Rede über die Gottesfurcht und den jüngsten Tag

Von Ephräm d. Syrer (373)

Der Weisheit Anfang ist in Wahrheit die Furcht des Herrn, und der ist weise, der sich vor dem Herrn fürchtet. Wer Gott fürchtet, hält alle seine Gebote und tut allen seinen Willen und vollzieht alle seine Worte. Erwirb dir denn die Furcht Gottes, liebe seine Zucht und Weisheit! Umfasse und liebe sie; denn sie wird dich mit der Krone des Lebens krönen! Die Furcht Gottes ist der Anfang jeder Art Weisheit, und wo sie nicht ist, wird gar nichts Gutes gefunden. Der Weg des Herrn ist gut, auf ihm wandeln die Weisen; wer aber nicht darauf wandelt, irrt in allem Bösen herum. Die Weisen weichen vom Worte aus dem Munde des Herrn nicht ab; denn es ist eine Quelle alles Guten, die sich in Fülle aus seinen Lehren ergießt. Liebe die Furcht Gottes und wandle ohne Makel auf seinem Wege, so findest du die Pfade des Lebens, die dich ins Himmelreich führen.

Einem Diener, der sich vor seinem Herrn fürchtet und in allem seinen Willen tut, gibt dieser Gewalt über sein Reich und macht ihn zu seinem Hausverwalter Wer sich vor dem Herrn fürchtet und alle seine Gebote hält, dem gibt er über all das Seinige Macht und teilt ihm allen seinen Reichtum mit. Moses war ein eifriger Diener, er fürchtete sich sehr vor Gott. Der Herr machte ihn zu seinem Hausverwalter und vertraute seiner Hand alle seine Schätze an. Er unterwarf die Welt seinem Joche, und die Elemente wurden ihm untertan. Wohin er immer seinen Blick wandte, wurden die Geschöpfe von Schauder ergriffen. Er machte ihn zum Herrn und Gebieter und nannte ihn sogar Gott, so daß er Zeichen und Wunder wie der wahre Gott wirkte. Da er aus Ägypten zog, tanzten die Berge vor ihm, und die Hügel hüpften frohlockend auf, um seinen Auszug festlich zu feiern. Das Meer erbebte vor ihm, und sich teilend bahnte es eine Straße in seinem Schoße. Wie eine Mauer standen die Gewässer, damit der Hirte und seine Herde durchziehen könnten. Josue, der Sohn Nuns, sein Jünger, war gleichfalls voll Gottesfurcht und teilte den Fluß Jordan, um das Volk in das Erbe hineinzuführen. Er ließ über die ummauerte Stadt ein Geschrei erheben, und sie stürzte über ihren Bewohnern zusammen. Er schalt den schnellen Umlauf der Himmelssphäre, und sie stand plötzlich still. Er hemmte die zwei großen Wagen der Sonne und des Mondes, weil es ihn drängte, an den Feinden Gottes Rache zu nehmen. Er gebot der Höhe, und sie hörte auf ihn und schleuderte Hagelsteine auf die Kananiter herab, um sie zu erschlagen, damit sie seinem Schwerte nicht entrannen. Elias, der Wundermann, von Eifer entflammt und von Gottesfurcht entzündet, die Gottlosen zu vertilgen, gebot wie Gott dem Himmel, und dieser hörte auf sein Wort: „Sende weder Regen noch Tau hernieder, bis ich es befehle!“

