. Wie lange wird noch das Geld euer Eins und Alles sein? wie lange der Reichthum? wie lange die stattlichen Häuser? wie lange die wilde Gier nach thierischer Lust? Seht, das Erdbeben ist gekommen — was hat der Reichthum geholfen? Mit dem Besitzer ist zugleich seine Habe, das Haus ist sammt seinem Erbauer zu Grunde gegangen; beide haben Ruhe gefunden. Für Alle ist die Stadt zum Grabe geworden, zum plötzlichen Grabe, das nicht von der Hand des Todtengräbers, sondern durch die Gewalt des Schicksals hergerichtet ist. Wo ist der Reichthum hingekommen? wohin die Räubereien? die Habsucht? Seht ihr, daß Das alles weniger Bestand hat als das Gewebe einer Spinne?

Doch man wird mir sagen: Was nützen deine Worte? Sie nützen, wenn nur irgend Jemand mich anhört. Ich thue das Meinige. Der Säemann säet. Der Säemann ging aus, um zu säen, und Einiges fiel auf den Weg, Anderes auf den Felsen, Anderes in die Dornen, Anderes auf das gute Land. Drei Theile gingen verloren, ein Theil ward erhalten — und der Säemann ließ nicht ab, sein Feld zu bebauen. Weil ein Theil erhalten blieb, hörte er nicht auf, den Acker zu bearbeiten. Nun aber ist es doch ganz unmöglich, daß mir aus dem Samen, den ich unter eine solche Menge von Zuhörern ausstreue, gar keine Ähren erwachsen sollten. Wenn nicht Alle hören, wird doch vielleicht die Hälfte hören; wenn nicht die Hälfte, doch der dritte Theil; wenn nicht der dritte, doch der zehnte Theil; und wenn auch nicht der zehnte Theil, nun wohl, wenn auch nur Einer aus der ganzen Menge auf mich hören will, so höre er! Denn es ist nichts Geringes, wenn auch nur ein einziges Schaf gerettet wird. Hat nicht jener gute Hirt die neun und neunzig Schafe verlassen, um dem einen, das sich verirrt hatte, nachzueilen? Ich verachte keinen Menschen. Ist es auch nur ein einziger — es ist ein Mensch, d. h. ein Wesen, das Gott dem Herrn ausserordentlich lieb und theuer ist. Ist es auch ein Sklave, ich halte ihn nicht für verachtenswerth. Denn ich suche an einem Menschen nicht Würde und Ansehen, sondern Tugend. Er sei Gebieter oder Sklave — ich suche nur seine Seele. Ist es auch nur ein einziger, es ist ein Mensch, um dessentwillen der Himmel ausgespannt ist, für den die Sonne scheint, der Mond seine Bahn geht, die Luft ausgegossen ist, die Quellen sprudeln, das Meer sich ausdehnt, die Propheten gesendet sind, das Gesetz gegeben ist. Ich brauche nicht Alles aufzuzählen; sage ich nur gleich: für den der eingeborne Sohn Gottes Mensch geworden ist. Mein Herr und Gebieter hat sich für den Menschen hinschlachten lassen, sein Blut vergossen — und ich soll einen Menschen verachten dürfen? Wie könnte ich dann Nachsicht zu erwarten haben? Habt ihr nicht gehört, wie der Herr mit der Samariterin redete und zwar ein sehr langes Gespräch führte? Er hat sie nicht verachtet, obgleich sie eine Samariterin war; weil sie eine Seele hatte, darum hat er sich um sie bemüht. Er hat sie nicht gering geschätzt, obgleich sie eine Buhlerin war; weil sie zum Heile gelangen sollte und Glauben zeigte, darum hatte sie sich seiner großen und liebevollen Sorgfalt zu erfreuen. Übrigens werde ich nicht aufhören zu reden, wenn auch Keiner auf mich hört. Ich hin Arzt — ich biete Arzneien an; ich bin Lehrer — ich habe die Weisung, zu ermahnen. Denn der Herr sagt: „Zum Wächter habe ich dich dem Hause Israel gegeben.“ Bessere ich Niemand? Nun was liegt daran? Mein Lohn ist mir sicher. Doch ich übertreibe. Denn es ist ganz unmöglich, daß bei einer solchen Menge Niemand sollte gebessert werden.

Jetzt aber folgen die Vorwände und Entschuldigungen gleichgiltiger Zuhörer: Ich höre [das Wort Gottes] jeden Tag, sagt man; aber die Werke folgen nicht. Fahre nur fort zu hören, wenn auch noch die Werke fehlen; denn aus dem Hören ergeben sich auch die Werke. Wenn auch die Werke fehlen, so schämst du dich doch wegen deiner Sünden; wenn auch die Werke fehlen, so änderst du doch deine Gesinnung, so stehst du doch nicht an, dieses Fehlen zu beklagen und zu verurtheilen. Woher diese Klage und Verurtheilung? Das ist die Frucht meiner Worte. Wenn du sagst: „Weh nur! ich höre, aber ich thue nicht darnach“ — dann ist dieses „Weh mir“ schon ein Vorbote der Bekehrung. Du hast gesündigt? Nun, hast du deine Sünden auch beweint? Dann hast du sie getilgt. Denn es heißt: „Zähle deine Missethaten auf, du zuerst, damit du gerechtfertigt werdest.“ Wenn du dich betrübst, wenn du traurig wirst, dann gereicht dir diese Trauer zum Heile, nicht als ob sie an sich etwas Heilsames wäre, sondern wegen der großen Liebe, die der Herr gegen uns Menschen hegt. Wer gesündigt hat, Dem gewährt die Trauer nicht geringen Trost. Denn so sagte der Herr: „Ich sah, daß es [das Volk] traurig ward, sich grämte, und ich heilte seine Schmerzen.“ O wie ist doch unsere Herr so unsäglich liebreich, so unbeschreiblich gütig! „Es trauerte, und ich heilte es.“ Ist denn die Trauer etwas Großes? Das freilich nicht; aber ich habe, sagt er, von seiner Trauer Veranlassung genommen, es zu heilen.

Habt ihr nun gesehen, wie er in einem kurzen Augenblicke Alles zu Stande gebracht hat? So gedenket denn immerdar an das Erdbeben von jenem Abend. Alle Andern waren damals wegen des Erdbebens, ich aber war wegen seiner Ursache in Furcht und Angst. Habt ihr verstanden, was ich sage? Die Andern fürchteten den Zusammensturz der Stadt und ihren eigenen Tod; ich aber fürchtete den Zorn des Herrn. Denn das Sterben ist so schlimm nicht; aber schlimm ist es, wenn man Gott den Herrn erzürnt hat. Darum war ich nicht wegen des Erdbebens, sondern wegen seiner Ursache in Furcht und Angst. Die Ursache des Erdbebens ist der Zorn Gottes, die Ursache dieses Zornes aber sind unsere Sünden. Fürchte nie die Strafe, sondern fürchte die Sünde, welche die Strafe gebiert. Die Stadt erbebt! Nun, was thut’s? Daß nur deine Seele nicht wanke! Wenn wir Kranke und Verwundete sehen, dann beklagen wir nicht Die, welche geheilt werden, sondern die unheilbaren. Was Krankheiten und Wunden sind, Dasselbe sind die Sünden; was ärztliche Behandlung, was Operationen und Arzneien sind, Das ist die Züchtigung.

Habt ihr verstanden, was ich sage? Merket auf, denn ich will euch echte Weisheit lehren. Warum beklagen wir doch die Gezüchtigten, aber nicht die Sünder? Die Strafe ist weniger schlimm als die Sünde; denn die Sünde ist die Ursache der Strafe. Gesetzt, ein Mensch hat ein böses Geschwür, aus welchem Eiter fließt und Würmer am Leibe herabkriechen, und er vernachlässigt das Geschwür und seine Fäulniß; ein Anderer dagegen, der an demselben Übel leidet, läßt sich von einem kundigen Arzte behandeln, läßt sich Brennen und Schneiden gefallen, nimmt bittere Arzneien, — sag’ an, wenn du Das siehst, welchen von den Beiden wirst du beklagen? Den Kranken, dem die ärztliche Pflege mangelt, oder denjenigen, der sich ärztlich behandeln läßt? Offenbar denjenigen, dem die Pflege fehlt. Nun denke dir zwei Sünder; der eine leidet Strafe, der andere nicht. Dann sage ja nicht so: Dieser Mensch hat Glück; denn er ist reich, er begeht Raub an Waisen, Unterdrückung an Wittwen, und dennoch trifft ihn keine Krankheit; bei aller seiner Ungerechtigkeit ist er ein höchst angesehener, ein vielgeehrter und einflußreicher Mann; er wird von den gewöhnlichen Widerwärtigkeiten des menschlichen Lebens in keiner Weise heimgesucht, hat Nichts von Bedrängnissen, von Fiebern und sonstigen Krankheiten zu leiden; es umgibt ihn eine ganze Schaar von Söhnen und Töchtern, und seine alten Tage bringen ihm nur Freude und Annehmlichkeit. Nein — halte ihn nicht für glücklich; gerade diesen Menschen sollst du am allermeisten beklagen, weil er krank ist und nicht geheilt wird. Wie Das zu verstehen ist, will ich jetzt sagen. Wenn Jemand die Wassersucht hat und sein Körper in Folge eines äusserst schlimmen Milzleidens schon ganz aufgeschwollen ist, und wenn dieser Mensch, anstatt sich schleunigst an den Arzt zu wenden, sich vielmehr dem Genusse kühler Getränke hingibt, einen ausgesucht guten und seinen Tisch führt, täglich dem Trunke fröhnt, von Aufwärtern stets umgeben ist, wenn er solchergestalt der Krankheit Nahrung zuführt, — sag an, wirst du diesen Menschen glücklich preisen, oder wirst du ihn bedauern? Wenn aber ein anderer Wassersüchtiger sich ärztlich behandeln läßt, sich einer Hungerkur unterzieht, sich große Entbehrungen auflegt, fortwährend bittere Arzneien nimmt, die zwar sehr unangenehm sind, aber auf dem Wege der Bitterkeit zur Gesundheit führen, — wirst du diesen nicht eher für glücklich halten? Du bist einverstanden; denn der eine ist krank und wird nicht geheilt, der andere ist krank und wird doch wenigstens ärztlich behandelt. Die Kur ist recht lästig, allerdings; aber am Ende zeigt sich der Vortheil. So geht es in diesem Leben. Doch laßt uns jetzt statt vom Leibe von der Seele reden, statt von Krankheiten jetzt von Sünden, statt von bittern Arzneien jetzt von Gottes Strafen und Gerichten! Was nämlich die Arzneien, was Schneiden und Brennen von Seiten des Arztes, Das sind die Züchtigungen von Seiten Gottes. Wie durch brennen manchmal das Umsichgreifen der Krankheit gehemmt, wie durch Schneiden das faule Fleisch entfernt wird, wie Beides zwar schmerzt, aber auch heilsam ist, so sind Hunger und Seuchen und überhaupt alle scheinbaren Übel gleichsam Eisen und Feuer für die Seele und müssen ebenso wie es auf dem Gebiete des leiblichen Lebens geht — das Umsichgreifen der Seelenkrankheiten hindern und zur sittlichen Besserung dienen.

Ich nehme an, da sind zwei Unzüchtige — denkt an das eben ausgeführte Gleichniß! also zwei Unzüchtige; der eine ist reich, der andere arm. Welcher von beiden hat die die meiste Hoffnung, zum Heile zu gelangen? Offenbar der Arme; Das werdet ihr zugeben. Sage also nicht: Der Reiche fröhnt der Wollust und ist dabei ein reicher Mann; darum halte ich ihn für glücklich. Du müßtest ihn eher für glücklich halten, wenn er bei seinem unzüchtigen Leben von Armuth und Hunger zu leiden hätte; denn dann wäre die Armuth seine Zuchtmeisterin, wenn auch gegen seinen Willen. Wenn du siehst, daß es einem schlechten Menschen gut geht, dann beweine ihn; denn sein Elend ist ein doppeltes: eine Krankheit, die unheilbar ist. Wenn du siehst, daß es einem schlechten Menschen übel geht, dann tröste [ihn?], nicht allein, weil er gebessert wird, sondern auch, weil er jetzt viele Sündenschulden abträgt.

Achte genau auf meine Worte! Viele Menschen werden auf Erden gestraft — und in der andern Welt verurtheilt, andere nur hier, wieder andere nur dort. Diese meine Lehre haltet fest! Denn diese Wahrheit, recht verstanden und erwogen, wird euch viele verwirrende Gedanken benehmen. Jetzt wollen wir aber, wenn es euch recht ist, zuerst von einem Manne reden, der in der andere Welt gezüchtigt wird und hier ein recht üppiges Leben geführt hat. Die Reichen und nicht minder die Armen mögen wohl auf meine Worte achten! Denn für die Einen sowohl als für die Andern sind diese Lehren von großem Nutzen. Daß übrigens Viele sowohl hier als im andern Leben bestraft werden, Das sagt uns Christus selbst. Höret seine Worte: „In welche Stadt aber oder Wohnung ihr hineingeht … während ihr hineingeht in das Haus, grüßet es, sprechend: Friede diesem Hause. Und so nun jenes Haus würdig ist, komme euer Friede auf dasselbe; wenn es aber nicht würdig ist, wende euer Friede sich auf euch zurück. Und wer immer euch nicht aufnimmt noch auch euren Worten Gehör gibt, aus der Stadt gehet hinweg und schüttelt den Staub ab von euren Füßen! Wahrlich, ich sage euch, erträglicher wird es sein dem Lande von Sodoma und Gomorrha am Gerichtstage, als jener Stadt. In welche Stadt aber oder Wohnung ihr hineingeht, erkundete wer in ihr würdig sei, und dort bleibet, bis ihr fortgeht.“ Daraus geht hervor, daß die Bewohner von Sodoma und Gomorrha nicht bloß auf Erden dem Strafgericht verfallen sind, sondern auch jenseits gezüchtigt werden. Denn wenn der Herr sagt: erträglicher wird es dem Lande von Sodoma sein als Diesen, so deutet er damit an, daß auch die Sodomiter gestraft, aber nicht so hart wie Jene gestraft werden.

Andere wiederum werden nur hier auf Erden gestraft, wie z. B. der Unzüchtige [in Korinth]. Der heilige Paulus schreibt nämlich folgendermaßen an die Korinther: „Überhaupt hört man unter euch von Unzucht und solche Unzucht, wie sie nicht einmal bei den Heiden genannt wird, so daß Einer das Weib seines Vaters hat. Und ihr seid aufgeblasen und hattet nicht vielmehr Leidwesen, damit fortgeschafft werde aus eurer Mitte Der, welcher dieses Werk verübt hat! Denn ich meinerseits, zwar abwesend dem Leibe, doch anwesend dem Geiste nach, habe entschieden, als ob anwesend, Den, welcher Dieses also verübt hat, — im Namen unseres Herrn Jesus Christus, nachdem ihr vereinigt seid und mein Geist, zu übergeben einen Solchen dem Satan zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde an dem Tage unseres Herrn Jesus.“ Siehst du, wie dieser Mensch hier auf Erden, aber nicht in der andern Welt gestraft wird? Weil er nämlich dem Leibe nach hier gestraft wird, wird er in der andern Welt nicht gestraft.Nun will ich euch den Mann zeigen, der hier auf Erden geschwelgt hat, jenseits aber gestraft wird. „Es war ein reicher“ … Aber wartet das Ende ab, wenn ihr auch den ganzen Verlauf der Erzählung schon im Voraus wisset! Daß ihr gleich, wenn ich anfange, den Samen des Wortes auszustreuen, auch schon die reifen Ähren pflücket, Das gereicht allerdings mir zur Ehre und euch zum Lobe. Die wiederholte und unermüdliche Anhörung der Predigt hat euch wirklich Lehrern gleich gemacht. Aber weil auch viele Fremde mit euch gekommen sind, mäßigt eure Eile und wartet geduldig auf die Nachhinkenden! Denn die Kirche ist wie ein Leib; sie hat Augen und hat ein Haupt. Wenn nun z. B. die Ferse durch einen Dorn verwundet ist, dann wendet sich das Auge nach unten, weil es ein Glied des Leibes ist, und es sagt nicht: weil ich oben meine Stelle habe, verachte ich das Glied, das unten ist; sondern es wendet sich nach unten und steigt von seiner Höhe herab — und doch, was ist geringer als die Ferse und edler als das Auge. Aber das Mitleiden gleicht die Ungleichheit aus, und die Liebe bringt Alles in die rechte Ordnung. So nimm dir denn das Auge zum Vorbild! Wenn du leicht und schnell auffassest, wenn du zum Hören und Verstehen gut angelegt bist, und wenn dein Bruder dagegen dem hier verkündeten Worte nicht so leicht folgen kann, dann neige sich dein Auge herab zur Ferse! Es trage Mitleid mit dem lahmen Gliede, damit nicht um deiner raschen Auffassung und seiner Langsamkeit willen an ihm das Wort Gottes spurlos vorübergehe! Mißbrauche deinen Scharfsinn nicht zu seinem Nachtheil, sondern danke Gott für die Gabe des leichtern Verständnisses. Du bist reich? — Das freut mich, freut mich sehr, aber Jener ist noch arm. Laß ihn nicht wegen deines Reichthums arm bleiben! Ihn quält ein Dorn, der Dorn des Zweifels und der Rathlosigkeit; steige herab zu ihm und ziehe den Dorn heraus!

Was sagt der Herr also? Es war ein reicher Mann, — reich dem Namen nach, nicht in Wirklichkeit. Es war ein reicher Mann, der sich in Purpur kleidete, seinen Tisch mit kostbaren Speisen besetzte, Wein aus bekränzten Bechern trank und Tag für Tag Gastgelage hielt. Es war aber ein Anderer, der war arm, mit Namen Lazarus. Wo ist denn der Name des Reichen? Nirgends; er ist ein Mensch ohne Namen. Wie groß war doch sein Reichthum! und sein Name ist nicht zu finden. Welcher Art ist denn dieser Reichthum? Da siehst du einen Baum, der im Schmuck der Blätter prangt, aber keine Früchte trägt; eine Eiche, die hoch in die Lüfte ragt und mit ihren Früchten nur unvernünftige Thiere speis’t; einen Menschen, aber ohne wahrhaft menschliche Früchte. Denn wo Reichthum sich mit Raublust paart, da sehe ich einen Wolf und nicht einen Menschen; wo Reichthum mit roher Wildheit, da sehe ich einen Löwen und nicht einen Menschen; er hat den Adel der menschlichen Natur durch die Gemeinheit der Sünde zerstört.

Es war ein reicher Mann, der sich täglich in Purpur kleidete, — aber seine Seele war voll Spinngewebe; er duftete von Salben, aber sein Inneres war voll Gestank; er setzte seine Speisen auf, fütterte Schmarotzer und Schmeichler, mästete seinen Leib — den Knecht, aber es störte ihn nicht, daß seine Seele, die Gebieterin, vor Hunger zu Schanden ging. Bekränzt war sein Haus, übertüncht die Wohnstätte des Lasters, aber seine Seele vergraben in Trunkenheit. Dieser reiche Mann führte also einen kostbaren Tisch, trank Wein aus bekränzten Bechern und bewirthete Schmarotzer und Schmeichler — diese nichtswürdigen Menschen, diese Augenweide des Satans, diese Wölfe, die manchen Reichen einfangen und zum Sklaven machen, die um Anfüllung ihres Bauches sein Verderben kaufen, die den Reichthum verunehren, indem sie ehren und schmeicheln. Man geht nicht fehl, wenn man sie Wölfe schilt. Der Reiche ist das Schaf, das sie umzingeln; indem sie ihn durch Lob erheben, durch Schmeichelreden aufblähen, machen sie es ihm unmöglich, seine Sündenwunden auch nur zu gewahren. Sie verblenden seinen Verstand und verschlimmern die Fäulniß seiner Seele. Wenn aber das Schicksal sich wendet, dann sind die Freunde entflohen, und wir, die herben Tadler, wir sind dann die Mitleidigen. Sie aber, diese hohlen Larven, sind verschwunden — und Das geschieht auch heutzutage gar nicht selten.

Jener Reiche also war ein Mensch, der stets feile Lobredner und Possenreisser bewirthete, sein Haus zum Theater machte, seine Gäste in Wein berauschte und alle Tage herrlich und in Freuden lebte. Es war aber ein Anderer mit Namen Lazarus, voll Geschwüren, der saß an der Thür des Reichen und begehrte — Brosamen. Also dicht an der Quelle — und verschmachtend! hart am Wohlleben — und verhungernd! Wo lag er hingestreckt? Nicht draussen, nicht auf der Straße, nicht auf der Gasse, nicht mitten aus dem Markte, sondern an der Thür des Reichen, wo dieser nothwendig aus und eingehen mußte. Er sollte nicht sagen können: Ich habe ihn nicht gesehen, ich bin vorübergegangen, und meine Augen sahen ihn nicht. Am Eingange deines Hauses liegt er — die Perle im Koth, — und du siehst ihn nicht? Der Arzt an deiner Thür — warum lässest du dich nicht heilen? Der Steuermann im sichern Hafen — warum leidest du Schiffbruch? Du bewirthest Schmarotzer — warum bewirthest du keine Armen? So ging es, so geht es aber auch noch heute. Denn darum ist es aufgeschrieben, damit die spätern Geschlechter aus diesen Ereignissen lernen und nicht das gleiche Schicksal haben. — Der Arme lag also an der Thür, der Arme draussen, der Reiche drinnen. Sein Leib war bedeckt mit Geschwüren — ein kostbarer Schatz, aussen Dornen, innen Perlen. Denn was schadete ihm die Krankheit des Leibes, da seine Seele sich blühender Gesundheit erfreute? Hört es, ihr Armen, auf daß ihr euch nicht zu sehr quält und nicht verzagt! Hört es, ihr Reichen, damit ihr euch bekehret von euren Sünden! Seht hier das Bild der Armuth und des Reichthums, der rohen Hartherzigkeit und der stillen Geduld, des heldenmüthigen Duldens und der unersättlichen Habgier! Diese zwei Bilder sind uns vor Augen gestellt, damit wir einen Armen nicht für elend halten, wenn wir ihn mit Geschwüren bedeckt und ganz verachtet sehen, und damit wir einen Reichen nicht glücklich preisen, wenn wir ihn von Glanz und Pracht umgeben sehen.

Kehren wir zum Gleichniß zurück! Wenn Zweifel dich quälen und verwirren, und dein Nachdenken an den Erfahrungen dieses Lebens scheitert, dann eile zum Hafen, d. h. laß dir Trost spenden durch diese Erzählung! Denk’ an Lazarus, der verachtet ward; denk’ an den Reichen, der gute Tage hatte und im Überfluß schwelgte, und dann soll dich Nichts, was im Leben vorkommt, in Verwirrung setzen. Wenn du hier genau zusiehst, sorgfältig erwägst, dann werden die Wogen nicht über dir zusammenschlagen. Du mußt nur scharf unterscheiden und die Dinge nach ihrem wahren und eigentlichen Wesen beurtheilen; dann wird dein Schifflein nicht scheitern. Was soll es denn, wenn du mir sagst: Mein Leib wird hart bedrängt!? Daß nur deine Seele keinen Schaden leide. Oder du sagst: „Dieser und Jener ist reich und ist doch ein Bösewicht.“ Nun, was thut’s? Seine Bosheit siehst du freilich nicht aber du darfst den Menschen nicht nach seinen äussern Verhältnissen, sondern nur nach seinem innern Werthe schätzen. Wenn du einen Baum siehst, achtest du dann auf die Blätter oder auf die Früchte? Wende Das auf die Menschen an: wenn du einen Menschen siehst, prüfe nicht sein äusseres, sondern sein Inneres, achte auf die Frucht, nicht auf die Blätter! Er könnte vielleicht für einen veredelten Ölbaum gelten, da er doch ein wilder ist, für einen Menschen gelten, während er ein Wolf ist. Beurtheile ihn nicht nach seiner Natur, sondern nach seinem Charakter, nicht nach dem äussern Ansehen, sondern nach der Gesinnung, und nicht bloß nach der Gesinnung, sondern erkundige dich auch nach seinem Lebenswandel! Wenn er die Armen liebt, ist er ein Mensch; wenn er Nichts thut als Geschäfte machen, ein Eichbaum [d. h. leer an Früchten]; wenn er leidenschaftlich und gewaltthätig ist, ein Löwe; wenn raubgierig, ein Wolf, und wenn hinterlistig, eine Schlange. Und dann sprich: Ich suche einen Menschen; warum zeigt sich mir statt eines Menschen ein Thier? Erkenne also, was die Tugend am Menschen ist, und laß dich nicht verwirren! — Es lag also Lazarus an der Thür, mit Geschwüren bedeckt, abgezehrt von Hunger; die Hunde aber kamen und leckten seine Wunden. Die Hunde, menschenfreundlicher als der Mensch, leckten seine Wunden, entfernten den Eiter, reinigten sie von Schmutz. Lazarus lag da wie das Gold im Feuerofen und wurde immer mehr erprobt. Er sagte nicht, wie so viele Arme sagen: Heißt Das göttliche Vorsehung? Also kümmert sich Gott um das Schicksal der Menschen? Ich lebe rechtschaffen und bin arm, und der da lebt in Lastern und ist reich? So oder ähnlich dachte er nicht; er unterwarf sich den unbegreiflichen Rathschlüssen der göttlichen Liebe, seine Seele läuternd, in den Leiden standhaft ausdauernd, Geduld und Ergebung bewährend. Sein Leib lag hilflos im Staube; aber inzwischen eilte die Seele, beflügelt durch die Entschiedenheit des guten Willens, den Kampfpreis zu erringen und, von den Schmerzen befreit, mit Freude erfüllt zu werden. Er sagte nicht: die Schmarotzer haben Überfluß, und ich werde der Brosamen nicht werth gehalten! Nein, er machte es anders: er dankte Gott und verherrlichte ihn.

Es geschah, daß sie starben. Der Reiche starb und wurde begraben. Auch Lazarus ging hinüber — ich möchte nicht sagen, daß er starb. Denn der Tod des Reichen war allerdings ein wahres Sterben und Begrabenwerden; der Tod des Armen dagegen war ein Hinübergehen, ein Übergang zum Bessern; er eilte aus dem Kampfe zu den Siegespreisen, aus dem hohen Meere in den Hafen, aus der Schlacht zum Triumph, von Muhe und Schweiß zur Krönung. Beide kamen dorthin, wo die Wahrheit ganz allein regiert. Das Theaterspiel war zu Ende, die Masken verschwanden.

Hier auf Erden geht es nämlich wie in einem Schauspiel. Ihr seht im Theater mitten am Tage auf lauter Täuschung beruhende Darstellungen. Viele Schauspieler treten ein und führen ein Stück auf. Sie haben ihr Angesicht mit einer Maske verhüllt, und so erzählen sie die alten Sagen und melden von alten Geschichten. Da wird nun der Eine zum Gelehrten und ist es nicht, ein Anderer zum König und ist es nicht; er hat vom König nur den Schein, indem er den König darstellt. Ein Anderer wird zum Arzt und versteht nicht einmal ein Stück Holz richtig zu behandeln; er ist eben nur nach Art der Ärzte gekleidet. Ein Anderer wird zum Sklaven, obgleich er zu den Freien gehört, ein Anderer zum Lehrer, obgleich er nicht einmal die Buchstaben kennt. Sie alle sind Nichts von Dem, was sie scheinen, und was sie sind. Das scheinen sie nicht. Jener erscheint als Arzt und ist es nicht; der Zweite erscheint als Gelehrter, weil er nach Art der Gelehrten Haar und Bart trägt; der Dritte erscheint als Soldat, indem er äusserlich einem Soldaten ähnlich sieht. Das Maskengesicht täuscht; aber es kann den Charakter und die Stellung des Menschen, deren Wirklichkeit es widerspricht, nicht zur Lüge machen. So lange nun die Zuschauer da sitzen, so lange die Unterhaltung dauert, so lange sind auch die Masken in Geltung. Wenn aber der Abend kommt, wenn das Spiel zu Ende ist und Alles nach Hause geht, dann werden die Masken bei Seite gelegt; und der im Theater ein König war, Der wird jetzt vielleicht als Kupferschmied erfunden. Die Masken sind abgelegt, die Täuschung ist vorüber, die Wahrheit tritt zu Tage. Der im Schauspiel ein freier Mann war, Den findet man draussen als Sklaven wieder. Denn, wie ich schon sagte, dort galt die Täuschung, hier gilt die Wahrheit. Der Abend kam, das Schauspiel war zu Ende, die Wahrheit trat zu Tage.

So geht es auch am Ende dieses Lebens. Das gegenwärtige Leben ist wie ein Theater; Armuth und Reichthum, Herrschaft und Dienstbarkeit u. dgl., überhaupt die Schicksale dieses Lebens sind nur Schein. Einst wird aber dieser Tag vorüber sein, und kommen wird jene furchtbare Nacht — oder vielmehr jener Tag; denn eine Nacht ist es für die Sünder, ein Tag für die Gerechten —. Dann ist das Spiel zu Ende, die Masken sind abgelegt, und geprüft wird ein Jeder und seine Werke: nicht ein Jeder und seine Reichthümer, oder ein Jeder und sein Amt, oder ein Jeder und seine Ehre, oder ein Jeder und seine Gewalt, sondern: ein Jeder und seine Werke. Geprüft werden also Fürsten und Könige, Weiber und Männer. Dann wird nach dem Lebenswandel und nach den guten Werken gefragt, nicht, ob man hohe Würden bekleidet, ob man in Armuth und niedrigem Stande gelebt, ob man eine verächtliche und tyrannische Behandlung erfahren hat. Zeige mir Werke vor, heißt es dann; wenn du auch ein Sklave bist — sie seien edler als beim Freien; wenn du auch ein Weib bist, sie seien mannhafter als beim Manne. Wenn die Masken einmal abgelegt sind, dann stellt sich heraus, wer arm und wer reich ist. Und wie man bei uns manchmal nach dem Schlusse des Theaters, wenn man von einem erhöhten Platze herab den Gelehrten, aus dem Schauspiel draussen als Kupferschmied wieder sieht, seine Verwunderung äussert und sagt: Ei, war der da nicht im Theater ein Gelehrter? und hier sehe ich jetzt, daß er ein Kupferschmied ist! War Jener nicht im Theater ein König? und nun sehe ich, daß er ein ganz geringer Mann ist! — so wird es auch einst in der andern Welt gehen.

Ich will Das nicht weiter ausführen, um nicht durch Weitläufigkeit meine Zuhörer zu verwirren; ich will aber jetzt das trügerische Spiel dieses Lebens an zwei Personen zeigen. Zwei Personen habe ich besprochen; von ihnen bin ich ausgegangen, um euch den rechten Weg zu eigen und euch die rechten Mittel an die Hand zu geben. Ich habe euren Ausblick durch die Schilderung des gegenwärtigen Lebens erweitert, so daß ihr alle den wahren Unterschied zwischen den Dingen dieser Welt zu beurtheilen wisset. Also zwei Personen: die eine spielt die Rolle des Reichen, die andere die des Armen; Lazarus die Rolle des Armen, der reiche Prasser die Rolle des Reichen. Nur ihre Rollen fielen in’s Auge, nicht das Wesen und die Wahrheit. Beide schieden aus diesem Leben, der Reiche und auch der Arme. Den Lazarus nahmen die Engel in Empfang: nach den Hunden — die Engel, nach der Schwelle des Reichen — Abrahams Schooß, nach Hunger und Entbehrung — endlose Seligkeit, nach aller Trübsal — unverlierbare Ruhe! Der Reiche aber kam aus dem Reichthum in die Armuth, von der reich besetzten Tafel in Strafe und Züchtigung, aus der Ruhe und Erquickung in unerträgliche Qualen. Seht da, wie es geht! Sie gingen hinüber, und das Schauspiel war zu Ende. Die Masken verschwanden, und das wahre Angesicht kam zum Vorschein. Beide gingen hinüber, und der Reiche, in Flammen gepeinigt, sah den Lazarus im Schooße Abrahams, sah ihn glücklich, im Genusse überströmender Freude. Und er sprach zu ihm [zu Abraham]: „Vater Abraham, schicke Lazarus, daß er die Spitze seines Fingers in Wasser tauche, um meine Zunge zu kühlen, weil ich Pein leide in dieser Flamme.“ Was sagte Abraham darauf? „Kind, du hast dein Gutes zurückerhalten, und Lazarus sein Böses; und nun wird Dieser getröstet, du aber leidest Pein. Übrigens aber ist auch eine Kluft zwischen uns und euch befestigt, damit, wenn Einer von hier dorthin zu euch hinübergehen möchte, er es nicht kann.“ Habet Acht, denn die Erwägung dieser Worte ist sehr heilsam. Diese Betrachtung schreckt, aber läutert, schmerzt, aber bessert. Nehmet an, was ich sage. In seinen Qualen erhob der Reiche die Augen und sah den Lazarus. Sonderbar! Tag für Tag lag er an deiner Thür; ein über das andere Mal gingest du dort ein und aus — und du sahest ihn nicht; und jetzt, wo du im Feuerofen liegst, jetzt siehst du ihn aus weiter Ferne. Als du noch reich warest, und als es bei dir stand, ihn zu sehen, da wolltest du ihn nicht sehen — wie kommt es doch, daß du jetzt so scharf siehst? Lag er nicht an deiner Thür? Wie kam es, daß du ihn nicht sahest? Als er in deiner Nähe war, sahest du ihn nicht, und jetzt siehst du ihn aus weiter Ferne, trotz der großen Kluft, die euch trennt!

Und wie spricht der Reiche? Er nennt den Abraham Vater. Wie kannst du ihn Vater nennen, da du doch von seiner Gastfreiheit so weit entfernt warst? Er nennt ihn Vater, und ihn nennt Abraham: Kind. Die Anrede bestätigt die Verwandtschaft, doch nirgends findet er Schutz und Beistand. Der Anrede weigert sich Abraham nicht, damit wir einsehen, daß die Familie, die Abstammung uns kein Heil bringt. Nicht der Ruhm der Vorfahren adelt, sondern ein tugendhaftes Leben. Sage mir nicht: mein Vater war Konsul. Was geht Das mich an? Darnach frage ich nicht. Sage mir nicht: mein Vater war Konsul. Wenn du auch den Apostel Paulus zum Vater und heilige Märtyrer zu Brüdern hättest, aber ihrem Tugendbeispiele nicht folgtest, dann würde dir die Verwandtschaft Nichts nützen, nein sie würde dir schaden, dich verdammen. Meine Mutter, sagt ein Anderer, ist sehr wohlthätig. Was nützt dir Das, wenn du hartherzig bist? Deine Verkehrtheit wird durch ihre Nächstenliebe sogar noch schuldbarer! Denn was sagte Johannes der Täufer zum jüdischen Volke? „Bringet würdige Frucht der Buße. Und wähnet nicht, sagen zu dürfen: Zum Vater haben wir den Abraham!“ Du hast einen Ahn von hohem Ansehen? Wenn du ihm nacheiferst, ist es dein Vortheil; wenn nicht, wird der hochberühmte Mann dein Ankläger, weil du, obgleich auf vorzüglichem Stamme gewachsen, eine bittere Frucht geworden bist. Daß du nur Niemand wegen seines tugendhaften Verwandten glücklich preisest, wenn er dessen Tugend nicht nachahmt! Du hast eine heilige Mutter? Ist für dein Heil nicht entscheidend. Du hast eine böse Mutter? Auch Das entscheidet nicht. Die Frömmigkeit der einen hilft dir Nichts, wenn du ihrem Tugendbeispiel nicht nachfolgst; die Laster der andern schaden dir nicht, wenn du dich bekehrest. Ja, wie es sogar schuldbarer ist, wenn man von Anfang an ein gutes Vorbild hatte und ihm gleichwohl im Guten nicht gefolgt ist, so verdient es auch ein größeres Lob, wenn man eine lasterhafte Mutter hatte und trotzdem ihre Schlechtigkeit nicht nachgeahmt hat, sondern vielmehr, obgleich einer bittern Wurzel entstammend, eine süße Frucht geworden ist. Nicht Ahnenruhm, sondern Tugend wird von uns verlangt. Je nachdem ein Mensch sich aufführt, nenne ich ihn einen Vornehmen, wenn er auch vielleicht Sklave ist, und nenne ihn einen Sklaven in Ketten, obgleich er vielleicht ein vornehmer Herr ist. Für mich ist auch ein Mann von Stand ein ganz gewöhnlicher Mensch, wenn seine Seele in Banden liegt. Denn wer ist eigentlich ein Sklave? Wer Sünde thut! Was man sonst gewöhnlich Sklaverei nennt, beruht nur auf äussern Umständen; aber diese Sklaverei beruht auf Niedrigkeit der Gesinnung — und daher ist die Sklaverei überhaupt zuerst entstanden.

Vor Alters gab es keine Sklaven; denn als Gott den Menschen bildete, erschuf er ihn nicht als Sklaven, sondern als freien Mann. Er erschuf Adam und Eva, und Beide waren frei. Woher denn nun die Sklaverei? Das Menschengeschlecht ging in die Irre, überschritt das Maß der Leidenschaft und verfiel in vollständige Zuchtlosigkeit. Nun höre, wie die Sklaverei entstand. Es trat eine gewaltige Überschwemmung ein, gleichsam ein Schiffbruch für alle Völker. Es öffneten sich die Schleusen des Himmels, aus den Abgründen ergoßen sich die Fluthen, bald war Alles vom Wasser bedeckt. Die Natur schien sich wieder in ihre Elemente aufzulösen. Nirgends sah man mehr Land, Alles war ein Meer — und sein Quell der Zorn Gottes. Überall Wasserfluthen, Alles ein Meer, selbst die hoch empor ragenden Berge waren von diesem Meere bedeckt. Man sah nur Himmel und Wasser. Das Menschengeschlecht war zu Grunde gegangen; nur ein Fünklein von unserm Geschlechte lebte noch: es war Noe, gleichsam ein Fünklein mitten auf dem Meere; aber es erlosch nicht. Bei ihm waren die Erstlinge des [neuen] Menschengeschlechts, Weib und Kinder, auch die Taube, der Rabe und das Andere, wie euch bekannt ist. Alles war in der Arche, und die Arche fuhr über das Wasser daher, mitten durch die tobenden Fluthen, und sie scheiterte nicht, denn der Herr der Welt war ihr Steuermann. Nicht das Holz, aus dem sie gezimmert war, sondern die mächtige Hand Gottes hat sie erhalten. Und sieh, wie wunderbar! Als die Erde gleichsam abgewaschen, als die Übelthäter vertilgt waren, als der Aufruhr der Elemente sich gelegt hatte, als die Gipfel der Berge wieder sichtbar wurden: da blieb die Arche stehen, und Noe entsandte die Taube. Das hatte eine geheimnißvolle Bedeutung, es war ein Vorbild des Zukünftigen: in der Arche war vorgebildet die Kirche, in Noe Christus, in der Taube der heilige Geist, in dem Blatte des Ölbaumes die Liebe Gottes zu den Menschen. Ein sanftes, den Menschen anhängliches Wesen, eine Taube wurde ausgesandt und verließ die Arche. Das war ein Vorbild; später folgte die Erfüllung, die Wahrheit. Nun aber seht, wie die Wahrheit über das Vorbild weit hinausgeht. So wie die Arche inmitten des Meeres ihre Insassen rettete, so rettet die Kirche Alle, die in die Irre gegangen sind. Während aber Jenen die Arche nur das Leben rettete, leistet die Kirche weit mehr. Das meine ich so: die Arche hat vernunftlose Geschöpfe aufgenommen, gerettet — und diese blieben, was sie waren; wenn aber die Kirche Menschen aufnimmt, deren Vernunft in den Leidenschaften untergegangen ist, dann werden Diese von ihr nicht bloß gerettet, sondern auch umgewandelt. Die Arche hat einen Raben aufgenommen und hat ihn als Raben entlassen; die Kirche dagegen nimmt Raben auf und entläßt sie als Tauben; sie nimmt Wölfe auf und entläßt sie als Lämmer. Denn wenn hier ein raubgieriger, habsüchtiger Mensch eintritt und dann den göttlichen Aussprüchen und Lehren zuhört, so ändert er seinen Sinn und wird aus dem Wolfe ein Lamm. Er war ein Wolf, der fremdes Gut raubt; er ist ein Lamm geworden, das seine eigene Wolle hergibt. — Die Arche also stand, die Thür öffnete sich. Noe ist aus dem allgemeinen Schiffbruch gerettet hervorgegangen. Er sieht die Erde verödet; der Schlamm ist zum Grabe geworden, in dem Menschen und Thiere begraben sind. Da liegen die Leichen von Pferden, von Menschen, von allem Vieh verschüttet durcheinander. Noe sieht das entsetzliche Trauerspiel, sieht die ganze Erde voll Elend, und es erfaßt ihn ein unsäglicher Schmerz. Alles ist zu Grunde gegangen. Kein Mensch, kein Stück Vieh, Nichts, was ausser der Arche geblieben, ist gerettet. Über der leeren Erde sieht er nur den Himmel ausgespannt. Von Kummer überwältigt, von Gram ganz übermannt fängt er an, Wein zu trinken, und überläßt sich dann dem Schlafe, um die Wunde seines Herzens zu heilen. Er überlieferte sich also dem Schlaf wie einem Arzte, um das Schreckliche zu vergessen, das geschehen war, und lag nun auf seinem Bette. Er war ja eben ein alter Mann, den nach dem Weingenuß der Schlaf überwältigt hatte. Es geziemt sich, daß wir diesen gerechten Mann entschuldigen: nicht Trunksucht, nicht blinde Leidenschaft hat ihn verleitet, sondern er suchte durch Wein und Schlaf seinen Gram zu lindern. So sagt auch Salomon. „Gebet Wein den Trauernden und berauschenden Trank den Bekümmerten!“ Was anders thun manche Leute z. B. nach einer Begräbnißfeier, wenn sie Weib oder Kind verloren haben? oder wenn überhaupt ein Kummer sie drückt, die Trauer übermächtig wird oder das Gewissen sich mit Gewalt geltend macht? Dann werden Freunde eingeladen, ein reichliches Gastmahl wird veranstaltet und ungemischter Wein zur Linderung der Schmerzen dem Traurigen gegeben. Ähnlich ging es auch damals bei diesem alten Manne. Von seiner Trauer überwältigt gebrauchte er den Wein wie eine Arznei, und nach dem Weingenuß überließ er sich dem Schlaf. Jetzt sollt ihr auch hören, woher die Sklaverei kommt. Über eine kleine Weile trat sein Sohn herein, jener Verfluchte — es war sein Sohn der Abstammung nach, nicht der Gesinnung nach; ich wiederhole: den Adel macht nicht der Ruhm der Vorfahren, sondern ein tugendhafter Wandel; — der Sohn also trat herein und sah die Blöße seines Vaters. Er hätte ihn zudecken und seine Blöße verhüllen sollen, aus Ehrfurcht vor seinem Alter, vor seinem Kummer und seinem herben Schicksal, und weil es überdieß sein Vater war; aber er ging hinaus, machte die Sache kund und machte sie sogar noch ärger durch übertriebene Darstellung. Die andern Brüder aber nahmen einen Mantel, und rücklings, um nicht zu sehen, was Jener ausgeschwatzt hatte — gingen sie hinzu und bedeckten ihren Vater. Als der Vater nun aufgestanden war und Alles erfahren hatte, da hub er an zu reden: „Verflucht sei Chanaan, ein Knecht sei er seinen Brüdern!“ Was er da sagte, ist so zu verstehen; du wirst Sklave sein, weil du die Schande deines Vaters kund gemacht hast. Seht ihr nun, daß die Sklaverei von der Sünde kommt, und daß die Bosheit sie in die Welt gebracht hat? Soll ich euch nun auch zeigen, wie aus der Knechtschaft die Freiheit hervorgeht? Es war ein entlaufener Sklave, Onesimus mit Namen, ein ganz verachteter Mensch; der kam auf seiner Flucht zum heiligen Paulus, erhielt die Taufe, wurde rein gewaschen von seinen Sünden und saß nun zu den Füßen des Apostels. An seinen Herrn aber schrieb der heilige Paulus: „Onesimus, der dir voreinst unnütz war, jetzt aber sowohl dir als mir sehr nützlich ist, nimm ihn auf wie mich selbst“ — was war nämlich geschehen? — „den ich“, sagt er, „in meinen Banden gezeugt habe.“

Siehst du seinen Adel? Siehst du, wie die Tugend frei macht? Sklave und freier Mann — Das sind nur Namen. Was heißt Sklave? Es ist ein leerer Name Wie viele Herren liegen trunken auf ihrem Bette, während Sklaven ihnen nüchtern zur Seite stehen! Wen soll ich da nun einen Sklaven nennen, den Nüchternen oder den Trunkenen? den Sklaven eines Menschen oder den Knecht einer Leidenschaft? Jener ist ein Sklave den äussern Verhältnissen nach, Dieser trägt sein Sklaventhum im Innern mit sich umher. Das sage ich, und Das werde ich nie aufhören zu sagen, damit ihr euch in euren Ansichten und Grundsätzen durch das wahre Wesen der Dinge bestimmen und nicht durch das Urtheil der Menge täuschen lasset; damit ihr wisset, was die Worte: Sklave, arm, gering, glücklich. Leidenschaft — im Grunde bedeuten. Denn wenn ihr Das recht genau zu beurtheilen wisset, wird euch Nichts verwirren können.

