Rede an die Bekenner des Griechentums

Von Tatian (2. Jdh.)

Tatians Rede an die Bekenner des Griechentums.

(1) Seid nicht so feindselig gegen die „Barbaren“, ihr Bekenner des Griechentums, und beurteilt ihre Lehren nicht so mißgünstig! Denn welche euerer Einrichtungen verdankt nicht Barbaren ihren Ursprung? (2) Die angesehensten Männer von Telmissos erfanden die Traumdeutung, Karier die Weissagung aus den Sternen, den Vogelflug beobachteten zuerst Phrygier und die ältesten Isaurier, Kyprier begründeten die Eingeweideschau, Babylonier die Astronomie, Perser die Magie, Ägypter die Geometrie, Phönikier die Buchstabenkunde. (3)Also hört doch auf, euere Nachahmungen Erfindungen zu nennen! Denn Dichtkunst und Gesang ehrte euch Orpheus, der auch die Mysterien aufbrachte; die Tuskaner erfanden die Plastik; zur Geschichtsschreibung führten die chronologischen Aufzeichnungen bei den Ägyptern. Von Marsyas und Olympos habt ihr euch das Flötenspiel geholt, aber Phrygier waren sie beide und haben trotz ihrer „Unbildung“ aus der Pfeife den Wohlklang zu locken gewußt. Tyrrhener erfanden die Trompete, die Schmiedekunst Kykopen, und auf die Kunst, Briefe zu schreiben, verfiel, wie Hellanikos erzählt, eine Frau, die einst über die Perser herrschte: Atossa war ihr Name. (4) So laßt denn eueren Dünkel fahren und bläht euch nicht mit prunkenden Phrasen! Euer Selbstlob findet doch nur die Zustimmung euerer eigenen Leute, wer aber Verstand hat, muß abwarten, bis ihr andere Zeugen beibringt und euch einigt in der Art, wie ihr sprecht! (5) So aber ist euch widerfahren, daß ihr nicht einmal untereinander die gleiche Sprache redet. Denn die Dorier sprechen anders als die Attiker, und die Äolier nicht so wie die Jonier. Da also bei euch ein so großer Zwiespalt in Dingen herrscht, in denen es keinen geben sollte, weiß ich nicht, wen ich einen Helenen nennen so. (6) Das Dümmste dabei ist nämlich, daß ihr Ausdrücke fremden Ursprungs besonders in Ehren haltet und, indem ihr nicht selten barbarische Wörter mißverständlich anwendet, aus euerer Sprache ein Kauderwälsch gemacht habt. (7) Deshalb haben wir euerer Weisheit den Abschied gegeben, obwohl darin mancher von uns einen großen Ruf genoß. Denn auf euere Lehrer paßt das Wort des Komikers: ,,Nachlesetrauben alles und Geschwätz und Schwalbenzwitscherschulen und Kunstverderber“. Mit heiserer Kehle schreien sie, die sich dieser Weisheit widmen, und Rabengekrächze geben sie von sich. (8) Denn die Rhetorik habt ihr auf Ungerechtigkeit und Verleumdung gestellt, um Lohn verkauft ihr euere Redefreiheit und oft stellt ihr, was euch heute als Recht gilt, morgen als Unrecht hin. Die Dichtkunst gebraucht ihr, um Götterzwiste und Götterliebschaften und Seelenverderbnis zu besingen.

(1) Und was habt ihr denn erst Erhabenes in der Philosophie hervorgebracht? Welcher von eueren ganz bedeutenden Philosophen hat Großsprecherei gemieden? (2) Diogenes, der mit seinem Faß renommierte und mit seiner Enthaltsamkeit prahlte, starb ob seiner Unmäßigkeit an einer schmerzhaften Darmverschlingung, da er einen Meerpolypen roh verschlungen hatte. (3) Aristippos, der Philosoph im Purpurmantel, war ein scheinheiliger Lüstling. (4) Platon samt seiner Weltweisheit wurde von Dionysius wegen seiner Völlerei verkauft. (5) Und Aristoteles, der in seiner Unwissenheit der Vorsehung Schranken gesetzt und die Glückseligkeit als das, woran er Behagen finde, definiert hat, (6) schmeichelte ganz unpädagogisch dem tollen Jungen Alexander, der nun echt aristotelisch seinen Freund, weil er ihn nicht anbeten wollte, in einen Käfig sperrte und wie einen Bären oder Panther mit sich herumführte. (7) Dafür befolgte Alexander allerdings die Lehren des Meisters, indem er seine Männlichkeit und Tapferkeit in Gelagen bewies, seinen Genossen und Busenfreund mit dem Speere durchbohrte und dann weinte und fastete unter dem Vorwand der Trauer, um nicht den Abscheu seiner Leute zu erregen. (8) Lachen möchte ich vollends über diejenigen, die noch heute die Lehren des Aristoteles praktizieren und für die Dinge unter dem Mond zwar keine Vorsehung anerkennen, aber trotzdem, obwohl sie der Erde näher sind als der Mond und tiefer stehen als seine Bahn, dort Vorsehung spielen, wo sie die Vorsehung leugnen: (9) denn wem Schönheit, Reichtum, Körperkraft, Adel versagt sind, für den gebe es keine Glückseligkeit, sagt Aristoteles. Und solche Leute sollen philosophieren!

(1) Den Heraklit nämlich, der sich äußerte: „Ich bin mein eigener Lehrer gewesen“ 1, lasse ich nicht gelten, weil er eben ein hoffärtiger Autodidakt war, (2) und kann nicht loben, daß er sein Werk im Tempel der Artemis verbarg, damit später die Herausgabe desselben unter dem Schimmer eines heiligen Geheimnisses erfolge. Die sich um solche Dinge kümmern, sagen zwar, der Tragödiendichter Euripides sei gekommen, habe das Buch gelesen und aus dem Gedächtnis alsbald die dunkle Lehre Heraklits eifrig propagiert. (3) Nun ist aber die Unwissenheit Heraklits durch seinen Tod erwiesen worden: er bekam die Wassersucht, und da er die Heilkunst nicht besser als die Philosophie traktierte, bestrich er sich mit Kuhfladen, der Kot aber verhärtete sich, zog den ganzen Leib zusammen, und so starb der Mann infolge von Krämpfen. (4) Auch den Zenon muß ich ablehnen, der da behauptete, nach dem Weltbrande würden dieselben Menschen wieder zu denselben Beschäftigungen auferstehen, die sie früher betrieben hätten, z. B. Anytos und Meletos, um wieder anzuklagen, Busiris, um seine Gastfreunde zu morden, und Herakles, um abermals Großtaten zu vollbringen. Bei dieser Verbrennungshypothese muß er natürlich mehr Böse als Gerechte annehmen, da es eben nur einen Sokrates, einen Herakles und etliche andere von der Art gegeben hat, seltene Ausnahmemenschen: (5) in der Tat werden nach Zenon viel mehr Menschen als Bösewichte denn als Gutgesinnte befunden werden und Gott selber wird sich als Urheber des Bösen erweisen, da er angeblich in Kloaken und Würmern und Missetätern haust. (6) Die Prahlerei des Empedokles ist durch die Feuerausbrüche auf Sizilien dargetan worden, daß er nämlich kein Gott war und das, was er zu sein vorgab, erlogen hat. (7) Ich verlache auch das Altweibergeschwätz des Pherekydes und den Pythagoras, den Erben seiner Lehre, und den Platon, der ihr Nachahmer gewesen ist, obgleich manche es nicht zugeben wollen. (8) Wer möchte denn ferner die Hundehochzeit des Krates loben und nicht vielmehr die dünkelhafte Zungendrescherei seiner Anhänger verwerfen, um sich auf die Suche nach dem wahrhaft Wertvollen zu begeben? (9) Mögen euch also die Massenaufgebote dieser „Philosophen“ – Lärmer sind sie, keine Lehrer – nicht fortreißen: denn was sie ehren, sind gegenseitige Widersprüche und jeder peroriert, wie’s ihm gerade einfällt. (10) Fortwährend gibt’s bei ihnen Zusammenstöße; denn einer haßt den anderen und Meinung stellen sie gegen Meinung, indem sie sich marktschreierisch zu den Thronen drängen. Anständig aber wäre es, just wenn sie von eines Königs Majestät so hohe Meinung hegen, nicht den Herrschern zu schmeicheln, sondern vielmehr abzuwarten, bis die Großmächtigen zu ihnen kommen.

(1) Warum wollt ihr denn, ihr Bekenner des Griechentums, wie gegen Attentäter die Staatsgesetze gegen uns ausspielen? Auch wenn ich mich mit dem Zeremoniell gewisser Leute nicht befreunden will, warum bin ich da sogleich wie der abscheulichste Bösewicht verfehmt? (2) Der Kaiser befiehlt, Steuern zu zahlen: ich bin bereit, sie zu leisten; der Herr verlangt, ihm zu dienen und zu gehorchen: ich kenne die Pflicht des Untertanen. Denn den Menschen muß man auf menschliche Weise ehren, Gott aber allein fürchten, ihn, der mit menschlichen Augen nicht gesehen und von keiner Kunst erfaßt werden kann. Nur wenn man mir befiehlt, ihn zu verleugnen, so werde ich nicht gehorchen, sondern lieber gleich sterben, damit ich nicht als Lügner und Undankbarer befunden werde.

(3) Unser Gott hat seinen Anfang nicht in der Zeit; er allein ist anfangslos, zugleich aber aller Dinge Anfang. Ein Geist ist Gott, aber kein Geist, der in der Materie waltet, sondern der Schöpfer der Geister und Formen, die an der Materie haften. Selbst unsichtbar und untastbar, ist er der Vater alles Fühlbaren und Sichtbaren. (4) Ihn erkennen wir aus seiner Schöpfung und nehmen das Unsichtbare seiner Kraft an den geschaffenen Werken wahr. Das Gebilde, das er unsretwegen geschaffen, will ich nicht anbeten. Sonne und Mond sind um unsretwillen geworden: wie sollte ich sie also anbeten, da sie mir dienstbar sind? Wie sollte ich Hölzer und Steine für Götter erklären? (5) Denn der Geist, der in der Materie waltet, ist geringer als der göttliche Geist, und da er der Materie angeglichen ist, so darf er auch nicht in gleicher Weise wie der vollkommene Gott verehrt werden. Aber auch mit Geschenken darf man den unnennbaren Gott nicht behelligen; denn der keines Dinges bedarf, soll nicht von uns zu einem Bedürftigen entwürdigt werden. Doch ich will unsere Lehren deutlicher auseinandersetzen.

(1) Gott war im Anfang; der Anfang aber ist nach unserer Überlieferung die Kraft des Logos (des „Wortes“). Der Herr aller Dinge, der zugleich die Hypostase (der Urgrund) des Alls ist, war nämlich zu der Zeit, da es noch keine Schöpfung gab, allerdings allein: insofern aber jegliche Kraft alles Sichtbaren und Unsichtbaren bei ihm war, bestanden eben auch alle Dinge schon bei ihm vermöge der Kraft des Logos. (2) Erst durch einen Willensakt Gottes, dessen Wesen einfach ist, trat der Logos hervor, aber nicht zwecklos ging er von ihm aus und ward des Vaters erstgeborenes Werk: wir wissen, daß er der Anfang der Welt ist. (3) Seine Geburt erfolgte durch Teilung, nicht durch Abtrennung; denn was man abschneidet, ist von dem Ersten, zu dem es gehörte, für immer geschieden, das aber, was man teilt, wird nur wie in einer Hauswirtschaft da und dorthin gegeben, ohne denjenigen ärmer zu machen, von dem es genommen ist. (4) Wie nämlich von einer Fackel viele Feuer entzündet werden, das Licht der ersten Fackel aber durch das Anzünden vieler anderer Fackeln nicht vermindert wird, so hat auch das Wort, indem es aus der Kraft des Vaters hervorging, seinen Erzeuger nicht des Wortes beraubt. (5) Denn auch ich rede und ihr hört und doch wohl werde ich, der Redende, indem mein Wort zu euch übergeht, keineswegs des Wortes beraubt, sondern indem ich meine Stimme von mir gebe, ist es mein Vorsatz, die ungeordnete Materie in euch zu ordnen. (6) Und wie der im Anfang gezeugte Logos seinerseits unsere Welt sich selber erzeugt hat, indem er die Materie bildete, so verbessere auch ich, der ich zur Nachahmung des Logos wiedergeboren und zur Aufnahme der Wahrheit geschaffen bin, die Unordnung der mitgeborenen Materie. (7) Denn nicht anfangslos ist die Materie wie Gott, noch hat sie etwa ihrer Anfangslosigkeit wegen gottgleiche Macht; sie ist vielmehr geschaffen worden und von keinem anderen geschaffen, als allein von dem Schöpfer aller Dinge.