Weil diese hl. Männer sich vor Gott fürchteten, fürchteten sich die Geschöpfe vor ihnen und unterwarfen sich ihrem Befehle. Sie waren eine Wohnung für Gott, daß er in ihnen weilte und wohnte, und die Geschöpfe sahen seine hehre Macht und fürchteten sich vor ihnen. Wer nämlich Gott fürchtet, vor dem fürchten sich auch die Geschöpfe, und wenn er die Gebote Gottes hält, dann halten sie sein Gebot. Himmel und Erde, Meer und Licht und alles darin gehorchen jenem, der die Furcht Gottes in seinem ganzen Herzen trägt. Wer sich vor dem Herrn fürchtet, ist über jede andere Furcht erhaben und läßt alle Schrecknisse der Welt weit hinter sich zurück. Fern ist er von aller Furcht, keine Angst naht ihm jemals, wenn er sich vor Gott fürchtet und alle seine Gebote beobachtet. „Ich habe den Herrn vor Augen, auf daß ich mich weder fürchte noch wanke“, sprach David, der voll Gottesfurcht war. Wie ein Ziel und Absehen stellte er sich Gott vor Augen, und darum sagte er: „Ich fürchte mich nicht und wanke nicht.“ Weder vor den Schrecknissen der Welt, noch vor den Furchterregungen seitens des Teufels fürchtet oder ängstigt sich, wer Gott fürchtet. Vor dem, der sich vor dem Herrn fürchtet, fürchtet sich Satan, und seine Heere erbeben vor dem, der die Gebote hält. Den Tod, welcher jedem Menschen entsetzlich ist und vor dem die Sterblichen zittern, sieht derjenige, welcher sich vor Gott fürchtet, für ein Freudenmahl an. Der Tod fürchtet sich, jenem zu nahen, der sich vor Gott fürchtet, und bevor es ihm nicht geboten wird, kommt er nicht, seine Seele von seinem Leibe zu trennen.

Wenn die Gottesfurcht [in einer Seele]) herrschend wird, macht sie mit sich auch die Demut herrschen. Dann läßt sich Gott herab und nimmt in der Seele seine Wohnung, bleibt in ihr, weilt in ihr, ist sozusagen ihr Hüter und vertreibt aus ihr alle Schrecknisse. Die Seraphim zittern vor seinem Glanze, und die Cherubim erbeben vor ihm. Zeigt er sich seinen Geschöpfen, so verschwinden sie wie Rauch, und wenn er den Welten seine Gewalt kundtut, entbrennen sie wie Stoppeln und vergehen; welche Furcht aber kann in den kommen und welcher Schrecken dem nahen, in dessen Seele Gott sich niedergelassen hat und darin als Einwohner weilt? Nur weil wir die Furcht Gottes, vor dem alles angstvoll zittert, verlassen haben, fürchten wir uns vor den Tieren, die unserem Joche unterworfen sind, vor den Tieren, die unser Schöpfer uns vom Anfang an unterjocht und gegeben hat, nicht damit wir uns vor ihnen fürchten, sondern daß sie vor uns erbeben, „Furcht und Schrecken vor euch befalle die ganze Schöpfung!“ So sprach Gott schon anfangs zu dem Menschen; allein wir haben die schöne Ordnung verkehrt, so daß wir uns vor ihnen fürchten und vor ihnen fliehen, weil wir die Furcht Gottes verloren haben. Weil wir uns vor Gott nicht fürchten, daher kommt es, daß wir uns vor den Tieren fürchten, und weil wir seine Gebote nicht beobachten, darum jagen uns sogar Käfer Schrecken ein. Aus Furcht fliehen wir häßliches und abscheuliches Gewürm, das wir mit Füßen zu treten geheißen sind, und erschaudern davor voll Schrecken. Vor der verfluchten Schlange fürchtest du dich, aber vor Gott fürchtest du dich nicht! Vor einem Skorpion weichst du entsetzt zurück, aber vor dem Worte Gottes zitterst du nicht! Ein Kamel erregt dir Furcht, ein Löwe jagt dir Angst ein, vor einem Bären, Panther, Hund fliehst du erschrocken und von Schauder ergriffen, [aber vor Gott fürchtest du dich nicht!].