Damit wir uns aber nicht durch zu ausführliche Nebenbemerkungen allzu weit von unserm Gegenstand entfernen, laßt uns wieder auf ihn zurückkommen! Der Reiche war also nun arm geworden; doch genau genommen war er schon arm, da er noch ein reicher Mann war. Denn was hilft es dem Menschen, Fremdes zu besitzen, wenn er sein Eigenes nicht besitzt? Was hilft es ihm, Geld zu haben, wenn er keine Tugend hat? Weßhalb nimmst du Fremdes und verdirbst dein Eigenes? Ich habe, sagt Dieser, einen reichlich tragenden Acker. Was soll Das? Du hast aber nicht eine Seele, die reiche Früchte trägt! Ich habe Sklaven — du hast aber keine Tugend; ich habe Kleider — du hast aber keine Frömmigkeit. Fremdes hast du, dein Eigenes hast du nicht. Denn wenn Jemand ein Kleinod bei dir hinterlegt, kann ich dich deßhalb reich nennen? Nein. Warum nicht? Weil Das, was du hast, fremdes Gut ist. Alle jene Güter, die ich eben aufzählte, sind bei dir nur hinterlegt — ja, wären sie nur weiter Nichts als hinterlegte Güter und nicht auch Ursache schärferer Züchtigung!

Als nun der Reiche den Lazarus sah, sprach er: „Vater Abraham, erbarme dich meiner!“ So spricht ja ein Armer, ein Flehender, ein Bettler! ! „Vater Abraham, erbarme dich meiner!“ Was willst du? „Schicke Lazarus!“ Den Lazarus, an dem du tausendmal vorüber gelaufen bist, den du nicht einmal sehen mochtest, Den willst du jetzt zu deiner Rettung geschickt haben? „Schicke Lazarus!“ Wo sind denn nun deine Zechbrüder? deine Schmarotzer und Schmeichler? Wo ist dein Dünkel, dein Hochmuth? Wo ist dein vergrabenes Gold? Wo sind deine Kleider, von Motten benagt? Wo ist das Silber, das Gold, auf das du so viel gehalten hast? Wo ist dein Prunk, dein genußreiches Leben? Es waren nur Blätter; der Winter kam, und alle sind verdorrt. Es war ein Traum; der Tag brach an, und geschwunden ist der Traum. Es war ein Schatten; die Wahrheit erschien, und der Schatten ist entflohen „Schicke Lazarus!“ Warum sieht er denn nicht einen andern Gerechten? warum nicht den Noe, Jakob, Lot, Isaak, sondern den Abraham? Weil Abraham gastfrei war und die vorübergehenden Wanderer in sein Zelt nöthigte. Seine liebevolle Sorgfalt für Fremde war also eine neue Anklage für die Hartherzigkeit des Reichen. „Schicke Lazarus!“ Wenn wir Das hören, meine Theuern, können wir dann noch ohne Furcht einen Armen sehen und an ihm vorübereilen? Dann könnten sich einst statt des einen Lazarus viele Ankläger gegen uns erheben. „Schicke Lazarus, daß er die Spitze seines Fingers in Wasser tauche, um meine Zunge zu kühlen, weil ich Pein leide in dieser Flamme.“ Mit welchem Maße ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Du gabst keinen Bissen, du erhältst keinen Tropfen. „Schicke Lazarus, daß er mit der Fingerspitze meine Zunge benetze, weil ich Pein leide in dieser Flamme.“ Was sagt Abraham zu ihm? „Kind, du hast dein Gutes in deinem Leben zurück erhalten, und ebenso Lazarus sein Böses; und nun wird Dieser hier getröstet, du aber leidest Pein.“ Er sagt hier wieder nicht: du hast erhalten, sondern: du hast zurück- erhalten. Daß er dieses Wörtchen hinzufügt, Das macht keinen kleinen Unterschied. Ich habe euch schon oft gesagt: wir müssen [in der heiligen Schrift] sogar dem Sinne der einzelnen Silben nachforschen. Durchforschet die Schrift, heißt es; denn ein Jota, ein Strichlein gibt manchmal Stoss zum Nachdenken. Ich will euch zeigen, daß auch die Beifügung eines einzigen Buchstabens für den Sinn von großer Bedeutung ist. Der oft erwähnte Patriarch Abraham hieß vordem Abram. Und Gott sprach zu ihm: „Dein Name wird nicht sein Abram, sondern Abraam.“ Er fügte ein a hinzu, und machte ihn zum Vater vieler Völker. Seht, die Hinzufügung eines einzigen Buchstabens zeigte seine neue große Würde. Geht also nicht achtlos über dergleichen hinweg. Abraham sagte nicht: du hast dein Gutes erhalten, sondern: zurück- erhalten. Wer Etwas zurückerhält, Der erhält eben zurück, was man ihm schuldig ist. Gebet Acht, was ich sage. Ein Anderes ist: Etwas erhalten, ein Anderes: Etwas zurückerhalten. Man erhält zurück, was man schon hatte; man erhält oft, was man nicht besaß. Du hast dein Gutes zurückerhalten, und Lazarus sein Böses; — siehe, der Reiche hat sein Gutes und Lazarus sein Böses zurückerhalten. Das alles habe ich mit Rücksicht auf Diejenigen gesagt, welche auf Erden gezüchtigt werden, jenseits aber nicht, und auf Die, welche hier im Überfluß schwelgen, jenseits aber gezüchtigt werden. Habt denn Acht, was ich sage. Du hast dein Gutes zurückerhalten, und Lazarus sein Böses, nämlich was man euch schuldig war, was euch von Rechts wegen gebührte. Merkt auf die Frage, um die es sich handelt; denn ich komme jetzt an Ort und Stelle; laßt mich, ich werde das Gewebe schon vollenden. Werdet aber doch nicht schon unruhig und ungeduldig, sondern wenn ich so Etwas erkläre, dann wartet die Lösung ab! Denn ich möchte gern euer geistiges Auge schärfen; ich möchte, daß ihr euch bei der Betrachtung der heiligen Schrift nicht immer auf der Oberfläche haltet, sondern auch in ihre Tiefen herabsteigt. Diese Tiefe ist wie ein Meeresgrund, auf dem man keine Stürme zu fürchten hat, wo man sich immer vollkommener Ruhe und Sicherheit erfreut. Je tiefer du hinabsteigst, desto größere Sicherheit wirst du finden. Da ist kein wildes Wogengebrause, da findest du nur heilsame Gedanken, auf’s Schönste geordnet. Also: „Du hast dein Gutes zurückerhalten, und Lazarus sein Böses; und nun wird er getröstet, du aber leidest Pein.“ Eine wichtige Frage! Ich sagte eben, daß man nur Das zurückerhält, was man zu fordern hat. Wenn nun Lazarus gerecht war — was er wirklich war, wie seine Aufnahme in den Schooß Abrahams, ferner die Siegeskrone, die Kampfpreise, die Ruhe, die Freuden, auch seine Geduld und Starkmuth beweisen— , und wenn ferner der Reiche ein großer Sünder war, ein nichtswürdiger, hartherziger Mensch, der seinen Sinn nur auf Wollust und Trunkenheit gestellt hatte, der alle Tage die kostbarsten Speisen genoß, der so sehr ausschweifend und zuchtlos lebte —: warum sagt gleichwohl Abraham zu ihm: du hast zurück- erhalten? Hatte er denn so Etwas zu fordern, der reiche, schwelgerische, grausame Mensch? Was gebührte ihm denn? Warum sagte Abraham nicht: du hast erhalten, sondern: du hast zurück- erhalten?

Achtet auf meine Worte! Was er zu fordern hatte, Das waren Strafen, Züchtigungen und Peinen. Warum sagte nun Abraham nicht: du hast erhalten, sondern: du hast zurückerhalten dein Gutes — er meinte in diesem Erdenleben — und Lazarus sein Böses? Strengt euren Verstand an; wir steigen in die Tiefe des Sinnes der heiligen Schrift hinab. Von allen Menschen, die es gibt, sind die einen Sünder, die andern Gerechte. Nun beachtet aber, daß es auch unter den Gerechten einen Unterschied gibt: der eine ist gerecht, der andere noch gerechter; der eine steht höher, der andere ist größer in der Tugend, und wie es viele Sterne gibt und ausserdem eine Sonne und einen Mond, ähnlich verhält es sich mit dem Unterschied zwischen den Gerechten. Denn „ein anderer ist Sonnenglanz, ein anderer Mondenglanz, ein anderer Sternenglanz.“ Die einen zeichnen sich durch ihren Glanz aus, die andern sind geringer. Wie mit den Himmelskörpern, ähnlich ist es mit den körperlichen Wesen auf Erden, mit den Thieren: da gibt es Hirsche, Hunde, Löwen und sonstige Raubthiere, Schlangen u. dgl. Ebenso sind auch Unterschiede in den Sünden. Von den Menschen also sind die einen Sünder, die andern Gerechte; aber auch unter den Gerechten ist wieder ein großer Unterschied, und ebenso ein großer, ein ganz unermeßlicher Unterschied unter den Sündern. Nun gebt Acht! Wenn Jemand gerecht, und zwar ganz ausserordentlich gerecht, und bis zur höchsten Höhe der Gerechtigkeit emporgestiegen, so daß er von Sünden ganz frei ist, dann kann er doch nicht frei sein von jeder Makel, wäre er auch noch so gerecht — denn er ist eben ein Mensch. „Denn wer wird sich rühmen, ein makelloses Herz zu haben? Wer wird sich zutrauen, rein von Sünde zu sein?“ Daher sind wir angewiesen, im Gebete zu sagen: „Vergib uns unsere Schulden,“ damit wir, die dieses Gebet stets zu verrichten gewohnt sind, unserer Strafbarkeit dabei gedenken. Wie sagte doch der Apostel Paulus? Zuvörderst erinnert euch seiner Vorzüge: er war das Gefäß der Auserwählung, der Tempel Gottes, er war der Mund, durch den Christus redete, die Leier, die vom Wehen des heiligen Geistes tönte, der Lehrmeister der ganzen Welt, der alle Länder und Meere durchwandert, das Dornengestrüpp der Sünde ausgerottet, den Samen der Frömmigkeit ausgestreut hatte; er war mächtiger als Kaiser, einflußreicher als Geldkönige, stärker als Kriegsleute, weiser als Weisheitsbeflissene, beredter als Meister der Beredsamkeit; er war ein Mann, der Alles besaß, während er Nichts sein eigen nannte, der durch seinen Schatten die Gewalt des Todes brach, Krankheiten durch seine Kleider verjagte, der auch auf hohem Meere seine Siegeszeichen aufrichtete, der entrückt ward bis in den dritten Himmel und eintreten durfte in das Paradies, der endlich unerschrocken die Gottheit Christi verkündigte. Dieser Mann also hat gesagt: „Nichts bin ich mir bewußt, jedoch nicht darin bin ich gerechtfertigt.“ Er, der mit so vielen und so großen Tugenden ausgestattet war, er sagt: „Der mich aber richtet, ist der Herr.“ „Wer wird sich also rühmen, ein makelloses Herz zu haben? Oder wer wird sich zutrauen, rein von Sünde zu sein?“ Es kann also gar keinen Menschen ohne Fehler geben. Wie sagt man gewöhnlich? Dieser und Jener ist gerecht, wohlthätig, barmherzig gegen die Armen; aber er hat einen Fehler: er schilt ohne Grund, oder er ist etwas ehrgeizig u. dgl.; ich brauche ja nicht Alles aufzuzählen; Dieser ist mildthätig, aber häufig nicht enthaltsam, Jener enthaltsam, aber nicht wohlthätig. Der Eine wird wegen dieser, der andere wegen jener Tugend gelobt. Gesetzt, Dieser oder Jener ist gerecht, er übt sogar oft Gerechtigkeit und hat alle möglichen guten Eigenschaften; aber er ist stolz auf seine Gerechtigkeit: dann thut sein Stolz der Gerechtigkeit Abbruch. War der Pharisäer nicht gerecht, der zweimal in der Woche fastete? Wie sagte er? „Ich bin nicht wie die andern Menschen, wie Räuber und Habsüchtige.“ Es ist nicht selten, daß Jemand auf Grund seines reinen Gewissens stolz wird; dann geräth er durch seinen Hochmuth in den Schaden, dem er durch Enthaltung von Sünden entgangen war. Unmöglich kann also ein Mensch in jedem Betracht so gerecht sein, daß er rein von jedem Fehler wäre; und andererseits kann auch kein Mensch so lasterhaft sein, daß er nicht etwas, wenn auch noch so wenig Gutes an sich hätte. Z. B.: Dieser und Jener raubt, betrügt, schädigt seine Mitmenschen; aber zuweilen gibt er Almosen, zuweilen übt er Enthaltsamkeit, zuweilen sagt er ein gutes Wort, zuweilen hilft er — wenn auch nur einem Menschen, zuweilen weint und trauert er über seine Sünden. Es gibt also weder einen Gerechten ohne Fehler noch einen Sünder, der alles Guten baar wäre. Kann es einen nichtswürdigern Menschen geben, als Achab war? Er war ein Räuber und Mörder; und dennoch, als er anfing zu trauern, da sprach Gott zu Elias: „Hast du gesehen, wie Achab sich betrübt hat?“ Hast du gesehen, wie sich in diesem Abgrund von Sünde ein gutes Werk, ein ganz kleines freilich, gefunden hat? — Wer war schlechter als Judas der Verräther, dieser Sklave der Habgier? Und dennoch hat auch Dieser später etwas Gutes gethan, war es auch noch so gering. Denn er sagte: „Ich habe gesündigt, indem ich unschuldiges Blut verrieth.“ Es ist also, wie ich sagte. Eine Lasterhaftigkeit von Natur, wobei die Tugend gar keinen Raum fände, gibt es nicht. Anders bei den Thieren. Das Schaf kann nie ein Raubthier werden; denn es ist zahm von Natur. Der Wolf kann nie ein zahmes Thier werden; denn er hat die Wildheit von Natur. Die Gesetze der Natur werden also nicht aufgehoben, nicht erschüttert; sie stehen unbeweglich fest. Bei mir, beim Menschen ist es nicht so. Ich kann wild und roh werden, wenn ich will, und auch sanftmüthig, wenn ich will; denn ich bin darin nicht gefesselt durch Gesetze der Natur, sondern ausgezeichnet durch Freiheit des Willens.

Ich wiederhole, was ich eben sagte. Niemand ist so tugendhaft, daß ihm nicht kleine Makel ankleben, Niemand so lasterhaft, daß er nicht etwas, wenn auch nur ganz wenig Gutes an sich hat. Weil nun Alles, Alles ohne Ausnahme vergolten wird — denn auch wenn ein Mörder, ein ausgemachter Bösewicht, ein Wucherer etwas Gutes thut, so bleibt ihm die Belohnung dafür nicht aus, und man muß nicht glauben, daß wegen seiner Laster das gute Werk nicht belohnt werde. Und andererseits: Wenn Jemand zahllos viele gute Werke thut und dann etwas Böses begeht, ist ihm die Vergeltung des Bösen sicher. Das prägt euch ein, Das behaltet, Das haltet recht fest. Weder gibt es einen tugendhaften Menschen ohne Sünde, noch einen lasterhaften ohne etwas Gutes. Das Nämliche wiederhole ich auf’s Neue, damit es bei euch Wurzel faßt, aufgeht und in die Tiefe eindringt. Denn der Teufel gibt euch allerlei Gedanken in den Sinn, um euch von der Wahrheit abzuleiten, um meine Worte erfolglos zu machen; darum suche ich sie euch tief einzuprägen. Wenn ihr sie hier ganz sicher erfaßt und behaltet, dann werdet ihr sie auch draussen nicht verlieren können. Wie ich einen Beutel mit Geld verschnüre und versiegle, damit auch in meiner Abwesenheit kein Dieb Etwas herausnehmen kann, so, meine Theuren, möchte ich es auch mit euch machen. Ich suche durch anhaltende Wiederholung dieser Wahrheiten eure Herzen gleichsam zu verschnüren, zu versiegeln und sicher zu stellen, damit euch diese Lehren nicht durch Leichtfertigkeit wieder verloren gehen, damit sie vielmehr recht gut bei euch aufgehoben seien und euch nicht bloß hier mit Ruhe und Frieden erfüllen, sondern auch draussen die innern Stürme fernhalten. Was ich also hier sage, sage ich nicht, um viele Worte zu machen, sondern aus herzlicher Sorgfalt, aus inniger Liebe und in dem Verlangen, euch zu belehren, damit meine Worte euch nicht wieder entfallen. Denn das Nämliche zu sagen ist mir nicht lästig, für euch aber das Sichere.“ Belehren will ich, nicht mit Worten prunken.Es gibt also keinen Gerechten, der ohne Sünde ist, keinen Sünder, der nichts Gutes an sich hat. Weil aber Beides vergolten wird, seht, wie es deßhalb geht. Der Sünder erhält einen entsprechenden Lohn für seine guten Werke, wenn er irgend etwas Gutes, sei es auch noch so wenig, gethan hat; und der Gerechte erhält eine entsprechende Strafe für seine Fehler, wenn er irgend etwas Böses, sei es auch noch so wenig, gethan hat. Was geschieht nun? Wie macht es Gott der Herr? Er hat sowohl für das gegenwärtige als für das zukünftige Leben die Strafe, welche der Sünde gebührt, genau bestimmt. Wenn nun ein Gerechter etwas Böses thut und dann hier auf Erden Krankheit oder sonstige Strafen leiden muß, dann soll euch Das nicht verwirren. Dann sagt bei euch selbst: Dieser Gerechte hat einmal ein wenig Böses gethan, und nun wird es ihm hier vergolten, damit er in der andern Welt nicht gestraft wird. Wenn ihr dagegen einen Sünder, der stiehlt, betrügt und zahllose Verbrechen begeht, ein vergnügtes Leben führen seht, dann denket so: Der hat einmal etwas Gutes gethan, und nun erhält er hier Gutes zurück, damit er seinen Lohn nicht in der andern Welt verlangen kann. Wer also gerecht ist und hier auf Erden zu leiden hat, der empfängt darum hier die Vergeltung, damit er sich hier seiner Sünden entledigt und rein in der andern Welt ankommt. Und wer ein Sünder, mit Sünden ganz bedeckt, mit zahllosen unheilbaren Seelenkrankheiten behaftet, ein Räuber und Betrüger ist, der darf sich deßhalb hier guter Tage erfreuen, damit er seinen Lohn nicht dort verlangt. Weil nun gewiß auch Lazarus etwas Böses und der Reiche etwas Gutes an sich hatte, darum sagte Abraham: Hier suche Nichts! Du hast dein Gutes auf Erden zurückerhalten, und Lazarus sein Böses. Da seht ihr, es ist wohl begründet, was ich sage, ja es ist so; denn Abraham sagt: Du hast dein Gutes zurückerhalten. Was für Gutes? Du hast etwas Gutes gethan — zurückerhalten hast du dafür Reichthum, Gesundheit, üppiges Leben, Macht und Ehre. Du hast keine Schuld mehr einzufordern; du hast dein Gutes zurückerhalten. Und Lazarus — hat er denn nichts Böses gethan? Ja freilich; Lazarus hat auch sein Böses zurückerhalten. Damals, als du das Gute zurückerhieltest, da erhielt Lazarus das Böse zurück. Darum wird er jetzt getröstet, du aber leidest Pein.

Seht ihr also einen Gerechten hier auf Erden Strafe leiden, so preist ihn glücklich, und denkt so: Entweder hat dieser Gerechte etwas Böses gethan und erhält es nun hier zurück und wird dort oben mit ganz reinem Herzen ankommen; oder er leidet über das Maß seiner Sünden hinaus, und Das wird ihm als Zuwachs zu seiner Gerechtigkeit angerechnet. Denn dort wird im Gerichte gerechnet; und Gott sagt zu dem Gerechten etwa so: Was du mir schuldest, ist so und so viel. Gesetzt, er hat ihm dafür zehn Obolen [ein entsprechendes Maß von Leiden] aufgelegt und bringt ihm diese zehn Obolen in Rechnung; wenn dann aber der Gerechte sechzig Obolen gezahlt hat, dann spricht Gott zu ihm: Die zehn Obolen rechne ich dir für deine Sünden an, und die fünfzig zur Gerechtigkeit. Damit ihr einseht, daß ihm der Überfluß zur Gerechtigkeit angerechnet wird, erinnert euch an Job. Job war ein gerechter Mann, untadelhaft, wahrhaft, gottesfürchtig, frei von allen bösen Werken; sein Leib aber wurde hier auf Erden gepeinigt, damit er dort oben Lohn verlangen konnte. Denn wie sprach Gott zu ihm? „Meinst du, ich habe dich anders heimgesucht, als daß du gerecht erscheinest?“

Laßt uns denn dieselbe Geduld an den Tag legen, wie die Gerechten! Laßt uns jene Ausdauer und Standhaftigkeit beweisen, die ihren Tugenden würdig zur Seite steht! Dann werden wir auch die Güter und Freuden erhalten, welche den heiligen, den gottliebenden Seelen bereitet sind! Daß wir doch alle dieser Seligkeit theilhaft werden—durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.

Sieben Lobreden auf den heiligen Paulus

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Die folgenden Lobreden auf den heiligen Paulus, reich an den herrlichen Gedanken, in der Form durchgängig etwas skizzenhaft gehalten, sind von einem gewissen Anianus ins Lateinische übersetzt worden. Dieser Anianus ist aller Wahrscheinlichkeit nach identisch mit dem Pelagianer gleichen Namens, der im Jahre 415 an der Synode zu Diospolis Theil nahm. Statt einleitender Bemerkungen mögen hier einige Sätze aus dem Begleitschreiben ihre Stelle finden, welches Anianus seiner Übersetzung, indem er sie einem gewissen Presbyter Evangelus schickte, beigelegt hat. Das Schreiben ist abgedruckt bei Montfaucon II. 475 ff.

„Das Bild des heiligen Paulus, das uns hier vorgehalten wird, strahlt nicht vom unechten Glanze falschen Lobes, sondern nur von der lautern Wahrheit und Wirklichkeit seiner Tugenden. Sei es, daß seine großartige Wirksamkeit, oder die Weisheit seiner Lehren, oder sein Reichthum an Mitteln zur Ausbreitung des Christenthums, oder die Größe seiner Leiden und seiner Wunder, oder endlich jene kluge Mäßigung gepriesen wird, die ihn seine apostolische Tätigkeit stets den jeweiligen Bedürfnissen anpassen lehrte, — allemal fließt sein Lob aus dem Munde des unvergleichlichen Redners so rein und gediegen, daß der große Völkerapostel durch die Macht des Wortes nicht so fast geschildert, als vielmehr aus dem Grabe erweckt zu sein scheint, um uns neuerdings ein Beispiel vollkommenen Wandels zu geben. Wenn andere Redner ihren Helden preisen, kommt uns ihr Lob in der Regel matt und durstig vor; es will uns bedünken, daß sie nur an der Oberfläche umhertasten und die Tugenden weniger der Sache als dem Namen nach vorführen. Der selige Johannes [Chrysostomus] dagegen ist meiner Ansicht nach, indem er in die Seele des heiligen Paulus tiefer hineinsah und sie fast greifbar vor unsere Augen stellte, bis in das innerste Wesen seiner Heiligkeit vorgedrungen und hat den eigentlichen Kern seiner Tugenden auf den rechten Ausdruck gebracht. In diesen Lobreden haben alle Tagenden des Apostels Gestalt und Leben gewonnen und prangen im Schmucke ihrer Blüthen und Früchte … Der heilige Johannes strahlt hier von Anfang bis zu Ende so hellen Glanz aus, daß man unschwer das Licht seiner Gedanken auch zwischen dem Gewölke meiner mangelhaften Ausdrucksweise wird hindurchschimmern sehen.“ So der alte Übersetzer Anianus.

Erste Lobrede

Inhalt.

Der heilige Paulus übertrifft an Tugend und Verdiensten die Heiligen des alten Bundes, den Abel, Noe, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Job, Moses, David, Elias, Johannes und selbst auch die Engel des Himmels.

Man sagt durchaus nichts Unrichtiges, wenn man die Seele des heiligen Paulus als eine wahre Wiese von Tugenden und als ein geistliches Paradies bezeichnet. So zahlreich und mannigfach waren in ihr die Blüthen der Gnaden, und so sehr entsprach diesen Gnaden die Heiligkeit seines Lebens. Nachdem er ein Gefäß der Auserwählung geworden war, nachdem er dann sich selbst vollkommen geläutert hatte, wurden die Gaben des heiligen Geistes sehr reichlich in sein Inneres eingegossen. Aus dieser Quelle sind denn auch für uns die wunderbaren Ströme entsprungen [seine Briefe sind gemeint], welche — weit zahlreicher als jene vier Ströme aus dem Quell des Paradieses — noch immerdar tagtäglich ihren Lauf verfolgen, nicht etwa die Erde tränkend, sondern die Seelen der Menschen anregend, daß sie Früchte der Tugend bringen. Seine Tugenden — wessen Rede vermöchte sie wohl genugsam zu preisen? Sein Lob — welche Zunge vermöchte es würdig zu verkünden? Wenn eine einzige Seele alle Vorzüge in sich begreift, die unter den Menschen zu finden sind, und zwar alle in überaus hohem Grade, und nicht bloß die Vorzüge der Menschen, sondern auch die der Engel, — wie wird es mir möglich sein, ihr Lob zu erschöpfen und zu bewältigen? Allein diese Unmöglichkeit soll für mich kein Grund sein, zu schweigen. Nein, gerade darum und hauptsächlich darum will ich reden. Denn wenn Das, was ich zu sagen vermag, weit hinter der Größe seiner Tugenden zurückstehen muß, so liegt eben darin ein Lob der besten Art; und wenn ich in dieser Weise unterliegen muß, so ist mir Das ehrenvoller, als tausendmal zu siegen.

Womit soll ich nun schicklicher Weise sein Lob beginnen? Womit anders, als mit dem Beweise, daß er die Tugenden Aller in sich vereinigt? Wenn nämlich Propheten, Patriarchen, Gerechte, Apostel, Märtyrer sich in irgend einer Tugend ausgezeichnet haben, so hat er sie allesammt geübt, und zwar jede in einem so hervorragenden Maße, wie Keiner von ihnen diejenige, welche ihm besonders eigen war.

Sehet zu, ob ich nicht die Wahrheit sage. Abel hat ein Opfer dargebracht, und deßhalb wird er gepriesen. Wollen wir aber von dem Opfer reden, das der heilige Paulus gebracht hat, dann zeigt sich bald, daß es hoch, ja himmelhoch über dem Opfer des Abel steht. Was für ein Opfer soll ich nun erwähnen? denn er hat nicht etwa bloß eines geopfert. Für’s Erste opferte er täglich sich selbst, und dieses Opfer brachte er wieder in doppelter Weise: indem er täglich sozusagen den Tod erduldete — denn fortwährend hatte er mit Gefahren zu kämpfen und ward hingeschlachtet dem Willen nach —; und indem er mit der Abtödtung seines Leibes jederzeit beschäftigt war — denn er hat seine fleischliche Natur so vollständig ertödtet, daß er stets einem Opferthier zu vergleichen war, welches geschlachtet wird. Aber sein Opfer war weit vollkommener [als irgend ein Thieropfer]. Denn er brachte nicht Rinder und Schafe als Opfer dar, sondern sich selbst schlachtete er auf doppelte Weise Tag für Tag. Darum konnte er voll Zuversicht sagen: „Ich werde bereits [wie ein Trankopfer] geopfert,“ indem er sein Blut als Opfer bezeichnet. Indessen, er begnügte sich mit diesen Opfern nicht. Nachdem er sich selbst dem Herrn ganz geweiht hatte, brachte er ihm auch eine Welt voll Menschen zum Opfer dar. Länder und Meere, Völker griechischer Zunge und Barbarenreiche, kurz die ganze Erde, soweit sie von der Sonne beschienen wird, durcheilte er im Fluge, und zwar nicht als einfacher Wanderer, sondern als ein Mann, der die Dornen der Sünden ausrottete, den Samen christlicher Frömmigkeit ausstreute, den Irrwahn verscheuchte, die Wahrheit verbreitete und aus Menschen Engel oder vielmehr die Menschen aus Teufeln zu Engeln machte. Darum durfte dieser Mann vor seinem Hinscheiden, nachdem er so viel Mühe und Schweiß aufgewendet, nachdem er so viele Siege erfochten hatte, seine Jünger mit den Worten trösten: „Wenn ich auch geopfert werde über dem Opfer und Dienste eures Glaubens, so freue ich mich und wünsche ich euch allen Glück. Ob desselben freuet auch ihr euch und wünschet mir Glück!“ Was könnte man also diesem Opfer wohl zur Seite stellen? Dieses Opfer zu bringen, zog er das Schwert des Geistes, dieses Opfer legte er auf den Altar dort oben im Himmel. Indessen — Abel wurde von Kain, so könnte man einwenden, hinterlistiger Weise gemordet, und dieser Tod hat ihm, mit Paulus verglichen, höhern Glanz verliehen. Aber ich habe dir ja eben aufgezählt, wie dieser heilige Mann den Tod tausendmal, ja so oft erlitten hat, als er wieder einen Tag seiner apostolischen Wirksamkeit verlebte. Willst du aber überdieß den Mord selbst in Betracht ziehen, wie er schließlich zur Ausführung gelangte, so bedenke: Abel ist gefallen durch die Hand seines Bruders, dem er kein Unrecht zugefügt, aber auch keine Wohlthaten erwiesen hatte; was für Menschen aber waren es, von denen Paulus getödtet ward? Diese Menschen ihrem tausendfachen Elend zu entreissen, Das war sein eifriges Streben gewesen, und gerade für sie hatte er alle seine Leiden erduldet.

Noe ferner — er war gerecht, vollkommen in seinem Geschlechte, und zwar er unter Allen ganz allein. Aber auch Paulus war ein solcher Mann, auch er allein unter Allen. Und Noe hat nur sich mit seinen Söhnen gerettet; Paulus aber hat zu einer Zeit, wo die Welt von einer weit schlimmern Fluth heimgesucht ward, nicht etwa zwei, drei oder fünf Verwandte, sondern die ganze Menschheit, die schon zu versinken im Begriffe stand, mitten aus den Wogen gerettet. Zu dem Ende hat er nicht aus Brettern eine Arche gezimmert, sondern statt der Bretter seine Briefe zusammengesetzt; und das ist eine Arche, die nicht an einer Stelle nur auf den Wassern einherfährt; nein, sie bereicht die Enden der Erde, und von jener Zeit bis auf unsere Tage führt er Alle in diese Arche hinein. Denn er hat sie so eingerichtet, daß sie für die Menge der Rettungsbedürftigen ausreicht. Hier nimmt er Menschen auf, die unvernünftiger sind als Thiere, und er wandelt sie dermaßen um, daß sie mit himmlischen Geistern wetteifern können. Das ist ein Vorzug vor der Arche des Noe. Denn diese hat Raben aufgenommen und hat sie auch wieder als Raben entsendet; sie hat Wölfe aufgenommen und an ihrem Blutdurst Nichts geändert. Paulus dagegen hat Wölfe aufgenommen und in Lämmer verwandelt, hat Falken und Habichte aufgenommen und zu Tauben gemacht. Er hat alle unvernünftigen, wilden Leidenschaften aus der Natur der Menschen verbannt und an ihre Stelle die Milde und Sanftmuth des heiligen Geistes hineingepflanzt. Diese Arche treibt noch bis zu Stunde, ohne zu zerfallen, auf den Wassern umher. Denn der Sturm der Bosheit vermag die Bretter, aus denen sie gefügt ist, nicht zu lösen. Ganz im Gegentheil: über die stürmischen Fluthen sich erhebend ist sie es, die den Aufruhr der Elemente beschwichtigt. Das ist auch ganz natürlich. Denn waren an der Arche Noe’s die Bretter mit Erdharz und Pech bestrichen, sind sie an dieser Arche durchdrungen von der Salbung des heiligen Geistes.

Den Abraham ferner bewundert Jedermann, weil er auf das Wort des Herrn: „Ziehe hinweg aus deinem Lande und aus deiner Verwandtschaft!“ Vaterland, Haus, Freunde und Verwandte verließ, und weil der Befehl Gottes ihm Alles war. Und auch ich muß ihn deßhalb bewundern. Wer aber könnte dem Paulus gleichen? Er hat um Jesu willen nicht bloß Vaterland, Haus und Verwandte, sondern die Welt selbst verlassen. Ja, er hat sogar den Himmel und den Himmel des Himmels hintangestellt und nur Eines gesucht, die Liebe Jesu Christi. Höret nur, wie er uns Das verräth in den Worten: „Weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe wird uns scheiden können von der Liebe Christi.“ Dann hat Abraham sich selbst in Gefahren gestürzt, um seinen Neffen der Gewalt der Barbaren zu entreissen. Paulus aber hat nicht bloß etwa seinen Neffen, nicht drei oder fünf Städte, sondern die ganze Menschheit — der Gewalt der Barbaren? nein, der Gewalt der bösen Geister entrissen, indem er alle Tage tausend Gefahren entgegenging und durch sein fortwährendes Sterben den andern Menschen Sicherheit und Ruhe verschaffte. Endlich hat Abraham sich dadurch das allergrößte Verdienst erworben, dadurch seiner Tugend die Krone aufgesetzt, daß er seinen Sohn als Schlachtopfer hingab; allein auch hier finden wir, daß Paulus mehr geleistet hat; denn er hat, wie ich eben ausführte, zwar nicht den Sohn, aber sich selbst tausendmal hingeopfert.

Was soll man dann ferner an Isaak bewundern? Neben vielen andern Tugenden ganz besonders seine Geduld. Indem er sich nämlich zu wiederholten Malen und an verschiedenen Stellen Brunnen anlegte, wurde er jedesmal aus seinem eigenen Gebiete vertrieben. Gleichwohl setzte er sich gegen seine Feinde nicht zur Wehre, und der Anblick der verschütteten Brunnen konnte seine Geduld nicht erschöpfen. Vielmehr ging er jedesmal wieder an einen andern Ort; ohne seine Dränger anzugreifen, wich er aus und verließ sein Besitzthum, bis sie ihrer Feindseligkeit gegen ihn genug gethan hatten. Paulus dagegen — er mußte es sehen und fühlen, daß nicht etwa sein Brunnen, sondern sein eigener Leib mit Steinen bedeckt ward, und wich er jetzt zur Seite, wie Isaak that? Nein, er ging hin zu Denen, die ihn gesteinigt hatten, und bemühte sich, sie in den Himmel hinaufzuführen. Denn je mehr die Quelle verschüttet ward, desto gewaltiger brach sie wieder hervor, und desto zahlreicher und anhaltender ergoßen sich ihre Ströme.

Was dann den Sohn Isaak’s angeht, ihn bewundert die heilige Schrift wegen seiner ausdauernden Standhaftigkeit. Doch welche Seele von Erz und Stahl hat jemals eine Standhaftigkeit wie Paulus an den Tag gelegt? Er hat nicht bloß zweimal sieben Jahre, sondern sein ganzes Leben lang für die Braut Christi gedient. Für sie brannte sein Herz bei der Kühle der Nacht nicht minder als bei der Hitze des Tages. Für sie harrte er standhaft aus, wenn auch eingehüllt in die Wolken zahlloser Anfechtungen; bald gegeißelt, bald gesteinigt, bald mit wilden Thieren kämpfend, bald mit dem Ungestüm des Meeres ringend, von Hunger gequält bei Tag und Nacht und von Kälte geplagt, allenthalben in den Kampf sich hineinstürzend, um die Schafe dem Rachen des Teufels zu entreissen.

Joseph — er war enthaltsam. Doch ich fürchte, nur ein mitleidiges Lächeln zu verdienen, wenn ich Paulus wegen dieser Tugend preise. Denn er war ein Mann, der sich der Welt gekreuzigt hatte, der nicht bloß leibliche Schönheit, sondern alles Irdische so ansah, wie wir Staub und Asche ansehen, mit einer solchen Unempfindlichkeit, wie sie einem Leichnam dem anden gegenüber eigen ist. Er hat also die unordentlichen Regungen der Natur vollkommen zur Ruhe gebracht, so daß er sich in keiner Weise und auf keine Veranlassung hin etwas Menschliches zu Schulden kommen ließ.