(1) Und deshalb hegen wir den Gauben, daß nach der Vollendung aller Dinge auch die Leiber auferstehen werden, nicht, wie die Stoiker meinen, indem nach bestimmten zyklischen Perioden dieselben Dinge immer wieder zwecklos entständen und vergingen, sondern überhaupt nur einmal, nach Vollendung der gegenwärtigen Zeit, und zwar dazu, um einzig und allein die Menschen des Gerichtes wegen zu versammeln. (2) Es richten uns aber nicht Minos und Rhadamanthys, vor deren Tod, wie man fabelt, keine Seele gerichtet worden sei, sondern Richter wird Gott der Schöpfer selbst sein. (3) Mögt ihr uns auch für Schwätzer und Possenreißer halten, uns kümmert das nicht, da wir dieser Lehre Gauben geschenkt haben. Denn wie ich nicht war, bevor ich wurde, und deshalb auch nicht wußte, wer ich sein würde, sondern nur potentiell in der fleischlichen Materie existierte, dann aber, da ich ja nicht von Anfang an war, erst infolge meiner Geburt die Überzeugung von meiner Existenz erlangte: ebenso werde ich, der Gewordene und durch den Tod wieder Ausgelöschte und von keinem mehr Erschaute, abermals sein, wie ich ja dereinst, da ich nicht von Anfang an existiert habe, auch erst zum Leben geboren werden mußte. (4) Ob auch Feuer mein Fleisch vernichte, das All nimmt die in Dampf verwandelte Materie auf; ob ich in Strömen oder in Meeren zugrunde gehe oder von wilden Tieren zerfleischt werde, in der Schatzkammer eines reichen Herrn werde ich geborgen. Der arme Gottesleugner freilich kennt die dort niedergelegten Schätze nicht; Gott aber, der Herrscher, wird, wann er will, die ihm allein sichtbare Potenz in den früheren Zustand zurückversetzen.

(1) Denn der himmlische Logos, als Geist vom Geiste und als Wort aus der Kraft des Wortes entsprungen, hat in Nachahmung des Vaters, der ihn gezeugt, zum Abbild der Unsterblichkeit den Menschen geschaffen, auf daß dieser, wie die Unvergänglichkeit bei Gott ist, ebenso, durch einen Anteil am Wesen Gottes, gleichfalls die Unsterblichkeit besitze.

(2) Nun wurde aber der Logos vor der Erschaffung der Menschen auch der Schöpfer der Engel: (3) beide Gattungen von Geschöpfen sind frei geschaffen und besitzen nicht von Natur aus das Gute, das ausschließlich in Gott allein ist, von den Menschen aber aus freier Wahl vollbracht wird, damit der Böse mit Recht bestraft werde, nachdem er durch seine eigene Schuld böse geworden, der Gerechte aber um seiner guten Werke willen nach Verdienst gelobt werde, weil er nach freiem Entschluß den Willen Gottes nicht übertreten hat. So verhält es sich mit den Engeln und Menschen. (4) Da aber die Kraft des Logos die Fähigkeit an sich hat, das vorauszusehen, was in Zukunft nicht durch das Fatum, sondern durch die freie Entschließung der Wählenden geschehen werde, so sagte er den Verlauf der kommenden Ereignisse voraus, schränkte durch Verbote die Bosheit ein und lobte diejenigen, die im Guten verharren würden. (5) Doch als die Menschen und Engel einem, der als Erstgeborener die übrigen an Verstand übertraf, scharenweise folgten und ihn, obgleich er sich wider das Gesetz Gottes aufgelehnt hatte, als einen Gott ausriefen, da stieß die Kraft des Logos sowohl den Urheber des Frevels als auch dessen Anhänger aus der Gemeinschaft mit dem Worte. (6) Und der nach dem Bilde Gottes geschaffene Mensch wurde, da der mächtigere Geist sich von ihm trennte, sterblich; der Erstgeborene aber wurde ob seiner Übertretung und Torheit zum Dämon, und aus denen, die seine Gaukeleien nachahmten, wurde ein Heer von Dämonen, die ihrer Unverbesserlichkeit überlassen wurden, weil sie ja freie Wesen waren.

(1) Gegenstand ihrer Verführungskunst aber wurden die Menschen. Wie die Brettspieler nämlich zeigten sie ihnen eine Tafel, auf der sie die Stellung der Gestirne eingezeichnet hatten, und führten so das höchst ungerechte Fatum ein. (2) Denn auf den Richterstuhl und auf die Anklagebank kommt man natürlich durch die Schuld des Fatums, wie auch die Mörder und die Gemordeten, die Reichen und die Armen Ausgeburten desselben Fatums sind; das Um und Auf dieser Nativität aber macht wie eine Vorstellung im Theater großen Spaß jenen Kreaturen, von denen Homer sagt: „Unaufhörliches Lachen erhoben die seligen Götter“. (3) Und solche Wesen, die Zweikämpfen zusehen und der eine diesem, der andere jenem beistehen, heiraten, Knaben schänden, ehebrechen und lachen und zürnen, fliehen und verwundet werden, solche Wesen will man für unsterblich halten? (4) Durch die Schandtaten, mit denen sie ihre wahre Natur den Menschen verraten haben, verführten sie ja diejenigen, bei denen sie Gehör fanden, zu gleichem Tun. Und sind nicht etwa diese Dämonen selbst samt ihrem Anführer Zeus dem Fatum anheim gefallen, da sie von denselben Leidenschaften beherrscht werden wie die Menschen? (5) Und wie darf man überhaupt die verehren, deren Grundsätze in so vielfältigem Widerspruch zueinander stehen? (6) So hat Rhea, die beim phrygischen Bergvolke Kybele heißt, ihres Liebhabers Attis wegen die Verstümmelung der Schamteile geboten: (7) Aphrodite aber hat ihre Lust an hochzeitlichen Umarmungen. Zauberei treibt Artemis, Heilkunst Apollon. Als der Gorgo, der Geliebten Poseidons, das Haupt abgeschnitten war, aus dem Pegasos, das Roß, und Chrysaor entsprungen sind, teilten sich Athene und Asklepios in die Blutstropfen: dieser verwendete sie, um zu heilen, jene aber ward durch dasselbe Blut zur Menschenmörderin. (8) Um die nämliche Athene nicht in üblen Ruf zu bringen, hängten wohl die Athener den Sohn, den sie mit Hephaistos gezeugt hat, der Gaea an, damit man nicht glauben solle, daß etwa wie Atalante von Meleager so auch Athene von Hephaistos ihrer Jungfrauschaft beraubt worden sei. Denn der an beiden Füßen lahme Krüppel, der Spangen und Ohrringe verfertigt, hat natürlich die mutterlose Waise mit Mädchentand zu Fall gebracht. (9) Poseidon ist Seemann, an Kriegen ergötzt sich Ares, Zitherspieler ist Apollon; Dionysos ist Tyrann von Theben, Kronos ist Tyrannenmörder; Zeus beschläft sogar die Tochter und die Tochter wird von ihm schwanger. (10) Zeugnis können mir noch heute Eleusis und die mystische Schlange und Orpheus ablegen, der da gebietet: „Die Tore verschließet Profanen“. Der Hadesherrscher raubt die Kore und seine Taten sind zu „Mysterien“ geworden: „Demeter beweint die Tochter“ – und mancher läßt sich durch die Athener betrügen. (11) Im Tempelbezirk des Sohnes der Leto wird ein Ort, Omphalos (Nabel) genannt; dieser Omphalos aber ist das Grab des Dionysos. (12) Da gebührt dir, Daphne, mein Lob: denn mit deinem Sieg über die Wollust Apolls hast du auch dessen Wahrsagekunst zuschanden gemacht, weil er nicht voraussah, was mit dir vorgehen werde, und so mit seiner Kunst Fiasko machte. (13) Sagen soll mir auch noch der Ferntreffer Apoll, wie Zephyros den Hyakinthos töten konnte? Zephyros hat ja auch den Apoll besiegt; denn obwohl der Tragödiendichter behauptet: „Der Lufthauch ist der Götter liebstes Fahrzeug“, wurde Apoll dennoch von einem schwachen Lüftchen (dem „Zephyros“) herumgekriegt und verlor den Geliebten.

(1) Wesen solcher Art sind die Dämonen; sie haben, wie gesagt, das Fatum auf einer Tafel fixiert, für deren Feder ihnen das Tierreich die Zeichen liefern mußte. Denn was auf Erden kreucht und in den Gewässern schwimmt und im Gebirge auf vier Füssen läuft, alles, womit sie verkehrten, seitdem sie aus dem Leben im Himmel verstoßen waren, das würdigten sie der himmlischen Ehre, um glauben zu machen, daß sie selbst noch im Himmel lebten, und um zu zeigen, daß in das unvernünftige Leben auf Erden durch die Konstellation Vernunft gebracht werde. (2) So erhielten der Zornmütige und der Geduldige, der Enthaltsame und der Unmäßige, der Reiche und der Arme ihre Eigenschaften von den Dämonen, die ihre Geburt bestimmten. (3) Denn die Konfiguration des Tierkreises ist ein Machwerk der (Zodiakal-) Götter; einer von ihnen gelangt, wie man behauptet, jeweilig mit seinem Licht zur Obmacht und übertrumpft dann die anderen, doch wer von ihnen heute unterliegt, kommt immer wieder nächstens zur Herrschaft: ihren Spaß aber haben mit ihnen die sieben Planeten (Irrsterne) wie Brettspieler mit ihren Figuren. (4) Wir aber sind über das Fatum erhaben und kennen statt der irrenden Dämonen nur den einen, nicht irrenden Herrn: darum haben wir, frei von der Herrschaft des Fatums, diejenigen verworfen, die es zum Gesetze gemacht haben. (5) Sage mir doch um Gotteswillen: Triptolemos hat also das Getreide gesät und nach der Trauer wird Demeter Wohltäterin der Athener? Warum hat sie sich denn nicht schon vor dem Verlust ihrer Tochter als Wohltäterin der Menschen betätigt? (6) Der Hund der Erigone und der Skorpion, der Gehilfe der Artemis, und der Kentaur Chiron, die halbe Argo und die Bärin der Kallisto werden am Himmel gezeigt: ja hat denn, bevor diese Gesellschaft an die erwähnten Plätze kam, der Himmel des Schmuckes entbehrt? (7) Wer wird es nicht lächerlich finden, daß die Figur des dreieckigen Delta (Δ) nach einigen wegen der Küstengestalt Siziliens, nach anderen wegen des ersten Buchstabens im Namen des Dis (Zeus) unter die Gestirne versetzt worden sei? Warum sind denn nicht auch die Inseln Sardinien und Zypern gewürdigt worden, am Himmel zu prangen? Warum hat man denn nicht auch die Monogramme der Brüder des Zeus, die sich mit ihm in die Herrschaft teilten, am Himmel fixiert? (8) Wie kann man den gefesselten, vom Throne gestoßenen Kronos als Verwalter des Fatums hinstellen? Wie will er, ohne selbst mehr zu herrschen, doch noch Reiche vergeben? (9) Laßt also doch diese Albernheiten fallen und frevelt nicht aus ungerechtem Hasse gegen uns!

(1) Wie man den Menschen Verwandlungen angedichtet hat, so werden auch die Götter bei euch verwandet. (2) Zu einem Baum wird Rhea, zu einem Drachen Zeus von wegen Persephattas, zu Pappen werden die Schwestern des Phaëton und Leto wird ein unansehnliches Tier, nach dem das heutige Delos Ortygia benannt war. Sage mir: ein Gott wird zum Schwan, nimmt auch die Gestalt eines Adlers an und rühmt sich, da Ganymedes sein Mundschenk war, den Knaben geschändet zu haben. (3) Wie soll ich Götter ehren, die Geschenke annehmen und in Zorn geraten, wenn sie keine bekommen? Halten sollen sie sich ihr Fatum: die Irrsterne mag ich nicht anbeten. (4) Wie steht es mit dem Haar der Berenike? Wo war ihr Gestirn, bevor sie starb? Wie ist Antinoos, der schöne Knabe, nach seinem Tode auf den Mond gekommen? Wer hat ihn hinaufgebracht? Gewiß auch ihn, wie die Kaiser, einer, der die Götter auslachte und mit einem bezahlten Meineid des Antinoos Himmelfahrt behauptete; man hat ihm Glauben geschenkt und die von ihm besorgte Vergottung des Knaben mit einem Ehrensode gelohnt. (5) Warum seid ihr zu Räubern an meinem Gotte geworden? Warum entehrt ihr seine Schöpfung? Man opfert ein Schaf, betet es aber auch an; ein Stier steht am Himmel und sein Ebenbild schlachtet man. Der Mann im Sternbild Engonasi bezwingt eine reißende Bestie; aber der Ader, der den Menschenbildner Prometheus zerfleischt hat, steht in Ehren. (6) Ein edles Tier ist der Schwan, weil er ein Ehebrecher war; edel sind auch die Räuber der Leukippostöchter, die Dioskuren, die sich tagweise ins Leben geteilt haben. Noch edler ist Helena, die den blondgelockten Menelaos verließ und dem Manne mit der Mitra, dem steinreichen Paris, nachlief. (7) Gerecht und verständig ist wohl auch der Mann, der die alte Hure in die Elysäischen Gefilde versetzt hat: aber die Tochter des Tyndareos ist ja gar nicht unsterblich geworden und vortrefflich hat Euripides die Ermordung des genannten Frauenzimmers durch Orestes auf die Bühne gebracht.