Die Furcht vor Gott fesselte in der Grube die Löwen, die mit dem Gerechten [Daniel], der Gott fürchtete, dort eingeschlossen waren. Wie Eisen war der Körper jenes Heiligen für ihre Zähne, und weil er voll Gottesfurcht war, zähmte er die Verderber. Den herrlichen und schönen Jünglingen, die aus Gottesfurcht die Furcht vor dem Könige verachteten und das tote Bild verspotteten, machte sie [die Gottesfurcht] das Feuer, dessen Flammengewalt jedem Nahenden schrecklich war, zu einem betauten Arme, sie zu umfangen und zu küssen. Gleich einer zärtlichen Mutter, die ihre Kinder umarmt und küßt, umfing und küßte die Flamme die Jünglinge. Sie löste ihnen ihre Fesseln, weil sie die Macht ihres Herrn an ihnen sah, hielt ihre Glut von ihnen zurück und beschützte sie mit Tau. Weder Wasser noch Feuer, weder Tiere noch ganze Völker: nichts gibt es, was jenen, die Gott fürchten, Furcht einflößen würde. Wer sich vor Gewässern fürchtet, der denke an den großen Moses, den das große Meer nicht erschreckte, sondern beim Durchzuge verherrlichte. Wer sich vor dem Feuer fürchtet, der schaue auf die Jünglinge im Ofen, die das Feuer nicht erschreckte, sondern mit seinen Flügeln liebkoste. Wer sich vor den Tieren fürchtet, der blicke auf den Gerechten in der Grube, der die Löwen so zahm wie unschuldige Lämmer machte. Wer vor Völkern bebt, die mordlustig nach Krieg dürsten, der liebe das Gebet des Ezechias, das viele Tausende niederstreckte. Die Märtyrer fürchteten sich nicht vor dem Feuer und bebten nicht vor seiner Glut zurück. Weder Leiden noch Drangsale, weder Schwerter noch Sägen erschreckten sie. Nichts gibt es, was über die Furcht Gottes den Sieg davonzutragen vermöchte. Alle Leiden und Todesarien besiegt sie. Ja, gar nichts gewinnt über sie den Sieg, weil sie mit großer Kraft gegürtet ist. Die Furcht gleicht der Liebe, die Liebe gleicht der Erbarmung, und diese drei Tugenden bilden eine Wohnung für Gott.

Wer sich vor Gott fürchtet, für den ist es unmöglich, eine Sünde zu begehen, und wenn er seine Gebote beobachtet, dann ist er fern von allem Bösen. Wer Sünde tut, von dem ist Gott fern, und daher erfüllt ihn der Böse mit Furcht, und er lebt nur mehr in Angst. Weil wir die Furcht Gottes des Allerhöchsten verlassen haben, ist die Sünde mit ihren Schrecknissen eingedrungen und verursacht Zittern und Beben. Wer Sünde verübt, von dem fordert sie Furcht, daß er sich vor ihr scheue und sie [die Sünde] zu verbergen suche, weil sie ein tödliches Gift ist. Die Sünde bringt Furcht mit sich, so daß man sie nur heimlich zu begehen wagt; denn sie will sich nicht offenbaren, weil sie häßlich und verderblich ist. Weil sie abscheulich ist, versteckt sie sich, und weil sie ein Gift ist, verbirgt sie sich. Wäre sie nicht so häßlich, so würde sie sich nicht zu verstecken suchen; wäre sie kein Gift, so würde sie sich nicht zu verbergen suchen. Wer Sünde begeht, strebt aus Furcht vor ihr, sie zu verbergen und zu verheimlichen, auf daß ihre Abscheulichkeit nicht ans Licht komme. Sie fürchtet sich vor der Schmach, errötet vor der Schande, schämt sich ihrer Scheußlichkeit und scheut sich, das Licht zu sehen. Einen Menschen mit häßlichem Gesichte mag kein Auge anschauen; wer aber schön von Angesicht ist, wird von jedem Auge mit Wonne betrachtet. Weil die Finsternis sehr häßlich ist, verlangt kein Auge sie zu sehen; jedoch am Anblick des Lichtes kann kein Auge sich satt sehen, weil es so schön ist. Die Sünde schleicht im Finstern umher und flieht vor der Helle; denn wenn sie sich im Lichte zeigen würde, dann würde jedermann vor ihr fliehen. Die Sünde wandelt im Dunkeln und fürchtet sich vor dem leisesten Laute, und wer sie begeht, fürchtet sich sogar vor seiner eigenen Stimme. Wer ein Dieb ist, der spricht nicht laut; und wer ein Ehebrecher ist, der läßt kein Geschrei vernehmen. Der Dieb lispelt nur leise, der Ehebrecher flüstert, der Lüstling bedient sich bisweilen nur eines Winkes mit dem Auge. Er fürchtet seinen eigenen Mund, weil er die Sünde schweigend begehen will, und statt mit Mund und Zunge spricht er mit den Augenbrauen und den Wimpern. Furcht verursacht der Ehebruch dem Ehebrecher, Angst und Zittern bereitet das Stehlen dem Diebe. Vor jeder Sünde, die begangen wird, fürchtet sich ihr Täter; schon das Reden von ihr erregt ihm Besorgnis, sie möchte aufkommen und bekannt werden. Der Tor [der ein Verbrechen begehen will] bebt erschaudernd vor dem Knistern seiner Säume, ja vor seinen eigenen Tritten aus Furcht, ihr Schall möchte gehört und er selbst ertappt, beschämt und beschimpft werden. Erlauscht er irgendeinen Laut, so steht er starr wie ein Stein; bellt etwa ein Hund, so fährt er aus Furcht davor zusammen; regt sich etwas, so ergreift er eilends die Flucht durch das Fenster. Zur Türe geht er nicht hinaus, sondern enteilt über Mauern und Zäune, und ob auch seine Füße wund werden, er merkt es vor lauter Furcht nicht. Der Böse ist in ihn gefahren, haust in seiner Seele und erfüllt ihn mit Schrecken und Schauder; wohin er auch gehen mag, seine Schritte sind voll Aufregungen und Gefahren.