Jedermann bewundert den Job und zwar mit Recht. Denn er war ein großer Held und darf selbst mit Paulus verglichen werden: wegen seiner Geduld, wegen der Reinheit seines Lebens, wegen des Zeugnisses, das ihm Gott selber ausgestellt hat, wegen seines gewaltigen Kampfes und wegen des staunenswerthen Sieges nach dem Kampfe. Paulus dagegen hat nicht etwa viele Monate nur, sondern viele Jahre hindurch fortwährend in dieser Weise gekämpft. Wir lesen zwar nicht, daß er auf dem Misthaufen saß, mit dem Eiter seiner Wunden Erdschollen erweichend; dafür aber stürzte er sich bei diesem Kampfe ein Mal über das andere in den Rachen des unsichtbaren Löwen, angefochten von tausend Widerwärtigkeiten, stärker und fester als ein Fels; und er ward nicht wie Job von drei oder vier Freunden, sondern von allen Ungläubigen und falschen Brüdern gelästert, beschimpft und geschmäht. Aber — Job war wohl groß in seiner Gastfreundlichkeit und in seiner liebevollen Sorgfalt für die Dürftigen? Ich widerspreche nicht. Allein diese Tugenden, so wie er sie übte, standen hinter den entsprechenden Tugenden des heiligen Paulus ebenso weit zurück, als der Leib der Seele nachsteht. Denn was Job an den gebrechlichen Leibern, Das übte Paulus an den kranken Seelen. Er heilte Alle, deren Geist lahm und verkrüppelt, er bekleidete Alle mit dem Gewande christlicher Tugend und Weisheit, deren Seele nackt und häßlich war. In den leiblichen Werken der Barmherzigkeit aber steht er in demselben Grade höher denn Job, als die Unterstützung der Dürftigen bei eigener Armuth, eigener Entbehrung vor den Spenden ans dem Überfluß den Vorzug verdient. Das Haus des frommen Job stand jedem Ankommenden offen: das Herz des heiligen Paulus aber war weit geöffnet für die ganze Welt und bot ganzen Völkern eine Zufluchtstätte. Darum sagte er auch: „Nicht seid ihr beengt in uns, ihr seid aber beengt in eurem Innern.“ Job war allerdings wohlthätig gegen die Nothleidenden; aber er besaß auch unzählig viele Schafe und Rinder; Paulus dagegen hatte Nichts als die Glieder seines Leibes, und selbst in diesen fand er ein Mittel, den Armen beizustehen; denn er sagt und verkündet: „Zu Dem, was mir nöthig war und Denen, die mit mir sind, verhalfen diese Hände.“ So erwarb er durch die Arbeit seiner Hände Einkünfte für die Hungrigen und Darbenden. — Aber die Würmer und die eiternden Wunden haben ja dem frommen Job jene Schmerzen bereitet, die so überaus groß und fast unerträglich waren! Das gestehe ich zu. Nun aber vergleiche damit die Geißelstreiche, die Paulus im Laufe so vieler Jahre erhalten hat, die fortwährenden Entbehrungen, die Blöße, die Fesseln, die Kerkerleiden, die Gefahren, die Nachstellungen von Angehörigen und von Fremden, von Herrschern und von der ganzen Welt, und dazu das Andere was für ihn noch herber war: die Schmerzen um die Gefallenen, die Sorge für alle Kirchen, die brennenden Qualen, die er um eines jeden Geärgerten willen empfand, — dann wirst du erkennen, daß eine Seele, die Solches erduldete, fester als ein Felsen stehen mußte, und daß nicht einmal Erz und Stahl mit ihr zu vergleichen sind. Was also Job an seinem Leibe, Das litt Paulus an der Seele; ärger als der Leib durch die Würmer, ward sie durch den Schmerz um jeden Geärgerten gepeinigt. Um ihretwillen vergoß er ohne Unterlaß Ströme von Thränen, nicht bloß am Tage, sondern auch bei Nacht, und für Jeden von ihnen litt er heftiger, als irgend ein Weib in Geburtswehen leidet. Darum sagte er auch: „Meine Kindlein, für die ich wiederum in Wehen bin.“

Wer ist dann nach Job vorzüglich zu bewundern? Jedenfalls Moses. Allein auch ihn hat Paulus bei Weitem übertroffen.

Groß war Moses in manchen Punkten; allein zum höchsten Gipfel ihrer Tugend hat sich diese heilige Seele damals erhoben, als er wünschte, um des Heiles der Juden willen aus dem Buche Gottes ausgestrichen zu werden. Während jedoch Moses mit den Andern zu Grunde gehen wollte, begehrte Paulus selbst von der ewigen Herrlichkeit ausgeschlossen zu werden, wenn nur die Andern zum Heile gelangten. Moses hat gegen Pharao, Paulus hat alle Tage gegen den Teufel gestritten; Jener hat sich für ein Volk, Dieser für die ganze Welt abgemüht; nicht sowohl von Schweiß als von Blut triefend arbeitete er an der Besserung der Menschen in kultivirten und in wilden Gegenden, unter Griechen und Barbaren.

Auch den Josue, den Samuel und die andern Propheten könnte ich euch zur Vergleichung vorführen; aber um nicht zu weitläufig zu werden, will ich mich auf die allervorzüglichsten beschränken. Denn wenn sich zeigt, daß Paulus diese Männer übertroffen hat, dann kann man hinsichtlich der andern nicht mehr zweifeln. Welche sind also die bedeutendsten? Nächst den eben genannten, wer anders als David, Elias und Johannes? Johannes geht der ersten, Elias der zweiten Ankunft des Herrn voraus, weßhalb auch Beide mit dem gemeinschaftlichen Namen „Vorläufer des Herrn“ bezeichnet werden. Welches sind nun Davids hervorragendste Tugenden? Seine Demuth und seine Liebe zu Gott. Wo ist nun aber der Mensch zu finden, der in höherm Grade als Paulus, oder vielmehr, der nicht in geringerm Grade als er diese beiden Tugenden geübt hat? — Und was ist an Elias am meisten zu bewundern? Daß er den Himmel verschlossen, eine Hungersnoth herbeigeführt und Feuer vom Himmel herabgerufen hat? Ich glaube nicht. Am meisten bewundere ich seinen mehr als feurigen Eifer für die Ehre Gottes. Wenn du nun aber den Eifer des heiligen Paulus betrachtest, so wirst du finden, daß Paulus in dieser Beziehung ebenso hoch über Elias, als Elias über den andern Propheten stand. Denn was ließe sich wohl jenen, dem feurigsten Eifer für die Ehre Gottes entstammenden Worten zur Seite stellen: „Ich wünschte ein Fluch zu sein für meine Brüder, meine Anverwandten, dem Fleische nach“? Schon war ihm der Himmel mit seinen Kronen und Kampfpreisen zur Besitzergreifung angeboten, da hat dieser Eifer ihn vermocht, noch zu zaudern und zu warten; „denn“, sagte er, „das Verbleiben im Fleische ist nothwendiger euretwegen.“ Daher genügte ihm weder die sichtbare noch selbst die unsichtbare Schöpfung, um sie mit der Liebe und dem Eifer für Gott auch nur vergleichsweise in eine Reihe zu stellen; sondern er sah sich, um uns dieses sehnliche Verlangen seines Herzens kund zu thun, nach einer andern Schöpfung um, die gar nicht existirt. Um nun auf Johannes überzugehen — von ihm wissen wir, daß er Heuschrecken und wilden Honig aß. Paulus aber hat mitten unter den Menschen so gelebt wie Johannes in der Wüste. Es waren nicht Heuschrecken und wilder Honig, was er aß, nein, sein Tisch war noch ärmlicher bestellt, und in Folge seines Eifers in der Verkündigung des göttlichen Wortes entbehrte er sogar oft, was er an Speise und Trank nothwendig hatte. Dann hat Johannes den Herodes mit unerschrockenem Muthe getadelt; Paulus dagegen hat in derselben Weise nicht Einen oder Zwei oder Drei, sondern Tausende dermaßen zurechtgewiesen, daß sie verstummen mußten, und unter diesen auch Solche, die noch weit mehr zu fürchten waren als jener Tyrann.

Es erübrigt noch, daß wir ihn mit den Engeln vergleichen. Verlassen wir also die Erde, steigen wir hinauf zu den Höhen des Himmels! Niemand zeihe mich wegen dieser Worte der Verwegenheit. Denn wenn die Schrift den Johannes so nennt und die Priester, — was Wunder, wenn wir einen Mann, der besser ist als Alle, mit diesen Geistern vergleichen? Worin besteht nun der Hauptvorzug der Engel? Darin, daß sie mit der größten Gewissenhaftigkeit den Willen Gottes erfüllen. Das ist es auch, was David an ihnen bewundert, indem er sagt: „Gewaltige an Kraft, Vollzieher seines Wortes.“ Nichts, was sie besitzen, kann diesem Vorzug gleichen, obwohl sie reine Geister sind — und wären sie es auch tausendmal. Denn Dieß ist es hauptsächlich, was sie so glücklich macht, daß sie den Geboten Gottes folgen und es in keiner Beziehung an Gehorsam fehlen lassen. Dasselbe hat nun auch Paulus, wie leicht zu sehen ist, ganz gewissenhaft beobachtet. Denn er erfüllte das Wort des Herrn, er vollzog seine Gebote und that noch darüber hinaus. Das sagt er uns in den Worten: „Welches ist nun mein Lohn, daß ich, das Evangelium predigend, unentgeltlich mache das Evangelium Christi?“ — Was findet der Prophet noch mehr an den Engeln zu bewundern? „Der seine Engel,“ sagt er, „zu Winden macht und seine Diener zu brennendem Feuer.“ Seht, auch Das trifft bei Paulus zu; denn wie Sturmwind und Feuer, so durcheilte er die ganze Welt, so reinigte er die Erde. Aber es war ihm doch der Himmel noch nicht zu Theil geworden! [.d. h. stand er während seines irdischen Lebens vielleicht insofern den Engeln nach, daß er den Himmel nicht besaß?] Das ist eben das Staunenswerthe, daß er hier auf Erden schon ein Mann solcher Art war, und daß er, obgleich mit dem sterblichen Leibe bekleidet, mit jenen geistigen Mächten wetteifern konnte.

Für uns aber — welche Strafe könnte für uns hart genug sein, wenn wir die Tugenden, die also ein Mann allesammt in sich vereinigt hat, auch nicht zum allergeringsten Theile nachzuahmen bestrebt wären? Laßt uns Das recht bedenken und uns ganz untadelhaft erweisen! Laßt uns darnach trachten, uns seinen Eifer anzueignen, damit wir auch derselben Glückseligkeit theilhaft werden können, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesu Christi, dessen ist die Herrlichkeit und Macht jetzt und immerdar und in Ewigkeit. Amen.

Zweite Lobrede

Inhalt.

Das Beispiel des heiligen Paulus zeigt uns, daß der Mensch der erhabensten Tugend fähig ist. Denn er hat
1. die größten Arbeiten und Leiden ohne Rücksicht auf Lohn übernommen,
2. in allen Mühsalen und Beschwerden nur neue Nahrung für seinen Eifer gefunden,
3. nichts begehrt als Gott zu gefallen, Nichts gefürchtet als die Sünde,
4. die Leiden um Christi willen als Gunst und Gnade erachtet,
5. wegen seiner übergroßen Liebe zu den Seelen sogar in Schmerz und Thränen um die Verlornen Trost gefunden. Es gibt Nichts in der Welt, womit er zu vergleichen wäre; er ist mehr werth als die ganze Welt, mehr als der Himmel, mehr als die Engel, und auch in der That von Gott durch ehrenvollere Aufträge als selbst die Engel ausgezeichnet worden.

Was der Mensch ist, von welch’ edler Art nämlich unsere Natur, und welch’ erhabener Tugenden das Menschenwesen fähig ist, Das hat mehr als irgend ein Anderer der heilige Paulus bewiesen. Bis auf diesen Tag steht er da als ein Mann, der laut und nachdrücklich gegen alle Tadler der menschlichen Natur unsern Herrn vertheidigt, der zur Tugend anspornt, der die schamlosen Gotteslästerer verstummen macht und den Beweis liefert, daß zwischen Engeln und Menschen ein großer Unterschied nicht obwaltet, wofern wir uns nur recht zusammennehmen wollen. Denn ihm ist nicht eine andere Natur, eine andere Seele zu Theil geworden als andern Menschen; er hat auch nicht eine andere Welt bewohnt als sie, er ist vielmehr auf derselben Erde, in demselben Lande, unter dem Einflusse derselben Gesetze und Gewohnheiten aufgewachsen, und dennoch hat er sich vor allen Menschen ausgezeichnet, die jemals gelebt haben. Wo sind sie nun, die da behaupten, daß dem Menschen die Tugend schwer, die Bosheit leicht wird? Paulus widerspricht ihnen, denn er sagt: „Das augenblicklich Leichte der Trübsal wirket über die Maßen ewige Last der Herrlichkeit.“ Wenn nun aber solche Trübsale „leicht“ zu nennen sind, dann sind Das noch weit mehr die eben daher stammenden Freuden.

Nicht Das allein ist an Paulus zu bewundern, daß er in seinem überaus großen Eifer die Beschwerden, denen er sich um der Tugend willen unterzog, so zu sagen gar nicht empfand, sondern auch, daß er keineswegs um des Lohnes willen sich die Tugend angelegen sein ließ. Während wir uns zu den Anstrengungen für die Tugend trotz des verheissenen Lohnes nicht einmal verstehen mögen, hat Paulus sie stets ohne Rücksicht auf den Preis des Sieges mit glühender Liebe umfangen; und was hindernd im Wege zu stehen schien, Das überwand er mit großer Leichtigkeit. So klagte er weder über die Schwachheit des Leibes, noch über die Last und Vielheit der Arbeiten, noch über das heftige Widerstreben der Natur, noch über irgend etwas Anderes. Obgleich mehr mit Sorgen überhäuft als alle Feldherren und Könige, bewährte er jeden Tag die gleiche Frische und Thatkraft, und während die Gefahren sich mehrten, blieb sein Muth und sein Eifer immer neu. Das sagen uns seine eigenen Worte: „Was hinter mir liegt, vergessend und mich ausstreckend nach Dem, was vor mir liegt.“ Als ihm der Tod in Aussicht stand, rief er sogar die Gläubigen zur Theilnahme an dieser Freude auf: „Freuet euch und wünschet mir Glück!“ Als er in Gefahr war, mißhandelt und mit Schmach aller Art überhäuft zu werden, da jubelte er wieder und schrieb an die Korinthier: „Deßhalb habe ich sogar Wohlgefallen an Schwachheiten, an Mißhandlungen, an Verfolgungen.“ Diese Leiden nannte er eine Waffenrüstung der Gerechtigkeit und zeigte dadurch, daß er aus ihnen den größten Gewinn zog, und daß ihm die Feinde an keiner Seite beikommen konnten. Überall gegeißelt, verfolgt, geschmäht schritt er wie im Triumphe einher, und nachdem er aller Orten die Zeichen seiner fortwährenden Siege aufgestellt, konnte er sich also, dem Herrn danksagend, rühmen: „Dank sei Gott, der uns immerdar triumphiren macht.“ Ja, er suchte sogar Schmach und Mißhandlung um des Evangeliums willen, und zwar eifriger, als wir uns um Ehren bemühen, eifriger den Tod, als wir das Leben, die Armuth mehr, als wir den Reichthum. Er sehnte sich mit größerer, ja mit sehr viel größerer Heftigkeit nach Anstrengungen, als andere Menschen nach Ruhe, heftiger nach Leiden, als Andere nach Freuden; und er betete lieber für die Feinde, als Andere über sie fluchen. So hat er die Ordnung der Dinge umgekehrt — doch nein, wir haben sie umgekehrt, er aber hat sie ganz nach dem Gesetze Gottes beobachtet. Denn seine Gesinnung entsprach der Natur, die unsrige ist ihr entgegen. Wo ist der Beweis? Paulus selbst ist der Beweis, da er, der doch auch Mensch war, sein Verlangen und Streben nach dieser und nicht nach der andern Richtung bethätigte. Zu fürchten und zu vermeiden gab es bei ihm nur Eines, nämlich die Beleidigung Gottes, und sonst Nichts, wie ihm auch andererseits Nichts begehrenswerth schien, als Gott zu gefallen. Nichts — nicht einmal die Seligkeit des zukünftigen Lebens, geschweige denn die Güter dieser Erde. Rede mir vorab nicht von Städten, Völkern, Königen, Kriegsheeren, Waffen, Schätzen, Statthaltereien, obrigkeitlichen Ämtern; denn diese Dinge galten ihm weniger als Spinngewebe; nein, von den himmlischen Gütern wollen wir hier reden, dann werden wir seine überaus große Liebe zu Christus erkennen. Denn im Vergleich zu dieser Liebe konnte ihm weder die Erhabenheit der Engel oder Erzengel noch irgend etwas Anderes der Art Bewunderung abgewinnen. Besaß er ja in seinem Innern Eines, was größer ist als Dieses alles, nämlich eben die Liebe Christi; und in dieser Liebe erachtete er sich für glücklicher als alle Andern, ohne diese Liebe aber hätte er nicht einmal zu den himmlischen Mächten, Herrschaften oder Gewalten gehören mögen. Im Besitze dieser Liebe wollte er lieber unter den Letzten, unter den Sträflingen sein, als ohne diese Liebe unter den Angesehenen und Hochgeehrten. Denn er kannte nur eine einzige Strafe: nämlich dieser Liebe verlustig zu gehen. Das war für ihn eine Hölle, Das die härteste Strafe. Das galt bei ihm einem Übermaß von Leiden gleich. So betrachtete er es auch als seinen Lohn, dieser Liebe theilhaft zu sein. Das war sein Leben. Das war seine ganze Welt. Das galt ihm mehr als himmlische Geister, als Gegenwärtiges und Zukünftiges, als Königthum, als die Verheissungen, als die Fülle aller Güter und Freuden. Und was auf diese Liebe keinen Bezug hatte, Das hielt er weder für schmerzlich noch für angenehm. Darum verachtete er alle sichtbaren Dinge wie faulendes Heu. Ihm kamen Tyrannen und wuthschnaubende Volkshaufen nicht anders vor als winzige Mücken. Tod und Züchtigung und Strafen aller Art wie Kinderspiel — es sei denn, daß er sie um Christi willen erduldete. Denn dann begrüßte er auch diese mit Freuden, und dann war er auf seine Fesseln stolzer als Nero auf das Diadem, das er auf seinem Haupte trug. Dann war ihm sein Kerker gerade so viel werth als der Himmel; dann empfing er Wunden und Geißelstreiche mit größerer Freude als ein Sieger den Kampfpreis, den er mit heisser Begier in Empfang nimmt. Beschwerden liebte er nicht weniger als Lohn, denn als Lohn galten sie ihm. Darum nannte er sie auch eine Gunst und Gnade. So ist es, seht nur selber zu: ein Lohn wäre es für ihn gewesen, aufgelös’t und mit Christo zu sein; dagegen im Fleische zu verbleiben, Das war eine Fortsetzung des Kampfes. Nichts destoweniger wählt er das Letztere und sagt, daß es ihm nothwendig sei. Ein Fluch zu sein, von Christus getrennt zu sein, Das gehörte zum Kampfe, zu den Leiden, ja es wäre noch weit härter gewesen als Kämpfe und Leiden; dagegen mit Christo zu sein. Das war Kampfes- lohn. Und dennoch war es das Erstere, was er um Christi willen erwählte. Doch ihr wollt vielleicht einwenden, daß ihm Dieß alles um Christi willen eben süß und angenehm war. Das ist es gerade, was ich auch sage, daß ihm nämlich alle jene Dinge große Freude machten, die uns betrüben und entmuthigen.

Aber ich sollte eigentlich bei Aufzählung seiner Leiden nicht von einzelnen Gefahren und dergleichen Bedrängnissen reden; denn er war fort und fort in Schmerz und Betrübniß. Darum sagte er auch: „Wer wird schwach, ohne daß ich schwach werde? Wer wird geärgert, ohne daß ich entbrenne?“ Freilich, man kann behaupten, daß auch die Trauer von einer gewissen Befriedigung begleitet ist. So finden manche Eltern beim Verluste ihrer Kinder, wenn man sie ruhig weinen läßt, gerade im Weinen einen Trost, und sie empfinden es schmerzlich, wenn man sie daran hindert. So war es auch dem heiligen Paulus ein Trost, Tag und Nacht Thränen zu vergießen; denn er hat fremdes Leid mehr betrauert, als irgend Jemand sein eigenes. Z. B., wie meinst du wohl, daß ihm zu Muthe war, da er die Juden vom Heile ausgeschlossen sah? Das ging ihm so sehr zu Herzen, daß er begehrte, der himmlischen Herrlichkeit verlustig zu gehen, damit sie nur gerettet würden. Offenbar war also dieses Unglück der Juden für ihn weit härter als der Verlust der eigenen Seligkeit; denn sonst hätte er diesen Wunsch nicht sagen können, da er natürlich Dasjenige wählen wollte, was für ihn leichter und tröstlicher war. Ja, Das wollte er, er rief sogar aus: „Trauer ist mir, und Wehe meinem Herzen!“

Diesen Mann also, den so zu sagen täglich die Trauer über die ganze Menschheit drückte, — die Trauer sowohl über alle Menschen insgesammt, über Völker und Städte, als auch über jeden Einzelnen, — womit könnte man diesen Mann wohl vergleichen? mit welcher Art von Erz oder Stahl? Wie soll man diese Seele nennen? eine goldene oder eine stahlharte Seele? Sie war härter als Stahl, werthvoller als Gold und edle Steine. Sie übertrifft jenes Metall an Festigkeit, dieses an Kostbarkeit. Mit welchem kann man sie also füglich vergleichen? Überhaupt mit keinem, das in der Natur wirklich vorkommt. Wenn aber Gold zugleich [hart wie] Stahl, und Stahl [kostbar wie] Gold wäre, dann würde uns darin ein entsprechendes, wenn auch immerhin sehr unvollkommenes Bild dieser Seele zu Gebote stehen. Doch warum vergleiche ich sie mit Stahl oder Gold? Die ganze Welt lege auf die eine, die Seele Pauli auf die andere Wagschale, so wird diese schwerer wiegen. Denn wenn er ein solches Zeugniß Denjenigen gibt, die in Schaffelle gekleidet gingen, sich in Höhlen verbergen mußten und nur in einer eng begrenzten Gegend sich auszeichneten, dann können wir Dasselbe mit weit mehr Recht von ihm behaupten, da er so viel werth war als alle Andern zusammen. Wenn also die Welt seiner nicht werth war, wer war dann seiner werth? Vielleicht der Himmel! Aber auch Das ist zu wenig gesagt. Denn wie Paulus die Liebe des Herrn dem Himmel und seinen Freuden vorgezogen hat, so wird auch der Herr ihn mehr werth halten als tausend Himmel. Das ist unzweifelhaft anzunehmen, weil die Güte des Herrn ebenso hoch über der des heiligen Paulus, als die Tugend über dem Laster steht, und weil er unsere Liebe nicht etwa mit gleicher, sondern mit unsäglich viel größerer Liebe vergilt. Seht nur, wie überaus groß die Auszeichnungen sind, deren er den heiligen Paulus schon vor der künftigen Auferstehung gewürdigt hat. Er entrückte ihn in das Paradies, führte ihn hinauf in den dritten Himmel und gab ihm Antheil an jenen unaussprechlichen Geheimnissen, die kein Wesen menschlicher Natur verkünden darf. Das war auch recht und billig. Denn während er noch auf Erden wandelte, war er in allem seinem Thun wie ein Genosse der Engel; noch an den sterblichen Leib gefesselt glich er ihnen in der Reinheit seines Lebens, und so viel mit Nöthen und Schwachheiten geplagt trachtete er den himmlischen Mächten vollkommen gleich zu werden. Wie im Fluge durcheilte er den Erdkreis, wie ein leibloses Wesen, so verachtete er Mühsale und Gefahren; wie ein Bewohner des Himmels, so geringschätzig urtheilte er über das Irdische, und wie ein ständiger Gefährte geistiger Wesen, so wachsam war er ohne Unterlaß. Sind auch Engel manchmal mit der Sorge für verschiedene Völker betraut worden, so hat doch keiner von ihnen für das ihm anvertraute Volk so gut gesorgt, wie Paulus für die ganze Welt. Wende mir Niemand ein, daß keineswegs Paulus [sondern Gott] es war, der Das alles wirkte und leitete. Das gestehe ich zu. War er es auch nicht selbst, der Das alles zur Vollendung brachte, so verdient er gleichwohl das Lob dafür, weil er sich dieser so großen Gnade würdig gemacht hatte [daß nämlich Gott durch ihn wirkte]. Michael erhielt als seinen Antheil das Judenvolk, Paulus dagegen Land und Meer, die ganze bewohnte Welt, auch selbst wilde und unkultivirte Gegenden. Das sage ich nicht, um die Engel zu lästern — nein, wahrlich nicht! — sondern um zu zeigen, daß es auch uns Menschen möglich ist, in ihre Reihen einzutreten, ihnen nahe zu stehen.

Warum wurden aber nicht auch mit dieser Wirksamkeit [mit der Verbreitung des Christenthums] Engel beauftragt? Damit du für deine Nachlässigkeit keine Entschuldigung habest und nicht für deine Schläfrigkeit den Abstand zwischen der Natur der Engel und der Menschen zum Vorwand nehmest.

Übrigens ist auch jetzt [wie Gott es einmal geordnet hat] ein größeres Wunder geschehen. Oder ist es nicht etwas ganz Ausserordentliches und Staunenswerthes, daß ein Wort, ausgehend von einer aus Erde gebildeten Zunge, den Tod in die Flucht jagt, Sünden nachläßt, die kranke Natur wieder herstellt und die Erde zum Himmel macht? Deßwegen staune ich über die Macht Gottes, deßwegen bewundere ich die hingebende Bereitwilligkeit des heiligen Paulus, der eine so große Gnade empfing, weil er sich so gut darauf bereitet hatte.

Euch aber ermahne ich, daß ihr doch dieses Vorbild der Tugend nicht bloß bewundern, sondern auch nachahmen möget. Denn so werden wir mit ihm der gleichen Krone theilhaft werden können. Du wunderst dich, daß du für dieselben Verdienste auch denselben Lohn erlangen sollst? Höre, wie er Das selber sagt: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt; im Übrigen ist mir hinterlegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir verleihen wird der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage, doch nicht allein mir, sondern auch Allen, die seine Ankunft geliebt haben.“ Siehst du, wie er Alle in dieselbe Gemeinschaft ruft? Da uns allen demnach dieselben Belohnungen in Aussicht stehen, so laßt uns auch alle eifrig bestrebt sein, der verheissenen Glückseligkeit theilhaft zu werden. Und laßt uns am heiligen Paulus nicht allein die Größe und Erhabenheit seiner verdienstlichen Werke in’s Auge fassen, sondern auch jene opferwillige Hingebung, wodurch er eine solche Gnade auf sich herabzog, und nicht minder unsere Verwandtschaft mit ihm der Natur nach, denn er hatte ja Alles mit uns gemeinsam. Dann wird uns auch Das, was überall schwer ist, leicht und mühelos vorkommen, und so werden wir nach den Beschwerden dieser kurzen Lebenszeit für ewig jene unverwelkliche, unvergängliche Krone tragen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesu Christi. Ihm gehört die Herrlichkeit und die Macht, jetzt und immer, und in alle Ewigkeit. Amen.

Dritte Lobrede

Inhalt.

Der heilige Paulus zeichnete sich durch eine ausserordentlich große Liebe zu seinen Mitmenschen aus. Er war
1. voll mitleidiger Liebe gegen die Juden, seine heftigen und böswilligsten Verfolger, für die er ohne Unterlaß betete, trauerte und Entschuldigungen geltend machte;
2. nicht minder von Liebe erfüllt gegen die Heiden, gegen die Gefallenen, gegen Jedermann;
3. er bewährte diese Gesinnung durch Liebeswerke aller Art, auch durch Sorge für die irdischen und zeitlichen Angelegenheiten;
4. einen Mangel an Liebe hätte er sich zum größten Vorwurf angerechnet.

Unsere Aufgabe ist es, seinem Wort und Beispiel zu folgen.

Der heilige Paulus fordert uns wiederholt zur Nachfolge Christi auf. Dabei verweis’t er uns bald auf sein eigenes Beispiel, mit Übergehung der Engel, Erzengel und andern himmlischen Mächte, bald sieht er auch noch von sich selber ab und führt uns geraden Weges zu Gott dem Herrn hinauf. So sagt er an einer Stelle: „Werdet meine Nachahmer, wie auch ich Christi Nachahmer bin,“ und an einer andern Stelle: „Werdet also Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder.“ Auf diese Weise zeigt er uns, was der gute Wille des Menschen vermag, und daß wir selbst bis zum Himmel emporsteigen können. Nun kann man aber dieses Gebot der Nachfolge Christi auf keine Weise so vollkommen erfüllen, als wenn man nur für das Gemeinwohl lebt und stets Das im Auge hat, was den Mitmenschen zum Nutzen dient. Das zeigt uns der heilige Paulus wiederum, indem er an der angeführten Stelle hinzufügt: „Wandelt in der Liebe!“ Nachdem er also gesagt hat: „Werdet meine Nachahmer,“ redet er sofort von der Liebe und deutet dadurch an, daß uns diese Tugend mehr als jede andere Gott dem Herrn nahe bringt. In der That sind die andern Tugenden von geringerm Werthe, und haben es alle lediglich mit den Menschen zu thun; so ist es mit dem Kampfe gegen die Begierlichkeit, mit der Bezähmung der Gaumenlust, mit dem Widerstand gegen die Habsucht, mit dem Streiten gegen den Zorn. Die Liebe dagegen haben wir mit Gott dem Herrn gemeinsam. Darum sagt auch der Heiland: „Betet für Die, welche euch mißhandeln, damit ihr ähnlich werdet eurem Vater, der in den Himmeln ist.“ Das hat auch Paulus gewußt, daß die Liebe die größte unter den Tugenden ist, und darum hat er die Liebe mit großem Fleiße geübt. Niemand hat so wie er die Feinde geliebt, den Verfolgern Gutes erwiesen und für Diejenigen gelitten, die ihn gekränkt hatten. Er vergaß, was er von ihnen zu leiden hatte, und erinnerte sich, daß sie Menschen waren gleich ihm; und je wilder sie sich geberdeten, desto größer war sein Mitleid mit ihrer Wuth. Er war gegen sie gerade so gestimmt, wie ein Vater gegen seinen Sohn, dessen Geist vom Irrsinn umnachtet ist. Je heftiger ein solcher Kranker wüthet und um sich schlägt, desto mehr wird ihn der Vater bemitleiden und beweinen. So hat auch der heilige Paulus, indem er die Wuth seiner Dränger wie eine durch die Übermacht böser Geister herbeigeführte Krankheit betrachtete, stets nur größere Sorge um sie empfunden.

Höret nur, wie liebevoll und mitleidig er uns von ihnen redet, und vergesset dabei nicht, daß diese Menschen ihn fünfmal gegeißelt, daß sie ihn gesteinigt und in Bande gelegt hatten, daß sie nach seinem Blute dürsteten und täglich wünschten, ihn zerreissen zu können. „Denn ich gebe ihnen Zeugniß,“ sagt er, „daß sie Eifer haben für Gott, aber nicht nach Einsicht.“ Und an einer andern Stelle wehrt er den Schmähungen, mit denen man sie verfolgt, indem er sagt: „Sei nicht hochmüthig, sondern fürchte! Denn wenn Gott der natürlichen Zweige nicht geschont hat, möchte er etwa auch Deiner nicht schonen. Nachdem er nämlich zu der Überzeugung gekommen war, daß Gottes Urtheil gegen sie ergangen war, that er noch immer, was in seinen Kräften stand: er beweinte und betrauerte sie ohne Unterlaß, er hielt Diejenigen zurück, die ihnen aufsässig waren, er bemühte sich nach Möglichkeit, wenigstens einen Schatten von Verzeihung für sie ausfindig zu machen. Und weil er wegen ihres harten und verstockten Herzens mit seinen Worten keinen Eingang bei ihnen finden konnte, darum nahm er seine Zuflucht zum anhaltenden Gebet. So sagt er: „Brüder! Mein Wunsch und mein Gebet zu Gott ist für sie um Errettung.“ Zugleich sucht er sie zu den besten Hoffnungen anzuregen: „Ohne Reue,“ sagt er, „sind die Gnadengaben und die Berufung von Gott,“ damit sie doch nicht völlig verzweifeln und zu Grunde gehen möchten. Das alles sind offenbar Worte eines Mannes, der für sie ausserordentlich besorgt und von Liebe entbrannt war. So auch, wenn er sagt: „Kommen wird aus Sion der Retter, und abwenden wird er Gottlosigkeit von Jakob.“ Denn es schmerzte und quälte ihn ungemein, wenn er sie zu Grunde gehen sah. Darum dachte er auf manche Trostgründe für diesen seinen Schmerz; so sagt er also einmal: „Kommen wird der Retter, und abwenden wird er Gottlosigkeit von Jakob,“ und ein anderes Mal: „So haben auch diese zu eurer Begnadigung nicht geglaubt, damit auch sie begnadigt werden.“ Ebenso hat auch Jeremias sich so zu sagen mit Gewalt bemüht, um eine Entschuldigung für ihre Sünden ausfindig zu machen. Darum sagt er bald: „Wenn unsere Sünden gegen uns zeugen, thue es |Deinetwegen!“ und an einer andern Stelle: „Nicht des Menschen Sache ist sein Weg, noch wird der Mensch einherschreiten und seine Schritte lenken;“ und wieder an einer andern Stelle: „Gedenke, daß wir Staub sind.“ Wenn man nämlich für einen Schuldigen bittet und nichts Stichhaltiges zur Entschuldigung vorzubringen weiß, dann pflegt man wenigstens einen Schatten von Entschuldigung zu ersinnen, die dann freilich nicht gründlich ausgeführt und auch nicht nach strengen Grundsätzen zu beurtheilen ist, aber doch immerhin einen Trost für Diejenigen enthält, die sich um jene Unglücklichen, welche dem Verderben anheimfallen, betrüben. Darum wollen auch wir solche Entschuldigungen nicht scharf untersuchen, sondern in dem Gedanken hinnehmen, daß es eben Ergüsse eines trauernden Herzens sind, welches für die Schuldigen nach einem Wort der Fürbitte sucht.

Waren es nun bloß die Juden, gegen welche Paulus so gestimmt war, oder auch Die, welche draussen standen? Er war sowohl gegen seine Stammsgenossen als gegen Fremde so sanftmüthig wie kein Anderer. Hört nur, was er an Timotheus schrieb: „Ein Diener des Herrn aber muß nicht streiten, sondern milde sein gegen Alle, lehrhaft, duldsam, in Sanftmuth zurechtweisend die Widerstrebenden, ob ihnen Gott nicht Sinnesänderung verleihe zur Erkenntniß der Wahrheit und sie sich ernüchtern aus des Teufels Schlinge, nachdem sie von ihm gefangen gehalten worden zu seinem Willen.“ Wollt ihr auch hören, wie er selbst zu Denjenigen redet, die sich verfehlt haben? Vernehmet, was er in seinem Briefe an die Korinthier sagt: „Ich fürchte aber, daß, wenn ich zu euch komme, ich euch nicht so, wie ich euch wünsche, finden werde;“ und bald darauf: „Daß nicht, wenn ich wiederkomme, mein Gott mich demüthige bei euch und ich Viele von Denen betrauern werde, welche vorher gesündigt und nicht Buße gethan haben wegen Unlauterkeit und Unzucht, welche sie vollbracht haben.“ Und in seinem Schreiben an die Galater sagt er: „Meine Kindlein, für die ich wiederum in Wehen bin, bis daß gestaltet wird Christus in euch.“ Höret auch, wie er über den Unzüchtigen redet, wie er gleich diesem Sünder selbst trauert und um Hilfe bittet, da er sagt: „Beschließet Liebe gegen ihn!“ Und als er diesen Menschen ausschloß, verhängte er diese Strafe unter vielen Thränen. „Denn aus vieler Drangsal und Herzensangst,“ sagt er, „habe ich euch geschrieben, nicht damit ihr trauert, sondern damit ihr die Liebe inne werdet, welche ich über die Maßen zu euch hege“; und wiederum: „Ich bin geworden den Juden gleichsam Jude, Denen, die unter dem Gesetze sind, als wäre ich unter dem Gesetze, den Schwachen wie ein Schwacher; Allen bin ich Alles geworden, damit ich in aller Weise Einige errette;“ und wiederum an einer andern Stelle: „Damit ich darstelle jeden Menschen vollkommen in Christo Jesu.“ Siehst du? Das ist eine Seele, die in der ganzen Welt nicht ihres Gleichen hat. Jeden Menschen wünschte er in dieser Weise darzustellen, und er that es wirklich, so viel an ihm war. Man hätte glauben können, er sei aller Menschen leiblicher Vater; so sehr hat er sich, um Alle in das Reich Gottes einzuführen, unter großen Unruhen und mit drängender Eile abgemüht, dienend, mahnend, versprechend, betend, flehend, die Teufel austreibend, die Verführer verjagend. Er war unausgesetzt bemüht, durch seine Gegenwart, durch Briefe, durch Reden, durch die That, durch seine Jünger wie auch in eigener Person die Sinkenden aufzurichten, die Stehenden zu stützen, die Gefallenen aufzurufen, die Zerschlagenen zu heilen, die Nachlässigen anzuspornen. Den Feinden furchtbar als mächtiger Rufer im Streit, mit seinem Blick die Gegner durchbohrend glich er einem Feldherrn oder Arzte ersten Ranges und machte sich auch bereitwillig zum Gepäckträger und zum Schildknappen, zum Leibwächter und zum Waffengefährten, um dem Kriegsheere Alles zu werden.

Es waren aber nicht bloß Angelegenheiten der Seele, sondern auch des irdischen Lebens, deren er sich mit großer Sorgfalt und Liebe annahm. Höret nur, wie er in Betreff eines Weibes an eine ganze Gemeinde schrieb: „Ich empfehle euch aber Phöbe, unsere Schwester, welche Dienerin der Kirche in Kenchreä ist, damit ihr sie aufnehmet im Herrn, würdig der Heiligen, und ihr beisteht, in welchem Anliegen sie immer eurer benöthigen wird;“ und wiederum: „Ihr kennet das Haus des Stephanas … möget auch ihr euch Solchen unterordnen;“ und wieder: „Erkennet Solche an!“ Das ist nämlich den Heiligen bei ihrer Nächstenliebe eigen, daß sie auch in zeitlichen Dingen Hilfe und Beistand leisten. So hat auch Elisäus dem Weibe, das ihn gastlich aufgenommen hatte, nicht bloß in Sachen ihres Seelenheiles Nutzen gebracht, sondern auch in zeitlichen Angelegenheiten sich dankbar zu erweisen gesucht. Darum sagte er zu ihr: „Hast du ein Anliegen beim Könige oder Befehlshaber?“ Wundert euch denn nicht, daß Paulus solche briefliche Empfehlungen ausstellte! Er hat sogar, wenn er Jemand zu sich beschied, für Diesen an das Reisegeld gedacht und dieser Sorge in seinem Schreiben Ausdruck verliehen. Das dünkte ihm seiner durchaus nicht unwürdig. Er schrieb nämlich an Titus: „Zenas, den Gesetzeskundigen, und Apollo geleite sorglich, damit ihnen Nichts fehle.“ Wenn nun schon für Diejenigen, die er für eine Reise empfahl, seine Sorgfalt so groß war, so muß er ohne Zweifel noch weit mehr gethan und Alles aufgeboten haben, wenn er Jemand in Gefahr wußte. Aus seinem Briefe an Philemon könnt ihr ersehen, welche Mühe er sich wegen des Onesimus gibt, mit welcher Klugheit er diese Sache behandelt, und wie sehr sie ihm am Herzen liegt. Es war ihm nicht zu viel, für einen Sklaven, der überdieß seinem Herrn entlaufen war und Vieles entwendet hatte, ein förmliches und vollständiges Schreiben aufzusetzen; daraus entnehmet, wie viel er für die Andern gethan haben mag. Es gab nur Eines, dessen er sich glaubte schämen zu müssen, wenn er nämlich Etwas vernachlässigt hätte, was zum Heil der Seelen nothwendig war. Darum setzte er für die Rettung der Seelen Alles in Bewegung, dafür wendete er Alles mit Freuden auf: Worte, Geld und auch sein Leben. Er, der sich tausendmal dem Tode ausgesetzt hatte, er hielt noch viel weniger mit dem Gelde zurück, wofern er dessen nur besaß. Doch was sage ich: wofern er dessen besaß? Ich kann euch sogar zeigen, daß er es selbst dann nicht sparte, wenn er Nichts in seinem Besitze hatte. Glaubet nicht, daß ich in Räthseln sprechen will. Höret nur wieder, was er selbst sagt: „Ich werde gar gerne aufopfern und überaufgeopfert werden um eurer Seelen willen.“ Und in seiner Rede an die Ephesier sagte er: „Ihr selber wißt, daß zu Dem, was mir nöthig war und Denen, die mit mir sind, verholfen haben diese Hände.“ Also war er groß in der vorzüglichsten Tugend, in der Liebe, und seine Liebe so gewaltig, daß keine Flamme gleich heftig emporschlagen kann. Und wie Eisen, in Feuer eingesenkt, ganz Feuer wird, so ist auch er, von dem Feuer der Liebe entzündet, ganz Liebe geworden, und als wäre er aller Menschen Vater, so that er es in seiner Liehe den leiblichen Vätern gleich — doch nein, er übertraf alle Väter in seiner Sorge für die leiblichen und geistlichen Angelegenheiten der Kinder, indem er für seine geliebten Kinder Alles, Hab und Gut, Worte, Leib, Seele, kurz Alles dahingab. Darum nannte er auch die Liebe: Erfüllung des Gesetzes, Band der Vollkommenheit, Mutter alles Guten, Anfang und Ende der Tugend. Darum sagte er auch: „Das Endziel des Gebotes ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Bewußtsein.“ Und wiederum: „Denn Dieß: du sollst nicht ehebrechen, nicht tödten, und wo irgend ein anderes Gebot ist, es ist in dem Worte zusammengefaßt: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Ist somit die Liebe Anfang und Ende alles Guten, so laßt uns auch in dieser Tugend dem Paulus eifrig nachfolgen; denn durch die Liebe ist er der Mann geworden, der er wirklich ist. Sprich nur nicht von den Todten, die er erweckt, von den Aussätzigen, die er gereinigt hat; denn nichts Dergleichen wird Gott von dir fordern. Erwirb dir die Liebe, die Paulus besaß; dann wird die Krone dir hinterlegt sein. Wer lehrt uns Das? Er selbst, der die Liebe groß gezogen, der sie auch höher geachtet hat als Zeichen, Wunder und unzählige andere Vorzüge. Weil er sie nämlich bis zu einem so hohen Grade geübt und gepflegt hat, darum kannte er auch ganz genau ihre Kraft. Durch sie ist er ein so herrlicher Mann geworden, und Nichts hat ihm einen solchen Werth verliehen als die Macht der Liebe. Darum sagte er auch: „Strebet nach den bessern Gnadengaben! Und ich zeige euch darüber hinaus noch einen [vortrefflichern] Weg;“ er meint die Liebe, diesen allerbesten und zugleich leichten Weg. Diesen Weg laßt denn auch uns unablässig verfolgen, damit wir einst den Paulus oder vielmehr seinen Herrn schauen dürfen, und damit wir der unvergänglichen Krone theilhaft werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da ist die Herrlichkeit und die Macht, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

Vierte Lobrede

Inhalt.