(1) Wie so ich also die Geburten als vom Fatum abhängig erachten, wenn ich die Qualität derjenigen betrachte, die das Fatum verwalten? (2) Herrschen will ich nicht, nach Reichtum strebe ich nicht, militärische Würden lehne ich ab, Unzucht ist mir verhaßt, aufs Meer treibt mich kein unersättlicher Hunger nach Gold, um Siegeskränze kämpfe ich nicht, vom Wahnsinn der Ruhmsucht bin ich frei, den Tod verachte ich, über jede Krankheit bin ich erhaben, kein Leid verzehrt meine Seele. (3) Bin ich ein Sklave, so ertrage ich die Sklaverei; bin ich ein Freier, so prahle ich nicht mit meinem Adel. Die Sonne ist, wie ich sehe, für alle dieselbe, und derselbe Tod droht allen, ob sie in Völlerei oder in Dürftigkeit leben. (4) Der Begüterte sät und der Bedürftige hat teil an demselben Korn. Sterben müssen auch die reichsten Leute, und die Bettler haben die gleiche Lebensgrenze. Immer mehr begehren die Wohlhabenden und diejenigen, die durch ihre Scheinheiligkeit zu Ehren gekommen sind, der Arme aber und derjenige, der sich möglichst bescheidet, indem er nur nach dem Seinigen begehrt, gewinnt es auch leichter. (5) Was hat es für einen Sinn, daß du mir, vom Fatum getrieben, aus Habgier die Nächte durchwachst, was für einen Sinn, daß du mir, vom Fatum gelenkt, immer wieder den Sündentod stirbst, so oft du dich deinen Lüsten überläßt? Stirb der Welt, indem du der Tollheit ihres Treibens entsagst; lebe für Gott, indem du dich durch Erkenntnis seines Wesens des alten Menschen entledigst. (6) Wir sind nicht zum Sterben geboren: wir sterben durch eigene Schuld. Zugrunde gerichtet hat uns die Freiheit unseres Willens: Sklaven sind wir geworden, die wir frei waren, und durch die Sünde sind wir verkauft. Nichts Böses ist von Gott geschaffen, die Bosheit haben erst wir hervorgebracht: aber die sie hervorgebracht, können sie auch wieder abtun.

(1) Zweierei Lebensgeister (πνεύματα) kennen wir, und zwar einen, den wir „Seele“ schlechtweg nennen, und einen, der höher steht als die Seele und Gottes Ebenbild und Gleichnis ist. Beide wohnten in der Brust der ersten Menschen, damit sie zwar an der Materie teilhätten, aber doch auch über ihr stünden. Es verhält sich damit wie folgt.

(2) Das ganze Weltgebäude und die ganze Schöpfung besteht, wie man sehen kann, aus Materie und die Materie selbst ist von Gott geschaffen, wobei man sich denken muß, daß sie vor der Scheidung der Elemente wüst und ungestalt, erst nach derselben schön und wohl geordnet war. (3) So bestehen der Himmel und seine Sterne aus Materie; auch die Erde und was immer auf ihr lebt, hat dieselbe Beschaffenheit, so daß überhaupt alles gleicher Herkunft ist. (4) Trotzdem aber gibt es Unterschiede in den materiellen Dingen, so daß das eine besonders schön, das andere zwar auch schön ist, aber doch von etwas vorzüglicherem in den Schatten gestellt wird. (5) Denn wie die Zusammensetzung des menschlichen Körpers einheitlich und maßgebend für seine Existenz ist und demgemäß seine Teile verschiedenes Ansehen haben, hier das Auge seinen Patz findet, dort das Ohr, da der Schmuck der Haare, das System der Eingeweide, das Gefüge von Mark, Knochen und Sehnen, und wie trotz aller Verschiedenheit der Teile das Ganze eine in seiner Zweckmäßigkeit durchaus harmonische Einheit bildet: so hat auch die Welt gemäß der Macht ihres Schöpfers schönere und minder schöne Bestandteile empfangen und nach dem Willen ihres Bildners einen materiellen Lebensgeist bekommen. (6) Dies kann im einzelnen jeder einsehen, der nicht in lauter Aufgeblasenheit die hochheiligen Offenbarungen von sich weist, die im Laufe der Zeit schriftlich aufgezeichnet worden sind und alle jene zu Freunden Gottes gemacht haben, die ihnen Gehör schenken.

(7) Gleich den Menschen haben also auch die Dämonen, wie ihr sie nennt, eine materielle Konstitution mit einem materiellen Geist erhalten und sind sündhaft und üppig geworden, da sich nur einige von ihnen der Reinheit zuwandten, die anderen aber den Schmutz der Materie wählten und demgemäß ihren Wandel einrichteten. (8) Diese betet ihr an, ihr Bekenner des Griechentums, obgleich sie aus irdischem Stoffe geworden sind und weitab von der rechten Ordnung befunden wurden. (9) Denn da sie sich in ihrer Torheit ruhmsüchtiger Eitelkeit hingegeben und alle Zügel abgeworfen hatten, erfrechten sie sich sogar, Gottesräuber zu werden. Der Herr des Alls aber läßt sie ihren Übermut treiben, bis die Welt ein Ende nimmt und aufgelöst wird und der Richter erscheint und alle Menschen, die während des Aufruhrs der Dämonen nach der Erkenntnis des vollkommenen Gottes gestrebt haben, am Tage des Gerichtes ein um so makelloseres Zeugnis um ihrer Kämpfe willen empfangen werden.

(10) Es gibt demnach einen Lebensgeist in den Gestirnen, einen Lebensgeist in den Engeln, einen Lebensgeist in den Pflanzen und Gewässern, einen Lebensgeist in den Menschen, einen Lebensgeist in den Tieren: aber obgleich er überall ein und derselbe ist, birgt er doch Unterschiede in sich selbst. (11) Da wir aber das nicht bloß mit der Zunge und auf Grund bloßer Vermutungen und Schüsse oder eines sophistischen Sammelsuriums behaupten, sondern uns auf die Worte einer göttlichen Kundgebung stützen können, so eilt herbei, die ihr lernen wollt! (12) Da ihr ja nicht einmal den Skythen Anacharsis zum Geier gejagt habt, so lasset euch auch einmal gefallen, von den Jüngern einer barbarischen Religionslehre unterrichtet zu werden. Macht Gebrauch von unseren Lehrsätzen, sei’s auch nur wie von der babylonischen Mantik, hört auf uns, sei’s auch nur wie auf eine orakelspendende Eiche! (13) Derlei Wahrsagereien sind doch nur Kampf- und Truglehren verblendeter Dämonen: die Lehren unserer Wissenschaft aber stehen höher als Ausgeburten eines irdischen Verstandes.

(1) Nicht unsterblich, ihr Bekenner des Griechentums, ist unsere „Seele“ an sich, sondern sterblich: sie kann aber trotzdem dem Tode entrinnen. Denn sie stirbt und erfährt zusammen mit dem Körper ihre Auflösung, wenn sie die Wahrheit nicht erkannt hat; später, am Ende des Weltlaufs, steht sie freilich mit dem Körper auf, aber nur, um als Strafe den Tod in der Unsterblichkeit zu empfangen: dagegen stirbt sie überhaupt nicht, mag auch ihre zeitweilige Auflösung erfolgen, wenn sie mit der Erkenntnis Gottes ausgerüstet ist. (2) An und für sich ist sie Finsternis und kein Licht ist in ihr und hierauf eben bezieht sich das Wort: „Die Finsternis fasset nicht das Licht“. (3) Denn nicht die Seele ist es, die den Geist rettet, sondern sie wird von ihm gerettet und „das Licht fasset die Finsternis“, wobei der Logos als das von Gott ausgehende „Licht“, als „Finsternis“ aber die unkundige Seele zu verstehen ist. (4) Wenn sie daher allein für sich lebt, so neigt sie sich niederwärts zur Materie und stirbt zugleich mit dem Fleische; hat sie aber Gemeinschaft mit dem göttlichen Geiste, so ist sie nicht hilflos, sondern steigt hinauf in jene Lande, zu denen sie der Geist führt: denn seine Wohnung ist in der Höhe, ihr Ursprung dagegen in der Tiefe. (5) Im Anfang also wohnte der Geist mit der Seele zusammen; der Geist aber hat sie verlassen, als sie ihm nicht folgen wollte. Doch da sie gleichsam einen Funken seiner Kraft behielt und nur infolge der Scheidung das Vollkommene nicht erschauen konnte, suchte sie Gott in der Irre und bildete sich viele Götter, indem sie den streitsüchtigen Dämonen folgte. (6) Der Geist Gottes ist nun nicht mehr bei allen Menschen; bei einigen aber, deren Wandel gerecht war, ist er eingekehrt und vermählte sich mit ihrer Seele, um durch Weissagungen den übrigen Seelen das Verborgene kundzutun: und die Seelen, die der Weisheit folgten, zogen den verwandten Geist an sich, die aber nicht folgten und den Boten des Gottes, der gelitten hat, verschmähten, die zeigten sich mehr als Gottesfeinde, denn als Gottesdiener.

(1) Etwas Ähnliches seid auch ihr Bekenner des Griechentums: in Worten großmäulig, aber im Erkennen schwachsinnig, habt ihr sogar die Vielherrschaft statt der Alleinherrschaft ins Werk gesetzt, um den vermeintlich mächtigen 1Dämonen zu folgen. (2) Aber wie die Räuber in ihrer Unmenschlichkeit ihresgleichen frech zu überwältigen pflegen, so haben auch die Dämonen euere vereinsamten Seelen in den Pfuhl der Bosheit geführt und mit Lügen und Gaukeleien getäuscht. (3) Da sie nicht leicht den (physischen Tod) sterben, zumal sie ohne Fleisch sind, so können sie zwar fortlebend Werke des (Sünden-) Todes verrichten, sterben aber trotzdem (obwohl sie fortleben) gerade so oft (den Sündentod), als sie ihre Anhänger im Sündigen unterrichten; (4) was sie also derzeit vor den Menschen voraushaben: nicht wie die Menschen (den physischen Tod) sterben zu müssen, das (der ewige Tod der Verdammten) wird sie einst treffen, wenn sie gerichtet werden, indem sie dann keinen Anteil haben werden am ewigen Leben, das sie etwa (wie die Gerechten) statt ewigen Todes gewinnen könnten. (5) Wie vielmehr wir, denen jetzo das Sterben leicht fällt, nachher entweder die ewige Glückseligkeit oder die ewige Verdammnis erlangen werden, so werden auch die Dämonen, die das jetzige Leben immerdar zu Freveln mißbrauchen und so schon während ihres Lebens sterben, dereinst derselben ewigen Verdammnis (wie die Ungerechten) anheim fallen gemäß ihrer Beschaffenheit, die fürwahr keine andere ist als bei jenen Menschen, die aus freien Stücken vollbrachten, was ihnen die Dämonen zu ihren Lebzeiten vorgeschrieben haben, (6) ganz zu schweigen davon, daß sich natürlich bei den Menschen, die ihnen folgen, weniger Arten von Sünden entwickeln, da ihr Leben nur kurz ist, jene Dämonen aber die Frevel häufen, weil ihr Leben unbegrenzte Dauer hat.

15.

(1) So bleibt uns nichts übrig, als nach dem, was wir besaßen und verloren haben, jetzt zu suchen: die Seele mit dem heiligen Geist zu verbinden und die gottgewollte Vermählung mit ihm zu bewirken.