Wenn nun schon das heimliche Begehen der Sünde solche Angst verursacht, welches Entsetzen wird sie erst bewirken, wenn sie ans Tageslicht kommt! Wenn die Sünde schon hier demjenigen, der sie begeht, Furcht einjagt, wie groß wird erst die Furcht sein, die sie ihm verursachen wird, wenn er vor dem Richter stehen wird! Der Dieb und der Ehebrecher schämen sich, wenn nur ein Mensch sie sieht; wie groß wird dann die Beschämung sein, in der sie dastehen werden, wenn Himmel und Erde auf sie blicken werden! Kein einziger Gedanke, der je im Herzen war, bleibt zurück, daß er nicht herausträte; auch nicht einen einzigen Augenblick gibt es, der dort nicht erschiene und vor Gericht stünde. Alles Geflüster und Gelispel schändlicher Leidenschaft wird an jenem Tage vom gerechten Richter, der das Verborgene öffentlich richtet, offenbar gemacht werden, Er ruft Himmel und Erde herbei, um mit ihm zum Gerichte zu kommen. Die Bewohner der Höhe und der Tiefe stehen mit Zittern und Beben da. Die Heerscharen von oben und die Heerscharen von unten erbeben voll Angst vor dem erbarmungslosen Richter, der mit Schrecken und Tod gerüstet dasteht. Der Himmel rollt sich vor Entsetzen zusammen, und die Gestirne fallen von ihm ab wie unreife Früchte vom Feigenbaum und wie Blätter von den Bäumen. Vor Furcht verfinstert sich die Sonne, bebend erbleicht der Mond, die hellen Sterne verdunkeln sich aus Angst vor jenem Gerichte. Aufgeschreckt kehrt das Meer sich um, verschwindet, versiegt und ist nicht mehr. Der Erde Staub gerät in Brand, so daß er völlig zu Rauch wird. Die Berge zerschmelzen vor Furcht wie Blei im Ofen, und wie brennender Kalk qualmen zusammensinkend alle Hügel.