Pauli Berufung und die göttliche Beglaubigung des von ihm verkündigten Evangeliums.

I. Pauli Berufung:
1. die typische Bedeutung seiner Blindheit,
2. der Gnadenruf Gottes keine Behinderung der menschlichen Freiheit,
3. der Zeitpunkt seiner Bekehrung.

II. Die Wahrheit der christlichen Lehre ist von Gott bestätigt:
1. durch viele Zeichen und Wunder in unsern Tagen,
2. durch die ungemein schnelle Verbreitung des Christenthums,
3. auch durch die wunderbar großartige Wirksamkeit des heiligen Paulus; denn
a. Paulus war nur ein armer Handwerker und — gleich seinen Jüngern — ohne gelehrte Bildung, ohne die Gabe der Beredsamkeit, stets in Bedrängniß und Gefahren;
b. er hatte die größten Schwierigkeiten zu überwinden, die begründet waren
α. in den strengen Anforderungen der christlichen Sittenlehre,
β. in den falschen Anklagen seiner Gegner,
γ. in dem durch manche Bekehrungen entstehenden Zwiespalt,
δ. in der erbitterten Feindschaft der Juden und Heiden,
ε. in den Umtrieben der falschen Brüder.

Trotzdem hat er unendlich mehr geleistet als die des Irrthums mit allen ihren äussern Hilfsmitteln und als die alten heidnischen Philosophen. Die Weisheit Gottes wußte selbst aus scheinbaren Hindernissen Mittel zur Förderung des Christenthums zu erzielen.

Die ganze Welt bezeugt die Wahrheit der christlichen Lehre.

Aufforderung zur Nachfolge des heiligen Paulus.

Der heilige Paulus ist es, der uns heute zusammengeführt hat. Er, der die Welt mit Licht erfüllt hat, ist zur Zeit seiner Berufung selbst blind geworden, aber seine Blindheit diente der Welt zu ihrer Erleuchtung. Vordem sah er nicht recht, da hat ihn Gott geblendet, und Das war sein Glück, denn nun sah er fürderhin, was zu seinem Heile diente. Was hier dem heiligen Paulus widerfuhr, Das war nicht bloß ein Beweis der göttlichen Macht, sondern auch ein Vorbild des Zukünftigen: nämlich der Art und Weise seiner Predigt, sowie der Pflicht, Allem freiwillig zu entsagen und gleichsam blind dem Herrn zu folgen. Das ist eben jene Lehre, die er uns laut verkündigt: „Wenn Jemand ein Weiser zu sein scheint unter euch, werde er ein Thor, damit er ein Weiser werde.“ Es ist unmöglich, will er sagen, so zu sehen, wie es gut und recht ist, wenn man nicht vorher in der rechten Weise blind geworden ist, d. h. den eigenen Gedanken und Plänen, die so viel Verwirrung anstiften, entsagt und dem Glauben Alles anheimgestellt hat.

Daß aber Niemand, wenn er von diesem Ereigniß hört, den Ruf Gottes für einen zwingenden halte! Denn es konnte ja Paulus wieder zurückkehren, woher er gekommen war. Viele Menschen im alten wie im neuen Bunde haben andere und größere Wunder gesehen — und haben sich dennoch wieder zum Bösen gewendet, so z. B. Judas, Nabuchodonosor, der Magier Elymas, Simon, Ananias und Sapphira und das ganze Volk der Juden. Nicht so der heilige Paulus. Als er wieder aufschaute, da hat er seinen Lauf zu dem ewigen Lichte hingelenkt und sich bis zum Himmel erhoben. Wenn du aber wissen willst, weßhalb er geblendet wurde, höre seine Worte: „Denn gehört habt ihr von meinem Wandel vordem im Judenthum, daß ich über die Maßen verfolgte die Kirche und dieselbe verwüstete und ich vorging im Judenthum hinaus über viele meiner Altersgenossen in meinem Geschlechte, sofern ich überschwenglicher ein Eiferer war für meine väterlichen Überlieferungen.“ Weil also sein Eifer so außerordentlich groß und weil ihm deßhalb kaum beizukommen war, darum war auch zu seiner Hemmung eine gewaltigere Kraft vonnöthen, sonst hatte er, von seinem Eifer fortgeriffen, dem Worte, das an ihn erging, kein Gehör gegeben. Deßhalb hat Gott der Herr zunächst durch Entziehung des Augenlichtes seine Wuth abgekühlt und die hochgehenden Wogen des Zornes, der sein Inneres beherrschte, zur Ruhe gebracht und erst dann zu ihm geredet — ein Zeichen seiner unbegreiflichen, über Alles erhabenen Weisheit. Und damit Paulus gleich inne würde, wer es war, gegen den er kämpfte, hat der Herr es so gefügt, daß Paulus ihn nicht einmal als den Geber des Guten, geschweige denn als den strafenden Richter ertragen konnte. Denn nicht Finsterniß hat ihn geblendet, sondern es war die Überfülle des Lichtes, die ihn in Nacht hüllte.

Warum ist aber, wirft man ein, der Ruf Gottes nicht schon früher an ihn ergangen? darnach sollst du gar nicht fragen, darüber dir keine Gedanken machen, sondern vielmehr die Bestimmung des rechten Zeitpunktes dem unerforschlichen Rathschluß Gottes überlassen. Denn Das thut Paulus auch, da er sagt: „Als es aber Dem gefiel, welcher mich ausgesondert hat vom Schooße meiner Mutter an und mich berufen hat durch seine Gnade, zu offenbaren seinen Sohn in mir“ u. s. w. Da also Paulus sich so ausspricht, so stehe auch du davon ab, dieser Frage nachzuforschen. Damals jedenfalls sollte das Ereigniß eintreten, als die Ärgernisse vorüber waren.

Übrigens aber läßt uns aus diesem Vorgang lernen, daß weder der heilige Paulus noch irgend Jemand vor ihm den Herrn aus sich selbst gefunden, daß vielmehr Christus sich selbst geoffenbaret hat. Darum sagte auch der Herr: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ Warum hat Paulus nicht schon damals geglaubt, wo er im Namen Jesu Todte erwecken sah? Er sah den Lahmgewesenen gehen, sah Teufel die Flucht ergreifen, sah Gichtbrüchige geheilt, und es fruchtete Nichts. Er hat nämlich ganz bestimmt von diesen Dingen Kenntniß gehabt, da er sich so viel um die Apostel bekümmerte. Als Stephanus gesteinigt ward, stand Paulus dabei und sah sein Angesicht wie das Angesicht eines Engels, aber es nutzte Nichts. Warum nutzte es ihm Nichts? Weil er noch nicht berufen war. Indem du Das aber hörst, hüte dich wohl zu glauben, daß der Ruf Gottes ein zwingender war. Denn Gott zwingt nicht, sondern läßt den Menschen auch nach der Berufung ihren freien Willen. Hat Gott sich nicht auch den Juden geoffenbart, als es an der Zeit war? Aber wegen ihrer Liebe zum eitlen Weltruhm wollten sie ihn nicht annehmen.

Vielleicht könnte aber ein Ungläubiger fragen: Woher ist es denn offenbar, daß er den Paulus vom Himmel her gerufen und bei ihm williges Gehör gefunden hat? Warum hat er nicht auch mich gerufen? Einem Solchen würde ich sagen: Glaubst du Das denn, o Mensch [daß Gott den Paulus gerufen hat]? Wenn du es glaubst, dann ist dieses Ereigniß eben das Wunder, das für dich genügt. Wenn du nämlich nicht glaubst, daß der Herr vom Himmel her gerufen hat, warum sagst du denn: Weßhalb hat er nicht auch mich gerufen? Wenn du aber an diesen Ruf Gottes glaubst, dann ist dieses Ereigniß das Wunder, das für dich genügt. Glaube also, denn er ruft auch dich vom Himmel her, wenn dein Herz willig ist; ist es aber unverständig und verkehrt, dann wird dir auch eine Stimme vom Himmel nicht zum Heile genügen. Wie oft haben wohl die Juden eine Stimme vom Himmel gehört und dennoch nicht geglaubt! Wie viele Zeichen haben sie gesehen im alten und im neuen Bunde und haben sich nicht gebessert! Im alten Bunde — da haben sie nach unzähligen Wundern ein Kalb verfertigt, [um es anzubeten] wohingegen die Buhlerin aus Jericho, ohne auch nur ein einziges Wunder gesehen zu haben, bei dem Zusammentreffen mit den Kundschaftern einen ganz bewundernswerthen Glauben an den Tag gelegt hat. Obgleich in dem Lande der Verheissung, blieben die Juden trotz aller Zeichen harter als Stein, wohingegen die Niniviten, nachdem sie nur den Jonas gesehen hatten, schon glaubten, sich bekehrten und dem göttlichen Zorne entgingen. Im neuen Bunde, nämlich zur Zeit, wo der Herr auf Erden erschienen ist, da hat ihn jener Räuber, der ihn doch nur am Kreuze hängen sah, gläubig angebetet, wohingegen ihn die Juden, die ihn doch sogar Todte erwecken sahen, gefangen genommen und gekreuzigt haben. Was ist dann in unsern Tagen geschehen? Ist nicht aus dem Tempel zu Jerusalem, d. h. aus den Erdbauten des Tempels, Feuer hervorgebrochen und auf die Bauleute eingedrungen, so daß sie von ihrem frevelhaften Unternehmen abstehen mußten? Sie haben trotzdem nicht Buße gethan und ihre Verstocktheit nicht abgelegt. Wie viele andere Wunder sind dann später noch geschehen, ohne daß sie davon Nutzen gezogen hätten! Daß z. B. der Blitz in das Dach des Tempels des Apollo einschlug, und daß von eben demselben Dämon ein Orakelspruch ausging, der den damaligen Kaiser nöthigte, den in der Nähe ruhenden Märtyrer zu entfernen. Der Sarg des Märtyrers stand nämlich nahe dabei, und der Dämon erklärte, keine Antwort geben zu können, so lange er den Sarg in der Nähe erblickte. Ferner: nach diesem Fürsten ist sein Oheim, nachdem er die heiligen Gefäße entweiht hatte, von den Würmern gefressen worden und hat so sein Ende gefunden; und der kaiserliche Schatzmeister ist wegen eines andern Frevels, den er gegen die Kirche begangen hatte, mitten entzwei geborsten und so elend gestorben. Ferner: die Quellen in unserer Nachbarschaft, die sonst stärker strömten als namhafte Flüsse, sind auf einmal fort, sind verschwunden, nachdem der Kaiser diese Gegend durch Schlacht- und Trankopfer befleckt hat. In frühern Zeiten war so Etwas nie vorgekommen. Was soll man ferner sagen von der Hungersnoth, die überall im Reich mit dem Kaiser in die Städte einzog, ferner von dem im Perserland erfolgten Tod des Kaisers selbst, von der Täuschung, die ihn vor dem Tode beherrschte, von der Umzingelung des Heeres, das durch die Barbaren wie in einem großen Netze gefangen war, und endlich von seiner höchst auffallenden, fast wunderbaren Rückkehr? Nachdem nämlich der gottlose Kaiser jämmerlich zu Grunde gegangen war und ein anderer, ein gottesfürchtiger Feldherr die Führung übernommen hatte, da waren alle Bedrängnisse mit einem Male zu Ende, und das Heer, das vorher wie im Netze gefangen war und nirgendwo einen Ausweg hatte, war jetzt durch Gottes Fügung den Händen der Barbaren entronnen und kehrte ganz ungefährdet zurück. Wen sollten nicht billiger Weise solche Zeichen zur Verehrung des wahren Gottes bewegen?

Was wir indessen jetzt sehen, Das ist noch weit wunderbarer. Das Kreuz wird gepredigt — und die Welt eilt herzu! Ein schmachvoller Tod wird verkündigt — und Alle strömen herbei! Sind denn nicht schon unzählig Viele gekreuzigt worden? Sind nicht mit Christus selbst zwei Räuber an’s Kreuz geschlagen worden? Hat es nicht viele durch Weisheit und Macht ausgezeichnete Männer gegeben? Aber wessen Name ist jemals so mächtig geworden? Und warum rede ich nur von weisen und mächtigen Männern? Hat es nicht viele ruhmbedeckte Könige gegeben? Wer hat aber je auf solche Weise in kurzer Zeit den Erdkreis erobert? Sage mir nicht: es gibt auch vielfältige Ketzereien von allerlei Art! Denn alle predigen — wenn auch nicht in der rechten Weise — denselben Christus, alle beten Denjenigen an, der in Palästina unter Pontius Pilatus gekreuzigt worden ist. Meint ihr nicht auch, daß Das ein Beweis seiner Macht ist, der jene Stimme vom Himmel an Kraft und Klarheit übertritt? Wie kommt es doch, daß nie ein König eine solche Macht erworben hat wie dieser, und zwar trotz unzähliger Hindernisse? Könige erhoben sich zum Kriege, Tyrannen standen gerüstet, ganze Völker stellten sich zum Kampfe auf, und dennoch sind wir und ist unsere Sache nicht besiegt, nein, sie steht glänzender als vorher. Woher, sagt an, woher diese Kraft? „Er war ein Zauberer,“ sagt man. Ist er denn allein ein solcher Zauberer gewesen? Ihr habt jedenfalls gehört, daß es bei den Persern und Indern viele Zauberer gegeben hat und noch gibt; aber sie sind nirgendwo auch nur dem Namen nach bekannt. Doch — man verweist uns auf jenen Betrüger aus Tyana, den Schwarzkünstler; der sei auch berühmt geworden. Wo und wann? In einem kleinen Bruchtheil des Reiches, auf kurze Zeit; und sein Licht ist schnell erloschen, er ist dahin, ohne eine Gemeinde oder einen Staat oder sonst Etwas dergleichen hinterlassen zu haben. Und was soll ich von den schon verschollenen Magiern und Zauberern sagen? Woher kommt es, daß alle Herrlichkeit der Götter aufgehört hat, daß der Gott von Dodona und von Klaros, und wie alle diese Werkstätten des Lasters heissen mögen, verstummt ist und hartnäckig schweigt? Woher kommt es, daß die Dämonen sich nicht bloß vor dem Gekreuzigten, sondern auch vor den Gebeinen der für ihn hingeschlachteten Martyrer entsetzen? Warum ergreifen sie die Flucht, sobald sie nur von dem Kreuze hören? Man sollte erwarten, sie müßten solcher Angriffe spotten; denn ist das Kreuz vielleicht etwas Großes und Ruhmvolles? Ganz im Gegentheil, es ist ein Zeichen der Schmach und der Schande. Der Tod am Kreuze ist der Tod eines Verbrechers und bedeutet das alleräußerste Elend, gilt bei den Juden als Gegenstand des Fluches, des Abscheus bei den Heiden. Woher kommt es also, daß das Kreuz so sehr gefürchtet wird? Ist der Grund nicht in der Macht des Gekreuzigten zu suchen? Oder fürchten sie vielleicht das Kreuz an und für sich? Das wäre doch zuvörderst der Götter nicht würdig. Übrigens sind ja auch vor und nach ihm sehr Viele und Zwei zugleich mit ihm gekreuzigt worden. Wenn nun Jemand sagen würde: im Namen des gekreuzigten Räubers (sei es nun der eine oder der andere von den beiden), — würde dann der Dämon fliehen? Ganz gewiß nicht, er würde eher darüber spotten. Wenn man ihnen aber Jesus von Nazareth nennt, dann fliehen sie wie vor dem Feuer. Woher, sagt an, woher hat er doch diese Macht? War er etwa ein Betrüger? Aber solcher Art sind seine Lehren nicht. Übrigens hat es auch schon viele Betrüger gegeben. Oder war er ein Zauberer? Auch davon ist aus seinen Lehren kein Zeugniß beizubringen; und zudem hat es auch schon oftmals eine große Anzahl von Zauberern gegeben. Oder war er lediglich ein weiser Mann? Aber es hat doch auch schon zu verschiedenen Zeiten viele Weise gegeben; wer von ihnen hat eine solche Macht erlangt? Keiner! Niemals! auch nicht entfernt so viel.

Daraus geht also hervor: nicht dadurch, daß er ein Betrüger oder Zauberer gewesen wäre, sondern weil er diese Menschen zu bekehren gekommen, weil er ein Mann voll göttlicher, unbezwinglicher Kraft war, deßhalb hat er auch weit mehr erreicht als sie alle, deßhalb konnte er diesem Zeltmacher [Paulus] eine solche Macht einhauchen, wie die Geschichte sie uns bezeugt. Dieser war ein Mann, der sich auf dem Markte aufstellte und Häute bearbeitete, und der hat es in weniger als dreissig Jahren fertig gebracht, Römer, Perser, Inder, Äthiopier, Skythen, Sarmaten, Parther, Meder und Sarazenen, ja das ganze Menschengeschlecht in die Wahrheit einzuführen. Woher kommt es doch, daß dieser Mann, der auf der Straße oder in seiner Werkstätte stand und das Messer handhabte, nicht nur selbst im Besitze einer so erhabenen Lehre war, sondern auch die Andern, ja sogar Völker, Städte und Länder dazu führte, obgleich er keine Bildung und Beredsamkeit aufwies, sondern ganz das Gegentheil, einen vollständigen Mangel an Gelehrsamkeit? Hört nur: er bekennt Das selbst und schämt sich dessen nicht: „wenn auch unbewandert in der Rede, aber nicht in der Erkenntniß.“ Auch besaß er kein Geld. Das sagt er uns ebenfalls selber: „Bis zu dieser Stunde hungern wir und dürsten, sind entblößt und werden geschlagen.“ Von Geld also gar nicht zu reden — es mangelte ihm oft an der nothwendigen Nahrung und Kleidung. Auch konnte ihm seine Beschäftigung nicht viele Ehre eintragen. Beweis dafür ist der Bericht seines Jüngers, nach welchem er deßhalb hei Aquilas und Priscilla Wohnung nahm, weil sie mit ihm demselben Handwerk oblagen. Sie waren nämlich Zeltmacher. Auch war er keineswegs vornehmer Herkunft. Wie wäre Das denkbar, da er ein solches Handwerk trieb? Ebenso wenig konnte von seinem Vaterlande und von seinem Volke Ehre und Ruhm auf ihn übergehen. Und dennoch, sobald er auftrat, sobald er sich sehen ließ, setzte er alle seine Widersacher in Schrecken und Verwirrung, und wie das Feuer durch Heu und Stoppeln fährt, so verheerte er das Gebiet der bösen Geister. Ja, er bewirkte allenthalben eine Umwandlung, ganz wie er wollte.

Es war in der That wunderbar, daß ein solcher gewöhnlicher Mann so große Dinge vermochte. Wunderbar ist diese Macht aber auch bei seinen Jüngern, die ebenfalls meist arme, geringe und ungebildete Männer waren, Leute ohne Namen, ohne Ahnen, und die mit Hunger und Entbehrung zu kämpfen hatten. Das wird uns wieder durch Paulus selbst verkündigt; und er schämt sich nicht, von ihrer Armmuth zu reden, ja selbst für sie zu betteln. „Ich reise nämlich,“ sagt er, „nach Jerusalem, um zu dienen den Heiligen;“ und wiederum: „Je am ersten Wochentage, lege Jeder von euch bei sich zurück, aufsparend, damit nicht, wenn ich gekommen sein werde, erst dann Sammlungen veranstaltet werden.“ Daß die große Mehrzahl aus ganz gewöhnlichen Leuten bestand, sagt er in seinem Briefe an die Korinthier: „Sehet an eure Berufung. Es sind nicht viele Weise nach dem Fleische.“ Ebenso, daß es keine Leute von Rang waren: „nicht viele Vornehme,“ sagt er. Davon waren sie weit entfernt; es waren Leute von ganz geringer Herkunft. Denn er sagt: „Das Schwache von der Welt hat Gott auserwählt und Das, was nicht ist, damit er Das, was ist, zu nichte mache.“

Aber wenn Paulus nun auch ein ungebildeter, ungelehrter Mann war, so besaß er doch vielleicht — wie auch immer — die Gabe der Überredung? Auch Das nicht. Das beweisen uns wieder seine eigenen Worte: „Auch ich kam zu euch, nicht in Überschwenglichkeit von Wort und Weisheit euch verkündigend das Zeugniß [Christi]. Denn nicht erachtete ich, Etwas zu wissen unter euch, ausser Jesum Christum, und Diesen als Gekreuzigten; und mein Wort und meine Predigt war nicht in überredenden Worten [menschlicher] Weisheit.“ Dann war vielleicht der Inhalt seiner Lehre recht geeignet, die Leute zu gewinnen? So höret denn, was er auch davon sagt: „Da auch die Juden Zeichen verlangen, die Griechen Weisheit suchen; wir aber predigen Christum den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgerniß, den Heiden eine Thorheit.“

Aber vielleicht führte er ein recht ruhiges und sorgenfreies Leben? So wenig, daß er vor lauter Gefahren sozusagen niemals zu Athem kam. Denn er sagt: „In Schwäche und in Furcht und in vielem Zittern war ich bei euch.“ Und nicht er allein, sondern auch seine Jünger hatten ebenso zu leiden. „Gedenket,“ sagt er nämlich, „der frühern Tage, in welchen ihr, nachdem ihr erleuchtet worden, grossen Leidenskampf bestanden habt, indem ihr einerseits durch Beschimpfungen und Bedrängnisse ein Schauspiel, andererseits aber Genossen der also Leidenden geworden sind; denn auch den Raub eures Besitzthums habt ihr mit Freuden ertragen.“ Ferner schreibt er an die Thessalonicher: „Denn ihr habt Dasselbe erlitten von den eigenen Stammgenossen, so wie auch sie von den Juden, welche auch den Herrn getödtet haben und die heiligen Propheten und uns verfolgt haben und Gott nicht wohlgefällig und allen Menschen entgegen sind.“ Ferner sagt er in seinem Briefe an die Korinthier: „Weil die Leiden Christi reichlich auf euch übergehen, und ihr, sowie ihr Genossen der Leiden seid, so auch des Trostes;“ und in seinem Briefe an die Galater: „So Vieles habt ihr erduldet vergeblich, wenn doch nur vergeblich!“

War also der Verkündiger des Evangeliums ein geringer, warmer, ganz unberühmter Mann, war die Lehre selbst keineswegs einladend, vielmehr ein Gegenstand des Ärgernisses, waren ferner die Hörer und Bekenner dieser Lehre arme, schwache und ungebildete Leute und ebenso wie auch ihre Meister fortwährend und unaufhörlich von vielen Gefahren bedroht, und war endlich Derjenige, den sie verkündigten, gekreuzigt worden — was war es dann eigentlich, wodurch diese Lehre eine solche Herrschaft erlangte? Ist es nicht klar, daß hier eine geheimnißvolle, göttliche Macht waltete? Das muß Jedermann einleuchten.

Dasselbe läßt sich auch aus einer Vergleichung mit den Erfolgen, welche die Feinde des Christenthums aufzuweisen haben, ersehen. Von Allem, was ich eben aufgezählt habe, fand sich hier das Gegentheil zusammen: Reichthum, Adel, Ruhm des Vaterlandes, Gewalt der Rede, ein ganz sorgenfreies, behagliches Leben; und wie bald ist trotz alle dem die Neuerung verschwunden, während dagegen das Christenthum seinen Feinden nur noch mehr überlegen ist! Wenn du Das siehst, sage mir doch, woher es kommt! Es hat hier gerade so gegangen, als wenn ein König mit seinem Heere, seinen gerüsteten und kampfbereiten Soldaten die Feinde nicht besiegen kann und dagegen ein Bettelmann, der ganz allein, ganz entblößt daher kommt, der nicht einmal einen Spieß in der Hand, nicht einmal einen Rock am Leibe hat, Dasjenige bis zu Ende durchführte, wozu alle diese Krieger nicht im Stande waren trotz aller Waffen und der gesammten Ausrüstung. Darum sei kein Thor; halte mit deinem Urtheile nie zurück, und beuge dich vor der Macht des Gekreuzigten! Wenn du siehst, daß ein Feldherr, der eine Stadt nehmen will, Burgen anlegt, Gräben zieht, Belagerungsmaschinen heranbringt, Waffen schmiedet, Krieger sammelt, unermeßlich viel Geld zur Verfügung hat und trotzdem nicht eine Stadt erobern kann, wie dagegen ein Anderer von Allem entblößt daherkommt, nur seine Hände gebraucht, und wie Dieser nicht eine Stadt etwa oder zwei oder zwanzig, sondern unzählig viele Städte auf dem ganzen Erdenrunde angreift und sammt den Bewohnern in Besitz nimmt, — wirst du dann behaupten, daß hier rein menschliche Kräfte wirken? Das ist eben das Schauspiel, das wir vor Augen sehen.

Warum ließ Gott es zu, daß zugleich mit dem Heilande Räuber gekreuzigt wurden, und daß vor ihm Betrüger aufstanden? Damit auch dem unverständigsten Thoren die Übermacht der Wahrheit einleuchte, und damit wir einsehen, daß Jesus nicht ein Mensch wie jene, daß vielmehr zwischen ihm und den andern ein unermeßlicher Abstand war. Nichts kann bei solchen Vergleichen seiner Herrlichkeit Abbruch thun, weder daß sie mit ihm dieselben Leiden zu erdulden hatten, noch daß sie [jene Betrüger] um dieselbe Zeit auftraten. Ganz im Gegentheil. Denn wenn jetzt Jemand behaupten wollte, daß die Dämonen sich eben nur vor dem Kreuze fürchten und nicht vor der Macht des Gekreuzigten, dann würde eine solche Behauptung durch das mitgekreuzigte Räuberpaar Lügen gestraft. Und wenn man sagt, daß der Erfolg lediglich auf Rechnung der bösen Zeiten zu setzen sei, dann wird dieses Gerede widerlegt durch die Anhänger des Theudas und Judas, welche ähnliche Versuche machten und auch manche Zeichen aufzuweisen hatten, aber nichts desto weniger vollständig unterdrückt worden sind. Es ist, wie ich sagte: Gott hat Das zugelassen, um es mehr als klar herauszustellen, welches Werk von ihm ist. Darum ließ er auch neben seinen Propheten falsche Propheten, neben seinen Aposteln falsche Apostel erstehen, damit wir eingehen, daß Nichts im Stande war, seine Werke zu verdunkeln.

Nun will ich euch noch andere Beweise für die ausserordentliche und wunderbare Macht des Evangeliums vorführen; ich will euch zeigen, daß es selbst durch seine Gegner gefördert und verbreitet wurde. Es haben nämlich einstens mehrere Männer als Widersacher des heiligen Paulus eben dieselbe Lehre in Rom verkündigt. Sie wollten den Kaiser Nero, der vor dem heiligen Paulus ohnehin schon feindlich entgegengetreten war, noch mehr gegen ihn aufreizen. Darum unternahmen sie es ebenfalls, zu predigen, damit der Tyrann, indem er das Wort Gottes sich ausbreiten und die Zahl der Christen wachsen sähe, noch mehr von Zorn entbrennen, noch grausamer wüthen möchte. Das sagt uns der heilige Apostel in seinem Briefe an die Philipper: „Ich will aber, daß ihr wisset, Brüder, daß meine Lage sich mehr zum Fortgange des Evangeliums gestaltet hat, so daß die Mehrzahl der Brüder, vertrauend meinen Banden, übergewöhnlich sich getraute, unerschrocken das Wort Gottes zu reden. Einige allerdings verkündigen auch aus Neid und Streit, Einige aber auch aus guter Meinung Christum; Diejenigen, welche aus Streitsucht [Christum verkündigen, thun es] nicht aufrichtig indem sie vermeinen, Trübsal anzuthun meinen Banden; die aber aus Liebe [Christum verkündigen, thun es], weil sie wissen, daß ich zur Vertheidigung des Evangeliums bestellt bin. Was ist’s denn? Wird doch auf jede Weise, sei es zum Vorwande, sei es in Wahrheit, Christus verkündigt.“ Siehst du, daß Manche nur aus Streitsucht predigten? Gleichwohl dienten auch diese Bemühungen der Feinde zur Förderung des Evangeliums.

Zugleich gab es noch Anderes, was ihm entgegenstand. Alte Gesetze, weit entfernt es zu begünstigen, standen ihm als feindliche, streitbare Macht gegenüber. Dazu kamen die falschen Beschuldigungen, hervorgegangen aus Unwissenheit und aus Bosheit. Man sagte: Sie haben Christus zum König. So sagte man, weil man sein himmlisches Königthum, dieses erhabene und unbegrenzte Königthum nicht kannte; man beschuldigte die Christen, als wollten sie der Welt das Joch einer neuen Tyrannei auflegen. Im öffentlichen sowohl als im Privatleben schlug Jedermann auf die Christen los. Sie seien es, sagte man, durch welche der Staat unterwühlt und die Verfassung zerstört werde! Nicht minder im Privatleben: schien doch fast jedes Haus gespalten und in seinem Bestande bedroht zu sein! Der Vater stritt gegen den Sohn, und der Sohn verleugnete seinen Vater. Weiber standen gegen ihre Männer auf, und Männer gegen ihre Weiber, Töchter gegen ihre Mütter, Verwandte gegen Verwandte und Freunde gegen Freunde. Da war überall Krieg in den verschiedensten Formen, ein Krieg, der sich in die Familien einschlich, die Verwandten entzweite, die Rathsversammlungen aufregte, die Gerichte verwirrte, weil die Sitten der Altvordern in Abgang kamen, die Feste und überhaupt der Dienst der Dämonen ausstarben: und Das waren eben Dinge, auf welche die alten Gesetzgeber den allerhöchsten Werth gelegt und die allergrößte Sorgfalt verwandt hatten. Zugleich hatte dann der Verdacht, daß sie die Herrschaft anstrebten, aller Orten ihre Vertreibung zur Folge. Man kann auch keineswegs sagen, daß die Christen nur bei den Heiden so verfolgt wurden, bei den Juden aber Ruhe hatten. Die Juden waren sogar noch weit ärger hinter ihnen her. Auch die Juden beschuldigten sie der Untergrabung der staatlichen Ordnung. Denn sie sagten: „Er hört nicht auf, Lästerworte zu reden gegen den heiligen Ort und das Gesetz.“

So loderte denn überall die Flamme des Hasses und der Verfolgung: in den Familien, in den Städten, auf dem Lande, in der Wüste, unter den Hellenen, bei den Juden, bei den Herrschern wie bei den Unterthanen, auf dem Festlande wie auf dem Meere, auch bei den Königen; Alle reizten sich gegenseitig zur Grausamkeit auf und setzten den Christen nach, ärger als wilde Thiere. Und mitten in diese gewaltige Feuersbrunst hat sich der heilige Paulus hineingestürzt, er stand mitten zwischen den Wölfen und von allen Seiten ward auf ihn gezielt; aber er war nicht zu überwinden, nicht einzuschüchtern, ja was sage ich? er hat sie alle für die Wahrheit gewonnen.

Soll ich euch nun von andern Kämpfen reden, die noch hinzutraten und sehr schwer waren? Dazu gehörte der Kampf gegen die falschen Apostel, der ihn mehr als alle andern betrübte, und auch der Kampf gegen schwach gewordene Christen; es ließen sich nämlich viele Gläubige wieder verführen. Aber auch für diese Kämpfe war erstark genug. Was für eine Kraft war es doch, die ihn beseelte? „Unsere Waffen,“ sagt er, „sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott, zum Niederwerfen von Befestigungen, indem wir Vernunftschlüsse darniederwerfen und jegliche Erhöhung, die sich erhebt wider die Erkenntniß Gottes.“ Das war also der Grund, weßhalb Alles auf einmal ganz umgewandelt war. Gleichwie dorniges Gestrüpp auf dem Acker durch die Gewalt des Feuers nach und nach verzehrt wird, wie es der Flamme weichen muß und nicht widerstehen kann, so daß der Acker bald gesäubert ist: ebenso mußte auf die Stimme des heiligen Paulus, deren Angriffe die Gewalt des Feuers noch überboten, Alles sich zurückziehen und das Feld räumen: Götterdienst, Feste, feierliche Zusammenkünfte, vaterländische Gewohnheiten, verderbliche Gesetze, Wuth des Volkes, Drohungen von Tyrannen, Nachstellungen von Angehörigen, listige Anschläge von falschen Aposteln. Oder sagen wir vielmehr so: Wenn die Sonne aufgeht, dann entweicht das nächtliche Dunkel, wilde Thiere ziehen sich zurück und halten sich nun verborgen, Räuber wenden sich zur Flucht, Mörder suchen ihre Höhlen auf, Piraten stehen von ihren Räubereien ab, Grabschänder flüchten, Ehebrecher, Diebe, gewaltthätige Verletzer fremden Eigenthums eilen in die Ferne, um sich zu verbergen, weil die Strahlen der aufgehenden Sonne im Begriffe sind, sie zu verrathen. Indem also die Sonne aus den Höhen des Himmels überallhin ihr Licht sendet, über das Meer, die Berge, die Länder und Städte, wird Land und Meer, wird Alles hell und durchleuchtet. So ging es auch damals, als die Lehre Christi auf Erden aufkam und von Paulus überall gepredigt ward. Da wurde die Nacht des Irrwahns vertrieben, und es ging auf die Sonne der Wahrheit. Jetzt hörten die Götzenopfer auf zu dampfen; es ging zu Ende mit dem Lärm der Cymbeln und Pauken, mit jenen Trinkgelagen, Aufzügen, Buhlereien, Ehebrüchen und andern Greueln — man darf sie nicht einmal nennen —, die im Dienste der Götter vollbracht wurden; es war, wie wenn Wachs vom Feuer geschmolzen, wie wenn Spreu von den Flammen verzehrt wird. Die Wahrheit aber stieg wie eine lichte Flamme empor zu den Höhen des Himmels, gefördert selbst durch Hindernisse, vergrößert selbst durch gegnerische Bemühungen. Keine Gefahr vermochte ihre unbezwingliche Gewalt und Heftigkeit aufzuhalten, nicht die tyrannische Herrschaft uralter Gewohnheiten, nicht der große Einfluß althergebrachter Sitten und Gesetze, nicht die Strenge der neuen Sittenlehre, Nichts von Allem, was ich eben schon aufgezählt habe. Willst du wissen, was Das besagen will? So bedrohe einmal die Heiden — ich sage nicht: mit Gefahren, Tod, Hunger, nein nur mit einer geringen Geldstrafe, und du wirst sehen, wie bald sie ihren Sinn geändert haben. Wahrlich, so steht es mit unserer Sache nicht. Wenn auch Alle hingeschlachtet, niedergemacht oder überall auf die verschiedenste Weise angefeindet werden, so gedeiht das Christenthum nur desto mehr.

Doch warum rede ich von den Heiden unserer Zeit, von diesen niedrig gesinnten, verächtlichen Menschen? Wir wollen einmal der bewunderten und wegen ihrer Weisheit hochgepriesenen Männer aus der alten Zeit gedenken, des Plato, des Diagoras und des Klazomemers [Anaxagoras], wie auch der vielen andern von ähnlicher Art, dann werden wir die Kraft des Evangeliums erkennen. Nachdem Sokrates den Schierlingsbecher hatte trinken müssen, gingen von ihnen die einen aus Furcht vor dem nämlichen Geschick nach Megara, die andern verloren Vaterland und Freiheit und gewannen nur — ein einziges Weib. Plato hat den Staat in seinen Schriften hinterlassen und ist dann aus der Welt gegangen. Und doch stand diesen Philosophen damals kein Hinderniß im Wege, weder Gefahren noch Mangel an Gelehrsamkeit oder Niedrigkeit des Standes; sie erfreuten sich vielmehr einer großen Bildung und Beredsamkeit, eines bedeutenden Vermögens und eines in der ganzen Welt berühmten Vaterlandes. Trotzdem haben sie Nichts geleistet. So geht es mit falschen Lehren immer mehr abwärts, selbst wenn kein Hinderniß entgegensteht; so kommt die Wahrheit immer mehr in die Höhe, selbst wenn ganze Schaaren gegen sie in’s Feld ziehen. Das bezeugen laut unleugbare Thatsachen. Da bedarf es keiner Worte; denn die ganze Welt ruft es uns von allen Seiten zu; man hört es in den Städten und in den Dörfern, auf dem Lande und auf dem Meere, in bevölkerten Gegenden wie auch in der Wüste und auf den Gipfeln der Berge. Denn auch der Wüste wollte der Herr diese Wohlthat [die Wahrheit] nicht vorenthalten; gerade diese hat er durch die Stimme des heiligen Paulus und die ihm einwohnende Gnade ganz vorzüglich mit jenen Gütern erfüllt, die er uns vom Himmel herabgebracht hat. Weil Paulus nämlich eine Willfährigkeit bewies, welche dieser Gabe Gottes entsprach, darum leuchtete das Licht der Gnade um so stärker und glänzender, und darum wurden die meisten der aufgezählten Erfolge durch seine Stimme bewirkt. — Hat nun also Gott der Herr unser menschliches Geschlecht so sehr geehrt, daß er einen Menschen würdigte, für sich allein so ausserordentlich große Tugenden und Verdienste zu begründen, so laßt uns diesem doch recht eifrig nachfolgen, laßt uns streben, auch so zu werden wie er, und laßt uns Das nur nicht für unmöglich halten! Was ich nämlich schon oft gesagt habe, werde ich nicht aufhören zu sagen: er besaß den nämlichen Leib wie wir, genoß die nämliche Nahrung und hatte die nämliche Seele; aber stark war sein guter Wille, überaus groß sein Eifer; und Das hat ihn zu einem solchen Manne gemacht. Darum soll Niemand zagen, Niemand den Muth verlieren. Wenn du dem Herrn dein ganzes Herz darbietest, dann hindert Nichts, daß du derselben Gnade theilhaft werdest. Denn bei Gott gilt kein Ansehen der Person. Er hat den Paulus erschaffen und hat auch dich in die Welt gesetzt; wie er sein Herr ist, so auch der deine; wie er ihn gerühmt hat, so will er auch dich krönen. Darum wollen wir uns ihm hingeben und unsere Seelen reinigen, damit auch wir, nachdem wir die Gnade in reichem Maße empfangen haben, derselben Glückseligkeit theilhaft werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.

Fünfte Lobrede

Inhalt.

Im Eingange werden wieder die Lästerer der menschlichen Natur durch den Hinweis auf Paulus kurz widerlegt. — Dann folgt das thema probandum: Der heilige Paulus ist ganz besonders deßhalb zu preisen, weil er sich in seiner Gesinnung, in seiner Liebe zu Gott und den Menschen stets gleich blieb, in seinen Handlungen dagegen, obgleich sie nur in dieser Liebe ihre Quelle hatten, je nach den Bedürfnissen des Augenblickes die größte Mannigfaltigkeit an den Tag legte und auch selbst scheinbare Widersprüche nicht scheute. So hat er
1. schon gleich nach seiner Bekehrung einen feurigen Eifer für die Ehre Gottes bethätigt und sich andererseits den drohenden Gefahren mit kluger Vorsicht entzogen,
2. sein Leben sehr geliebt und sich gleichwohl nach dem Tode gesehnt,
3. das jüdische Ritualgesetz bald beobachtet, bald verworfen,
4. bald das Lob verschmäht, bald sich selbst gerühmt (freilich mit ausserordentlicher Vorsicht, wie an II. Kor. 12 ausführlich gezeigt wird),
5. bald schonende Milde, bald Strenge angewendet und harte Worte gesprochen.