(2) Die Seele der Menschen ist nicht ein-, sondern vielteilig; denn sie ist zusammengesetzt, so daß sie überall am Leibe offenbar wird: ja sie könnte ebensowenig ohne den Leib in Erscheinung treten wie das Fleisch ohne die Seele aufstehen kann. (3) Denn der Mensch ist nicht, wie die Rabenkrächzer lehren, ein vernünftiges, für Verstehen und Wissen empfängliches Tier (nach ihnen wird man auch von den unvernünftigen Tieren „nachweisen“ können, daß sie fähig seien, zu verstehen und zu wissen), (4) sondern der Mensch allein ist Ebenbild und Gleichnis Gottes und ich nenne nicht den einen Menschen, der wie die Tiere handelt, sondern den, der über sein Menschentum hinaus zu Gott selbst gelangt ist. (5) (Darüber habe ich in meinem Buche über die Tiere Genaueres zusammengetragen: jetzt aber kommt es hauptsächlich darauf an, wie sich’s mit dem „Ebenbild und Gleichnis Gottes verhalte“.) (6) Unvergleichbar ist nur das absolut Seiende (d.i. Gott), vergleichbar nur das Ebenbildliche (d.i. der Mensch). Unfleischlich ferner ist der vollkommene Gott, der Mensch aber ist Fleisch: das Band seines Fleisches ist die Seele, Träger seiner Seele das Fleisch. (7) Nehmen wir nun an, dieser so gestaltete (aus Fleisch und Seele bestehende) Organismus gleiche einem Tempel, so will Gott in ihm wohnen durch den Geist, seinen Abgesandten; ist er aber kein solches Heiligtum, so ist der Mensch den Tieren nur durch seine artikulierte Stimme überlegen und, da seine anderen Lebensäußerungen durchaus den tierischen gleichen, auch kein „Gleichnis Gottes“. (8) Die Dämonen dagegen sind alle ohne Fleisch und haben einen geistigen Organismus wie von Rauch und Nebel. (9) Nur die vom Geiste Gottes Beschützten vermögen daher die Gestalten der Dämonen zu sehen; die übrigen Menschen, ich meine diejenigen, in denen nur die Seele ohne den Geist wohnt, vermögen es nicht, weil das Niedrigere nicht das Höhere zu erfassen vermag. (10) Das freilich ist auch der Grund, warum das Wesen der Dämonen keine Möglichkeit der Buße besitzt; denn sie sind bloß Spiegelbilder der Materie und der Bosheit. (11) Die Materie aber wollte die Seele knechten und so haben die Dämonen, da sie willensfrei sind, den Menschen Gesetze des Todes geben können. Doch die Menschen haben nach dem Verlust der Unsterblichkeit durch die im Glauben vollzogene Selbstabtötung den Tod besiegt und mittels der Buße ward ihnen Berufung zuteil gemäß dem Worte: „nachdem sie nur eine kurze Zeit unter die Engel erniedrigt worden waren“. (12) Jeder Besiegte kann eben wiederum siegen, wenn er den Zustand des Todes abtut. Was darunter zu verstehen sei, werden die Menschen, die nach der Unsterblichkeit streben, leicht erkennen.

(1) Aber (wohl gemerkt): die Dämonen, die mit den Menschen schalten, sind nicht die Seelen der abgeschiedenen Menschen. Denn wie sollten sie just nach dem Tode tatkräftig werden, außer man nähme an, daß der Mensch ohne Verstand und ohne Kraft ins Leben trete und erst durch den Tod eine gewisse Kraftfülle empfange. (2) Doch das stimmt nicht, wie ich anderswo bewiesen habe, und es wäre auch schwer zu begreifen, daß die ,,unsterbliche“ Seele von den Gliedern des (sterblichen9 Leibes gehemmt sein und erst dann, wann sie sich von ihm trenne, vernünftiger werden so. (3) Die Dämonen – nicht die Seelen der Abgeschiedenen – sind es, die in ihrer Bosheit gegen die Menschen wüten und durch mancherlei verlogene Kniffe ihre Gedanken, die ohnedies am Weltlichen haften, ablenken, damit sie sich nicht mehr zur himmlischen Wanderung erheben können. (4) Doch sind einerseits uns Barbaren die irdischen Dinge nicht verborgen, andererseits werdet auch ihr das Göttliche leicht erfassen können, wenn die Kraft, welche die Seelen unsterblich zu machen vermag, zu euch kommt. (5) Aber auch von denjenigen, die dieser Kraft entbehren, werden zuweilen die Dämonen gesehen, wann sie sich nämlich selbst den Menschen zeigen, um als etwas zu gelten oder als schlecht gesinnte Freunde den Menschen wie Feinden etwas Übels anzutun oder um ihresgleichen Gelegenheit zu ihrer Anbetung zu geben. (6) Denn wär’s ihnen möglich gewesen, so hätten sie allerdings sogar den Himmel samt der übrigen Schöpfung zerstört: jetzt haben sie das völlig aufgegeben, denn sie vermögen es nicht, aber mittels der niederen Materie kämpfen sie wider die ihnen ähnliche Materie. Will sie daher einer besiegen, so muß er die Materie abtun; denn mit dem Panzer des himmlischen Geistes gewappnet wird er alles, was von diesem Panzer umschossen wird, zu retten imstande sein. 

(7)) In der Materie an uns gibt es Krankheiten und Kämpfe. Treten sie ein, so schreiben die Dämonen sich die Ursachen davon zu, obwohl sie erst hinzukommen, wenn die Krankheit schon um sich gegriffen hat. Bisweilen freilich erschüttern sie auch selber durch einen Ansturm ihrer Verworfenheit den Zustand unseres Leibes; aber durch ein Machtwort Gottes getroffen, weichen sie erschreckt von hinnen und der Kranke wird geheilt.

(1) Denn über die von Demokritos aufgestellten „Sympathien“ und „Antipathien“ habe ich nur das Eine zu sagen, daß dieser Mensch aus Abdera gebürtig und daher, wie der Volksmund sagt, ein abderitischer Schwätzer ist. Und wie derjenige, der dieser Stadt den Namen gegeben hat (er soll ein Freund des Herakles gewesen sein), von den Rossen des Diomedes zerfleischt wurde, so wird auch Demokritos, der den Magier Ostanes rühmte, am Tage der Vollendung dem ewigen Feuer zum Fraße übergeben werden. (2) Ihr aber werdet, wenn ihr das Lachen nicht laßt, dieselben Strafen wie die Zauberer erleiden! Deshalb, ihr Bekenner des Griechentums, horcht auf mich, wie ich gleichsam vom Himmel her meinen Ruf erhebe, und setzt nicht höhnend euere Torheit an die Stelle der Wahrheit, deren Herold ich bin. (3) Kein Leiden gibt es, das durch Antipathie vertrieben wird, und kein Rasender wird geheilt durch Anhängsel, die man an Riemchen trägt. Anfälle der Dämonen sind da im Spiele und bei Krankheit und angeblichem Liebeskummer, bei Haß und Rachsucht machen die Menschen sie zu ihren Gehilfen. Ihr Unwesen aber treiben die Dämonen folgendermaßen. (4) Wie die Buchstabenformen und die aus ihnen gebildeten Zeilen nicht an und für sich fähig sind, einen Satz zum Ausdruck zu bringen, sondern erst von den Menschen für ihre Zwecke zu Signalen der Gedanken gemacht worden sind, indem sie aus der Art ihrer Zusammensetzung zu erkennen suchen, was für einen Sinn die Buchstabenfolge regelrecht ergeben so, so ähnlich sind auch die verschiedenen Rezepte von Wurzeln und Sehnen und Knochen nicht an und für sich irgendwie wirksam, sondern Symbolik der Dämonen, die in ihrer Bosheit den Zweck eines jeden dieser Stoffe bestimmt haben. (5) Sehen sie, daß die Menschen die mit solchen Mitten betriebene Hilfe annehmen, so kommen sie damit und machen schließlich die Leute zu ihren Sklaven. (6) Wie könnte man den Helfersdienst bei Ehebrüchen als gutes Werk ansehen? Wie kann man als Verdienst anrechnen, gehässige Menschen in ihren Absichten zu fördern? Oder wie wäre es sittlich, die Heilung von Rasenden der Materie und nicht Gott zuzuschreiben? (7) Durch List nämlich machen die Dämonen die Menschen von der Gottesverehrung abwendig, indem sie ihnen einreden, auf Kräuter und Wurzeln zu vertrauen. (8) Hätte Gott diese Dinge dazu geschaffen, wozu sie die Menschen gebrauchen wollen, so wäre er der Schöpfer böser Dinge. Da er jedoch nur alles das, was irgendwie gut ist, geschaffen hat, die Lüsternheit der Dämonen aber die irdischen Dinge zu schlechten Zwecken mißbrauchte, so stammt auch alle Art Schlechtigkeit von ihnen und nicht von dem vollkommenen Gott. (9) Wie sollten aber auch, wenn ich im Leben durchaus nicht böse war, nach meinem Tode, im Zustand der Ruhe, meine unbeweglichen und nicht einmal mehr empfindungsfähigen Gebeine irgend etwas Wahrnehmbares tun? Wie sollte ferner der eines jämmerlichen Todes Verstorbene irgend jemandem als Helfer erstehen können? Sollte dem so sein, dann wird er wohl viel lieber seinen eigenen Feind von sich abwehren; denn wer imstande ist, sogar anderen Beistand zu leisten, der wird doch vor allem als sein eigener Rächer auftreten.

(1) Die Arzneikunde und alles, was dazu gehört, kommt aus der gleichen Schwindlerwerkstatt. Denn wenn jemand schon durch die Materie geheilt wird, sobald er ihr vertraut, um wie viel eher wird er Heilung finden, wenn er sich auf die Kraft Gottes verläßt! (2) Wie nämlich die Giftarten materielle Mischungen sind, genau so stammen auch die Heilmittel aus dem gleichen Urstoff. Wenn wir also die Materie von mehr oder weniger schlechter Beschaffenheit verwerfen, so werden wohl nicht wenige in der Art Heilversuche unternehmen wollen, daß sie mit dem Guten doch auch ein bißchen Schlechtes verquicken: das wäre aber trotz des guten Zweckes nur ein Unfug, den man mit dem Schlechten triebe. (3) Denn wie einer, der sich mit einem Räuber an den gleichen Tisch setzt, auch wenn er selbst kein Räuber ist, doch schon um der Tischgemeinschaft willen der Strafe verfällt, ebenso wird auch der Nichtböse, wenn er sich mit Bösem einläßt, um es zu vermeintlich Gutem zu gebrauchen, von Gott, seinem Richter, um dieser Gemeinschaft willen gestraft werden. (5) Weshalb wollen die Leute, die ihr Vertrauen auf die Wirksamkeit der Materie setzen, nicht auf Gott vertrauen? Warum gehst du nicht zu dem mächtigeren Herrn und ziehst vor, dich wie der Hund durch Kräuter, der Hirsch durch Schlangen, das Schwein durch Flußkrebse, der Löwe durch Affen zu heilen? (5) Warum vergöttlichst du das Irdische? Warum läßt du dich einen Wohltäter nennen, wenn du deinen Nächsten heilst? (6) Folge der Macht des Logos! Heilen können die Dämonen nicht, sondern durch betrügerische Kunst nehmen sie die Menschen gefangen und der bewunderungswürdige Justinus hat mit Recht gesagt, daß sie Räubern gleichen. (7) Wie nämlich Räuber Menschen einzufangen und dann um Lösegeld den Ihrigen wieder auszuliefern pflegen, so schleichen sich die vermeintlichen Götter in die Gliedmassen mancher Menschen ein, schaffen sich hierauf durch Träume ein Ansehen und nötigen die Besessenen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich vor aller Augen zu zeigen: haben sie sich endlich an Lobpreisungen gesättigt, dann fliegen sie von den Kranken fort, gebieten der von ihnen bewirkten Krankheit Einhalt und versetzen die Menschen wieder in den früheren Zustand zurück.