Gott steht auf, um zu richten, und erhebt sich gegen seine Feinde; da befällt Zittern die Schöpfung, und sie wird wie tot. Gott steht auf, um zu richten, und alle Schöpfungen werden vernichtet, und das Weltgebäude vermag des Richters Zornglut nicht zu ertragen. Gott steht auf, um zu richten; Himmel und Erde lösen sich auf, und die ganze Welt stürzt zusammen, und alle ihre Schönheiten schwinden dahin. Gott steht zum Gerichte auf gegen die Frevler und Empörer, die Schöpfung fällt zerstört zusammen; wer vermag die Gewalt seines Grimmes zu ertragen? Die Höhen sinken vor ihm nieder, und alle Tiefen stürzen ein, Himmel und Erde vergehen und schwinden wie Rauch dahin. Er rollt die ganze Schöpfung zusammen und wirft sie wie ein Gewand von sich, um in seinem Grimme Rache zu nehmen an den Feinden, die ihn hassen. Wie in einen Mantel hatte er sich in die ganze Welt eingehüllt, aber er wirft sie in seinem Zorne weg, um an seinen Verächtern Gericht zu üben. Wie ein zornerfüllter Mann in seinem Grimme die Kleider fortwirft, um seinen Gegner zu strafen und an seinen Feinden Rache zu nehmen, so wirft jener Richter seine ganze Schöpfung weg und zerschmettert sie über den Ruchlosen und Empörern, die ihn verachteten, lästerten und für nichts hielten. Die Geschöpfe ertragen die Zorneshitze des Richters nicht, der vom Feuer des Grimmes gegen die Feinde und Gottlosen glüht; Feuer frißt ja vor ihm her und lodert mächtig rings um ihn, es verzehrt die Ruchlosen und vertilgt die Frevler. Alle, die ihn in seiner Langmut höhnisch lästerten und für nichts achteten, werden vergehen wie dürre Reiser vor dem Feuer, das von ihm ausgeht. Der Himmel wird vor Entsetzen finster; welcher Ruchlose wird da gerettet werden? Das Meer vertrocknet aus Furcht vor ihm; welcher Frevler wird da mit dem Leben davonkommen? Die ganze Erde steht in Brand; welcher Sünder wird da entrinnen? Des Herrn Feuer erscheint, um zur Rache auszuziehen, und Himmel und Erde und Meere entzünden sich dadurch wie Stoppeln. Nur ein Fünklein geht vom Feuer der Gottheit aus, und von den erschaffenen Völkern hält kein einziges seine Glut aus.

Einst wollte Gott die Welten schaffen und ins Dasein rufen. Aus Barmherzigkeit verbarg er sein Feuer. auf daß die Welten davon nicht verbrannt würden. In seiner Güte verhüllte er sein Feuer und in seiner Gnade seine Lohe; denn hätte er sein Feuer nicht verdeckt, so hätten die Geschöpfe nicht bestehen können. In jener Zeit aber, wenn er Himmel und Erde zu richten kommt, läßt er im Zorne sein Feuer ausbrechen, und die Welten können davor nicht bestehen. Die Oberen kosten den Tod und die Unteren den Tod des Todes. Wenn die Guten und Gerechten alle nicht durch die Barmherzigkeit vor dem Feuer des Richters, das Himmel und Erde in Flammen setzt, bewahrt würden, so würden auch sie mit den Sündern von dem Feuer jenes Richters verzehrt werden. Ja, würde sich nicht die Gnade vor die Reihen der Himmlischen hinstellen, so würden sogar sie mit den Bösen durch die Gewalt jenes Brandes vernichtet werden. Wenn also kaum die Gerechten wegen der Furcht vor jenem Gerichte am Leben bleiben, wohin werden dann erst die Gottlosen und Sünder gestürzt werden? Die feurigen Geisterheere flehen nicht für sie, weil sie selbst zitternd und bebend dastehen; denn sie schauen den entflammten Grimm des Richters und verstummen wie Tote. Auch die Heiligen legen keine Fürbitte ein; denn der Rauch seines Zornes steigt empor, und sie erschaudern vor Furcht, mit den Sündern zu verbrennen. Wenn sich der König in seinem Grimm erhebt, um über seinen Hasser Gericht zu halten, so straft sein Grimm mit den Bösen sogar seine Freunde, falls sie für jene eintreten wollten.