Wo sind doch jetzt die Leute, die da Klage erheben gegen den Tod und in diesem leidens- und sterbensfähigen Leibe ein Hinderniß für die Übung der Tugend finden? Sie sollen von den Tugenden und Verdiensten Pauli hören und dann ihre lügnerischen, ja frevelhaften Anklagen fallen lassen. Was für einen Schaden hat dem Menschengeschlechte denn der Tod zugefügt? Welches Hinderniß hat der Tugend die Verweslichkeit in den Weg gelegt? Betrachte den heiligen Paulus, und du wirst sehen, daß uns das Sterblichsein sogar sehr großen Nutzen gebracht hat. Denn wäre Paulus nicht sterblich gewesen, dann hätte er nicht sagen können — oder vielmehr dann hätte er nicht an den Tag legen können, was er durch die That noch mehr als durch Worte gepredigt hat: „Täglich sterbe ich, bei eurem Ruhme, den ich habe in Christo Jesu“ [d. h.: so wahr ich mich eurer in Christo Jesu rühmen kann]. Wir haben nämlich unter allen Umständen Nichts vonnöthen als Muth und guten Willen; dann hindert uns Nichts, unsern Platz unter den Ersten einzunehmen. War nicht auch Paulus ein sterblicher Mensch? War er nicht ein gewöhnlicher, ein armer Mann, der sich mit seiner Arbeit das tägliche Brod verdiente? War nicht auch sein Leib allen Bedürfnissen der Natur unterworfen? Hat ihn Das aber gehindert, der Mann zu werden, der er wirklich ist? Durchaus nicht. Darum soll also der Arme den Muth nicht sinken lassen, darum soll der Ungebildete nicht murren, der gewöhnliche Mann nicht betrübt sein. Das sollen nur Diejenigen, deren Herz verweichlicht, deren Geist entnervt ist. Denn Das allein, die Feigheit und die Weichlichkeit meine ich, ist ein Hinderniß für die Tugend; und ausser diesem gibt es keines. Das ist klar zu erkennen an diesem heiligen Paulus, der uns heute zusammengeführt hat. Denn sowie ihm alle jene Mängel nicht geschadet haben, so hat die Fülle der entgegengesetzten Vorzüge Denen, die draussen stehen, Nichts genutzt: nicht die Gewalt der Rede, nicht die Menge der Reichthümer, nicht der Adel des Geschlechtes, nicht die Größe des Ruhmes, nicht die hohe Stellung in einem einflußreichen Amte. Doch warum rede ich nur von Menschen? oder sage ich lieber: warum verweile ich so lange bei den Staubgewordenen, da ich mich doch selbst auf das Schicksal der höhern, geistigen Mächte, der Herrschaften, Gewalten, der Beherrscher dieser finstern Welt berufen kann? Denn was hat es diesen geholfen, daß ihnen eine so erhabene Natur zu Theil geworden war? Werden nicht alle diese Mächte durch Paulus und seine Genossen gerichtet werden? Er sagt ja: „Wißt ihr nicht, daß wir Engel richten werden? geschweige denn Alltagssachen!“

Laßt uns deßhalb über nichts Anderes trauern, als über die Sünde, und über nichts Anderes uns freuen und frohlocken, als über die Tugend! Wenn wir nach der Tugend eifrig streben, dann hindert uns Nichts, zu werden wie Paulus. Denn Paulus ist ein solcher Mann nicht bloß durch die Gnade geworden, sondern auch durch seinen eigenen guten Willen, und weil durch den Willen, darum durch die Gnade. Bei ihm traf Beides im höchsten Grade zusammen: die Gunst der göttlichen Gnade und die Entschlossenheit des guten Willens. Willst du hören, was Gabe Gottes bei ihm war? Daß z. B. Teufel sich vor seinen Gewändern fürchteten. Das ist es aber nicht, worüber ich staune, ebenso wenig als über die Flucht der Krankheiten vor dem Schatten des heiligen Petrus. Worüber ich staune, ist vielmehr Dieß, daß Paulus sich schon vor dem Empfange [des Vollmaßes der Gnade, gleich von vorn herein und im Anfange durch folgende wunderbare Leistungen ausgezeichnet hat: ohne die [apostolische] Gewalt zu besitzen, ohne die Weihe empfangen zu haben, entbrannte er dermaßen von Eifer für Christus, daß er dadurch das ganze Judenvolk gegen sich aufbrachte. Als er sich nun von den größten Gefahren bedroht sah, indem man seinetwegen sogar die Stadt mit Wachen umgab, und nachdem er sich dann durch eine Öffnung der Mauer [in einem Korbe] herabgelassen hatte, um den Feinden zu entrinnen, ließ er trotzdem keinen Überdruß, keine Bangigkeit und Furcht an sich herankommen, sondern ließ sich durch das Vorgefallene nur zu größerm Eifer anspornen. Den Gefahren wich er zwar in kluger Vorsicht aus, aber Keinem gab er in der Verkündigung des göttlichen Wortes Etwas nach, sondern ergriff von Neuem das Kreuz, um dem Herrn zu folgen, obgleich er — gewissermaßen zur Warnung! — Das, was dem Stephanus widerfahren war, noch frisch vor Augen hatte, obgleich er ferner sah, daß die Juden gegen ihn am allermeisten von Mordlust erfüllt waren und von Begierde brannten, ihren Durst in seinem Blute zu stillen. — So war er also ebenso weit davon entfernt, sich rücksichtslos in Gefahren zu stürzen, als durch die Flucht vor den Gefahren jemals minder beherzt und minder streng gegen sich selbst zu werden. Wie er das gegenwärtige Leben ausserordentlich liebte um der Dienste willen, die es [der Verbreitung des Evangeliums] leistete, ebenso verachtete er dieses Leben um der christlichen Weisheit willen, welche uns diese Verachtung lehrt, und wegen seiner großen Sehnsucht, bald zu Jesus zu gelangen. Das ist es nämlich, was ich immer von ihm sage und nie aufhören werde zu sagen. Niemals hat ein Mensch so sehr, wie er, sich in Gegensätzen bewegt und nach beiden Seiten die größte Vollkommenheit an den Tag gelegt. Mag ein Anderer noch so sehr von Liebe zum Leben beherrscht sein: niemals hat er es so sehr wie Paulus geliebt. Mag ein Anderer sich noch so sehr nach dem Tode sehnen: nie hat er so sehr wie Paulus das Leben verachtet. So vollkommen war seine Freiheit von jedem unordentlichen Verlangen und von ungebührlicher Anhänglichkeit an die Dinge dieses Lebens. Immerdar band er den eigenen Willen an den Willen Gottes. Das eine Mal hält er dieses Leben sogar für nothwendiger als die Gemeinschaft und Vereinigung mit Christus, und das andere Mal für so beschwerlich und drückend, daß er nach der Auflösung seufzt und sich sehnt. Er begehrt eben nur, was ihm in Rücksicht auf Gott von Gewinn ist, und seien es auch die entschiedensten Gegensätze. So finden wir an ihm die größte Mannigfaltigkeit, nicht als ob er ein Heuchler gewesen wäre — Das sei ferne! — sondern weil er Alles wurde, was die Verkündigung des göttlichen Wortes oder das Heil der Menschen erheischte. Auch darin bewährt er sich als Nacheiferer seines Herrn. Denn auch Gott hat sich den Menschen auf mannigfache Weise gezeigt. Das eine Mal erschien er in Menschengestalt, wenn er nämlich so erscheinen mußte, — ein anderes Mal im Feuer, wenn Dieß nämlich die Umstände verlangten, — wieder ein anderes Mal in Gestalt eines Bewaffneten, eines Kriegers, dann unter der Hülle eines betagten Mannes, dann im Wehen des Windes, dann wie ein Wanderer, endlich auch als wirklicher Mensch, als welcher er sich nicht einmal dem Tode entziehen wollte. Wenn ich übrigens sage, daß er mußte, so sollt ihr diese Worte ja nicht von einer Nothwendigkeit, sondern nur von seiner Liebe verstehen. Bald hören wir, daß er auf einem Throne sitzt, bald, daß er auf Cherubim thront. Das alles thut Gott aber in weiser Berücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse. Darum sagt er auch durch den Propheten: „Ich mehre Gesichte und gebe Vorbilder durch die Propheten.“ So wäre auch Paulus, da er seinem Herrn nacheiferte, keineswegs zu tadeln, wenn er sich bald wie ein Jude, bald wie ein ausserhalb des Gesetzes Stehender benahm. Das eine Mal beobachtete er das Gesetz, während er es ein anderes Mal ausser Acht ließ; bald liebte, bald verachtete er dieses Leben; jetzt begehrte er Geld, ein ander Mal schlug er selbst das gegebene aus. Er brachte Opfer und ließ sich die Haare scheeren [nach den Vorschriften des Gesetzes], und wiederum verdammte er Die, welche Dasselbe thaten. Bald vollzog er selbst, bald verwarf er die Beschneidung. Was er that, Das waren Gegensätze; aber die Absicht und die Gesinnung, aus der seine Handlungen hervorgingen, war durchaus übereinstimmend und blieb sich immer gleich. Denn er suchte nur Eines: das Heil derer, die seine Werke sahen oder seine Worte hörten. Darum sieht man ihn das Gesetz bald hochhalten, bald verwerfen. Wir sehen nämlich nicht bloß in seinen Handlungen, sondern auch in seinen Worten eine große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit, nicht als hätte er seine Überzeugung gewechselt, oder als wäre er selbst ein Anderer geworden; nein, er blieb, was er war, aber er richtete sich in den gedachten Äusserungen und Handlungen nach den jeweiligen Bedürfnissen. Hüte dich also, ihn deßhalb zu tadeln, vielmehr sollst du ihn gerade deßhalb besonders loben und preisen. Denn wenn du siehst, wie ein Arzt den Kranken bald brennt, ihm bald nahrhafte Speisen verordnet, bald das Messer gebraucht, bald Arzneien verschreibt, wie er ihn einmal vom Essen und Trinken abhält, ein ander Mal veranlaßt, sich gehörig zu sättigen, wie er ihn jetzt ganz in Decken einhüllt und ihn dann wieder, nachdem der Kranke ganz durchwärmt ist, eine volle Flasche kalten Wassers austrinken läßt: dann wirst du einen solchen Arzt wegen dieses wechselvollen Verfahrens, wegen der stets veränderten Heilmittel keineswegs verurtheilen, sondern dann gerade wirst du seine Geschicklichkeit loben, indem du siehst, daß eben seine ärztliche Kunst es ist, welche anscheinend entgegengesetzte und schädliche Mittel zuversichtlich anordnet und sich für die Sicherheit des Erfolges verbürgt. Denn so macht es ein Mann, der in seinem Fache erfahren und geschickt ist. Sind wir also mit einem Arzte zufrieden, der sich in solchen Gegensätzen bewegt, dann haben wir noch weit mehr Grund, den heiligen Paulus zu preisen, daß er so die kranken Seelen behandelte. Zur Heilung kranker Seelen bedarf es nämlich durchaus nicht minder einer geschickten und verständigen Behandlung als zur Heilung kranker Leiber, und wenn man mit solchen Seelen auf die kürzeste und geradeste Weise verfahren wollte, würde es um ihr Heil geschehen sein. Wundert euch nicht, daß die Menschen ein solches Verfahren einschlagen müssen! Pflegt doch selbst der allmächtige Gott bei der Heilung der Seelen sich an dieses Gesetz zu binden und, wenn er sich mit uns in Verkehr setzen will, keineswegs immer die einfachste und wenigst umständliche Weise zu wählen! Weil er nämlich will, daß wir mit freiem Willen und nicht in Folge von Zwang und Gewalt tugendhaft seien, darum bedarf er auch in seiner Einwirkung auf uns einer gewissen planmäßigen Stufenfolge, nicht als ob ihm irgend Etwas unmöglich wäre, sondern weil wir schwache Menschen sind. Denn er braucht nur zu winken, nein, nur zu wollen, um Alles zu erreichen, was er will: wir aber wollen, nachdem wir einmal Herren unseres Thuns und Lassens geworden sind, uns nicht gern dazu verstehen, ihm in allen Punkten zu gehorchen. Wenn er uns nun zöge gegen unsern Willen, würde er uns entziehen, was er selbst gegeben hat: die Freiheit des Willens. Damit Das nicht geschehe, dazu bedarf er vieler Abwechslung in seiner Thätigkeit zu unserm Heile.

Das habe ich nun nicht ohne Grund und Absicht gesagt, sondern im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit und Weisheit, welche wir am heiligen Paulus gefahren. Darum sollst du ihn nicht weniger bewundern, wenn du ihn vor gefahren fliehen, als wenn du ihn den Gefahren entgegengehen siehst. Denn wie Dieses von mannhaftem Muthe, so zeugt Jenes von weiser Vorsicht. Bewundere ihn nicht weniger, wenn du ihn Großes von sich selber reden, als wenn du ihn sich selbst herabsetzen hörst. Denn wie Dieses von Demuth, so zeugt Jenes von erhabener Gesinnung. Bewundere ihn nicht weniger, wenn du ihn sich rühmen, als wenn du ihn das Lob verschmähen hörst. Denn wie Dieses von Bescheidenheit, so zeugt Jenes von großer Liebe zu den Menschen. Er that nämlich auch Das nur aus Sorge für das Heil der Seelen. Darum sagte er auch: „Sind wir überspannten Sinnes, [ist’s] für Gott; sind wir nüchternen, für euch.“ Denn kein Anderer hatte jemals so dringende Veranlassung stolz zu werden, und kein Anderer war je von aller Prahlerei so weit entfernt. Seht selber zu: „Die Wissenschaft bläht auf.“ Das sagen wir alle mit ihm. Nun besaß er aber eine Wissenschaft, wie keiner von allen Menschen, die je gelebt haben. Und gleichwohl hat ihn diese Wissenschaft nicht aufgebläht, nein, gerade in diesem Punkte zeigte er sich sehr demüthig. Darum sagt er: „Wir erkennen theilweise, und wir weissagen theilweise;“ ferner: „Ich, Brüder, vermeine noch nicht, als hätte ich es erfaßt;“ und: „Wenn Jemand vermeint, Etwas zu wissen, hat er es noch nicht erkannt.“ Ein anderes: auch Fasten bläht auf, wie uns jener Pharisäer in den Worten verräth: Ich faste zweimal in der Woche.“ Was sagt dagegen der heilige Paulus, der nicht bloß zu fasten, sondern gar zu hungern pflegte? Er nennt sich selbst eine Fehlgeburt. Und warum rede ich nur von seinem Fasten und seiner Wissenschaft, da der heilige Paulus sich so häufig und so andauernd eines vertrauten Verkehrs mit Gott dem Herrn erfreute, wie kein Prophet und kein Apostel? Und dennoch hat er sich deßwegen nur um so mehr verdemüthigt. Denke dabei nicht an das Wenige nur, was er von seinen Entzückungen aufgeschrieben hat; denn das Meiste davon hat er verheimlicht. Er wollte nicht Alles sagen, um sich nicht mit dem Schimmer eines großen Ruhmes zu umgeben; und er wollte nicht Alles verschweigen, um nicht den falschen Aposteln Veranlassung zu lügenhaftem Gerede zu geben. Denn Nichts, Nichts that er ohne weise Absicht, sondern Alles aus gerechten und vernünftigen Gründen, und mit so großer Weisheit ging er an die entgegengesetztesten Werke, daß er immerdar der gleichen Anerkennung theilhaft wird. Ich will mich näher erklären. Es ist etwas sehr Gutes, von sich selbst nichts Rühmliches zu sagen. Paulus dagegen hat es gethan, und zwar so sehr zur rechten Zeit, daß er für dieses Reden mehr gelobt wird, als wenn er geschwiegen hätte; und wenn er es nicht gethan hätte, dann würde er mehr getadelt werden als Einer, der sich zur Unzeit rühmt. Denn hätte er es nicht gethan, dann würde er Alles verdorben und preisgegeben und die Sache seiner Feinde mächtig gefördert haben. Er wußte stets so gut den Umständen Rechnung zu tragen und mit der rechten Gesinnung und zum allgemeinen Nutzen selbst das Verbotene zu thun, daß er sich dadurch nicht minder als durch Beobachtung des Gebotenen zu seinem Ruhme auszeichnete. So hat er sich damals durch sein Selbstlob mehr ausgezeichnet als irgend ein Anderer, der seine Tugenden verbirgt. Denn nie hat Jemand durch Verheimlichung seiner Tugenden so viel Gutes bewirkt als Paulus, indem er die seinigen bekannt machte. Und noch bewundernswerther ist, daß er in diesen Enthüllungen nur so weit ging, als die Nothwendigkeit verlangte. Er war weit entfernt, sich wegen der Umstände jeglicher Furcht und Sorge enthoben zu glauben, und machte deßhalb von dieser Sache keineswegs in einer unmäßigen und übertriebenen Weise Gebrauch, sondern er wußte wohl, wie weit er zu gehen hatte. Diese Vorsicht genügte ihm aber noch nicht, um die Andern nicht zu mißleiten; um nicht schuld zu sein, daß sie sich ohne Noth selbst rühmten, nennt er sich selbst einen Thoren. Er rühmte sich freilich nur, weil die Nothwendigkeit es erheischte; aber es war zu erwarten, daß die Andern, deren Augen auf ihn gerichtet waren, sein Vorgehen grundloser und unüberlegter Weise nachahmen wurden. So geht es auch manchmal bei den Bemühungen der Ärzte. Oft wird von einem unwissenden Menschen ein Arzneimittel, das der Arzt im richtigen Augenblicke angewendet hatte, zur Unzeit gebraucht und dadurch seine heilende Kraft zerstört und vernichtet. Einem solchen Mißbrauch wollte der heilige Paulus vorbeugen, und seht nur, mit welcher Sorgfalt er ihm vorbaut! Im Begriffe sich zu rühmen, wird er bedenklich, zaudert wieder, und zwar nicht einmal, sondern zweimal und noch öfter. „Möchtet ihr doch ertragen“, sagt er, „mein bißchen Unverständigkeit!“ Und wiederum: „Was ich rede, rede ich nicht dem Herrn gemäß, sondern gleichsam in Unverständigkeit … Worin aber Einer in Unverständigkeit sich erkühnt — in Unverständigkeit rede ich —, erkühne auch ich mich.“ Und selbst mit diesen starken Ausdrücken begnügt er sich nicht; im Begriffe nämlich, sich selbst zu loben, verhehlt er überdieß noch, daß er von seiner Person redet, indem er sagt: „Ich weiß einen Menschen“ u. s. w. Ferner: „Ob Solchem werde ich mich rühmen; ob meiner selbst aber werde ich mich nicht rühmen.“ Und nach alle Dem sagt er noch: „Ich bin unverständig geworden; ihr habt mich gezwungen!“ Seht diesen heiligen Mann, wie er vor dem Selbstlob — trotz der dringendsten Nothwendigkeit — sich wiederholt voll Bedenken zurückzieht, ähnlich einem Rosse, das sich vor dem Sprung in den jähen Abgrund bäumt! Wie könnte Jemand bei dieser Wahrnehmung so unvernünftig, so unzugänglich für heilsame Lehren sein, daß er nicht das Lob seiner eigenen Person, auch wenn er noch so großen Nutzen daraus zu erzielen gedenkt, ausserordentlich scheuen und sich nur auf zwingende Gründe hin gestatten sollte!

Wollt ihr, daß ich euch noch auf ein Anderes derselben Art an ihm aufmerksam mache? Es ist sehr zu bewundern, daß er sich nicht mit dem Zeugnisse seines Gewissens begnügte, sondern auch uns belehren wollte, wie wir uns bei solchen Gelegenheiten in jeder Beziehung verhalten sollen. Er hat nämlich nicht allein sich selbst durch den Hinweis auf den zwingenden Charakter der Umstände entschuldigt, sondern auch Andern die Lehre gegeben, daß sie ein solches Selbstlob weder unterlassen sollen, wenn die Umstände es erheischen, noch sich zur Unzeit sich erlauben sollen. Es ist fast, als ob er uns in jenen Äusserungen zuriefe: Sehr von Übel ist es, von sich selbst Großes und Wunderbares auszusagen: es ist, Geliebte, unverständig im höchsten Grade, ohne Nothwendigkeit, ja ohne zwingende Nothwendigkeit mit seinem eigenen Lobe zu prahlen. Das heißt nicht dem Herrn gemäß reden; so Etwas ist vielmehr ein Zeichen von äusserster Thorheit und raubt uns allen Lohn nach vielem Schweiß und vielen Mühen. Das alles und noch mehr spricht er zu Allen dadurch, daß er sich wegen des Selbstlobes trotz der vorliegenden Nothwendigkeit entschuldigt. Noch bemerkenswerther ist, daß er ungeachtet dieser Nothwendigkeit keineswegs Alles zum Besten gibt, sondern mehr und Größeres verschweigt, als er aussagt. „Ich komme jetzt,“ sagt er nämlich, „zu den Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. … Ich enthalte mich aber, auf daß nicht Jemand von mir denke über Das hinaus, was er sieht oder hört von mir.“ Durch diese Erklärungen gibt er uns allen die Lehre, wir sollen selbst dann, wenn das Selbstlob nothwendig ist, nicht Alles bekannt machen, was wir von uns wissen und sagen könnten, sondern nur, was den Zuhörern von Nutzen ist. So machte es auch Samuel — es ist nämlich durchaus angebracht, auch dieses heiligen Mannes zu gedenken, weil auch das Lob [das er sich spendete] uns zum Nutzen gereichen soll. Also auch Samuel hat sich einstens selbst gerühmt und seine Tugenden bekannt gemacht, aber welche Tugenden? Diejenigen, deren Kenntniß und Erwägung den Hörenden heilsam war. Er hat sich wohl gehütet, sich über die Mäßigkeit, Demuth und Versöhnlichkeit zu verbreiten, worüber redet er denn? Über Das, was der damalige König sich besonders merken mußte, über die Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit. Auch David hat sich einstens selbst gerühmt, aber nur derjenigen Vorzüge, deren Erwähnung das Urtheil des Hörers berichtigen konnte. Er beruft sich nämlich nur auf den Vorfall mit dem Löwen und dem Bären, und von sonstigen Vorzügen spricht er nicht. Wer in solchen Reden weiter geht, als noth thut, der zeigt sich eben als ein prahlerischer, ehrgeiziger Mensch; wer aber nur Dasjenige sagt, was gerade die Nothwendigkeit erheischt, der handelt als ein Mann voll Liebe und Sorge für das Wohl der Mitmenschen. So und nicht anders hat der heilige Paulus es gemacht. Denn man sagte ihm lügenhafter Weise nach, er sei kein ächter und rechter Apostel, er habe keine apostolische Gewalt. Darum mußte er nothwendiger Weise solche Thatsachen vorbringen, die geeignet waren, seine apostolische Würde zu erhärten.

Seht ihr nun, wie zahlreich die Mittel sind, durch welche er die Zuhörer von einem ungerechtfertigten Selbstlob abzuhalten sucht? Erstens indem er beweis’t, daß er selbst sich dazu nur durch die Nothwendigkeit bestimmen läßt; zweitens indem er sich selbst einen Thoren nennt und vielmals um Entschuldigung bittet; drittens indem er trotz der vorliegenden Nothwendigkeit nicht Alles [d. h. nicht alle seine Visionen u. s. w.] mittheilt, sondern das Größere verheimlicht; viertens indem er von sich selbst spricht wie von einer andern Person: ich kenne einen Menschen; fünftens indem er sich gar nicht über alle seine andern Vorzüge und Tugenden ausspricht, sondern nur diejenigen erwähnt, deren Mittheilung gerade die Umstände besonders verlangten.

Und ein solcher Mann war er nicht bloß dann, wenn er sich rühmte, sondern blieb er auch, wenn er schalt. Allerdings ist auch Das verboten, den Bruder zu schelten; aber wenn er es that, dann geschah es so sehr in Übereinstimmung mit seinen Pflichten, daß seine Scheltworte besser gefallen als anderer Menschen Lobsprüche. Darum wird er gepriesen, daß er zu wiederholten Malen die Galater Unverständige nannte und die Kreter faule Bäuche und böse Thiere schalt. Er gab uns nämlich hierdurch eine Regel und Richtschnur: wir sollen gegen die Verächter des göttlichen Willens nicht mit nachsichtiger Schonung verfahren, sondern mit harten Worten vorgehen.

Für Alles und Jedes findet man bei ihm das rechte Maß. Er mag schelten oder loben, er mag Abscheu oder schonungsvolle Milde an den Tag legen, er mag sich erheben oder heruntersetzen, sich rühmen oder sein Elend beklagen: er gefällt in Allem, was er sagt und thut. Und warum sollen wir uns wundern, daß an ihm auch Schelt- und Schmähreden gefallen, da im alten sowohl als im neuen Bunde selbst Todtschlag, Trug und Täuschung gebilligt werden? Nachdem wir nun Das alles recht sorgfältig erwogen, laßt uns den Herrn preisen, den Paulus bewundern und uns so mit ihm beschäftigen, daß auch wir der ewigen Güter theilhaft werden, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, welchem ist die Herrlichkeit und die Macht, jetzt und immerdar und in Ewigkeit. Amen.

Sechste Lobrede

Inhalt.

Sogar die scheinbaren Schwachheiten und Fehler des heiligen Paulus sind Beweise seiner Tugend.

Dahin gehören:
1. seine Scheu vor der Geißelung,
2. seine Furcht vor dem Tode,
3. sein Anathem gegen Alexander und Andere,
4. seine harten Ausdrücke gegen den unzüchtigen Korinther und gegen die verstockten Juden,
5. seine Unehrerbietigkeit gegen den Hohenpriester,
6. seine Härte gegen Johannes Markus und sein Streit mit Barnabas.

Seid ihr einverstanden, Geliebte, wenn ich heute Alles bei Seite lasse, was am heiligen Paulus groß und bewundernswerth ist, und dagegen nur Dasjenige vorbringe, was Einige an ihm auszustellen finden? Wir werden sehen, daß er auch in diesen Punkten nicht minder groß und bewundernswerth da steht. Was findet man also an ihm zu tadeln? Es hat sich einmal gezeigt, sagt man, daß er sich vor der Geißelung fürchtete, damals nämlich, als er schon für die Geißelung festgeschnürt war, wie auch ein ander Mal, als er sich nämlich bei der Purpurhändlerin aufgehalten hatte und Denen, die ihn hinwegführen wollten, noch zu schaffen machte; denn Das that er nur, um sich sicher zu stellen, und nicht binnen Kurzem wieder derselben Strafe unterworfen zu werden. Was sollen wir nun darauf sagen? Ich sage: Nichts beweis’t so klar als die eben erwähnten Vorfälle, daß er ein großer und bewundernswerther Mann ist. Denn derselbe Mann, der von aller Verwegenheit und Überstürzung so weit entfernt, dessen Leib für Schläge so empfindlich war und so sehr vor der Geißelung zitterte, derselbe Mann hat, wo die Umstände es verlangten, dermaßen alles Furchtbare für Nichts geachtet, daß er in dieser Beziehung geistigen Wesen gleichkam. Wenn du also hörst, wie er zagt, da man ihn zur Geißelung festgeschnürt hat, dann denke an jene Worte, durch welche er sich über den Himmel hinaus erhoben und mit den Engeln gewetteifert hat, an die Worte: „Wer wird uns trennen von der Liebe Gottes? Trübsal oder Bedrängniß oder Verfolgung oder Hunger oder Gefahr oder Schwert?“ Denke an jene Worte, in denen er diese Leiden für Nichts erklärt: „Denn das gegenwärtig Leichte unserer Trübsal wirkt uns überschwenglich ewige Last der Herrlichkeit, indem wir nicht schauen auf Das, was gesehen wird, sondern auf Das, was nicht besehen wird.“ Nimm dazu seine täglichen Trübsale, sein tägliches Sterben; und indem du Das bedenkest, bewundere den Paulus und verzweifle nicht mehr an dir selbst. Denn gerade Das, was beim heiligen Paulus Schwäche der Natur zu sein scheint, ist der größte Beweis seiner heldenmüthigen Tugend, indem er trotz seines Antheils an den allgemeinen menschlichen Nöthen ein so herrlicher Mann geworden ist. Die ausserordentliche Menge und Größe der Anfechtungen, welche er siegreich bestand, konnte Manche zu der Annahme, zu dem Argwohn veranlassen, daß er als ein so ausserordentlicher Mann eigentlich nicht zu den Menschen, sondern zu einer höhern Gattung von Wesen gehörte; deßhalb nun ließ ihn die Vorsehung solche Leiden fühlen, damit du erkennest, daß er zwar seiner Natur nach einer aus der Menge, aber in Anbetracht seines starkmüthigen Willens nicht bloß über die Menge erhaben, sondern wie einer von den Engeln war. Denn mit einer solchen Seele und einem solchen Leibe nahm er tausendmal den Tod auf sich, und verachtete er sowohl das Gegenwärtige als auch das Zukünftige. Darum konnte er auch jenes große, gewöhnlichen Menschen ganz unglaublich scheinende Wort aussprechen: „Ich wünschte ein Brandopfer zu sein, getrennt von Christus, für meine Brüder, meine Verwandten dem Fleische nach.“

Denn wenn wir nur wollen, dann sind wir im Stande, durch die Kraft des Willens den ganzen Widerstreit der Natur zu überwinden; und zu Allem ist der Mensch im Stande, was Christus geboten hat. Wenn wir nur unsern ganzen Willen hergeben, dann verleiht uns auch Gott der Herr eine große Gnadenkraft, und dann sind wir durch keine feindliche Macht zu überwältigen. Das ist nichts Tadelnswerthes, wenn man sich vor Geißelstreichen fürchtet, wohl aber, wenn man sich durch diese Furcht zu irgend einem Schritte verleiten läßt, der mit der Frömmigkeit unvereinbar ist, ja, gerade wegen dieser Furcht ist Derjenige, der sonst im Kampfe nicht zu überwinden ist, mehr zu bewundern als ein Anderer, der sich nicht fürchtet; denn durch sie wird die Stärke seines Willens in ein helleres und schöneres Licht gesetzt. Die Furcht vor Schlagen ist dem Menschen natürlich; wer sich aber durch diese Furcht nicht zu einem unerlaubten Schritte bestimmen läßt, der beweis’t dadurch, daß sein Wille die Mängel der Natur ersetzt und jene Schwäche überwunden hat. So ist auch die Trauer an sich nicht zu tadeln, wohl aber sündhafte Worte oder Werke, zu denen man sich durch die Trauer verleiten läßt.

Freilich, wenn ich leugnen würde, daß Paulus Mensch war, dann würdest du mich mit Grund auf die Mängel seiner Natur verweisen, um dadurch meine Behauptung zu entkräften, wenn ich aber sage und fest darauf bestehe: ja er war ein Mensch, war seiner Natur nach nicht besser als wir und ist ein besserer nur durch seinen Willen geworden, — dann berufst du dich auf solche Vorfälle ganz vergeblich oder vielmehr nicht vergeblich; denn sie sprechen zu seinen Gunsten! Zeigen ja gerade diese Ereignisse, woher seine Größe stammt, indem er sich trotz einer solchen schwachen menschlichen Natur in seinen Werken über die menschliche Natur erhoben hat. Und Das nicht allein. Indem du ihn durch solche Erinnerungen nur noch mehr erhebst, verschließest du zugleich jenen Saumseligen den Mund, die sich mit den überwiegenden Neigungen ihrer schwachen Natur entschuldigen und drängest sie zum Eifer eines starken Willens.

Aber auch den Tod, sagt man, hat er einmal gefürchtet. Nun ja, auch Das ist in der menschlichen Natur begründet. Allein nichts desto weniger hat dieser Mann, der sich vor dem Tode fürchtete, auch gesagt: „Denn auch wir, die wir in diesem Gezelte sind, seufzen bebürdet;“ und wiederum: „Wir selbst seufzen in uns.“ Siehst du wohl, daß er eine Kraft des Willens aufbot, die der Schwäche der menschlichen Natur vollkommen die Wage hielt? Es ist auch vielen Märtyrern widerfahren, daß sie, wenn sie zum Tode sollten geführt werden, erbleichten und von Furcht und Angst erfüllt waren; aber sie sind gerade deßhalb ganz besonders zu bewundern, da auch sie, obgleich den Tod fürchtend, dem Tode um Jesu willen sich nicht entzogen haben. So auch der heilige Paulus: er fürchtete den Tod, aber um seines geliebten Heilandes willen war er sogar bereit, in die Hölle zu fahren; er zitterte im Gedanken an seine letzte Stunde, aber um Jesu willen sehnte er sich nach seiner Auflösung. Doch nicht er allein, sondern auch der Fürst der Apostel war ganz in derselben Lage: er, der sich oftmals bereit erklärt hatte, sein Leben hinzuopfern, auch er fürchtete den Tod nicht wenig. Höret, was darüber Christus in der Unterredung mit ihm sagt: „Wenn du alt geworden bist, wird man dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Damit wies er hin auf die Schwäche der Natur, nicht des Willens. Denn die Natur macht sich geltend auch gegen unsern Willen, und ihre Mängel vollständig zu heben, Das ist selbst beim besten Willen und beim größten Eifer nicht möglich. Darum haben wir wegen dieser Mängel keinen Schaden zu befürchten, sondern vielmehr Bewunderung zu erhoffen. Denn wie könnte es etwas Tadelnswerthes sein, den Tod zu fürchten? Wie sehr verdient aber andererseits Derjenige gelobt zu werden, der den Tod fürchtet und sich dennoch durch diese Furcht nicht zu einem unedlen Schritte verleiten läßt. Eine schwache menschliche Natur zu haben, Das ist nicht tadelnswerth, wohl aber, dieser Schwachen Sklave zu sein. Darum ist Paulus groß und bewundernswerth, weil er durch die Kraft seines Willens die Angriffe der Natur überwunden hat. Dadurch zeigt er, wie groß die Kraft des Willens ist, und dadurch macht er zugleich Diejenigen verstummen, die da klagen: Warum sind wir doch nicht von Natur gut? Denn was liegt daran, ob du es von Natur oder durch den Willen bist? Ja, wie sehr ist das Letztere sogar vorzuziehen, da es Siegeskronen und herrlichen Ruhm bringt! Aber die Natur, sagst du, ist doch sehr stark! Wenn du dich mit gutem, festem Willen waffnest, dann wird der Wille noch stärker als die Kraft der Natur. Oder siehst du nicht, wie die Martyrer, wenn ihre Leiber mit Schwertern verwundet werden, der Natur nach zwar von dem scharfen Stahl überwunden werden, aber dem Willen nach nicht nachgeben und sich nicht besiegen lassen? Sag’ an, hast du nie gehört, wie es bei Abraham war? Als ihm befohlen ward, seinen Sohn zu schlachten, hat sein Wille über die Natur den Sieg davongetragen und hat sich stärker erwiesen. Hast du nicht gesehen, daß es bei den drei Jünglingen im Feuerofen ebenso erging? Hörst du nicht auch Diejenigen, welche draussen stehen, im Sprüchwort sagen, durch die Gewohnheit werde der Wille zur zweiten Natur? Ich möchte sogar behaupten: zur ersten Natur. Den Beweis habe ich eben erbracht. Siehst du nun, daß wir sogar eine natürliche Stärke erlangen können, wenn der Wille nur gut und eifrig ist, und daß es mehr Lob einbringt, wenn man durch freie Wahl und Anstrengung des Willens, als wenn man aus Nothwendigkeit tugendhaft ist? Das ist in der That das Beste. Wenn Paulus z. B. sagt: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit,“ so lobe ich ihn dafür am allermeisten; denn daraus sehe ich, daß die Übung der Tugend ihm Anstrengung kostete und ihm nicht so leicht wurde, daß spätere Christen ihre Gleichgültigkeit damit entschuldigen könnten. Und wiederum, wenn er sagt: „Ich bin der Welt gekreuzigt,“ dann preise ich die Stärke seines Willens. Ja fürwahr, unmöglich ist es nicht, durch Fleiß und Eifer den Willen dergestalt zu stärken, daß seine Kraft der Kraft der Natur gleichkommt; und wenn wir uns diese Säule der Tugend [Paulus] recht betrachten, dann werden wir an ihm das unermüdete Streben entdecken, die durch den Willen erworbenen Tugenden so fest zu gründen, daß sie ihm natürlich zu sein schienen. Wohl schmerzten ihn die Geißelstreiche, aber er achtete ihrer so wenig als die Engel, die keinen Schmerz empfinden können. Das läßt sich aus jenen Worten entnehmen, durch welche man sich schon hat verleiten lassen, ihm eine andere, eine höhere Natur, als die unsrige ist, zuzuschreiben. Denn wenn er sagt: „Mir ist die Welt gekreuzigt, und ich der Welt,“ und ferner: „Ich lebe, aber schon nicht mehr ich, sondern es lebt in mir Christus,“ — was heißt Das anders, als daß er selbst den Leib verlassen hat? Wie aber, wenn er sagt: „Es ward mir gegeben ein Stachel für das Fleisch, ein Engel des Satans“? Das ist eben der Beweis, daß die Leiden nur seinen Leib trafen, nicht als ob sie vor seiner Seele Halt gemacht hätten, sondern weil er sie durch die überaus große Stärke seines Willens zurückschlug und vertrieb. Was soll man zu andern, noch mehr bewundernswerthen Äusserungen von ihm sagen? wenn er sich z. B. freut, da er gegeißelt wird und sich seiner Fesseln rühmt? Was anders, als daß er hier von der Stärke und Erhabenheit seines Willens redet während andere Aussprüche die Schwäche seiner Natur beweisen? so z. B. wenn er sagt: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit, und ich fürchte, daß ich, nachdem ich andern gepredigt habe, selbst verwerflich werde.“ Diese verschiedenartigen Äusserungen sind aufgeschrieben, damit du ihn nicht im Hinblick auf jene großen Tugenden für ein Wesen einer höhern Natur haltest und an dir selbst verzweifelst noch auch im Gedanken an diese Schwächen seine heilige Seele verachtest, sondern vielmehr auch hier einen Antrieb findest, dem Kleinmuth zu entsagen und dich zu den besten Hoffnungen zu erheben. Darum redet er auch von der Gnade Gottes in überschwenglichen oder sage ich lieber in sehr dankbaren Worten, damit du glaubst, sein Verdienst sei gar Nichts, und andererseits redet er auch von den Anstrengungen seines Willens, damit du nicht das Ganze auf Gott schiebest und selbst in der Trägheit und Schläfrigkeit verharrest. Bei ihm findet man in der That für Alles ganz genau das richtige Maß, die sichere Regel.

Doch man wirft ihm vor, daß er einmal geflucht habe, dem Schmied Alexander nämlich. Aber was soll Das denn? Es waren nicht Worte des Zornes, sondern der Klage, und zwar im Interesse der Wahrheit. Nicht wegen seiner selbst war Paulus von Schmerz erfüllt, sondern weil jener Alexander der Verkündigung des göttlichen Wortes entgegen arbeitete. „Denn gar sehr,“ heißt es, „widersetzte er sich — nicht mir, sondern — unsern Worten.“ So diente der Fluch nicht nur zum Beweise seiner Liebe zur Wahrheit, sondern auch den Jüngern zum Troste. Denn wenn gegen die thätigen Widersacher des göttlichen Wortes Nichts geschah, dann war zu erwarten, daß Alle Anstoß nehmen würden. Daher jene Worte des Fluches.

Doch — er hat auch einmal noch einige Andere verwünscht, da er sagt: „Wenn es anders gerecht ist bei Gott, entgegenzuvergelten den euch Bedrängenden Drangsal.“ Damit wollte er nicht um Strafe beten für diese Menschen, — Das sei ferne ! — sondern er war nur darauf bedacht, die von ihnen Bedrängten zu trösten. Darum fügte er auch hinzu: „Den Bedrängten selbst — Ruhe.“ Denn beachtet wohl, wie er denkt, und wie er den Feinden vergilt, wenn er selbst etwas Widriges zu erdulden hat. Da sagt er: „Wir werden gescholten und segnen, werden verfolgt und dulden, werden gelästert und flehen.“ Wenn du aber Dasjenige, was für das Andere [zu Gunsten der christlichen Wahrheit] gesagt oder gethan wird, auch auf Zorn als seine Quelle zurückführen willst, dann mußt du gleicher Weise behaupten, daß Paulus den Elymas aus Zorn mit Blindheit geschlagen und beschimpft und daß Petrus den Ananias und die Sapphira aus Zorn getödtet hat. Aber Das zu behaupten, dazu ist doch wohl Niemand thöricht, ja wahnsinnig genug.