(1) Da ihr von diesen Dingen keine Erkenntnis habt, so laßt euch von uns, den Wissenden, belehren, ihr Prediger der Todesverachtung und Askese. (2) Denn euere Philosophen wissen so wenig von Abtötung, daß einige vom römischen Kaiser jährlich 600 Dukaten für nichts und wieder nichts beziehen, damit sie nicht einmal ihren wallenden Bart umsonst wachsen zu lassen brauchen. (3) Crescens z. B., der sich in der Hauptstadt eingenistet hat, war der größte Päderast und der ärgste Geizhals. (4) Den Tod selbst, den er „verachtete“, fürchtete er so sehr, daß er sowohl dem Justinus wie auch mir den Tod, als sei er ein Übel, heraufzubeschwören suchte, weil Justinus in Verkündigung der Wahrheit die„Philosophen“ als Schlemmer und Betrüger entlarvte: wer hätte also die Verpflichtung gehabt, den „Philosophen“ geradezu vor Gericht zu ziehen, als eben nur ihr? (5) Fürwahr, wenn ihr in Übereinstimmung mit unserer Lehre sagt, man dürfe den Tod nicht fürchten, so (verwickelt euch nicht in Widersprüche zwischen Wort und Tat und) sterbt nicht aus irdischer Ruhmsucht wie Anaxarchos, sondern werdet um der Erkenntnis Gottes willen Verächter des Todes. (6) Der Bau der Welt ist gut, aber die Lebensführung darin ist schlecht und wie auf einem Jahrmarkt kann man Leute sehen, die gottvergessenen Gauklern Beifall klatschen. Wie stets denn mit der Weissagekunst? (7) Warum seid ihr von ihr betört? Zur Befriedigung irdischer Begierden dient sie dir. Willst du Krieg führen, so nimmst du Apoll zum Ratgeber bei deinen Mordanschlägen. Willst du ein Mädchen rauben, so verlangst du, daß dir der Böse behilflich sei. Hast du dir durch eigene Schuld eine Krankheit zugezogen, so wünschest du wie Agamemnon, zehn Götter möchten als Ratgeber mit dir sein. (8) Da trinkt eine Wasser und rast, durch Weihrauchdüfte gerät sie von Sinnen, und du glaubst dann, eine solche Person weissage. Ein Vorherwisser war Apoll und der Lehrer der Wahrsager: aber bei dem Fall mit Daphne hat er sich selber geschnitten. (8) Sage mir, eine Eiche prophezeit und auch die Vögel künden die Zukunft: du aber stehst tiefer als Tiere und Pflanzen? Da wäre es ja gut für dich, ein weissagender Baumstamm zu werden und den Seglern der Lüfte das Fliegen abzulernen. (10) Will dich einer habgierig machen, so weissagt er dir auch vom Reichwerden; um Aufruhr und Kämpfe zu erregen, prophezeit er dir auch den Sieg im Kriege. (11) Bist du aber über die Leidenschaften erhaben, so wirst du auch alles in der Welt verachten. Wir tun das: also verabscheut uns nicht, sondern sagt euch von den Dämonen los und folget dem, der allein Gott ist. „Alles ist von ihm und ohne ihn ist nichts gemacht.“ (12) Ist aber in dem Geschaffenen etwas Schädliches, so ist es durch unsere Sünde hineingekommen. Ich kann euch die ganze Wirtschaft aufdecken; ihr müßt nur hören und wer mir vertraut, wird zur Einsicht kommen.

(1) Auch wenn ihr euch durch Arzneien heilen laßt (ich will dir das nachsichtig hingehen lassen), muß man wenigstens Gott das Zeugnis geben. Noch zieht uns ja die Welt herab und Schwäche ist’s, die uns die Materie aufsuchen heißt. (2) Nachdem die Seele ihre Flugkraft, den vollkommenen Geist, durch die Sünde verwirkt hatte, flatterte sie ängstlich wie ein junger Vogel und fiel zu Boden; und da sie also die Verbindung mit dem Himmel verloren hatte, begann sie die Gemeinschaft mit den niederen Dingen zu wünschen. (3) Verstoßen wurden die Dämonen, ausgetrieben wurden die ersten Menschen: jene wurden vom Himmel herabgestürzt, diese von der Erde vertrieben, aber nicht von der heute bestehenden, sondern aus einer, die besser eingerichtet war als die gegenwärtige. Daher müssen wir in dem sehnsüchtigen Streben nach dem ursprünglichen Zustande alles abwerfen, was uns hindern kann. (4) Nicht unendlich, o Mensch, ist der Himmel, sondern endlich und begrenzt. Was über ihm liegt, die besseren Welten, die haben keinen Wechsel der Jahreszeiten, durch die allerlei Krankheiten verursacht werden: dort herrscht überall mildes Klima, ununterbrochen währen der Tag und ein Licht, zu dem kein irdischer Mensch zukommen kann. (5) Die Verfasser von Erdbeschreibungen haben, soweit das ein Mensch vermag, Schilderungen der Länder gegeben; da sie aber von dem, was darüber hinaus liegt, nichts zu erzählen vermochten, weil hier keine Anschauung möglich ist, so faselten sie in ihren Erklärungsversuchen von Ebbe und Flut, von Meeren, deren eines lauchgrün, das andere schlammig sei, von Erdstrichen mit glühender Hitze oder eisiger Kälte. (6) Wir aber haben, was wir nicht wissen können, durch die Propheten gelernt, die in dem festen Gauben, daß gemeinsam mit der Seele der Geist, der himmlische Harnisch unserer Sterblichkeit, dereinst die Unsterblichkeit erwerben werde, das voraussagten, was die übrigen Seelen nicht erkannten. (7) Möglich aber ist es für jeden, der entblößt ist, jenes Kleinod (den himmlischen Harnisch) zu erlangen und so zur ursprünglichen Gemeinschaft (der Seele mit dem Geiste) zurückzukehren.

(1) Wir sind ja keine Narren, ihr Anhänger der Griechenehre, und wir reden keine Possen, wenn wir verkündigen, daß Gott in Menschengestalt erschienen ist. Die ihr uns verspottet, vergleicht doch euere Märchen mit unseren Darlegungen! Hektors wegen soll Athene die Gestalt des Deiphobos angenommen haben und um Admetos’ willen weidete der ungeschorene Phoibos die schleppfüßigen Rinder und als altes Weib kam zu Semele die Gattin des Zeus. (3) Als Leute, die solches Zeug aushecken, wollt ihr uns verlachen? Gestorben ist euer Heilgott Asklepios und der Mann, der zu Thespiae in einer Nacht fünfzig Mädchen entjungferte, hat sich selbst den Flammen zum Fraß überliefert und ist gleichfalls tot. Prometheus wurde an den Kaukasus angeschmiedet und erduldete Strafe für die Wohltat, die er den Menschen erwiesen hat. Neidisch ist Zeus auf euch und schickt dunkle Träume, wenn er die Menschen verderben will. (4) Daher blickt auf euere eigenen Denkwürdigkeiten und hört uns wenigstens an, wenn auch nur als ob wir mit euch um die Wette fabulierten. Und wir sind ja gar nicht töricht: albern ist euer Geschwätz. (5) Laßt ihr die Götter geboren werden, so erklärt ihr sie damit auch für sterblich. Warum ist denn Hera jetzt nicht mehr schwanger? Ist sie alt geworden oder habt ihr niemanden der es euch verraten könnte? (6) Laßt euch endlich von mir überzeugen, ihr Bekenner des Griechentums, und erklärt euere Mythen und Götter doch nicht für Allegorien: selbst wenn ihr nämlich zu diesem Auskunftsmittel greifen solltet, ist euer Gottesbegriff schon umgebracht, nicht bloß von uns, sondern auch von euch selber. Denn entweder sind euere Dämonen, falls sie so sind, wie sie geschildert werden, sittlich schlecht oder man wandelt sie in Naturkräfte und dann sind sie erst recht nicht, was sie sein sollen. Die göttliche Wesenheit der Gestirne 7 zu verehren, dazu würde ich weder mich überreden lassen noch meinen Nächsten überreden wollen. (7) Metrodoros von Lampsakos hat in seinem Buch über Homer gar zu einfältiges Zeug behauptet, indem er alles in Allegorien verwandelte. Er meint nämlich, weder Hera noch Athene noch Zeus seien das, wofür sie diejenigen hielten, die ihnen Tempel und Haine geweiht haben, sondern sie seien Naturkräfte und an den Himmelskörpern haftende Dispositionen. (8) Auch Hektor und Achilles natürlich, ferner Agamemnon und mit einem Worte alle Griechen und Barbaren mitsamt der Helena und dem Paris seien gleicher Herkunft, werdet ihr sagen, und bloße Phantasiegestalten, die der Dichter für seinen Zweck auf die Szene brachte, ohne daß eine der erwähnten Personen wirklich existiert hätte. (9) Doch dies alles habe ich nur mit Vorbehalt gesagt; denn schon das wäre sündhaft, unseren Gottesbegriff mit Götzen, die sich in Materie und Schmutz wälzen, auch nur in Vergleich zu ziehen.

(1) Wie steht es denn ferner auch mit euerem Theaterwesen? Wer sollte nicht euere öffentlichen Festvorstellungen verspotten, die, zur angeblichen Ehre der schlechten Dämonen aufgeführt, die Menschen in Schmach und Schande stürzen! (2) Oftmals sah ich so einen Schauspieler, um ihn zuerst zu bewundern und dann zu verachten, wie er in seinem Innern anders geartet ist und nur nach außen etwas vortäuscht, was er ja nicht ist, ein arger Prahlhans und Lüstling allerwege, der bald mit den Augen funket, bald mit den Händen agiert, tobsüchtig in seiner tönernen Maske bald als Aphrodite, bald in der Rolle Apolls auftritt und so, obwohl hinter seinen Masken nur immer ein und derselbe Mensch steckt, alle Götter zu Verbrechern macht, ein lebendes Kompendium des Aberglaubens, ein Fälscher des Heldentums, ein Darsteller von Mordgeschichten, ein Interpret des Ehebruches, ein Schatzkasten des Wahnsinns, ein Lehrmeister für Lustknaben, ein Vorbild für ungerechte Richter – und ein solcher Kerl wird von allen angejubelt. (3) Ich aber wandte dem Lügner den Rücken, da er alles fälscht, sowohl seine Gottlosigkeit als auch seine Kunst und den Menschen, den er darstellt. (4) Ihr freilich laßt euch von solchen Leuten fesseln und beschimpft diejenigen, die sich an euerem Treiben nicht beteiligen. Ich will nicht entzückt das Maul aufreißen, wenn sie im Chorus singen, und mich nicht in die gleiche Stimmung bringen lassen, wenn sich einer widernatürlich wiegt und biegt. (5) Was für absonderliches Zeug wird nicht bei euch ausgeheckt und durchgeführt! Man näselt und deklamiert Zoten, bewegt sich in unanständigen Gesten, und den Leuten, die auf der Bühne die Kunst ehren, wie man den Ehebruch treiben müsse, schauen euere Mädchen und Knaben zu. (6) Herrlich sind diese euere Hörsäle, die da offenkundig werden lassen, was in der Nacht Schändliches geschieht, und die Zuhörer mit Vorträgen von Schweinereien ergötzen. Herrlich sind auch euere lügendichtenden Poeten, die mit ihren Phantasiegestalten die Zuhörer betrügen.

(1) Ich sah für die Kampfspiele gemästete Menschen die Last ihres Fleisches herumschleppen, denen Siegespreise und Kränze verheißen wurden, indem die Kampfrichter sie nicht zu edlen Taten, sondern zum Wettstreit in frevelhaftem Kampfe aufriefen und den ärgeren Raufer mit dem Kranze beteilten. (2) Doch das ist noch das Kleinere von dem Schlimmen: wer möchte nicht zögern, das Größere zu erwähnen? Es gibt Leute, die sich so sehr der Faulheit ergeben haben, daß sie sich, um der Üppigkeit frönen zu können, für die Schlachtbank verkaufen: der Arme verkauft sich selber und der Reiche kauft Menschen, welche die Abschlachtung vollziehen sollen. Vor ihnen sitzen die Zuschauer, die Faustkämpfer ringen miteinander für nichts und wieder nichts und kein Helfer erscheint in der Arena. (3) Ist denn das wirklich schön von euch gehandelt? Der vornehme Mann bei euch sammelt das Heer der Mordgesellen, indem er ankündigt, daß er eine Räuberbande halte. Dann läßt er seine Strauchritter auftreten und ihr alle strömt zum Schauspiele zusammen und setzt euch als Richter hin einerseits über die Verworfenheit des Spielgebers, andererseits über die der Gladiatoren selber. (4) Wer zufällig dem Morden nicht zusehen konnte, der trauert darüber, daß er nicht dazu verurteilt war, Augenzeuge verbrecherischer Ruchlosigkeiten zu werden. (5) Ihr schlachtet Tiere, um ihr Fleisch zu fressen, und Menschen kauft ihr, um auch der Seele Menschenfleisch zum Fraße zu geben und sie mit gräßlichsten Blutströmen zu atzen. Je nun, der Räuber mordet nur, um zu rauben, der Reiche aber kauft sich eigens Gladiatoren, um nur zu morden.

(1) Was tut zu meinem Nutz und Frommen der Schauspieler, der im Drama des Euripides den rasenden Muttermörder Alkmaion spielt? Er zeigt nicht einmal sein eigenes Angesicht, hat das Maul offen, fuchtelt mit einem Schwerte herum, schreit sich in Hitze und trägt ein Kleid, das kein Mensch anziehen würde. Verschont mich mit den Fabeleien des Hegesippos und mit Menander, dem Versemacher, der das gleiche Mundstück wie Hegesippos hat! Was soll ich ferner den mythischen Flötenspieler bewundern oder mich gar wie Aristoxenos so angelegentlich für den Thebaner Antigenides interessieren? Wir wollen euch diese nutzlosen Dinge nicht streitig machen und ihr sollt nur wählen: entweder folgt unseren Lehren oder nehmt euch an uns ein Beispiel und lasst unsere Sache ungeschoren (wie wir die eurige)!