Er sitzt auf feurigem Throne, von einem Feuermeer umgeben, und ein Feuerstrom ergießt sich von ihm aus, um alle Welten zu prüfen. Sein Feuer hat er den Menschenkindern mitgeteilt, damit sie nicht von jenem Feuer verbrannt würden, wenn er die Schöpfung in Flammen setzt und sie wie in einem Ofen prüft. Wenn sein Feuer [der Liebe] treu bewahrt und nicht durch Sünden ausgelöscht wird, so werden jene, die es bewahrt haben, aus jenem fürchterlichen Brande gerettet; wird es aber durch die Sünde ausgelöscht und nicht durch Heiligkeit bewahrt, so werden sie [die es nicht bewahrten,] zur Stoppel für jenes Feuer, durch dessen Gewalt die Welt verbrennt. Der König steigt von seinem Orte herab, um über die Erde Gericht zu halten, und mit großer Furcht und Angst steigen mit ihm seine Legionen hernieder. Es kommen seine gewaltigen Heerscharen, um jenes furchtbare Gericht zu schauen, und alle Menschen, die je waren und sein werden, stehen dann dort. Keine Fehlgeburt, die je war und sein wird, bleibt zurück; sie kommt zu jenem Schauplatz, um das Gericht des Richters zu sehen. Der Schall der Posaune wird ausgesandt, um die Begrabenen aufzuwecken, und auf den Ruf der letzten Trompete stehen alle Gestorbenen auf. Schneller als ein Augenblick gebietet der Wink des Sohnes, alle Toten zu jenem Gerichtsplatze der Gerechtigkeit zu versammeln. Schrecken ergreift den Tod, und er speit seine ganze Beute aus, die er verschlungen, so daß er keinen Toten an seinem Platze läßt, den er nicht zum Gerichte brächte. Der Staub der Erde wird aufgefordert, den Staub der Toten abzusondern, daß ja kein Stäubchen übrig bleibt, das nicht vor den Richter käme. Die im Meere Ertrunkenen, von wilden Tieren Verschlungenen, von Vögeln Zerrissenen, vom Feuer Verbrannten werden durch einen strengen und schnellen Wink erweckt, stehen auf und kommen. Der im Mutterleibe zugrunde ging, ohne in dieses Leben eingetreten zu sein, wird durch jenen Wink, der den Toten das Leben wiedergibt, als erwachsener Mensch herausgeführt. Das Kind, das im Schoße der Mutter während der Schwangerschaft zugleich mit ihr starb, ist bei der Auferstehung vollkommen entwickelt, erkennt seine Mutter und wird von ihr erkannt. Die hinieden einander nie gesehen haben, sehen sich dort; sie weiß, daß dieses Kind ihr Sohn ist, und dieser erkennt sie als seine Mutter. Die Auferstehung gebiert den Menschen vollkommen und gibt ihm vollkommene Kenntnis. Wen die Sünde nicht blind machte, der weiß alles wie Gott. Was immer auf Erden und im Himmel ist, schaut er mit jener genauen Kenntnis, der nichts entgeht. Der Ehebrecherin, die ihre Leibesfrucht vernichtete, auf daß sie nicht diese Welt sähe, verwehrt ihr Kind den Anblick jener neuen Welt. Weil sie ihm das Leben und das Licht dieser Welt nicht vergönnte, entzieht es ihr das Leben und das Licht der jenseitigen Welt. Weil sie ihr Kind in ihrem Leibe zur Fehlgeburt machte, damit es im Dunkel der Erde vergraben würde, darum macht es auch sie zur Fehlgeburt, so daß sie in die äußerste Finsternis wandern muß. Dies ist die Vergeltung der Ehebrecher und der Ehebrecherinnen, die ihren Kindern das Leben nehmen. Sie werden vom Richter mit dem Tode bestraft und in die Grube des Elends, voll des Kotes der Verwesung, geworfen.