Auch manche andere Worte und Handlungen wissen wir vom heiligen Paulus, die etwas hart und schroff zu sein scheinen, aber in Wahrheit sind eben diese ein Beweis für seine liebevolle Sanftmuth. Wenn er z. B. den Unzüchtigen aus Korinth dem Satan überliefert, so thut er Das aus der Fülle seines wohlwollenden, liebevollen Herzens. Das zeigt sich so recht in seinem zweiten Briefe [an die Korinthier]. Und wenn er den Juden droht und sagt: „Gekommen ist auf sie der Zorn bis zu Ende,“ so ist es nicht der Zorn, der aus ihm redet — denn du hörst ja, wie er beständig für sie betet, — sondern das Verlangen, sie heilsam zu schrecken und zu besserer Einsicht zu bringen. — Aber den Priester, sagt man, hat er geschmäht! Denn Das sind seine Worte: „Schlagen wird dich Gott, du übertünchte Wand.“ Wir wissen schon, daß manche seiner Vertheidiger diese Worte als eine Weissagung auffassen. Und das mißbillige ich nicht; es ist ja auch wirklich so eingetroffen; jener Mensch hat so geendet. Aber vielleicht könnte ein Gegner, der etwas schärfer sieht, widersprechen und sich die überflüssige Mühe machen, dagegen zu sagen: Wenn es eine Weissagung sein sollte, warum hat sich denn Paulus entschuldigt mit den Worten: „Ich wußte nicht, daß er Hoherpriester ist“? Dann würde ich sagen: Er wollte die Andern dadurch lehren und ermahnen, der Obrigkeit mit Ehrfurcht zu begegnen, wie Das auch Christus gethan hat. Denn nachdem der Herr sehr Vieles, zum Theil ganz Entsetzliches, von den Schriftgelehrten und Pharisäern gesagt hatte, fügte er hinzu: „Auf den Stuhl Mosis haben sich gesetzt die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Alles nun, was sie immer euch sagen, Das thuet!“ So hat denn auch der heilige Paulus, indem er das Zukünftige vorausverkündigte, zugleich die Achtung vor der Würde des Hohenpriesters zum Ausdruck gebracht.

Wenn er ferner den Johannes [Markus] von seiner Begleitung ausschloß, so entsprach auch Dieß seiner Sorge für das Evangelium. Denn wer mit diesem Dienste betraut wird, der darf nicht ein lässiger und saumseliger, der muß ein hochherziger und heldenmüthiger Mann sein. Er darf dieses herrliche Werk nicht in Angriff nehmen, wenn er nicht tausendmal dafür sein Leben in Tod und Gefahren zu stürzen bereit ist; wie ja auch Christus selbst verlangt: „Wenn Jemand mir nachgehen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Denn wer nicht so gesinnt ist, der wird auch vielen Andern zum Falle gereichen, und Der wird mehr Nutzen stiften, wenn er ruhig zu Hause bleibt, als wenn er aus seiner Verborgenheit heraustritt und eine Last auf sich nimmt, welcher er nicht gewachsen ist. Sonst wird er sowohl sich selbst als auch Die, welche seiner Sorge anvertraut sind, zu Grunde richten. Wird wohl ein Mensch, der in den Verrichtungen eines Steuermannes nicht bewandert ist und sich auf den Kampf mit den Wogen nicht versteht, sich entschließen, den Platz am Steuerruder einzunehmen, wenn auch Tausende ihn dazu nöthigen? Ganz gewiß nicht. Wäre es nun nicht heller Wahnsinn, wenn Jemand unüberlegter und leichtfertiger Weise das Predigtamt anträte? ohne Überlegung also ein Werk übernähme, das tausendmal zum Tode führen kann? Denn weder ein Steuermann noch ein Thierkämpfer noch ein Gladiator noch irgend ein Anderer muß sich so sehr auf Tod und Todesqualen gefaßt halten, wie der Verkündiger des Evangeliums. Für ihn sind die Gefahren größer, die Feinde schwerer zu bewältigen, und wenn er hingeschlachtet wird, dann handelt es sich nicht um gewöhnliche und vor Augen liegende Dinge, sondern als Kampfpreis ist der Himmel, als Strafe für den Sünder die Hölle bestimmt, und es geht um Verderben oder Heil der Seele. Freilich, nicht allein wer das Predigtamt übernimmt, sondern schlechthin jeder Gläubige muß dazu bereit sein; denn Allen wird geboten, das Kreuz auf sich zu nehmen und nachzufolgen: wenn aber Allen, dann ganz vorzüglich den Lehrern und Hirten, und dazu gehörte eben jener Johannes, der sonst auch Markus genannt wird. Er wurde mit Recht abgewiesen, weil er sich in die vorderste Reihe der Kämpfer gestellt und sich gar nicht tapfer bewiesen hatte. Darum wies ihn Paulus ab, um nicht mit seinen Gefährten durch dessen Säumigkeit in ihrer angestrengten, rastlosen Thätigkeit aufgehalten zu werden.

Wenn aber Lukas sagt, daß es einen heftigen Streit zwischen ihnen gab, so halte Das nicht für etwas Tadelnswerthes. Denn die heftige Aufregung ist nicht an sich, sondern nur dann Sünde, wenn dazu keine vernünftige und gerechte Ursache vorliegt. „Ungerechter Zorn,“ heißt es, „wird nicht ungestraft bleiben“ — also nicht jeder Zorn, sondern nur der ungerechte. So sagt auch Christus: „Wer seinem Bruder ohne Ursache zürnet“ — also nicht Jeder, der zürnt. Und der Prophet sagt: „Zürnet, doch sündiget nicht!“ Wenn man den Affekten in keinem Falle Raum geben darf, auch nicht da, wo die Umstände es erfordern, dann sind sie uns umsonst, zum Überfluß gegeben. Aber nein, so ist es nicht. Sie sollen uns zur Bekehrung von den Sünden helfen; darum hat der Schöpfer sie uns eingepflanzt. Um nämlich den trägen und schlaffen Geist in Bewegung zu setzen, um den Schläfrigen, den Nachlässigen zur Wachsamkeit anzueifern, zu dem Ende hat er, wie dem Eisen seine Härte, so auch unserer Seele den Zorn und die Kraft des Zornes verliehen. Wir sollen davon Gebrauch machen zur Erfüllung der Pflichten. Darum hat ihn auch der heilige Paulus oftmals in Anwendung gebracht, und eben in seinem Zorne war er mehr von Liebe erfüllt als Die, welche sanftmüthig reden; denn er that Alles zur rechten Zeit und im Dienste des Evangeliums. Auch die Nachgiebigkeit ist an sich keine Tugend, sondern nur dann, wenn die Umstände sie erheischen; sonst wird die Nachgiebigkeit zur Feigheit und der Zorn zum Übermuth.

Das alles sage ich nicht, um Paulus zu vertheidigen; er bedarf meiner Worte nicht. Denn nicht von Menschen, sondern von Gott kommt sein Lob. Ich sage es nur, um meine Zuhörer zu unterweisen, wie sie sich Alles zum Guten dienstbar machen sollen. Das habe ich ja auch vorhin erklärt. Denn so werden wir aus allen Dingen Gewinn ziehen, mit vielen Reichthümern in den ruhig-sichern Hafen einlaufen und den unverweslichen Siegeskranz erlangen, dessen uns alle würdigen möge die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da eignet die Herrlichkeit und die Macht, jetzt und immerdar und in Ewigkeit. Amen.

Siebte Lobrede

Inhalt.

Der heilige Paulus als Christi Bannerträger; sein Schmuck, seine Macht, seine Ehre; sein apostolischer Eifer.

Dieser Eifer zeigt sich:
1. in dem sofortigen Beginn seiner Missionsthätigkeit gleich nach der Bekehrung (daß er dabei nicht unzeitiger oder unrechtmäßiger Weise vorging, hat Gott durch die Berufung zum Apostolate gezeigt);
2. in der Verleugnung seines eigenen Willens und in der Nachgiebigkeit gegen seine Brüder,
3. in der Sorge um die Erhaltung seines Lebens,
4. in seinem Verhalten auf der Reise nach Rom und während der Gefangenschaft,
5. in der Verwerthung aller scheinbaren Hindernisse und aller feindlichen Bestrebungen zur Förderung des Christentums.

Wenn unter den Klängen der Posaune, unter dem Vortritt einer zahlreichen Kriegerschaar die kaiserliche Fahne in die Städte hineingetragen wird, dann sammelt sich die ganze Bevölkerung, um diesem Schalle zu lauschen, und um das hochgetragene Banner sowie die Stärke des Trägers zu betrachten. Da nun heute der heilige Paulus — freilich nicht in eine Stadt einzieht, sondern auszieht, um die Welt zu erobern, laßt uns alle zusammeneilen! Denn auch er trägt eine Fahne, nicht die Fahne des Kaisers hier auf Erden, sondern das Kreuz Christi, des himmlischen Königs. Vor ihm ziehen nicht Menschen, sondern Engel her, der Fahne zu Ehren und dem Träger zum Schutze. Denn sind nicht selbst denjenigen Menschen, die nur für ihr eigenes Leben zu sorgen haben und für das Heil der Menschheit Nichts thun, vom Herrn der Welt Engel als Beschützer gegeben, so daß Einer geradezu sagt: „Der Engel, der mein Retter ist von Jugend auf“? Wie viel mehr müssen wir uns also überzeugt halten, daß die himmlischen Mächte Denjenigen zur Seite stehen, die mit der Sorge für den ganzen Erdkreis betraut und mit so vielen und großen Gnaden überhäuft sind!

Mit goldbesetzten Kleidern und goldenem Halsschmuck, in jeder Beziehung auf’s Glänzendste sind Die geschmückt, welche von irdischen Fürsten der Ehre, die Standarte zu tragen, werth befunden werden; Paulus aber, der das Kreuz trägt, ist mit Fesseln statt mit Gold bekleidet, er wird verjagt, gegeißelt und von Hunger gequält. Doch bedauert Das nicht, meine Theuern! Denn dieser Schmuck ist weit schöner und glänzender und ist Gott dem Herrn lieb und werth; und daher kam es auch, daß Paulus nie ermattete. Gerade Dieß ist so wunderbar, daß ihn trotz seiner Fesseln, Geißelstreiche und Wunden eine größere Herrlichkeit umgab, als die Träger des Purpurs und der Krone. Ich übertreibe nicht; seine Herrlichkeit ist größer. Das beweis’t die Kraft seiner Kleider. Lege tausend Kronen und ebensoviele Purpurgewänder einem Kranken auf, so wirst du damit die Gluth des Fiebers nicht im Geringsten mindern; wenn aber die Schürzen des heiligen Paulus mit den Kranken in Berührung kommen, diese schlagen die ganze Krankheit in die Flucht. Und Das ist nicht zu verwundern. Denn wenn beim Anblick der kaiserlichen Fahne die Räuber nicht wagen, in die Nähe zu kommen, sondern unverwandt von dannen fliehen, dann ist es noch weit begreiflicher, daß die bösen Geister die Flucht ergreifen beim Anblick des Kreuzes. Paulus trägt das Kreuz, aber nicht, um es allein zu tragen, sondern um Alle zu Menschen gleicher Art zu machen und Alle es tragen zu lehren. Darum sagt er: „Seid Nachahmer von mir, wie ihr uns als Vorbild habt;“ und wiederum: „Was ihr gesehen und gehört habt von mir, Das vollbringet;“ und ferner: „Uns ist die Gnade geworden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden.“ Die Ehren und Würden dieser Welt erscheinen nämlich dann in ihrem größten Glanze, wenn sie nur einem Einzigen angehören. Gerade umgekehrt ist es auf dem Gebiete der Gnade. Da glänzt die Ehre am meisten, nicht wenn der Inhaber ein einziger ist, sondern wenn an seiner Ehre und an seinem Glück viele Andere theilnehmen. Du siehst also, daß sie alle das Kreuz tragen, und daß Jeder von ihnen den Namen Jesu vor Völker und Könige trägt, Paulus aber sogar vor die Hölle und ihre Strafen. Aber so sagte er [verlangte er von Andern] nicht, weil sie es nicht tragen konnten. Siehst du nun, wie erhaben die Tugend ist, die unsere Natur sich aneignen kann? und daß Nichts einen höhern Werth hat als ein Mensch, trotzdem er sterblich bleibt? Denn du kannst mir Nichts namhaft machen, was größer als er, Nichts, was ihm auch nur gleich ist. Wahrlich, der jenes Wort gesprochen hat, der ist so viel werth als viele Engel und Erzengel zusammen. Denn da er in seinem sterblichen, hinfälligen Leibe für Christus Alles hingab, was er besaß, — ja auch was er nicht besaß, denn auch das Zukünftige, das Kommende gab er hin und die Höhe und die Tiefe und die ganze Schöpfung, — was hätte der Mann nicht gesagt und gethan, wenn er eine rein geistige Natur gehabt hätte? Ich bewundere auch die Engel nur deßhalb, weil sie einer solchen Herrlichkeit sind gewürdigt worden, nicht weil sie geistige Wesen sind; denn auch der Teufel ist ein Geist und unsichtbar, aber gleichwohl das elendeste aller Geschöpfe, weil er Gott, seinen Schöpfer, beleidigt hat. Daher nennen wir auch einen Menschen nicht dann schon elend, wenn wir ihn mit einem Leibe von Fleisch und Blut bekleidet sehen, sondern wenn wir sehen, daß er diesen Leib mißbraucht. Paulus war ebenfalls mit einem solchen Leibe bekleidet; woher kam es nun, daß er ein so ausserordentlicher Mann war? Das hatte er theils von sich selbst, theils von Gott, und zwar deßhalb von Gott, weil von sich selbst; denn vor Gott gilt kein Ansehen der Person.

Aber wie ist es möglich, sagst du vielleicht, daß wir ihm nacheifern? Höre seine Worte: „Seid Nachahmer von mir, wie auch ich Christi [Nachahmer bin].“ Er ist also Christi Nachfolger geworden, und du willst dem Mitknecht nicht nachfolgen? Er hat dem Herrn nachgeeifert, und du willst ihm nicht nacheifern, der mit dir im Dienste des nämlichen Herrn steht? Wie könntest du dich da entschuldigen?

Aber wie hat er denn dem Herrn nachgeahmt? Das sieht man schon gleich beim Beginne, am Anfange seiner Bekehrung. Denn als er aus der Taufe hervorging, da besaß er schon einen solchen Feuereifer, daß er nicht einmal auf einen Lehrmeister wartete. Er wartete nicht auf Petrus und ging nicht zu Jakobus noch zu irgend einem andern [Apostel]; getragen von seiner eigenen Begeisterung entzündete er die Bewohner der Stadt mit einer solchen Gluth, daß sich bald ein heftiger Kampf gegen ihn erhob. So hatte er sich ja auch als Jude weit über seine Stellung hinaus thätig erwiesen, indem er [die Christen] in Fesseln schlug, hinwegschleppte und der Güter beraubte. So hat auch Moses, ohne daß ihm Jemand dazu Sendung und Auftrag gegeben hatte, sich den Barbaren wegen der ungerechten Behandlung seiner Stammesgenossen entgegengestellt. Das ist die Art eines edel gesinnten und hochherzigen Mannes, der, obgleich von Niemand zum Obern gesetzt, die Verbrechen anderer Menschen nicht mit Stillschweigen ertragen kann. Daß Moses sich nämlich mit Recht gegen die Vorgesetzten erhob, Das hat Gott selbst gezeigt, indem er ihm später seine Sendung ertheilte. So hat er es auch beim heiligen Paulus gemacht. Daß Dieser ganz recht that, indem er sich damals der Predigt und dem Lehramt widmete, auch dafür hat Gott selbst sich erklärt, indem er ihn bald nachher zur Würde eines Apostels erhob. Denn hätten diese beiden Männer ein solches Werk aus Ehr- und Ruhmbegier oder aus Herrschsucht unternommen, dann wären sie ungünstig beurtheilt worden, und zwar mit Recht. Da sie sich aber freudigen Muthes in Gefahren stürzten und oftmals sogar dem Tode preisgaben, um alle Andern zu retten, wird doch Niemand von so elender Gesinnung sein, daß er ihnen einen solchen Heldenmuth zum Vorwurf machen möchte. Daß sie Dieß nämlich nur aus Verlangen nach Rettung der vom Untergang bedrohten Mitmenschen thaten, Das ist ausser Zweifel gesetzt sowohl durch das ausdrückliche Urtheil Gottes, als auch durch das schreckliche Schicksal derjenigen Männer, welche dasselbe Streben [gegen die Obrigkeit] in sündhafter Weise bethätigten.

Es hat sich nämlich auch ein Anderer einstmals gegen die Gewalt der Obrigkeit erhoben, — und der Ausgang war, daß er mit allen seinen Genossen dem Tode verfiel, indem die einen vom Feuer verzehrt, die andern von der Erde, die sich vor ihnen öffnete, verschlungen wurden. Das ist deßhalb geschehen, weil sie nicht Schutz und Vertheidigung, sondern Befriedigung ihrer Herrschsucht bezweckten. Auch Ozias hat sich empört — auch er ward gestraft, und zwar durch den Aussatz. Auch Simon hat sich empört, — und auch er ward verworfen und gerieth in die äusserste Gefahr. Auch Paulus hat sich gegen die Obrigkeit erhoben, aber er ward dafür gekrönt. Seine Krone aber besteht nicht im Priesterthum, in Ruhm und Ehren, sondern in einem Leben der Dienstbarkeit, voll Mühsale und Gefahren. Weil nur sein großer Eifer und seine Begeisterung ihn zu seinen Unternehmungen antrieb, darum wird er gepriesen, darum strahlt er in herrlichem Glanze schon gleich beim Beginne seiner Thätigkeit. So wie nämlich ein rechtmäßig bestellter Vorsteher, der seines Amtes nicht in würdiger Weise waltet, auch eine schärfere Strafe verdient, so ist andererseits Derjenige aller Ehre werth, der auch ohne rechtmäßigen Auftrag — ich sage nicht: die Obliegenheiten eines Priesters, sondern — die Sorge für die Gesammtheit auf sich nimmt und in geziemender Weise bethätigt. Darum brachte der heilige Paulus, von einem mehr als feurigen Eifer erfüllt, auch keinen einzigen Tag in träger Ruhe zu. Kaum den heiligen Wassern entstiegen, entflammte er sich zu einer gewaltigen Gluth, so daß er weder Gefahren achtete noch die Spott- und Schmachreden der Juden noch ihren Unglauben noch irgend Anderes der Art. Er schaffte sich so zu sagen andere Augen an, Augen der Liebe, und einen andern Geist und eilte auf seiner Bahn vorwärts mit unaufhaltsamer Gewalt, wie ein mächtiger Strom das Judenland durchgehend und aus den heiligen Schriften beweisend, daß Jesus der Messias ist. Und doch war er damals nicht mit vielen Gnadengaben ausgerüstet, der Fülle des Geistes noch nicht gewürdigt worden. Nichts desto weniger entbrannte er schon alsbald in heiligem Eifer und übernahm, sich selbst absterbend, alle Mühen und Arbeiten. Es war, als wollte er Ersatz leisten für die versäumte Zeit; so war es um seine Thätigkeit, seine Anstrengungen bestellt. Dort, wo der Kampf am beschwerlichsten, voll Gefahren und Schrecken war, gerade da stürzte er sich hinein.

Aber trotz dieser Kühnheit, dieses Heldenmuthes und Feuereifers war er andererseits den Lehrern der christlichen Wahrheit gegenüber so lenksam und nachgiebig, daß er ihnen selbst in dieser übermächtigen Begeisterung nicht widerstand. Einstmals, während er von heiligem Eifer entflammt, ja fast ausser sich war, kam man zu ihm und bedeutete ihm, er müsse nach Tarsus und Cäsarea gehen. Er widersprach nicht. Man sagte ihm, er müsse sich durch eine Öffnung der Stadtmauer herablassen: er ließ es sich gefallen. Man rieth ihm, sich das Haupthaar abscheeren zu lassen: er widersprach nicht. Man redete ihm zu, er möge nicht in die Volksversammlung gehen, er gab nach. So war er überall nur auf Eines bedacht: auf das Wohl der Gläubigen, auf Frieden und Einigkeit, und überall suchte er sich für das Evangelium zu erhalten.

Darum halte es nicht für einen Mangel an Muth, wenn du hörst, daß er seinen Neffen zu dem Hauptmann schickt, um sich der Gefahr zu entziehen, daß er ferner an den Kaiser appellirt und nach Rom eilt. Denn der Mann, der über das Verbleiben in diesem Leben schmerzlich seufzte, sollte der sich nicht gern entschlossen haben, bei Christo zu sein? Der um Christi willen selbst den Himmel verachtete und die [Gemeinschaft der] Engel geringschätzte, sollte Der wohl von Anhänglichkeit an das Irdische erfüllt gewesen sein? Warum hat er denn jene Mittel zu seiner Rettung angewendet? Um noch fernerhin der Verkündigung des göttlichen Wortes obzuliegen, und um einst von hinnen zu scheiden in Begleitung vieler Seelen, die alle der himmlischen Krone theilhaft würden. Denn er fürchtete, einst bei seinem Hingange aus dieser Welt als ein Armer, als ein Bettler vor Gott zu erscheinen, wenn er sich nicht viele Verdienste um die Rettung der Seelen würde gesammelt haben. Darum sagte er auch: „Das Verbleiben im Fleische ist nothwendiger — euretwegen.“ Darum sah er es nicht für eine Schande an, daß er einer großen Anzahl von andern Gefangenen, die zahllose Verbrechen verübt hatten, als Gefesselter zugesellt und mit ihnen hinweggebracht wurde, obgleich er sah, daß der Gerichtshof günstiger über ihn urtheilte, wie ja auch Festus sagte: „Dieser Mann könnte frei gegeben werden, hätte er nicht an den Kaiser appellirt.“ Er schämte sich also jener Gesellschaft nicht, ja er legte sogar, für seine Person vollkommen unbesorgt und überzeugt, daß er Nichts zu fürchten habe, für alle seine Reisegefährten eine liebevolle Sorgfalt an den Tag. So ließ er sich über das weite Meer bringen als ein Gefangener und freute sich dessen, gerade als würde er zur Herrschaft über ein Königreich geführt. Und doch war es kein geringer Kampf, dem er entgegenging, da er die Stadt der Römer bekehren wollte. Bei alle dem versäumte er die Sorge für seine Reisegefährten nicht; er wußte sie mit Ruhe und Zuversicht zu erfüllen, indem er ihnen die Offenbarung mittheilte, die ihm zu Theil geworden war, und sie dadurch überzeugte, daß alle seine Gefährten seinetwegen sollten gerettet werden. Das that er nicht, um sich ein Ansehen zu geben, sondern um sie für seine Lehre empfänglich zu machen. Deßhalb ließ Gott auch den Sturm auf dem Meere toben, damit die Gunst und Gnade, in welcher bei ihm der heilige Paulus stand, jedesmal offenbar würde, sowohl wenn man auf ihn hörte, als auch, wenn man sich seinen Worten verschloß. Denn als er den Rath gab, nicht abzusegeln, da hörte man nicht auf ihn, — und die Gefahr stieg auf’s Höchste. Trotzdem zeigte er keine Empfindlichkeit, sondern sorgte auf’s Neue wie ein Vater für seine Kinder und bot Alles auf, damit Niemand zu Grunde ginge.

Als er dann in Rom angekommen war, wie milde und bescheiden war er da in seinen Reden, und doch — wie frei und unerschrocken, wenn er die Ungläubigen widerlegte und verstummen machte! Aber auch in Rom machte er nicht für immer Halt, sondern eilte von da nach Spanien. Denn in Gefahren nahm er zu an Muth und Kühnheit, und nicht er allein, sondern seinetwegen auch seine Jünger. Hätten sie ihn säumig werden und erschlaffen sehen, dann würden sie wohl ebenfalls lässig geworden sein; weil sie ihn aber trotz aller Mißhandlungen, trotz der erneuerten und verschärften Angriffe nur muthiger werden sahen, predigten sie mit großer Zuversicht. Das sagt er uns selbst in den Worten: „Daß die Mehrzahl der Brüder im Herrn vertrauend meinen Banden übergewöhnlich sich getraute, unerschrocken das Wort [Gottes] zu reden.“ Er ist wie ein tapferer Feldherr, der nicht bloß dann, wenn er dreinschlägt und die Feinde zu Boden streckt, sondern auch, wenn er verwundet ist, seine Krieger mit Muth und Kühnheit erfüllt — und zwar noch mehr, wenn er Wunden empfängt, als wenn er Wunden schlägt. Denn wenn seine Krieger sehen, wie er mit Blut überströmt und mit Wunden bedeckt ist, und wie er trotzdem vor dem Feinde nicht zurückweicht, sondern tapfer Stand hält, die Lanze schwingt, auf die Feinde seine Geschoße abschnellt und durch seine Schmerzen sich nicht stören läßt: dann kämpfen auch sie mit größerm Heldenmuth. So war es auch beim heiligen Paulus. Wenn die Jünger sahen, daß er gefesselt war und dann im Kerker predigte, daß er gegeißelt ward und über die Schergen den Sieg davontrug, dann wuchsen sie an Muth und traten zuversichtlicher auf. Das beweisen uns auch die eben angeführten Worte, indem er nicht allein ihr Vertrauen erwähnt, sondern hinzufügt, daß sie übergewöhnlich sich getrauten, unerschrocken das Wort zu verkünden. Jetzt, will er sagen, waren die Brüder freimüthiger und herzhafter, als da ich noch meine Freiheit hatte.

Da wuchs auch seine eigene Begeisterung. Da entbrannte er noch mehr gegen die Feinde, und die Zunahme der Verfolgungen war für ihn nichts Anderes als Zunahme an Unerschrockenheit und Ursache größern Heldenmuthes. Als er einstmals eingekerkert war, wie sehr erstrahlte er da in Glanz und Herrlichkeit! Die Grundmauern erbebten, die Thüren flogen auf, den Wächter bekehrte er zum Glauben, und wenig fehlte, so hätte er auch den Richter bekehrt. „Fast überredest du mich,“ sagte dieser selbst, „ein Christ zu werden.“ Ein anderes Mal war er gesteinigt worden, und darauf ging er hin und bekehrte die Stadt, die ihn gesteinigt hatte. Er wurde vorgefordert, um gerichtet zu werden, einmal von Juden, ein ander Mal von Athenern, und die Richter wurden seine Schüler, und seine Gegner beugten sich vor ihm in gläubigem Gehorsam. Wie ein loderndes Feuer, wenn ihm Stoffe der verschiedensten Art in den Weg kommen, heftiger wird und daraus neuen Zuwachs gewinnt, so pflegte auch die Stimme des heiligen Paulus Alle, zu denen sie hindrang, gleichsam umzuwandeln und an ihn anzuschließen. Sogar seine Widersacher wurden durch sein Wort bezwungen, wurden ergriffen von dem Feuer seines Geistes, und durch sie nahm sein Wort wieder an Einfluß zu und gelangte zu Andern. Darum sagte er auch: „Ich bin gefesselt, aber das Wort [Gottes] ist nicht gefesselt.“ Sie verjagten ihn; Das war zunächst ein Werk der Verfolgung, aber es erwies sich zugleich als eine Aussendung von Lehrern der Wahrheit. Was Freunde und Kampfgenossen gethan haben würden, Das übernahmen die Feinde, indem sie diesen Arzt der Seelen nicht ruhig an einem Orte verweilen ließen, sondern durch ihre Nachstellungen und Ausweisungen überall umherführten, damit Jedermann seine Stimme hören konnte. Ein anderes Mal legten sie ihn in Ketten — und sie vermehrten seinen Eifer. Sie vertrieben die Jünger — und sie sandten Lehrer zu Denen, die noch keine hatten. Sie führten ihn vor ein höheres Gericht — und sie wurden Mittler des Heiles für eine größere Stadt. Darum sagten auch die Juden in ihrem Verdrusse über die Apostel: „Was werden wir doch diesen Menschen thun?“ Sie wollten sagen: Was wir immer beschließen mögen, dadurch fördern wir ihre Bestrebungen.“ Sie übergaben ihn dem Kerkermeister, daß er ihn mit aller Strenge festhielte, aber noch fester waren die Bande, durch die der heilige Paulus ihn selbst zu fesseln wußte. Sie ließen ihn seine Reise in Gesellschaft von Gefangenen machen, um ihn an der Flucht zu hindern; er aber unterwies die Gefangenen in der christlichen Wahrheit. Sie schickten ihn über Meer und sorgten so — natürlich gegen ihre Absicht —, daß er seinen Weg schnell zurücklegte. Das Schiff scheiterte, und Paulus nahm davon Anlaß, seinen Reisegefährten zu predigen. Sie drohten mit vielen Strafen, um die Predigt zu unterdrücken — und sie gewann noch mehr Anhänger.

Zur Zeit unseres Herrn sagten sie einst: „Wir wollen ihn tödten, damit nicht die Römer kommen und unsere Stadt wegnehmen und unser Volk.“ Es kam gerade umgekehrt: weil sie ihn tödteten, deßhalb haben die Römer ihr Volk zertrümmert und ihre Stadt genommen; und was immer nach ihrer Ansicht dem Evangelium den Weg verlegen mußte, Das diente in Wirklichkeit zu seiner größern Ausbreitung. So ging es auch wieder, als der heilige Paulus predigte: was immer von ihnen zur Ausrottung des göttlichen Wortes aufgeboten wurde, dadurch wurde es nur gekräftigt und zugleich sein Einfluß ganz unglaublich befördert.

Laßt uns denn für Das alles Dank sagen dem allweisen Gott, glücklich preisen den heiligen Paulus, durch den es gewirkt worden, und laßt uns beten, auf daß auch wir derselben Wohlthaten theilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Durch ihn und mit ihm sei Ehre dem Vater und zugleich dem heiligen Geiste in alle Ewigkeit. Amen.

Lobrede auf alle heiligen Martyrer

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Wo und in welchem Jahre die nachstehende, nach Inhalt und Form gleich vortreffliche Predigt gelten wurde, ist unbekannt. Der Tag läßt sich annähernd aus ihren ersten Worten ermitteln: es war ein Tag in der Pfingstwoche, an welchem die Gemeinde das Gedächtniß aller heiligen Martyrer feierte — das Allerheiligenfest der griechischen Kirche.

Inhalt.

1. Die heiligen Martyrer mit den Engeln verglichen; wir Menschen stehen der Natur nach nicht mehr unter den Engeln.
2. Die Schaar der heiligen Martyrer als Festchor und als Schlachtheer; ihr Kampf und Sieg.
3. Ihre Qualen und ihre muthvolle Ausdauer; unsere Ungeduld im Leiden.
4. Kostbarkeit ihres Blutes.
5. Ihr ehrenvoller Einzug in den Himmel.

Wie sollen wir ihnen nachahmen?

Aufforderung zum nächtlichen Gebet und zur steten Erinnerung an die Qualen der heiligen Martyrer.

Text

Seitdem wir die Feier des heiligen Pfingstfestes begangen haben, sind noch nicht sieben Tage verflossen, und nunmehr begegnet uns ein Chor von Blutzeugen. Ein Chor — doch richtiger würde ich sie einem Heer in Schlachtordnung vergleichen, das den Heerschaaren der Engel, die der Patriarch Jakob gesehen, in keiner Weise nachsteht, sondern wetteifernd zur Seite steht und vollständig gleichkommt. Denn Martyrer und Engel unterscheiden sich nur dem Namen nach; die wesentlichsten Vorzüge sind ihnen gemeinsam. Die Engel bewohnen den Himmel, auch die Martyrer; die Engel erfreuen sich der Unsterblichkeit und einer ewigen Jugend, ganz Dasselbe wird auch den Martyrern zu Theil. Doch — die Engel sind ja überdieß rein geistiger Natur! Nun, was liegt daran? Wenn die heiligen Martyrer auch mit einem Leibe umkleidet sind, so ist dieser Leib unsterblich. Und zudem, auch ehe der Zustand der Unsterblichkeit eintritt, ist der Tod Christi dem menscheichen Leibe eine schönere Zierde als selbst die Unsterblichkeit. So herrlich schmücken nicht den Himmel seine zahllosen Sterne, als den Leib der Martyrer das strahlende Blut aus ihren Wunden. Es ist also eben der Tod, dem sie ihre Vorzüge verdanken, und wegen ihres Todes sogleich als Sieger gekrönt haben sie den Kampfeslohn schon vor der Verklärung des Leibes erhalten. Von der gemeinsamen Natur aller Menschen sagt David: „Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt, hast ihn mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.“ Aber auch dieses Wenige, das uns fehlte, hat uns Christus verliehen, indem er unter uns erschien und durch seinen Tod den Tod zu nichte machte. Doch Das will ich jetzt nicht betonen; ich sage vielmehr: selbst der Tod, an und für sich ein Verlust, ein Schaden, ist nun zum Gewinn geworden. Denn wären jene Heiligen nicht sterblich, so würden sie nicht Martyrer geworden sein; gäbe es keinen Tod, so gäbe es auch keine Siegeskrone; gäbe es kein Sterben, so gäbe es kein Martyrium. Gäbe es keinen Tod, so hätte Paulus nicht sagen können: „Täglich sterbe ich, bei eurem Ruhme, welchen ich habe in Christo Jesu.“ Gäbe es keinen Tod und keine Leiden, die zum Tode führen, dann hätte derselbe heilige Paulus nicht sagen können: „Ich freue mich in meinen Leiden für euch, und ich ersetze, was mangelt an den Bedrängnissen Christi, in meinem Fleische.“ Darum laßt uns nicht betrübt sein, daß wir sterblich sind; laßt uns vielmehr Dank sagen, weil uns eben dadurch, daß wir dem Tode unterworfen sind, auch die Pforte zum Martertode geöffnet ist. In dem Untergang des leiblichen Lebens haben wir die Bedingung, unter der wir den Siegeslohn erringen können; da bietet sich uns die Gelegenheit zum Kampfe. Seht ihr die Weisheit Gottes, wie er das größte Übel, in welchem das menschliche Elend seinen höchsten Grad erreicht, das der Teufel in die Welt gebracht hat, den Tod nämlich, zu unserer Ehre und Herrlichkeit wendet, indem er durch den Tod die tapfern Kämpfer, die Martyrer, zum Sieg und Siegeslohn hinführt? Doch wie? sollen wir nun dem Teufel danken für den Tod? Das sei ferne. Denn wenn der Tod Glück bringt, so ist Das nicht aus die Absichten des Teufels, sondern auf den gnadenvollen Rathschluß der göttlichen Weisheit zurückzuführen. Der Teufel hat Tod in die Welt gebracht, um Unheil anzurichten und den Menschen, indem er sie zur Erde zurückführte, alle Hoffnung auf Heil und Rettung abzuschneiden; Christus aber hat denselben Tod gleichsam in die Hand genommen und umgewandelt und uns durch ihn wieder zum Himmel hinaufgeführt.

Möge es denn Keiner von euch tadeln, wenn ich die große Schaar der heiligen Martyrer, die doch nur eine ist, mit so entgegengesetzten Namen benenne, indem ich sie als Festchor und zugleich als Kriegsheer bezeichne. Denn so sehr diese Worte zu einander im Gegensatz stehen, hier sind sie beide zutreffend. Oder sind nicht die heiligen Martyrer den Todesqualen mit einer Freude entgegengegangen, als ob sie zu einem fröhlichen Feste eilten? Und haben sie nicht andererseits die ganze Tapferkeit, den ganzen Heldenmuth braver Krieger bewährt, und haben sie nicht in der That die Feinde besiegt? Was ihr da seht, Das gleicht allerdings, rein natürlich betrachtet, einem Kriege, einem Kampfe, einer mörderischen Schlacht; aber nach seinem wahren und tiefern Sinne ist es wie ein fröhlicher Tanz, ein heiteres Gastmahl, ein schönes Fest, es ist die größte Freude und Wonne. Soll ich euch erklären, wie es schrecklicher ist als die Schrecken des Krieges? Die Leiden der Märtyrer meine ich. Worin bestehen denn die Schrecken des Krieges? Die feindlichen Heere, von beiden Seiten eingeschlossen, stehen sich gegenüber; die blanken Waffenrüstungen glänzen und werfen ihre Strahlen über die Erde hin; nun werden von allen Seiten ganze Wolken von Pfeilen entsendet, die den Himmel verdunkeln durch ihre Menge; Bäche von Blut strömen über die Erde, und allenthalben liegen die Leichen umher wie Ähren auf dem Erntefeld; so werden die Krieger, einer vom andern, hingeschlachtet. Nun wohlan, jetzt will ich euch von diesem Schlachtfeld auf den Kampfplatz der Martyrer führen. Auch da stehen sich zwei kämpfende Parteien gegenüber: hier die Martyrer, dort die Tyrannen. Die Tyrannen aber sind wohlbewaffnet, die Martyrer kämpfen unbewaffnet, unbedeckt; und doch — bei ihnen ist der Sieg, und nicht auf Seiten der Bewaffneten. Wer sollte da nicht staunen? Man schlägt sie mit Geißeln — und die da schlagen, werden besiegt; man legt sie in Bande — und die von Banden frei sind, werden besiegt; man wirft sie in’s Feuer — und die das Feuer schüren, werden besiegt; man schlägt sie todt — und sterbend siegen sie über ihre Mörder. Seht ihr wohl? Was hier geschieht, ist noch furchtbarer als die Schrecknisse des Krieges. Denn so furchtbar der Krieg ist, so untersteht er doch den Gesetzen der Natur; hier aber werden die Gesetze der Natur und wird der gewöhnliche Lauf der Dinge vollständig überwunden. Daraus sollt ihr ersehen, daß es eine Wirkung der göttlichen Gnade ist, was sie geleistet haben. Kann man uns wohl irgend Etwas aufweisen, wobei so sehr alles Recht und Gesetz unter die Füße getreten wird, wie bei diesem Kampf, bei diesem Ringen? Im Kriege sind doch beide Parteien mit Waffen versehen, hier aber nicht: hier sind die einen jeglicher Rüstung baar, die andern wohlbewaffnet. In der Schlacht ist es doch beiden Parteien gestattet, die Hände zum Kampfe zu erheben; hier aber sind die einen gefesselt, während die andern mit unbeschränkter Freiheit und nach Belieben darauf losschlagen. Denn für ihren Theil haben sich die Richter nach den Eingebungen tyrannischer Willkür das Unrecht thun genommen, den Martyrern aber, den gerechten, das Unrecht leiden zugewiesen. Das ist ihre Art, mit den Heiligen den Kampf zu führen; und dennoch — Sieger bleiben sie nicht; als Besiegte müssen sie nach diesem ungleichen Kampfe zurückweichen. Man führt einen Soldaten in die Schlacht, bricht die Spitze von seiner Lanze, zieht ihm seinen Panzer aus und weiset ihn an, so ohne Schutz- und Trutz-Waffen zu kämpfen; und dieser Krieger, von vielen Schlägen getroffen, durch viele Hiebe verwundet, mit tausend Wunden bedeckt, behauptet das Schlachtfeld und richtet ein Siegeszeichen auf! Das ist genau die Geschichte des Kampfes unserer Martyrer. Denn auch sie werden ohne Waffen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, in den Kampf geführt, werden von allen Seiten geschlagen und zerfleischt — und ihre Feinde unterliegen! Sie aber, obgleich die Wunden empfangend, richten das Zeichen des Sieges über den Teufel auf. Wie der Diamant, wenn man darauf schlägt, den Schlägen nicht nachgibt, von seiner Härte Nichts verliert und noch eher das Eisen bricht, mit dem er geschlagen wird: so haben auch die Seelen dieser Heiligen trotz aller Todesqualen Nichts gelitten, haben die Kräfte ihrer Peiniger erschöpft, und diese mußten, nach vielen und unerträglichen Hieben schmählich besiegt, mit Schimpf und Schande das Schlachtfeld räumen. Denn sie, die heiligen Martyrer, wurden in den Block gespannt, ihre Seiten zerfleischt und mit tiefen Furchen durchzogen, als ob nicht ein lebendiger Leib zerrissen, sondern ein Ackerland umgepflügt würde. Da sah man ihren Leib an den Hüften unnatürlich ausgespannt, ihre Seiten geöffnet, ihre Brüste zerrissen. Und noch weiter trieb die blutdürstigen Ungeheuer ihre wahnsinnige Wuth. Sie nahmen diese Heiligen von dem Marterholz herab, um sie über glühende Kohlen, auf eine eiserne Leiter auszustrecken, und jetzt konnte man ein noch entsetzlicheres Schauspiel sehen als zuvor: man sah Tropfen zweifacher Art herunter träufeln, Tropfen von dem Blut, das aus ihren Wunden floß, und von dem Fleische, das zerschmolz. Die heiligen Martyrer aber lagen über der Kohlengluth wie auf Rosen; so voll Freude sahen sie zu, was an ihnen geschah.

Wenn ihr übrigens von jener eisernen Leiter höret, dann gedenket an jene andere, nur im Geiste zu schauende Leiter, die der Patriarch Jakob von der Erde bis zum Himmel aufgerichtet sah. Auf dieser Leiter steigen Engel herunter, auf der andern steigen Martyrer hinauf; aber auf beiden stand der Herr. Die heiligen Martyrer hatten die Schmerzen nicht ertragen können, wenn sie sich nicht auf diese Leiter gestützt hätten. Auf jener Leiter steigen als die Engel hinauf und hinunter; daß auf dieser die Martyrer hinaufsteigen, Das leuchtet Jedem ein. Was ist der Grund? Daß die Engel wegen Derjenigen, die das Heil erlangen sollen, zu Dienstleistungen ausgesandt werden, die Martyrer aber gleich siegreichen Streitern, von den Mühen des Kampfes befreit, nunmehr hinweggehen, um sich dem Kampfrichter vorzustellen.