(1) Was für Großes und Bewunderungswürdiges tun denn euere Philosophen? Sie tragen die eine Schulter entblößt und lassen die Fülle des Haares herabfallen und den Bart wachsen und gehen mit Nägeln umher wie die wilden Tiere und behaupten, keines Menschen zu bedürfen, obwohl sie wie Proteus den Gerber wegen des Ranzens, den Weber wegen des Mantels, den Holzhauer wegen des Stockes, die Reichen und den Koch wegen ihrer Schlemmerei nötig haben. (2) O du Mensch! dem Hunde willst du es nachtun, denn da du Gott nicht kennst, bist du auf die Nachahmung unvernünftiger Tiere verfallen. Nachdem du es öffentlich ausgeschrien hast, sitzest du scheinheilig über dich selbst zu Gericht, und wenn man dir dann nichts gibt, so schimpfst du und die Philosophie wird dir zur Kunst des Erwerbes. (3) Du folgst den Lehren Platons, aber der Schüler Epikurs stellt sich dir mit weithin gellender Stimme entgegen; du wirst dich hinwiederum nach Aristoteles richten und irgendein Anhänger Demokrits verhöhnt dich. (4) Pythagoras sagt, er sei Euphorbos gewesen, und folgt der Lehre des Pherekydes; Aristoteles aber verlästert die Unsterblichkeit der Seele. (5) Da die philosophischen Systeme, die ihr habt, einander widersprechen, so kämpft ihr, unter euch uneins, gegen diejenigen, die unter sich einig sind. (6) Da sagt einer, der vollkommene Gott sei ein Körper, ich aber sage, er ist körperlos; die Welt sei unzerstörbar, ich dagegen, sie wird zerstört; zu gewissen Zeiten werde sich eine Verbrennung der Welt abspielen, ich dagegen, nur einmal; Richter seien Minos und Radamanthys, ich dagegen, Gott selbst; die Seele allein werde Unsterblichkeit erlangen, ich dagegen, auch der mit ihr verbundene Leib. (7) Was tun wir euch zu Leide, ihr Bekenner des Griechentums? Warum haßt ihr die, welche dem Worte Gottes folgen, als ob wir von gräßlicher Blutschuld befleckt wären? Bei uns gibt’s keine Menschenfresser; die ihr also berichtet seid, ihr seid falsche Zeugen: bei euch wird Pelops den Göttern zum Mahle zubereitet, obgleich er der Liebling Poseidons war, und Kronos verschlingt seine Söhne, und Zeus verschluckt die Metis.

(1) Hört doch auf, mit fremden Worten zu prunken und euch wie die Dohlen mit gestohlenen Federn aufzuputzen. Wann einmal jede Stadt die von ihr erborgten Ausdrücke euch abnehmen sollte, dann wird’s mit eueren Sophismen gründlich aus sein. (2) Ihr sucht zu ergründen, wer Gott sei, und kennt euer eigenes Wesen nicht; ihr gafft in den Himmel und fallt in Gruben. Labyrinthen gleichen die Widersprüche in eueren Büchern und deren Leser dem Faß der Danaiden. (3) Was teilt ihr mir die Zeit ein, indem ihr sagt, ein Teil von ihr sei die Vergangenheit, der andere die Gegenwart, der dritte die Zukunft? Denn wie kann die Zukunft herankommen, wenn die Gegenwart ist? Wie etwa Leute, die auf einem Schiffe fahren, während der Bewegung desselben in ihrer Unerfahrenheit meinen, daß die Berge laufen, so erkennet auch ihr nicht, daß ihr selbst dahinfahrt, die Zeit aber stillsteht, solang es Dem gefällt, der sie geschaffen hat. (4) Warum muß ich denn Prügelknabe sein, wenn ich meine Lehren vorbringe, und warum seid ihr erpicht, alles, was von mir ist, zu vertilgen? Seid ihr denn nicht in derselben Weise wie wir geboren worden und teilt euch mit uns in diese Welt und ihre Einrichtung? Wie könnt ihr behaupten, allein bei euch sei die Weisheit, wenn ihr weder eine andere Sonne habt noch einen anderen Aufgang der Gestirne noch eine bessere Herkunft noch im Vergleiche mit den übrigen Menschen einen auserlesenen Tod? (5) Mit dem Geschwätz bei euch haben die Schulmeister begonnen und da ihr die Wissenschaft einteiltet, habt ihr euch von der wahren Wissenschaft abgeschnitten und die Teile nach Menschen zubenannt; denn da ihr Gott nicht kennt, so bekämpft und verurteilt ihr euch untereinander. (6) Und deshalb wißt ihr alle nichts: die Ausdrücke versteht ihr euch anzueignen, redet aber miteinander wie der Blinde mit dem Tauben. (7) Was haltet ihr das Bauwerkzeug in den Händen und versteht doch nicht zu bauen? Was eignet ihr euch Worte an und seid doch fern von Taten? Aufgeblasen im Glücke, im Unglück aber verzagt, braucht ihr wider alle Vernunft euere schönen Phrasen: öffentlich prunkt ihr mit ihnen, in den Winkeln aber versteckt ihr euere Lehren. (8) Da wir euch von dieser Seite kennen lernten, haben wir euch verlassen und wollen nichts mehr von dem Eurigen anrühren, sondern dem Worte Gottes folgen. (9) [Mensch, wozu schaffst du denn eigentlich einen Krieg zwischen den Buchstaben? Warum läßt du die Laute sozusagen untereinander handgemein werden, indem du sie nach attischer Manier verschluckst, während es doch auf eine natürliche Aussprache ankommen sollte? Denn wenn du attisch sprichst, ohne ein Athener zu sein, dann sage mir doch, warum du nicht dorisch sprichst? Warum erscheint dir für die Konversation der eine Dialekt barbarisch, der andere anmutig?

(1) Wenn aber du dich für deinen Teil an die Unterweisung jener Schulmeister hältst, warum bestreitest du dann mir das gleiche Recht, Lehrmeinungen zu wählen, die mir gefallen? Ist es denn nicht unsinnig, zwar den Räuber trotz des verdächtigen Namens, bevor noch der Tatbestand genau ermittelt ist, mit Strafe zu verschonen, uns aber auf Grund eines ungeprüften, von Schmähsucht eingegebenen Vorurteils mit Haß zu verfolgen? (2) Diagoras war ein Götterleugner: aber obwohl der Mann die atheniensischen Mysterien verhöhnte, haltet ihr ihn in Ehren, und während ihr auf seine Phrygischen Gespräche fliegt, habt ihr uns in Acht und Bann getan. (3) Ihr besitzt die Denkschrift Leons, aber Widerlegungen, die von uns kommen, wollt ihr nicht dulden. Ihr laßt die Ansichten Apions über die ägyptischen Götter bei euch gelten, aber uns verschreit ihr als die gottlosesten Menschen. (4) Ein Grab des olympischen Zeus zeigt man bei euch, mag auch mancher behaupten, die Kretenser seien Lügner. (5) Mit der Schar der vielen Götter steht’s eben windig: aber mag auch der Götterverächter Epikur hier die Fackel vorantragen, so will ich doch denen, die nichts mehr von der Gottheit besitzen, gerade meine Erkenntnis des Weltalls nicht vorenthalten. (6) Warum rätst du mir, meinen Lebenswandel zu verleugnen? Warum behauptest du, den Tod zu verachten und gibst mir trotzdem den Ratschlag, durch einen Betrug ihm zu entfliehen? Ich habe wahrhaftig nicht das Herz eines Hasen, aber euere Großsprecherei gleicht dem zügellosen Geschrei des Thersites. (7) Wie soll man einem glauben, der behauptet, die Sonne sei eine glühende Masse und der Mond ein Körper wie die Erde? Das sind strittige Hypothesen und nicht erwiesene Tatsachen. (8) Oder wie wäre es nicht abgeschmackt, den Büchern des Herodoros betreffs der Herakles Geschichte Glauben zu schenken, wenn sie von einer oberen Erde erzählen, aus welcher der Löwe herabgekommen sei, den Herakles getötet hat? (9) Was nützen wohl der attische Stil, die Häufel- und Wahrscheinlichkeitsschlüsse der Philosophen, die Untersuchungen über die Maßverhältnisse der Erde, über die Stellung der Gestirne, über den Lauf der Sonne? Nichts! Denn für derlei „wissenschaftliche“ Betätigung paßt nur einer, dem seine subjektiven Meinungen als Gesetze gelten.

28.

(1) Deshalb verurteile ich auch euere Staatsgrundgesetze; denn einheitlich und überall gleichartig müßte die Verfassung sein. Nun aber gibt es so viele Gesetzgebungen als Staatsgebilde, so daß, was die einen für schändlich erklären, den anderen für vortrefflich gilt. (2) Die Griechen z. B. halten die geschlechtliche Vereinigung mit der Mutter für verwerflich: sie erscheint aber bei den persischen Magiern als besonders wertvolle Einrichtung. Die Knabenliebe wird von den Barbaren verdammt: von den Römern aber wird sie als Vorrecht beansprucht, denn sie pflegen Scharen von Knaben wie Pferdeherden zusammenzutreiben.

(1) Da ich nun dies alles gesehen, obendrein noch in die Mysterien eingeweiht worden war und überall die Kulte, die von weichlichen Eunuchen besorgt werden, geprüft und schließlich erfahren hatte, daß bei den Römern ihr Zeus Latiaris sich an Menschenopfern und Menschenblut ergötze, daß Artemis nicht weit von der großen Stadt die gleiche Art von Opferhandlungen beanspruche, daß der eine Dämon hier, der andere dort an Auswüchsen frevelhaften Tuns Gefallen finde: da ging ich in mich und forschte nach, auf welche Weise ich die Wahrheit finden könnte. (2) Und während ich über das Problem des Guten nachsann, traf sich’s, daß mir einige barbarische Schriften in die Hand fielen, die im Vergleich mit den Lehrsätzen der Griechen ein höheres Alter, im Vergleich mit griechischer Irrehre göttliche Erleuchtung aufwiesen. (3) Und es fügte sich, daß diese Schriften mich überzeugten durch die Schlichtheit ihres Stils, durch die Anspruchslosigkeit ihrer Verfasser, durch die wohlverständliche Darstellung der Weltschöpfung, durch die Voraussicht der Zukunft, die Ungewöhnlichkeit der Vorschriften und die Zurückführung aller Dinge auf einenHerrn: (4) sie haben meine Seele über Gott belehrt und ich verstand, daß die Griechenlehre zur Verdammnis führe, die Barbarenlehre aber die Sklaverei in der Welt aufhebe, von vielen Herren und tausend Tyrannen uns befreie und uns nicht etwa das gebe, was wir nicht schon empfangen hätten, sondern nur zurückstelle, was wir zwar empfangen hatten, aber infolge des Irrtums nicht festzuhalten vermochten.

(1) Nachdem ich also unsere Torheiten erkannt habe, will ich sie ablegen, wie die Kinder ihre Unarten abstreifen. (2) Denn wir wissen, daß die Natur des Bösen der des kleinsten Samenkornes gleicht, das ja schon bei geringer Veranlassung Wurzel faßt, aber wiederum ausgerodet werden wird, wenn wir dem Worte Gottes gehorchen und uns nicht selbst aus seinem Schutz verjagen. (3) Durch einen verborgenen Schatz nämlich ist das Wort Herr über all das Unsrige geworden, einen Schatz, bei dessen Ausgrabung wir zwar mit Staub bedeckt werden, dem Worte aber erst die Möglichkeit bieten, bei uns zu sein. Denn wer des Wortes ganzen Besitz erringt, der hat damit die Macht über den kostbareren Reichtum empfangen. (4) Dies mag indes nur für die Unsrigen gesagt sein: euch Bekennern griechischer Götterlehre aber, was soll ich euch anderes zurufen, als daß ihr die Besseren nicht schmähen noch daraus, daß sie etwa „Barbaren“ heißen, einen Anlaß zu ihrer Verhöhnung nehmen sollt![Denn die Ursache, warum sich nicht alle Menschen in derselben Sprache verständigen können, werdet ihr, falls ihr wollt, ohne weiteres erfahren: wenn ihr nämlich unsere Lehren prüfen mögt, so werde ich euch darüber eine leichtfaßliche und lückenlose Erklärung geben.]

(1) Für diesmal glaube ich nur noch erweisen zu sollen, daß unsere Philosophie älter ist als die griechischen Lehrgebäude. (2) Ausgangspunkte sollen uns Moses und Homer sein. Denn da beide ins graue Altertum gehören, Homer als ältester Dichter und Geschichtsschreiber, Moses als Begründer aller barbarischen Weisheit, so sollen sie auch von uns in Vergleich gezogen werden, zumal sich hierbei ergeben wird, daß unsere Lehren nicht nur älter sind als die griechische Kultur, sondern sogar älter als die Erfindung der Buchstaben. (3) Zu Zeugen werde ich nicht unsere Gewährsmänner nehmen, sondern mich vielmehr auf Anhänger der griechischen Götterlehre zum Beweise berufen; denn das erstere wäre töricht, weil nicht einmal wir solche Beweisführung annehmbar fänden, das letztere aber dürfte doch wohl verblüffend wirken, wenn ich euch nämlich mit eueren eigenen Waffen bekämpfe und Beweise vorbringe, die euererseits nicht beargwöhnt werden können.