In Gleichheit erweckt der Schöpfer gleichzeitig die Kinder Adams; gleich, wie er sie erschuf, macht er sie auch auferstehen. Bei der Auferstehung gibt es keinen großen und keinen, der kleiner wäre als der andere; der zu früh Geborene ist genau so, wie der Erwachsene. Nur den Werken und Sitten nach gibt es Hohe und Erhabene. Die einen gleichen den Sternen, die anderen dagegen der Finsternis. Durch Werke der Gerechtigkeit sind die Rechtschaffenen hoch und erhaben; durch Sitten der Bosheit sind die Bösen niedrig und klein. Die Guten werden nach dem Befehle des Richters von den Bösen getrennt; jene werden in den Himmel auffahren, diese aber in den Abgrund hinabsteigen. Jene werden in das Reich eingehen, diese in die Hölle wandern. Dann erschallt nur ein Ausruf von den Oberen und von den Unteren; ein Lobspruch ertönt von beiden Seiten zugleich: „Gerecht bist Du, o Herr, und sehr gerade sind Deine Gerichte“, rufen sogar die Sünder. „Gerecht ist der Herr und gerade“, ertönt es von der Schar auf der rechten Seite, „wer Gutes tat, empfing Gutes zur Vergeltung.“ „Gerecht ist der Herr und gerade“, ruft auch die Menge auf der linken Seite, „wer Böses verübte, trug Böses als Vergeltung davon.“ Heil dann den Tugendhaften und Gerechten, die dann entlassen werden, um in das Leben einzugehen und sich mit Gott im Reiche, das kein Ende nimmt, zu ergötzen. Er teilt ihnen seine Glorie mit, sie kleiden sich in herrliches Licht, und ihre Angesichter leuchten im Himmel noch strahlender als der Himmel selbst. Wehe aber den Bösen und Gottlosen; denn sie werden zur Strafe für ihre Taten mit dem Satan gepeinigt werden! Wer sündigte und Gott beleidigte und auf Erden seine Schandtaten verheimlichte, zieht hinaus in jene äußerste Finsternis, in der kein Licht ist. Wer in seinem Herzen Trug und in seinem Sinne Neid verborgen hielt, den bedeckt die furchtbare Tiefe voll Feuer und Schwefel. Wer sich dem Zorne ergab und die Liebe von sich verbannte, so daß er seinen Nebenmenschen haßte, wird den Engeln des Zornes preisgegeben, damit ihm durch den Zorn [den Teufel] seine Qual werde. Wer dem Hungrigen sein Brot nicht brach und den Bedrängten nicht erquickte, schreit vor Drangsal, niemand aber hört und erquickt ihn. Wer in seinem Reichtum üppig und prächtig lebte und den Notleidenden seine Pforte nicht öffnete, bittet in seinen Flammen um ein Tröpflein Wasser, allein niemand reicht es ihm. Wer seinen Mund mit Lästerung und seine Zunge mit Schmähreden besudelte, versinkt in stinkenden Kot, so daß sein Mund verschlossen wird und kein Wort mehr hervorbringen kann. Wer andere beraubte und bedrückte und sein Haus mit ungerechtem Gute anfüllte, den reißen die verfluchten Teufel an sich, und Seufzen und Zähneknirschen warten seiner. Wer von der schändlichen Lust der Unkeuschheit und Ehebrecherei brannte, brennt ohne Ende mit dem Satan in der Hölle. Wer das Verbot der Priester übertrat und Gott verächtlich mit Füßen trat, dessen Qual ist die größte und die schrecklichste aller Qualen.

Gott von Gott, wahrer Gott vom wahren Gott! Wir bekennen, daß du gut bist; deine Güte stehe uns bei! Laß uns doch nicht mit dem Satan in die Hölle und in die Pein eingehen! Wir kennen dich als den Barmherzigen, verbirg uns unter den Flügeln deiner Barmherzigkeit! Wir bekennen dich als das Licht und uns als Knechte unter deiner Hand. Laß nicht zu, daß der Böse uns dir entreiße und wir uns gegen deine Herrschaft frech empören! Als den Gerechten kennen wir dich; sei uns, Herr, Gerechtigkeit! Als den Erlöser kennen wir dich; erlöse und errette uns vom Bösen! Als den Heiligen preisen wir dich; möchten wir doch durch dein Fleisch und dein Blut geheiligt werden! Von den Erlösten, die dein Fleisch aßen und dein kostbares Blut tranken, ertöne dir Preis, und über uns komme deine Erbarmung, o Gütiger, der du dich der Sünder erbarmst!

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