Laßt uns Das nun aber nicht gedankenlos anhören. Wenn wir hören, daß sie mit ihren zerfleischten Leibern über glühenden Kohlen lagen, dann laßt uns einmal bedenken, wie wir uns geberden, wenn uns nur ein Fieber ergriffen hat. Dann scheint uns das Leben unerträglich, wir verlieren die Fassung, zürnen voll Ungeduld wie kleine Kinder und meinen eine Hitze zu fühlen, so arg wie das Höllenfeuer. Die heiligen Martyrer aber waren nicht etwa vom Fieber geplagt, sondern von wirklichen Feuerflammen rings umgeben, und die Funken sprühten bis in ihre Wunden, und das war in den Wunden ein neuer Schmerz, schärfer als der Biß des wildesten Raubthiers. Aber die heiligen Martyrer, als wären sie Männer von Erz und Stahl, als sahen sie alle diese Peinen nur fremden Leibern zugefügt, verharrten mit jener Festigkeit, mit jenem Heldenmuth, der sich für sie ziemte, bei ihrem Bekenntniß. Unbezwingbar blieben sie trotz aller Qualen: ein leuchtender Beweis für ihren Heldenmuth und für Gottes mächtige Gnade.

Habt ihr wohl schon zur Morgenzeit die Sonne aufgehen und ihren goldenen Glanz ausstrahlen sehen? So waren auch die Leiber dieser Heiligen, rings umflossen von Strömen Blutes wie von goldenen Strahlen, in denen ihr Leib noch weit heller erglänzte als der Himmel im Sonnenlicht. Beim Anblick dieses Blutes freuten sich die Engel, schauderten die bösen Geister, erbebte selbst der Fürst der Hölle. Denn was sie sahen, Das war nicht gewöhnliches Blut, sondern Blut voll des Heiles und der Heiligkeit, Blut, das den Himmel verdiente und unaufhörlich die edlen Pflanzen in der Kirche Gottes tränkte. Der Teufel sah das Blut und schauderte; denn er gedachte jenes andern Blutes, das der Herr selbst vergossen hatte. Wegen dieses Blutes floß auch das Blut der Märtyrer; denn seitdem die Seite des Herrn durchbohrt worden, hat man noch Tausende gesehen, die sich freudig die Seiten durchstechen ließen.

Wer sollte sich auch nicht mit großer Freude zu diesen Kämpfen rüsten, in der Erwartung, am Leiden des Herrn Theil zu nehmen und Christo in seinem Tode verähnlicht zu werden? Dieser Lohn ist schon genug, diese Ehre fast zu groß, dieser Entgelt mehr, als der Kampf verdient, selbst dem Himmelreiche vorzuziehen. Es schaudere uns also nicht, wenn wir hören, daß Dieser und Jener ein Blutzeuge geworden; aber es schaudere uns, wenn wir hören, daß Dieser oder Jener schwach geworden, abgefallen ist, während ihm ein so herrlicher Kampfeslohn in naher Aussicht stand.

Wollt ihr nun auch hören, was auf diese Leiden folgt? Das freilich können keine menschlichen Worte schildern. Denn „kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ist es aufgestiegen, was Gott Denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Nun aber hat Niemand ihn so geliebt als eben die heiligen Martyrer. Indessen, daß die Größe des hinterlegten Lohnes jedes Wort und jeden Gedanken übersteigt, Das soll für mich kein Grund sein davon zu schweigen. So wie ich davon zu reden und ihr zu hören versteht, will ich versuchen, euch eine schwache Darstellung der Seligkeit zu geben, in welche sie dort oben eingegangen sind. Vollständig und genau werden ja nur Diejenigen sie erkennen, die selbst zu ihrem Genusse gelangen. Nur für einen kurzen Augenblick haben die Martyrer jene schrecklichen und unerträglichen Peinen zu erdulden; dann gehen sie, von den Leiden erlös’t, in den Himmel ein. Vor ihnen schreiten Engel einher, Erzengel geben ihnen das Ehrengeleit; denn die schämen sich ihrer Mitknechte nicht und wären sogar bereit, für sie alles Mögliche zu thun, weil auch diese sich zu allen Leiden bereit gezeigt haben für Christus, ihren Herrn. Wenn sie dann hinaufsteigen in den Himmel, dann eilen alle heiligen Engel zusammen. Habt ihr noch nicht gesehen, wie das Volk von allen Seiten zusammenströmt, wenn fremde Ringkämpfer in der Stadt angekommen sind? wie man einen Kreis um sie her bildet und die Stärke und Wohlgestalt ihrer Glieder betrachtet? Noch viel eher und freudiger werden bei der Ankunft dieser Helden der Tugend im Himmel die Engel zusammeneilen und alle himmlischen Geister von allen Seiten sich herandrängen, um ihre Wunden zu betrachten. Mit inniger Freude nehmen sie die Martyrer bei der Hand und heissen sie willkommen als tapfere Helden, die aus Kriegen und Schlachten nach vielen Siegen und Trophäen heimkehren, führen sie alsdann mit großem Geleite zum König des Himmels, zu jenem Thron voll großer Herrlichkeit, dorthin, wo auch die Cherubim und Seraphim ihre Stelle haben. Wenn dort die Martyrer angekommen sind und Denjenigen, der auf dem Throne sitzt, angebetet haben, dann wird ihnen noch mehr Liebe und Freundlichkeit von dem Herrn erwiesen als von den Mitknechten. Denn er nimmt sie nicht als Knechte auf, — obgleich auch Das schon eine große und ganz unvergleichliche Ehre wäre, — sondern als seine lieben Freunde. Er hat ja gesagt: „Ihr seid meine Freunde.“ Und Das ist nicht zu verwundern; denn er hat auch gesagt: „Eine grössere Liebe als diese hat Niemand, daß Einer sein Leben hingebe für seine Freunde.“ Weil sie also die allergrößte Liebe gegen ihn an den Tag gelegt, reicht er ihnen freundlich die Hand, und jetzt sollen sie sich freuen der himmlischen Herrlichkeit, sollen sich anschließen den Chören der Engel und einstimmen in ihre geheimnisvollen Lieder. Zu diesen Chören zählten sie ja auch schon während ihres leiblichen Lebens, so oft sie an den heiligen Geheimnissen Theilnahmen, indem sie mit den Cherubim zum Preise des Herrn das Dreimalheilig sangen — ihr, die ihr zu den Eingeweihten gehört, ihr wisset darum —; um so weniger darf es euch wundern, daß sie nunmehr, wo sie ihre Sangesgenossen im Himmel gefunden haben, mit großer Zuversicht an diesem Lobgesange Theil nehmen.

Habt ihr nun nicht vorhin nur mit Schaudern an den Martertod gedacht? Und seid ihr nicht jetzt von Sehnsucht nach dem Martertod erfüllt? Schmerzt es euch nicht, daß man zum Martertode keine Gelegenheit hat? Wir wollen uns wenigstens fleissig üben für die Zeit, wo der Martertod wieder in Aussicht steht. Die Martyrer haben das Lehen gering geachtet — verachte du wenigstens die Genüsse dieses Lebens! Sie haben bereitwillig ihren Leib in das Feuer werfen lassen — wirf du dein Geld den Armen in die Hände! Sie sind über glühende Kohlen gegangen — lösche du die Flamme der Leidenschaft! Ist Das beschwerlich? Aber auch vortheilhaft. Sieh nicht auf die gegenwärtige Last, sondern auf den zukünftigen Nutzen; nicht auf die Bitterkeiten, die du jetzt verkostest, sondern auf das Glück, das du zu hoffen hast; nicht auf die Leiden, sondern auf den Kampfpreis; nicht auf die Beschwerden, sondern auf die Krone; nicht auf den Schweiß, sondern auf Lohn; nicht auf die Schmerzen, sondern auf die Vergeltung; nicht auf das Feuer, das dich brennt, sondern auf die königliche Würde, die dich erwartet; nicht auf die Henker, die um dich her stehen, sondern auf Christus, der dich krönen wird!

Das ist der kürzeste Weg, die leichteste Art und Weise, um zur Tugend zu gelangen: daß man nicht auf die Mühsale allein, sondern auch auf den spätern Lohn hinschaut, doch wiederum nicht auf diesen allein. Sollst du also Almosen geben, dann achte nicht darauf, daß es dich Geld kostet, sondern darauf, daß du dir durch das Almosen Gerechtigkeit sammelst, wie geschrieben steht: „Er streuet aus und gibt den Armen, seine Gerechtigkeit währet ewig.“ Achte nicht auf die Minderung deiner Güter, sondern auf die Mehrung deiner Verdienste! Wenn du fastest, dann denke nicht an die Beschwerde, die aus dem Fasten, sondern an die Erquickung, die aus dieser Beschwerde erwächst. Wenn du zur Nachtzeit betend wachest, dann denke nicht an die Mühsal, welche dir das Wachen verursacht, sondern an die frohe Zuversicht, womit dich das Gebet erfüllt. So thun ja auch die Krieger: sie sehen nicht auf die Wunden, sondern auf den Lohn; nicht auf das Gemetzel der Schlacht, sondern auf den künftigen Sieg; nicht auf die tödtlich getroffenen Kameraden, die hoffnungslos zur Erde fallen, sondern auf die Helden, die gekrönt werden. So fassen auch die Schiffer vor den tobenden Wogen den Hafen in’s Auge, vor dem Schiffbruch den Handelsgewinn, vor den Schrecken des Meeres die Reichthümer, die sie nach der Seefahrt zu besitzen gedenken. So sollst du es auch machen. Darum also denke: wenn du in tiefer Nacht, während die Menschen und Thiere allesammt im Schlafe liegen, während die vollkommenste Ruhe herrscht, wenn du alsdann ganz einsam wachest und voll großer Zuversicht mit dem Herrn der ganzen Welt dich unterredest, Das ist wahrhaft etwas Großes und Schönes. Ist der Schlaf so süß? Nichts Süßeres gibt es als das Gebet. Wenn du so ganz allein mit ihm redest, wenn Niemand dich belästigt, Niemand dein Gebet stört: dann kannst du viel ausrichten. Selbst die nächtliche Stunde macht dein Gebet wirksamer, damit du in allen deinen Anliegen erhört werdest. Aber du wälzest dich in deinem weichen Bette und zögerst mit dem Aufstehen? Dann denke an die Martyrer, die heute auf der eisernen Leiter liegen; — und nicht ein weiches Bett, nein glühende Kohlen sind ihnen untergelegt.

Hier will ich schließen, auf daß ihr mit der frischen und lebendigen Erinnerung an diese Leiter nach Hause gehet und ihrer bei Tag und bei Nacht gedenket. Dann werden wir, wenn auch von tausend Banden umstrickt, uns aller Bande leicht entledigen und zum Gebete aufstehen können. Indem wir aber dieser Leiter unablässig gedenken, wollen wir nicht diese Marter allein, sondern auch die andern Qualen der Martyrer einzeichnen in die Tafeln unseres Herzens. Will man sein Haus recht schön machen, so schmückt man alle Wände mit anmuthigen Gemälden; also laßt auch uns in unserer Seele abbilden die Qualen der heiligen Martyrer! Jene andere Malerei ist unnütz, diese sehr einträglich. Und dazu bedarf es keines Geldes, keiner Auslagen, keiner Kunstfertigkeit; statt alles dessen ist nur Willigkeit, Wachsamkeit und eine hochherzige Gesinnung erforderlich. Wenn du so gesinnt bist, dann hast du für diese Malerei die beste und geschickteste Hand; damit male die Leiden der Martyrer! Malen wir also mit diesen Bildern unser Inneres aus, wie die Martyrer auf großen Pfannen und über der Kohlengluth liegen, wie sie kopfüber in den glühend heissen Kessel geworfen, wie sie in das Meer versenkt oder zerfleischt, gerädert, in einen jähen Abgrund hinabgestürzt werden, wie sie mit wilden Thieren kämpfen oder hinabgestoßen werden in die Verbrechergrube. So wollen wir jeden in unser Herz einzeichnen, wie er den Tod gelitten hat, auf daß wir mit diesem mannigfachen Bilderschmuck die Wohnung unserer Seele recht schön machen und dadurch dem Himmelskönig eine angemessene Herberge bereiten. Denn wenn er solche Bilder in unsern Herzen sieht, dann wird er mit dem Vater kommen und Wohnung bei uns nehmen, mit dem heiligen Geiste. Dann wird unsere Seele hinfüro ein wahrer Königspalast sein; und in diese Seele, wo unaufhörlich das Andenken an die heiligen Martyrer wie ein großes Gemälde aufgerichtet ist und hellen Glanz ausstrahle wo der König der Welt, Gott selbst fortwährend seine Wohnung hat, in diese Seele wird fortan kein sündhafter Gedanke mehr eingehen können. Haben wir solchergestalt hier auf Erden Christum in uns aufgenommen, dann können auch wir nach unserm Hinscheiden von dieser Welt aufgenommen werden in die ewigen Wohnungen. Das möge uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Durch ihn und mit ihm sei Ehre dem Vater und zugleich dem heiligen und lebendigmachenden Geiste, in alle Ewigkeit. Amen.

Auf den Tag seiner Priesterweihe

 

Einleitung

Vorbemerkung.

 

Wir haben hier die erste Predigt des heiligen Chrysostomus gehalten zu Antiochien im Jahre 386, gleich nach seiner Priesterweihe. Sie ist ein schönes Denkmal seiner Demuth nicht minder seiner Beredtsamkeit. Beiläufig bemerkt, zählte er damals beinahe 40 Jahre, obschon er sich in dieser Predigt als Knaben (μειρακίσμος) bezeichnet.

Inhalt.

1. Der Heilige gibt zuerst seinem unbeschreiblichen Staunen über die ihm widerfahrene Ehre Ausdruck und bittet um das Gebet der Anwesenden;
2. im Bewußtsein seiner großen Sündhaftigkeit, sagt er, wage er nicht, seiner ursprünglichen Absicht gemäß das Lob Gottes zu verkünden; denn: „nicht schön ist Lob im Munde des Sünders“;
3. darum lobt er, um wenigstens indirekt Gott den Herrn zu preisen, seinen Bischof, und zwar vorzüglich als einen Mann der strengsten (aber stets vernünftigen) Abtödtung;
4. schließlich empfielt er sich von Neuem in das Gebet der Gläubigen.

Text

 

Des Chrysostomus erste Predigt, gehalten gleich nach seiner Priesterweihe: über seine eigene Person, über den Bischof und über die [anwesende] Volksmenge. Es ist also Wirklichkeit, was mit mir vorgegangen ist? Was geschehen ist, ist in der That geschehen, und wir täuschen uns nicht? Und diese Dinge sind kein nächtlicher Traum? Es ist wirklich heller Tag, und wir sind alle wach und bei guter Besinnung? Wer sollte es glauben, daß bei hellem Tage, wo die Menschen wachen und bei klarem Bewußtsein sind, ein ganz geringer, ja ein ganz verachtenswerther Jüngling zu einer so erhabenen Würde erhoben wäre! Im nächtlichen Schlummer kann dergleichen schon leicht vorkommen. Da sehen sich oftmals elende Krüppel mit fehlerlosen, wohlgestalteten Gliedern, und nothleidende Bettler erquicken sich an königlichen Tafeln — aber Alles ist nur Traum und Täuschung. Denn so ist es mit den Träumen: sie haben eine große, erstaunliche Kraft und necken uns gern durch wundersame Bilder. Aber niemals sieht man so Etwas bei hellem Tage, niemals in der That und Wahrheit vor sich gehen.

Und jetzt! Was noch unglaublicher ist als ein Traumbild, Das alles ist jetzt geschehen, ist zur Wahrheit geworden, ist schon vorüber — ihr seht es; und eine so große und volkreiche Stadt, eine so zahlreiche und angesehene Bürgerschaft schaut lernbegierig auf meine Wenigkeit, um aus meinem Munde eine schöne und großartige Rede zu hören. Aber ach! wenn auch sonst meine Worte flößen gleich einem nie versiegenden Strome und mein Mund wirklich ein ergiebiger Ouell der Beredsamkeit wäre — in diesem Augenblicke, wo eine so große Menge von Hörern so plötzlich zusammengekommen ist, würde meine Furcht die Fluthen der Rede zum Stillstand bringen und den Quell verschließen. Nun aber, da mir nicht Ströme, nicht einmal Bäche von Beredsamkeit, sondern nur ein armseliges Tröpflein zu Gebote steht, wie sollte ich da nicht zu besorgen haben, daß die Furcht mir auch dieses Wenige versiegen macht! Was wir fest in der Hand halten und mit den Fingern umschließen, Das lassen wir manchmal in Folge eines großen Schreckens plötzlich fallen; der Schreck hat die Sehnen erschlafft, die Muskeln ihrer Kraft beraubt. Ich fürchte sehr, daß diese Erfahrung, wie sie häufig unserm Leibe widerfährt, heute meiner Seele bevorsteht, und daß die Gedanken, die unbedeutenden und alltäglichen Gedanken, die ich mir mit großer Mühe für euch gesammelt habe, vor meiner Angst wieder schwinden, daß sie auf einmal fort sein und mein Gedächtniß, meine Seele ganz allein lassen werden. Darum bitte ich euch alle, Vorgesetzte und Untergebene gleichermaßen: wie ihr mir eine so große Angst eingejagt habt, indem ihr zusammengeeilt seid, um mich zu hören, so hauchet mir einen ebenso großen Muth ein durch eifriges Gebet! Flehet doch zu Demjenigen, der in großer Kraft Worte verleiht den Überbringern der Freudenbotschaft, daß er auch mir, indem ich meinen Mund öffne, das Wort verleihe. Gewiß, es wird euch bei eurer großen Zahl und edlen Gesinnung keine Mühe kosten, eines Jünglings Seele, die sich in Furcht auflösen will, wieder mit Muth zu erfüllen. Zudem scheint mir, daß ihr diese Bitte zu gewähren schuldig seid; denn um euretwillen habe ich diesen Schritt gewagt, ja um euretwillen und um eurer Liebe willen. Diese Liebe ist so stark, so zwingend, daß ihr Nichts gleichkommt; so hat diese Liebe auch mich, der ich des Redens so wenig kundig bin, zum Reden genöthigt und hat mich vermocht, die Kämpfe eines Lehrers der christlichen Wahrheit zu übernehmen, obgleich ich vordem nie an diesen Kämpfen Theil nahm und im Genusse thatenloser Ruhe stets unter den Hörern saß. Aber wer kann so steinhart, so unnachgiebig sein, um in eurer Versammlung stumm zu bleiben und so eifrige, so begeisterte Zuhörer nicht anzureden, wenn er auch weniger als jeder Andere zu sagen weiß?

Es war nun mein Wunsch, diese meine erste Predigt als ein Erstlingsopfer dem Lobe Desjenigen zu weihen, der nur Zunge und Sprache verliehen hat: dem Lobe des Herrn. Denn Das wäre auch geziemend. Nicht bloß die Erstlinge der Tenne und der Kelter, sondern auch — und noch viel mehr ! — die Erstlinge der Rede hat man durch das Wort dem Herrn zu weihen. Denn diese Frucht, die Rede, ist mehr unser eigen und ist auch dem Herrn, der dadurch geehrt wird, wohlgefälliger. Trauben und Ähren wachsen aus den Erdschollen, werden genährt durch Thau und Regen, gepflegt durch die Hand des Bebauers; aber ein heiliges Loblied hat seinen Ursprung in der Frömmigkeit der Seele, findet seine Nahrung in einem guten Gewissen und wird von Gott aufgenommen in die himmlischen Vorrathskammern. Wie die Seele ungleich mehr werth ist als das Erdreich, so und in demselben Grade ist dieses Opfer besser als ein Opfer von den Früchten der Erde. Darum ist es dieses Opfer, das ein großer und bewundernswerther Mann, der Prophet Oseas, von Denjenigen verlangt, die Gott beleidigt haben und ihn wieder versöhnen wollen. Sie sollen mitbringen, sagt er, — nicht Heerden von Rindern, nicht so und so viel Maß des feinsten Weizenmehls, nicht Tauben oder Turteltauben, nein, Nichts der Art. Was verlangt er? „Bringet mit euch — Worte!“ Was ist das aber für ein Opfer? sagt man vielleicht dagegen. Ein sehr großes und heiliges, mein Freund, und ein besseres als alle andern. Wer sagt uns Das? Der es am allerbesten wußte, David, jener große und edle Mann. Als er nämlich einst Gott dem Herrn für einen im Kriege erfochtenen Sieg Dankopfer brachte, sagte er ungefähr wie folgt: „Lobpreisen will ich den Namen des Herrn in einem Lied, verherrlichen ihn im Lobgesang.“ Indem er dann die Vorzüglichkeit dieses Opfers hervorhebt, fügt er hinzu: „Und Das wird Gott weit mehr gefallen als ein jugendliches Kalb, das Hörner schon und Klauen hat.“

Es war also auch mein Wunsch, dieses Opfer heut’ vor dem Herrn zu bringen; dieses Opfer wollte ich schlachten auf dem Altar des Geistes. Allein wie soll es mir gehen? Ein weiser Mann schließt mir den Mund und setzt mich in Furcht, indem er sagt: „Nicht schön ist Lob im Munde eines Sünders.“ Wie ein Kranz nicht bloß aus reinen Blumen, sondern auch von reinen Händen geflochten sein muß, so muß auch das Lob des Herrn nicht bloß in frommen Worten erklingen, sondern auch aus einer reinen, frommen Seele kommen. Die meinige aber ist mit Schuld beladen, sie ermangelt der göttlichen Liebe und Freundschaft und ist bedeckt mit vielen Sünden. Wenn es aber so um eine Seele bestellt ist, dann heißt nicht bloß jener Ausspruch des weisen Mannes sie verstummen, sondern auch ein anderer, der noch aus älterer Zeit stammt. Auch dieser rührt von David her, der eben zu uns von den Opfern redete. Nachdem er nämlich gesagt hat: „Lobet den Herrn von den Himmeln her, lobet ihn in den Höhen;“ nachdem er bald darauf wieder gesagt hat: „Lobet den Herrn von der Erde her;“ nachdem er beide Reiche der Schöpfung, das himmlische und das irdische, die Körperwelt und die Geisterwelt, die sichtbare und die unsichtbare Schöpfung, die über dem Himmel und die unter dem Himmel ist, zum Lobe des Herrn aufgerufen; nachdem er aus beiden Reichen der Schöpfung gleichsam einen Chor gebildet und sie so zum Preise des Königs der ganzen Welt eingeladen: ruft er nirgends den Sünder und verschließt ihm auch hier das Thor.

Damit euch meine Worte klarer werden, will ich euch den Psalm selbst von Anfang an vorlesen. „Lobt den Herrn von den Himmeln her,“ heißt es, „lobt ihn in den Höhen! Lobt ihn, ihr, seine Engel all’, lobt ihn, all’ seine Heerschaaren!“ Siehst du, wie ihn die Engel, die Erzengel, die Cherubim und Seraphim, die Heerschaaren des Himmels preisen? Indem der Psalmist sagt: „Alle seine Heerschaaren,“ schließt er alle Bewohner des Himmels ein. Siehst du hier auch den Sünder? Nein. Freilich, wie kann man auch den Sünder im Himmel finden? So will ich dich denn wieder auf die Erde herabführen; wenden wir uns zu der andern Abtheilung des Chores. Auch hier wirst du den Sünder nicht finden. „Lobt den Herrn von der Erde her, ihr Ungeheuer und ihr Meeresfluthen all; Gewild und alles zahme Vieh, was kriecht und Flügel hat.“

Nicht umsonst, nicht ohne Grund schweige ich nach diesen Worten still. Denn ganz verwirrt sind meine Gedanken, und es drängt mich, bitterlich zu weinen und schmerzvoll zu klagen. Wie kann es auch etwas Traurigeres geben? Schlangen und Skorpionen und Drachen werden eingeladen zum Lobe Desjenigen, der sie geschaffen hat; nur der Sünder wird nicht zu diesem heiligen Chore zugelassen — und zwar mit vollem Recht. Denn die Sünde ist ein böses, wildes Thier, das seine Bosheit nicht so fast an den Mitgeschöpfen ausläßt, als vielmehr gegen die Ehre des Herrn das Gift seiner Schlechtigkeit ausspritzt. Denn „um euretwillen,“ heißt es, „wird mein Name gelästert unter den Heiden.“ Darum hat der Prophet den Sünder gleichsam aus dem heiligen Vaterlande, ja aus der ganzen Schöpfung ausgetrieben und über die Grenze gewiesen. So entfernt ein guter Künstler aus der wohlgestimmten Zither die mißtönende Saite, damit sie die Harmonie der übrigen Töne nicht störe. So schneidet ein kundiger Arzt das faulende Glied hinweg, damit sein Verderben nicht auf die gesunden Glieder übergehe. Ebenso thut auch der Prophet, indem er den Sünder wie eine mißtönende Saite, wie ein krankes Glied von der Gemeinschaft der ganzen Schöpfung abtrennt.

Was soll ich also beginnen? Weil ich verworfen, weil ich abgeschnitten bin, darum müßte ich völlig schweigen. Soll ich also schweigen? Und wird mir Niemand gestatten, unsern Herrn zu preisen? Vergeblich hätte ich um euer Gebet angehalten? Vergeblich wäre ich unter euren Schutz geflüchtet? Nein, wahrhaftig, nicht vergeblich. Es sind eure Gebete, die mir in dieser Verlegenheit Licht gebracht haben, wie ein Blitzstrahl in dunkler Nacht. Ich habe eine andere Weise gefunden, Gott zu loben: loben will ich unsere Mitknechte. Denn es ist nicht verwehrt, auch sie zu loben, und dann wird unfehlbar ihre Ehre, ihr Ruhm auf den Herrn zurückfallen. Daß ihm auch auf diesem Wege Ehre gebracht wird, zeigt uns Christus selbst, indem er sagt: „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie sehen eure guten Werke und preisen euren Vater, der in den Himmeln ist.“ Da seht denn eine andere Weise, den Herrn zu loben, von der auch der Sünder Gebrauch machen kann, ohne das Gesetz zu übertreten.

Wen also, wen von den Mitknechten soll ich loben? Wen anders als den gemeinsamen Lehrer unserer Vaterstadt und eben deßhalb auch der ganzen Welt? Das ist er in der That; denn wie er euch lehrt, bis zum Sterben treu zur Wahrheit zu stehen, so habt ihr die andern Menschen gelehrt, lieber das Leben als die Frömmigkeit fahren zu lassen. Soll ich nun aus diesen Blumen ihm den Kranz des Lobes flechten? Das möchte ich zwar; aber da sehe ich ein endloses Meer von Tugenden und Verdiensten; und ich fürchte, wenn meine Rede in diese Tiefen hinabsteigt, wird sie nicht mehr hinaufzukommen im Stande sein. Denn dann müßte ich von Verdiensten aus alter Zeit erzählen, von Wanderungen, Nachtwachen, Sorgen, Richtersprüchen, Kämpfen, wie sich Trophäe an Trophäe, Sieg an Sieg gereiht hat; und das wäre ein Unternehmen, für welches weder meine, noch selbst irgend eines Menschen Zunge hinreichte, das eines Apostels Zunge erheischte, durch welche der heilige Geist redet, dem Nichts unmöglich ist zu reden und zu lehren. Darum will ich diesen Gegenstand verlassen und auf ein anderes Gebiet übergehen, wo ich weniger Gefahr laufe und auch mit einem kleinen Fahrzeug fertig werde. Wohlan, ich will über seine Enthaltsamkeit reden. Ich will euch schildern, welche Herrschaft er über seinen Leib ausgeübt, wie er, obgleich ausgewachsen in einem reichen Hause, ein weichliches Leben verschmäht und die Freuden der Tafel verachtet hat. Hat Jemand bisher in Armuth gelebt, dann ist es nicht sonderlich bewundernswerth, wenn er sich nun zu diesem harten, entbehrungsreichen Leben entschließt; denn die Armuth als seine Gefährtin, seine stete Begleiterin, bietet ihm für diese Last immerdar Erleichterung. Wer aber über Reichthümer zu verfügen hat, der wird sich ihren Lockungen nicht leicht entziehen können; denn ein ganzes Heer von Leidenschaften belagert sein Herz. Diese Leidenschaften sind wie ein dichte, dunkle Wolke, die sein geistiges Auge verfinstert, die ihn hindert, gen Himmel zu schauen, die ihn nöthigt, sich nach unten zu wenden und nach irdischen Dingen zu trachten. Ja, so groß ist schlechterdings kein anderes Hinderniß auf dem Wege zum Himmel, als der Reichthum und seine schlimmen Folgen. Nicht ich bin es, der Das sagt; nein, Christus selbst hat dieses Urtheil abgegeben, da er sprach: „Leichter ist es, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr hindurchgehe, als daß ein Reicher eingehe in das Himmelreich.“ Aber siehe da! dieses Schwere, oder vielmehr dieses Unmögliche ist möglich geworden, und was einst Petrus von dem Meister erfragte und zu wissen begehrte, Das haben wir alle durch eigene Anschauung gelernt — ja noch mehr als Das. Denn er [unser Bischof] hat nicht bloß sich selbst schon bis an den Himmel erhoben, sondern führt dorthin auch die ganze Gemeinde, obschon ihn ausser dem Reichthum noch andere und zwar nicht geringere Hindernisse beschwerten, nämlich seine Jugend und seine frühe Verwaisung. Wo die Reize der Verführung so verlockend, das Gift der Sünde so schwer abzuweisen war: welches Menschenherz hätte sich da nicht bethören lassen? Doch er hat Das alles überwunden, hat den Himmel schon berührt und sich der himmlischen Weisheit hingegeben. Er hat der Herrlichkeiten dieses Lebens vergessen und vom Ruhme der Vorfahren seine Blicke abgewandt. Doch ja, darauf hat er hingeschaut, aber nicht auf diejenigen Ahnen, mit welchen ihn ohne seinen Willen die Natur verbunden, sondern auf die, welche ihm seine Frömmigkeit und freie Wahl zu Ahnen gegeben hat. Dadurch ist er auch ein solcher Mann geworden. Er hat auf den Patriarchen Abraham und auf Moses hingesehen, auf diesen großen Mann, der nach seiner im Königspalast verlebten Jugend, wo er an reich besetzter Tafel die kostbarsten Speisen genießen konnte, zurückgelassen mitten in dem geräuschvollen Treiben der Ägyptier — ihr kennt ja die Barbaren und wißt auch, wie bei ihnen Übermuth und Prahlerei regiert —, der also Das alles für Nichts achtete und aus freien Stücken zur Arbeit an Lehm und Ziegeln überging und zu den Knechten, zu den Gefangenen gehören wollte — er, der König und Königssohn! Er ist freilich eben dadurch wieder gestiegen, und zwar zu einer Stellung, mit welcher seine frühere, freiwillig verlassene an Glanz und Ehre keinen Vergleich aushält. Nach seiner Flucht nämlich, nach dem Lohndienst bei seinem Schwiegervater, nach allen Mühseligkeiten im fremden Lande kehrte er zurück als ein Mann, der des Königs Gebieter, ja des Königs Gott geworden war. Denn der Herr sprach zu ihm: „Ich habe dich wie Gott über Pharao gesetzt.“ Ohne ein Diadem zu tragen, ohne mit Purpur bekleidet zu sein, ohne in einem goldenen Wagen zu fahren, besaß er mehr Herrlichkeit als der König selbst, nachdem er all’ jenen Prunk unter die Füße getreten hatte. „Alle Herrlichkeit der Königstochter,“ heißt es, „ist von innen.“ Als er zurückkehrte, da trug er ein Szepter, mit welchem er nicht bloß Menschen, sondern auch den Himmel, die Erde und das Meer, die Luft und das Wasser, die Seen, Quellen und Flüsse beherrschte. Denn gerade wie Moses gebot, so gestalteten sich jedesmal die Bestandtheile der äussern Welt; nach Maßgabe seines Willens verwandelte sich die Schöpfung, und indem sie in ihm den Freund ihres Herrn kommen sah, gehorchte sie ihm als getreue Dienerin in allen Stücken ebenso willig als dem Herrn selbst.

Dieser ist es also, auf den unser Bischof seinen Blick gerichtet hat, um trotz seiner Jugend ein solcher Mann zu werden — vorausgesetzt, daß er jemals jung gewesen ist. Denn ich kann es fast nicht glauben; so sehr war ihm die geistige Reife des Alters eigen, als er erst kaum den Windeln entwachsen war. Doch war er auch den Jahren nach ein Jüngling, so hatte er gleichwohl die christliche Weisheit schon ganz erfaßt. Unsere Natur als Das erkennend, was sie ist, als einen Acker, auf dem viel Unkraut sproßt, wußte er die Krankheiten der Seele leicht hinwegzuräumen mit der Sichel des göttlichen Wortes. Dem Säemann bereitete er für die Saat der Lehre ein untadeliges Erdreich, und indem er Alles willig aufnahm, ließ er es zugleich in die Tiefe eindringen, so daß es tief Wurzel faßte und nun weder von den Strahlen der Sonne leiden noch von den Dornen erstickt werden konnte. So sorgte er für seine Seele; die unordentlichen Regungen des Fleisches aber beschwichtigte er durch die Mittel der Abtödtung, indem er dem Leibe wie einem schwer zu lenkenden Rosse die Zügel des Fastens anlegte und ihn in die rechte Bahn hinein zwang. So kräftig er aber seine Leidenschaften in Schranken hielt, vergaß er dabei nicht auf die nöthige Vorsicht und Schonung. Denn er hat sein Roß — seinen Leib meine ich — weder zu hart behandelt, um es nicht zum Falle zu bringen und für seinen Dienst untauglich zu machen, noch auch zu gut genährt, damit es sich nicht in seiner Üppigkeit gegen den Geist, der es zügelt, erheben konnte. So hat er zugleich für seine Gesundheit und auch für die Unterordnung des Fleisches unter den Geist Sorge getragen. Übrigens hat er keineswegs, nachdem er als Jüngling ein solches Leben geführt, in seinem spätern Alter diese Vorsicht aufgegeben; auch jetzt, wo er in den sichern Hafen des Greisenalters eingelaufen ist, auch jetzt noch läßt er sich dieselbe Sorgfalt angelegen sein. Die Jugend, meine Theuren, gleicht einem tobenden Meer, voll wilder Fluthen und gefährlicher Stürme; das Greisenalter dagegen ist der sichere, windstille Hafen, wo die Seele, wenn sie dort eingelaufen ist, sich ungestört jener Ruhe überlassen darf, welche das Alter mit sich bringt. Diese Ruhe könnte auch unser Bischof jetzt genießen; denn er ist, wie ich eben sagte, in den Hafen eingelaufen; aber er kämpft nicht weniger als Die welche auf hohem Meere hin- und hergeschleudert werden.

Solche heilige Furcht hat er von Paulus gelernt. Denn der heilige Paulus war in den Himmel entrückt, durch den folgenden Himmel hindurchgeführt und bis in den dritten Himmel erhoben worden; und darauf sagte er: „Ich fürchte, daß ich, nachdem ich Andern gepredigt, selbst verwerflich werde.“ Darum hat auch unser Bischof stets eine heilige Furcht unterhalten, um beständig guten Muthes sein zu können. Er hat am Steuer seinen Platz genommen, nicht um auf die Bahn der Gestirne, auf Klippen und Sandbänke Acht zu haben, sondern auf die Angriffe der Dämonen, auf die Ränke des Teufels, auf die Kämpfe der Geister. Das Schlachtheer rings umgehend verschafft er Allen Sicherheit und Ruhe. Denn er sucht nicht bloß den Untergang des Schiffleins zu verhüten, sondern bietet auch alle Mühe auf, damit keiner von seinen Insassen durch Sturm und Ungemach bedrängt wird. Er ist es und seine Weisheit, der wir alle es zu danken haben, daß wir mit gutem Fahrwind und mit vollen Segeln fahren.

Als wir unsern frühern Vater verloren, der auch unseres jetzigen Bischofs geistlicher Vater war, da waren wir in großer Noth und klagten bitterlich, indem wir nicht erwarteten, daß ein anderer Mann von gleicher Art diesen Thron besteigen würde. Als nun aber Dieser sich zeigte und in unsere Mitte trat, da ging alle Trauer sogleich vorüber wie eine Wolke, und die düstern Aussichten verschwanden. Nicht nach und nach nahm er den Schmerz von uns hinweg, sondern so schnell, als wenn jener Selige sich aus dem Sarge erhoben und diesen Thron wieder bestiegen hätte.

Doch es ist mir in meinem Eifer, die Tugenden und Verdienste unseres Vaters zu preisen, ganz entgangen, daß meine Rede sich schon über das rechte Maß ausgedehnt hat, freilich nicht über das Maß seiner Tugenden und Verdienste — denn davon habe ich eigentlich noch gar nicht begonnen zu reden, — sondern über die Grenze, die mein jugendliches Alter mir vorzeichnet. Wohlan, ich will nun schließen und meine Worte wieder in den Hafen des Stillschweigens zurückführen. Freilich, sie wollen noch nicht zurückkehren, sie sträuben sich und sind unzufrieden, weil sie sich in diesem Tugendgarten nach Herzenslust ergehen wollen. Aber Das, meine Kinder, geht nicht an. Was gesagt ist, auch Das reicht hin, uns zu trösten und zu stärken. Wir wollen ablassen, auf Unmögliches auszugehen. Da ist ein Gefäß mit kostbaren Salben; nicht bloß, wer es ausgießt, sondern auch, wer mit der Spitze seines Fingers die Oberfläche berührt, verbreitet rings umher den lieblichen Duft und erquickt alle Anwesenden durch den Wohlgeruch. Das ist auch jetzt geschehen, nicht kraft meiner Worte, sondern kraft seiner Tugenden.

Gehen wir also von dannen, gehen wir hin und wenden uns zum Gebet! Flehen wollen wir zum Herrn, daß unsere gemeinsame Mutter unerschüttert bleibe und unentwegt feststehe, und daß dieser unser Vater, unser Lehrmeister, Hirt und Steuermann zu einem hohen Alter gelange. Und wenn euch auch an mir Etwas gelegen ist — ich werde nicht wagen, mich selbst in die Schaar der Priester einzureihen; denn eine Fehlgeburt darf man nicht unter die rechten, wohlgebildeten Kinder zählen — doch wenn ihr auch meiner (immerhin als einer Fehlgeburt) gedenken wollt, dann flehet, daß die Hilfe und Gnade von oben mir reichlich zu Theil werde. Zwar auch vordem, als ich noch, für mich allein, ein thatenloses Leben führte, hatte ich Schutz und Beistand nothwendig; nachdem ich nun aber auf den Leuchter gestellt bin — über das Wie, ob durch Bemühungen der Menschen oder durch die Gnade Gottes, sage ich Nichts; denn ich will nicht mit euch streiten, damit mich Niemand auch noch der Verstellung zeihe, — wie dem auch sei, nachdem man mich hervorgezogen und mir das schwere, drückende Joch aufgelegt hat, bedarf ich vieler Hilfe und bedarf Gebete ohne Zahl, damit ich dem Herrn, der das Pfand bei mir hinterlegt, dieses Pfand ganz und heil an jenem Tage zurückgeben kann, wo die Verwalter seiner Talente herbeigerufen, vor Gericht gezogen und zur Rechenschaft gefordert werden. Betet also, damit ich alsdann nicht unter Denen sei, die gefesselt in die Finsterniß geworfen werden, vielmehr unter Denen, die wenigstens in etwa Verzeihung finden können, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da ist die Herrlichkeit, Macht und Anbetung in alle Ewigkeit. Amen.

Rede vor seiner Verbannung

 

Einleitung

Vorbemerkungen.

 

Es sei hier kurz daran erinnert, daß die Ostersynode „an der Eiche“, gehalten 403 unter dem Vorsitze des alexandrinischen Patriarchen Theophilus, gegen den heiligen Chrysostomus das Urtheil der Absetzung aussprach, worauf ihn Kaiser Arkadius der aus der Stadt hinwegzuführen gebot. Das Volk war in großer Aufregung; Chrysostomus suchte es zu beruhigen und im Glauben zu stärken durch die nachstehende Anrede. Nur die hier übersetzten drei Kapitel sind echt; es werden in den Gesammtausgaben noch zwei weitere abgedruckt, deren Unechtheit wohl nicht mehr bezweifelt wird.

Inhalt.

Umsonst versuchen die Feinde, die Kirche Gottes zu zerstören. Das beweisen die Worte der heiligen Schrift und die Thatsachen der christlichen Geschichte.

Eindringliche Ermahnungen zum Gebete und zur Standhaftigkeit: Betheuerungen der Liebe des Oberhirten zu seiner Heerde.