(4) Über die Dichtung Homers nun, seine Abkunft und die Zeit, in der er blühte, haben schon in sehr alten Zeiten Nachforschungen angestellt Theagenes aus Rhegion, der zur Zeit des Kambyses lebte, Stesimbrotos von Thasos und Antimachos von Kolophon, ferner Herodot aus Halikarnass und Dionysios aus Olynth; nach ihnen Ephoros aus Kumä und Philochoros aus Athen, sodann die Peripatetiker Megaklides und Chamäleon; hierauf die Grammatiker Zenodotos, Aristophanes, Kallistratos, Krates, Eratosthenes, Aristarchos und Apollodoros. (5) Unter ihnen sagen die Anhänger des Krates, Homer habe vor der Rückkehr der Herakliden geblüht, spätestens achtzig Jahre nach dem trojanischen Kriege; die Anhänger des Eratosthenes, hundert Jahre nach der Einnahme von Ilion; die Anhänger des Aristarchos, zur Zeit der ionischen Wanderung, die hundertvierzig Jahre nach den Ereignissen von Ilion stattfand; Philochoros, nach der ionischen Wanderung zur Zeit des Archonten Archippos von Athen, hundertachtzig Jahre nach Ilions Fall; die Anhänger des Apollodoros, hundert Jahre nach der ionischen Wanderung, was etwa zweihundertvierzig Jahre nach dem trojanischen Krieg ergäbe. (6) Einige haben behauptet, Homer sei vor dem Beginn der Olympiadenrechnung geboren, das wäre vierhundert Jahre nach der Einnahme von Ilion. Andere sind noch weiter abwärts gegangen und sagten, Homer sei Zeitgenosse des Archilochos gewesen; Archilochos aber blühte um die 23. Olympiade zur Zeit des Lydiers Gyges, fünfhundert Jahre nach den Kämpfen um Ilion.

(7) [Was ich hier über die Lebenszeit des genannten Dichters, ich meine Homers, und über die unvereinbaren Widersprüche seiner Erforscher summarisch hervorhob, mag für diejenigen genügen, die meine Angaben ins einzelne zu überprüfen imstande sind; nun vermag nämlich jeder von ihnen auch die Ansichten der Homerforscher über die vom Dichter erzählten Ereignisse als falsch zu erklären, zumal Leute, die ungereimte Zeitansätze aufstellen, doch unmöglich die geschichtlichen Vorgänge selbst wahrheitsgemäß beurteilen können: denn worin anders liegt die Ursache der Fehler in der Geschichtsschreibung als darin, daß unrichtige Voraussetzungen kombiniert werden?]

(1) [Wir aber lehnen, da für uns kein Verlangen nach eitlem Ruhme maßgebend ist, ein kunterbuntes Vielerlei von Hypothesen ab. Geschieden von der gemeinen, irdischen Lehre, gehorsam den Vorschriften Gottes und dem Gesetze des Vaters der Unvergänglichkeit folgend verwerfen wir alles, was bloß auf menschlicher Meinung beruht. (2) Es philosophieren bei uns nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen genießen umsonst den Unterricht; denn was von Gott kommt, ist zu erhaben, als daß es durch eine irdische Gabe vergolten werden könnte. (3) Alle, die hören wollen, lassen wir also zu, selbst alte Weiblein und unreife Knaben, mit einem Wort: jegliches Alter kommt bei uns zu Ehren, nur alles, was unzüchtig ist, halten wir uns fern und wir lügen nicht bei unseren Erklärungen, schön aber wäre es, wenn euere Beharrlichkeit im Unglauben ein Ende nähme – wenn nicht, nun, so mögen unsere Lehren durch Gottes Zustimmung Kraft erhalten, ihr aber lacht nur, ihr werdet schon noch weinen müssen! (4) Ist es denn nicht abgeschmackt, eueren Nestor, der ob seiner Altersschwäche und Steifheit den Pferden nur langsam die Stränge abschneiden konnte, deshalb zu bewundern, weil er es im Kampfe den Jünglingen gleichtun wollte, dagegen die Menschen, die bei uns mit dem Alter ringen und sich mit göttlichen Dingen beschäftigen, zu verlachen? (5) Wer sollte nicht lachen, wenn ihr erzählt, daß die Amazonen und Semiramis und andere Weiber streitbar gewesen seien, dabei aber unsere Jungfrauen verhöhnt? (6) Ein grüner Junge war Achilles und doch ist man überzeugt, daß er besonders „edelsinnig“ war; noch jünger war Neoptolemos, aber trotzdem „großartig“. Philoktetes war ein armer Kerl, dennoch bedurfte die „Gottheit“ seiner gegen Troja. Was für ein Mensch war Thersites? Aber er zog ins Feld und wäre er nicht in seinem Unverstande ein so maßloser Schwätzer gewesen, so hätte ihn niemand einen Spitz und Kahlkopf gescholten. (7) Alle Menschen, die sich für Weltweisheit interessieren, nehmen teil an unseren Versammlungen, da wir  nicht ihr Aussehen prüfen noch diejenigen, die zu uns kommen, nach ihrem Auftreten beurteilen. Denn Stärke der Gesinnung, meinen wir, kann in jedermann wohnen, mag er auch schwach am Leibe sein. Bei euch dagegen ist alles voll Mißgunst und vielfältiger Torheit!]

(1) [Deshalb liegt mir daran, auf Grund dessen, was bei euch für ehrenvoll gilt, darzutun, daß unsere Sitten züchtig, die eurigen aber in vieler Beziehung wahnwitzig sind. (2) Die ihr sagt, wir schwatzten unter Frauen und Knaben, unter Mädchen und alten Weibern, und die ihr uns verspottet, weil wir nicht zu euch halten, hört denn, wie albern die griechischen Einrichtungen sind! (3) Denn albern ist, noch mehr als die Menge philosophischer Systeme, der Kult der Götter bei euch und in ihrem Harem treibt ihr Unzucht. (4) So hat Lysippos die Praxilla, die kein nützliches Wort in ihren Gedichten gesagt hat, in Erz gebildet, Menestratos die Learchis, Sianion die Hetäre Sappho, Naukydes die Lesbische Erinna, Boiskos die Myrtis, Kephisodotos die Byzantinische Myro, Gomphos die Praxagoris und Amphistratos die Kleito. (5) Was soll ich von der Anyta, der Telesilla und der Nossis sagen? Die erste haben Euthykrates und Kephisodotos, die zweite Nikeratos, die dritte Aristodotos abgebildet. Die Statue der Ephesischen Mnesarchis schuf Euthykrates, die der Korinna Silanion, die der Argiverin Thaliarchis Euthykrates. (6) Ich habe sie nur erwähnen wollen, damit ihr einerseits einseht, daß bei uns nichts Befremdendes geschieht, und andererseits – ihr braucht nur eueren eigenen offenkundigen Weiberkult zu vergleichen – nicht mehr unsere Frauen verspottet, weil sie sich mit der Weltweisheit beschäftigen. (7) Die Sappho war ein unzüchtiges, liebesloses Frauenzimmer, das seine eigene Wollust besang; unsere Frauen aber sind alle züchtig, und am Spinnrocken singen unsere Mädchen Lieder zum Lobe Gottes, zu besserem Zweck als euere Dirne. Deshalb schämt euch, die ihr selbst als Schüler von Weibern erfunden werdet, die Frauen, die sich uns anschließen, samt der Gemeinde, die mit ihnen ist, zu verhöhnen. Was hat euch denn Glaukippe Preiswürdiges aufgeführt, als sie ein Monstrum gebar, wie die Statue des Atheners Nikeratos, des Sohnes Euktemons zeigt, der den Balg in Erz gegossen hat? Wenn sie einem Elephanten das Leben schenkte, wie kam sie dazu, deshalb öffentliche Ehrung einzuheimsen? (10) Die Hetäre Phryne haben euch Praxiteles und Herodotos gemacht, und die Panteuchis, die von einem Buhlen geschwängert wurde, hat Euthykrates in Erz ausgeführt. Die Königin der Paeonier Besantis hat Dinomenes durch seine Kunst verewigt, weil sie ein schwarzes Kind zur Welt gebracht hat. (11) Meine Mißbilligung gilt sowohl dem Pythagoras, der die Europa auf dem Stiere dargestellt hat, wie euch, die ihr den Mann, obwohl er damit zum Ankläger des Zeus wurde, seiner Kunst wegen in Ehren haltet. (12) Ich verlache auch die Kunstfertigkeit des Mikon, der einen jungen Stier und auf ihm die Siegesgöttin gebildet hat, weil Zeus (in Gestalt eines Stieres) durch den Raub von Agenors Tochter (Europa) einen Siegespreis für Ehebruch und Unzucht davongetragen hat. (13) Weshalb hat der Olynthier Herodotos die Hetäre Glykera und die Zitherspielerin Argeia geschaffen? Bryaxis hat die Pasiphaë aufgestellt, und da ihr euch ihre Hurerei im Gedächtnis haltet, so scheint es fast, als ob ihr wünschtet, daß auch die heutigen Frauen so wären. Eine gewisse Melanippe war natürlich ein kluges Mädchen; darum hat sie Lysistratos dargestellt: daß es aber bei uns kluge Frauen geben könnte, dazu fehlt euch der Gaube.]

(1) [Ganz besondere Verehrung gebührt wohl auch dem Tyrannen Phalaris, der Säuglinge verschmauste , aber dank der Kunst des Amprakioten Polystratos bis heute als ein Wunder von einem Mann gezeigt wird. Zwar fürchteten sich die Einwohner von Agrigent, das erwähnte Menschenfressergesicht anzusehen, aber die Vertreter der Bildung frohlocken, daß sie ihn im Bilde schauen. (2) Wie kann man denn ruhig ertragen, daß selbst der Brudermord bei euch geehrt wird, da ihr beim Anblick der Bildsäulen des Polyneikes und Eteokles sie nicht samt ihrem Bildner Pythagoras herabschleudert und diese Denkmäler der Schlechtigkeit vernichtet? (3) Was mutet ihr mir wegen des Periklymenos zu, das Weibsbild, das dreißig Knaben gebar, als ein Wunderwerk zu betrachten? Vor einer Person, die dadurch nur die Früchte ihrer maßlosen Fleischeslust losgeworden ist, sollte man anständiger Weise Ekel empfinden, gleicht sie doch der Sau in Rom, die aus demselben Grunde eines, wie man sagt, „geheimnisvollen“ Kultes gewürdigt worden ist. (4) Ares trieb Unzucht mit Aphrodite und ihre Tochter Harmonia hat euch der Bildhauer Andron dargestellt. (5) Sophron, der Possen und Schnickschnack in seinen Büchern produziert hat, ist noch berühmter durch seine Erzbilder, die sich bis heute erhalten haben. Den Lügendichter  Aesopos haben nicht nur seine Fabeln unsterblich, sondern auch die Plastik des Aristodemos weltberühmt  gemacht. (7) Und da schämt ihr euch nicht, bei der zahllosen Menge eurer nichtsnutzigen Dichterinnen, Buhldirnen und Taugenichtse die Ehrbarkeit unserer Frauen zu besudeln? (8) Wozu brauche ich zu erfahren, daß Euanthe auf dem Spaziergang niedergekommen sei, wozu soll ich die Kunst des Kallistratos angaffen und die Kalliadische Neaera eines Blickes würdigen? Sie war ja eine Hetäre. Die Lais hat auch gehurt und ihr Hurenknecht hat sie als Denkmal seiner Hurerei aufgestellt. (9) Warum schämt ihr euch nicht der Hurerei des Hephaestion, mag ihn auch Philon überaus kunstvoll darstellen? Aus welchem Grunde haltet ihr den Lustknaben Ganymed des Leochares, ebenso ein Weiblein mit Armband, das Praxiteles geschaffen hat, in Ehren, wie wenn ihr damit was Rechtes hättet? (10) Derlei Zeug müßtet ihr alles abtun und das wahrhaft Rechte suchen, nicht euch auf die abscheulichen Zoten einer Philainis und Elephantis stürzen  und über unseren Wandel die Nase rümpfen!]