Text

 

Desselben Rede vor der [ersten] Verbannung.Mächtig stürmen die Wogen, und es tobt die Fluth; aber wir fürchten nicht, unterzugehen; denn wir stehen auf einem Felsen. Mag wüthen das Meer — den Felsen kann es nicht wegschwemmen. Mag steigen die Fluth — das Schifflein Jesu kann sie nicht versenken. Was fürchten wir denn? Den Tod? „Mir ist das Leben Christus, und das Sterben Gewinn.“ Oder Verbannung? „Des Herrn ist die Erde, und was sie füllet.“ Oder Einziehung der Güter? „Wir haben Nichts in die Welt gebracht; es ist offenbar, daß wir auch Nichts von dannen tragen können.“ Die Schrecknisse der Welt verachte ich, ihrer Güter spotte ich. Armuth fürchte ich nicht, Reichthum begehre ich nicht, den Tod scheue ich nicht, und zu leben verlange ich nicht — es sei denn um eures Heiles willen. Deßhalb richte ich auch jetzt diese Ermahnung an euch und fordere euch auf, guten Muthes zu sein. Niemand wird uns trennen können. Denn was Gott verbunden hat, Das kann ein Mensch nicht trennen. Heißt es doch sogar von Mann und Weib: „Darum wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen, und es werden die Zwei sein zu einem Fleische. Was also Gott verbunden hat, soll ein Mensch nicht trennen.“ Wenn du also die Ehe nicht auflösen kannst, um wie viel weniger kannst du die Kirche Gottes zerreissen; Du bekriegst die Kirche, aber du kannst Demjenigen, den du bekriegst, keinen Schaden zufügen. Indem du gegen mich kämpfest, förderst du meine Ehre und untergräbst deine eigene Kraft. Es ist dir hart, wider einen scharfen Stachel auszuschlagen. Du machst den Stachel nicht stumpf, aber deine Füße blutig. So können auch die Wogen den Fels nicht zerstören; eher lösen sie sich selbst in Schaum auf. Nichts ist mächtiger als die Kirche, o Mensch! Mache dem Krieg ein Ende, auf daß es nicht mit deiner Macht zu Ende gehe! Führe nicht Krieg gegen den Himmel! Wenn du einen Menschen bekriegst, wirst du entweder siegen oder unterliegen; wenn du die Kirche bekriegst, ist es nicht möglich, daß du siegest; denn Gott ist der Allerstärkste. „Oder machen wir eifern den Herrn? Sind wir stärker als er?“ Gott hat sie befestigt; wer unternimmt es, sie zu erschüttern? Du kennst seine Macht nicht. „Er schaut über die Erde und macht sie zittern;“ er gebietet, und was erschüttert war, steht wieder fest. Wenn er die wankende Stadt befestigt, kann er noch weit eher der Kirche Festigkeit verleihen. Die Kirche ist stärker als der Himmel. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Welche Worte? „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“

Wenn du dem Worte nicht glaubst, so glaube den Thatsachen. Wie viele Tyrannen haben schon die Kirche bezwingen wollen, bald mit Hilfe glühender Marterpfannen, bald durch Feuer, bald durch die Zähne wilder Thiere, bald durch die Schärfe des Schwertes — und haben sie nicht bezwungen! Wo sind Jene, die den Krieg gegen die Kirche geführt haben? Man spricht nicht mehr von ihnen, sie sind der Vergessenheit anheimgefallen. Wo ist die Kirche? Sie glänzt heller als die Sonne. Jene sind erloschen sammt ihrer Macht; sie ist unsterblich. Konnten also damals, wo es nur wenige Christen gab, diese wenigen nicht besiegt werden: wie willst du jetzt siegen, wo Glaube und Frömmigkeit sich über die ganze Erde verbreitet haben? „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Ganz natürlich: denn Gott liebt die Kirche mehr als den Himmel. Er hat nicht einen Himmelsleib, sondern der Kirche Leib [wörtlich: Fleisch] angenommen; um der Kirche willen ist der Himmel, nicht wegen des Himmels die Kirche da.

Möge euch Nichts von Allem, was jetzt geschieht, ausser Fassung bringen. Dadurch beweint mir eure Liebe, daß ihr unwandelbar am Glauben festhaltet. Habt ihr nicht gesehen, daß Petrus über das Meer wandelte? Und habt ihr nicht alsdann gesehen, daß er ein wenig zweifelte und sofort im Begriffe war, zu versinken, und zwar nicht wegen des ungestümen Aufruhrs der Fluthen, sondern wegen seiner Schwachheit im Glauben? Bin ich denn auf Anordnung eines Menschen hieher gekommen? Hat ein Mensch mich geführt, damit ein Mensch mich wieder stürze? Ich bin nicht von Sinnen; ich prahle nicht; ich sage Das nur, um euch zu befestigen, wenn ihr wanket. Jetzt, wo die Stadt feststeht, will der Teufel die Kirche erschüttern. O du nichtswürdiger, du verruchter Teufel! Du meinst die Kirche zum Wanken zu bringen und konntest nicht einmal der Mauern Herr werden! Bilden denn die Mauern die Kirche? Nein, die Menge der Gläubigen, das ist die Kirche! Sieh da! wie viele unerschütterliche Säulen, nicht durch eiserne klammern verbunden, sondern durch den Glauben zusammengehalten! Eine solche Menge ist stärker als die Gewalt des Feuers — doch davon will ich nicht reden. Ich sage vielmehr: wäre es auch nur ein Einziger, du würdest ihn nicht bezwingen. Du weißt ja, wie viele Wunden du im Kampfe mit den Martyrern davongetragen hast. Wie oft hat nicht eine zarte, noch unvermählte Jungfrau den Kampf aufgenommen, die weicher war als Wachs und stärker wurde als ein Fels! Du hast ihr die Seiten zerfleischt, aber den Glauben nicht geraubt. Die Natur unterlag, die Kraft des Glaubens ging nicht aus. Den Leib verkehrte die Pein, den Geist erfüllte jugendlicher Muth. Das Leben schwand, die Frömmigkeit blieb. Eines einzelnen Weibes bist du nicht Herr geworden, und du erwartest, ein so großes Volk zu besiegen? Hörst du nicht, was der Herr sagt: „Wo Zwei oder Drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“? Und er sollte nicht da sein, wo ein so zahlreiches Volk, durch Liebe vereinigt, sich versammelt? Ich habe sein Pfand. Verlasse ich mich denn auf eigene Kraft? Seine Handschrift hab’ ich. Sie ist mein Pfand, sie meine Sicherheit, sie ist mein Hafen, der mich schützt vor tobenden Fluthen. Wird auch die ganze Welt erregt, ich halte mich an dieser Handschrift. Ihre Worte lese ich; sie sind mein Wall, meine Sicherheit. Welche Worte? „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Christus ist bei mir, wen soll ich fürchten? Jetzt mögen Fluthen, mögen die Tiefen des Meeres sich gegen mich erheben und der Fürsten Zorn, — Das alles ist mir geringer als Spinngewebe. Wäre es nicht aus Liebe zu euch, so hätte ich heute schon nicht Anstand genommen, zu gehen; denn immer sage ich: „Herr, dein Wille geschehen;“ nicht, was Dieser oder Jener will, sondern was du willst. Das ist mein Thurm, Das mein unbeweglicher Fels, Das mein fester Stab. Will Gott, daß Dieses geschehe, so geschehe es. Will er, daß ich hier sei, so sag’ ich ihm Dank. Wo er will, daß ich sei, danke ich ihm.

Laßt euch von Niemand verwirren! Verharret im Gebete! Der Teufel hat Das alles in’s Werk gesetzt, um den Eifer im Gebete zu stören. Aber es gelingt ihm nicht; ich habe euren Eifer, eure Begeisterung vermehrt gefunden. Morgen werde ich mit euch zum Gebete ausziehen. Wo ich bin, da seid auch ihr, und wo ihr seid, da bin auch ich. Wir sind ein Leib. Der Leib ist nicht vom Haupte, und das Haupt nicht vom Leibe zu trennen. Trennt man uns dem Raume nach, bleiben wir durch die Liebe geeinigt. Selbst der Tod wird uns nicht trennen können. Stirbt auch mein Leib, so lebt doch die Seele und ist des Volkes eingedenk. Ihr seid mir Väter; wie könnte ich euer vergessen? Ihr seid mir Väter, ihr seid mein Leben, ihr seid mein Ruhm. Wenn ihr im Guten vorwärts kommt, bin ich in Ehren; ja, ihr seid der Schatz, der mein Leben und meinen Reichthum enthält. Tausendmal für euch erwürgt zu werden, bin ich bereit; und Das ist keine Gabe, Das ist nur Schuldigkeit; denn „der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe“. Für sie läßt er sich tausendmal erwürgen, tausendmal enthaupten. Mir würde ein solcher Tod Unsterblichkeit verschaffen, würden solche Nachstellungen Sicherheit verleihen. Werde ich denn um des Geldes willen verfolgt, daß ich traurig sein müßte? oder um eines Verbrechens willen, daß ich mich grämen müßte? Nein, wegen meiner Liebe zu euch. Denn ich thue Alles, was ich kann, damit ihr in Sicherheit seid, damit sich Keiner in die Heerde eindränge, damit die Heerde ohne Makel bleibe. Die Ursache der Kämpfe genügt schon, um mir den Sieg zu sichern. Was würde ich nicht leiden für euch! Ihr seid meine Mitbürger, ihr meine Väter, ihr meine Brüder, ihr meine Kinder, ihr meine Glieder, ihr mein Leib, ihr mein Licht, und zwar lieblicher als das Sonnenlicht! Denn was gewährt mir der Strahl der Sonne, das mir so theuer wäre wie eure Liebe! Der Strahl der Sonne nützt mir nur im gegenwärtigen Leben, aber eure Liebe windet mir den Kranz für das künftige Leben.

Diese Worte sollen euch, meine Zuhörer, in die Ohren dringen. Eure Ohren sind ja unvergleichlich begierig, zu hören. Schon so viele Tage habt ihr gewacht, und Nichts hat euch wankend gemacht. Nicht die Länge der Zeit, nicht Furcht noch Drohungen haben eure Kraft erschöpft. Ihr habt euch in allen Anfechtungen muthig erwiesen. Ja, was sage ich? nur muthig erwiesen? Ihr habt auch — was ich immer sehnlich wünschte — die weltlichen Dinge verachtet, der Erde abgesagt, euch zum Himmel gewendet; ihr habt euch gelöst von des Leibes Banden und strebet wetteifernd jener seligen Weisheit nach. Das sind meine Kronen, Das ist mein Trost, meine Ermunterung, meine Stärkung, mein Leben; Das führt zur Unsterblichkeit.

Rede nach seiner Rückkehr aus der Verbannung

 

Einleitung

Vorbemerkung.

 

Die erste Verbannung des heiligen Chrysostomus dauerte nur wenige Tage. Nachdem er die Stadt verlassen hatte, wurde gleich in der folgenden Nacht die ganze Bürgerschaft durch ein Erdbeben in Angst und Schrecken versetzt. Man sah darin allgemein eine Strafe des Himmels, und auf flehentliches Bitten seiner Gemahlin ließ der Kaiser den Patriarchen zurückrufen. Bei seiner Ankunft in Konstantinopel strömte das Volk von allen Seiten zusammen; seine Freude über den wiedergewonnenen Hirten kannte keine Grenzen. Chrysostomus, weil durch ein Konzil entsetzt war nicht gewillt, ohne vorhergegangene Untersuchung sein Amt wieder anzutreten; allein nicht imstande, dem Verlangen des Volkes zu widerstehen, hielt er in der Apostelkirche aus dem Stegreif, die unten übersetzte kurze Ansprache. Diese sowohl als die vorhergehende sind besonders anziehend als Beweis seiner Liebe und überhaupt seines herzlichen Verhältnisses zu der ihm anvertrauten Gemeinde.

Inhalt.

Lob des Herrn, der die Nachstellungen der Feinde zum Vortheil der christlichen Gemeinde gewendet hat. Auch die Gemeinde verdient Lob wegen ihrer Ausdauer im Gebete und ihrer Treue gegen den rechtmäßigen Bischof.

Text

Was soll ich vorbringen? Was soll ich sagen? Gelobt sei Gott! Das war mein Wort, als ich euch verlassen mußte; und dieses Wort nehme ich jetzt wieder auf — doch nein, Das braucht es nicht; denn ich habe es auch draussen stets festgehalten. Ihr erinnert euch, daß ich euch den Job vor Augen stellte und sagte: „Der Name des Herrn sei gepriesen in Ewigkeit.“ Das war das Abschiedswort, welches ich euch zurückließ; dieses Wort des Dankes mache ich auch jetzt wieder zu dem meinigen. „Der Name des Herrn sei gepriesen in Ewigkeit.“ Die Schicksale ändern sich; im Lobe Gottes bleiben wir uns gleich. Ihn lobte ich, da ich vertrieben ward; ihn lobe ich auch jetzt, wo ich wieder zurückgekehrt bin. Die Schicksale ändere sich; aber ein und dasselbe Ziel haben die trüben und die heitern Tage: daß es gut stehe um den Acker [Gottes]. Gepriesen sei Gott, der meine Verbannung zuließ; gepriesen sei er wiederum, der mich zurückrief. Gepriesen sei Gott, der den Sturm zuließ; gepriesen sei Gott, der dem Sturme Halt gebot und heitere Tage folgen ließ. Das sage ich, um euch das Lob des Herrn zu lehren. Hast du Glück gehabt? Preise den Herrn, und das Glück wird von Dauer sein. Hast du Unglück gehabt? Preise den Herrn, und das Unglück nimmt ein Ende. So hat auch Job dem Herrn gedankt, als er reich war, und ihn gepriesen, nachdem er arm geworden war. Als reicher Mann hat er sich an Niemand vergriffen, als armer hat er nicht gelästert. Die Zeiten änderten sich, seine Gesinnung blieb dieselbe. Seht den wackern Steuermann, den weder die Ruhe und Heiterkeit des Wetters saumselig macht noch der Orkan in die Tiefe versenkt! — Gott sei gepriesen! Das galt damals, als ich von euch getrennt ward; Das gilt jetzt, wo ich euch wieder gefunden habe. Denn das Eine wie das Andere verdanken wir seiner liebevollen Vorsehung. Getrennt war ich von euch dem Leibe nach, aber nicht getrennt von euren Herzen. Seht doch, was die Nachstellungen unserer Feinde zu Stande gebracht haben! Sie haben eure eifrige Liebe zu mir erhöht; ja es ist, als hätten sie einen Liebestrank vertheilt und mir tausend Herzen gewonnen. Denn vordem liebten mich die Meinigen, jetzt aber ehren mich auch die Juden. Sie hatten darauf gerechnet, mich den Meinigen zu entfremden; statt dessen haben sie Fremde für mich gewonnen. Aber ihnen danke ich nicht; nein ich danke dem Herrn, daß er ihre Bosheit zu unserer Ehre gewendet hat. So haben auch die Juden unsern Herrn gekreuzigt — und die Welt war gerettet; dafür danke ich aber nicht den Juden, sondern dem Gekreuzigten. Sie sollen die Werke des Herrn sehen: welchen Frieden und welche Ehre uns ihre Nachstellungen verschafft haben! Früher war nur die Kirche [mit Gläubigen] gefüllt; jetzt ist auch der Markt zur Kirche geworden: ich sehe Kopf an Kopf von da bis hierher. Niemand hat eure andächtige Versammlung unterbrochen; Alle in tiefem Schweigen, Alle voll Reue und Zerknirschung. Die Einen sangen Psalmen, die Andern priesen die Sänger glücklich. Heute ist Pferderennen; aber Niemand ist dabei, Alle sind zur Kirche geströmt. In der That, wie ein mächtiger Strom ist eure Menge geworden, und wie ein Brunnen eure Stimmen, die zum Himmel steigen und die Liebe zu eurem Vater beweisen. Prächtiger als ein Diadem schmücken mich eure Gebete, ihr Männer und Weiber insgesammt! Denn „in Christo Jesu ist nich Mann noch Weib“. Wie soll ich erzählen die Macht des Herrn? Ihr wißt, wie wahr es allezeit ist, was ich jetzt sage: Wenn man die Anfechtung muthvoll aushält, wird man reiche Frucht ernten.

Darum habe ich euch zu den Aposteln [d. h. in die Apostelkirche] gerufen: wir, die Verfolgten, sind zu den Vertriebenen gekommen. Wir hatten Nachstellungen zu erdulden, sie wurden vertrieben. Wir sind zu Timotheus, dem zweiten Paulus gekommen; wir sind zu den Leibern der Heiligen gekommen, die Christi Wunden getragen haben. Du wirst nie eine Anfechtung fürchten, wenn du nur von hochherziger Gesinnung bist. Auf diesem Wege sind alle Heiligen zu ihrer Krone gelangt. Der Leib litt unter schwerer Drangsal; doch größer war der ruhige Friede der Seele. Daß ich doch immer in Trübsal wäre! So freut sich ja auch der Hirte, wenn er sich für seine Schafe plagt. Was soll ich sagen? Wo soll ich den Samen [des göttlichen Wortes] ausstreuen? Ich sehe nirgends leeres Ackerland. Wo soll ich arbeiten? Ich sehe nirgends einen schutzbedürftigen Weinstock. Wo soll ich bauen? Der Tempel ist fertig. Die Netze reissen von der großen Zahl der Fische. Was soll ich thun? Ich sehe nirgends Arbeit. Darum halte ich meine Ermahnung nur zum Zeichen meiner aufrichtigen Liebe gegen euch, nicht aber, als ob ihr die Ermahnung nothwendig hättet. Allenthalben prangen reife Ähren. So viele Schafe, und nirgends ein Wolf! So viele Ähren, und nirgends Dornen! So viele Weinstöcke, und nirgends ein Fuchs! Die reissenden Thiere sind in’s Meer gestürzt, die Wölfe entflohen. Wer hat sie verfolgt? Nicht ich, nicht der Hirt, sondern ihr, die Schafe! Wahrlich, Das sind Schafe von guter Art! Sie haben den Wolf verjagt, während der Hirt nicht zur Stelle war. O schöne Braut! sage ich lieber: o treue und keusche Braut! Sie hat die Ehebrecher verjagt, und Das in Abwesenheit des Bräutigams. O wie schön, wie keusch ist diese Braut! Sie zeigte ihre Schönheit unverschleiert und zeigte ihre Würde. Wodurch hast du denn die Ehebrecher verjagt? Durch die Liebe zum Bräutigam. Wodurch hast du die Ehebrecher verjagt? Durch ausserordentliche Treue und Keuschheit. Ich habe, spricht die Braut, keine Waffen, keinen Speer und Schild zur Hand genommen; ich habe ihnen meine Schönheit gezeigt, und sie konnten den Glanz nicht ertragen. Wo sind jetzt die Verführer? Begraben in Schmach und Schande. Und wo sind wir? In großer Freude. Der Kaiser ist mit uns; die Fürsten sind mit uns. Was soll ich vorbringen? was soll ich sagen? „Hinzufügen möge der Herr [zu seinem Segen] über euch und über eure Kinder“ und euren Eifer in seine Netze fangen. Hier wollen wir schließen, Dank sagend für Alles dem gütigen Gott, dem da Ehre ist in Ewigkeit. Amen.

Rede an Eutrop

 

Einleitung

Vorbemerkung.

 

Eutropius war Oberkämmerer und allvermögender Günstling des Kaisers Arkadius. Durch seine Habsucht und Ungerechtigkeit, besonders auch durch Schmälerung der kirchlichen Gerechtsame zog er sich den Haß des Volkes zu. Die verdiente Strafe für seine Frevel ereilte ihn im Jahre 399, als der Gothenfürst Tribigild mit seinen wilden Kriegern in Kleinasien Schrecken verbreitete und nur dann die Waffen niederlegen zu wollen erklärte, wenn ihm Eutrop ausgeliefert würde. Der Kaiser von allen Seiten gedrängt, gab den Günstling preis: er entsetzte ihn aller Aemter und Würden und hieß ihn sein Angesicht meiden. Jetzt durchbrach die Wuth des Volkes ihre Schranken sie ließ sich aus in wildem Geschrei, in lautem Hohn, in zahlosen Verwünschungen und Drohungen. In dieser äussersten Noth floh der unglückliche in die Kirche, deren Asylrecht gerade er durch gesetzliche Mittel eingeschränkt, vielleicht aufgehoben hatte. Chrysostomus war es, der sich seiner annahm: er wies die Soldaten ab, die ihn im Auftrage des Kaisers am Altare gefangen nehmen sollten; er beredete den Kaiser, von dieser Forderung abzustehen, und hielt am folgenden Tage vor dem in der Kirche versammelten Volke, während Eutrop sich noch immer an den Altar festklammerte, die nachstehende ergreifende Anrede — ein wahres Wunder von Beredsamkeit. Sein Wort siegte: der Unwille des Volkes ward beschwichtigt, die Zuhörer zerfloßen in Thränen.

Einige längere Stellen aus dieser Rede finden sich in Stollberg’s Geschichte der Religion Jesu Christi — eine willkommene Erleichterung für den Uebersetzer.

Inhalt.

1. Über die Hinfälligkeit des Erdenglücks, mit besonderer Beziehung auf die elende Lage des Eutrop; Schilderung seines allerdings verdienten Unglücks.
2. Daß die Kirche ihm ihren Schutz nicht versagt, ist ganz recht und gereicht ihr zur höchsten Ehre.
3. Reiche und Arme sollen aus diesem Anblick die heilsamsten Lehren ziehen.
4. Wie der Kaiser dem Unglücklichen schon verziehen hat, so müssen auch wir verzeihen — als Jünger des Gekreuzigtem und Theilnehmer an den heiligen Geheimnissen.

Aufforderung, das Unglück des Eutrop thunlichst zu leichtern.

Text

 

Rede an den Eunuchen, zugleich Patrizier und Konsul Eutropius. Zu allen Zeiten, besonders aber jetzt, ist es ein Wort zu seiner Stunde geredet, wenn man sagt: „Eitelkeit der Eitelkeiten, und Alles ist Eitelkeit.“ Wo sind jetzt die prächtigen Konsulatsgewänder und die strahlenden Fackeln? wo die Beifallsrufe, die Tänze, die Gastgelage, die festlichen Zusammenkünfte, die Blumenkränze, die kostbaren Teppiche und Vorhänge? Und das Freudengeschrei der ganzen Bürgerschaft, die jauchzenden Zurufe bei den Cirkusspielen, die Schmeichelworte des zuschauenden Volkes — wo ist Das alles geblieben? Das alles ist dahin. Urplötzlich hat sich ein Sturm erhoben, hat den Baum entblättert, seines Schmuckes beraubt, bis in seine Wurzeln erschüttert — so steht er jetzt vor unsern Augen. Mit solcher Gewalt hat ihn der Sturm erfaßt, daß er den Baum mit der Wurzel auszureissen drohte und ihn zittern machte bis in seine innersten Fasern. Wo sind doch jetzt die falschen Freunde, die Trinkgelage und Gastereien, die Menge der feilen Zecher, die Ströme ungemischten Weines, die vom Morgen bis zum Abend floßen, und die Köche mit ihren zahllosen Künsten und jene Anbeter der Gewalt, die in allen Worten und Werken nur um den Beifall des mächtigen Gönners buhlten?

Nacht war Das alles und Traum; es tagte — da schwand es; Blumen des Lenzes; der Lenz verging — sie welkten allzumal; ein Schatten — er ging vorüber; ein Rauch — er zertheilte sich; — Wasserblasen waren es — sie platzten; ein Spinngeweb — es zerriß. Darum hören wir nicht auf, euch dieses Wort des heiligen Geistes zuzurufen: „Eitelkeit der Eitelkeiten! Und Alles ist Eitelkeit.“ Dieses Wort müßte immerdar geschrieben stehen auf den Wänden, auf den Kleidern, auf dem Markte, auf den Häusern, auf den Wegen, auf den Thüren, auf den Vorhöfen, vor allen Dingen aber in der Seele eines Jeden, um unaufhörlich beherzigt zu werden. Weil der Dinge täuschender Schein und ihre trügerische Aussenseite den meisten Menschen für Wahrheit gilt, so sollte Tag für Tag, bei der Abendmahlzeit, beim Frühmahl, bei geselligen Zusammenkünften, Jeder seinem Nächsten dieses Wort zurufen und von dem Nächsten wieder hören: „Eitelkeit der Eitelkeiten! Und Alles ist Eitelkeit!“ Sagte ich dir nicht fort und fort, daß der Reichthum flüchtig und vergänglich ist? Du aber konntest meine Worte nicht ertragen. Sagte ich dir nicht, daß der Reichthum ein undankbarer Hausgenoß ist? Du aber wolltest nicht hören. Sieh’, jetzt lehren dich die Thatsachen, lehrt dich die eigene Erfahrung, daß der Reichthum nicht bloß flüchtig, nicht bloß undankbar, sondern auch ein wahrer Mörder ist; denn der Reichthum trägt die Schuld, daß du jetzt in Furcht und Zittern da stehst.

Als du mich unaufhörlich schmähtest, weil ich dir die Wahrheit sagte, habe ich dir da nicht auch gesagt, daß ich dich mehr liebte, als dich deine Schmeichler lieben? Daß ich, der strenge Tadler, mehr Sorge um dein wahres Wohl trage als die willfährigen, die angenehmen Gesellschafter? Habe ich nicht hinzugefügt, daß Wunden von Freundeshand mehr Vertrauen verdienen als unerbetene Küsse von Feinden? Hättest du dir von mir die Wunden gefallen lassen, dann hätten dir die Küsse der Feinde nicht dieses tödtliche Leid angethan. Denn jene Wunden bringen Heil und Gesundheit, diese Küsse dagegen haben dich in eine unheilbare Krankheit gestürzt. Wo sind jetzt die lustigen Zecher? Wo sind jene Elenden, die sich auf dem Forum breit machten und bei Jedermann in allen Tonarten dein Lob sangen? Sie haben sich aus dem Staube gemacht; sie haben die Freundschaft verleugnet und benutzen deine tödtliche Angst, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. So machen wir es nicht. Wie uns dein Unwille nicht verscheucht hat, so soll jetzt dein Sturz uns nicht hindern, dir unsere Sorge und Pflege zu widmen. Einst hast du die Kirche befehdet; sie ist es jetzt, die dich an ihrem Busen birgt. Für die Schauspielhäuser hast du gut gesorgt (und hast mir manchmal um ihretwillen gezürnt!) —und sie haben dich jetzt preisgegeben und zu Grunde gerichtet. Und doch haben wir nicht aufgehört dir zu sagen: Warum thust du Das? Warum wüthest du gegen die Kirche und stürzest dich selbst kopfüber in’s Verderben? Du warst taub für alle meine Worte. Jetzt ist durch die Cirkusspiele, die einst an deinem Reichthum zehrten, gegen dich das Schwert geschärft; die Kirche aber, an der du so unzeitig deinen Grimm ausließest, eilt aller Orten herbei, um dich den Schlingen zu entreissen.

Mit diesen meinen Worten will ich wahrlich den Gestürzten nicht verhöhnen, sondern nur die aufrecht Stehenden vor dem Falle sichern. Ich will keineswegs seine Wunden noch weiter aufreissen, sondern nur die Unverwundeten in ihrem heilen und gesunden Zustand bewahren. Ich will keineswegs den armen Schiffbrüchigen vollends versenken, sondern nur Diejenigen, die mit günstigem Fahrwind segeln, dem Schiffbruch entgehen lehren. Wie soll Das denn geschehen? Indem wir den Wechsel der menschlichen Geschicke erwägen. Hätte dieser Mann hier den Wechsel gefürchtet, so würde er den Wechsel nicht an sich erfahren haben. Indessen, wollte er von Besserung Nichts wissen und sich weder aus eigenem Antrieb noch auf Zureden eines Andern dazu entschließen, so laßt ihr wenigstens, die ihr jetzt mit eurem Reichthum groß thut, sein Unglück euch zum Heile dienen.

Nichts ist so hinfällig als Erdenglück. Nennt es nach seinem Unwerth, wie ihr wollt — Rauch oder Gras oder einen Traum oder eine Blume des Frühlings oder wie immer — ihr werdet allemal noch hinter der Wahrheit zurückbleiben. So vergänglich ist das Glück, so nichtig über alle Nichtigkeit hinaus. Daß es aber bei seiner Nichtigkeit auch ausserordentlich gefährlich ist, Das seht ihr heute klar vor Augen. Denn wer stand höher als dieser Mann? Besaß er nicht die meisten Reichthümer von allen Menschen auf Erden? War er nicht his zur höchsten Stufe der Ehren und Würden emporgestiegen? Stand nicht Jedermann vor ihm in Furcht und Zittern? Und sieh! jetzt ist er elender geworden als ein Gefesselter, unglücklicher als ein Sklave ärmer als ein von Hunger gepeinigter Bettler. Denn er sieht Tag um Tag das scharfe Schwert gegen sein Haupt gezückt, sieht den jähen Abhang, die Henker und den Gang zur Richtstätte unanfhörlich vor Augen. Hat er jemals die Freuden dieses Lebens genossen, davon weiß er jetzt Nichts mehr. Ihm leuchtet nicht einmal der Strahl der Sonne; denn die Angst vor den Umstehenden verdunkelt seine Augen und hüllt ihn mitten am Tage in finstere Nacht. Doch ich mag mich noch so sehr bemühen, unmöglich können meine Worte euch einen Begriff von den Leiden geben, die auf diesem Manne lasten müssen, der stündlich seinen Tod erwartet. Wozu bedarf es auch meiner Worte, da ihr an ihm selbst das leibhaftige Bild dieses Jammers seht? Als gestern aus dem kaiserlichen Palast die Boten kamen, um ihn mit Gewalt hinwegzuschleppen, und als er sich in das Heiligthum geflüchtet hatte, da war sein Angesicht — wie auch jetzt ganz leichenblaß; seine Zähne klapperten, sein ganzer Leib erzitterte; seine Stimme war tonlos, seine Zunge gelähmt, und in seinem ganzen Äussern gab sich die [vom Schrecken] versteinerte Seele kund.

Auch Das sage ich nicht, um ihn zu schmähen und seines Unglücks zu spotten, sondern um eure Herzen zu erweichen und zum Mitleid zu bewegen, damit ihr euch an dieser bis jetzt schon erstandenen Strafe genügen lasset. Weil es nämlich viele unbarmherzige Menschen unter uns gibt, die gleicher Weise auch mir zum Vorwurf machen, daß ich ihm den Zutritt zum Altare nicht verwehrt habe, darum stelle ich euch die Größe seiner Leiden recht vor Augen. So hoffe ich durch meine Rede ihren harten Sinn zu erweichen. Warum zürnst du denn, mein Freund? Weil Derjenige, sagst du, in der Kirche Zuflucht fand, der die Kirche unaufhörlich angefeindet hat. Dafür gerade gebührt Gott dem Herrn Lob und Dank, daß er ihn in eine Noth gerathen ließ, in welcher er die Macht und zugleich die Menschenfreundlichkeit der Kirche kennen lernt: ihre Macht, weil sein Krieg gegen die Kirche diesen jähen Schicksalswechsel verschuldet, und ihre Menschenfreundlichkeit, weil sie, die er befehdet hat, ihn jetzt mit ihrem Schilde deckt, ihn unter ihre schützenden Fittige genommen und ihm volle Sicherheit gewährt hat, nicht gedenkend der frühern Beleidigungen, sondern ihm den Schooß der Mutterliebe öffnend mit großer Zärtlichkeit. Das ist es, was ihr hellern Glanz verleiht als erbeutete Waffen; das ist ein überaus ruhmvoller Sieg. Dieser Sieg beschämt die Heiden, macht die Juden zu Schanden und offenbart die Huld ihres Angesichtes, indem sie des gefangenen Feindes schont, indem sie allein, während sich Niemand des Verlassenen annimmt, wie eine liebende Mutter ihn unter ihrem Schleier birgt und hintritt zwischen ihn und des Kaisers Zorn und des Volkes Haß und unerträglichen Grimm. Das ist eine wahre Zierde für den Altar! Wie? sagt man, das wäre eine Zierde, daß ein schuldbeladener, ein habsüchtiger, ein mit Raub befleckter Mensch den Altar umfaßt? Doch, so sprich nicht! Hat denn nicht auch die Buhlerin, das lasterhafte, fluchbeladene Weib, die Füße des Herrn berührt? Das gereicht dem Heiland nicht zum Vorwurf; das war ein Wunder seiner Liebe, wofür ihm großes Lob gebührt. Die Unreine hat den Reinen nicht befleckt, sondern er, der Reine und Tadellose hat die schuldbeladene Buhlerin durch diese Berührung gereinigt. O Mensch! sei nicht eingedenk des erlittenen Unrechts! Wir sind ja Knechte des Gekreuzigten, der da sprach: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“

Aber Dieser, sagt man mir, hat jene Freistätte durch seindselige Erlasse und Gesetze verschlossen! Nun ja! Sieh, er ist jetzt durch seine eigene Erfahrung recht inne geworden, was er gethan hat, und er ist der Erste, der dieses Gesetz durch die That vereitelt. Er ist jetzt ein Schauspiel für die Welt geworden, und in seinem Schweigen ruft er Allen die Warnung zu: Thuet doch nicht wie ich, auf daß ihr nicht leiden müsset wie ich! Ihn macht sein Unglück zum Lehrmeister. Von großem Glanze erstrahlt der Altar, der heute mehr als je furchtbar und zugleich herrlich erscheint, indem der Löwe gefesselt zu seinen Füßen liegt. So ist es ja auch für das Bild des Kaisers eine große Zierde, nicht bloß, wenn der Kaiser, bekleidet mit Purpur und Krone, auf seinem Throne sitzt, sondern auch, wenn ihm zu Füßen Barbaren im Staube liegen, die Hände auf den Rücken gefesselt, das Haupt zu Boden geneigt. Obgleich kein Wort zur Überredung und Rührung der Herzen von ihm [Eutrop] ausgegangen, seid ihr heute Zeugen einer allgemeinen Bewegung, einer zahlreichen Versammlung. Dieser Tag gewährt einen großen Anblick; unsere Versammlung ist wahrhaft glänzend. Wie am heiligen Osterfeste, so viel Volk sehe ich auch jetzt hier zusammen. So hat er euch in seinem Schweigen alle zusammengerufen; denn die Stimme seines Unglücks tönt mächtiger als der Schall einer Posaune. Jungfrauen und Matronen haben ihre Frauengemächer, Männer die öffentlichen Plätze verlassen, und ihr seid alle hiehergeeilt, um die Hinfälligkeit der Menschennatur vollständig bloßgestellt, die Vergänglichkeit des Erdenglückes ganz und gar enthüllt zu sehen und um dieses Glückes buhlerisches Angesicht zu schauen, das noch gestern und ehegestern in falscher Schönheit prangte! In der That, häßlicher als das runzeligste alte Weib ist das Glück, das aus ungerechtem Gute stammt. Hier könnt ihr sehen, daß der Wechsel des Schicksals wie mit einem Schwamme die Schminke und die erlogene Schönheit hinweggewischt hat!

Eine solche Gewalt ist diesem Unglück eigen, daß es den angesehenen, den hochberühmten Mann bis unter den geringsten der Menschen erniedrigt hat. Daraus sollen Reiche sowohl als Arme, die hier erscheinen, großen Nutzen ziehen. Sehen die Reichen diesen Mann, der einst die ganze Welt zu erschüttern wußte, jetzt von dieser gewaltigen Höhe herabgestürzt, tief gedemüthigt, furchtsam gleich einem Hasen oder Frosch, an diese Säule gefesselt ohne Ketten, von Angst zusammengeschnürt wie von starken Banden, zagend und zitternd — dann wird dieser Anblick ihren Hochmuth bändigen, ihrem stolzen Sinne Schranken setzen; und wenn sie von dannen gehen, werden sie über menschliche Größe so denken, wie sich geziemt, und werden durch die Macht der Thatsachen gelernt haben, was die heilige Schrift in diesen Worten lehrt: „Alles Fleisch ist Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie die Blume des Grases. Es dorret das Gras, und die Blume fällt ab;“ und was sie an einer andern Stelle lehrt: „Schnell wie Gras vergehen sie und schwinden hin wie grünend Kraut. Seine Tage sind wie Rauch;“ und ähnlich lauten viele andere Stellen.

Der Arme aber wird nach diesem Anblick sein Loos nicht mehr gering achten und über seine Armuth nicht mehr klagen. Nein, er wird sogar seiner Armuth Dank wissen, weil sie ihm eine Freistätte ist, ein Hafen, der gegen tosende Fluthen sichert, und eine feste Burg; und vielmal würde er, wenn er zu wählen hätte, lieber arm bleiben, wie er ist, als für eine kurze Frist alle Reichthümer annehmen und dann später seines Lebens nicht mehr sicher sein. Seht ihr’s nun? Ist es nicht ein großer Gewinn für Reiche und Arme, für Hochgestellte und Geringe, für Sklaven und Freie, daß dieser Mann hier seine Zuflucht gesucht und gefunden hat? Seht ihr’s nun? Hat nicht ein Jeder an diesem Anblick eine wahre Arznei, die er von hier mitnimmt, und die für sich allein im Stande ist, ihn zu heilen?

Habe ich eure leidenschaftliche Aufwallung besänftigt? euren Zorn ausgetrieben? eurer Unmenschlichkeit Einhalt gethan? euch zum Mitleid bewegt? Ja, so scheint es mir. Das sagen mir eure Mienen und die Ströme von Thränen. Ist nun der Stein gutes und fruchtbares Erdreich geworden, wohlan, so laßt uns auch hervorbringen die Frucht der Erbarmung und, die Ähre des Mitleids darhaltend, vor dem Kaiser niederfallen oder vielmehr den menschenfreundlichen Gott anflehen, daß er sänftige des Kaisers Zorn und erweiche sein Herz, auf daß er uns vollkommene Erhörung gewähren wolle. Es hat sich nämlich seit dem [gestrigen] Tage, wo dieser Mann hier am Altare seine Zuflucht suchte, schon Vieles geändert. Der Kaiser vernahm, daß der Unglückliche sich an diese Freistätte geflüchtet hatte; aber die Soldaten, voll Zorn über sein Vergehen, forderten in Gegenwart des Kaisers seinen Tod. Da hat ihnen der Kaiser lange und eindringlich zugeredet, um den Grimm der wilden Krieger zu besänftigen. Er verlangte von ihnen, sie sollten sich nicht bloß der Frevel, sondern auch der etwaigen Verdienste des unglücklichen Mannes erinnern, und indem er aus seinem Dank für die letztern kein Hehl machte, ließ er wegen der Beleidigungen im Gedanken an die menschliche Schwachheit Nachsicht und Verzeihung walten. Als sie aber von Neuem und mit heftigerm Ungestüm Rache für die beleidigte Majestät des Kaisers forderten, schreiend, stampfend, auf seinem Tod bestehend, die Lanzen schwingend: da ergoß sich aus seinen mildesten Augen ein Strom von Thränen; er erinnerte sie an den heiligen Altar, bei dem der Flüchtling Schutz gesucht, und so besänftigte er ihren Zorn.

Was an uns ist, laßt uns denn auch dazu thun! Denn wenn ihr, obgleich euch dieser Mann Nichts zu Leide gethan hat, eine solche Wuth zur Schau tragt, während der schwer beleidigte Kaiser das erlittene Unrecht vergessen will, habt ihr dann wohl selbst Verzeihung [von Gott dem Herrn] verdient? Wie werdet ihr dann nach diesem Schauspiel den heiligen Geheimnissen nahen können? Wie werdet ihr jenes Gebet sprechen können, in dem wir sagen müssen: „Vergib uns, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“? Könnt ihr so beten, wenn ihr für eure Schuldner Strafe fordert? Er hat, sagt ihr, schweres Unrecht begangen, große Beleidigungen zugefügt. Ich leugne es nicht. Aber es ist jetzt nicht die Zeit des Gerichtes, sondern des Mitleids, nicht der Rechenschaft, sondern der Menschenfreundlichkeit, nicht der peinlichen Untersuchung, sondern der Verzeihung, nicht des Strafurtheils, sondern der Erbarmung und Liebe. Daß sich also Niemand mehr von Zorn und Unwillen beherrschen lasse! Flehen wir lieber zum gütigen Gott, er möge ihm die Lebensfrist verlängern und ihn dem angedrohten Tode entreissen, auf daß er seine Sünden wieder gut mache! Laßt uns dann gemeinsam vor den huldvollen Kaiser hintreten, mit der Bitte, daß er zu Gunsten der Kirche und des Altars, um dieses heiligen Tisches willen diesem einen Manne das Leben schenke. Wenn wir Das thun, dann wird der Kaiser uns willfahren und überdieß auch Gott der Herr noch vor dem Kaiser unsern Entschluß billigen; ja er wird uns für diese Liebe zu unserm Mitmenschen reichlich belohnen. Denn wie er sich von dem hartherzigen, erbarmungslosen Menschen voll Abscheu hinwegwendet, so kommt er dem mitleidigen, barmherzigen liebevoll entgegen. Wenn ein solcher schon zu den Gerechten gehört, wird der Herr ihm eine noch glänzendere Krone bereiten; und gehört er zu den Sündern, so wird ihm der Herr — zum Lohn für die Barmherzigkeit gegen den Mitknecht — seine Sünden verzeihen. Denn er sagt: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.“ Das ist es, was er immer und allenthalben in der heiligen Schrift von uns fordert, und das ist die Bedingung, an die er auch die Nachlassung der Sünden knüpft. Dadurch werden auch wir ihn gnädig stimmen, dadurch unsere Vergehungen büßen und der Kirche zur Zierde gereichen. Dann wird uns, wie ich eben sagte, auch der menschenfreundliche Kaiser loben, das ganze Volk wird uns Beifall zollen, bis zu den Enden der Welt wird man die Menschenfreundlichkeit und Milde dieser Stadt bewundern, und allenthalben auf Erden, wo man Das von uns hört, wird man unser Lob verkünden.

Auf daß wir nun dieser so großen Güter und Gnaden theilhaft werden, laßt uns auf die Kniee fallen, beten und flehen! Laßt uns der Gefahr entreissen den Gefangenen, den Flüchtling, den Flehenden, damit wir auch den Lohn im andern Leben empfangen mögen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem da ist Herrlichkeit und Macht, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

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