(1) [Was ich hier darlegte, darüber bin ich nicht etwa von einem anderen belehrt worden. Denn ein großes Stück Erde habe ich bereist und sowohl euere Sophistik betrieben als auch mancherlei Künste und Erfindungen zu sehen bekommen, bis ich zuletzt in der Stadt der Römer Aufenthalt nahm und die von euch dorthin gebrachten Statuen aller Art aus eigener Anschauung kennen lernte . Auch suche ich nicht, wie die Mehrzahl zu tun pflegt, meine Meinung durch fremde Ansichten zu stützen, sondern nur von alledem, wovon ich mir selbst einen Begriff machen kann, davon will ich auch einen zusammenfassenden Bericht erstatten. (2) Eben deshalb sagte ich sowohl der Großsprecherei der Römer als auch der Windbeutelei der Athener Lebewohl  und begann mich an unsere „barbarische“ Philosophie zu halten. Inwiefern diese älter ist als euer Kultus, fing ich zwar schon aufzuzeichnen an, schweifte aber wegen einer notwendigen Ausführung vom Thema ab und will es jetzt, gelegentlich meines Vortrags über das barbarische Lehrsystem, zu beendigen trachten. (3) Habt nur keinen Widerwillen gegen meinen Unterricht und bemüht euch nicht, mir mit einer geschwätzigen und albern-witzigen Einrede zu kommen, indem ihr etwa ruft: „Tatian fördert über die Griechen, über die unzählige Menge ihrer Philosophen hinweg die Lehrsätze der – Barbaren zutage!“ (4) Wäre es denn so unerträglich, daß Menschen, deren Unwissenheit offenbar geworden ist, von einem, der noch jüngst ihr Leidensgenosse war, überwiesen werden? Kann man es auch nur ungereimt nennen, wenn man nach dem Ausspruch eueres eigenen Sophisten „mit zunehmendem Alter immer noch viel Neues erntet“?]

(1) Gehen wir denn so weit, daß wir Homer nicht nach dem trojanischen Kriege ansetzen, sondern annehmen, er habe zur Zeit jenes Krieges gelebt, ja er habe im Heere Agamemnons mitgefochten und, wenn man will, seine Lebenszeit falle sogar vor die Erfindung der Buchstaben! (Alles umsonst:) denn es wird sich zeigen, daß der oben erwähnte Moses noch sehr viele Jahre vor der Einnahme Ilions, ja daß er gar lange vor Ilions Gründung, vor Tros und Dardanos gelebt habe. (2) Zum Beweise werde ich mich auf die Chaldäer, Phönizier und Ägypter als Zeugen berufen. (3) Darüber hinauszugehen, hätte keinen Zweck; denn wer etwas einleuchtend zu machen verspricht, der muß sich gegenüber Zuhörern in der Darstellung der Dinge kürzer fassen, als Berosos aus Babylon, ein Priester des dortigen Beos und Zeitgenosse Alexanders, der für den dritten König nach Alexander, Antiochos, die Geschichte der Chaldäer in drei Büchern geschrieben hat und den Abschnitt über die Taten der Könige mit einem gewissen Nabuchodonosor beginnt, der gegen die Phönizier und Juden ins Feld zog. (4) Diesen Zug kennen wir; denn er ist von unseren Propheten vorhergesagt worden und erfolgte lang nach Mosis Zeiten, siebzig Jahre vor der Herrschaft der Perser. Daß Berosos ein sehr glaubwürdiger Mann sei, bezeugt Jobas, der in seinem Werk über die Assyrier erklärt, er habe Geschichte von Berosos gelernt (Jobas’ Werk umfaßt zwei Bücher) .

37.

(1) Das also waren die Chaldäer; mit dem Zeugnis der Phönizier verhält es sich wie folgt. Unter ihnen lebten drei Männer: Theodotos, Hypsikrates und Mochos; ihre Schriften hat Laitos 1 ins Griechische übersetzt, derselbe, der auch sorgfältige Biographien der Philosophen verfaßt hat. (2) In den Geschichtswerken der Genannten wird nun mitgeteilt, unter welchem Könige der Raub der Europa stattgefunden habe und Menelaos nach Phönikien gekommen sei und was sich mit Cheiramos zugetragen habe, der dem Judenkönig Salomo seine Tochter zur Ehe gab und für den Tempelbau allerlei Holzmaterial spendete. Auch Menander aus Pergamon  hat diese Geschichten aufgezeichnet. (3) Die Zeit des Cheiramos nun ist dem trojanischen Kriege schon ziemlich nahe; Salomo aber Cheiramos Zeitgenosse, lebte lange nach Mosis Zeiten.

(1) Von den Ägyptern endlich gibt es genaue chronologische Aufzeichnungen, und ihr Geschichtschreiber ist Ptolemaios, nicht der König, sondern ein Priester aus Mendes. (2) Dieser sagt in seinem Bericht über die Taten der Könige, zur Zeit des ägyptischen Königs Amosis habe unter der Führung Mosis der Auszug der Juden aus Ägypten ins ersehnte Land stattgefunden. (3) Ferner sagt er: „Amosis lebte zur Zeit des Königs Inachos“. (4) Nach ihm berichtet der Grammatiker Apion, ein sehr zuverlässiger Mann, in dem vierten Buche seiner Ägyptischen Geschichte (er hat deren fünf verfaßt) unter vielem anderen auch folgendes: „Auaria wurde von Amosis, einem Zeitgenossen des argivischen Inachos, zerstört, wie der Mendesier Ptolemaios in seinen Annalen verzeichnet hat“. (5) Die Zeit aber von Machos bis zur Einnahme Ilions umfaßt zwanzig Generationen.

(1) Das läßt sich so beweisen: Die Könige der Argiver heißen Inachos, Phoroneus, Apis, Argeios, Kriasos, Phorbas, Triopas, Krotopos, Sthenelaos, Danaos, Lynkeus, Aias, Proitos, Akrisios, Perseus, Sthenelaos, Eurystheus, Atreus, Thyestes, Agamemnon, in dessen achtzehntem Regierungsjahre Ilion fiel. (2) Ferner muß sich jeder Verständige bei sorgfältiger Prüfung darüber klar werden, daß zu Inachos Zeit nach der Überlieferung der Griechen bei ihnen noch keinerlei Art von Geschichtschreibung bestand; denn Kadmos, der ihnen die Buchstaben gebracht hat, kam viele Generationen später nach Boeotien, und erst nach der Zeit des Inachos, unter Phoroneus, war einigermaßen das wilde Nomadeneben beschränkt worden und hatten die Menschen etwas Kultur angenommen. (3) Ist also Moses ein Zeitgenosse des Inachos, so lebte er vierhundert Jahre vor dem trojanischen Kriege. Erhärtet wird dieser Sachverhalt sowohl durch die Reihenfolge der attischen als auch der mazedonischen und ptolemäischen und endlich der antiochischen Könige. Sind also erst nach Inachos die bedeutenderen Taten bei den Griechen aufgezeichnet worden und so zu unserer Kenntnis gekommen, so hat man mit jenen Aufzeichnungen offenbar auch erst nach Moses begonnen. (4) Erst zur Zeit des Phoroneus nämlich, des Nachfolgers des Inachos, wird bei den Athenern Ogygos erwähnt, unter dem die erste Überschwemmung stattfand. (5) Zur Zeit des Phorbas lebte Aktaios, nach dem Attika „Aktaia“ genannt wurde. (6) Zur Zeit des Triopas lebten Prometheus, Epimetheus, Atlas, der doppelgestaltige Kekrops und die Io. (7) Zur Zeit des Krotopos erfolgten der phaëtontische Brand und die deukalionische Flut. (8) In die Zeit des Sthenelos fallen die Herrschaft des Amphiktyon und die Ankunft des Danaos in der Peloponnes und die Gründung von Dardania durch Dardanos sowie die Rückkehr der Europa aus Phönizien nach Kreta; (9) in die Zeit des Lynkeus der Raub der Kore und die Gründung des eleusinischen Tempels, ferner der Landbau des Triptolemos, die Ankunft des Kadmos in Theben und die Herrschaft des Minos. (10) In die Zeit des Proitos fällt der Krieg des Eumolpos gegen die Athener. (11) Zur Zeit des Akrisios erfolgten der Auszug des Pelops aus Phrygien und die Ankunft der Io in Athen; damals lebte der zweite Kekrops, vollführten Perseus und Dionysos ihre Taten und blühte Musaios, der Schüler des Orpheus. (12) Unter Agamemnons Regierung aber wurde Ilion genommen.

(1) Somit ergibt sich aus dem Gesagten, daß Moses älter ist als die erwähnten Heroen, Städte, Kriege und Dämonen, und man muß ihm, weil er älter ist, Gauben schenken, nicht aber den Griechen, die aus ihm als Quelle, ohne ihn zu nennen, seine Lehren geschöpft haben. (2) [Denn in ihrem maßlosen Vorwitz haben viele griechische Sophisten das, was sie aus den Büchern Mosis und seiner Anhänger gelernt hatten, auch noch falsch zu münzen gesucht, zunächst um glauben zu machen, als sagten sie etwas Originelles, sodann aber, um alles das, was sie nicht verstanden hatten, mit der Tünche ihres Redeschwalls zu überstreichen und so die Wahrheit zum Ammenmärchen zu verfälschen. (3) Darum werde ich über die Geschichte unserer Religion und ihrer Vorschriften und darüber, was in dieser Beziehung griechische Gelehrte geäußert haben, und wieviele und welche es waren, in meiner Schrift „An die Lehrer der Theologie“ Aufklärung geben.]

(1) Doch was mir diesmal Hauptsache ist, das muß ich euch noch rasch, aber mit aller Zuverlässigkeit zu wissen tun: daß Moses nicht nur älter als Homer ist, sondern auch älter als alle vorhomerischen Schriftsteller, nämlich Linos, Philammon, Thamyris, Amphion, Orpheus Musaios, Demodokos, Phemios, die Sibylle, Epimenides aus Kreta, der nach Sparta kam, Aristeas von Prokonnesos, der die Arismaspien verfasst hat, der Kentaur Asbolos und Bakis und Drymon und Euklus von Kypros, und Horos von Samos und Pronapides aus Athen. (2) Linos nämlich ist der Lehrer des Herakles; Herakles aber lebte eine Generation vor dem trojanischen Krieg. (3) Dies ist gewiß, da sein Sohn Tlepolemos gegen Ilion ins Feld zog. Orpheus war ein Zeitgenosse des Herakles; die ihm zugeschriebenen Gedichte sollen übrigens von dem Athenienser Onomakritos verfaßt worden sein, der zur Zeit der Pisistratidenherrschaft um die 50. Olympiade lebte. Orpheus Schüler ist Musaios. (4) Da Amphion um zwei Generationen dem trojanischen Kriege vorangeht, enthebt er mich der Aufgabe, weiteres über ihn den Wißbegierigen zu sagen. (5) Demodokos und Phemios lebten just in der Zeit des trojanischen Krieges; denn der eine von ihnen verweilte bei den Freiern, der andere bei den Phäaken. Thamyris aber und Philammon sind nicht viel älter als sie. (6) So habe ich euch über den zu jedem Punkte gehörigen Apparat, die Chronologie und die Geschichtsquellen wohl sehr bündig, aber mit aller Verläßlichkeit Bericht erstattet: doch damit ich meine vorläufige Aufgabe ganz zu Ende führe, will ich auch noch über die für weise gehaltenen Gesetzgeber Aufschluß geben. (7) Minos nämlich, dessen umfassender Gelehrsamkeit, geistiger Schärfe und gesetzgeberischer Befähigung der erste Platz zugesprochen wird, lebte zur Zeit des Königs Lynkeus, des Nachfolgers des Danaos, elf Generationen nach Inachos. (8) Lykurgos, der lange Zeit nach Ilions Fall geboren wurde, gab ein Jahrhundert vor Beginn der Olympiaden den Lakedämoniern Gesetze. (9) Drakons Geburt fällt etwa in die 39. Olympiade, die Solons um die 46. die des Pythagoras ungefähr in die 62. (10) Daß die Olympiaden vierhundert Jahre nach der Zerstörung Iions ihren Anfang nahmen, habe ich schon erwähnt. (11) Obwohl damit meine Beweisführung wahrhaftig abgeschlossen ist, schreibe ich euch doch noch eine kleine Notiz auch über das Zeitalter der sieben Weltweisen auf. Da Thales, der älteste von ihnen, um die 50. Olympiade lebte, so ist euch damit kurzen Weges auch die Frage beantwortet, wann ungefähr seine jüngeren Genossen lebten.

Dies, ihr Bekenner der Griechenlehre, habe ich für euch zusammengetragen, der Barbarenphilosoph Tatian, der aus dem Land der Assyrier stammt und anfangs euere Philosophie, dann aber diejenige Wissenschaft studiert hat, die er jetzt zu künden verspricht. Da ich seitdem das Wesen Gottes und seiner Schöpfung erkenne, so stelle ich mich zur Prüfung meiner Lehrsätze gern, aber mit dem Vorbehalte zu eurer Verfügung, daß ich meinen gottgefälligen Lebenswandel nie und nimmer verleugnen werde.

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